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Schaufenster 2022-09-23

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WIRTIN. Stefanie Herkner führt das<br />

Wirtshaus „Zur Herknerin“ in Wien<br />

Wieden. Auf der Karte sowie in ihrem<br />

Kochbuch „Wiener Küche mit Herz“<br />

(Brandstätter Verlag) findet man<br />

Georg Böhm kann das nachvollziehen: „Wenn es mir<br />

wirklich, wirklich schlecht geht, dann neige ich auch<br />

eher zu destruktivem Essverhalten. Da greife ich dann<br />

zu Tiefkühllasagne und Süßwaren aus dem Kühlregal.“<br />

Ein Essverhalten, das sich diametral von seiner Kochweise<br />

im Café Kandl in Wien Neubau unterscheidet.<br />

Comfort Food in seinem positivsten Sinn hat für Böhm<br />

wenig mit ihm selbst zu tun. Wichtig sei ihm, dass sich<br />

die anderen wohlfühlen, jene, für die er kocht. Für<br />

seine Tochter Paula etwa bereitet „der Doktor“ — seinen<br />

Spitznamen verdankt er seiner Promotion in Arabistik<br />

— gern mal ihr Comfort Food zu, das im Übrigen<br />

auch das Lieblingsgericht von Mao Zedong war:<br />

geschmorter Schweinebauch zubereitet mit Sternanis,<br />

Zucker, Sojasauce, Zimt und Shaoxing-Reiswein.<br />

Im Café Kandl war das Trostgericht der vergangenen<br />

Wochen wiederum Fregola Sarda mit Parmesanschaum<br />

und Basilikumöl. Die Hartweizenkügelchen<br />

aus Sardinien lässt Böhm im Gemüsefond mit Zatar,<br />

Knoblauch und Weißwein köcheln, bis sie sich wohligwürzig<br />

an den cremigen Parmesan schmiegen. An ein<br />

Comfort Food aus seiner eigenen Kindheit könne er<br />

sich nicht wirklich erinnern. „Höchstens Mayonnaise“,<br />

fügt er hinzu. Seine vier Geschwister und er mussten<br />

schon früh lernen, selbst Mayonnaise herzustellen.<br />

Sind sie heute zu Besuch bei den Eltern, steuern alle<br />

fünf treffsicher zuerst den Kühlschrank an. Gibt es frische<br />

Mayonnaise, wird mit einer<br />

Scheibe Brot kritisch verkostet.<br />

Komfort als Essenz. Jemand,<br />

sich dem „Komfort“ verschrieben<br />

hat (und „Schäumchen“ davon ganz<br />

exkludiert), ist Stefanie Herkner. Seit<br />

zehn Jahren führt sie nun ihr Wirtshaus<br />

Zur Herknerin im vierten Wiener<br />

Gemeindebezirk. Das Lokal<br />

sowie ihr Kochbuch „Wiener Küche<br />

mit Herz“ bedienen nicht nur Kindheitserinnerungen,<br />

sondern sind<br />

auch daraus entstanden. „Das Lokal<br />

ist ein Ort, um meinem Vater ein<br />

bisserl nah zu sein“, sagt Herkner.<br />

„Das Gefühl des Umsorgens ist<br />

Heinz Herkner war in den 1970erund<br />

1980er-Jahren einer der besten<br />

wiedergegeben in diesem Geschmack.“ Köche Wiens. Er starb, als die Tochter<br />

erst 13 Jahre alt war.<br />

Nun serviert sie Gerichte aus ihrer<br />

Kindheit. Dass das Essen die Leute berührt, merke sie<br />

und erklärt es wie folgt: „Das Gefühl des Umsorgens ist<br />

wiedergegeben in diesem Geschmack.“ Gefüllte serbische<br />

Krautrouladen, Sarma, lassen sich außerdem gut<br />

vorbereiten, die Fülle bestenfalls schon am Vortag, ein<br />

Pluspunkt für Comfort Food. „Vor zehn Jahren war ich<br />

ja noch allein in der Küche, Sarma war sozusagen mein<br />

Notfallgericht.“ Das Rezept für Trostküche hat man<br />

somit schnell beisammen: Eine Prise Nostalgie ist meist<br />

enthalten, Lust oder Stress kommen hinzu, bequem in<br />

der Umsetzung soll’s sein, im besten Fall ist viel bewusster<br />

Genuss beim Verzehr vorhanden, im schlechtesten<br />

der Griff zur Fertigware, ein wenig Dopamin kommt<br />

obendrauf, und schon wird aus einem austauschbaren<br />

Gericht die Komfortvariante. s<br />

Gerichte aus ihrer Kindheit – Grießnockerl,<br />

Faschierter Braten, Sarma.<br />

Mit ihrem Essen will sie Menschen<br />

berühren, und das scheint ihr zu gelingen.<br />

Das für sie schönste Lob kam<br />

von einer Urlauberin, die sagte: „Ihr<br />

Essen macht mich richtig glücklich.“<br />

es nur, wenn Essen eine emotionsregulierende Funktion<br />

erhält“, sagt Fiechtl. Wenn wir also essen, wenn wir<br />

angespannt sind, uns schlecht fühlen oder langweilen,<br />

und uns dadurch besser fühlen wollen.<br />

Studien zeigen, dass Menschen in Stresssituationen<br />

mehr Energie zu sich nehmen. Das merkt man etwa<br />

zu Krisenzeiten: Auch während der Coronapandemie<br />

hat sich das Essverhalten vieler Menschen verändert.<br />

Der Verkauf von Konserven und Fertiggerichten ist in<br />

die Höhe geschnellt, in den USA etwa freute sich der<br />

bekannte Dosensuppenproduzent Campbell’s nach Jahren<br />

der Verkaufsrückgänge plötzlich über die doppelte<br />

Nachfrage, und während Teile der Bevölkerung wieder<br />

mehr selbst kochten, stieg bei anderen die Frequenz<br />

bestellten Essens hin zum Tagtäglichen.<br />

UMMANTELT.<br />

Zu Sarma wurde<br />

Herkner von<br />

ihren slowenischen<br />

Wurzeln<br />

inspiriert.<br />

der<br />

18 <strong>Schaufenster</strong>

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