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Schaufenster 2022-09-23

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du kannst sie locker wieder einholen“, fährt sie fort und<br />

lächelt dabei zufrieden in sich hinein.<br />

In der italienischen Gastroszene liegt Egger momentan<br />

jedenfalls auf der Pole­Position: Sie wurde im vergangenen<br />

Herbst als beste Sommelière Italiens mit dem<br />

Michelin Award Sommelier <strong>2022</strong> Italy ausgezeichnet –<br />

als erste Frau überhaupt: „Manchmal stehe ich im Weinkeller<br />

und kann es immer noch kaum glauben.“ Egger<br />

versteht den Preis aber auch als Signal an ihre Kolleginnen.<br />

„Es gibt so viele Frauen in diesem Beruf. Ausgezeichnet<br />

wurden bislang aber nur Männer. Umso wichtiger,<br />

dass Frauen in den Blick der Öffentlichkeit gerückt<br />

werden.“<br />

Neues wagen. Warum ausgerechnet sie den besten<br />

Weingeschmack Italiens haben soll, vermag sie nicht<br />

zu sagen – sie übe den Beruf nun einmal seit 34 Jahren<br />

aus, bilde sich stetig weiter, reise zu Verkostungen überall<br />

in Europa: „Man lernt eben immer dazu.“ Egger legt<br />

viel Wert auf Bescheidenheit, scheint sich über die Aufmerksamkeit,<br />

die ihr nach der Michelin­Auszeichnung<br />

zuteilwird, zu freuen, aber sich nicht darin zu sonnen.<br />

„Ich bin nicht der Star im Restaurant, sondern will einfach<br />

einen tollen Service bieten“, sagt die zierliche Frau.<br />

„Es ist wichtig, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben.“<br />

Eine gute Sommelière machen andere Qualitäten<br />

aus, findet sie: „Man muss sehr viel Feingefühl beweisen,<br />

sich auf die Gäste einstellen.“<br />

Und dieses Feingefühl, das gibt Egger implizit zu verstehen,<br />

traut sie Frauen tendenziell eher zu als Männern.<br />

Kolleginnen, die sie schätzt, sind etwa Gisela Schneider<br />

aus dem Zwei­Sterne­Restaurant Terra im Sarntal<br />

oder die Berliner Gastronomin Marie­Anne<br />

Wild. Vielleicht ist es die Flexibilität von Frauen,<br />

sich allen Lebensumständen anzupassen, die<br />

sie für den Beruf der Sommelière prädestinieren;<br />

sie selbst habe etwa nie davon geträumt,<br />

den Beruf zu ergreifen, sagt Sonya Egger, es habe<br />

sich eben so ergeben. Die Offenheit, die Dinge so<br />

zu nehmen, wie sie kommen, und das Beste daraus<br />

zu machen, das ist für Egger eine weibliche<br />

Eigenschaft – und eine, die für eine Sommelière<br />

unabdingbar ist. Schließlich verändert sich der<br />

Geschmack eines Weines fortwährend. Was bei der Verkostung<br />

beim Winzer stimmig wirkte, kann an einem<br />

heißen Tag zu einem bestimmten Menü einen ganz<br />

anderen Charakter annehmen. Dann heißt es umdisponieren,<br />

Neues wagen.<br />

Überhaupt spricht Sonya Egger über ihren Job, als ob<br />

es eben nicht nur darum ginge, perfektionistisch nach<br />

der besten Weinbegleitung zum jeweiligen Menü zu<br />

suchen. Vielleicht ist das ihr Geheimnis – sie geht unverkrampft<br />

an ihren Job heran. Jedenfalls ist es eine auf<br />

den ersten Blick wilde Weinmischung, die Sonya Egger<br />

in ihrem Restaurant Glas für Glas aus extra für sie angefertigten<br />

Magnum­Flaschen aviniert (daraus schmeckt<br />

der Wein am besten, sagt sie – ihre beliefernden Winzer<br />

hätten sich an diese kleine Extravaganz ihrerseits längst<br />

gewöhnt). „Ich mische immer gern große Namen mit<br />

kleinen, ganz unbekannten“, so erklärt sie die Auswahl<br />

ihrer Weine. Zum Sechs­Gänge­Menü an diesem Abend<br />

