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Lehrbuch des Surmeirischen

Dies ist zwar nicht das erste und auch nicht das umfangreichste Lehrbuch für das Surmeirische, das in Mittelbünden nur noch von knapp 2'000 Menschen gesprochen wird und damit die zweitkleinste romanische Sprache ist - die kleinste ist das noch von wenigen Hundert gesprochene Sutselvische in den beiden westlichen Seitentälern -, aber das modernste, also auf dem heutigen Stand.

Dies ist zwar nicht das erste und auch nicht das umfangreichste Lehrbuch für das Surmeirische, das in Mittelbünden nur noch von knapp 2'000 Menschen gesprochen wird und damit die zweitkleinste romanische Sprache ist - die kleinste ist das noch von wenigen Hundert gesprochene Sutselvische in den beiden westlichen Seitentälern -, aber das modernste, also auf dem heutigen Stand.

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<strong>Lehrbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>Surmeirischen</strong><br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Der Autor 1<br />

Vorwort 2<br />

Die Buchstaben 23<br />

Besonderheiten <strong>des</strong> <strong>Surmeirischen</strong> 32<br />

Erste Fragen und Antworten 35<br />

Die Substantive (Hauptwörter) und Artikel 37<br />

Der Kollektivplural 40<br />

Die Deklination der Substantive 44<br />

Der Partitiv (Die Teilungspartikel) 47<br />

Die Eigennamen 49<br />

Vergrössern und Verkleinern 54<br />

Dieses und jenes 58<br />

Die Relativpronomina 62<br />

Die Adjektive (Eigenschaftswörter) 67<br />

Steigern und Vergleichen 73<br />

Das Adverb (Umstandswort) 77<br />

Die Personalpronomina (Die persönlichen Fürwörter) 79<br />

Die Possessivpronomina (Die besitzanzeigenden Fürwörter) 82<br />

Sein und Haben in allen Zeiten 86<br />

Die erste Konjugation 112<br />

Die zweite Konjugation 129<br />

Die dritte und vierte Konjugation 132<br />

Die fünfte und sechste Konjugation 136<br />

Die wichtigsten unregelmässigen Verben 139<br />

Die reflexiven (rückbezüglichen) Verben 154<br />

Die faktitiven Verben 165<br />

Das Passiv 170<br />

Die Modalverben 172


Die Verneinung 178<br />

Die Inversion (Die Umstellung der Verben) 183<br />

Der Imperativ (Die Befehlsformen) 191<br />

Das Gerundium 200<br />

Die wichtigsten Präpositionen (Verhältniswörter) 204<br />

Ein kleines Gespräch 213<br />

Die Zahlen 217<br />

Die Mass- und Mengenangaben 222<br />

Die Uhrzeit 225<br />

Die Zeiteinheiten 227<br />

Die Wochentage 228<br />

Die Monatsnamen 228<br />

Die Jahreszeiten 229<br />

Die Feiertage (in kalendarischer Reihenfolge) 230<br />

Das Datum 235<br />

Die Religionen und die Presse in Graubünden 239<br />

Länder, Regionen, Nationalitäten und Sprachen 241<br />

Surmeirisch und Rumantsch Grischun 280<br />

Quellenangaben 288


Der Autor<br />

Ich wurde 1953 in Zürich geboren. Mein Vater war ein Schweizer<br />

und meine Mutter eine Finnin - mein Vorname, der genau Hans<br />

bedeutet, weist darauf hin -, aber ich bin nach ihrer frühen<br />

Scheidung abseits von ihnen an verschiedenen Orten der<br />

Kantone Zürich und Appenzell aufgewachsen. Den<br />

Familiennamen Stump habe ich von einem nordbadischen<br />

Urgrossvater, der irgendwann zwischen 1870 und 1885 in die<br />

Schweiz eingewandert und in Zürich hängen geblieben ist.<br />

Meine besondere Begabung für Sprachen hat sich in den<br />

Schuljahren noch nicht gezeigt, sondern erst viel später, aber<br />

dann umso stärker. So spreche ich heute acht romanische und<br />

sieben germanische Sprachen ziemlich gut, und zudem habe ich<br />

sehr gute Grundkenntnisse der slawischen, baltischen,<br />

keltischen und finno-ugrischen Sprachen. Als Zugabe kommen<br />

auch noch Latein sowie Alt- und Neugriechisch und Albanisch.<br />

Da ich als kleiner Bub während einiger Zeit zu einer Frau aus<br />

Graubünden, die zu mir wie eine Mutter war, eine besonders<br />

enge Bindung hatte, bekam ich auch zu ihrem Heimatkanton<br />

schon früh eine ganz besondere Beziehung. Dazu hat später<br />

auch beigetragen, dass ich dank verschiedener<br />

Sommerferienaufenthalte und Skilagern viele Male im Kanton<br />

Graubünden war und auch verschiedene Teilzeitwehrdienste,<br />

die in der Schweiz noch heute als Wiederholungskurse<br />

bezeichnet werden, gerade dort geleistet habe. Graubünden ist<br />

tatsächlich mein zweiter Heimatkanton geworden, sowohl<br />

emotional als auch durch persönliche Erfahrungen vor Ort.<br />

1


Vorwort<br />

Surmeirisch - was ist denn das? Hat sich der Autor nicht etwa<br />

verschrieben und meint Sumerisch, also den Namen der<br />

Sprache, die noch heute trotz der neuesten Funde in Form von<br />

Höhlenzeichnungen als jene Sprache gilt, für die es die ältesten<br />

schriftlichen Belege gibt, die auf zwischen die Jahre 3'000 und<br />

4'000 vor Christus datiert werden? Ja, das wäre wirklich der<br />

Hammer, wenn für diese Sprache, deren Keilschrift noch bis<br />

heute nie richtig identifiziert werden konnte, endlich einmal ein<br />

<strong>Lehrbuch</strong> erscheinen würde. Ich selbst würde dann sicher zu den<br />

Ersten gehören, die ein solches kaufen.<br />

Nein, Surmeirisch ist tatsächlich korrekt geschrieben. Damit ist<br />

die kleine Sprache gemeint, die heute in Mittelbünden nur noch<br />

von knapp 2'000 Menschen gesprochen wird, wobei es je<strong>des</strong><br />

Jahr weniger werden. Allerdings ist Surmeirisch im Vergleich zur<br />

benachbarten westlichen Schwestersprache Sutselvisch, die nur<br />

noch ein paar Hundert sprechen, und erst recht zum<br />

Walserdialekt in Bosco-Gurin, dem einzigen deutschsprachigen<br />

Dorf im Tessin, und zum Dialekt der ebenfalls deutschsprachigen<br />

Zimbern, die in den italienischen Alpen in ein paar Dörfern leben,<br />

immer noch besser dran. Aber woher sind die Bezeichnungen für<br />

die einzelnen rätoromanischen Dialekte oder genauer<br />

Schriftdialekte gekommen, wie ich sie hier nenne? Dazu muss<br />

ich etwas ausholen.<br />

In der Grundschule - oder Primarschule, wie das Spezialwort<br />

dafür in der Schweiz heisst - nannten wir das Rätoromanische<br />

nur Romanisch, weil wir kein anderes Wort kannten und von den<br />

zum Teil beträchtlichen Unterschieden zwischen den<br />

verschiedenen Dialekten auch nichts wussten. Noch heute weiss<br />

man aber nur in diesem Land, was genau damit gemeint ist, weil<br />

2


dieses Wort sprachetymologisch gesehen eindeutig falsch ist.<br />

Gerade <strong>des</strong>halb, weil um diese Sprache und die vielen Dialekte<br />

in den Alpen immer noch so viele Begriffe kreisen, nenne ich die<br />

Sprache, die ich in diesem Buch vermittle, bewusst Surmeirisch,<br />

und das ist auch der offizielle Ausdruck.<br />

Als Erstes dies: Was unter Rätoromanisch verstanden wird, sind<br />

grob gesehen alle Dialekte dieser Sprache, die in der Schweiz<br />

und auch in Italien gesprochen werden, aber schon hier gibt es<br />

Einschränkungen: Obwohl die verschiedenen Dialekte in den<br />

Dolomiten-Tälern, deren bekanntester Sprecher einst der<br />

Filmregisseur und Filmschauspieler Luis Trenker war, bis zu<br />

einem gewissen Grad noch mit dem Engadinischen verwandt<br />

sind und <strong>des</strong>halb genauso wie im Engadin als Ladinisch<br />

bezeichnet werden, stehen sie vor allem in der Grammatik dem<br />

weiter östlich gesprochenen Friaulischen zum Teil näher. Das<br />

kann allerdings nicht erstaunen, weil sie auch geografisch näher<br />

zueinanderstehen und seit mehr als einem Jahrhundert, als das<br />

moderne Italien erst in den Sechzigerjahren <strong>des</strong> 19.<br />

Jahrhunderts unter dem Begriff «Risorgimento» geschaffen<br />

wurde, auch die gleiche Geschichte teilen. Diese sah so aus,<br />

dass sich beide Völker gegen nationalistische Übergriffe wehren<br />

mussten, weil sowohl Ladinisch als auch Friaulisch schlicht als<br />

italienische Bergdialekte bezeichnet wurden, obwohl das letztere<br />

bis zum Mittelmeer reichte …. und noch bis heute reicht. Was<br />

das Friaulische selbst betrifft, das immerhin noch von mehr als<br />

einer halben Million Menschen gesprochen wird, zeigt es trotz<br />

der nahen Verwandtschaft mit dem Rätoromanischen in der<br />

Schweiz, das heute zwecks klarer Unterscheidung meistens als<br />

Bündnerromanisch bezeichnet wird, und vor allem mit dem<br />

Dolomitenladinischen alle Anzeichen einer eigenständigen<br />

Sprache.<br />

In der Schweiz selbst oder genauer im Kanton Graubünden, wo<br />

die verschiedenen rätoromanischen Dialekte gesprochen<br />

3


werden, ist die Gesamtlage nicht einmal für Einheimische<br />

übersichtlich. Im einzigen dreisprachigen Kanton der Schweiz,<br />

wie es immer wieder offiziell heisst, sind eigentlich acht<br />

verschiedene Schriftsprachen im Umlauf: Neben Deutsch und<br />

Italienisch nicht weniger als sechs rätoromanische<br />

Schriftsprachen, von denen fünf streng genommen nur<br />

Schriftdialekte sind.<br />

Während diese aber immerhin noch gesprochen werden, hat es<br />

die seit gut vierzig Jahren bestehende Kunstsprache Rumantsch<br />

Grischun, die heute nicht nur in kantonalen, sondern auch in<br />

eidgenössischen Dokumenten als Amtssprache verwendet wird,<br />

nie geschafft, wirklich in die Herzen der Menschen einzudringen;<br />

dementsprechend wird sie noch heute nirgendwo und von<br />

niemandem gesprochen. Was seinerzeit Dante Alighieri mit<br />

seiner "La Divina Commedia" und später Martin Luther mit seiner<br />

Bibelübersetzung ins Deutsche geschafft haben, ist dem gut<br />

gesinnten Zürcher Romanistik-Professor Heinrich Schmid, der<br />

diese Sprache zusammengeschustert hat, verwehrt geblieben:<br />

Durch ein epochales Werk gleichsam eine neue Sprache zu<br />

erschaffen, die von allen Seiten als eine überregionale Sprache<br />

<strong>des</strong> Herzens anerkannt wird. Daran wird sich wohl auch nicht viel<br />

ändern, wenn Rumantsch Grischun, das ich für ein geniales<br />

Werk halte, weil Heinrich Schmid alle rätoromanischen Dialekte<br />

besser als alle anderen kannte, in der Primarschule die bisher<br />

unterrichteten Schriftdialekte ersetzen soll - gegen den heftigen<br />

Widerstand der meisten Einheimischen. Ausgerechnet in den<br />

neunzehn Dörfern, in denen noch Surmeirisch gesprochen wird,<br />

haben die kantonalen Behörden den Machtkampf jedoch<br />

gewonnen, weil dort nach meinem Wissen nur noch Rumantsch<br />

Grischun unterrichtet wird - auch <strong>des</strong>halb, weil dieses dem<br />

<strong>Surmeirischen</strong> am nächsten steht. Immerhin wird es jetzt ohne<br />

weitere Diskussionen schon in den Gymnasien unterrichtet und<br />

es ist bereits erlaubt, die Matura- bzw. Abiturprüfungen auch in<br />

dieser Sprache abzulegen.<br />

4


Eigentlich ist das Ganze übersichtlich, wenn wir die<br />

verschiedenen Sprachenkarten im Google genauer anschauen,<br />

weil jeder Schriftdialekt eine eigene Zone hat, aber die<br />

Problematik reicht viel tiefer: Nicht einmal im Kanton<br />

Graubünden wissen alle, dass die fünf Schriftdialekte Sursilvan,<br />

Sutsilvan, Surmiran, Vallader ("Waláder" ausgesprochen) und<br />

Puter («Putér» ausgesprochen, früher wurde oft auch "Putér"<br />

oder "Putèr", also mit einem Akut oder Gravis darüber<br />

geschrieben), in mehrere Varianten zerfallen, die je<strong>des</strong> Jahr<br />

weniger Sprecherinnen und Sprecher aufweisen, aber immer<br />

noch existieren. So hat mir ein Kollege, der dort oben<br />

aufgewachsen ist, nicht ohne Grund schon vor mehr als vierzig<br />

Jahren diese bemerkenswerten Worte gesagt: "Rätoromanisch<br />

kann man gar nicht richtig lernen, weil in jedem Dorf anders<br />

gesprochen wird." Das heisst also, dass auch die fünf<br />

Schriftdialekte eigentlich überregionale Kompromisssprachen<br />

sind, die irgendwie je<strong>des</strong> Dorf der Region berücksichtigen<br />

mussten, als sie erschaffen wurden.<br />

Als kleines Beispiel bringe ich hier die drei engadinischen<br />

Varianten für "dieser": "Quist" (die offizielle Schreibvariante)<br />

sowie "quest", das in mehreren Dörfern so gesprochen wird, und<br />

"quaist", das heute als veraltet gilt und noch in der Bibel<br />

vorkommt, aber da und dort immer noch gehört werden kann.<br />

Auch dies ist geeignet, um die wichtigsten Unterschiede<br />

aufzuzeigen: Das Haus heisst im Unterengadin "chasa" ("ch" als<br />

"tsch" ausgesprochen), im Oberengadin "chesa", im<br />

<strong>Surmeirischen</strong> ebenfalls «tgesa» (aber anders geschrieben, «tg»<br />

wird ebenfalls als «tsch» ausgesprochen), im Surselvischen<br />

«casa» wie in vielen anderen romanischen Sprachen, aber im<br />

Sutselvischen auf fast abenteuerliche Weise «tgea».<br />

Wie sieht denn nun die Unterteilung der Schriftdialekte selber<br />

aus? Das Puter, also das Oberengadinische, wird heute<br />

raumübergreifend auch in einem Gebiet gesprochen, das früher<br />

5


ein Stammland <strong>des</strong> <strong>Surmeirischen</strong> war, und zum Teil auch noch<br />

gemischt mit ihm, vor allem im Dorf Bergün oder Bravuogn, weil<br />

dieses genauso wie das Engadin seinerzeit die Reformation<br />

annahm und <strong>des</strong>halb von dort aus stark beeinflusst wurde. Der<br />

surmeirisch-oberengadinische Mischdialekt von Bergün, der<br />

Bargunsegner genannt wird - was aber nichts mit dem «Segner»,<br />

also dem Herrgott, zu tun hat -, ist auch <strong>des</strong>halb ein Sonderfall,<br />

weil das nördlich gelegene Nachbardorf Filisur, von dem aus als<br />

Schlüsselstelle in die verschiedenen Täler gefahren werden<br />

kann, schon seit dem Beginn <strong>des</strong> letzten Jahrhunderts offiziell<br />

deutschsprachig geworden ist, so dass Bergün seitdem eine<br />

isolierte Insel ist. Das Vallader im Unterengadin zerfällt in das<br />

eigentliche Vallader und ins Jauer, wie der Dialekt im geografisch<br />

immer noch stark abgelegenen Münstertal am Ostrand der<br />

Schweiz, der Heimatregion <strong>des</strong> mehrfachen Langlauf-<br />

Olympiasiegers und Weltmeisters Dario Cologna, genannt wird,<br />

aber in den Schulen wird nicht das Jauer unterrichtet, sondern<br />

das Vallader.<br />

Das Surmeirische selber, das im Gebiet <strong>des</strong> Albulatals (auch<br />

Unterhalbstein genannt) und <strong>des</strong> Oberhalbsteins gesprochen<br />

wird, zerfällt offiziell in die Varianten Sutsès und Sursès - die<br />

eigentliche Grenze bildet der Felsriegel zwischen dem Dorf<br />

Tiefencastel bzw. Casti und dem Oberhalbstein -, während das<br />

Sutselvische, das dem politischen und wirtschaftlichen Zentrum<br />

Chur am nächsten liegt und ein Übergangsdialekt zwischen<br />

Surmeirisch und Surselvisch ist, offiziell noch vom Domleschger<br />

und Schamser Dialekt geteilt wird, aber es existiert fast nur noch<br />

der Schamser Dialekt weit hinten - im nördlichen Teil <strong>des</strong><br />

sutselvischen Sprachgebiets sprechen nur noch wenige Leute<br />

diese Sprache. So gibt es heute nur noch ein Dorf namens<br />

Donat, wo dieser Dialekt in der Primarschule unterrichtet wird.<br />

Zur Teilung <strong>des</strong> Sutselvischen hat sicher auch das Dorf Thusis<br />

beigetragen, das genau dazwischen liegt und schon seit<br />

Jahrhunderten deutschsprachig ist.<br />

6


Was das Surselvische selber betrifft, das westlich von Ilanz bzw.<br />

Glion gesprochen wird, erstaunt es nicht, dass auch dieses nicht<br />

einheitlich ist, weil es mit grossem Abstand zu den anderen<br />

Dialekten von den meisten gesprochen wird. Das Tujatsch, der<br />

Dialekt <strong>des</strong> Tujetschertals westlich von Disentis bzw. Mustèr -<br />

Val Tujetsch genannt - weicht in mehreren Bereichen deutlich<br />

vom Standard-Surselvischen ab, aber auch die Dialekte <strong>des</strong><br />

Lugnezertals (Val Lumnezia) und <strong>des</strong> Somvix (Val Sumvitg)<br />

weisen eigene Züge auf. Der deutlichste Unterschied, der auch<br />

von Auswärtigen sofort gut herausgehört werden kann, ist der<br />

Zischlaut «dsch», der nur im unteren Teil <strong>des</strong> Valsertals sowie in<br />

und um Ilanz bzw. Glion und sogar bis zu Trun am Anfang eines<br />

Wortes so gesprochen wird. Deshalb wird beim häufig<br />

vorkommenden Wort «di» (Tag) «dschi» an Stelle von «di»<br />

gesagt. Das Gleiche gilt auch für «dir» (sagen) und «detg»<br />

(gesagt), die «dschii», also mit einem langen «i» im Unterschied<br />

zu «di», und «dschetsch» ausgesprochen werden. Umgekehrt<br />

wird im unteren Valsertal für eine Katze «gat» und im Tavetsch<br />

(Val Tujetsch) «dschat» gesagt, also gleich wie das offiziell<br />

geschriebene «giat».<br />

So viel zu dem, was in den Schulen und Lehrbüchern unterrichtet<br />

wird. Die Frage stellt sich jetzt, wie viele Menschen denn<br />

überhaupt noch einen dieser Dialekte sprechen. Gaben bei der<br />

Volkszählung von 1980 noch etwa 50'000 Personen an, dass<br />

Rätoromanisch ihre Muttersprache oder genauer<br />

bestbeherrschte Sprache sei, waren es im Jahr 2000 nur noch<br />

knapp über 30'000. Es ist also offensichtlich, dass die Sprache<br />

in allen Bereichen immer mehr schrumpft, aber auch hier nicht<br />

überall gleich. Während das Surselvische, <strong>des</strong>sen Name von<br />

"oberhalb <strong>des</strong> Wal<strong>des</strong>" abgeleitet wird, und das Vallader sehr<br />

gute Chancen haben, dass sie auch noch am Ende dieses<br />

Jahrhunderts gesprochen werden, wage ich die profane<br />

Voraussage, dass alle anderen Dialekte bis dann ausgestorben<br />

sein werden. Ich hoffe nicht, dass ich Recht bekomme, aber die<br />

7


Wirklichkeit spricht eine andere Sprache.<br />

Während das Sutselvische, <strong>des</strong>sen Name von "unterhalb <strong>des</strong><br />

Wal<strong>des</strong>" abgeleitet wird und das wie oben geschrieben dem<br />

Schmelztiegel Chur am nächsten liegt und <strong>des</strong>halb schon immer<br />

am meisten gefährdet war, im Jahr 1980 noch von etwa 1'200<br />

Personen gesprochen wurde, stellen sie heute nur noch etwa die<br />

Hälfte, und die meisten sind alte Leute. Es scheint nur noch eine<br />

Frage von kurzer Zeit zu sein, bis der Unterricht in dieser<br />

Sprache auch in Donat, dem letzten Dorf, eingestellt werden<br />

muss.<br />

Auch mit dem <strong>Surmeirischen</strong>, <strong>des</strong>sen Name eigentlich "oberhalb<br />

der Mauer" bedeutet, steht es schlecht: 1980 gaben noch etwa<br />

3'000 Menschen diese Sprache als Muttersprache an, nach den<br />

neuesten Angaben sind es heute nur noch knapp 2'000. Wie sehr<br />

sich diese Sprache auf dem Rückzug befindet, zeigt sich auch<br />

an den verschiedenen Sprachenkarten, die seit ein paar<br />

Jahrzehnten immer wieder auf den neuesten Stand gebracht<br />

werden. Zeigte sich das surmeirische Sprachgebiet noch vor<br />

einem halben Jahrhundert wie ein Dreieck mitten im Kanton,<br />

weist es heute vor allem im Osten schon empfindliche Löcher<br />

auf. Dass das Dorf Bergün heute endgültig zum Sprachgebiet<br />

<strong>des</strong> Puter gezählt wird, liegt nicht nur an seinem oben erwähnten<br />

surmeirisch-oberengadinischen Mischdialekt namens<br />

«Bargunsegner», sondern auch noch mehr daran, dass dort in<br />

der Primarschule schon seit jeher im Puter unterrichtet wird und<br />

nicht im <strong>Surmeirischen</strong>, obwohl es geografisch gesehen mehr<br />

nach dem Norden ausgerichtet ist und nicht nach dem Engadin,<br />

aber eben nur geografisch. Faktisch ist es schon seit den Zeiten<br />

der Reformation mit dem Engadin eng verbunden, weil Bergün<br />

als einziges Dorf Mittelbündens seinerzeit zum neuen Glauben<br />

übergetreten ist - genauso wie das ganze Oberengadin. Zudem<br />

spielt auch noch mit, dass Bergün keinen direkten Zugang mehr<br />

zum surmeirischen Sprachgebiet oder genauer zu Tiefencastel<br />

8


zw. Casti mehr hat, seitdem das Nachbardorf Filisur, über das<br />

alle Wege vom Norden, Osten und Süden verlaufen, schon zu<br />

Beginn <strong>des</strong> letzten Jahrhunderts gewissermassen zum<br />

deutschen Sprachgebiet übergetreten ist, weil die<br />

Sprachenmehrheit gewechselt hat. Zuletzt ist auch noch zu<br />

erwähnen, dass der Süden <strong>des</strong> surmeirischen «Dreiecks» schon<br />

seit Jahrhunderten streng genommen zum italienischen<br />

Sprachgebiet gehört, weil das Dorf Beiva oder Bivio, wie es auf<br />

Italienisch heisst, schon seit Jahrhunderten offiziell<br />

italienischsprachig ist; etwas weiter unten gehe ich noch näher<br />

darauf ein.<br />

Das Puter im Oberengadin mit dem Touristenzentrum St. Moritz,<br />

wo schon heute fast nur noch Deutsch und wegen der vielen<br />

superreichen Schickimickis aus aller Welt zeitweise sogar noch<br />

mehr Englisch als Deutsch gesprochen wird, kann ebenfalls<br />

kaum mehr gerettet werden. Daran wird wohl auch nicht die<br />

Tatsache ändern, dass diese Sprache in den Medien und vor<br />

allem im Fernsehen noch von erstaunlich vielen Leuten<br />

gesprochen wird. Die Grenzen sind zwar fliessend, aber es ist<br />

nicht anzunehmen, dass die Zahl von 3'500 Sprechern im Jahr<br />

1980 heute noch erreicht wird.<br />

Dagegen sieht die Lage wie gerade erwähnt für das<br />

Surselvische, das auf die immer noch stattliche Anzahl von fast<br />

17'000 Sprechern kommt und damit von etwa 60 Prozent aller<br />

Rätoromanen gesprochen wird, und auch für das Vallader, das<br />

im Jahr 1980 noch von 5'500 Menschen gesprochen wurde, und<br />

sogar für das Jauer, <strong>des</strong>sen abgelegenes Gebiet eben nicht von<br />

vielen integrationsunwilligen Touristen überschwemmt wird, wie<br />

oben angedeutet immer noch gut aus.<br />

Dieser allgemeine Rückgang ist auch <strong>des</strong>halb tragisch, weil<br />

wirklich alles getan wird, um diese vielen Dialekte am Leben zu<br />

erhalten. Das beste Beispiel dafür ist der Heizenberg-Dialekt, der<br />

am nächsten von Chur gesprochen wurde und für den noch vor<br />

9


einem Vierteljahrhundert in Form eines künstlich<br />

zusammengetrommelten Kindergartens noch ein letzter<br />

Rettungsversuch unternommen wurde, aber leider umsonst.<br />

Heute gilt der Heinzenberg-Dialekt offiziell als ausgestorben, das<br />

zeigen auch die neuesten Sprachenkarten. Allerdings ist da zu<br />

erwähnen, dass auf diesen nur die Dörfer und Regionen zu<br />

sehen sind, in denen die Mehrheit noch einen rätoromanischen<br />

Dialekt spricht. Dass das ganze Oberengadin heute als rein<br />

deutschsprachig dargestellt wird, hat damit zu tun, dass die<br />

Einheimischen in keinem einzigen Ort noch eine Mehrheit<br />

stellen, aber das bedeutet nicht, dass ihr Dialekt<br />

schonausgestorben ist. Das Gleiche gilt auch für das<br />

Surmeirische, das heute nur noch in vier Dörfern eine Mehrheit<br />

stellt - davon zwei aber nur noch knapp -, und für das<br />

Sutselvische, das auch noch in Trin, also nördlich <strong>des</strong> Rheins,<br />

von ein paar wenigen alten Leuten gesprochen wird.<br />

Dieses Trin ist übrigens nicht nur als letzte sutselvische<br />

Sprachinsel im Norden erwähnenswert, sondern auch wegen<br />

eines besonderen Brauches, den es im ganzen rätoromanischen<br />

Sprachgebiet nur hier gibt und auf den ich unten im Kapitel über<br />

die Jahreszeiten noch besonders eingehen werde. Zudem wird<br />

es ausserhalb Graubündens immer wieder mit dem fast gleich<br />

lautenden Trun im surselvischen Sprachraum verwechselt.<br />

Dieses ist auch <strong>des</strong>halb so bekannt, weil von dort die beiden<br />

noch heute unvergessenen Carigiet-Brüder kamen - Alois als<br />

Zeichner in der bekannten Kindergeschichte «Schellen-Ursli»<br />

der unterengadinischen Autorin Selina Chönz und Zarli als<br />

humorvoller Volksschauspieler.<br />

Am Staat, der diese Sprache in allen Bereichen fördert, kann es<br />

also sicher nicht liegen, aber auch nicht im kulturellen Bereich.<br />

Gemessen an der Anzahl der Bevölkerung gibt es nur wenige<br />

andere Völker, die so viele Musik- und Theaterstücke und so<br />

viele Schriftsteller hervorgebracht haben. Dafür gibt es zwei<br />

10


Erklärungen: Die eine ist die, dass die Schriftdialekte sich so<br />

stark voneinander unterscheiden, dass auch Übersetzungen<br />

eins zu eins vom einen zum anderen fast nicht möglich sind, wie<br />

mir das ein Sursilvaner selber gesagt hat, der vor allem mit dem<br />

Engadinischen immer viel Mühe und zum Teil sogar mit dem<br />

näher verwandten <strong>Surmeirischen</strong> Verständigungsprobleme<br />

hatte, und umgekehrt habe ich das auch schon gehört.<br />

Die zweite Erklärung liegt in dem, was ein Rätoromane selber<br />

treffend so formuliert hat: "Deutsch ist die Sprache <strong>des</strong> Brotes,<br />

aber Romanisch die Sprache <strong>des</strong> Herzens." Ausgedeutscht<br />

bedeuten diese Worte: Um überleben zu können, mussten schon<br />

vor mehr als hundert Jahren Tausende von Rätoromanen aus<br />

allen Tälern ins Unterland abwandern, wo es Arbeitsplätze und<br />

nicht zuletzt auch Aufstiegsmöglichkeiten gab. So erstaunt es<br />

nicht, dass neben Chur, das oft als die Hauptstadt der<br />

Rätoromanen bezeichnet wird und für das es nicht weniger als<br />

fünf verschiedene Namen gibt - im Surselvischen Cuera, im<br />

<strong>Surmeirischen</strong> Coira wie im Italienischen, im Rumantsch<br />

Grischun Cuira, im Ober- und Unterengadin Cuoira und im<br />

Münstertal sogar Cuaira -, vor allem in Zürich viele Tausend von<br />

ihnen leben. Es wird sogar gesagt, dass dort mehr von den<br />

Rätoromanen abstammen, als heute noch im Kanton<br />

Graubünden selber leben. Chur könnte noch heute auch<br />

sprachlich die Hauptstadt der Rätoromanen sein, wenn sie im<br />

Mittelalter und vor allem am 27. April 1464 nicht mehrmals<br />

abgebrannt wäre. Gerade dieser Apriltag hat nachher<br />

entscheidend zum Rückgang der Sprache beigetragen, weil die<br />

Stadt nachher von hergeholten deutschsprachigen Alemannen<br />

wieder aufgebaut wurde und diese nachher dort auch blieben.<br />

Damals war Rätoromanisch, das ursprünglich sogar bis zum<br />

Bodensee gesprochen wurde, wie oben erwähnt immer noch in<br />

der Gegend <strong>des</strong> Walensees verbreitet; darauf weisen vor allem<br />

die Ortsnamen Terzen, Quarten und Quinten hin. Auch wegen<br />

11


<strong>des</strong> oben erwähnten Grossbran<strong>des</strong> von 1464 konnte sich das<br />

