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Der deutsche Kabarettist Gerhard Polt sitzt<br />
neben einer Frau im Kimono am Sofa, er<br />
spricht, sie bleibt stumm. Der Sketch aus<br />
den 1970ern — via YouTube abrufbar —<br />
soll den Menschenhandel mit asiatischen<br />
Frauen satirisch-humoristisch porträtieren und arbeitet<br />
sich in wenigen Minuten an einer großen Menge antiasiatischer<br />
Stereotype ab. Aus dem Katalog habe er sie<br />
bestellt, dreckig sei sie gar nicht, dafür still und hörig,<br />
die Eigenarten beim Essen müsse sie sich abgewöhnen.<br />
Ihr Name ist Mai Ling.<br />
„Wir sind alle Mai Ling“, sagt das Künstlerinnenkollektiv<br />
mit demselben Namen. Deshalb spricht das Kollektiv<br />
auch vereint unter diesem Namen über seine Arbeit,<br />
verzichtet auf die Erwähnung einzelner Mitglieder, um<br />
das künstlerische Konzept zu verstärken. „Mai Ling ist<br />
eine Figur, die den chauvinistischen und rassistischen<br />
westlichen Blick auf asiatische Körper einfängt. Sie steht<br />
für eine Vielzahl an asiatischen Kulturen, die im Westen<br />
oft zu einem hybriden Bild vermengt werden“, sagt<br />
das Kollektiv. Eine derart klischeehafte Darstellung asiatischer<br />
Menschen durch weiße Personen wird mit dem<br />
Begriff „Yellowfacing“ beschrieben. Die Journalistin und<br />
koreanische Wienerin Vina Yun<br />
schreibt in ihrem Beitrag im Buch<br />
„War das jetzt rassistisch?“, dass<br />
die meisten Vorurteile über asiatische<br />
Menschen schon in den<br />
letzten Jahrhunderten verbreitet<br />
waren. Oft werden Asiatinnen<br />
als fleißig, arbeitsam und gleichzeitig<br />
als unterwürfig, schmutzig<br />
und hinterhältig porträtiert. Sie<br />
hätten unappetitliche Essgewohnheiten<br />
und würden Krankheiten<br />
einschleppen. Und während asiatische<br />
Frauen sexualisiert und<br />
infantilisiert würden, würden<br />
asiatische Männer feminisiert und desexualisiert. Die<br />
weltweite Ausbreitung der Covid-19-Pandemie hat diese<br />
Stereotype deutlich offengelegt, die Rede war unter<br />
anderem vom „China-Virus“. Das Kollektiv Mai Ling<br />
nimmt diesen Moment allerdings auch als Chance war:<br />
„Diese Art von Rassismus und Vorurteilen war immer<br />
da, nur geredet wurde wenig darüber. Zumindest ist der<br />
Diskurs dadurch breitenwirksamer geworden.“<br />
Kochen für die Kunst. Die Künstlerinnen, die entweder<br />
in Wien lebten oder leben und der asiatischen Diaspora<br />
entstammen, hatten anfangs gar nicht im Sinn,<br />
sich als Kollektiv zu verbinden. In erster Linie fanden<br />
sie zusammen als Gleichgesinnte, Künstlerinnen und<br />
Wissenschaftlerinnen, die sich in Österreich mit ähnlichen<br />
Vorurteilen und diskriminierenden Erfahrungen<br />
konfrontiert sahen. Das Kollektiv Mai Ling entstand erst<br />
später, soll eine Plattform für Menschen wie sie darstellen<br />
und eine Möglichkeit, sich mit Humor und Ironie<br />
dem Thema anzunähern. Die Namensgebung war eine<br />
MAI LING. Ein<br />
Sketch des<br />
Kabarettisten<br />
Gerhard Polt<br />
inspirierte zum<br />
Namen.<br />
Art, sich das fremdbestimmte Bild asiatischer Menschen<br />
subversiv-entlarvend wieder anzueignen. Mit Projekten<br />
und Performances aus ihrer Performancereihe „Mai<br />
Ling kocht“ traten sie heuer etwa beim Donaufestival in<br />
Krems und bei den Wiener Festwochen auf.<br />
Die Verknüpfung antiasiatischer Vorurteile und Esskultur<br />
ist naheliegend. „Wir wollten mit dem Stereotyp<br />
spielen, dass asiatische Menschen immer kochend dargestellt<br />
oder immer mit der Gastronomie in Verbindung<br />
gebracht werden“, so Mai Ling. Außerdem sei Esskultur<br />
immer eng mit Geografie, Geschlechterrollen, Ethnizität<br />
und Geschichte verwoben und damit ein geeignetes<br />
Medium, sich mit dem Thema Rassismus auseinanderzusetzen.<br />
Essen für die Kamera. So steht das Kollektiv während<br />
seiner Performances auch immer kochend auf der<br />
Bühne, bereitet „Rezepte des Widerstands“ zu und lässt<br />
das Publikum abschließend das Ergebnis verkosten.<br />
„Wir erlauben anderen damit, sich unsere Kultur einzuverleiben“,<br />
sagt Mai Ling. Gleichzeitig erzählen die Performerinnen<br />
von verwestlichten Gerichten wie „Acht<br />
Schätze“, das es nirgendwo in Asien wirklich gibt und<br />
eine Art ist, Überreste anderer<br />
Gerichte westlichen Gästen<br />
schmackhaft zu machen. Oder<br />
sie erzählen über Hühnerfüße,<br />
die sehr stark mit der chinesischen<br />
Esskultur verbunden<br />
werden und auch prominent in<br />
der klischeebehafteten österreichischen<br />
Folge „Tatort: Falsch<br />
verpackt“ im Zusammenhang<br />
mit chinesischer Bandenkriminalität<br />
zum Einsatz kamen,<br />
obgleich sie auch in Ländern<br />
wie Mexiko, Brasilien, Peru<br />
oder der Ukraine zubereitet<br />
werden. Sie erzählen vom Tausendjährigen Ei, das im<br />
Westen oft mit viel Abscheu beäugt wird, obwohl ihm<br />
ein einfacher Fermentationsprozess zugrunde liegt. In<br />
einem Videoprojekt befasst sich das Kollektiv auch mit<br />
dem in Korea entstandenen YouTube-Trend Mukbang,<br />
also Videos, die Menschen beim Essen zeigen. Dabei<br />
sind das sehr oft asiatische Menschen, die sich dabei<br />
filmen lassen, wie sie große Mengen oder besonders<br />
außergewöhnliche oder als abstoßend wahrgenommene<br />
Lebensmittel vor der Kamera verzehren. Auch<br />
diese Praxis kann als eine Erfüllung westlicher Exotisierungsfantasien<br />
über asiatische Menschen und asiatisches<br />
Essen wahrgenommen werden. Im besten Fall ist<br />
es ein Akt des Widerstandes gegen geschlechterspezifische<br />
Normen rund um das Thema Essen. s<br />
Tipp<br />
MAI LING. Die nächste Live-Performance des Kollektivs ist in der Brotfabrik im Rahmen<br />
der „Vivências“-Veranstaltungsreihe im November zu sehen. Siehe mai-ling.org<br />
<strong>Schaufenster</strong> 53