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faktor Herbst 2022

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LESEZEIT: 10 MINUTEN<br />

Hinter dem Bahnhof von Gittelde im<br />

Harzvorland, da wo man sich kaum<br />

je durch Zufall hinverirrt, hat eine<br />

besondere unternehmerische Perle<br />

Südniedersachsens ihren Sitz: die<br />

Alfred Galke GmbH. Dem Endverbraucher<br />

ist Galke kein Begriff, dafür stolpern unzählige<br />

Unternehmen, Apotheken und selbst Forschungseinrichtungen,<br />

national wie international, früher oder später<br />

über diesen Namen – wenn sie für die verschiedensten<br />

Verwendungszwecke Kräuter benötigen. Denn das über<br />

100-jährige Familienunternehmen ist in Europa der<br />

Kräuterhändler mit dem größten Sortiment, der nicht<br />

nur aus aller Welt seine pflanzlichen Rohstoffe bezieht,<br />

sondern sie auch in alle Welt exportiert – die Exportquote<br />

liegt bei 45 Prozent.<br />

Von außen sieht das Betriebsgelände unscheinbar aus,<br />

niedrige Gebäude, dahinter eine Halle, hinter der aber<br />

noch eine und noch eine folgt. Dass hier allerdings etwas<br />

anders ist als in gewöhnlichen Betriebsstätten, merkt<br />

man sofort beim Betreten, denn statt nach Metall- und<br />

Öl gerüchen oder Büroatmosphäre mit sterilen Fluren<br />

duftet es wie in einem Teeladen: nach Fenchel, Zitrus<br />

oder Pfefferminz und nach Pflanzen, die man überhaupt<br />

nicht zuordnen kann. Ein Fest für die Nase.<br />

1.600 VERSCHIEDENE SORTEN hat man bei Galke vorrätig<br />

– 600 in Bio-, 1.000 in konventioneller Qualität,<br />

vorwiegend Kräuter, aber auch Gewürze. „Wir versuchen,<br />

alles da zu haben, was es gibt, auch die seltenen Kräuter“,<br />

erklärt Hartmut Galke, Geschäftsführer des Traditionsbetriebs<br />

in dritter Generation. Die Besonderheit des<br />

Kräutergeschäfts ist, dass man nur einmal die Chance<br />

hat, die Waren zu kaufen – nach der Ernte. Insofern<br />

kommt dem Lager eine überragende Bedeutung zu, denn<br />

der Bedarf eines Jahres muss vorrätig sein. 27.000 Quadratmeter<br />

ist es groß, teilweise ist die Ware mehrere<br />

Meter hoch gestapelt, alphabetisch sortiert.<br />

Deswegen wird ein Besuch bei Galke schnell zu einer<br />

kleinen Wandertour, will man die ganzen Lager in Augenschein<br />

nehmen. Deswegen flitzen auch die Mit arbeiter der<br />

Kommissionierung mit Tretrollern durch die Hallen, um<br />

die Distanzen zu überbrücken, wenn etwa eine neue Bestellung<br />

an Birkenblättern versandfertig gemacht werden<br />

muss. Galke ist kein Massenversender, sondern hat sich<br />

auf eher kleinere Tranchen spezialisiert, selbst kleinste<br />

Mengen ab 100 Gramm sind bestellbar.<br />

So breit wie das Sortiment an Gewürzen, Arzneikräutern,<br />

Tees oder Färbemitteln, an Harzen und Aromen ist,<br />

so breit ist auch die Kundenlandschaft: Lebensmittelund<br />

Futtermittelhersteller, die daraus zum Beispiel Gesundheitstees<br />

– auch für Pferde – herstellen, die chemische<br />

und pharmazeutische Industrie, aber auch der kleine<br />

Einzelhandel wie die Apotheke, die noch ihre eigenen<br />

Salben anmischt, oder der Tee- und Kräuterhandel sowie<br />

Reformhäuser. Selbst Spirituosenhersteller greifen auf<br />

die Kräuterauswahl zurück. Und ein besonders faszinierender<br />

Abnehmer sind Zoos, die bestimmte Kräuter als<br />

Futterzusatz für Flamingos benötigen, damit diese ihre<br />

rosa Farbe behalten.<br />

Und so finden sich Galke-Rohstoffe wie Seifenkraut in<br />

Spülmitteln, Rote Beete als Färbemittel in Bio-Kreide,<br />

und in Gesundheitstees landen Löwenzahn und Brennnesseln,<br />

die niemand im Garten haben will, man in Gittelde<br />

aber in großen Mengen benötigt.<br />

DIE ANFÄNGE DES UNTERNEHMENS gehen auf Alfred<br />

Galke zurück, der 1920 in Schlesien einen Kräuterhandel<br />

gründete und vor dem Zweiten Weltkrieg bereits<br />

ganz Westeuropa mit Früchtetees beliefert hatte. Doch<br />

mit dem Kriegs ende kam die Flucht und der Verlust der<br />

alten Produk tionsstätte. Galke landete in der Nähe von<br />

Hannover und schaute sich dort gleich nach Möglichkeiten<br />

um, den Handel neu aufzubauen. Fündig wurde er in<br />

Gittelde, wo ein ehemaliger holzverarbeitender Betrieb,<br />

der über den nötigen Gleisanschluss verfügte, zum Verkauf<br />

stand. Das und die Nähe zum Harz und damit zu<br />

den dortigen Kräutersammlern und pflanzlichen Rohstoffen<br />

gaben den Ausschlag, im Norden zu bleiben. „Das ist<br />

untypisch für unsere Branche“, erklärt Sophie Galke,<br />

Hartmuts Tochter und vierte Generation, die das Unternehmen<br />

in die Zukunft führen soll. Seit fünf Jahren unterstützt<br />

sie ihren Vater bereits als Prokuristin, kümmert<br />

sich um Personalangelegen heiten, Betriebsorganisation<br />

und Umstrukturierungen. „Unsere Konkurrenten sitzen<br />

entweder an den Überseehäfen in Hamburg und Bremen<br />

oder in Süddeutschland, wo viele Kräuter angebaut werden.“<br />

Interessanterweise ist der Kräuterhandel in Europa<br />

in deutscher Hand. „Wir kennen uns alle untereinander,<br />

jeder hat so seine Spezialisierung gefunden, und wir<br />

helfen uns auch gegenseitig mal aus, wenn dem Kollegen<br />

ein Rohstoff fehlt.“<br />

Sophies Urgroßvater machte noch persönlich seine<br />

Runden im Harz und kaufte die kleinen Tranchen auf,<br />

die Kräutersammler auf ihren Dachböden getrocknet<br />

hatten. Einer der wichtigen Spezialartikel damals war der<br />

Fingerhut, der in Herzpräparaten verwendet wurde.<br />

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