Rätoromanische nördlich von Chur bald nicht mehr halten, weil<br />

diese Stadt als eigentliches städtisches Ballungszentrum der<br />

Region rundherum ab diesem Zeitpunkt nicht mehr da war. Nicht<br />

nur bei dieser Sprache, sondern auch bei allen anderen zeigt<br />

sich das in der ganzen Welt: Wenn ein starkes städtisches<br />

Zentrum fehlt, hat es eine Sprache zum Überleben viel<br />

schwieriger als die anderen. Das zeigt sich auch in Graubünden<br />

selber, wo die Italienischsprachigen in den vier Valli, wie diese<br />

Täler locker genannt werden, zwar ebenfalls zurückgehen, aber<br />

als Sprecher einer der grössten europäischen Sprachen, die<br />

zudem im kulturellen Bereich auch noch zu den Weltsprachen<br />

zählt, höchstens um den Weiterbestand ihrer Dialekte, aber nicht<br />

auch der Sprache fürchten müssen.<br />

Gerade weil so viele Rätoromanen in Zürich wohnen, kann es<br />

manchmal zu überraschenden Erlebnissen kommen: Eines<br />

Tages sass ich gemütlich in einem Café, als ich plötzlich hörte,<br />

wie nebenan ein Vater mit seinem kleinen Sohn<br />

Unterengadinisch sprach. Ich konnte das schon damals<br />

heraushören, weil die rätoromanischen Dialekte mich mein<br />

ganzes Leben lang interessiert haben und ich mich<br />

dementsprechend schon früh mit ihnen beschäftigt habe. Da ich<br />

die beiden, die vielleicht gar nicht in Zürich wohnten, sondern nur<br />

auf Besuch waren, nicht persönlich kannte, sprach ich sie nicht<br />

an, aber ein paar Jahre später kam es trotzdem zu einer<br />

besonderen Begegnung bei Bekannten, als der Gastgeber<br />

plötzlich begann, mit seinen beiden erwachsenen Töchtern<br />

Oberengadinisch zu sprechen. Sie waren sehr erstaunt, als ich<br />

ihnen sagte, dass sie Puter sprachen und ich ihren Dialekt von<br />

den anderen unterscheiden und sogar fast alles verstehen<br />

konnte. Darauf sagte mir der Mann, dass diese Sprache für sie<br />

eine Geheimsprache war, die ausserhalb <strong>des</strong> Hauses und vor<br />

allem in anderen Ländern von niemand anderem verstanden<br />

12


werden konnte. Offensichtlich war seine Rechnung für einmal<br />

nicht ganz aufgegangen, aber sie tauschten bei diesem<br />

Dreiergespräch nur Belanglosigkeiten aus.<br />

Allerdings gibt es auch wieder etwas Hoffnung, was den<br />

Rückgang <strong>des</strong> Rätoromanischen betrifft: Nicht wenige Kinder<br />

von eingewanderten Italienern, Spaniern und vor allem<br />

Portugiesen, die dort oben aufwachsen, haben diese Sprache für<br />

sich entdeckt und lernen sie mit Begeisterung. Am meisten<br />

kommt das dem Puter im Oberengadin zugute, weil dieses den<br />

grössten Tourismus aufweist und sehr viele Portugiesen schon<br />

immer im Gastgewerbe beschäftigt waren. Diese neue<br />

Begeisterung ist aber auch naheliegend, weil diese Sprachen<br />

miteinander verwandt sind, ja, das Portugiesische und<br />

Rätoromanische stehen sich auch noch phonetisch sehr nah, vor<br />

allem mit den Zischlauten "sch", "schp" und "scht". Die nächsten<br />

paar Jahrzehnte werden zeigen, wie viel diese "Secondos", wie<br />

sie hier manchmal immer noch abschätzig bezeichnet werden -<br />

immerhin stellen sie heute etwa drei Viertel der Schweizer<br />

Fussball-Nationalmannschaft, ohne sie wäre die Schweiz<br />

international immer noch drittklassig -, zur Rettung <strong>des</strong><br />

Rätoromanischen beitragen können. Dazu würde allerdings auch<br />

gehören, dass sie dort oben bleiben und ihren Kindern diese<br />

Sprache ebenfalls weitergeben. Gerade dies ist ebenfalls ein<br />

Problem: Viele Rätoromanen heiraten Männer oder Frauen, die<br />

eine andere Muttersprache haben, und vor allem wenn sie<br />

ausserhalb Graubündens leben, vermitteln sie ihnen diese<br />

Sprache nicht oder viel zu wenig. Der gerade erwähnte Mann,<br />

der mit seinen Töchtern Puter sprach, gehörte zu den<br />

lobenswerten Ausnahmen; das kann ich auch <strong>des</strong>halb so sagen,<br />

weil diese beiden Frauen mit mir waschechtes Zürichdeutsch<br />

sprachen.<br />

Zur sprachlichen Gesamtlage in diesem Kanton muss auch dies<br />

gesagt werden: Die Zeiten, in denen jemand erst in der Schule<br />

13


Deutsch lernte - ich habe selber noch einen solchen gekannt -,<br />

sind heute vorbei. Heute wachsen alle Rätoromanen von Anfang<br />

an auch mit Deutsch oder genauer mit Bündnerdeutsch auf, wie<br />

dieser Dialekt in der Schweiz genannt wird. Dabei wissen die<br />

meisten im Unterland nicht einmal, dass auch dieser ins<br />

"Unterland-Bündnerisch" rund um Chur, der <strong>des</strong>halb oft auch<br />

"Churdeutsch" genannt wird, und in die Walserdialekte im<br />

Gebirge zerfällt. Übrigens hat der Churer Dialekt schon seit<br />

vielen Jahrzehnten den Ruf, in Bezug zum Hoch- oder<br />

Standarddeutschen der "reinste" Schweizer Dialekt zu sein, aber<br />

nicht ganz auf der gleichen Ebene wie Hannover, das in<br />

Deutschland einen ähnlichen Ruf geniesst.<br />

Die Walserdialekte selber werden hier gesprochen: Im Prättigau<br />

nördlich von Klosters und im Schanfigg mit Arosa, wobei diese<br />

beiden Regionen von einigen auch schon als Übergangszonen<br />

zwischen dem Walserdeutschen und dem «Churdeutschen»<br />

bezeichnet worden sind; ferner im Landwassertal von Klosters<br />

über Davos bis hinauf zu Wiesen, Schmitten, Alvaneu und Filisur;<br />

im Dorf Matten im westlichen Teil <strong>des</strong> ursprünglich rein<br />

surmeirischen Sprachgebiets; im Safiental; im oberen Teil <strong>des</strong><br />

Valsertals (im unteren wird Surselvisch gesprochen); im<br />

Hinterrheintal bis zum San Bernardino-Pass; auf den zwei<br />

Sprachinseln Thusis, das zudem auch eine «churdeutsche»<br />

Insel ist, und Obersaxen (der Heimatort <strong>des</strong> bekannten<br />

Skirennfahrers Carlo Janka) sowie im noch heute ziemlich<br />

abgelegenen Aversertal zwischen dem sutselvischen<br />

Schamsertal und dem italienischsprachigen Bergell. In diesem<br />

Tal mit dem einzigen Dorf Avers liegt auch der Weiler Juf, der mit<br />

mehr als 2'100 Metern Höhe immer noch der höchstgelegene Ort<br />

in ganz Europa ist, der das ganze Jahr hindurch, also auch im<br />

Winter, rund um die Uhr bewohnt wird. Dazu kommt noch der<br />

Dialekt von Samnaun im Nordostzipfel, der immer noch als der<br />

einzige bajuwarische Dialekt in der Schweiz bezeichnet wird,<br />

14


aber für jene, die ganz genau hinhören, immer noch Züge der<br />

Vermischung mit dem Vallader aufweist; schliesslich hat auch in<br />

diesem Dorf einst diese Sprache vorgeherrscht.<br />

Was auch immer wo noch gesprochen wird, eines steht fest: Es<br />

kommt heute nicht mehr vor, dass jemand, der Deutsch erst in<br />

der Schule halbwegs gelernt hat und ein paar Jahrzehnte später<br />

wissen will, ob die betreffende Person zu Fuss oder mit einem<br />

Transportmittel zu reisen gedenkt, so fragt: «Gaasch mit de<br />

Füess?» oder «Gönd ihr mit de Füess?» (Gehst du mit den<br />

Füssen? Geht ihr mit den Füssen?). Diese sprachlichen<br />

Unbeholfenheiten, die sich manchmal ergeben können, wenn<br />

eine Fremdsprache gesprochen wird, sind heute bei allen<br />

Rätoromanen verschwunden.<br />

Auch der Einfluss <strong>des</strong> Italienischen, das im Bergell (Val<br />

Bregaglia, übrigens die einzige protestantische Region im<br />

italienischen Sprachraum) und im Puschlav (Val Poschiavo) in<br />

zwei verschiedene lombardische Dialekte zerfällt, darf nicht<br />

unterschätzt werden. Einerseits strahlt es auf die<br />

nächstgelegenen oberengadinischen Dörfer aus und<br />

andererseits wird es in Bivio oder Beiva, wie es auf<br />

Rätoromanisch heisst, sogar noch aktiv gesprochen. Ich<br />

erwähne das <strong>des</strong>halb, weil dieses Dorf auf mehr als 1'700 Metern<br />

Höhe und mit noch etwa 200 Einwohnern einzigartig ist:<br />

Einerseits ist es das einzige italienischsprachige Dorf, das<br />

nördlich der Alpenwasserscheide und <strong>des</strong> Alpenhauptkamms<br />

oder genauer im Tal liegt, das geografisch nach dem Norden<br />

ausgerichtet ist, und andererseits ist es der einzige Ort der<br />

Schweiz, in dem schon seit vielen Jahrhunderten nicht weniger<br />

als drei autochthone Sprachen verwendet werden: Neben<br />

Italienisch und dem lokalen surmeirischen Dialekt eben auch<br />

Deutsch, das schon im Mittelalter einer der südlichsten<br />

Vorposten der Walser wurde. Trotzdem hat es dort bis heute nie<br />

Spannungen gegeben, auch das macht Bivio oder Beiva zu<br />

15


einem Sonderfall der Toleranz. Offiziell gilt es aber als<br />

italienischsprachig, <strong>des</strong>halb erscheinen die amtlichen<br />

Dokumente immer noch allein auf Italienisch; zumin<strong>des</strong>t kommt<br />

dieses immer an erster Stelle, also zuoberst.<br />

Zur Abrundung <strong>des</strong> Gesamtbil<strong>des</strong> ist noch zu erwähnen, dass<br />

südlich <strong>des</strong> Hinterrheintals und <strong>des</strong> San Bernardino-Passes<br />

noch zwei weitere lombardische Dialekte gesprochen werden:<br />

Der Misoxer Dialekt im Misox (Mesalcina) und der Dialekt <strong>des</strong><br />

Calancatals (Val Calanca), wobei die beiden fast identisch sind.<br />

Obwohl diese zwei Täler kulturell eigentlich zum Tessin gehören,<br />

sind sie schon seit Jahrhunderten ein Teil von Graubünden, und<br />

die Bewohner legen tatsächlich auch Wert darauf, als Bündner<br />

bezeichnet zu werden. Beide Dialekte müssen zwar genauso wie<br />

die im Bergell und im Puschlav um ihr Überleben kämpfen, aber<br />

sie haben es viel leichter als die rätoromanischen, weil hinter<br />

ihnen eine der meistgesprochenen Sprachen Europas steht, die<br />

zudem auch eine der kulturellen Weltsprachen ist. Da in diesen<br />

lombardischen Dialekten genauso wie im Engadinischen, aber<br />

nicht in den anderen rätoromanischen Dialekten die beiden<br />

Vokale «ö» und «ü» häufig vorkommen, denken beim ersten<br />

Hören viele, es handle sich um das Rätoromanische.<br />

Die Zweisprachigkeit mit Deutsch hat zwar den Vorteil, dass die<br />

Rätoromanen die gleichen Voraussetzungen mitbringen wie die<br />

Deutschbündner, die heute etwa drei Viertel der<br />

Kantonsbevölkerung stellen, aber sie hat für Auswärtige, die ihre<br />

Kenntnisse anwenden wollen, den Nachteil, dass sie kaum dazu<br />

kommen, sie bei den Einheimischen anzuwenden, weil diese da<br />

lieber unter sich bleiben wollen - es sei denn, jemand spricht den<br />

betreffenden Dialekt ausgezeichnet. Doch diese Erfahrung<br />

machen wir ja auch in anderen Ländern, in denen vor allem<br />

Englisch fest verankert ist, weil es schon im Kindergarten oder<br />

spätestens ab der ersten Klasse in der Volksschule unterrichtet<br />

wird. Sobald die Leute merken, dass jemand zu wenig sattelfest<br />

16


ist, wechseln sie sofort zu dieser Sprache und geben uns keine<br />

Chance mehr, ihre Lan<strong>des</strong>sprachen auszuprobieren.<br />

Allerdings kommt es nicht nur darauf an, wie gut wir eine<br />

einheimische Sprache können, sondern auch auf uns selber, wie<br />

ich das mehrere Male erfahren habe. So muss ich immer<br />

schmunzeln, wenn ich höre und lese, dass die Romands, wie wir<br />

die französischsprachigen Schweizer nennen, nicht gern<br />

Deutsch sprechen. Wenn ich selber in ihrem Gebiet war, rissen<br />

sich auffallend viele Leute, mit denen ich direkt zu tun hatte,<br />

geradezu darum, mit mir Deutsch sprechen zu können. Die<br />

gleiche Erfahrung - aber andersherum - habe ich mit<br />

Rätoromanen gemacht. Da ich auch dank persönlicher Kontakte<br />

sowohl Vallader als auch Surselvisch ziemlich gut spreche und<br />

mich zudem auch auf Puter und Surmeirisch ein wenig<br />

verständigen kann, hatte ich nie Mühe, diese Sprachen auch<br />

aktiv anzuwenden - allerdings nur in Zürich mit Exilrätoromanen,<br />

wie ich zugeben muss.<br />

Was ich oben über die Sprache <strong>des</strong> Brotes und die Sprache <strong>des</strong><br />

Herzens geschrieben habe, trifft auch auf mich selber zu. Als ich<br />

zum ersten Mal vor Ort selber mit Rätoromanisch zu tun hatte -<br />

im Alter von zehn Jahren, als wir mit dem Bus von Vals<br />

hinunterfuhren und dort, wo das Valsertal mit dem Lugnezertal<br />

zusammenkommt, die ersten rätoromanischen Strassenschilder<br />

zu sehen waren -, konnte ich mir natürlich noch nicht vorstellen,<br />

dass ich eines fernen Tages sowohl das Surselvische, das im<br />

Lugnezertal gesprochen wird, als auch das Engadinische lernen<br />

und dabei das Unterengadinische mir ein bisschen mehr liegen<br />

würde. Warum das Vallader mir noch mehr zusagt als das Puter,<br />

liegt an seiner leichteren Aussprache und an den Wörtern, die<br />

mir "logischer" scheinen als jene im Puter, das in der<br />

rätoromanischen Welt - in der Rumantscheia oder Romontschia,<br />

wie die beiden Ausdrücke lauten - den Ruf hat, besonders<br />

gestelzt, aber auch elegant daherzukommen. Da sind gewisse<br />

17


Vergleiche zum Dialekt der Stadt Basel, der in der<br />

deutschsprachigen Schweiz einen ähnlichen Ruf hat, nicht so<br />

abwegig.<br />

Die nächste direkte Konfrontation mit dem Rätoromanischen<br />

erlebte ich erst wieder in der zweiten Woche meines<br />

Grundwehrdienstes - oder meiner Rekrutenschule, wie der<br />

Ausdruck in der Schweiz immer noch lautet. Da die Offiziere<br />

auch etwas über den intellektuellen Stand der neu eingerückten<br />

Soldaten wissen wollten, musste jeder einen Aufsatz schreiben,<br />

der auf ein paar vorgegebenen kurzen Sätzen aufzubauen war.<br />

Das ging ja noch, aber was ich dann sah, liess mich staunen,<br />

weil ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass es nicht<br />

nur ein Rätoromanisch gibt: Neben Deutsch, Französisch und<br />

Italienisch, den drei Amtssprachen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> schon seit dem<br />

Jahr 1848, als die Eidgenossenschaft praktisch neu gegründet<br />

wurde und die immer noch bestehende Gestalt bekam, standen<br />

nicht weniger als fünf rätoromanische Varianten zur Auswahl -<br />

eben die oben erwähnten Sursilvan, Sutsilvan, Surmiran, Puter<br />

und Vallader. Damit wollte man die Chancengleichheit für alle<br />

bewahren und es ist in der ganzen Welt sicher einmalig, dass in<br />

einer Armee gleich acht Sprachen erlaubt sind, und wenn wir die<br />

im Jahr 1982 erschaffene Kunstsprache Rumantsch Grischun<br />

noch dazuzählen, sind es sogar neun.<br />

Tatsächlich gibt es noch heute rein rätoromanischsprachige<br />

Einheiten in Form von Zügen - also etwa dreissig Köpfen -, zu<br />

denen sich jemand einteilen lassen kann, wenn er oder sie es<br />

will. Wie genau das funktioniert, weiss ich nicht aus eigener<br />

Anschauung, aber ich habe später immer wieder festgestellt,<br />

dass die Rätoromanen sich mehr oder weniger gut verstehen,<br />

wenn sie nicht allzu schnell sprechen. An dieser Meinung ändert<br />

auch nicht das etwas verunglückte Treffen mit einer Gruppe von<br />

jungen Burschen, die alle aus verschiedenen rätoromanischen<br />

Regionen stammten, wie ich von einem Bekannten erfuhr, der<br />

18


dabei war. Leider zogen sie es vor, miteinander Bündnerdeutsch<br />

zu sprechen, was ich sehr schade fand, weil ich so eine<br />

einmalige Chance zum Zuhören und Vergleichen verpasste.<br />

Immerhin kann ich noch diese lustige Geschichte erzählen: Als<br />

ich zeitweilig auf der Post arbeitete, wo Leute aus allen Kantonen<br />

zusammenkamen, hörte ich einmal, wie ein Unterengadiner und<br />

ein Sursilvaner, die beide stolz darauf waren, Rätoromanen zu<br />

sein, auffallend laut miteinander sprachen, so dass möglichst<br />

viele sie hören konnten. Als ich nachher den Engadiner fragte,<br />

wie viel er überhaupt verstanden hatte, antwortete er: "Ein paar<br />

Wörter."<br />

Wieder zurück zum <strong>Surmeirischen</strong>, um das es in diesem Buch<br />

geht: Wie wenig bekannt diese Sprache genauso wie das<br />

benachbarte Sutselvische ausserhalb <strong>des</strong> Kantons Graubünden<br />

ist, zeigt sich auch darin, dass von denen, die einen der<br />

rätoromanischen Schriftdialekte lernen, zu mehr als neunzig<br />

Prozent entweder Surselvisch oder eine der beiden<br />

engadinischen Sprachen wählen, aber so gut wie niemand<br />

Surmeirisch. Dementsprechend gibt es für diese Sprache<br />

ausserhalb Graubündens nach meinem Wissen auch keinen<br />

einzigen Sprachkurs, jedenfalls habe ich nie etwas davon gehört<br />

oder gelesen. Dazu kommt noch, dass das Surmeirische wie<br />

oben erwähnt in allen Dörfern, wo es noch gesprochen wird, in<br />

den Schulen durch das Rumantsch Grischun ersetzt worden ist,<br />

dem es eben am nächsten steht.<br />

Das grösste Hindernis im Überlebenskampf für diese Sprache<br />

besteht jedoch darin, dass sie heute nur noch in vier Dörfern eine<br />

Mehrheit stellt, aber in zwei nur noch eine äusserst knappe, so<br />

auch in Stierva, auf <strong>des</strong>sen Dialekt das Surmeirische fusst. Es<br />

heisst zwar immer, dass Surmeirisch noch in neunzehn Dörfern<br />

gesprochen wird, und die Sprachenkarten in den Lehrbüchern<br />

aller Schriftdialekte, die schon vor Jahrzehnten geschrieben<br />

wurden, zeigen tatsächlich diese Region, die Surmeir genannt<br />

19


wird und wie ein Dreieck aussieht. Eigentlich sind es aber nur<br />

siebzehn Dörfer, weil in Bivio oder Beiva am südlichsten Rand<br />

<strong>des</strong> «Dreiecks» in der unteren Stufe der Primarschule, also in<br />

den drei ersten Jahren, auf Italienisch unterrichtet wird, während<br />

in Bergün oder Bravuogn die kulturelle und religiöse Nähe zum<br />

Oberengadin auch über Berge hinweg sich auch darin zeigt, dass<br />

dort auf Puter unterrichtet wird, und ab der oberen Stufe der<br />

Primarschule kommt so wie im ganzen Kanton noch Deutsch<br />

dazu. Es gibt in beiden Dörfern nur noch wenige Personen, die<br />

reines Surmeirisch beherrschen, wobei die rätoromanische<br />

Minderheit in Bergün zu fast hundert Prozent den oben<br />

erwähnten Mischdialekt namens Bargunsegner spricht.<br />

Für die geringe Attraktivität dieser Sprache mag sicher auch eine<br />

Rolle spielen, dass die vielen Diphthonge (Doppelvokale), die<br />

das Markenzeichen <strong>des</strong> <strong>Surmeirischen</strong>, aber auch <strong>des</strong><br />

Sutselvischen sind, für ein flüssiges Sprechen nicht nur für die<br />

Nicht-Rätoromanen, sondern auch für die anderen Rätoromanen<br />

selber als störend empfunden werden. Gerade auch <strong>des</strong>halb hat<br />

Heinrich Schmid, der Erschaffer <strong>des</strong> Rumantsch Grischun, diese<br />

ausgemerzt, so dass diese neue Amtssprache gewissermassen<br />

ein abgemagertes und schlank gewordenes Surmeirisch ist.<br />

Weiter unten werde ich auf diese entscheidenden Unterschiede<br />

noch etwas näher eingehen.<br />

Ich habe mir alle Mühe gegeben, ein <strong>Lehrbuch</strong> zu verfassen, das<br />

den Bedürfnissen der Lernenden wirklich entgegenkommt. Was<br />

bisher auf dem Markt erschienen ist, war für meinen Geschmack<br />

viel zu mathematisch und zu wenig übersichtlich aufgebaut - mit<br />

Ausnahme <strong>des</strong> Kauderwelsch-Büchleins "Rätoromanisch<br />

(Surselvisch) - Wort für Wort" vom Know-How-Verlag in<br />

Bielefeld. Was hier vorgestellt wird, soll also möglichst gut und<br />

schnell erlernbar sein, so dass es auch bald in die Herzen<br />

eindringt und damit auch viel Spass bereitet. Das ist sogar mit<br />

dem <strong>Surmeirischen</strong>, das auch unter den Rätoromanen selber im<br />

20


Ruf steht, die komplizierteste Sprache zu sein, wirklich möglich.<br />

Etwas möchte ich noch klarstellen: Da es mir in diesem Buch vor<br />

allem um ein möglichst einfaches Vermitteln <strong>des</strong> <strong>Surmeirischen</strong><br />

geht, verzichte ich auf Lesetexte und Übungsabschnitte, die<br />

sonst grosse Teile von Sprachlehrbüchern prägen, sowie auf<br />

nähere touristische Informationen und beschränke mich auf den<br />

rein sprachlichen Aspekt. Zudem verzichte ich auch auf grosse<br />

Wörterlisten, wie sie in fast allen Sprachlehrbüchern üblich sind,<br />

weil es ein solches Wörterbuch bereits gibt: Es ist ein Teil <strong>des</strong> im<br />

Jahr 1969 erschienenen und bis heute einzigen <strong>Lehrbuch</strong>es<br />

«Rumantsch Surmeir» von Gion Peder Thöni, das für mich das<br />

beste Wörterbuch für eine rätoromanische Sprache ist, weil es<br />

umfangreich und zudem zweisprachig ist, also Surmeirisch-<br />

Deutsch und Deutsch-Surmeirisch - in dieser Reihenfolge,<br />

<strong>des</strong>halb führe ich diese beiden Abteilungen so auf. Auch sonst<br />

kann allfällige Literatur bei der Lia Rumantscha in Chur bestellt<br />

werden; diese wird nur in den beiden engadinischen Sprachen<br />

und im Rumantsch Grischun so bezeichnet, während sie im<br />

<strong>Surmeirischen</strong> und Sutselvischen Leia Rumantscha und auf<br />

Surselvisch Ligia Romontscha heisst.<br />

Anstelle von Lesetexten, Übungsabschnitten und langen<br />

Wörterlisten kann ich einen besonderen Leckerbissen<br />

versprechen, was die Verben, also die Tätigkeitswörter betrifft:<br />

Gerade bei den Tätigkeitswörtern zeigt es sich, in welchem<br />

Ausmass das Surmeirische eine Mitte-Stellung zwischen den<br />

beiden engadinischen Varianten und dem Surselvischen<br />

einnimmt, für die ich ebenfalls eigene Lehrbücher geschrieben<br />

habe. Es wird aber geradezu abenteuerlich, wenn jemand<br />

versucht, diese aussergewöhnliche Sprache auch aktiv<br />

anzuwenden, weil sie derart viele Diphthonge enthält, dass auch<br />

die Engadiner und Sursilvaner ihre liebe Mühe haben. Wer es<br />

jedoch auf sich nimmt, von dieser Sprache, die heute wie oben<br />

geschrieben nur noch in vier Dörfern deutlich von mehr als der<br />

21


Hälfte der Bevölkerung gesprochen wird und weiter stark<br />

schrumpft, wenigstens ein bisschen zu lernen, kann immer noch<br />

eine dicke Überraschung erleben, die sich in einem solchen<br />

Ausruf ausdrückt:<br />

Tge surpresa - egn tgi discorra surmiran!<br />

(Was für eine Überraschung - einer, der Surmiran spricht!)<br />

Es gibt für „sprechen“ sogar noch ein eigenes Wort: ruschanar.<br />

Der gleiche Satz wie oben lautet also auch:<br />

Tge surpresa - egn tgi ruschana surmiran!<br />

Und wenn diese Worte einer Frau oder einem Mädchen gelten,<br />

wird „egn“ einfach durch „ena“ ersetzt:<br />

Ena tgi discorra surmiran! - Ena tgi ruschana surmiran!<br />

Allein ein solches Kompliment ist es wert, sich mit dieser Sprache<br />

ein wenig zu beschäftigen.<br />

Nach dieser ziemlich langen Einführung, die mir aber notwendig<br />

schien, können wir jetzt endlich zum "Eingemachten" übergehen.<br />

22


Die Buchstaben<br />

Die Vokale (Selbstlaute)<br />

a wie im Deutschen amar (lieben)<br />

aventura (Abenteuer)<br />

e wie im Deutschen ella (sie)<br />

evitar (vermeiden)<br />

dumpfes «e» wie calender (Kalender)<br />

bei «immer»<br />

capavel (fähig)<br />

i wie im Deutschen biro (Büro)<br />

bitsch (Kuss)<br />

dumpfes «i» wie bei immediat (sofort)<br />

«immer»<br />

inparzial (unparteiisch)<br />

j wie im Deutschen pajass (Spassvogel)<br />

o wie im Deutschen onda (Tante)<br />

otel (Hotel)<br />

u wie im Deutschen uman (menschlich)<br />

23<br />

urden (Ordnung)


