RURAL. 40 Hektar Rebfläche, Suiten, komplizierter Name: Gradisciutta. RUSTIKAL. Russiz Superiore und Marco Felluga: nur ein paar Kurven weiter. Fotos: Simone Di Luca. 38 <strong>Schaufenster</strong>
Es geht nicht nur um guten Wein Genussreisende sind unterwegs zwischen den Hügeln, sehr überlaufen ist der Collio in Friaul nicht. Erst 2025 wird Gorizia Europäische Kulturhauptstadt. Text: Georg Weindl Es kann schon vorkommen, dass man unterwegs am eigenen Geisteszustand zweifelt. Wer nach Gradisciutta will, einem eleganten Gutshof inmitten der Weingärten zwischen Cormòns und Gorizia, hat eigentlich genug mit der schmalen kurvigen Landstraße zu tun, deren Asphalt schon etliche Alterserscheinungen hat. Die finale Schotterstraße, der letzte Kilometer, der neben einem alten Bauernhof abzweigt, erfordert ein wachsames Auge und Pfadfinderqualitäten. Das Navigationssystem ist längst verwirrt. Einmal heißt es Gardisciutta, dann wieder Gradisciutta. Zwei bis drei Ehrenrunden sollte man einplanen, bis man vor dem gediegenen Gemäuer des Weinguts von Robert Princic steht. Warum da zwei verschiedene Versionen für den Ortsnamen kursieren, weiß er selbst nicht genau. Dabei ist seine Familie hier seit Generationen zu Hause, haben Vater und Großvater hier schon Wein gebaut. Robert gibt sich damit nicht zufrieden, hat viel Geld und Energie investiert und das alte Gut in einen eleganten Agriturismo verwandelt. Friulanisches Landleben mit Viersternekomfort, umgeben von den sanften Hügeln des Collio. „Wir haben hier 40 Hektar Fläche, stellen gerade ganz auf biologischen Weinbau um und bieten seit heuer zwölf Zimmer und drei Appartements an“, verrät Princic. Wer gern exzellenten Wein, vorzugsweise weiß, goutiert und dabei seine Ruhe haben will, ist hier richtig. Zum Frühstück serviert man regionale Spezialitäten und hausgemachte Marmeladen. Für Gruppen wird auch abends gekocht. Weindegustationen gehören ohnehin zum Standardangebot. Wer Stadtleben en miniature sucht, landet in ein paar Minuten in Cormòns oder Gorizia. Robert Princic hat noch weitere Pläne. Ein Schwimmbad ist fix geplant. Über mehr will er noch nicht reden. Sind ja auch unsichere Zeiten. Vor allem der Weißwein. Der Collio ist irgendwie eine Kuriosität. Einerseits ist die Gegend in Kreisen kultivierter Genussmenschen berühmt für seine Weißweine, für Pinot Bianco, Pinot Grigio, Friulano, Chardonnay und Sauvignon Blanc. Andererseits wirkt die Gegend entlang der Grenze zu Slowenien, von einigen wenigen glamourösen Ausnahmen abgesehen, noch ziemlich rustikal Genussreisende erkunden den Collio zunehmend mit dem Fahrrad. und unentdeckt. Dass Gorizia, die zweigeteilte italienischslowenische Stadt, 2025 Kulturhauptstadt Europas wird, davon versprechen sich die Einheimischen wertvolle Impulse. Man muss nicht dem Wein verfallen sein, will man hier Ferientage verbringen, aber es erleichtert die Wahl ungemein. Das gilt vermutlich auch für die Gäste bei Russiz Superiore, das nur wenige, aber kurvenreiche Kilometer von Gradisciutta entfernt ist. Bei den letzten 500 Metern auf der schmalen Schotterstraße hinauf zum souverän auf einem Hügel postierten Weingut fühlt man sich wie in einer Filmromanze von Vittorio de Sica, fehlt nur noch der offene Alfa oder Lancia samt dem Konzert eines kernigen Doppelnockenwellenmotors. Eine önologische Erlebniswelt von archaischer Güte. Die elegante Villa mit ihren leuchtend gelben Mauern, nebenan ein elegantes und unaufdringliches Dreisternehotel. Zur Degustation geht es in einen Salon, der sich aristokratisch anfühlt. Etliche Meter tiefer verführt der historische Weinkeller in eine fast mystische Zeitreise, wo Weißweine lagern, die etliche Jahrzehnte hinter sich haben. Erst schnüffeln, dann kosten. Ilaria Felluga, die seit dem frühen Tod ihres Vaters das renommierte Weingut leitet, ist um Ideen offensichtlich nicht verlegen. An diesem Tag hat sie Elena Cobez eingeladen, eine Aromatherapeutin aus Triest. Auf die Besuchenden wartet eine Verkostung der besonderen Art. „Indem wir an verschiedenen Duftölen riechen, sensibilisieren wir unseren Geruchs und Geschmackssinn. Je mehr Düfte und Geschmäcker der Körper kennt, desto besser reagieren die Sinne auf neue Duftnoten“, erklärt Cobez, die dafür mit einer Sommelière zusammenarbeitet. Also schnüffeln die Probanden an Zedernholz, Cranberry, Birne und Kamille, bevor es an die Verkostung des FellugaSortiments geht. Russiz Superiore ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Weinproduzenten im Collio dem Tourismus öffnen. „Während der Pandemie sind viele Leute aus der Region zu uns gekommen, dadurch konnten wir touristische Erfahrungen sammeln“, sagt Ilaria Felluga. Weinverkostungen werden mit regionalen Produkten wie San DanieleSchinken und MontasioKäse verknüpft. Neu sind auch enogastronomische Exkursionen zu lokalen → <strong>Schaufenster</strong> 39