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faktor Herbst 2022

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wissen<br />

der hydrierende Pizzaofen bislang fehlt. Fliegende Autos<br />

und damit eine Lösung des Verkehrsproblems sind allerdings<br />

immer noch Fehlanzeige.<br />

Gerade das fliegende Auto ist zu so etwas wie dem<br />

Sinnbild des utopischen, zukünftigen Verkehrs geworden,<br />

und nach über 100 Jahren Entwicklungsversuchen gibt es<br />

zwar einige Prototypen – aber eine flug- und fahrfähige<br />

Serienfertigung inklusive Landefahrstreifen im städtischen<br />

Ballungsraum ist noch nicht in Sicht. Auch der<br />

sehr reale Entwickler- und Verkehrsplanertraum vom<br />

autonomen Verkehr hat nicht mit der Geschwindigkeit<br />

Einzug gehalten, wie es anfangs prognostiziert wurde.<br />

DIE ZUKUNFT DER MOBILITÄT, sie kommt eher in<br />

kleinen Schritten und braucht einen langen Atem. In<br />

den Niederlanden haben beispielsweise mehrere Städte<br />

ihre Innenstädte autofrei umgestaltet – ein Prozess, der<br />

Jahrzehnte gedauert hat. Zudem gibt es große Herausforderungen<br />

auf ganz verschiedenen Ebenen. Die naheliegendsten<br />

sind technischer Natur: Wie ersetzt man<br />

erdölbasiertes Kerosin in Flugzeugen? Ein Antrieb mit<br />

großer Batterie, wie es in Elektroautos der heutige<br />

Standard geworden ist, ist nicht möglich. Auch ein<br />

Leichtbau mit Kohlenstoffverbundfasern wäre praktisch,<br />

erfordert aber eine komplett neue Aeroelastik, Aerodynamik<br />

und Produktionsweise.<br />

EBENSO AUF DER SCHIENE: Am Deutschen Zentrum<br />

für Luft- und Raumfahrttechnik (DLR) wurde 2007 das<br />

Projekt Next Generation Train ins Leben gerufen, es sollte<br />

der große Wurf werden: Wie würde der Zug der<br />

Zukunft aussehen, wenn die gesamte Technik und Aerodynamik<br />

aus einem Guss nach aktuellem Stand der Technik<br />

gemacht wären? 15 Jahre sind seitdem vergangen,<br />

aber von einem Praxiseinsatz und einer Produktion im<br />

industriellen Maßstab sind die Konzepte des 440 km/h<br />

schnellen, per Induktion elektrisch angetriebenen, doppelstöckigen<br />

Hochgeschwindigkeitszugs noch immer weit<br />

entfernt.<br />

Es geht eben nicht nur um das technisch Mögliche, es<br />

geht auch um Investitionen, Zulieferer, um Produktionsketten,<br />

Datenbereitstellung und deren Verarbeitung, um<br />

Organisationsfragen, da alte und neue Technik zunächst<br />

koexistieren müssen. Es geht um die Frage, ob die Kunden<br />

neue Technik überhaupt annehmen: Ist die Mutter<br />

etwa bereit, ihre Kinder dem autonomen Shuttle anzuvertrauen,<br />

das sie in die Schule bringen soll? Es geht um<br />

eine rechtliche Dimension: Was, wenn ein autonom fahrendes<br />

Fahrzeug einen Unfall baut, wer trägt dann die<br />

Kosten und die Schuld – der Softwarehersteller, der<br />

Fahrzeugbauer, der ,Fahrer‘, der eventuell gerade gelesen<br />

hat? Für Verkehrsplaner macht es zudem einen riesigen<br />

Unterschied, ob Konzepte in der ländlichen Fläche oder<br />

im großstädtischen Ballungsraum umgesetzt werden soll.<br />

»Wir haben einen gigantischen Transport-<br />

bedarf, aber ich bin erschrocken, wie gering<br />

der Anteil des nicht individuellen Verkehrs<br />

am Personen- und Güterverkehr ist. «<br />

THOMAS VIETOR, Professor für Konstruktionstechnik<br />

IN NIEDERSACHSEN und auch deutschlandweit ist das<br />

Niedersächsische Forschungszentrum Fahrzeugtechnik<br />

(NFF) ,die‘ Adresse, wenn es um solche Mobilitäts fragen,<br />

vor allem auf der Straße, aber auch auf der Schiene geht.<br />

Das NFF ist eine Einrichtung der TU Braunschweig, an<br />

dem auch die Universitäten in Bremen, Hannover und<br />

Clausthal Mitglied sind und das mit vielen internationalen<br />

Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft<br />

kooperiert, so etwa aus China, Japan und den USA. Am<br />

NFF wird an der Technik geforscht sowie den davon berührten<br />

Bereichen, wie etwa an rechtlichen Rahmenbedingungen,<br />

soziologischen Fragestellungen oder der betriebswirtschaftlichen<br />

Tragfähigkeit. Wenn man sehen<br />

will, was in Sachen Mobilität geht oder eben (noch)<br />

nicht, dann wird man beim NFF fündig.<br />

DAS GROSSE PROBLEM DER MOBILITÄT werde in den<br />

Zahlen sichtbar, so Thomas Vietor, Professor für Konstruktionstechnik<br />

und Vorstandssprecher des NFF. 2019 wurden<br />

in Deutschland 1,2 Billionen Personenkilometer zurückgelegt,<br />

der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) hatte<br />

daran nur einen Anteil von 6,3 Prozent, die Schiene von<br />

acht Prozent – der Rest entfällt auf den indi vi duellen motorisierten<br />

Verkehr. Bei den für den Transport von Waren<br />

relevanten 700 Milliarden Tonnen- Kilometer sieht es wenig<br />

anders aus: 18 Prozent entfallen auf die Eisenbahn, 71<br />

Prozent auf die Straße. „Wir haben einen gigantischen<br />

Transportbedarf, aber ich bin erschrocken, wie gering der<br />

Anteil des nicht individuellen Verkehrs am Personen- und<br />

Güterverkehr ist“, erklärt Vietor. Das 9-Euro-Ticket habe<br />

interessante Beobachtungen erlaubt, wie sich einerseits<br />

mehr Menschen in den ÖPNV und die Bahn bringen<br />

ließen. „Gleichzeitig wurde damit die Kapazitätsgrenze<br />

überschritten. Der Personennahverkehr kann in der gegenwärtigen<br />

Form nicht viel mehr leisten.“<br />

60 3 | <strong>2022</strong>

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