Die Diphthonge (Doppellaute)<br />

ae ae, also nicht ä paeis (Land)<br />

(«a» und «e» getrennt)<br />

paer (bezahlen)<br />

ai ai cuntaint (zufrieden)<br />

paraint (Verwandter)<br />

ea ea gea (ja)<br />

ei ei (wie engl. «take») meir (Mauer)<br />

nateira (Natur)<br />

seira (Abend)<br />

eu eu (also nicht öi!) Europa<br />

ia ia (das „i“ betont!) ia (ich)<br />

Dia (Gott)<br />

ie ie (getrennt und cunsiglier (beraten)<br />

das «i» betont!) ierta (Erbe)<br />

ustier (Wirt)<br />

24


iu iu (getrennt und aviung (Flugzeug)<br />

das «u» betont!)<br />

contribuziung (Beitrag)<br />

oi oi Coira (Chur)<br />

roir (beissen)<br />

ou ou («o» und «u» cantadour (Sänger)<br />

getrennt!)<br />

nous (wir)<br />

zarcladour (Juni)<br />

fanadour (Juli)<br />

Die Konsonanten (Mitlaute)<br />

b wie im Deutschen bab (Vater)<br />

bler (viel)<br />

c ts (vor e, i) centrum (Zntrum)<br />

cifra (Zahl)<br />

k (vor a, o, u -<br />

cafè (Kaffee)<br />

aber nicht behaucht) commember (Mitglied)<br />

cu<strong>des</strong>ch (Buch)<br />

d wie im Deutschen debitar (schulden)<br />

25<br />

Dia (Gott)


f wie im Deutschen fatscha (Gesicht)<br />

femna (Frau)<br />

g g (vor a, o, u) gasetta (Zeitung)<br />

golp (Fuchs)<br />

guttella (Tropfen)<br />

dsch (vor e, i)<br />

gea (ja)<br />

gimnasi (Gymnasium)<br />

Gion (Hans)<br />

k wie im Deutschen, kilo(gramm)<br />

aber nicht behaucht<br />

kino<br />

l wie im Deutschen lectour (Leser)<br />

ludar (loben)<br />

m wie im Deutschen ma (aber)<br />

mella (tausend)<br />

n wie im Deutschen na (nein)<br />

neza (Nichte)<br />

p wie im Deutschen, padela (Pfanne)<br />

aber nicht behaucht personal (persönlich)<br />

26


q wie im Deutschen nur qualitad (Qualität)<br />

in Verbindung mit quantitad (Quantität)<br />

einem «u»<br />

quotidian (täglich)<br />

r wie im Deutschen, rap (Rappen)<br />

aber immer gerollt, resistenza (Widerstand)<br />

also kein Zäpfchen-r<br />

wie in Norddeutschland<br />

s wie im Deutschen sala (Saal)<br />

separar (trennen)<br />

t wie im Deutschen, tot (alles)<br />

aber nicht behaucht<br />

tunar (donnern)<br />

v wie deutsches «w» vacanzas (Ferien)<br />

vent (Wind)<br />

x wie im Deutschen exposiziung (Ausstellung)<br />

Mexiko<br />

z wie «ds» zalep (Heuschrecke)<br />

zarcladour (Juni)<br />

27


Die Doppelkonsonanten<br />

gh g (vor e, i) ghera (Krieg)<br />

ghiz (Zicklein)<br />

gl l gligna (Mond)<br />

glin<strong>des</strong>de (Montag)<br />

gn ni gligna (Mond)<br />

gnugnier (brummen)<br />

ng wie im Deutschen bung (gut)<br />

staziung (Bahnhof)<br />

sb schb sbagl (Fehler)<br />

sbassar (senken)<br />

sc schk (vor a, o, u - scaldar (heizen)<br />

aber nicht behaucht) scola (Schule)<br />

scu (wie)<br />

sd schd sdom (Löffel)<br />

sdreir (ausrotten)<br />

28


sf schf sfola (Schneepflug)<br />

sfugiantar (verscheuchen)<br />

sg schg sgarar (schaben)<br />

sgol (Flug)<br />

sch wie im Deutschen schaner (Januar)<br />

schender (Schwiegersohn)<br />

sk schk (vor «i» - ski<br />

aber nicht behaucht) skiunz (Skifahrer)<br />

skiunza (Skifahrerin)<br />

skizza (Skizze)<br />

sl schl slantsch (Schwung)<br />

sluittar (schlüpfen)<br />

sm schm smanar (schwingen)<br />

smidar (erbleichen)<br />

sp schp (vor einem spazi (Raum)<br />

Vokal nicht behaucht) special (besonders)<br />

sprer (Habicht)<br />

29


sr schr srantar (von der Kette lösen)<br />

sromar (entästen)<br />

st scht (vor einem stad (Sommer)<br />

Vokal nicht behaucht)<br />

stidar (löschen)<br />

stg schtsch carstgang (Mensch)<br />

stgaffa (Schrank)<br />

sv schw svelt (schnell)<br />

Svizra (Schweiz)<br />

tg tsch tgamegn (Kamin)<br />

tgesa (Haus)<br />

perfectamaintg<br />

(Adverb von «perfect»)<br />

tsch tsch wie «tg» tschiel (Himmel)<br />

tschot (Lamm)<br />

Im <strong>Surmeirischen</strong> fehlen die Vokale «ö» und «ü», die eines der<br />

Markenzeichen <strong>des</strong> Engadinischen sind, sowie «y» und die<br />

Konsonanten «h» und «w»; zudem kommen auch die beiden im<br />

Surselvischen und Engadinischen häufigen Doppellaute «uo»<br />

sowie das surselvische «ui» nicht vor. Dafür weist es den<br />

Doppellaut «ea» wie bei «gea» für «ja» auf, den ausser dem<br />

30


Sutselvischen (zum Beispiel bei «tgea» für «Haus») kein anderer<br />

rätoromanischer Schreibdialekt kennt, und dazu den im<br />

Surselvischen und Engadinischen unbekannten<br />

Doppelkonsonanten «gh», der vor einem «g» und einem «i» wie<br />

«g» ausgesprochen wird, zum Beispiel bei «ghera» (Krieg).<br />

Die beiden schwierigsten Laute sind die beiden<br />

Doppelkonsonanten «tg» und «stg», die sowohl am Anfang als<br />

auch am Ende eines surmeirischen Wortes vorkommen. Als<br />

Faustregel können wir uns merken, dass ein «s», das am<br />

Wortanfang steht und von einem anderen Konsonanten gefolgt<br />

wird, immer ein Zischlaut ist, also als «sch» ausgesprochen wird,<br />

wie das oben gesehen werden kann.<br />

Der Doppelkonsonant «tg» kommt auch im Surselvischen und<br />

Engadinischen vor, wobei er im letzteren als «s-ch» geschrieben<br />

wird, so dass dort ganz genau hingeschaut werden muss, ob ein<br />

Wort mit «sch» oder «s-ch» geschrieben wird. Das surmeirische<br />

«carstgang» (Mensch) lautet im Surselvischen «carstgaun»,<br />

aber im Engadinischen «crastian» (Vallader) und «crastiaun»<br />

(Puter), so dass es andere Beispielwörter braucht:<br />

entschuldigen = s-chüsar (Vallader), s-chüser (Puter)<br />

Wer sich in den slawischen Sprachen ein wenig auskennt, hat<br />

diesen Doppelkonsonanten auch dort schon gesehen, vor allem<br />

im Russischen und Polnischen, wo er «szcz» geschrieben wird.<br />

Daneben gibt es im Polnischen auch noch eine schwächere<br />

Variante dieses Doppelkonsonanten, die «sc» geschrieben wird,<br />

wobei über beiden Konsonanten ein ‘ steht. Nach der Gründung<br />

der Gewerkschaft Solidarnosc in Danzig im Jahr 1980 wurde<br />

dieser Doppelkonsonant in der ganzen Welt bekannt.<br />

31


Besonderheiten <strong>des</strong> <strong>Surmeirischen</strong><br />

1. Das eigentliche Markenzeichen <strong>des</strong> <strong>Surmeirischen</strong> sind die<br />

Doppellaute «ei» und «ou», die so häufig vorkommen, dass sie<br />

von den Rätoromanen in der Surselva sowie im Engadin und im<br />

Münstertal manchmal als störend empfunden werden, obwohl<br />

auch die Engadiner und Münstertaler diese beiden Laute<br />

kennen, allerdings nicht in diesem Ausmass:<br />

meir (Mauer)<br />

nateira (Natur)<br />

deir (sagen)<br />

eir (gehen)<br />

vigneir (kommen)<br />

amatour (Amateur)<br />

cantadour (Sänger)<br />

cantadoura (Sängerin)<br />

zarcladour (Juni)<br />

fanadour (Juli)<br />

Im Surselvischen und Engadinischen lauten diese Wörter so:<br />

S: mir, natira, dir, ir, vegnir, amatur, cantadur, cantadura,<br />

zercladur, fenadur<br />

E: mür, natüra, dir, ir, gnir, amatur, chantadur, chantadura, gügn,<br />

lügl<br />

2. Das zweite Markenzeichen <strong>des</strong> <strong>Surmeirischen</strong> ist die Endung<br />

„-ung“ bei allen Wörtern, die im Surselvischen und<br />

Engadinischen als „-iun“ geschrieben und gesprochen werden,<br />

ähnlich wie in den meisten anderen romanischen Sprachen, zum<br />

Beispiel bei „Nation“:<br />

nation (Französisch), nazione (Italienisch), nación (Spanisch),<br />

nação (Portugiesisch), naziun (Surselvisch und Engadinisch)<br />

32


Im <strong>Surmeirischen</strong> lautet dieses Wort also „naziung“.<br />

All diese Wörter werden im <strong>Surmeirischen</strong> zwar ausnahmslos mit<br />

„-iung“ ausgesprochen, aber sie werden nicht alle so<br />

geschrieben. Da man sich nach den letzten Diskussionen vor<br />

einem halben Jahrhundert nicht einig wurde, welche jetzt so<br />

geschrieben werden sollen und welche nicht, und eine nähere<br />

Einführung viel zu kompliziert wäre, erlaube ich mir, in diesem<br />

<strong>Lehrbuch</strong> nur „-iung“ zu verwenden, was zumin<strong>des</strong>t in der<br />

Aussprache immer richtig ist.<br />

Obwohl die beiden Doppellaute „ei“ und „ou“ im <strong>Surmeirischen</strong><br />

häufig vorkommen, wurde bei der Erschaffung <strong>des</strong> Rumantsch<br />

Grischun, auf das ich weiter unten noch etwas näher eingehen<br />

werde, weitgehend diese Sprache berücksichtigt, da sie eine<br />

ideale Mitte-Stellung zwischen dem Surselvischen und dem<br />

Engadinischen einnimmt. Während „ei“ fast überall durch ein „i“<br />

ersetzt wurde, ist bei „ou“ das „o“ herausgefallen:<br />

meir - mir<br />

nateira - natira<br />

deir - dir<br />

eir - ir<br />

vigneir - vegnir<br />

amatour - amatur<br />

cantadour - cantadur<br />

cantadoura - cantadura<br />

zarcladour - zarcladur<br />

fanadour - fanadur<br />

Ich erwähne das <strong>des</strong>halb, weil nur diese paar Verschlankungen<br />

nötig waren, um das Rumantsch Grischun weitgehend vom<br />

<strong>Surmeirischen</strong> abzuleiten. Der Nachteil zu dieser Nähe ist<br />

allerdings die oben erwähnte Tatsache, dass heute in den<br />

neunzehn Dörfern, in denen diese Sprache noch gesprochen<br />

wird, nur noch auf Rumantsch Grischun unterrichtet wird -<br />

teilweise immer noch gegen den Willen der Bevölkerung, die<br />

33


zwar in jedem einzelnen Dorf anders spricht, aber wenigstens<br />

mehr als 150 Jahre lang eine einheitliche Schriftsprache hatte.<br />

Mit dieser kurzen Einführung in die Aussprache der<br />

verschiedenen Laute lasse ich es bewenden. Für Phonetik-<br />

Freaks, also für solche, die sich gern noch mehr in diesen<br />

Bereich vertiefen würden, empfehle ich das <strong>Lehrbuch</strong>, das ich<br />

ganz unten noch erwähnen werde.<br />

34


Erste Fragen und Antworten<br />

Noua è...?<br />

Noua èn…?<br />

Wo ist...?<br />

Wo sind...?<br />

ena baselgia<br />

la tgesa digl cumegn<br />

la posta<br />

ena banca<br />

ena staziung da bus<br />

la staziung da veiadafier<br />

igl post da pulizia<br />

en automat da midada<br />

en automat da marcas<br />

la veia maistra<br />

en'apoteca<br />

en teater<br />

en otel<br />

en restorant<br />

ena cabina da telefon<br />

en biro d'infurmaziung<br />

eine Kirche<br />

das Gemeindehaus,<br />

das Rathaus<br />

die Post<br />

eine Bank<br />

eine Bushaltestelle<br />

der Bahnhof<br />

der Polizeiposten<br />

ein Wechselautomat<br />

ein Markenautomat<br />

die Hauptstrasse<br />

eine Apotheke<br />

ein Theater<br />

ein Hotel<br />

ein Restaurant<br />

eine Telefonkabine<br />

ein Auskunftsbüro<br />

Auf diese Fragen kann so geantwortet werden:<br />

35


da mang dretg,<br />

da vart dretga<br />

da mang sanester,<br />

da vart sanestra<br />

tschient meters da cò,<br />

tschient meters da chi<br />

alla fegn dalla vischnanca<br />

aint igl center<br />

trenta meters dalla staziung<br />

rechts<br />

links<br />

hundert Meter von hier<br />

am Ende <strong>des</strong> Dorfes<br />

im Zentrum<br />

dreissig Meter von der<br />

(Zug-)Station<br />

36


Die Substantive (Hauptwörter) und Artikel<br />

Wie in den meisten anderen romanischen Sprachen gibt es auch<br />

im <strong>Surmeirischen</strong> nur ein männliches und weibliches Geschlecht,<br />

auch in den ältesten Dialekten ist das lateinische sächliche<br />

Geschlecht verschwunden. Der bestimmte Artikel ist bei den<br />

männlichen Wörtern in der Einzahl "igl" und bei den weiblichen<br />

"la", wenn darauf ein Konsonant folgt:<br />

igl bab der Vater la mamma die Mutter<br />

igl cantung der Kanton la patria die Heimat<br />

igl piz der Berg la nusch die Nuss<br />

igl corp der Körper la notg die Nacht<br />

igl culiez der Hals la fotsch die Sense<br />

Im Gegensatz zum Surselvischen und Engadinischen ist der<br />

männliche Artikel also auch dann «igl» und nicht «il», wenn ein<br />

Substantiv mit einem Konsonanten beginnt.<br />

Wenn am Anfang eines Hauptwortes ein Vokal steht, wird nur<br />

"la" durch "l+Apostroph" ersetzt, während die männliche Variante<br />

gleich bleibt:<br />

igl hom der Mann l'anima die Seele<br />

In einem schnellen Gespräch geschieht es aber immer wieder,<br />

dass das «i» im männlichen Artikel verschluckt wird, vor allem<br />

wenn zwei im gleichen Satz vorkommen:<br />

…. und der Mann und das Kind kommen ….<br />

…. e gl’om e gl’unfant vignan .…<br />

37


In der Schriftsprache ist jedoch nur «igl» korrekt.<br />

Wörter, die im Deutschen männlich sind, müssen es im<br />

<strong>Surmeirischen</strong> trotz der starken Beeinflussung nicht unbedingt<br />

auch sein:<br />

il fretg<br />

il nas<br />

die Frucht<br />

die Nase<br />

Der unbestimmte Artikel ist männlich "en" und weiblich "ena".<br />

Wenn das Hauptwort mit einem Vokal beginnt, wird wie im<br />

Italienischen nur beim weiblichen Geschlecht ein Apostroph<br />

verwendet, so dass das "a" bei "ena" wegfällt:<br />

igl bab der Vater la mamma die Mutter<br />

en bab ein Vater ena mamma eine Mutter<br />

igl om der Mann l’anima die Seele<br />

en om ein Mann en'anima eine Seele<br />

Neben «en» gibt es auch noch das männliche Einzahlwort<br />

«egn», das aber nur alleinstehend und beim Aufzählen von<br />

Zahlen verwendet wird:<br />

Egn tgi discorra surmiran!<br />

Egn, dus, treis, catter .…<br />

Einer, der Surmeirisch spricht!<br />

Eins, zwei, drei, vier .…<br />

Die Artikel sind in der Mehrzahl immer "igls" und "las" - das<br />

erstere also wieder im Gegensatz zum Surselvischen und<br />

Engadinischen, wo es «ils» geschrieben wird -, am Ende steht in<br />

38


jedem einzelnen Wort ein "s". Das hat das Surmeirische mit den<br />

anderen rätoromanischen Schreibdialekten sowie mit dem<br />

Dolomitenladinischen, Friaulischen und Sardischen gemeinsam.<br />

Das zu wissen ist <strong>des</strong>halb wichtig, weil es einst eine Zeit gab, in<br />

der in Italien von gewissen Kreisen behauptet wurde, diese<br />

beiden Sprachen seien genauso wie alle anderen<br />

rätoromanischen Dialekte einschliesslich <strong>des</strong> Friaulischen<br />

eigentlich nur Dialekte <strong>des</strong> Italienischen, obwohl dieses kein<br />

einziges Plural-s hat.<br />

igl bab igls babs la mamma las mammas<br />

igl cantung igls cantungs la patria las patrias<br />

igl fretg igls fretgs la notg las notgs<br />

igl corp igls corps la fotsch las fotschs<br />

Die Mehrzahl bei «om» ist unregelmässig:<br />

igl om<br />

igls omens<br />

Endet ein männliches Wort in der Einzahl auf "s", bleibt es in der<br />

Mehrzahl unverändert:<br />

igl cas der Fall igls cas die Fälle<br />

igl nas die Nase igls nas die Nasen<br />

igl paeis das Land igls paeis die Länder<br />

igl pass der Schritt igls pass die Schritte<br />

igl cumpass der Kompass igls cumpass die Kompässe<br />

igl spass der Spass igls spass die Spässe<br />

39


Bei Substantiven, die feste Begriffe geworden sind, wird auch<br />

innerhalb eines Satzes ein Grossbuchstaben verwendet:<br />

Jesus Christus ist der Sohn Gottes und der Erlöser der Welt.<br />

Gesus Crist è igl Fegl da Dia („Día“) ed il Spindrader digl mond.<br />

Der Kanton und der Bund (die Eidgenossenschaft) haben<br />

beschlossen .…<br />

Igl Cantung e la Confederaziung on decidia …. («decidía»)<br />

Bei der Übersetzung von „und“ ist der entscheidende<br />

Unterschied schon jetzt zu sehen: „ed“ steht direkt vor einem<br />

Vokal und „e“ vor einem Konsonanten.<br />

Der Kollektivplural<br />

Neben diesen Mehrzahlformen gibt es auch noch solche, die als<br />

Kollektivplural bezeichnet werden. Formal stehen sie zwar in der<br />

weiblichen Form, aber sie werden als ein Ganzes angesehen<br />

und vor allem dann verwendet, wenn keine Zahl gesagt wird.<br />

Dieser Kollektivplural ist ein Kennzeichen nicht nur im<br />

Rätoromanischen, sondern auch im Italienischen und<br />

Sardischen.<br />

igl bratsch der Arm igls bratschs die Arme<br />

40


Die Unterteilung erfolgt so: dus bratschs<br />

la bratscha<br />

zwei Arme<br />

die beiden Arme<br />

Im Italienischen, das in Beiva beziehungsweise Bivio als<br />

Hauptsprache <strong>des</strong> Dorfes gilt, sieht es so aus:<br />

il braccio der Arm due bracci zwei Arme<br />

i bracci die Arme le braccia die beiden Arme<br />

Allerdings wird hier in der Mehrzahl der Artikel «le» verwendet.<br />

Bei Paaren wie Armen, Beinen oder Augen kann dieser<br />

Kollektivplural, der manchmal auch als Kollektivsingular<br />

bezeichnet wird, auch als ein Dual gesehen werden, den es im<br />

<strong>Surmeirischen</strong> und in den anderen oben erwähnten<br />

Schwestersprachen formal nicht gibt, der aber vor allem in den<br />

semitischen Sprachen wie Hebräisch, Aramäisch oder Arabisch<br />

sowie im Sanskrit noch vorkommt. Sogar in Europa gibt es noch<br />

zwei slawische Sprachen mit einem Dual: Im Slowenischen und<br />

im Sorbischen beziehungsweise Wendischen, das in zwei<br />

verschiedenen Varianten (Ober- und Niedersorbisch) im<br />

Südostzipfel der deutschen Bun<strong>des</strong>länder Sachsen und<br />

Brandenburg gesprochen wird und ähnlich wie das<br />

Rätoromanische ums Überleben kämpfen muss.<br />

Weitere Kollektivwörter, die häufig vorkommen, aber nicht als<br />

Dual gelten:<br />

igl crap der Stein igls craps die Steine<br />

la crappa<br />

das Gestein<br />

41


igl det der Finger igls dets die Finger<br />

la detta alle Finger<br />

igl figl * das Blatt igls figls * die Blätter<br />

la figlia * das Laub<br />

igl fretg die Frucht igls fretgs die Früchte<br />

la fretga das Obst<br />

igl meil der Apfel igls meils die Äpfel<br />

la meila Äpfel **<br />

igl meir die Mauer igls meirs die Mauern<br />

la meiraglia das Gemäuer<br />

igl nar der Narr igls nars die Narren<br />

la narramainta das Narrenvolk,<br />

die Narrenbrut<br />

igl oss der Knochen igls oss die Knochen<br />

l'ossa alle Knochen<br />

igl peir die Birne igls peirs die Birnen<br />

la peira Birnen **<br />

igl rom der Ast igls roms die Äste<br />

la romma das Geäst<br />

igl tgaval das Pferd igls tgavals die Pferde,<br />

die Hengste<br />

(la tgavalla die Stute las tgavallas die Stuten)<br />

la tgavallareia die Kavallerie,<br />

die Reiterei<br />

42


igl vistgia *** das Kleid igls vistgius *** die Kleider<br />

la vistgadeira die (ganze)<br />

Kleidung<br />

* Vorsicht ist bei den Wörtern «figl», «figls» und «figlia» geboten.<br />

Im nah verwandten Engadinischen sind damit auch ein Sohn,<br />

mehrere Söhne und eine Tochter gemeint, wie letzteres auch im<br />

Italienischen. Im Engadinischen gibt es für das Blatt, die Blätter<br />

und das Laub diese Wörter: fögl, fögls, föglia - also mit einem<br />

«ö», das es im <strong>Surmeirischen</strong> nicht gibt.<br />

** Die Kollektivwörter, die keine Körperteile bezeichnen, werden<br />

vor allem beim Einkaufen verwendet:<br />

Ich habe Äpfel und Birnen gekauft.<br />

Ia va cumpro meila e peira.<br />

** Aussprache: vischtschía, vischtschíus<br />

43


Die Deklination der Substantive<br />

Wie in allen anderen romanischen Sprachen haben die<br />

surmeirischen Hauptwörter vier Fälle (Nominativ, Genitiv, Dativ<br />

und Akkusativ), aber die Wörter verändern sich hinten genauso<br />

wie in diesen mit Ausnahme <strong>des</strong> Rumänischen nicht. Die Fälle<br />

werden durch die Präpositionen "da" (von) und "a" (zu)<br />

ausgedrückt, die je nach Geschlecht und Zahl mit den<br />

dazugehörigen Wörtern verbunden werden:<br />

Einzahl:<br />

Nom. igl bab der Vater la mamma die Mutter<br />

Gen. digl bab <strong>des</strong> Vaters dalla mamma der Mutter<br />

Dat. agl bap dem Vater alla mamma der Mutter<br />

Akk. igl bap den Vater la mamma die Mutter<br />

Mehrzahl:<br />

Nom. igls babs die Väter las mammas die Mütter<br />

Gen. digls babs der Väter dallas mammas der Mütter<br />

Dat. agls babs den Vätern allas mammas den Müttern<br />

Akk. igls babs die Väter las mammas die Mütter<br />

Der Nominativ und der Akkusativ sind sowohl in der Einzahl als<br />

auch in der Mehrzahl immer identisch.<br />

Vor einem Vokal sieht es so aus:<br />

44


Einzahl:<br />

Nom. igl om der Mann l'anima die Seele<br />

Gen digl om <strong>des</strong> Mannes dall'anima der Seele<br />

Dat. agl om dem Mann all'anima der Seele<br />

Akk. igl om den Mann l'anima die Seele<br />

Mehrzahl:<br />

Nom. igls omens die Männer las animas die Seelen<br />

Gen. digls omens der Männer dallas animas der Seelen<br />

Dat. agls omens den Männern allas animas den Seelen<br />

Akk. igls omens die Männer las animas die Seelen<br />

In der Mehrzahl sind die bestimmten Artikel also alle gleich. Beim<br />

unbestimmten Artikel kommt der Apostroph nur im Genitiv zum<br />

Zug:<br />

Nom. en bab ein Vater ena mamma eine Mutter<br />

Gen. d’en bab eines Vaters d'ena mamma einer Mutter<br />

Dat. ad en bab einem Vater ad ena mamma einer Mutter<br />

Akk. en bab einen Vater ena mamma eine Mutter<br />

Das "ad" vor einem Vokal kommt im <strong>Surmeirischen</strong> häufig vor,<br />

wie wir später am meisten noch im Kapitel "Verben und Zeiten"<br />

sehen werden.<br />

Der Nominativ und der Akkusativ sind im <strong>Surmeirischen</strong>, aber<br />

auch im Surselvischen genauso wie in fast allen anderen<br />

45


omanischen Sprachen - aber eben nicht in allen - also wie oben<br />

erwähnt deckungsgleich. Das zu wissen ist vor allem wichtig im<br />

Vergleich zu den beiden engadinischen Sprachen, die wie im<br />

Spanischen den sogenannten belebten Akkusativ kennen, der<br />

immer dann, wenn ein Lebewesen oder etwas, das als ein<br />

solches empfunden wird - so kann es auch ein Auto oder ein<br />

Schiff sein -, zum Zug kommt. Näheres steht darüber in meinem<br />

Buch «<strong>Lehrbuch</strong> <strong>des</strong> Engadinischen».<br />

Ein paar Beispiele dafür, wie diese Fälle miteinander<br />

harmonieren:<br />

D: Ich zeige das Haus dem Mann.<br />

Ich zeige dem Mann das Haus.<br />

S: Ia muss la tgesa agl om.<br />

D: Ich gebe die Frucht der Frau.<br />

Ich gebe der Frau die Frucht.<br />

S: Ia dung igl fretg alla donna.<br />

D: Wir zeigen die Häuser den Männern.<br />

Wir zeigen den Männern die Häuser.<br />

S: Nous mussagn las tgesas agls omens.<br />

D: Wir geben die Früchte den Frauen.<br />

Wir geben den Frauen die Früchte.<br />

S: Nous dagn la fretga allas donnas.<br />

46


Im Gegensatz zum Deutschen, in dem beide Varianten möglich<br />

sind, steht im <strong>Surmeirischen</strong> genauso wie in fast allen anderen<br />

romanischen Sprachen der Akkusativ immer vor dem Dativ,<br />

wenn beide ein Substantiv sind, aber das gilt nur für die<br />

Schriftsprache. In der Umgangssprache, die von den deutschen<br />

Sprachstrukturen sowieso stark beeinflusst wurde, ist es viel<br />

lockerer; also können auch diese Sätze gesagt werden:<br />

Ia muss agl om la tgesa.<br />

Ia dung alla donna igl fretg.<br />

Nous mussagn agls omens las tgesas.<br />

Nous dagn allas donnas la fretga.<br />

Der Partitiv (Die Teilungspartikel)<br />

Ich bringe dieses Kapitel schon jetzt, weil es eng mit dem<br />

Genitivwort «da» zusammenhängt. Im Gegensatz zu fast allen<br />

anderen romanischen Sprachen ist es im <strong>Surmeirischen</strong><br />

genauso wie in den rätoromanischen Schwestersprachen nicht<br />

immer notwendig, den Partitiv zu sagen und zu schreiben, wenn<br />

eine Menge angegeben wird.<br />

ein Stück Brot<br />

ein wenig Fleisch<br />

en toc pang<br />

en pac tgern<br />

Es fehlt also ein «da» dazwischen, wie es in den meisten<br />

anderen romanischen Sprachen üblich und vorgeschrieben ist:<br />

ein wenig Brot<br />

un peu de pain (Französisch)<br />

47


un poco di pane (Italienisch)<br />

un poco de pan (Spanisch)<br />

um pouco de pão (Portugiesisch)<br />

Da ist der jahrhundertelange starke Einfluss <strong>des</strong> Deutschen<br />

offensichtlich. Natürlich könnte auch „en toc da pang“ oder „en<br />

pac da tgern“ gesagt und geschrieben werden, aber auch im<br />

<strong>Surmeirischen</strong> wird meistens ausgelassen, was ausgelassen<br />

werden kann.<br />

Dagegen muss der Partitiv immer verwendet werden, wenn „da“<br />

vor einem Vokal stehen würde; dann wird er zu einem „d“<br />

verkürzt:<br />

das Wasser<br />

ein wenig Wasser<br />

l’ava<br />

en pac d’ava<br />

Auch bei einer Verbindung von zwei Substantiven muss er immer<br />

stehen:<br />

der Salat<br />

die Kartoffel<br />

die Kartoffeln<br />

der Kartoffelsalat<br />

la salata<br />

igl tiffel<br />

igls tiffels<br />

la salata da tiffels<br />

der Saft<br />

die Birne<br />

die Birnen<br />

der Birnensaft<br />

igl suc<br />

igl pér<br />

la péra<br />

igl suc da péra<br />

48


Die Eigennamen<br />

Auch diese sind ein eigenes Kapitel wert, weil sie im Gegensatz<br />

zum Deutschen mit dem bestimmten Artikel verbunden werden<br />

und dieser immer noch häufig vorkommt, allerdings mehr in der<br />

Schriftsprache. Es verhält sich damit also ähnlich wie in den<br />

schweizerdeutschen Dialekten, aber auch das Italienische,<br />

Katalanische und Portugiesische kennen die gleiche<br />

Konstruktion, im Italienischen aber fast nur noch die weiblichen<br />

Eigennamen:<br />

Deutsch<br />

: Hans/Maria kommt heute.<br />

Zürichdeutsch: De Hans/d’Maria chunnt hüt.<br />

Italienisch<br />

Katalanisch<br />

: (Il) Giovanni/la Maria viene oggi.<br />

: En Joan/la Maria ve avui.<br />

Portugiesisch : O João/a Maria vem hoje.<br />

Im <strong>Surmeirischen</strong> lautet dieser Satz in beiden Varianten gleich:<br />