im Kuppelrain gibt es etwa zum Tatar vom Vinschgauer<br />

„Ich mische<br />

immer gern<br />

große Namen<br />

mit kleinen,<br />

unbekannten.“<br />

Saibling einen „Eschkolot“ vom Gut Castelatsch, eine frische<br />

weiße Cuvée, hergestellt auf einem kleinen alternativen<br />

Bauernhof. Den Gegenentwurf der Südtiroler<br />

Weinkultur gibt es dann zum Schnalser Jungrind mit<br />

wildem Brokkoli zu trinken: einen sehr vollmundigen<br />

St. Magdalener „Heilmann klassisch“, eine Mischung aus<br />

Vernatsch und Lagrein vom Erbhof Unterganzner, seit<br />

1629 im Besitz der gleichen Familie.<br />

Parfumverbot. Aber nach welchen Kriterien wählt sie<br />

denn Weine nun aus? Wie muss ein Wein sein, damit<br />

er es ins Kuppelrain schafft? Egger gibt hier eine ungewöhnliche<br />

Antwort: „Mir ist die Geschichte eines Weines<br />

wichtig – aus welcher Lage kommt er, wer macht<br />

den Wein? Ich entscheide mit Herz und Bauchgefühl<br />

und unterstütze gern kleine Winzer, die auch aus<br />

schwierigen Lagen einen besonderen Wein herausholen.“<br />

Geschichten sind Sonya Egger wichtig, das ist<br />

beim Besuch im „Kuppelrain“ zu spüren. Sie ist eine<br />

zurückhaltende Frau, sie erzählt am Tisch zu ihren Weinen<br />

nur das, was die Gäste bereit sind zu hören. Aber<br />

sie verleiht dem Ort die Seele, hält den Familienbetrieb<br />

zusammen: Mann und Sohn haben die Küche zu verantworten,<br />

Tochter Natalie pflegt den Garten, aus dem<br />

Obst, Gemüse und Kräuter für das Kuppelrain stammen,<br />

außerdem zaubert sie feine Patisserie­Kunstwerke. Die<br />

jüngste Tochter hilft in den Schulferien im Service. Aber<br />

Mutter Sonya sorgt eben dafür, dass alle Rädchen ineinandergreifen<br />

– und bringt abends, bevor die Gäste<br />

kommen, die Hühner lieber selbst in den Stall, bevor<br />

das noch vergessen wird (die eigenen Eier im Menü<br />

schmecken übrigens fantastisch).<br />

In Anbetracht von so viel Frauenpower drängt<br />

sich natürlich eine Frage auf: Haben Frauen<br />

eigentlichen einen anderen, womöglich sogar<br />

besseren Weingeschmack als Männer? Wieder<br />

lächelt Egger auf ihre feine, leise, verschmitzte<br />

Art. Sie drückt sich diplomatisch aus: „Frauen<br />

schmecken Weine zumindest oft besser als Männer.<br />

Und können die Geschmacksnuancen auch<br />

blumiger, differenzierter beschreiben.“ Tatsächlich<br />

gibt es aktuelle Studien dazu, dass Frauen<br />

besser schmecken als Männer – weil sie im vorderen<br />

Gehirnteil mehr Neuronen aufweisen, die die<br />

Geruchssignale in den Teil weiterleiten, der für die<br />

Geruchswahrnehmung zuständig ist. Außerdem sind<br />

bei Frauen die Gehirnhälften besser miteinander vernetzt,<br />

was beim Bestimmen von Geschmacksnuancen<br />

hilft. Doch keine Sorge, es gibt Chancen für Männer, sagt<br />

Sonya Egger: „Man kann Riechen und Schmecken natürlich<br />

trainieren. Aber bitte auf gar keinen Fall Parfum<br />

benutzen, das zerstört den Geruchssinn!“ Am besten sei,<br />

sagt sie, so viele gute, frische Produkte zu verkosten wie<br />

möglich. Ihren Gästen gibt sie an diesem Abend frischen<br />

Birnensaft und selbst gekochte Marmelade mit nach<br />

Hause. „So etwas habt ihr wahrscheinlich noch nicht so<br />

oft probiert“, sagt Sonya Egger. Stimmt. s<br />

Tipp<br />

RESTAURANT KUPPELRAIN. Sommelière Sonya Egger betreibt das Lokal gemeinsam<br />

mit ihrem Mann Jörg Trafoier, Bahnhofstraße 16, 39020 Kastelbell, Italien.<br />

<strong>Schaufenster</strong> 21

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