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Schaufenster 2022-09-23

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Der deutsche Kabarettist Gerhard Polt sitzt<br />

neben einer Frau im Kimono am Sofa, er<br />

spricht, sie bleibt stumm. Der Sketch aus<br />

den 1970ern — via YouTube abrufbar —<br />

soll den Menschenhandel mit asiatischen<br />

Frauen satirisch-humoristisch porträtieren und arbeitet<br />

sich in wenigen Minuten an einer großen Menge antiasiatischer<br />

Stereotype ab. Aus dem Katalog habe er sie<br />

bestellt, dreckig sei sie gar nicht, dafür still und hörig,<br />

die Eigenarten beim Essen müsse sie sich abgewöhnen.<br />

Ihr Name ist Mai Ling.<br />

„Wir sind alle Mai Ling“, sagt das Künstlerinnenkollektiv<br />

mit demselben Namen. Deshalb spricht das Kollektiv<br />

auch vereint unter diesem Namen über seine Arbeit,<br />

verzichtet auf die Erwähnung einzelner Mitglieder, um<br />

das künstlerische Konzept zu verstärken. „Mai Ling ist<br />

eine Figur, die den chauvinistischen und rassistischen<br />

westlichen Blick auf asiatische Körper einfängt. Sie steht<br />

für eine Vielzahl an asiatischen Kulturen, die im Westen<br />

oft zu einem hybriden Bild vermengt werden“, sagt<br />

das Kollektiv. Eine derart klischeehafte Darstellung asiatischer<br />

Menschen durch weiße Personen wird mit dem<br />

Begriff „Yellowfacing“ beschrieben. Die Journalistin und<br />

koreanische Wienerin Vina Yun<br />

schreibt in ihrem Beitrag im Buch<br />

„War das jetzt rassistisch?“, dass<br />

die meisten Vorurteile über asiatische<br />

Menschen schon in den<br />

letzten Jahrhunderten verbreitet<br />

waren. Oft werden Asiatinnen<br />

als fleißig, arbeitsam und gleichzeitig<br />

als unterwürfig, schmutzig<br />

und hinterhältig porträtiert. Sie<br />

hätten unappetitliche Essgewohnheiten<br />

und würden Krankheiten<br />

einschleppen. Und während asiatische<br />

Frauen sexualisiert und<br />

infantilisiert würden, würden<br />

asiatische Männer feminisiert und desexualisiert. Die<br />

weltweite Ausbreitung der Covid-19-Pandemie hat diese<br />

Stereotype deutlich offengelegt, die Rede war unter<br />

anderem vom „China-Virus“. Das Kollektiv Mai Ling<br />

nimmt diesen Moment allerdings auch als Chance war:<br />

„Diese Art von Rassismus und Vorurteilen war immer<br />

da, nur geredet wurde wenig darüber. Zumindest ist der<br />

Diskurs dadurch breitenwirksamer geworden.“<br />

Kochen für die Kunst. Die Künstlerinnen, die entweder<br />

in Wien lebten oder leben und der asiatischen Diaspora<br />

entstammen, hatten anfangs gar nicht im Sinn,<br />

sich als Kollektiv zu verbinden. In erster Linie fanden<br />

sie zusammen als Gleichgesinnte, Künstlerinnen und<br />

Wissenschaftlerinnen, die sich in Österreich mit ähnlichen<br />

Vorurteilen und diskriminierenden Erfahrungen<br />

konfrontiert sahen. Das Kollektiv Mai Ling entstand erst<br />

später, soll eine Plattform für Menschen wie sie darstellen<br />

und eine Möglichkeit, sich mit Humor und Ironie<br />

dem Thema anzunähern. Die Namensgebung war eine<br />

MAI LING. Ein<br />

Sketch des<br />

Kabarettisten<br />

Gerhard Polt<br />

inspirierte zum<br />

Namen.<br />

Art, sich das fremdbestimmte Bild asiatischer Menschen<br />

subversiv-entlarvend wieder anzueignen. Mit Projekten<br />

und Performances aus ihrer Performancereihe „Mai<br />

Ling kocht“ traten sie heuer etwa beim Donaufestival in<br />

Krems und bei den Wiener Festwochen auf.<br />

Die Verknüpfung antiasiatischer Vorurteile und Esskultur<br />

ist naheliegend. „Wir wollten mit dem Stereotyp<br />

spielen, dass asiatische Menschen immer kochend dargestellt<br />

oder immer mit der Gastronomie in Verbindung<br />

gebracht werden“, so Mai Ling. Außerdem sei Esskultur<br />

immer eng mit Geografie, Geschlechterrollen, Ethnizität<br />

und Geschichte verwoben und damit ein geeignetes<br />

Medium, sich mit dem Thema Rassismus auseinanderzusetzen.<br />

Essen für die Kamera. So steht das Kollektiv während<br />

seiner Performances auch immer kochend auf der<br />

Bühne, bereitet „Rezepte des Widerstands“ zu und lässt<br />

das Publikum abschließend das Ergebnis verkosten.<br />

„Wir erlauben anderen damit, sich unsere Kultur einzuverleiben“,<br />

sagt Mai Ling. Gleichzeitig erzählen die Performerinnen<br />

von verwestlichten Gerichten wie „Acht<br />

Schätze“, das es nirgendwo in Asien wirklich gibt und<br />

eine Art ist, Überreste anderer<br />

Gerichte westlichen Gästen<br />

schmackhaft zu machen. Oder<br />

sie erzählen über Hühnerfüße,<br />

die sehr stark mit der chinesischen<br />

Esskultur verbunden<br />

werden und auch prominent in<br />

der klischeebehafteten österreichischen<br />

Folge „Tatort: Falsch<br />

verpackt“ im Zusammenhang<br />

mit chinesischer Bandenkriminalität<br />

zum Einsatz kamen,<br />

obgleich sie auch in Ländern<br />

wie Mexiko, Brasilien, Peru<br />

oder der Ukraine zubereitet<br />

werden. Sie erzählen vom Tausendjährigen Ei, das im<br />

Westen oft mit viel Abscheu beäugt wird, obwohl ihm<br />

ein einfacher Fermentationsprozess zugrunde liegt. In<br />

einem Videoprojekt befasst sich das Kollektiv auch mit<br />

dem in Korea entstandenen YouTube-Trend Mukbang,<br />

also Videos, die Menschen beim Essen zeigen. Dabei<br />

sind das sehr oft asiatische Menschen, die sich dabei<br />

filmen lassen, wie sie große Mengen oder besonders<br />

außergewöhnliche oder als abstoßend wahrgenommene<br />

Lebensmittel vor der Kamera verzehren. Auch<br />

diese Praxis kann als eine Erfüllung westlicher Exotisierungsfantasien<br />

über asiatische Menschen und asiatisches<br />

Essen wahrgenommen werden. Im besten Fall ist<br />

es ein Akt des Widerstandes gegen geschlechterspezifische<br />

Normen rund um das Thema Essen. s<br />

Tipp<br />

MAI LING. Die nächste Live-Performance des Kollektivs ist in der Brotfabrik im Rahmen<br />

der „Vivências“-Veranstaltungsreihe im November zu sehen. Siehe mai-ling.org<br />

<strong>Schaufenster</strong> 53

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