Il Gion/la Maria vign oz.<br />

Bei der Deklination verhält es sich gleich, zudem kann der<br />

bestimmte Artikel auch in den anderen Kasus vor allem in der<br />

Umgangssprache weggelassen werden:<br />

D: Das ist das Buch von Hans, das ist Marias Buch.<br />

S: Quegl è igl co<strong>des</strong>ch digl Gian, quegl è igl co<strong>des</strong>ch dalla Maria.<br />

Quegl è igl co<strong>des</strong>ch da Gian, quel è igl co<strong>des</strong>ch da Maria.<br />

49


D: Ich gebe Hans/Maria das Buch.<br />

S: Ia dung igl co<strong>des</strong>ch agl Gian/alla Maria.<br />

Ia dung igl co<strong>des</strong>ch a Gian/a Maria.<br />

D: Ich liebe Hans, ich liebe Maria.<br />

E: Ia carezz igl Gion, ia carezz la Maria.<br />

Ia carezz Gion, ia carezz Maria.<br />

Bei mehr als einem Eigennamen und sowieso bei solchen, die<br />

zu einem Begriff geworden sind, wird der bestimmte Artikel so<br />

gut wie immer weggelassen:<br />

D: Gion Nuotclà ist ein guter Mann.<br />

E: (Il) Gion Nuotclà è en om bung.<br />

D: Jesus Christus ist der Erlöser der Welt.<br />

E: (Il) Gesus Crist è igl Spindrader digl mond.<br />

Eine weitere Eigenart <strong>des</strong> <strong>Surmeirischen</strong>, die das Surselvische<br />

nicht kennt, aber sehr wohl die beiden engadinischen Varianten,<br />

ist das Wort „Ser“, das genauso wie das engadinische «Sar» und<br />

das englische «Sir» vom lateinischen «senior» abstammt. Es<br />

wird nur bei Männern verwendet und sowohl gross als auch klein<br />

geschrieben, jedenfalls habe ich schon beide Varianten so<br />

gesehen. Es ist keineswegs nur ein Respektsausdruck für<br />

erwachsene Männer: Vor vielen Jahren kannte ich einen<br />

Jugendlichen aus dem Unterengadin, der mir sagte, dass er in<br />

seinem Heimatdorf immer mit „Sar Ernst“ angesprochen wurde -<br />

also mit dem engadinischen Wort «Sar» -, sobald gesehen<br />

50


werden konnte, dass er offensichtlich kein kleiner Bub mehr war.<br />

Dieses Wort steht also nie für sich allein, sondern wird immer mit<br />

einem Vornamen verbunden. Da es sinngemäss bereits einen<br />

bestimmten Artikel beinhaltet, wird dieser ausgelassen, und<br />

zudem wird „Ser“ immer nur in einem direkten Gespräch<br />

verwendet:<br />

D: Kommst du heute, Hans?<br />

S: Vignst te oz, Ser Gian?<br />

Im Gegensatz zum engadinischen „Sar“ kommt das surmeirische<br />

„Ser“ fast nur bei Leuten vor, die als wirkliche Respektspersonen<br />

angesehen sind. Der bekannteste von ihnen war sicher der im<br />

ganzen Oberhalbsteingebiet legendäre Pater und Schriftsteller<br />

Duri Lozza, der selbst seinen Namen immer „Loza“ schrieb und<br />

während Jahrzehnten immer mit „Ser Duri“ angesprochen wurde.<br />

Auch für die Frauen und Mädchen, die schon fast als erwachsen<br />

empfunden werden, gibt es ein besonderes Respektswort, das<br />

vom lateinischen «domina» abstammt und seit dem antiken Rom<br />

bis in die heutige Zeit erhalten geblieben ist: Donna. Was im<br />

Latein eine Domina war - eigentlich eine Hausherrin und<br />

überhaupt nicht das, was eine heutige Domina ist -, ist heute in<br />

Verbindung mit einem Vornamen eine respektvolle Anrede:<br />

D: Wie geht es heute, Frau Maria?<br />

S: Scu vo oz, Donna Maria?<br />

Auch wenn von ihr indirekt die Rede ist, kommt „donna“ zum Zug,<br />

wobei dann auch der bestimmte Artikel verwendet werden kann:<br />

D: Frau Maria kommt heute.<br />

S: (La) donna Maria vign oz.<br />

51


In den meisten anderen romanischen Sprachen hat das<br />

lateinische „domina“ ebenfalls überlebt:<br />

Engadinisch: duonna<br />

Surselvisch: dunna<br />

Italienisch: donna<br />

Rumänisch: doamna<br />

Katalanisch: dona<br />

Spanisch: doña<br />

Portugiesisch: dona<br />

Ausgerechnet das am nächsten verwandte Friaulische, aber<br />

auch das Sardische kennen dieses Wort nicht mehr, sondern nur<br />

noch die Varianten, die in allen anderen romanischen Sprachen<br />

mit Ausnahme <strong>des</strong> Rumänischen ebenfalls verwendet werden<br />

können, und zwar für beide Geschlechter:<br />

DE: Kommt Herr Hans?<br />

EN: Vain signur Gion?<br />

SV: Vegn signur Gian?<br />

SM: Vign signour Gian?<br />

Kommt Frau Maria?<br />

Vain duonna/signura Maria?<br />

Vegn dunna/signura Maria?<br />

Vign donna/signoura Maria?<br />

FR: Ven siôr Giovanne? Ven siore Maria? (1)<br />

RU: Vine domnul Ion ?<br />

SS: Benit sennor Giuanne ?<br />

Vine doamna Maria?<br />

Benit sennora Maria?<br />

CT: (Que) ve (el) don/senyor Joan? (Que) ve (la) dona/senyora<br />

ES: Viene don/señor Juan?<br />

PO: Vem (o) dom/senhor João?<br />

52<br />

Maria?<br />

Viene doña/señora Maria?<br />

Vem (a) dona/senhora Maria?


(1). Das „e“ bei „siore“ ist kein Druckfehler. Das Friaulische ist<br />

tatsächlich die einzige romanische Sprache, in der bei den<br />

weiblichen Wörtern der Endvokal nicht ein „a“ ist, sondern ein „e“.<br />

(2). Während im Katalanischen auf dem Festland die Sätze, die<br />

nicht mit einem Fragewort beginnen, mit einem «que» eingeleitet<br />

werden, wird dieses auf den Balearischen Inseln weggelassen.<br />

Was im antiken Rom eine Domina war, entsprach dem<br />

männlichen „dominus“, das im Rumänischen und in den<br />

iberischen Sprachen ebenfalls noch erhalten geblieben ist, wie<br />

oben gesehen werden kann.<br />

Im Katalanischen und Portugiesischen kann auch der bestimmte<br />

Artikel verwendet werden, während er im Rumänischen<br />

nachgestellt wird und zudem obligatorisch ist.<br />

Wenn anstelle eines Vornamens ein Familienname verwendet<br />

wird, kommen in allen romanischen Sprachen mit Ausnahme <strong>des</strong><br />

Rumänischen, das nur diese beiden Wörter kennt, die Varianten<br />

zum Zug, die vom lateinischen „senior“ abstammen, das<br />

ursprünglich sowohl „älterer“ als auch „ältere“ bedeutete und<br />

damit für beide Geschlechter das gleiche Wort war:<br />

D: Herr Curdin kommt heute. Frau Curdin kommt heute.<br />

S: Signour Curdin vign oz. Signoura Curdin vign oz.<br />

D: Kommt Herr Curdin? Kommt Frau Curdin?<br />

S: Vign signour Curdin? Vign signoura Curdin?<br />

Vorsicht ist beim Wort „Signer“ geboten, weil es wegen der<br />

Ähnlichkeit mit „signour“ leicht verwechselt werden kann und nur<br />

53


für Gott verwendet werden darf; es wird auf der ersten Silbe nach<br />

dem „S“ betont und immer gross geschrieben. Daneben gibt es<br />

noch die zweite Variante «Nussigner», die ebenfalls nach dem<br />

„S“ betont wird. Im Surselvischen und Engadinischen steht<br />

«Segner» an Stelle von «Signer», wobei das erste «e» betont<br />

wird, also ähnlich wie «Signer». Zudem gibt es im Surselvischen<br />

noch eine zweite Variante: Niessegner. Diese wird gleich betont<br />

wie bei «Segner».<br />

Vergrössern und Verkleinern<br />

Bei fast jedem Substantiv und fast jedem Eigennamen ist es<br />

möglich, jemanden oder etwas als grösser oder kleiner zu<br />

bezeichnen. Mit der Endung „-ung“, die hinten angehängt wird,<br />

kann man „vergrössern“, wobei das auch bei weiblichen Wörtern<br />

möglich ist, und mit den Endungen „-et“ und „-etta“ sowie „-ign“<br />

und „-igna“ kann man „verkleinern“; zudem kann mit der Endung<br />

«-atsch» jemand oder etwas negativ bewertet werden:<br />

igl om<br />

igl omung<br />

igl omatsch<br />

igl omet<br />

igl omign<br />

der Mann<br />

der Riesenmann (nüchterne Aussage, kann auch<br />

mit Verwunderung verbunden sein)<br />

der klobige, unförmige Mann<br />

das Männchen (nüchterne Aussage, kann auch<br />

positiv gemeint sein)<br />

das niedliche Männchen (zärtlich gemeint)<br />

igl mat<br />

igl mattung<br />

der Bub, der Junge, der Jüngling<br />

der Riesenbub, der Riesenjunge,<br />

der Riesenjüngling<br />

54


igl mattatsch<br />

igl mattet<br />

igl mattign<br />

der ungezogene, ungehobelte Bursche<br />

das Bübchen, das Büblein, das Jungchen<br />

das niedliche Bübchen, das niedliche Büblein,<br />

das niedliche Jungchen<br />

igl tgang<br />

igl tgangung<br />

igl tgangatsch<br />

igl tganget<br />

igl tgangign<br />

der Hund<br />

der Riesenhund<br />

der ungezogene Köter<br />

das Hündchen<br />

das niedliche Schosshündchen<br />

la mattatscha<br />

igl mattatschung *<br />

la mattatschetta<br />

la mattatschigna<br />

das Mädchen<br />

das Riesenmädchen<br />

das kleine Mädchen<br />

das niedliche (kleine) Mädchen<br />

la tgesa<br />

la tgesetta<br />

la tgesigna<br />

das Haus<br />

das Häuschen<br />

das niedliche Häuschen<br />

la donna, la femna<br />

igl donnung, igl femnung *<br />

la donnetta, la femnetta<br />

la donnigna, la femnigna<br />

die Frau<br />

die Riesenfrau<br />

das Frauchen<br />

das niedliche Frauchen<br />

55


Der entscheidende Unterschied zwischen «-et» und «-etta»<br />

beziehungsweise zwischen «-ign» und «-igna» besteht also<br />

darin, dass das erstere meistens eine nüchterne Aussage im<br />

Sinn von Kleinheit und Schwachheit ist, während das letztere<br />

meistens eine gefühlsmässige Wertung bedeutet.<br />

* Tatsächlich können auch «igl mattatschung» sowie „igl<br />

donnung“ und «igl femnung» verwendet werden, es ist bei den<br />

beiden letzteren also ähnlich wie bei den italienischen „il<br />

donnone“ und «il femnone». Dagegen kann ein «ragazzone»<br />

sowohl ein Junge als auch ein Mädchen sein.<br />

Gerade bei den weiblichen Wörtern gibt es erstaunliche<br />

Varianten:<br />

la biestga das Vieh la vatga die Kuh<br />

Ella è en biestgung d’ena vatga.<br />

Sie ist ein Riesenvieh von einer Kuh.<br />

Daneben ist im <strong>Surmeirischen</strong> auch noch eine Variante mit<br />

«maschina» in Gebrauch:<br />

Ella è ena maschina d’ena femna.<br />

Sie ist ein Riesenklotz von einer Frau.<br />

Tge crappung! Tge maschina d’en crap!<br />

Was für ein Riesenstein!<br />

Bei den Eigennamen sieht es so aus:<br />

Gion<br />

Hans<br />

56


igl Gionung<br />

igl Gionatsch<br />

igl Gionet<br />

igl Gionign<br />

der grosse Hans<br />

der (grosse) Nichtsnutz von Hans<br />

der kleine Hans<br />

der niedliche (kleine) Hans<br />

igl Tumasch<br />

igl Tumaschung<br />

igl Tumaschatsch<br />

igl Tumaschet<br />

igl Tumaschign<br />

Thomas<br />

der grosse Thomas<br />

der (grosse) Nichtsnutz von Hans<br />

der kleine Thomas<br />

der niedliche (kleine) Thomas<br />

la Maria<br />

la Marietta<br />

la Marigna<br />

Maria<br />

die kleine Maria<br />

die niedliche (kleine) Maria<br />

Wie sehr sich die Denkweise zum Teil auch unter den<br />

rätoromanischen Schriftdialekten unterscheidet, zeigt sich auch<br />

darin, dass das Wort «mattatsch» im <strong>Surmeirischen</strong> negativ<br />

klingt, während es im Surselvischen einfach nur einen<br />

Jugendlichen ohne negativen Beiklang bezeichnet.<br />

Die Eigennamen bieten in diesem Bereich weniger Spielraum,<br />

vor allem bei männlichen Vornamen, die auf einem Vokal enden:<br />

igl Andreia = Andreas<br />

Hier empfiehlt sich die Umschreibung mit „grond“ oder „pitschen“:<br />

57


igl grond Andreia<br />

igl pitschen Andreia<br />

der grosse Andreas<br />

der kleine Andreas<br />

Das gilt auch bei weiblichen Eigennamen:<br />

l’Anna, la grond’Anna, la pitschna Anna<br />

Dieses und jenes<br />

Für diese Wörter, die hinweisende Fürwörter oder<br />

Demonstrativpronomina genannt werden, gibt es insgesamt nur<br />

zehn Formen, wobei vor einem Vokal in der Einzahl wieder die<br />

gleichen Apostroph-Regeln wie oben gelten:<br />

chel bab dieser Vater chella mamma diese Mutter<br />

chegl om dieser Mann chell’anima diese Seele<br />

chels babs diese Väter chellas mammas diese Mütter<br />

chels omens diese Männer chellas animas diese Seelen<br />

tschel bab jener Vater tschella mamma jene Mutter<br />

tschegl om jener Mann tschell’anima jene Seele<br />

tschels babs jene Väter tschellas mammas jene Mütter<br />

tschels omens jene Männer tschellas animas jene Seelen<br />

58


Im Genitiv und Dativ stehen wieder "da" und "a":<br />

da chel bab dieses Vaters da chella mamma dieser Mutter<br />

a chel bab diesem Vater a chella mamma dieser Mutter<br />

da chegl om dieses Mannes da chell’anima<br />

dieser Seele<br />

a chegl om diesem Mann a chell’anima dieser Seele<br />

da chels babs dieser Väter da chellas mammas dieser Mütter<br />

a chels babs diesen Vätern a chellas mammas diesen<br />

Müttern<br />

da chels omens dieser Männer<br />

a chels omens diesen Männern<br />

da chellas animas dieser<br />

Seelen<br />

a chellas animas diesen<br />

Seelen<br />

da tschel bab jenes Vaters<br />

da tschella mamma jener Mutter<br />

a tschel bab jenem Vater a tschella mamma jener Mutter<br />

da tschegl om jenes Mannes da tschell’anima<br />

jener Seele<br />

a tschegl om jenem Mann a tschell’anima jener Seele<br />

da tschels babs jener Väter<br />

da tschellas mammas jener<br />

59<br />

Mütter


a tschels babs jenen Vätern a tschellas mammas jenen<br />

Müttern<br />

da tschels omens jener Männer da tschellas animas jener<br />

Seelen<br />

a tschels omens jenen Männern a tschellas animas jenen<br />

Seelen<br />

Das sind zwar viele Formen auf einmal, aber ich halte es für gut,<br />

dass einmal alle möglichen Varianten auf einem einzigen Haufen<br />

aufgeführt werden, weil sie so besser eingeprägt werden<br />

können.<br />

Daneben gibt es für «jener» noch vier weitere Varianten: Lez,<br />

lezza, igls ezs, las ezzas.<br />

Diese kommen dann zum Zug, wenn etwas schon Genanntes<br />

wieder aufgegriffen wird:<br />

Was macht der Mann jetzt?<br />

Tge fò igl om oss?<br />

Er geht nach Hause.<br />

Lez vo a tgesa.<br />

Was macht die Frau jetzt?<br />

Tge fò la donna oss?<br />

Sie geht nach Hause.<br />

Lezza vo a tgesa.<br />

Was machen die Männer jetzt?<br />

Tge fon igls omens oss?<br />

Sie gehen nach Hause.<br />

Ils ezs von a tgesa.<br />

60


Was machen die Frauen jetzt?<br />

Tge fon las donnas oss?<br />

Sie gehen nach Hause.<br />

Las lezzas von a tgesa.<br />

Dieses „lez“ usw. hat das Surmeirische auch noch mit dem<br />

Surselvischen gemeinsam, wobei dort die Mehrzahlformen „lezs“<br />

und „lezzas“ lauten, also ohne den bestimmten Artikel.<br />

Natürlich kann in solchen Sätzen auch mit den<br />

Personalpronomina (el, ella - els, ellas) geantwortet werden, auf<br />

die ich weiter unten näher eingehen werde.<br />

«Quegl» und «tschegl» kommen gleich wie «igl» und «igls» nur<br />

vor, wenn ein männliches Hauptwort mit einem Vokal beginnt.<br />

Dagegen entfällt in der Mehrzahl das «g», also «quels» und<br />

«tschels».<br />

Vorsicht ist bei «chel» usw. geboten, weil es in den meisten<br />

anderen romanischen Sprachen «jener» bedeutet, aber auch<br />

ans engadinische und surselvische «quel» usw. erinnert. Das<br />

Wort «chest», das mit dem engadinischen «quist» usw. und dem<br />

surselvischen «quest» usw. identisch ist, gibt es zwar auch, aber<br />

es wird nur bei Zeitangaben verwendet:<br />

chesta seira = heute Abend, diesen Abend<br />

chest onn<br />

= dieses Jahr<br />

Zugleich kann es auch einen Ärger oder eine negative<br />

Bewertung ausdrücken:<br />

Chest om/chesta donna è veiramaing en/ena .…<br />

Dieser Mann/diese Frau ist wahrhaftig ein/eine .…<br />

Mit all diesen Formen können die ersten einfachen Sätze<br />

gebildet werden:<br />

61


Das ist das Haus jenes Mannes.<br />

Chegl è la tgesa da tschegl om.<br />

Das sind die Hunde jener Frau.<br />

Chegls èn igls tgangs da tschella femna.<br />

Da «è» ein Vokal ist, stehen hier „chegl“ und „chegls“; sie können<br />

sich also auch auf „è“ und „èn“ beziehen.<br />

Die Relativpronomina<br />

Obwohl dieses Pronomen, das zwei Sätze direkt miteinander<br />

verbindet, eigentlich mehr zum Bereich der Verben gehört, stelle<br />

ich es schon hier vor, weil es eng mit „chel“ usw. und zudem mit<br />

der Deklination der Substantive zusammenhängt.<br />

Die beiden Standardwörter sind „tgi“ im Nominativ und „tge“ im<br />

Akkusativ, während der Genitiv mit „dil cal“ usw. und der Dativ<br />

mit „al cal“ usw. umschrieben werden müssen. Dabei wird bei<br />

«tgi» und «tge» im Gegensatz zum Deutschen das Komma<br />

weggelassen, wie es den romanischen Sprachen entspricht.<br />

Nominativ<br />

Das ist der Mann, der mich liebt.<br />

Chegl è igl om tgi ma carezz.<br />

Das ist die Frau, die mich liebt.<br />

Chella è la femna tgi ma carezz.<br />

62


Das sind die Männer die mich lieben.<br />

Chegls èn igls omens tgi ma carezzan.<br />

Das sind die Frauen, die mich lieben.<br />

Chellas èn las femnas tgi ma carezzan.<br />

Anstelle von „tgi“ - und «tge» im Akkusativ - ist es auch möglich,<br />

die komplizierteren Varianten „igl cal“, „la cala“, „igls cals“ und<br />

„las calas“ zu verwenden, aber sie wirken sogar noch<br />

schwerfälliger als die deutschen „welcher“ und „welche“ und<br />

kommen <strong>des</strong>halb fast nur in der Schriftsprache vor. Wenn sie<br />

verwendet werden, muss wie im Deutschen ein Komma stehen:<br />

Chegl è igl om, igl cal ma carezz.<br />

Chella è la femna, la cala ma carezz.<br />

Chegls èn igls omens, igls cals ma carezzan.<br />

Chellas èn las femnas, las calas ma carezzan.<br />

Das ist der Mann, den ich liebe.<br />

Akkusativ<br />

Chegl è igl om tge ia carezz (….igl cal ia carezz).<br />

Das ist die Frau, die ich liebe.<br />

Chella è la femna tge ia carezz (….la cala ia carezz).<br />

Das sind die Männer, die ich liebe.<br />

Chegls èn igls omens tge ia carezz (….igls cals ia carezz).<br />

63


Das sind die Frauen, die ich liebe.<br />

Chellas èn las femnas tge ia carezz (….las calas ia carezz).<br />

Dativ<br />

Jetzt wird es ein wenig komplizierter, aber wer sich in den<br />

romanischen Schwestersprachen wie im Italienischen oder<br />

Französischen gut auskennt, hat hier keine Schwierigkeiten:<br />

Das ist der Mann, dem ich das Buch gebe.<br />

Chegl è igl om, agl cal ia dung igl co<strong>des</strong>ch.<br />

Das ist die Frau, der ich das Buch gebe.<br />

Chella è la femna, alla cala ia dung igl co<strong>des</strong>ch.<br />

Das sind die Männer, denen ich das Buch gebe.<br />

Chels èn igls omens, agls cals ia dung igl co<strong>des</strong>ch.<br />

Das sind die Frauen, denen ich das Buch gebe.<br />

Chellas èn las femnas, allas calas ia dung igl co<strong>des</strong>ch.<br />

Genitiv<br />

Das ist der komplizierteste Bereich, <strong>des</strong>halb bringe ich ihn erst<br />

am Schluss dieses Kapitels:<br />

Das ist der Mann, <strong>des</strong>sen Ehefrau ich kenne.<br />

Chegl è igl om, digl cal ia canosch la consorta.<br />

64


Das ist die Frau, deren Ehemann ich kenne.<br />

Chella è la femna, dalla cala ia canosch igl consort.<br />

Das sind die Männer, deren Kinder ich kenne.<br />

Chels èn igls omens, digls cals ia canosch igls unfants.<br />

Das sind die Frauen, deren Kinder ich kenne.<br />

Chellas èn las donnas, dallas calas ia canosch igls unfants.<br />

Eigentlich lauten die Übersetzungen wörtlich so:<br />

Das ist der Mann, von dem ich die Ehefrau kenne.<br />

Das ist die Frau, von der ich den Ehemann kenne.<br />

Das sind die Männer, von denen ich die Kinder kenne.<br />

Das sind die Frauen, von denen ich die Kinder kenne.<br />

Zusammengefasst sind die surmeirischen Relativpronomina<br />

diese:<br />

Nominativ: tgi (igl cal, la cala, igls cals, las calas)<br />

Akkusativ : tge (igl cal, la cala, igls cals, las calas)<br />

Dativ<br />

Genitiv<br />

: agl cal, alla cala, agls cals, allas calas<br />

: digl cal, dalla cala, digls cals, dallas calas<br />

Im Französischen, Italienischen, Spanischen und<br />

Portugiesischen, die dem <strong>Surmeirischen</strong> in diesem Bereich<br />

besonders nahestehen, sind die entsprechenden Ausdrücke<br />

diese:<br />

65


lequel, laquelle, lesquels, lesquelles<br />

auquel, à laquelle, auxquels, auxquelles<br />

duquel, de laquelle, <strong>des</strong>quels, <strong>des</strong>quelles<br />

