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Es geht nicht nur<br />
um guten Wein<br />
Genussreisende sind unterwegs zwischen den Hügeln, sehr überlaufen ist der<br />
Collio in Friaul nicht. Erst 2025 wird Gorizia Europäische Kulturhauptstadt.<br />
Text: Georg Weindl<br />
Es kann schon vorkommen, dass man<br />
unterwegs am eigenen Geisteszustand<br />
zweifelt. Wer nach Gradisciutta<br />
will, einem eleganten Gutshof<br />
inmitten der Weingärten zwischen<br />
Cormòns und Gorizia, hat eigentlich<br />
genug mit der schmalen kurvigen<br />
Landstraße zu tun, deren Asphalt schon etliche Alterserscheinungen<br />
hat. Die finale Schotterstraße, der letzte<br />
Kilometer, der neben einem alten Bauernhof abzweigt,<br />
erfordert ein wachsames Auge und Pfadfinderqualitäten.<br />
Das Navigationssystem ist längst verwirrt. Einmal<br />
heißt es Gardisciutta, dann wieder Gradisciutta. Zwei<br />
bis drei Ehrenrunden sollte man einplanen, bis man vor<br />
dem gediegenen Gemäuer des Weinguts von Robert<br />
Princic steht.<br />
Warum da zwei verschiedene Versionen für den Ortsnamen<br />
kursieren, weiß er selbst nicht genau. Dabei ist<br />
seine Familie hier seit Generationen zu Hause, haben<br />
Vater und Großvater hier schon Wein gebaut. Robert gibt<br />
sich damit nicht zufrieden, hat viel Geld und Energie<br />
investiert und das alte Gut in einen eleganten Agriturismo<br />
verwandelt. Friulanisches Landleben mit Viersternekomfort,<br />
umgeben von den sanften Hügeln des Collio.<br />
„Wir haben hier 40 Hektar Fläche, stellen gerade ganz<br />
auf biologischen Weinbau um und bieten<br />
seit heuer zwölf Zimmer und drei Appartements<br />
an“, verrät Princic. Wer gern exzellenten<br />
Wein, vorzugsweise weiß, goutiert und<br />
dabei seine Ruhe haben will, ist hier richtig.<br />
Zum Frühstück serviert man regionale Spezialitäten<br />
und hausgemachte Marmeladen.<br />
Für Gruppen wird auch abends gekocht.<br />
Weindegustationen gehören ohnehin zum<br />
Standardangebot. Wer Stadtleben en miniature<br />
sucht, landet in ein paar Minuten in Cormòns oder<br />
Gorizia. Robert Princic hat noch weitere Pläne. Ein<br />
Schwimmbad ist fix geplant. Über mehr will er noch<br />
nicht reden. Sind ja auch unsichere Zeiten.<br />
Vor allem der Weißwein. Der Collio ist irgendwie eine<br />
Kuriosität. Einerseits ist die Gegend in Kreisen kultivierter<br />
Genussmenschen berühmt für seine Weißweine, für<br />
Pinot Bianco, Pinot Grigio, Friulano, Chardonnay und<br />
Sauvignon Blanc. Andererseits wirkt die Gegend entlang<br />
der Grenze zu Slowenien, von einigen wenigen glamourösen<br />
Ausnahmen abgesehen, noch ziemlich rustikal<br />
Genussreisende<br />
erkunden den<br />
Collio zunehmend<br />
mit dem Fahrrad.<br />
und unentdeckt. Dass Gorizia, die zweigeteilte italienischslowenische<br />
Stadt, 2025 Kulturhauptstadt Europas<br />
wird, davon versprechen sich die Einheimischen<br />
wertvolle Impulse.<br />
Man muss nicht dem Wein verfallen sein, will man hier<br />
Ferientage verbringen, aber es erleichtert die Wahl<br />
ungemein. Das gilt vermutlich auch für die Gäste bei<br />
Russiz Superiore, das nur wenige, aber kurvenreiche<br />
Kilometer von Gradisciutta entfernt ist. Bei den letzten<br />
500 Metern auf der schmalen Schotterstraße hinauf<br />
zum souverän auf einem Hügel postierten Weingut fühlt<br />
man sich wie in einer Filmromanze von Vittorio de Sica,<br />
fehlt nur noch der offene Alfa oder Lancia samt dem<br />
Konzert eines kernigen Doppelnockenwellenmotors.<br />
Eine önologische Erlebniswelt von archaischer Güte.<br />
Die elegante Villa mit ihren leuchtend gelben Mauern,<br />
nebenan ein elegantes und unaufdringliches Dreisternehotel.<br />
Zur Degustation geht es in einen Salon, der sich<br />
aristokratisch anfühlt. Etliche Meter tiefer verführt der<br />
historische Weinkeller in eine fast mystische Zeitreise,<br />
wo Weißweine lagern, die etliche Jahrzehnte hinter sich<br />
haben.<br />
Erst schnüffeln, dann kosten. Ilaria Felluga, die seit<br />
dem frühen Tod ihres Vaters das renommierte Weingut<br />
leitet, ist um Ideen offensichtlich nicht verlegen.<br />
An diesem Tag hat sie Elena Cobez eingeladen,<br />
eine Aromatherapeutin aus Triest. Auf<br />
die Besuchenden wartet eine Verkostung der<br />
besonderen Art. „Indem wir an verschiedenen<br />
Duftölen riechen, sensibilisieren wir<br />
unseren Geruchs und Geschmackssinn. Je<br />
mehr Düfte und Geschmäcker der Körper<br />
kennt, desto besser reagieren die Sinne auf<br />
neue Duftnoten“, erklärt Cobez, die dafür mit<br />
einer Sommelière zusammenarbeitet. Also schnüffeln<br />
die Probanden an Zedernholz, Cranberry, Birne und<br />
Kamille, bevor es an die Verkostung des FellugaSortiments<br />
geht.<br />
Russiz Superiore ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die<br />
Weinproduzenten im Collio dem Tourismus öffnen.<br />
„Während der Pandemie sind viele Leute aus der Region<br />
zu uns gekommen, dadurch konnten wir touristische<br />
Erfahrungen sammeln“, sagt Ilaria Felluga. Weinverkostungen<br />
werden mit regionalen Produkten wie San<br />
DanieleSchinken und MontasioKäse verknüpft. Neu<br />
sind auch enogastronomische Exkursionen zu lokalen<br />
→<br />
<strong>Schaufenster</strong> 39