il quale, alla quale, i quali, le quali<br />

al quale, alla quale, ai quali, alle quali<br />

del quale, della quale, dei quali, delle quali<br />

el cual, la cual, los cuales, las cuales<br />

al cual, a la cual, a los cuales, a las cuales<br />

del cual, de la cual, de los cuales, a las cuales<br />

o qual, a qual, os quais, as quais<br />

ao qual, à qual, aos quais, às quais<br />

do qual, da quala, dos quais, das quais<br />

66


Die Adjektive (Eigenschaftswörter)<br />

Diese Wörter drücken aus, wie jemand oder etwas beschaffen<br />

ist. Genau wie bei den Substantiven und Demonstrativpronomina<br />

gibt es für beide Geschlechter nur je zwei Formen. Wie in den<br />

anderen romanischen Sprachen stehen die meisten Adjektive<br />

hinter den Substantiven, auf die sie sich beziehen, und genauso<br />

wie in den Schwestersprachen stehen jene, die nicht zu den<br />

Ausnahmen zählen, nur dann davor, wenn sie nuanciert etwas<br />

anderes meinen. Diese Gemeinsamkeit, die sich schon im Latein<br />

zeigte, ist also über all die Jahrhunderte hinweg in der ganzen<br />

Romania erhalten geblieben, wie die Länder zwischen Portugal<br />

und Rumänien, in denen die romanischen Sprachen<br />

vorherrschen, manchmal auch genannt werden.<br />

Es gibt drei Gruppen von Adjektiven:<br />

1. Die ganz wenigen, die immer vor den Substantiven stehen:<br />

en begl om *<br />

ein schöner Mann<br />

ena bella donna eine schöne Frau<br />

begls omens * schöne Männer<br />

bellas donnas schöne Frauen<br />

en tger om<br />

ena tgera donna<br />

tgers omens<br />

tgeras donnas<br />

ein lieber Mann<br />

eine liebe Frau<br />

liebe Männer<br />

liebe Frauen<br />

67


en bung bab<br />

ena buna mamma **<br />

bungs babs<br />

bunas mammas **<br />

ein guter Vater<br />

eine gute Mutter<br />

gute Väter<br />

gute Mütter<br />

* Auch die Adjektive passen sich in der Schreibweise lautlich an.<br />

Deshalb wird nicht «bel» und «bels» geschrieben, sondern<br />

«begl» und «begls».<br />

** Die weiblichen Formen von «bung» sind also nicht «bunga»<br />

und «bungas», sondern «buna» und «bunas» wie in den anderen<br />

rätoromanischen Schwestersprachen.<br />

2. Etwa zehn, die sowohl davor als auch dahinter stehen können.<br />

Wenn sie davorstehen, werden sie besonders betont oder<br />

drücken eine Gefühlsregung aus, während sie dahinter eine<br />

gewöhnliche, nüchterne Aussage machen:<br />

en co<strong>des</strong>ch grond<br />

en grond co<strong>des</strong>ch<br />

ein grosses Buch (nüchtern)<br />

(wie oben, aber gefühlsbetont)<br />

ena tgesa gronda<br />

ena gronda tgesa<br />

ein grosses Haus (nüchtern)<br />

(wie oben, aber gefühlsbetont)<br />

en om grondious<br />

en grondious om<br />

ein grossartiger Mann (nüchtern)<br />

(wie oben, aber gefühlsbetont)<br />

68


ena donna grondiousa<br />

ena grondiousa donna<br />

eine grossartige Frau (nüchtern)<br />

(wie oben, aber gefühlsbetont)<br />

Genauso geht es auch mit den paar anderen Adjektiven:<br />

en pled veir,<br />

ein wahres Wort<br />

en veir pled<br />

en co<strong>des</strong>ch fantastic, ein fantastisches Buch<br />

en fantastic co<strong>des</strong>ch<br />

In Verbindung mit Personen wird mit "grond" genauso wie in den<br />

anderen romanischen Sprachen unterschieden, ob jemand<br />

körperlich gross ist oder als geistig und seelisch gross eingestuft<br />

wird:<br />

en om grond<br />

en grond om<br />

ein grosser Mann (körperlich)<br />

ein grosser Mann (geistig)<br />

ena donna gronda<br />

ena gronda donna<br />

eine grosse Frau (körperlich)<br />

eine grosse Frau (geistig)<br />

Mit "bung" (gut) ist besondere Vorsicht geboten, wenn es mit<br />

"om" verbunden wird. Genauso wie in allen anderen<br />

romanischen Sprachen wird mit "bung" oft auch Ironie<br />

ausgedrückt - und damit auch die Möglichkeit, einen anderen<br />

ungewollt zu beleidigen. Diese Nuancierung, die schon vor 2'000<br />

Jahren im Römischen Reich vor allem im Vulgärlatein<br />

vorherrschte, von dem alle heutigen romanischen Sprachen<br />

direkt abstammen, ist also ebenfalls bis heute erhalten<br />

69


geblieben. "Bung" kann bei einer nüchternen Aussage immer<br />

auch hinten stehen, aber meistens steht es vorn, nur bei "om"<br />

nicht:<br />

en om bung<br />

en bung om<br />

ein guter Mann<br />

ein Männchen, ein Irgendwer<br />

3. Die meisten Adjektive und sowieso alle, die Farben,<br />

Nationalitäten, Religionszugehörigkeit und politische Begriffe<br />

ausdrücken, stehen dahinter:<br />

en co<strong>des</strong>ch cotschen<br />

ena brev alva<br />

en om svizzer<br />

ena donna franzosa<br />

en bab protestant<br />

ena mamma catolica<br />

en paeis democratic<br />

ena patria republicana<br />

ein rotes Buch<br />

ein weisser Brief<br />

ein Schweizer Mann<br />

eine französische Frau<br />

ein protestantischer Vater<br />

eine katholische Mutter<br />

ein demokratisches Land<br />

eine republikanische Heimat<br />

Wie oben gesehen werden kann, werden die Adjektive in einer<br />

Satzaussage je nach Geschlecht und Anzahl verändert:<br />

Dieser Mann ist gut.<br />

Diese Frau ist gut.<br />

Chegl om è bung.<br />

Chella donna è buna.<br />

Diese Männer sind gut.<br />

Diese Frauen sind gut.<br />

Chegls omens èn bungs.<br />

Chellas donnas èn bunas.<br />

70


Dieser Mann ist gross.<br />

Diese Frau ist gross.<br />

Chegl om è grond.<br />

Chella donna è gronda.<br />

Diese Männer sind gross.<br />

Diese Frauen sind gross.<br />

Chegls omens èn gronds.<br />

Chellas donnas èn grondas.<br />

Auch bei den Adjektiven kann mit den Endungen, die ich oben<br />

bei den Substantiven und Adjektiven aufgeführt habe,<br />

vergrössert oder verkleinert werden:<br />

bel, bella<br />

igl bellun<br />

la belletta<br />

la bellina<br />

tger, tgera<br />

igl tgerun<br />

la tgeretta<br />

la tgerina<br />

schön<br />

der grosse schöne<br />

die kleine schöne<br />

die niedliche (kleine) schöne<br />

teuer<br />

der grosse teure<br />

die kleine teure<br />

die niedliche (kleine) teure<br />

Wichtige Eigenschaftswörter<br />

Hier kommt eine kleine Liste der wichtigsten Adjektive, die<br />

Gegensätze ausdrücken:<br />

breit lartg, largia; schmal stigl,stiglia<br />

lo, lada<br />

dünn stigl, stiglia dick gross, grossa *<br />

71


fröhlich allegher, traurig, trest, tresta **<br />

allegra;<br />

led, leda<br />

gross grond, gronda klein pitschen, pitschna<br />

hoch ot, ota tief profond, profonda<br />

lang lung, lunga kurz curt, curta<br />

mager maier, maira fett grass, grassa *<br />

schnell spert, sperta; langsam plang, plana<br />

svelt, svelta<br />

* Im <strong>Surmeirischen</strong> wird im Gegensatz zu den meisten anderen<br />

romanischen Sprachen streng zwischen «dick» und «fett»<br />

unterschieden:<br />

dick = gross, grossa<br />

fett = grass, grassa<br />

** Bei den Wörtern, die von «trest» abgeleitet werden, steht ein<br />

«i»:<br />

Trauer, Traurigkeit = tristezza<br />

72


Die Farben<br />

blau<br />

gelb<br />

grau<br />

grün<br />

rot<br />

schwarz<br />

violett<br />

weiss<br />

blo, blava<br />

mellen, melna<br />

grisch, grischa;<br />

greisch, greischa<br />

verd, verda<br />

cotschen, cotschna<br />

neir, neira<br />

violet, violetta<br />

alv, alva<br />

Steigern und Vergleichen<br />

Wie in allen anderen romanischen Sprachen erfolgt die<br />

Steigerung eines Adjektivs auch im <strong>Surmeirischen</strong> nach dem<br />

Muster "mehr" und "mehr plus bestimmter Artikel":<br />

Positiv: bel schön<br />

Komparativ: pi bel<br />

schöner<br />

(erste Steigerungsstufe)<br />

Superlativ: igl bi bel am schönsten, der schönste<br />

(zweite Steigerungsstufe)<br />

73


Auch hier richten sich die gesteigerten Adjektive natürlich nach<br />

dem Geschlecht und der Zahl:<br />

igls pi bels (m. Pl.), la pi bella (f. Sg.), las pi bellas (f. Pl.)<br />

Das gilt auch für die anderen Kasus:<br />

digl/agl pi bel, dalla/alla pi bella -<br />

digls/agls pi bels, dallas/allas pi bellas<br />

Ein paar wenige Adjektive haben neben den regelmässig<br />

gesteigerten Varianten auch noch diese:<br />

bung gut pitschen klein<br />

migler besser minder kleiner<br />

igl migler am besten, igl minder am kleinsten,<br />

der beste<br />

der kleinste<br />

Verglichen wird mit "tgi" (als) und "scu" (wie):<br />

Peter ist grösser als Arthur.<br />

(Igl) Peder è pi grond tgi (igl) Duri.<br />

Diese Frau ist grösser und stärker als ihr Ehemann.<br />

Chella donna è pi gronda e pi ferma tgi igl sies consort.<br />

Ursula ist grösser als Elena, aber Elena ist stärker als sie.<br />

(L’)Ursula è pi gronda tgi (l’)Elena, ma (l‘)Elena è pi ferma tgi<br />

ella.<br />

74


Hans ist kleiner als Ursula und Elena, aber beide lieben ihn.<br />

(Igl) Gion è pi pischen tgi (l’)Ursula e (l‘)Elena, ma tots dus egl<br />

carezzan. (auch …. ma tots dus egl aman)<br />

Ursula ist für Hans so liebenswert und teuer wie Elena.<br />

(L‘)Ursula è per (igl) Gion schi amaivla e tgera scu (l‘)Elena.<br />

Dieser Mann ist der beste von allen.<br />

Chegl om è igl meglier da tots.<br />

Er ist so schnell wie ein Pferd.<br />

Il è schi spert scu en tgaval.<br />

Mit dem Wort «manc» (weniger) kann gewissermassen nach<br />

unten ebenfalls gesteigert werden:<br />

bel<br />

manc bel<br />

igl manc bel<br />

schön<br />

weniger schön<br />

am wenigsten schön,<br />

der am wenigsten schöne<br />

ot<br />

manc ot<br />

igl manc ot<br />

hoch<br />

weniger hoch<br />

am wenigsten hoch,<br />

der am wenigsten hohe<br />

75


Noch ein paar Beispiele:<br />

Mein Vater ist der beste von allen.<br />

Mies bab è igl migler da tots.<br />

Meine Mutter ist die beste von allen.<br />

Mia mamma è la miglera da tots.<br />

Meine Eltern sind die besten von allen.<br />

Igls mies genitours èn igls miglers da tots.<br />

Meine Schwestern sind die besten von allen.<br />

Las mias soras èn las migleras da tots.<br />

Auch für „viel“ und „wenig“ gibt es drei Steigerungsstufen:<br />

viel : bler wenig : pac<br />

mehr : daple weniger : minder<br />

am meisten: igl daple am wenigsten: igl minder<br />

(wie oben bei<br />

«am kleinsten»<br />

und «der<br />

kleinste»)<br />

76


Das Adverb (Umstandswort)<br />

Das Wort, das ausdrückt, wie etwas getan wird, bezeichnet man<br />

als Adverb. Im Gegensatz zum Deutschen, wo es keine eigenen<br />

Adverbformen gibt, werden die meisten surmeirischen Adverbien<br />

wie bei allen anderen romanischen Sprachen mit Ausnahme <strong>des</strong><br />

Rumänischen nach dem aus dem Vulgärlatein stammenden<br />

Muster "weibliches Adjektiv plus die Endung -mente" gebildet.<br />

Allerdings lautet die surmeirische Adverbendung nicht "-mente"<br />

wie im Italienischen, Spanischen und Portugiesischen und auch<br />

nicht "-ment" wie im Französischen und Katalanischen, sondern<br />

"-maintg", das nach den oben angegebenen Ausspracheregeln<br />

wie "maintsch" ausgesprochen wird.<br />

Der Mann ist froh.<br />

Igl om è allegher.<br />

Der Mann macht das froh.<br />

(Adverb und Adjektiv also identisch)<br />

Igl om fo chel allegramaintg.<br />

Auch die Adverbien können gesteigert werden:<br />

Peter macht das fröhlicher als Arthur.<br />

(Igl) Peider fo chel pi allegramaintg tgi (igl) Duri.<br />

Peter macht das am fröhlichsten von allen.<br />

(Igl) Peider fo chel igl pi allegramaintg da tots.<br />

Es gibt nur wenige Adverbien, die ihre eigenen Formen haben,<br />

die ebenfalls noch aus dem Latein stammen. Die bekanntesten<br />

sind "bagn" (gut) und «mal» (schlecht):<br />

77


Diese Frau ist gut.<br />

Diese Frau singt gut.<br />

Diese Frau singt besser.<br />

Diese Frau singt am<br />

Chella donna è buna.<br />

Chella donna canta bagn.<br />

Chella donna canta migler.<br />

Chella donna canta igl pi migler.<br />

Diese Frau ist schlecht.<br />

Diese Frau singt schlecht.<br />

Diese Frau singt schlechter.<br />

Diese Frau singt am<br />

schlechtesten.<br />

Chella donna è schletta.<br />

Chella donna canta mal.<br />

Chella donna canta pi mal.<br />

Chella donna canta il pi mal.<br />

Daneben gibt es auch noch „malamaintg“, das direkt vom<br />

vulgärlateinischen „mala mente“ (wörtlich: in schlechtem Geist)<br />

abstammt - in der Schriftsprache, die in den Schulen unterrichtet<br />

wird, heisst es wie im Italienischen „male“ - und in dieser Form in<br />

keiner anderen romanischen Sprache noch vorkommt. Das<br />

Gleiche gilt für „grondamaintg“, aber auch „bunamaintg“ ist<br />

immer noch korrekt.<br />

78


Die Personalpronomina<br />

(Die persönlichen Fürwörter)<br />

Nominativ Genitiv Dativ Akkusativ<br />

ich ia da me a me, me,<br />

am * am *<br />

du te da tè a tè, tè,<br />

at * at *<br />

er el dad el ad el, el,<br />

igl * igl *<br />

sie ella dad della ad ella, ella,<br />

la * la *<br />

es i, igl ** dad igl ad igl, i, igl,<br />

igl * igl *<br />

man ins - ad ins ins<br />

wir nous, da nous a nous, nous,<br />

nusoters ans ** ans **<br />

ihr vous, da vous a vous, vous,<br />

vusoters az * az *<br />

sie els dad els ad els, els,<br />

(m. Pl.) igls * igls *<br />

sie ellas dad ellas ad ellas, ellas,<br />

(f. Pl.) las * las *<br />

79


Sie Vous da Vous a Vous Vous<br />

Els dad Els ad Els Els<br />

Wie wir sehen können, gibt es für die erste und zweite Person<br />

Mehrzahl zwei Varianten, aber es kann schon in dieser Tabelle<br />

erkannt werden, dass „nusoters“ und „vusoters“ nur im Nominativ<br />

erlaubt sind. Mit diesen beiden Wörtern steht das Surmeirische<br />

in der romanischen Welt keineswegs allein da, weil auch das<br />

Südsardische (bosatrus, bosatras: nur für „ihr“), das<br />

Katalanische (nosaltres, vosaltres - für beide Geschlechter), das<br />

Spanische oder Kastilianische (nosotros, nosotras - vosotros,<br />

vosotras) sowie bei einer besonderen Betonung auch noch das<br />

Italienische (noi altri, voi altri) und Französische (nous autres,<br />

vous autres) diese Varianten kennen.<br />

Das zweite Höflichkeitswort „Els“, das im benachbarten Engadin<br />

noch häufig vorkommt - zusammen mit dem weiblichen Wort<br />

„Ellas“ sowie mit den Einzahlwörtern „El“ und „Ella“ -, wird heute<br />

fast nur noch für die wenigen Geistlichen verwendet, die im<br />

streng katholischen surmeirischen Sprachgebiet immer noch<br />

Respektspersonen sind. Dabei stehen die mit ihnen<br />

verbundenen Verben in der dritten Person Mehrzahl, während<br />

„Vous“ wie „vous“ und „vusoters“ in der zweiten Person Mehrzahl<br />

steht:<br />

Sie sind gut.<br />

Vous/vusoters ischas bungs.<br />

Els èn bungs.<br />

Sie haben Glück.<br />

Vous/vusoters vez cletg/furtegna/vanteira.<br />

Els on cletg/furtegna/vanteira.<br />

80


Es gibt also gleich drei Wörter für «Glück» - und erst noch<br />

exklusiv klingende.<br />

Um Verwechslungen mit „te“ zu vermeiden, steht über diesem<br />

Wort im Genitiv, Dativ und Akkusativ ein Gravis, also „tè“.<br />

* Diese gehören zur literarischen Sprache und werden als<br />

indirekte Personalpronomina der romanischen Wortfolge<br />

bezeichnet, während die längeren Varianten mit „a“ und „ad“ (a<br />

me, a tè usw.) als solche der Umgangssprache gelten und der<br />

deutschen Wortfolge genannt werden.<br />

Ein paar Beispiele zeigen, wie das gemeint ist:<br />

Ich gebe dir dieses Buch.<br />

Wir lieben sie (unsere Mutter).<br />

Ia dung chel co<strong>des</strong>ch a tè.<br />

Ia dung a tè chel co<strong>des</strong>ch.<br />

Ia at dung chel co<strong>des</strong>ch.<br />

Nous carezzagn ella.<br />

Nous la carezzagn.<br />

Ich liebe sie (meine Schwestern). Ia carezz ellas.<br />

Ia las carezz.<br />

In der Umgangssprache kann der Dativ sowohl mitten im Satz<br />

als auch am Satzende stehen, ohne dass die eine oder andere<br />

Variante eine besondere Betonung enthält.<br />

** Während „i“ bei „es“ immer vor einem Konsonanten steht,<br />

kommt „igl“ vor einem Vokal zum Zug:<br />

I plova = es regnet.<br />

I plueva = es regnete.<br />

I vo bagn uscheia = es geht so gut.<br />

Igl es bung uscheia = es ist gut so.<br />

81


Wenn ein Dativ- und ein Akkusativpronomen im gleichen Satz<br />

miteinander verbunden werden, gibt es gleich drei mögliche<br />

Varianten:<br />

Ich gebe es dir (das Buch).<br />

Ia at dung igl.<br />

Ia igl dung a tè.<br />

Ia dung el a tè.<br />

Wir geben sie (die Blume) ihm.<br />

Nous igl dagn ella.<br />

Nous ella dagn ad el.<br />

Nous dagn ella ad el.<br />

Die beiden oberen Varianten, die mit den beiden im<br />

Engadinischen identisch sind, gelten als besser, aber ich selbst<br />

ziehe die unterste vor, weil sie am einfachsten zu bilden ist und<br />

zudem strukturmässig mit der surselvischen Schwestersprache<br />

übereinstimmt.<br />

Die Possessivpronomina<br />

(Die besitzanzeigenden Fürwörter)<br />

Einzahl:<br />

Mehrzahl:<br />

mein igl mies meine igls mies<br />

meine la mia las mias<br />

dein igl ties deine igls ties<br />

deine la tia las tias<br />

sein igl sies seine igls sies<br />

seine la sia las sias<br />

ihr igl sies ihre igls sies<br />

ihre la sia las sias<br />

82


unser igl noss unsere igls noss<br />

unsere la nossa las nossas<br />

euer igl voss eure igls voss<br />

eure la vossa las vossas<br />

ihr igl lour * ihre igls lour<br />

ihre la lour las lour<br />

Ihr igl Voss, Ihre igls Voss,<br />

la Vossa<br />

las Vossas<br />

igl Lour<br />

igls Lour<br />

la Lour<br />

las Lour<br />

* "Lour" ist als einziges Possessivpronomen in der Einzahl und<br />

Mehrzahl sowie in beiden Geschlechtern unveränderlich. Das<br />

hat das Surmeirische sowohl mit den rätoromanischen<br />

Schwestersprachen als auch mit dem Italienischen, Friaulischen,<br />

Sardisch und Rumänischen gemeinsam, wobei im<br />

letztgenannten alles hinten angehängt wird.<br />

Vorsicht: Bei der zweiten und dritten Person heisst es nicht «tua»<br />

oder «sua» wie in den meisten anderen romanischen Sprachen,<br />

sondern tatsächlich «tia» und «sia». Wenn ein Genitiv oder Dativ<br />

zum Zug kommt, wird überall einfach ein «da» oder «a» mit den<br />

entsprechenden Varianten davorgesetzt.<br />

Da die Possessivpronomina in allen romanischen Sprachen<br />

ganz im Gegensatz zu den germanischen sich immer auf das<br />

Wort beziehen, werden (m.) und (f.) oben nicht angegeben.<br />

Ein kleines Beispiel:<br />

Das ist sein Haus.<br />

Quegl è la sia tgesa.<br />

Das ist ihr Haus.<br />

Quegl è la sia tgesa.<br />

83


Beide Varianten sind also identisch.<br />

Im Gegensatz zu den rätoromanischen Schwestersprachen,<br />

aber genauso wie im Italienischen, Friaulischen, Katalanischen<br />

und Portugiesischen sowie im Rumänischen - im letztgenannten<br />

werden die bestimmten Artikel jedoch hinten angehängt - ist im<br />

<strong>Surmeirischen</strong> die Verwendung <strong>des</strong> bestimmten Artikels<br />

zusammen mit dem Possessivpronomen obligatorisch. Genauso<br />

wie in den vier gerade erwähnten vier westlichen<br />

Schwestersprachen kann dieser aber bei Personen, die zur<br />

Familie oder Verwandtschaft gehören, weggelassen werden:<br />

Das ist mein Buch.<br />

Chel è igl mies co<strong>des</strong>ch.<br />

Das ist meine Blume.<br />

Chella è la mia flour.<br />

Aber:<br />

Das ist mein Vater.<br />

Chel è mies bab.<br />

Das ist meine Mutter.<br />

Chella è mia mamma.<br />

In der Mehrzahl ist aber genauso wie in den anderen oben<br />

erwähnten romanischen Schwestersprachen die Verwendung<br />

<strong>des</strong> bestimmten Artikels auch bei Angehörigen und Verwandten<br />

obligatorisch - und nicht nur in der Schriftsprache, sondern auch<br />

in der Umgangssprache:<br />

Das sind meine Brüder.<br />

Chels èn igls mies frars.<br />

Das sind meine Schwestern.<br />

Chellas èn las mias soras.<br />

Wenn ein Possessivpronomen am Schluss einer Satzaussage<br />

steht und dabei nicht mit einem Substantiv oder Adjektiv<br />

verbunden wird, ist der bestimmte Artikel ebenfalls obligatorisch:<br />

84


Das ist der meine, das ist meiner.<br />

Das ist die deine, das ist deine.<br />

Das sind eure.<br />

Chegl è igl mies.<br />

Chegl/chella è la tia.<br />

Chegl/chegls èn igls<br />

voss (m.).<br />

Chegl/chellas èn las<br />

vossas (f.).<br />

Dabei kann «chegl» auch bei weiblichen Wörtern und in der<br />

Mehrzahl am Satzanfang stehen, weil es einen ganzen Satz<br />

einleitet.<br />

In der Einzahl können bei den männlichen Wörtern - aber nur bei<br />

diesen - auch diese drei Varianten stehen, die allerdings selten<br />

gesagt und geschrieben werden: Igl mia, igl tia, igl sia.<br />

Das ist meiner, das ist der meinige.<br />

Das ist deiner, das ist der deinige.<br />

Das ist seiner/ihrer, das ist der<br />

seinige/der ihrige<br />

Chegl è igl mies/igl mia.<br />

Chegl è igl ties/igl tia.<br />

Chegl è igl sies/igl sia.<br />

Da „lour“ unveränderlich ist, kommt es tatsächlich in allen<br />

möglichen Varianten vor:<br />

Das ist ihr Buch.<br />

Chegl è igl lour co<strong>des</strong>ch.<br />

Das ist ihre Blume.<br />

Chegl/chella è la lour flour.<br />

Das sind ihre Bücher.<br />

Chegl/chegls èn igls lour co<strong>des</strong>chs.<br />

85<br />

Das sind ihre Blumen.<br />

Chegl/chellas èn las lour<br />

flours.


Sein und Haben in allen Zeiten<br />

Da diese beiden Verben so wie in fast allen anderen Sprachen<br />

die meistverwendeten und <strong>des</strong>halb wichtigsten sind und zudem<br />

in den romanischen Sprachen auch noch für die sogenannten<br />

zusammengesetzten Zeiten wie das Perfekt (Vorgegenwart), das<br />

Plusquamperfekt (Vorvergangenheit) und das Futur II<br />

(Vorzukunft) gebraucht werden, stelle ich die Formen für "esser"<br />

(sein) und "aveir" (haben) in einem eigenen Kapitel vor, zunächst<br />

die Formen im Präsens (Gegenwart) und Imperfekt (Einfache<br />

Vergangenheit), die so wie fast überall auch hier besonders oft<br />

vorkommen.<br />

ich bin<br />

du bist<br />

er ist<br />

sie ist<br />

1. Präsens (Gegenwart)<br />

ia sung<br />

te ist<br />

el è<br />

ella è<br />

es ist igl è, gl’è *<br />

man ist<br />

wir sind<br />

ihr seid<br />

sie sind (m.)<br />

sie sind (f.)<br />

Sie sind<br />

ins è<br />

nous ischan,<br />

nusoters ischan<br />

vous ischas,<br />

vusoters ischas<br />

els èn<br />

ellas èn<br />

Vous ischas,<br />

Els èn<br />

86


ich habe<br />

ia va<br />

du hast<br />

te ast<br />

er hat<br />

el ò<br />

sie hat<br />

ella ò<br />

es hat igl ò, gl’ò *<br />

man hat<br />

ins ò<br />

wir haben<br />

nous vagn,<br />

nusoters vagn<br />

ihr habt<br />

vous vez,<br />

vusoters vez<br />

sie haben (m.) els on<br />

sie haben (f.) ellas on<br />

Sie haben<br />

Vous vez,<br />

Els on<br />

* Die verkürzten Varianten «gl’è» und «gl’ò», die im mündlichen<br />

Gebrauch sowieso immer so gesagt werden, kommen nicht nur<br />

in der Literatursprache oft auch geschrieben so vor.<br />

Auch hier wird natürlich zwischen den beiden Geschlechtern<br />

unterschieden:<br />

Du bist gut (m.).<br />

Te ist bung.<br />

Du bist gut (f.).<br />

Te ist buna.<br />

Sie sind gut (m.).<br />

Els èn bungs.<br />

Sie sind gut (f.).<br />

Ellas èn bunas.<br />

87


Die beiden Formen von „esser“ in der dritten Personen Einzahl<br />

und Mehrzahl (è, èn) sind die gleichen, die Heinrich Schmid für<br />

das Rumantsch Grischun auswählte, weil er sie zwischen den<br />

krassen surselvischen und engadinischen Gegenpolen (ei, ein -<br />

es, sun) als die beste Kompromisslösung angesehen hat.<br />

2. Imperfekt (Einfache Vergangenheit)<br />

Im Imperfekt, wie die einfache Vergangenheit in der Fachsprache<br />

bezeichnet wird, lauten die beiden Konjugationen von "esser"<br />

und "aveir" so:<br />

ich war<br />

du warst<br />

er war<br />

sie war<br />

ia era<br />

te eras<br />

el era<br />

ella era<br />

es war igl era, gl’era *<br />

man war<br />

wir waren<br />

ihr wart<br />

sie waren (m.)<br />

sie waren (f.)<br />

Sie waren<br />

ins era<br />

nous eran,<br />

nusoters eran<br />

vous eras,<br />

vusoters eras<br />

els eran<br />

ellas eran<br />

Vous eras,<br />

Els eran<br />

88


ich hatte<br />

du hattest<br />

er hatte<br />

sie hatte<br />

es hatte<br />

man hatte<br />

wir hatten<br />

ihr hattet<br />

sie hatten (m.)<br />

sie hatten (f.)<br />

Sie hatten<br />

ia veva<br />

te vevas<br />

el veva<br />

ella veva<br />

i veva<br />

ins veva<br />

nous vevan,<br />

nusoters vevan<br />

vous vevas,<br />

vusoters vevas<br />

els vevan<br />

ellas vevan<br />

Vous vevas,<br />

Els vevan<br />

* Auch hier kann die verkürzte Variante «gl’era» oft auch im<br />

schriftlichen Gebrauch gesehen werden.<br />

3. Futur I (Einfache Zukunft)<br />

Das Futur I, wie die einfache Zukunft in der Fachsprache heisst,<br />

hat zwei verschiedene Varianten:<br />

ia saro ich werde sein ia niro ad esser<br />

te sarossas du wirst sein te nirossas ad esser<br />

el saro er wird sein el niro ad esser<br />

ella saro sie wird sein ella niro ad esser<br />

89


i saro es wird sein i niro ad esser<br />

ins saro man wird sein ins niro ad esser<br />

nous saron, wir werden sein nous niron ad esser,<br />

nusoters saron<br />

nusoters niron ad esser<br />

vous sarossas, ihr werdet sein vous nirossas ad esser<br />

vusoters sarossas<br />

vusoters nirossas ad<br />

esser<br />

els saron sie werden sein (m.) els saron ad esser<br />

ellas saron sie werden sein (f.) ellas saron ad esser<br />

Sie werden sein Vous sarossas, Vous nirossas ad esser,<br />

Els saron<br />

Els niron ad esser<br />

ia varo ich werde haben ia niro ad aveir<br />

te varossas du wirst haben te nirossas ad aveir<br />

el varo er wird haben el niro ad aveir<br />

ella varo sie wird haben ella niro ad aveir<br />

i varo es wird haben i niro ad aveir<br />

ins varo man wird haben ins niro ad aveir<br />

nous varon, wir werden haben nous niron ad aveir,<br />

nusoters varon<br />

nusoters niron ad aveir<br />

vous varossas, ihr werdet haben vous nirossas ad aveir,<br />

vusoters varossas<br />

vusoters nirossas ad<br />

aveir<br />

90


els varon sie werden els niron ad aveir<br />

haben (m.)<br />

ellas varon sie werden ellas niron ad aveir<br />

haben (f.)<br />

Vous varossas, Sie werden haben Vous nirossas ad<br />

Els varon<br />

aveir,<br />

Els niron ad aveir<br />

Ausser bei den beiden identischen zweiten Personen (sarossas,<br />

varossas) werden die Futurformen in beiden Varianten immer auf<br />

der letzten Silbe betont. Diese Gemeinsamkeit teilen sie mit den<br />

meisten romanischen Sprachen - die beiden einzigen<br />

Ausnahmen sind das Sardische und das Rumänische, die<br />

andere Futurkonstruktionen aufweisen -, in denen ebenfalls fast<br />

immer die letzte Silbe betont wird, aber anders verteilt, zum<br />

Beispiel im Italienischen in der Mehrzahl:<br />

saremo, sarete, saranno - avremo, avrete, avranno<br />

Im Gegensatz zum Surselvischen, das nur die rechte Variante<br />

kennt, und zum Engadinischen, in dem die linke Variante viel<br />

mehr vorkommt, werden diese beiden im <strong>Surmeirischen</strong> vor<br />

allem in der Schriftsprache etwa gleich oft verwendet. Allerdings<br />

gibt es einen entscheidenden Unterschied: Während im<br />

Surselvischen und Engadinischen die Präsensformen von<br />

„vegnir“ und „gnir“ (kommen) stehen, wird im <strong>Surmeirischen</strong> die<br />

Futurform von „neir“ verwendet, das neben „kommen“ auch noch<br />

„werden“ bedeutet. Da die linke Variante als die klassische gilt<br />

und zudem den beiden benachbarten Schwestersprachen<br />

Italienisch und Französisch viel nähersteht, ist diese<br />

vorzuziehen, aber es gibt dafür keine feste Regel.<br />

91


In den Alltagsgesprächen kommt diese Zeit genauso wie in den<br />

anderen romanischen Sprachen mit Ausnahme <strong>des</strong><br />

Rumänischen mehr in Ausdrücken der Vermutung vor:<br />

Er wird (wohl) dort sein.<br />

Sie wird es (wohl) haben.<br />

El saro lò.<br />

Ella igl varo, ella’gl varo.<br />

4. Perfekt (Vorgegenwart)<br />

ich bin gewesen (m.) ia sung sto *<br />

ich bin gewesen (f.) ia sung stada *<br />

du bist gewesen (m.) te ist sto<br />

du bist gewesen (f.) te ist stada<br />

er ist gewesen<br />

el è sto<br />

sie ist gewesen<br />

ella è stada<br />

es ist gewesen igl è sto, gl’è sto **<br />

man ist gewesen<br />

ins è sto<br />

wir sind gewesen (m.) nous ischan stos,<br />

nusoters ischan stos<br />

wir sind gewesen (f.) nous ischan stadas,<br />

nusoters ischan stadas<br />

ihr seid gewesen (m.) vous ischas stos,<br />

vusoters ischas stos<br />

ihr seid gewesen (f.) vous ischas stadas,<br />

vusoters ischas stadas<br />

sie sind gewesen (m.) els èn stos<br />

sie sind gewesen (f.) ellas èn stadas<br />

92


Sie sind gewesen<br />

Vous ischas stos (m.),<br />

Vous ischas stadas (f.),<br />

Els èn stos (m.)<br />

ich habe gehabt ia va gia ***<br />

du hast gehabt<br />

te ast gia<br />

er hat gehabt<br />

el ò gia<br />

sie hat gehabt<br />

ella ò gia<br />

es hat gehabt<br />

igl ò gia, gl’ò gia<br />

man hat gehabt<br />

ins ò gia<br />

wir haben gehabt<br />

nous vagn gia, nusoters vagn gia<br />

ihr habt gehabt<br />

vous vez gia, vusoters vez gia<br />

sie haben gehabt (m.) els on gia<br />

sie haben gehabt (f.) ellas on gia<br />

Sie haben gehabt<br />

Vous vez gia, Els on gia<br />

* Genauso wie in allen anderen romanischen Sprachen im<br />

mittleren Bereich der Romania muss in den zusammengesetzten<br />

Zeiten beim Verb „esser“ auch im <strong>Surmeirischen</strong> zwischen den<br />

beiden Geschlechtern sowohl in der Einzahl als auch in der<br />

Mehrzahl unterschieden werden, dagegen nicht beim Verb<br />

„aveir“. Nur in den iberischen Sprachen Katalanisch, Spanisch<br />

und Portugiesisch sowie im Rumänischen wird auch das Verb<br />

„sein“ mit den Formen von „haben“ konjugiert. Die einzige<br />

Ausnahme im mittleren Bereich der Romania ist das<br />

französische Verb „être“ (sein), das ebenfalls mit „avoir“ (haben)<br />

konjugiert wird.<br />

93


** Auch „gl’è sto“ wird oft auch so geschrieben.<br />

*** „Gia“ wird „dschía“ ausgesprochen und ist so mit der Variante<br />

im Puter identisch, allerdings wird es dort „gieu“ geschrieben.<br />

Auch hier zeigt es sich wieder einmal, welche Vorteile das<br />

Surmeirische aufweist, in dem man abgesehen von der Endung<br />

„-iun“, die wie oben erwähnt zwar immer „-iung“ ausgesprochen,<br />

aber manchmal auch „-iun“ geschrieben wird, je<strong>des</strong> einzelne<br />

Wort so ausspricht, wie man es schreibt.<br />

4. Plusquamperfekt (Vorvergangenheit)<br />

Beim Plusquamperfekt, das wir in den Schulen als<br />

Vorvergangenheit kennen gelernt haben und das in der<br />

Fachsprache auch als abgeschlossene Vergangenheit<br />

bezeichnet wird, gelten die gleichen Regeln wie im Perfekt:<br />

ich war gewesen (m.)<br />

ich war gewesen (f.)<br />

du warst gewesen (m.)<br />

du warst gewesen (f.)<br />

er war gewesen<br />

sie war gewesen<br />

ia era sto<br />

ia era stada<br />

te eras sto<br />

te eras stada<br />

el era sto<br />

ella era stada<br />

es war gewesen igl era sto, gl’era sto *<br />

man war gewesen<br />

wir waren gewesen (m.)<br />

wir waren gewesen (f.)<br />

ins era sto<br />

nous eran stos,<br />

nusoters eran stos<br />

nous eran stadas,<br />

nusoters eran stadas<br />

94


ihr wart gewesen (m.)<br />

ihr wart gewesen (f.)<br />

sie waren gewesen (m.)<br />

sie waren gewesen (f.)<br />

vous eras stos,<br />

vusoters eras stos<br />

vous eras stadas,<br />

vusoters eras stadas<br />

els eran stos<br />

ellas eran stadas<br />

ich hatte gehabt<br />

du hattest gehabt<br />

er hatte gehabt<br />

sie hatte gehabt<br />

es hatte gehabt<br />

man hatte gehabt<br />

wir hatten gehabt<br />

ihr hattet gehabt<br />

sie hatten gehabt (m.)<br />

sie hatten gehabt (f.)<br />

Sie hatten gehabt<br />

ia veva gia<br />

te vevas gia<br />

el veva gia<br />

ella veva gia<br />

i veva gia<br />

ins veva gia<br />

nous vevan gia, nusoters vevan gia<br />

vous vevas gia, vusoters vevas gia<br />

els vevan gia<br />

ellas vevan gia<br />

Vous vevas gia, Els vevan gia<br />

* Auch hier kann die verkürzte Variante «gl’era sto» oft auch im<br />

schriftlichen Gebrauch gesehen werden.<br />

95


6. Futur II (Vorzukunft)<br />

Genauso wie im Futur I gibt es auch in dieser Zeit die zwei<br />

gleichen Varianten:<br />

ich werde gewesen sein (m.)<br />

ich werde gewesen sein (f.)<br />

du wirst gewesen sein (m.)<br />

du wirst gewesen sein (f.)<br />

er wird gewesen sein<br />

sie wird gewesen sein<br />

es wird gewesen sein<br />

man wird gewesen sein<br />

wir werden gewesen sein (m.)<br />

wir werden gewesen sein (f.)<br />

ihr werdet gewesen sein (m.)<br />

96<br />

ia saro sto,<br />

ia niro ad esser sto,<br />

ia saro stada,<br />

ia niro ad esser stada<br />

te sarossas sto,<br />

te nirossas ad esser sto<br />

te sarossas stada,<br />

te nirossas ad esser stada<br />

el saro sto,<br />

el niro ad esser sto<br />

ella saro stada,<br />

ella niro ad esser stada<br />

i saro sto,<br />

i niro ad esser sto<br />

ins saro sto,<br />

ins niro ad esser sto<br />

nous saron stos,<br />

nous niron ad esser stos<br />

nous saron stadas,<br />

nous niron ad esser stadas<br />

vous sarossas stos,<br />

vous nirossas ad esser stos


ihr werdet gewesen sein (f.)<br />

sie werden gewesen sein (m.)<br />

sie werden gewesen sein (f.)<br />

Sie werden gewesen sein<br />

vous sarossas stadas,<br />

vous nirossas ad esser<br />

stadas<br />

els saron stos,<br />

els niron ad esser stos<br />

ellas saron stadas,<br />

ellas niron ad esser stadas<br />

Vous sarossas stos/stadas,<br />

Vous nirossas ad esser<br />

stos/stadas,<br />

Els saron stos,<br />

Els niron ad esser stos<br />

ich werde gehabt haben<br />

du wirst gehabt haben<br />

er wird gehabt haben<br />

sie wird gehabt haben<br />

es wird gehabt haben<br />

ia varo gia,<br />

ia niro ad aveir gia<br />

te varossas gia,<br />

te nirossas ad aveir gia<br />

el varo gia,<br />

el niro ad aveir gia<br />

ella varo gia,<br />

ella niro ad aveir gia<br />

i varo gia,<br />

i niro ad aveir gia<br />

97


man wird gehabt haben<br />

wir werden gehabt haben<br />

ihr werdet gehabt haben<br />

sie werden gehabt haben (m.)<br />

sie werden gehabt haben (f.)<br />

Sie werden gehabt haben<br />

ins varo gia,<br />

ins niro ad aveir gia<br />

nous varon gia,<br />

nous niron ad aveir gia,<br />

vous varossas gia,<br />

vous varossas ad aveir gia<br />

els varon gia,<br />

els niron ad aveir gia<br />

ellas varon gia,<br />

ellas niron ad aveir gia<br />

Vous varossas gia,<br />

Vous nirossas ad aveir gia,<br />

Els varon gia,<br />

Els niron ad aveir gia<br />

Das sind zwar viele Konjugationsformen auf einmal, aber ich<br />

halte es für gut, dass alle auf einem einzigen Haufen gesehen<br />

werden können, weil sie auf diese Weise auch nach meiner<br />

eigenen Erfahrung viel besser eingeprägt werden können.<br />

Genauso wie das Futur I kommt diese Zeit mehr in Ausdrücken<br />

der Vermutung vor, wobei die kürzere Variante sowohl mündlich<br />

als auch schriftlich viel mehr verwendet wird:<br />

Er wird (wohl) dort gewesen sein.<br />

Sie wird es (wohl) gehabt haben.<br />

El saro sto lò.<br />

Ella igl varo gia,<br />

ella’gl varo gia.<br />

98


In allen drei zusammengesetzten Zeiten, die ich bis jetzt<br />

vorgestellt habe, kommt es also sehr darauf an, ob von einem<br />

Mann, einer Frau, einer Gruppe von Männern oder einer Gruppe<br />

von Frauen die Rede ist. Genauso wie in allen anderen<br />

romanischen Sprachen wird immer die männliche Variante<br />

verwendet, sobald ein männliches Wesen sich in einer Gruppe<br />

befindet, und wenn es auch nur ein kleiner Bub inmitten mehrerer<br />

Frauen ist. Diese Denkweise, die schon im Altertum in allen<br />

Sprachen vorherrschte, die zwischen den beiden Geschlechtern<br />

unterschieden - so auch im Griechischen und Hebräischen -, ist<br />

also bis heute erhalten geblieben, zudem auch in den slawischen<br />

Sprachen und im Albanischen, für die es vor 2'000 Jahren noch<br />

keine eigenen Schriften gab.<br />

Jetzt fehlen nur noch die Konditional- und Konjunktiv-<br />

Konjugationen, die im <strong>Surmeirischen</strong> genauso wie im<br />

Französischen und Engadinischen, aber nicht wie im<br />

Surselvischen mit denen <strong>des</strong> Konditionals identisch sind, aber<br />

nur jene der Vergangenheit. Wer Latein oder eine romanische<br />

Sprache gut kennt, weiss bereits, dass der Konjunktiv im<br />

Deutschen und auch in den anderen germanischen Sprachen<br />

rein formal nicht vorkommt, jedenfalls nicht mit eigenständigen<br />

Konjugationen. Der Konjunktiv wird immer dann verwendet,<br />

wenn ein Wunsch, eine Hoffnung, eine Verpflichtung oder ein<br />

Zweifel ausgedrückt werden sollen, und im <strong>Surmeirischen</strong> mit<br />

"tgi" (dass) oder «schi» (falls, wenn) verbunden.<br />

Im Gegensatz zum Gebrauch der heutigen Zeit, in der zwischen<br />

einem Konditional I und II sowie zwischen einem Konjunktiv I und<br />

II unterschieden wird, was besonders beim Konjunktiv immer<br />

wieder zu Missverständnissen führen kann, halte ich mich an die<br />

früheren Unterteilungen. Diese unterscheiden zwischen einem<br />

Konditional <strong>des</strong> Präsens und <strong>des</strong> Perfekts sowie zwischen einem<br />

Konjunktiv <strong>des</strong> Präsens, <strong>des</strong> Perfekts, <strong>des</strong> Imperfekts und <strong>des</strong><br />

Plusquamperfekts, was auch genau der Denkweise in diesen<br />

Zeiten entspricht. 99


7. Konditional I bzw. Konditional Präsens<br />

ich wäre, ich würde sein ia fiss<br />

du wärst, du wür<strong>des</strong>t sein te fissas<br />

er wäre, er würde sein<br />

el iss<br />

sie wäre, sie würde sein ella fiss<br />

es wäre, es würde sein<br />

i fiss<br />

man wäre, man würde sein ins fiss<br />

wir wären, wir würden sein nous fissan, nusoters fissan<br />

ihr wäret, ihr würdet sein vous fissas, vusoters fissas<br />

sie wären, sie würden sein (m.) els fissan<br />

sie wären, sie würden sein (f.) ellas fissan<br />

ich hätte, ich würde haben<br />

du hättest, du wür<strong>des</strong>t haben<br />

er hätte, er würde haben<br />

sie hätte, sie würde haben<br />

es hätte, es würde haben<br />

man hätte, man würde haben<br />

wir hätten, wir würden haben<br />

ihr hättet, ihr würdet haben<br />

sie hätten, sie würden haben (m.)<br />

sie hätten, sie würden haben (f.)<br />

100<br />

ia vess<br />

te vessas<br />

el vess<br />

ella vess<br />

i vess<br />

ins vess<br />

nous vessan,<br />

nusoters vessan<br />

vous vessas,<br />

vusoters vessas<br />

els vessan<br />

ellas vessan


Sie hätten, Sie würden haben<br />

Vous vessas, Els vessan<br />

8. Konditional II bzw. Konditional Perfekt<br />

ich wäre gewesen (m.) ia fiss sto<br />

ich wäre gewesen (f.) ia fiss stada<br />

du wärst gewesen (m.) te fissas sto<br />

du wärst gewesen (f.) te fissas stada<br />

er wäre gewesen<br />

el fiss sto<br />

sie wäre gewesen<br />

ella fiss stada<br />

es wäre gewesen<br />

i fiss sto<br />

man wäre gewesen ins fiss sto<br />

wir wären gewesen (m.) nous fissan stos,<br />

nusoters fissan stos<br />

wir wären gewesen (f.) nous fissan stadas,<br />

nusoters fissan stadas<br />

ihr wäret gewesen (m.) vous fissas stos,<br />

vusoters fissas stos<br />

ihr wäret gewesen (f.) vous fissas stadas,<br />

vusoters fissas stadas<br />

sie wären gewesen (m.) els fissan stos<br />

sie wären gewesen (f.) ellas fissan stadas<br />

Sie wären gewesen Vous fissas stos/stadas,<br />

Els fissan stos<br />

101


ich hätte gehabt<br />

du hättest gehabt<br />

er hätte gehabt<br />

sie hätte gehabt<br />

es hätte gehabt<br />

man hätte gehabt<br />

wir hätten gehabt<br />

ihr hättet gehabt<br />

sie hätten gehabt (m.)<br />

sie hätten gehabt (f.)<br />

Sie hätten gehabt<br />

ia vess gia<br />

te vessas gia<br />

el vess gia<br />

ella vess gia<br />

i vess gia<br />

ins vess gia<br />

nous vessan gia,<br />

nusoters vessan gia<br />

vous vessas gia,<br />

vusoters vessas gia<br />

els vessan gia<br />

ellas vessan gia<br />

Vous vessas gia, Els vessan gia<br />

Bis hierher ist es noch einfach, aber jetzt kommt es: Sobald<br />

etwas befohlen, gewünscht, erhofft oder bezweifelt wird, kommt<br />

der Konjunktiv zum Zug, für den es im Präsens und Perfekt<br />

eigene Konjugationen gibt.<br />

9. Konjunktiv Präsens<br />

dass ich sei tgi ia seia, tg’ia seia *<br />

dass du seiest<br />

tgi te seias<br />

dass er sei<br />

tgi el seia, tg’el seia<br />

dass sie sei<br />

tgi ella seia, tg’ella seia<br />

dass es sei<br />

tg’i seia<br />

102


dass man sei<br />

dass wir seien<br />

dass ihr seid<br />

dass sie seien (m.)<br />

dass sie seien (f.)<br />

dass Sie seien<br />

tg’ins seia<br />

tgi nous seian,<br />

tgi nusoters seian<br />

tgi vous seias,<br />

tgi vusoters seias<br />

tgi els seian, tg’els seian<br />

tgi ellas seian, tg‘ellas seian<br />

tgi Vous seias,<br />

tgi Els seian, tg’Els seian<br />

dass ich habe tgi ia vegia, tg’ia vegia *<br />

dass du habest<br />

tgi te vegias<br />

dass er habe<br />

tgi el vegia, tg’el vegia<br />

dass sie habe<br />

tgi ella vegia, tg’ella vegia<br />

dass es habe<br />

tg’i vegia<br />

dass man habe<br />

tg’ins vegia<br />

dass wir haben<br />

tgi nous vegian,<br />

tgi nusoters vegian<br />

dass ihr habt<br />

tgi vous vegias,<br />

tgi vusoters vegias<br />

dass sie haben (m.)<br />

tgi els vegian, tg’els vegian<br />

dass sie haben (f.)<br />

tgi ellas vegian, tg‘ellas vegian<br />

dass Sie haben<br />

tgi Vous vegias,<br />

tgi Els vegian, tg’Els vegian<br />

103


Auch diese Abkürzungen sind möglich. Das gilt auch für alle<br />

anderen Varianten, die mit einem Vokal beginnen:<br />

tg’ia, tg’el, tg’ella, tg’i, tg’ins, tg’els, tg‘ellas<br />

Ein paar einfache Beispiele:<br />

Du bist gut.<br />

Ich will, dass du gut bist.<br />

Te ist bung/buna. Ia vi tgi te seias bung/buna.<br />

Du hast ein gutes Herz<br />

Te ast en bung cor.<br />

Ich will, dass du ein gutes Herz hast.<br />

Ia vi tgi te vegias en bung cor.<br />

10./11./12. Konjunktiv Perfekt, Imperfekt und<br />

Plusquamperfekt<br />

Da die Verbformen <strong>des</strong> Konjunktivs im Imperfekt und<br />

Plusquamperfekt mit den beiden <strong>des</strong> Konditionals wie oben<br />

erwähnt identisch sind, steht das Surmeirische im Gegensatz zu<br />

den meisten anderen romanischen Sprachen, aber nicht zum<br />

Engadinischen und Französischen, die ein ähnliches System<br />

haben.<br />

DE: ich war, wäre, ich hatte, ich hätte, ich war gewesen, ich wäre<br />

gewesen, ich hatte gehabt, ich hätte gehabt;<br />

dass ich sei, dass ich habe, dass ich gewesen sei, dass ich<br />

gehabt habe;<br />

wenn ich (gewesen) wäre, wenn ich (gehabt) hätte<br />

104


FR: j’étais, je serais, j’avais, j‘aurais, j’avais été, j’aurais été,<br />

j’avais eu, j’aurais eu;<br />

que je sois, que j’aie, que j’aie été, que j’aie eu;<br />

si j’étais, si j’avais, si j’avais été, si j’avais eu<br />

IT : ero, sarei, avevo, avrei, ero stato/stata, sarei stato/stata,<br />

avevo avuto, avrei avuto;<br />

che io sia, che io abbia, che io sia stato/stata, che io abbia<br />

avuto;<br />

aber: se io fossi, se io avessi, se io fossi stato/stata, se io<br />

avessi avuto<br />

Im Französischen richten sich die Verbformen <strong>des</strong> Konjunktivs<br />

Imperfekt und Plusquamperfekt nach denen im Indikativ, aber im<br />

<strong>Surmeirischen</strong> genauso wie im Engadinischen nach denen im<br />

Konditional <strong>des</strong> Präsens und <strong>des</strong> Perfekts. Zugleich kann hier<br />

gesehen werden, dass die zusammengesetzten Zeiten von „être“<br />

(sein) wie oben erwähnt als Ausnahme mit „avoir“ (haben)<br />

konjugiert werden.<br />

SM: ia era, ia fiss, ia veva, ia vess, ia era sto/stada, ia fiss<br />

sto/stada, ia veva gia, ia vess gia;<br />

tg’ia seia, tg’ia vegia, tg’ia seia sto/stada, tg’ia vess gia;<br />

sch’ia fiss, sch’ia vess, sch’ia fiss sto/stada, sch‘ia vess gia<br />

Die Verkürzungen von „tgi“ (dass) und „schi“ (falls, wenn) zum<br />

Beispiel zu „tg’ia“ und „sch’ia“ kommen nicht nur mündlich vor,<br />

sondern werden oft auch so geschrieben, vor allem in der<br />

Dichtersprache aus Reimgründen.<br />

105


Ein paar Beispiele:<br />

a) Konjunktiv Perfekt:<br />

DE: …. dass ich gewesen sei.<br />

SM: …. tg’ia seia sto/stada.<br />

DE: …. dass wir gewesen seien.<br />

SM: …. tgi nous seian stos/stadas.<br />

…. tgi nusoters seian stos/stadas.<br />

DE: …. dass ich es gehabt habe.<br />

SM: …. tg‘ia igl vegia gia.<br />

DE: …. dass wir es gehabt haben.<br />

SM: …. tgi nous igl vegian gia.<br />

…. tgi nusoters igl vegian gia.<br />

DE: …. dass ich gekommen sei.<br />

SM: …. tg‘ia seia nia/neida.<br />

DE: …. dass wir gekommen seien.<br />

SM: …. tgi nous seian nias/neidas.<br />

…. tgi nusoters seian nias/neidas.<br />

Das „ei“ in den Partizipien „neida“ und „neidas“ wird wie im<br />

englischen „take“ ausgesprochen.<br />

106


) Konjunktiv Imperfekt:<br />

DE: Wenn du gut wärst.<br />

SM: Schi te fissas bung/buna.<br />

DE: Wenn ihr gut wäret.<br />

SM: Schi vous fissas bungs/bunas.<br />

Schi vusoters fissas bungs/bunas.<br />

DE: Wenn ich es hätte.<br />

SM: Sch‘ia’ igl vess.<br />

Sch’ia’gl vess.<br />

Wenn wir es hätten.<br />

Schi nous igl vessan.<br />

Schi nusoters igl vessan.<br />

DE: Wenn ich kommen würde, wenn ich käme.<br />

SM: Sch’ia niss.<br />

DE: Wenn wir kommen würden, wenn wir kämen.<br />

SM: Schi nous nissan.<br />

Schi nusoters nissan.<br />

c) Konjunktiv Plusquamperfekt:<br />

DE: Wenn du gut gewesen wärst.<br />

SM: Schi te fissas sto bung,<br />

schi te fissas stada buna.<br />

107


DE: Wenn ihr gut gewesen wäret.<br />

SM: Schi vous/vusoters fissas stos bungs,<br />

schi vous/vusoters fissas stadas bunas.<br />

DE: Wenn ich es gehabt hätte.<br />

SM: Sch’ia igl vess gia.<br />

Sch’ia’gl vess gia.<br />

Wenn wir es gehabt hätten.<br />

Schi nous igl vessan gia.<br />

Schi nusoters igl vessan gia.<br />

DE: Wenn ich gekommen wäre.<br />

SM: Sch’ia fiss nia/neida.<br />

DE: Wenn wir gekommen wären.<br />

SM: Schi nous fissan nias/neidas.<br />

Schi nusoters fissan nias/neidas.<br />

Auch solche zusammengesetzte Konjunktivausdrücke sind vom<br />

rein grammatikalischen Standpunkt aus gesehen möglich,<br />

obwohl sie auf den Alltag bezogen eigentlich etwas unsinnig<br />

klingen:<br />

DE: Ich will, dass du gut gewesen bist.<br />

SM: Ia vi tgi te seias sto bung.<br />

Ia vi tgi te seias stada buna.<br />

DE: Ich will, dass du es gehabt hast.<br />

SM: Ia vi tgi te igl vegias gia. - Ia vi tgi te’gl vegias gia.<br />

108


DE: Ich wollte, dass du gut (gewesen) wärst.<br />

SM: Ia voleva tgi te fissas (sto) bung.<br />

Ia voleva tgi te fissas (stada) buna.<br />

DE: Ich wollte, dass du es (gehabt) hättest.<br />

SM: Ia voleva tgi te igl vess (gia).<br />

Ia voleva tgi te’gl vess (gia).<br />

Der Konjunktiv kommt genauso wie im Latein und in allen<br />

anderen romanischen Sprachen in solchen Ausdrücken vor:<br />

DE: Es ist möglich und wahrscheinlich, dass er gut ist.<br />

SM: Igl è pussebel e prubabel tgi el seia bung.<br />

Igl è pussebel e prubabel tgi’l seia bung.<br />

DE: Es ist möglich, dass er eine gute Ehefrau hat.<br />

SM: Igl è pussebel tgi el vegia ena buna femna.<br />

Igl è pussebel tgi’l vegi’ena buna femna.<br />

(„vegi’ena“ nur mündlich!)<br />

DE: Ich fürchte, das ist nicht gut.<br />

SM: Ia va tema tgi chel (na) seia betg bung. *<br />

DE: Ich bin zufrieden, dass du gut bist.<br />

SM: Ia sung cuntaint/cuntainta tgi tge seias bung/buna.<br />

109


DE: Ich bin unzufrieden, dass du es nicht hast.<br />

SM Ia sung malcuntaint/malcuntainta tgi te igl (na) vessas betg.<br />

Ia sung malcuntaint/malcuntainta tgi te’gl vessas betg. *<br />

(nur mündlich)<br />

DE: Ich befehle dir, dass du es machst.<br />

SM: Ia at cumand tgi te igl fetschas (schriftlich).<br />

Ia cumand a tè tgi te’gl fetschas (mündlich).<br />

DE: Ich bezweifelte, dass er gut (gewesen) war.<br />

SM: Ia va dubito/ia dubitava tgi el fiss (sto) bung.<br />

Ia va dubito/ia dubitava tgi’l fiss (sto) bung.<br />

DE: Ich bezweifelte, dass er es (gehabt) hatte.<br />

SM: Ia va dubito/ia dubitava tgi el igl vess (gia).<br />

Ia va dubito/ia dubitava tgi’l igl vess (gia).<br />

* Auf das Verneinungswort «betg», das zusammen mit «na»<br />

ähnlich wie im Französischen (ne …. pas) und im Surselvischen<br />

(na …. buc, na …. buca) eine sogenannte Mantelverneinung<br />

bildet, werde ich weiter unten in einem eigenen Kapitel noch<br />

näher eingehen.<br />

Da es im <strong>Surmeirischen</strong> ein historisches Präsens und damit<br />

verbunden auch ein historisches und nur schriftlich verwendetes<br />

Plusquamperfekt nicht gibt, wie es das Engadinische und fast<br />

110


alle anderen bekannten romanischen Sprachen aufweisen, und<br />

da ebenso ein Konditional und Konjunktiv Futur sowie direkte<br />

und indirekte Konjugationen wie im Surselvischen fehlen, gehört<br />

diese Sprache mit nur zwölf Zeiten zu den zeitärmsten unter den<br />

romanischen Sprachen. Nur das Rumänische mit elf hat noch<br />

eine Zeit weniger, doch andererseits weist dieses in anderen<br />

Bereichen so viele Schwierigkeiten auf, die den<br />

Schwestersprachen fremd sind, dass es eindeutig die am<br />

schwersten zu erlernende romanische Sprache ist.<br />

Eigentlich hat der Konjunktiv in allen romanischen Sprachen<br />

seine eigenen abgesteckten Gebiete in der Gegenwart und<br />

Vergangenheit. Ich schreibe hier "eigentlich", weil im<br />

<strong>Surmeirischen</strong> genauso wie im Französischen und<br />

Engadinischen die Formen <strong>des</strong> Konjunktivs Imperfekt und<br />

Plusquamperfekt mit denen <strong>des</strong> Konditionals Präsens und<br />

Perfekt identisch sind, so dass es in dieser Sprache immer<br />

wieder zu Überschneidungen kommt, was auch die obigen<br />

Beispiele zeigen. Ansonsten muss in den romanischen Sprachen<br />

die vom Latein stammende "Consecutio temporum", also die<br />

Übereinstimmung der Zeiten, vor allem in der Schriftsprache<br />

streng eingehalten werden. Immerhin ist es ein kleiner "Trost",<br />

dass es im <strong>Surmeirischen</strong> genauso wie im Latein keine Futur-<br />

Konjunktive gibt. Die Präsensformen decken das ganze<br />

Spektrum bereits gut genug ab .… könnte man meinen, aber im<br />

Surselvischen gibt es sowohl im Konditional als auch im<br />

Konjunktiv noch je zwei Futur-Konjugationen. Allein dies zeigt<br />

deutlich, dass die moderne Unterteilung in einen Konditional I<br />

und II sowie in einen Konjunktiv I und II nicht ganz korrekt sein<br />

kann.<br />

111


Die erste Konjugation<br />

Im Gegensatz zu den meisten romanischen Schwestersprachen,<br />

die drei oder vier Konjugationen aufweisen, gibt es im<br />

<strong>Surmeirischen</strong> gleich deren sechs, aber je zwei unterscheiden<br />

sich nur in Nuancen voneinander, so dass es eigentlich auch vier<br />

sind.<br />

Das Kennzeichen der ersten Konjugation, die genauso wie in den<br />

anderen romanischen Sprachen etwas mehr als die Hälfte aller<br />

Verben stellt, ist die betonte Infinitiv-Endung "-ar". Im Gegensatz<br />

zum Surselvischen, Friaulischen, Katalanischen und<br />

Rumänischen, die aus dieser Reihe ausscheren, wird diese<br />

Endung auch tatsächlich so ausgesprochen, aber nur im<br />

Surselvischen und Katalanischen wird das «r» auch<br />

geschrieben, während die Endungen im Friaulischen «-â» und<br />

im Rumänischen «-a» lauten. Die beiden einzigen Ausnahmen<br />

sind in diesem Bereich das Französische und das Puter, deren<br />

Infinitiv-Endungen «-er» sind, aber nur im letzteren wird das «r»<br />

ebenfalls ausgesprochen. Gerade an den zwei Infinitiv-<br />

Endungen «-ar» und «-er» kann beim Hören oder Lesen sofort<br />

erkannt werden, um welche der beiden engadinischen Sprachen<br />

es sich handelt.<br />

Im Gegensatz zu allen anderen romanischen Sprachen mit<br />

Ausnahme der rätoromanischen Schwestersprachen gibt es in<br />

dieser Konjugation neben den regelmässigen und<br />

unregelmässigen Verben auch noch eine Gruppe von Verben,<br />

die in der Fachsprache als augmentative, also im eigentlichen<br />

Sinn als erweiternde Verben bezeichnet werden.<br />

Als guter Einstieg in diese augmentative Welt dient der Vergleich<br />

zwischen den Konjugationen der Verben "amar" (lieben) und<br />

"abitar" (wohnen). Gemeinsam ist beiden Varianten, dass bei der<br />

Bildung der Zeiten der Infinitiv gestrichen und durch die<br />

112


entsprechenden Personalendungen ersetzt wird, ganz gleich, ob<br />

es sich um ein augmentatives Verb handelt oder nicht.<br />

1. Präsens<br />

ich liebe ia am ich wohne ia abitesch<br />

du liebst te amas du wohnst te abiteschas<br />

er liebt el ama er wohnt el abitescha<br />

sie liebt ella ama sie wohnt ella abitescha<br />

(ell’ama)<br />

(ell’abitescha)<br />

es liebt igl ama * es wohnt igl abitescha *<br />

man liebt ins ama man wohnt ins abitescha<br />

wir lieben nous amagn, wir wohnen nous abitagn,<br />

nusoters amagn<br />

nusoters abitagn<br />

ihr liebt vous amez, ihr wohnt vous abitez,<br />

vusoters amez<br />

vusoters abitez<br />

sie lieben els/ellas aman sie wohnen els/ellas abitan<br />

Wenn ein Verb mit einem Konsonanten beginnt, lautet das Wort<br />

für «es» nur «i»: es liebt = i carezza (das zweite Wort für<br />

«lieben»).<br />

Die beiden ersten Personen und die zweite Person Mehrzahl<br />

werden auf der letzten Silbe betont, die übrigen Personen auf der<br />

zweitletzten.<br />

Der entscheidende Unterschied zwischen den regelmässigen<br />

und augmentativen Verben ist sofort zu erkennen: Das<br />

Kennzeichen der letzteren ist das Infix "-esch", das<br />

dazwischengeschoben wird, allerdings nicht bei der ersten und<br />

113


zweiten Person Mehrzahl. Etwas Ähnliches gibt es in den<br />

anderen romanischen Sprachen abgesehen von den<br />

rätoromanischen Schwestersprachen nur noch im<br />

Katalanischen, aber dort nicht in der ersten, sondern in der<br />

zweiten und dritten Konjugation. Auch in anderen Konjugationen<br />

<strong>des</strong> <strong>Surmeirischen</strong> gibt es augmentative Verben, doch zunächst<br />

bleibe ich bei denen, die der ersten Konjugation angehören.<br />

Leider gibt es keine Regel dafür, wie erkannt werden kann, ob<br />

ein Verb augmentativ ist oder nicht. Es muss schlicht alles<br />

auswendig gelernt werden, aber als kleine Hilfe ist im<br />

Wörterbuch <strong>des</strong> <strong>Lehrbuch</strong>es «Rumantsch Surmeir» von Gion<br />

Peter Thöni, das im Jahr 1969 als bisher einziges für diese<br />

Sprache erschienen ist und das ich zum Schreiben dieses<br />

Buches mitverwendet habe, bei fast allen ein kleiner Hinweis<br />

angebracht.<br />

Hier ist eine kleine Auswahl:<br />

abkürzen<br />

adoptieren<br />

annehmen<br />

annullieren<br />

anzeigen<br />

aufregen<br />

ausführen<br />

befreien<br />

begünstigen<br />

behandeln<br />

beleben<br />

beleidigen<br />

abreviar<br />

adoptar<br />

adoptar<br />

annullar<br />

annunziar<br />

agitar<br />

effettuar<br />

deliberar<br />

favurisar<br />

deliberar<br />

animar<br />

ingiuriar<br />

114


eruhigen<br />

beziehen auf<br />

entfernen<br />

entlassen<br />

erbeuten<br />

fortsetzen<br />

gratulieren<br />

mässigen<br />

rühmen<br />

sich beziehen auf<br />

sich entfernen<br />

sich rühmen<br />

Urteil fällen<br />

verändern<br />

verbinden<br />

verletzen<br />

vernichten<br />

verwalten<br />

weiterfahren<br />

wohnen<br />

quietar<br />

relatar<br />

allontanar<br />

licenziar<br />

butinar<br />

cuntinuar<br />

(con)gratular<br />

moderar<br />

gloriar<br />

sa relatar<br />

sa distanziar<br />

sa gloriar<br />

sentenziar<br />

alterar<br />

colliar<br />

violar<br />

annullar<br />

administrar<br />

cuntinuar<br />

abitar<br />

Diese Gruppe von augmentativen Verben ist aber noch das<br />

kleinere Problem, denn im Gegensatz zu allen anderen<br />

romanischen Sprachen, in denen die erste Konjugation die<br />

leichteste ist, trifft im <strong>Surmeirischen</strong> genauso wie in den<br />

rätoromanischen Schwestersprachen das genaue Gegenteil der<br />

115


Fall. Das kommt <strong>des</strong>halb, weil es mehrere Hundert Verben gibt,<br />

bei denen das "a" <strong>des</strong> Infinitivs sich bei allen Personen in der<br />

Einzahl und bei der dritten Person Mehrzahl in Doppellaute<br />

verändert. Genau wie bei den augmentativen Verben gibt es<br />

keine Regel dafür, wann welche Silbe eine Veränderung erfährt<br />

- es ist einfach so, wie es ist.<br />

Ein paar Beispiele für jede dieser Untergruppen zeigen deutlich,<br />

wie diese Konjugationen funktionieren.<br />

antrar eintreten a - ai (ia aintr)<br />

furar bohren a - o (ia for)<br />

luvrar arbeiten a - ou (ia lavour)<br />

maridar heiraten a - ei (ia mareid)<br />

rastar bleiben a - e (ia rest)<br />

salidar grüssen a - ei (ia saleid)<br />

scaldar heizen a - o (ia scold)<br />

scuar wischen a - ou (ia scou)<br />

turnar zurückkehren a - u (ia turn, regelmässig)<br />

Die Konjugation im Präsens lautet bei diesen Verben so:<br />

ia aintr ia for ia lavour ia mareid/saleid<br />

te aintras te foras te lavouras te mareidas/saleidas<br />

el aintra el fora el lavoura el mareida/saleida<br />

ella aintra ella fora ella lavoura ella mareida/saleida<br />

(ell’aintra)<br />

igl aintra i fora i lavoura i mareida/saleida<br />

ins aintra ins fora ins lavoura ins mareida/saleida<br />

116


nous antragn nous furagn nous lavuragn nous maridagn/<br />

salidagn<br />

vous antrez vous furez vous lavurez vous maridez/<br />

salidez<br />

els/ellas els/ellas els/ellas els/ellas<br />

aintran foran lavouran mareidan/saleidan<br />

ia rest ia scold ia scou ia turn<br />

te restas te scoldas te scouas te turnas<br />

el resta el scolda el scoua el turna<br />

ella resta ella scolda ella scoua ella turna<br />

i resta i scolda i scoua i turna<br />

ins resta ins scolda ins scoua ins turna<br />

nous rastagn nous scaldagn nous scuagn nous turnagn<br />

vous rastez vous scaldez vous scuez vous turnez<br />

els/ellas els/ellas els/ellas els/ellas<br />

restan scoldan scouan turnan<br />

Wie wir sehen können, richten sich hier nur die Formen der<br />

ersten und zweiten Person Mehrzahl direkt nach dem Infinitiv,<br />

während es für die anderen vier Personen unregelmässig zu<br />

bildende Endungen gibt; zudem wird bei der ersten und zweiten<br />

Person Mehrzahl im Gegensatz zu den anderen genauso wie bei<br />

den Verben „amar“ und „abitar“ immer die letzte Silbe betont.<br />

117


Da gerade dieser Bereich der umfangreichste im <strong>Surmeirischen</strong><br />

und auch der anderen rätoromanischen Schriftdialekte ist und es<br />

den Rahmen dieses <strong>Lehrbuch</strong>es sprengen würde, wenn ich alle<br />

Verben dieses Pakets auf einer Liste aufführen würde, weise ich<br />

ganz unten darauf hin, auf welchen Seiten <strong>des</strong> oben erwähnten<br />

<strong>Lehrbuch</strong>es von Gion Peder Thöni diese Verben genauer<br />

angeschaut werden können.<br />

2. Imperfekt<br />

Im Vergleich zum Präsens ist es geradezu spielend einfach, die<br />

Konjugationen dieser Zeit zu bilden, weil die Verben immer vom<br />

Infinitiv ausgehen und nichts augmentativ oder sonstwie<br />

unregelmässig ist, und zudem wird alles auf der zweitletzten<br />

Silbe betont. Da das auch für alle anderen Zeiten sowohl in der<br />

ersten Konjugation als auch in den anderen gilt, kann ich mich<br />

von jetzt an wieder auf die Verben «amar» und «abitar»<br />

beschränken:<br />

ich liebte ia amava ich wohnte ia abitava<br />

du liebtest te amavas du wohntest te abitavas<br />

er liebte el amava er wohnte el abitava<br />

sie liebte ella amava sie wohnte ella abitava<br />

(ell’amava)<br />

(ell’abitava)<br />

es liebte igl amava es wohnte igl abitava<br />

man liebte ins amava man wohnte ins abitava<br />

wir liebten nous amavan, wir wohnten nous abitavan,<br />

nusoters amavan<br />

118<br />

nusoters<br />

abitavan


ihr liebtet vous amavas, ihr liebtet vous abitavas,<br />

vusoters amavas<br />

vusoters<br />

abitavas<br />

sie liebten els/ellas amavan sie wohnten els/ellas abitavan<br />

3. Futur I<br />

Hier ist es genauso wie bei den Verben «esser» und «aveir»<br />

möglich, beide Futur-Varianten zu verwenden, die ich oben<br />

schon vorgestellt habe:<br />

ich werde lieben ia amaro ia niro ad amar<br />

du wirst lieben te amarossas te nirossas ad amar<br />

er wird lieben el amaro el niro ad amar<br />

sie wird lieben ella amaro ella niro ad amar<br />

(ell’amaro)<br />

es wird lieben igl amaro i niro ad amar<br />

man wird lieben ins amaro ins niro ad amar<br />

wir werden lieben nous amaron nous niron ad amar<br />

ihr werdet lieben vous amarossas vous inrossas ad amar<br />

sie werden lieben els/ellas amaron els/ellas niron ad amar<br />

Genau gleich werden alle anderen Verben dieser Gruppe<br />

konjugiert, ganz gleich, ob sie augmentativ sind oder nicht.<br />

119


4. Perfekt<br />

ich habe geliebt<br />

du hast geliebt<br />

er hat geliebt<br />

sie hat geliebt<br />

es hat geliebt<br />

man hat geliebt<br />

wir haben geliebt<br />

ihr habt geliebt<br />

sie haben geliebt (m.)<br />

sie haben geliebt (f.)<br />

ia va amo, ia va carezzo<br />

te ast amo, te ast carezzo<br />

el ò amo, el ò carezzo<br />

ella ò amo, ella ò carezzo<br />

igl ò amo, igl ò carezzo<br />

ins ò amo, ins ò carezzo<br />

nous vagn amo, nous vagn carezzo<br />

vous vez amo, vous vez carezzo<br />

els on amo, els on carezzo<br />

ellas on amo, ellas on carezzo<br />

Die Formen von „rastar“ (bleiben) und „turnar“ (zurückkehren),<br />

die in den zusammengesetzten Zeiten als einzige Verben dieser<br />

Gruppe mit „esser“ konjugiert werden müssen, sehen so aus:<br />

ia sung rasto/rastada, ia sung turno/turnada;<br />

te ist rasto/rastada, te ist turno/turnada;<br />

el è rasto, el è turno; ella è rastada, ella è turnada;<br />

igl è (gl’è) rasto, igl è (gl’è) turno;<br />

ins è rasto, ins è turno;<br />

nous ischan rastos/rastadas, nous ischan turnos/turnadas;<br />

vous ischas rastos/rastadas, vous ischas turnos/turnadas;<br />

els on rastos, els on turnos; ellas on rastadas, ellas on turnadas<br />

120


5. Plusquamperfekt<br />

ich hatte geliebt<br />

du hattest geliebt<br />

er hatte geliebt<br />

sie hatte geliebt<br />

es hatte geliebt<br />

man hatte geliebt<br />

wir hatten geliebt<br />

ihr hattet geliebt<br />

sie hatten geliebt (m.)<br />

sie hatten geliebt (f.)<br />

ia veva amo, ia veva carezzo<br />

te vevas amo, te vevas carezzo<br />

el veva amo, el veva carezzo<br />

ella veva amo, ella veva carezzo<br />

i veva amo, i veva carezzo<br />

ins veva amo, ins veva carezzo<br />

nous vevan amo, nous vevan carezzo<br />

vous vevas amo, vous vevas carezzo<br />

els vevan amo, els vevan carezzo<br />

ellas vevan amo, ellas vevan carezzo<br />

Die Verben „rastar“ und „turnar“ werden so konjugiert:<br />

ia era rasto/rastada, ia era turno/turnada;<br />

te eras rasto/rastada, te eras turno/turnada;<br />

el era rasto, el era turno;<br />

ella era/ell’era rastada, ella era/ell’era turnada;<br />

igl era rasto, igl era turno;<br />

ins era rasto, ins era turno;<br />

nous eran rastos/rastadas, nous eran turnos/turnadas;<br />

vous eras rastos/rastadas, vous eras turnos/turnadas;<br />

els eran rastos, els eran turnos;<br />

ellas eran rastadas, ellas eran turnadas<br />

121


6. Futur II<br />

ich werde geliebt<br />

haben usw.<br />

ia varo amo, ia varo carezzo;<br />

ia niro ad aveir amo/carezzo<br />

te varossas amo, te varossas carezzo;<br />

te nirossas ad aveir amo/carezzo;<br />

el/ella niro amo, el/ella niro carezzo;<br />

el/ella niro ad aveir amo/carezzo<br />

i/ins varo amo, i/ins varo carezzo;<br />

i/ins niro ad aveir amo/carezzo<br />

nous varon amo, nous varon carezzo;<br />

nous niron ad aveir amo/carezzo<br />

vous varossas amo, vous varossas<br />

carezzo;<br />

vous nirossas ad aveir amo/carezzo<br />

els/ellas varon amo, els/ellas varon<br />

carezzo;<br />

els/ellas niron ad aveir amo/carezzo<br />

Die Verben „rastar“ und «turnar» werden in den beiden ersten<br />

Personen so konjugiert:<br />

ia saro rasto/rastada, ia saro turno/turnada;<br />

ia niro ad esser rasto/rastada, ia niro ad esser turno/turnada;<br />

nous saron rastos/rastadas, nous saron turnos/turnadas,<br />

nous niron ad esser rastos/rastadas …. turnos/turnadas<br />

122


7. Konditional I bzw. Konditional Präsens<br />

ich würde lieben/wohnen/bleiben/zurückkehren<br />

ia amess/abitess/rastess/turness -<br />

du wür<strong>des</strong>t lieben/wohnen/bleiben/zurückkehren<br />

te amessas/abitessas/rastessas/turnessas -<br />

er würde lieben/wohnen/bleiben/zurückkehren<br />

el amess/abitess/rastess/turness -<br />

sie würde lieben/wohnen/bleiben/zurückkehren -<br />

ell’amess, ell’abitess, ella rastess, ella turness<br />

es würde lieben/wohnen/bleiben/zurückkehren<br />

igl amess/i carezzess, igl abitess, i rastess, i turness -<br />

man würde lieben/wohnen/bleiben/zurückkehren<br />

ins amess/abitess/rastess/turness -<br />

wir würden lieben/wohnen/bleiben/zurückkehren<br />

nous amessan/abitessan/rastessan/turnessan -<br />

ihr würdet lieben/wohnen/bleiben/zurückkehren<br />

vous amessas/abitessas/rastessas/turnessas -<br />

sie würden lieben/wohnen/bleiben/zurückkehren<br />

els/ellas amessan/abitessan/rastessan/turnessan<br />

123


8. Konditional II bzw. Konditional Perfekt<br />

ich hätte geliebt/gewohnt ia vess amo, ia vess abito<br />

ich wäre geblieben/<br />

ia fiss rasto/rastada,<br />

zurückgekehrt ia fiss turno/turnada -<br />

du hättest geliebt/gewohnt te vessas amo, te vessas abito<br />

du wärst geblieben/<br />

te fissas rasto/rastada,<br />

zurückgekehrt te fissas turno/turnada -<br />

er hätte geliebt/gewohnt el vess amo, el vess abito<br />

er wäre geblieben/ el fiss rasto, el fiss turno -<br />

zurückgekehrt<br />

sie hätte geliebt/gewohnt ella vess amo, ella vess abito<br />

sie wäre geblieben/<br />

ella fiss rastada,<br />

zurückgekehrt ella fiss turnada -<br />

es hätte geliebt/gewohnt i vess amo, i vess abito<br />

es wäre geblieben/ i fiss rasto, i fiss turno -<br />

zurückgekehrt<br />

man hätte geliebt/gewohnt ins vess amo, ins vess abito<br />

man wäre geblieben/<br />

ins fiss rasto, ins fiss turno<br />

zurückgekehrt<br />

wir hätten geliebt/gewohnt nous vessan amo,<br />

nous vessan abito<br />

wir wären geblieben/<br />

nous fissan rastos/rastadas,<br />

zurückgekehrt nous fissan turnos/turnadas -<br />

124


ihr hättet geliebt/gewohnt vous vessas amo,<br />

vous vessas abito<br />

ihr wäret geblieben/<br />

vous fissas rastos/rastadas,<br />

zurückgekehrt vous fissas turnos/turnadas -<br />

sie hätten geliebt/gewohnt els vessan amo,<br />

(m.)<br />

els vessan abito<br />

sie wären geblieben/<br />

els fissan rastos,<br />

zurückgekehrt (m.) els fissan turnos -<br />

sie hätten geliebt/gewohnt ellas vessan amo,<br />

(f.)<br />

ellas vessan abito<br />

sie wären geblieben/<br />

ellas fissan rastadas,<br />

zurückgekehrt (f.)<br />

ellas fissan turnadas<br />

9. Konjunktiv Präsens<br />

Die Bildung dieser Zeit ist leicht, weil bei jedem Verb von der<br />

dritten Person Einzahl <strong>des</strong> Präsens ausgegangen wird, so dass<br />

die erste und dritte Person Einzahl mit dieser identisch sind.<br />

Allerdings gilt zugleich wieder die Regel mit den augmentativen<br />

Verben, so dass in der Einzahl und in der dritten Person<br />

Mehrzahl wieder das Infix „-esch-“ eingeschoben werden muss:<br />

dass ich liebe/wohne/bleibe/zurückkehre<br />

tg’ia ama/abitescha/rasta/turna -<br />

dass du liebst/liebest, dass du wohnst/wohnest, dass du bleibst,<br />

dass du zurückkehrst<br />

tgi te amas/abiteschas/rastas/turnas -<br />

125


dass er liebe/wohne/bleibe/zurückkehre<br />

tgi el/tg’el ama/abitescha/rasta/turna -<br />

dass sie liebe/wohne/bleibe/zurückkehre<br />

tgi ella/tg’ella ama/abitescha/rasta/turna -<br />

dass es liebe/wohne/bleibe/zurückkehre<br />

tg’igl ama, tg’igl abitescha, tg’i rasta, tg’i turna -<br />

dass man liebe/wohne/bleibe/zurückkehre<br />

tg’ins ama/abitescha/rasta/turna -<br />

dass wir lieben/wohnen/bleiben/zurückkehren<br />

tgi nous aman/abitan/rastan/turnan -<br />

dass ihr liebt/wohnt/bleibt/zurückkehrt<br />

tgi vous amas/abitas/rastas/turnas -<br />

dass sie (m.) lieben/wohnen/bleiben/zurückkehren<br />

tgi els/tg’els aman/abiteschan/rastan/turnan –<br />

dass sie (f.) lieben/wohnen/bleiben/zurückkehren<br />

tgi ellas/tg‘ellas aman/abiteschan/rastan/turnan<br />

10./11./12. Konjunktiv Perfekt, Imperfekt und<br />

Plusquamperfekt<br />

Hier gilt das Gleiche wie oben bei „Sein und „Haben“: Da die<br />

Verbformen <strong>des</strong> Konjunktivs Imperfekt und Plusquamperfekt mit<br />

den beiden <strong>des</strong> Konditionals identisch sind, genügt es, allein die<br />

Formen der ersten Person Einzahl und Mehrzahl aufzuführen.<br />

126


a) Konjunktiv Perfekt:<br />

…. dass ich geliebt/gewohnt habe<br />

…. tg’ia vegia amo/abito<br />

…. dass wir geliebt/gewohnt haben<br />

…. tgi nous vegian amo/abito<br />

…. dass ich geblieben/zurückgekehrt sei<br />

…. tg’ia seia rasto/rastada,<br />

tg’ia seia turno/turnada<br />

…. dass wir geblieben/zurückgekehrt seien<br />

…. tgi nous seian rastos/rastadas,<br />

tgi nous seian turnos/turnadas<br />

b) Konjunktiv Imperfekt:<br />

Wenn ich lieben/wohnen würde, wenn ich liebte/wohnte.<br />

Sch’ia amess/abitess.<br />

Wenn wir lieben/wohnen würden, wenn wir liebten/wohnten.<br />

Schi nous amessan/abitessan.<br />

127


Wenn ich bleiben/zurückkehren würde,<br />

wenn ich bliebe/zurückkehrte.<br />

Sch’ia rastess/turness.<br />

Wenn wir bleiben/zurückkehren würden,<br />

wenn wir blieben/zurückkehrten.<br />

Schi nous rastessan/turnessan.<br />

c) Konjunktiv Plusquamperfekt:<br />

Wenn ich geliebt/gewohnt hätte.<br />

Sch’ia vess amo/abito.<br />

Wenn wir geliebt/gewohnt hätten.<br />

Schi nous vessan amo/abito.<br />

Wenn ich geblieben/zurückgekehrt wäre.<br />

Sch’ia fiss rasto/rastada.<br />

Sch’ia fiss turno/turnada.<br />

Wenn wir geblieben/zurückgekehrt wären.<br />

Schi nous fissan rastos/rastadas.<br />

Schi nous fissan turnos/turnadas.<br />

128


Die zweite Konjugation<br />

Das Kennzeichen dieser Konjugation ist die betonte<br />

Infinitivendung auf «-er». Die geografische Nähe zum Puter, der<br />

oberengadinischen Variante <strong>des</strong> Engadinischen, zeigt sich<br />

gerade auch hier. Während im Unterengadin die Infinitive der<br />

ersten Konjugation auf «-ar» enden, tun es die im Oberengadin<br />

auf «-er». Da im <strong>Surmeirischen</strong> beide Varianten vorkommen,<br />

gelten die Verben, die im Infinitiv auf «-er» enden, als eine eigene<br />

Konjugation, zu der aber weniger als hundert Verben gehören.<br />

Die häufiger vorkommenden sind diese:<br />

anfressen (Rost)<br />

begleiten<br />

bemerken,<br />

vermerken<br />

bereiten,<br />

vorbereiten<br />

bezahlen<br />

beziehen (Geld)<br />

brummen<br />

danken<br />

fehlen<br />

lassen<br />

mähen<br />

malen, zeichnen<br />

reinigen<br />

suchen<br />

smagler<br />

accumpagner<br />

remartger<br />

parager<br />

paer<br />

ratrer<br />

murmagner<br />

angratzger<br />

mantger<br />

lascher<br />

saer<br />

malager<br />

nattager<br />

tschartger<br />

129


unterscheiden<br />

vergleichen<br />

ziehen<br />

disfranztger<br />

comparagler<br />

trer<br />

Abgesehen davon, dass beim Partizip die Endungen «-o» (m.)<br />

und «-ada» (f.) durch «-ea» und «eda» ersetzt werden, was<br />

ebenfalls die geografische Nähe zum Puter anzeigt, ist die zweite<br />

Konjugation mit der ersten identisch. Deshalb können wir uns<br />

eine weitere systematische Aufführung mit allen Personen<br />

sparen und uns mit den beiden ersten Personen begnügen.<br />

Als Paradeverb dient hier «lascher» (lassen):<br />

Präsens<br />

Imperfekt<br />

ia lasch, nous laschagn<br />

ia laschava, nous laschavan<br />

Futur I ia lascharo, nous lascharon -<br />

Perfekt<br />

Plusquamperfekt<br />

ia niro a lascher, nous niron a lascher<br />

ia va laschea, nous vagn laschea<br />

ia veva laschea, nous vevan laschea<br />

Futur II ia varo laschea, nous varon laschea -<br />

Konditional Präsens<br />

Konditional Perfekt<br />

Konjunktiv Präsens<br />

Konjunktiv Perfekt<br />

Konjunktiv Imperfekt<br />

ia niro ad aveir laschea,<br />

nous niron ad aveir<br />

ia laschess, nous laschessan<br />

ia vess laschea, nous vessan laschea<br />

tgi ia lascha, tgi nous laschan<br />

tgi ia vegia laschea,<br />

tgi nous vegian laschea<br />

schi ia laschess, schi nous laschessan<br />

130


Konjunktiv<br />

Plusquamperfekt<br />

schi ia vess laschea,<br />

schi nous vessan laschea<br />

Auch in dieser Konjugation gibt es augmentative Verben:<br />

ia accumpagnesch, te accumpagneschas ….<br />

ia comparaglesch, te comparagleschas .…<br />

ia disfranztgesch, te disfranztgeschas .…<br />

ia remartgesch, te remartgeschas .…<br />

Ein besonderer Zungenbrecher ist die erste Person Einzahl im<br />

Präsens beim Verb „angratger“:<br />

ia angraztg (ich danke)<br />

Die Verben „malager“ (malen, zeichnen), „paer“ (bezahlen) und<br />

„saer“ (säen) werden im Präsens zum Teil unregelmässig<br />

konjugiert:<br />

ia maletg, te maletgas .…<br />

ia paai (ia paa), te paias .…<br />

ia sei, te saias .…<br />

Die Partizpien sind jedoch regelmässig wie alle anderen:<br />

malatgea, malatgeda<br />

paea, paeda<br />

saea, saeda<br />

131


Die dritte und vierte Konjugation<br />

Da diese beiden Konjugationen genauso wie die erste und zweite<br />

gleich gebildet werden und sich nur in den Infinitiv-Endungen<br />

unterscheiden, kann ich sie hier zusammen behandeln. Während<br />

die Infinitive der dritten Konjugation auf einem unbetonten «-e»<br />

enden, wird in der vierten die zweitletzte Silbe eines Doppellauts<br />

betont.<br />

Zu den häufig vorkommenden Verben dieser beiden<br />

Konjugationen mit zum Teil unregelmässigen Konjugationen<br />

gehören in alfabetischer Reihenfolge diese:<br />

flicken<br />

kennen<br />

laufen,<br />

cuntschier - ia cuntsch, te cuntschas, el cuntscha,<br />

nous cuntschagn, vous cuntschez, els cuntschan -<br />

canoscher - ia canosch, te canoschas, el canoscha,<br />

nous cunaschagn, vous cunaschez, els canoschan -<br />

correr - ia cor, te corras, el/ella corra,<br />

rennen nous currign, vous curriz, els/ellas corran -<br />

legen<br />

metter - ia met, te mettas, el/ella mettta,<br />

(setzen, nous mittagn, vous mittez, els/ellas mettan -<br />

(setzen, stellen)<br />

lernen<br />

lesen<br />

nähen<br />

amprender - ia amprend, te amprendas, el amprenda,<br />

nous amprandagn, vous amprandez, els amprendan -<br />

liger - ia litg, te ligias, el/ella ligia, nous ligiagn,<br />

vous ligez, els/ellas ligian -<br />

couser - ia cous, te cousas, el/ella cousa,<br />

nous cusign, vous cusiz, els/ellas cousan -<br />

132


eden, discorrer - ia discor, te discorras, el/ella discorra,<br />

sprechen nous discurrign, vous discurriz, els/ellas discorran -<br />

schreiben screiver - ia screiv, te scvreivas, el/ella screiva,<br />

nous scrivagn, vous scrivez, els/ellas screivan -<br />

sitzen seser - ia ses, te sesas, el/ella sesa, nous sisagn,<br />

vous sisez, els/ellas sesan -<br />

verkaufen vender - ia vend, te vendas, el/ella venda,<br />

nous vandagn, vous vandez, els/ellas vendan -<br />

wählen eliger - ia elitg, te elitgas, el/ella elitga,<br />

nous eligiagn, vous eligez, els/ellas eligian -<br />

wiederholen rapetter - ia rapet, te rapettas, el/ella rapetta,<br />

nous repetign, vous repetez, els/ellas rapettan<br />

Die männlichen Partizipien enden alle auf „-ia“, wobei die<br />

Betonung auf das „i“ fällt:<br />

cuntschia - canoschia - corria - mettia - amprendia - ligia - cousia<br />

- discorria - screivia - sesia - vandia - eligia - rapettia<br />

Als Paradeverben für die anderen Zeiten, wobei auch hier die<br />

beiden ersten Personen genügen, sind diese drei geeignet:<br />

Dritte Konjugation: correr (laufen, rennen)<br />

vender (verkaufen)<br />

Vierte Konjugation: cuntschíer (flicken)<br />

Das Betonungszeichen bei „cuntschier“ wird nicht so<br />

geschrieben, ich verwende es nur jetzt.<br />

133


Imperfekt: ia correva, nous correvan -<br />

Ia vendeva, nous vendevan -<br />

Ia cuntschiva, nous cuntschivan<br />

Futur I: ia correvaro, ia niro a correr;<br />

nous correvaron, nous niron a correr -<br />

ia vendaro, ia niro a vender;<br />

nous vendaron, nous niron a vender -<br />

ia cuntscharo, ia niro a cuntschier;<br />

nous cuntscharon, nous niron a cuntschier<br />

Perfekt: ia sung corria (m.)/corrida (f.);<br />

nous ischan corrias (m.)/corridas (f.) -<br />

ia va vendia, nous vagn vendia -<br />

ia va cuntschia, nous vagn cuntschia<br />

Plusquamperfekt: ia era corria/corrida;<br />

nous eran corrias/corridas -<br />

ia veva vendia, nous vevan vendia -<br />

ia veva cuntschia, nous vevan cuntschia<br />

Futur II: ia saro corria/corrida, ia niro ad esser corria/corrida;<br />

nous saron corrias/corridas,<br />

nous niron ad esser corrias/corridas -<br />

ia varo vandia, ia niro ad aveir vandia;<br />

nous varon vandia, nous niron ad aveir vandia -<br />

ia varo cuntschia, ia niro ad aveir cuntschia;<br />

nous varon cuntschia, nous niron ad aveir cuntschia<br />

134


Konditional Präsens: ia corress/van<strong>des</strong>s/cuntschess -<br />

nous corressan/van<strong>des</strong>san/cuntschessan<br />

Konditional Perfekt: ia fiss corria/corrida, nous fissan corrias/<br />

corridas -<br />

ia vess vandia, nous vessan vandia -<br />

ia vess cuntschia, nous vessan cuntschia<br />

Konjunktiv Präsens: tgi ia corra/venda/cuntscha -<br />

tgi nous corran/vendan/cuntschan<br />

Konjunktiv Perfekt: tgi ia seia corria/corrida;<br />

tgi nous seian corrias/corridas -<br />

tgi ia vegia vandia/cuntschia;<br />

tgi nous vegian vandia/cuntschia<br />

Konjunktiv Imperfekt: schia ia corress/ven<strong>des</strong>s/cuntschess -<br />

schi nous corressan/van<strong>des</strong>san/<br />

cuntschessan<br />

Konjunktiv Plusquamperfekt: schia ia fiss corria/corrida;<br />

schi nous fissan corrias/corridas -<br />

schi ia vess vandia/cuntschia;<br />

schi nous vessan vandia/<br />

cuntschia<br />

Das Verb „correr“ wird in den zusammengesetzten Zeiten<br />

genauso wie in den rätoromanischen Schwestersprachen und in<br />

fast allen anderen romanischen Sprachen mit „sein“ konjugiert.<br />

Zu den einzigen Ausnahmen gehören in diesem Bereich die drei<br />

iberischen Sprachen (CT, ES, PO) und das Rumänische.<br />

135


Die fünfte und sechste Konjugation<br />

Was für die dritte und vierte Konjugation gilt, trifft auch auf diese<br />

beiden Konjugationen zu, aber umgekehrt: Die Infinitiv-Endung<br />

lautet bei beiden «-eir», aber ihre Konjugationen unterscheiden<br />

sich im Präsens dadurch, dass die Kennzeichen in der fünften<br />

Konjugation in der ersten und zweiten Mehrzahl ein «a» und ein<br />

«e» und in der sechsten Konjugation beide Male ein «i» sind.<br />

Zu den häufig vorkommenden Verben dieser beiden<br />

Konjugationen mit zum Teil unregelmässigen Konjugationen<br />

gehören in alfabetischer Reihenfolge diese:<br />

dienen<br />

fühlen<br />

sarveir - ia sierv, te siervas, el/ella sierva,<br />

nous sarvign, vous sarviz, els/ellas siervan<br />

santeir - ia saint, te saintas, el/ella sainta,<br />

(u. hören) nous santign, vous santiz, els/ellas saintan<br />

halten<br />

lachen<br />

öffnen<br />

teilen<br />

tigneir - ia tign, te tignas, el/ella tigna,<br />

nous tignagn, vous tignez, els/ellas tignan<br />

reir - ia rei, te reist, el/ella rei, nous riagn,<br />

vous riez, els/ellas reian<br />

darveir - ia derv, te dervas, el/ella derva,<br />

nous darvign, vous darvez, els/ellas dervan<br />

parteir - ia part, te partas, el/ella parta,<br />

nous partign, vous partiz, els/ellas partan<br />

überleben survagneir - ia survign, te survignst, el/ella survign,<br />

nous survagnin, vous survagniz, els survignan<br />

136


weinen<br />

wert sein<br />

bargeir - ia bratg, te bratgas, el/ella bratga,<br />

nous bargign, vous bargniz, els/ellas bragian<br />

valeir - ia val, te valas, el/ella vala, nous valagn,<br />

vous valez, els/ellas valan<br />

Auch hier enden die männlichen Partizipien auf „-ia“, wobei die<br />

Betonung ebenfalls auf das „i“ fällt:<br />

sarvia - santia - tignia - reia - darvia - partia - survagnia - bargia<br />

- valia<br />

Als Paradeverben für die anderen Zeiten sind diese zwei Verben<br />

besonders geeignet, wobei ich auch hier nur die Verbformen der<br />

beiden ersten Personen aufführe:<br />

Fünfte Konjugation: tigneir (halten)<br />

Sechste Konjugation: parteir (teilen)<br />

Imperfekt: ia tigneva, nous tignevan -<br />

ia partiva, nous partivan<br />

Futur I: ia tignaro, ia niro a tigneir;<br />

nous tignaron, nous niron a tigneir -<br />

ia partaro, ia niro a parteir;<br />

nous partaron, nous niron a parteir<br />

Perfekt: ia va tignia, nous vagn tignia -<br />

ia sung partia (m.)/partida (f.);<br />

nous ischan partias (m.)/partidas (f.)<br />

137


Plusquamperfekt: ia veva tignia, nous vevan tignia -<br />

ia era partia/partida;<br />

nous eran partias/partidas<br />

Futur II: ia varo tignia, ia niro ad aveir tignia;<br />

nous varon tignia, nous niron ad aveir tignia -<br />

ia saro partia/partida, ia niro ad esser partia/partida;<br />

nous saron partias/partidas,<br />

nous niron ad esser partias/partidas<br />

Konditional Präsens: ia tigness/partess -<br />

nous tignessan/partessan<br />

Konditional Perfekt: ia vess tignia, nous vessan tignia -<br />

ia fiss partia/partida;<br />

nous fissan partias/partidas<br />

Konjunktiv Präsens: tgi ia tigna/parta -<br />

tgi nous tignan/partan<br />

Konjunktiv Perfekt: tgi ia vegia tignia, tgi nous vegian tignia -<br />

tgi ia seia partia/partia;<br />

tgi nous seian partias/partida<br />

Konjunktiv Imperfekt: schi ia tigness/partess -<br />

schi nous tignessan/partessan<br />

Konjunktiv Plusquamperfekt: schi ia vess tignia,<br />

schi nous vessan tignia -<br />

schi ia fiss partia/partida,<br />

schi nous fissan partias/partidas<br />

138


Was oben für das Verb „correr“ gilt, trifft hier auf „parteir“ zu; auch<br />

dieses wird in den zusammengesetzten Zeiten mit „esser“<br />

konjugiert.<br />

Die wichtigsten unregelmässigen Verben<br />

Neben den Verben, die den sechs verschiedenen Konjugationen<br />

angehören, gibt es noch eine ganze Reihe von unregelmässigen,<br />

die zwar aufgrund ihrer Infinitive formal einer Konjugation<br />

zugeteilt werden können, aber trotzdem ihre eigenen Gesetze<br />

kennen, so dass es unumgänglich ist, jede einzelne Form<br />

unabhängig von den regelmässigen in den sechs Konjugationen<br />

zu lernen. Genauso wie in fast allen anderen Sprachen - und<br />

über alle Sprachfamilien hinweg - gehören diese<br />

unregelmässigen Verben auch im <strong>Surmeirischen</strong> zu den<br />

meistgebrauchten, und zwar diese:<br />

dar - geben<br />

neir, vigneir - kommen<br />

deir - sagen star - bleiben, stehen, wohnen *<br />

eir - gehen tigneir - halten *<br />

far - machen, tun<br />

vaseir, veir - sehen<br />

Die Partizipien lauten so:<br />

do, detg, ia/eida, fatg, nia/neida, sto/stada, tignia, via<br />

Eigentlich gehören auch die Verben „star“ und „tigneir“, die vom<br />

lateinischen „stare“ und „tenere“ stammen, zum Bereich von<br />

„Sein und Haben“, weil diese in den meisten romanischen<br />

Sprachen und vor allem in den iberischen im Sinn dieser beiden<br />

Verben vorkommen, wie das an ein paar Beispielen weiter unten<br />

139


gesehen werden kann. Dementsprechend habe ich die anderen<br />

Bücher „<strong>Lehrbuch</strong> <strong>des</strong> Friaulischen“ und „<strong>Lehrbuch</strong> <strong>des</strong><br />

Katalanischen“ verfasst. Ich habe mich jedoch dafür<br />

entschieden, diese beiden Verben erst jetzt näher vorzustellen,<br />

weil ich das in den parallelen Büchern „<strong>Lehrbuch</strong> <strong>des</strong><br />

Engadinischen“ und „<strong>Lehrbuch</strong> <strong>des</strong> Surselvischen“ aus<br />

verschiedenen Gründen ebenfalls so gemacht habe.<br />

Ein kleiner Vergleich mit anderen romanischen Sprachen zeigt<br />

deutlich, wie die obigen Worte gemeint sind:<br />

DE: Ich bin (gerade) in Zürich.<br />

FR: Je suis à Zurich.<br />

IT : Io sono a Zurigo.<br />

FL: O soi a Zuric.<br />

SM: Ia sung a Turitg.<br />

SV: Jeu sun a Turitg.<br />

VL: Eu sun a Turich.<br />

PT: Eau sun a Turich.<br />

SS: Deu seu a Zurigu.<br />

NS: Deo soe a Zurigu.<br />

CT: Jo soc en Zuric.<br />

ES: Estoy en Zurich.<br />

PO: Estou em Zurique.<br />

Ich habe ein Haus.<br />

J’ai une maison.<br />

Ho una casa.<br />

O ai une cjase.<br />

Ia va ena tgesa.<br />

Jeu hai/jeu vai una casa.<br />

Eu n’ha üna chasa.<br />

Eau d’he üna chesa.<br />

Deu tengu una domu.<br />

Deo appo una domu.<br />

Deo tèngio una domu.<br />

Jo tinc una casa.<br />

Tengo una casa.<br />

Tenho uma casa.<br />

Wie wir sehen können, wird bei Ortsangaben nur im Spanischen<br />

und Portugiesischen scharf zwischen einem vorübergehenden<br />

140


und einem andauernden Zustand unterschieden; beim ersteren<br />

kommt das Verb „estar“ und beim letzteren „ser“ zum Zug, die<br />

Infinitive sind in beiden Sprachen identisch.<br />

Bei der Angabe eines Besitzes kennen das Campidanesische<br />

oder Südsardische und die iberischen Sprachen nur noch die<br />

Variante, die vom lateinischen „tenere“ stammt und ursprünglich<br />

nur „halten“ bedeutete, während die Konjugationen von „haben“<br />

nur noch in den zusammengesetzten Zeiten verwendet werden.<br />

Die einzige romanische Sprache, in der beide Varianten möglich<br />

sind, ist das Nordsardische, das noch mehr als das<br />

Campidanesische immer noch in zahlreiche Dialekte gespalten<br />

ist - nicht nur in jeder Stadt und in jedem Dorf, sondern auch je<br />

nach der Sprechweise jeder einzelnen Person, siehe in meinem<br />

Buch „<strong>Lehrbuch</strong> <strong>des</strong> Sardischen“. Auch die Ähnlichkeit der<br />

beiden Schriftsprachen Logudoresisch (im Nordwesten) und<br />

Nugoresisch (im Nordosten) sowie der überregionalen Sprache<br />

„Limba sarda comuna“, die für schriftliche Dokumente in ganz<br />

Sardinien kurz nach der Jahrtausendwende erschaffen wurde<br />

und überwiegend auf den nördlichen Dialekten basiert, kann<br />

nicht darüber hinwegtäuschen.<br />

Wie stark sich die lateinischen Verben „stare“ sowie „habere“ und<br />

„tenere“ noch bis heute in den meisten romanischen Sprachen<br />

auswirken, zeigen die Partizipien:<br />

IT : stato/stata, stati/state - avuto/avuta, avuti/avute -<br />

tenuto/tenuta, tenuti, tenute<br />

FL: stât/stade, stâts/stadis - vût/vude, vûts/vudis -<br />

tignût/tignude, tignûts/tignudis<br />

SM: sto/stada, stos/stadas - gia/geida, gias/geidas -<br />

tgnia/tgnida, tgnias/tgnidas<br />

141


SV: staus/stada, stai/stadas - giu (kein anderes Partizip) -<br />

tegnius/tegnida, tegni/tegnidas<br />

VL: stat/stada, stats/stadas - gnü/gnüda, gnüts/gnüdas -<br />

tgnü/tgnüda, tgnüts/tgnüdas<br />

PT: sto/stada, stos/stedas - gieu/gida, gieus/gidas -<br />

tgnieu/tgnida, tgnieus/tgnidas<br />

SS: stètiu/stètia, stètius/stètias - tentu/tenta, tentus/tentas<br />

NS: istèttiu/istèttia, istèttius/istèttias - àppiu/àppidu/àppida;<br />

àppius/àppidus/<br />

àppidos/àppidas -<br />

tentu/tenta, tentus/tentas<br />

CT: estat - tingut/tinguda, tinguts/tingu<strong>des</strong><br />

ES: sido/estado - tenido/tenida, tenidos/tenidas (im Passiv) *<br />

PO: sido/estado - tendo/tenda, tendos/tendas (im Passiv) *<br />

* Die vordere Variante „sido“ stammt vom Verb „ser“ (sein) und<br />

wird für dauerhafte Zustände verwendet.<br />

In den drei iberischen Sprachen gibt es noch Partizipien für<br />

„haver“ und „haber“, die heute aber höchstens noch im Sinn von<br />

„es hat gegeben“ vorkommen:<br />

CT: haver - hagut ES: haber - habido PO: haver - havido<br />

Nach diesem kurzen Ausflug in die Gedankenwelt der meisten<br />

anderen romanischen Sprachen komme ich wieder zurück zum<br />

<strong>Surmeirischen</strong>.<br />

142


In den zwölf Zeiten, die es in dieser Sprache gibt, sehen die<br />

Konjugationen dieser acht Spezialverben so aus:<br />

1. Präsens<br />

ia dung ia dei ia vign * ia fatsch<br />

te dast te deist te vast te fast<br />

el/ella dat el/ella dei el/ella vo el/ella fò<br />

i/ins dat i/ins dei i/ins vo i/ins fò<br />

nous dagn nous schagn nous giagn nous faschagn<br />

vous dez vous schez vous gez vous faschez<br />

els dattan els deian els von els fon<br />

ellas dattan ellas deian ellas von ellas fon<br />

ia vign * ia stung ia ves ** ia vei **<br />

te vignst te stast te vesas te veist<br />

el/ella vign * el/ella stat el/ella vesa el/ella vei<br />

i/ins vign * i/ins stat i/ins vesa i/ella vei<br />

nous nign nous stagn nous vasagn nous vasagn<br />

vous niz vous stez vous vasez vous vasez<br />

els vignan els stattan els vesan els veian<br />

ellas vignan ellas stattan ellas vesan ellas veian<br />

ia tign, te tignas, el/ella tigna, i/ins tigna, nous tignagn, vous<br />

tignez, els/ellas tignan<br />

143


* Am meisten fällt auf, dass „ia vign“ sowohl „ich gehe“ als auch<br />

„ich komme“ bedeutet; zudem ist «vign» auch mit der dritten<br />

Person Einzahl von «neir» identisch.<br />

** Für «sehen» gibt es zwei verschiedene Konjugationen, die<br />

linke richtet sich nach dem Infinitiv «vaseir» und die rechte nach<br />

«veir»; nur die Formen der ersten und zweiten Person Mehrzahl<br />

sind identisch.<br />

2. Imperfekt<br />

Wie bei den Verben der sechs oben vorgestellten Konjugationen<br />

sind die Zeiten vom Imperfekt an leicht zu bilden:<br />

ia dava ia scheva ia geva ia fascheva<br />

te davas te schevas te gevas te faschevas<br />

el/ella dava el/ella scheva el/ella geva el/ella fascheva<br />

i/ins dava i/ins scheva i/ins geva i/ins fascheva<br />

nous davan nous schevan nous gevan nous faschevan<br />

vous davas vous schevas vous gevas vous faschevas<br />

els davan els schevan els gevan els faschevan<br />

ellas davan ellas schevan ellas gevan ellas faschevan<br />

ia niva ia stava ia tigneva ia vaseva<br />

te nivas te stavas te tignevas te vasevas<br />

el/ella niva el/ella stava el/ella tigneva el/ella vaseva<br />

i/ins niva i/ins stava i/ins tigneva i/ins vaseva<br />

nous nivan nous stavan nous tignevan nous vasevan<br />

vous nivas vous stavas vous tignevas vous vasevas<br />

els/ellas nivan els stavan els tignevan els vasevan<br />

144


Bei der Bildung <strong>des</strong> Imperfekts gibt es einen kleinen Trick:<br />

Während bei den Verben, deren Infinitive auf „-a“ enden, immer<br />

von der ersten Person Mehrzahl <strong>des</strong> Präsens ausgegangen wird,<br />

wie das auch oben in den entsprechenden Kapiteln gesehen<br />

werden kann, trifft das Gleiche bei den übrigen Verben auf die<br />

zweite Person Mehrzahl zu; gerade <strong>des</strong>halb habe ich hier die<br />

Konjugation von „tigneir“ nochmals aufgeführt. Da die beiden<br />

Varianten von „sehen“ (vous vasez) im Präsens in der zweiten<br />

Person Mehrzahl identisch sind, gibt es hier nur eine<br />

Konjugation.<br />

Die „Trickformen“ zur Bildung <strong>des</strong> Imperfekts sind hier diese:<br />

nous dagn, nous stagn - vous schez, vous gez, vous faschez,<br />

vous niz, vous tignez, vous vasez<br />

3. Futur I<br />

ich werde geben/sagen/gehen/machen/kommen/stehen/halten/<br />

sehen<br />

ia daro/scharo/giaro/faro/niro/staro/tignaro/vasaro -<br />

ia niro a dar/a deir/ad eir/a far/a neir (a vigneir)/a star/a tigneir/<br />

a vaseir (a veir)<br />

wir werden geben/sagen/gehen/machen/kommen/stehen/halten/<br />

sehen<br />

nous daron/scharon/giaron/faron/niron/staron/tignaron/vasaron -<br />

nous niron a dar/a deir/ad eir/a far/a neir (a vigneir)/a star/<br />

a tigneir/a vaseir (a veir)<br />

145


4. Perfekt<br />

ich habe gegeben/gesagt/gemacht/gehalten/gesehen<br />

ia va do/detg/fatg/tignia/via<br />

wir haben gegeben/gesagt/gemacht/gehalten/gesehen<br />

nous vagn do/detg/fatg/tignia/via<br />

ich bin gegangen/gekommen/gestanden<br />

ia sung ia/eida, ia sung nia/neida, ia sung sto/stada<br />

wir sind gegangen/gekommen/gestanden<br />

nous ischan ias/eidas, nous ischan nias/neidas, nous ischan<br />

stos/stadas<br />

5. Plusquamperfekt<br />

ich hatte gegeben/gesagt/gemacht/gehalten/gesehen<br />

ia veva do/detg/fatg/tignia/via<br />

wir hatten gegeben/gesagt/gemacht/gehalten/gesehen<br />

nous vevan do/detg/fatg/tignia/via<br />

ich war gegangen/gekommen/gestanden<br />

ia era ia/eida, ia era nia/neida, ia era sto/stada<br />

146


wir waren gegangen/gekommen/gestanden<br />

nous eran ias/eidas, nous eran nias/neidas, nous eran<br />

stos/stadas<br />

6. Futur II<br />

ich werde gegeben/gesagt/gemacht/gehalten/gesehen haben<br />

ia varo do/detg/fatg/tignia/via -<br />

ia niro ad aveir do/detg/fatg/tignia/via<br />

wir werden gegeben/gesagt/gemacht/gehalten/gesehen haben<br />

nous varon do/detg/fatg/tignia/via -<br />

nous niron ad aveir do/detg/fatg/tignia/via<br />

ich werde gegangen/gekommen/gestanden sein<br />

ia saro ia/eida, ia saro nia/neida, ia saro sto/stada -<br />

ia niro ad esser ia/eida, ia niro ad esser nia/neida,<br />

ia niro ad esser sto/stada<br />

wir werden gegangen/gekommen/gestanden sein<br />

nous saron ias/eidas, nous saron nias/neidas, nous saron<br />

stos/stadas -<br />

nous niron ad esser ias/eidas, nous niron ad esser nias/neidas,<br />

nous niron ad esser stos/stadas<br />

147


7. Konditional Präsens<br />

ich würde geben/sagen/gehen/machen/kommen/stehen/halten/<br />

sehen<br />

ia <strong>des</strong>s/schess/gess/faschess/niss/stess/tigness/vasess<br />

wir würden geben/sagen/gehen/machen/kommen/stehen/halten/<br />

sehen<br />

nous <strong>des</strong>san/schessan/gessan/faschessan/nissan/stessan/<br />

tignessan/vasessan<br />

8. Konditional Perfekt<br />

ich hätte gegeben/gesagt/gemacht/gehalten/gesehen<br />

ia vess do/detg/fatg/tignia/via<br />

wir hätten gegeben/gesagt/gemacht/gehalten/gesehen<br />

nous vessan do/detg/fatg/tignia/via<br />

ich wäre gegangen/gekommen/gestanden<br />

ia fiss ia/eida, ia fiss nia/neida, ia fiss sto/stada<br />

wir wären gegangen/gekommen/gestanden<br />

nous fissan ias/eidas, nous fissan nias/neidas, nous fissan<br />

stos/stadas<br />

148


9. Konjunktiv Präsens<br />

dass ich gebe/sage/gehe/mache/komme/stehe/halte/sehe<br />

usw.<br />

tgi ia detta tgi ia scheia tgi ia geia tgi ia fetscha<br />

te dettas te scheias te geias te fetschas<br />

el detta el scheia el geia el fetscha<br />

ella detta ella scheia ella geia ella fetscha<br />

tg’i detta tg’i scheia tg’i geia tg’i fetscha<br />

tg’ins detta tg’ins scheia tg’ins geia tg’ins fetscha<br />

nous dettan nous scheian nous geian nous<br />

fetschan<br />

vous dettas vous scheias vous geias vous<br />

fetschas<br />

els dettan els scheian els geian els fetschan<br />

ellas dettan ellas scheian ellas geian ellas<br />

fetschan<br />

tgi ia vigna tgi ia stetta tgi ia tigna tgi ia veia<br />

te vignas te stettas te tignas te veias<br />

el vigna el stetta el tigna el veia<br />

ella vigna ella stetta ella tigna ella veia<br />

tg’i vigna tg’i stetta tg’i tigna tg’i veia<br />

tg’ins vigna tg’ins stetta tg’ins tigna tg’ins veia<br />

nous vignan nous stettan nous tignan nous veian<br />

149


vous vignas vous stettas vous tignas vous veias<br />

els vignan els stettan els tignan els veian<br />

ellas vignan ellas stettan ellas tignan ellas veian<br />

Im mündlichen Gebrauch wird „tgi“ oft auch mit der ersten Person<br />

Einzahl und mit den vier dritten Personen direkt verbunden:<br />

tg’ia …. - tg’el ….- tg’ella …. - tg’els …. - tg’ellas ….<br />

10. Konjunktiv Perfekt<br />

dass ich gegeben/gesagt/gemacht/gehalten/gesehen habe<br />

tgi ia vegia do/detg/fatg/tignia/via (auch: tg’ia ….)<br />

dass wir gegeben/gesagt/gemacht/gehalten/gesehen haben<br />

tgi nous vegian do/detg/fatg/tignia/via<br />

dass ich gegangen/gekommen/gestanden sei<br />

tgi ia seia ia/eida, tgi ia seia nia/neida, tgi ia seia sto/stada<br />

(auch: tg’ia ….)<br />

dass wir gegangen/gekommen/gestanden seien<br />

tgi nous seian ias/eidas, tgi nous seian nias/neidas,<br />

tgi nous seian stos/stadas<br />

150


11. Konjunktiv Imperfekt<br />

wenn ich geben/sagen/gehen/machen/kommen/stehen/halten/<br />

sehen würde<br />

schi ia <strong>des</strong>s/schess/gess/faschess/niss/stess/tigness/vasess<br />

auch: sch’ia ….<br />

wenn wir geben/sagen/gehen/machen/kommen/stehen/halten/<br />

sehen würden<br />

schi nous <strong>des</strong>san/schessan/gessan/faschessan/nissan/stessan/<br />

tignessan/vasessan<br />

12. Konjunktiv Plusquamperfekt<br />

wenn ich gegeben/gesagt/gemacht/gehalten/gesehen hätte<br />

schi ia vess do/detg/fatg/tignia/via<br />

auch: sch’ia ….<br />

wenn wir gegeben/gesagt/gemacht/gehalten/gesehen hätten<br />

schi nous vessan do/detg/fatg/tignia/via<br />

wenn ich gegangen/gekommen/gestanden wäre<br />

schi ia fiss ia/eida, schi ia fiss nia/neida, schi ia fiss sto/stada<br />

auch: sch’ia ….<br />

151


wenn wir gegangen/gekommen/gestanden wären<br />

schi nous fissan ias/eidas, schi nous fissan nias/neidas,<br />

schi nous fissan stos/stadas<br />

Nach so vielen Konjugationstabellen, die ich gerade <strong>des</strong>halb fast<br />

vollständig aufgeführt habe, weil sie sich bei einer solchen<br />

Übersicht besser einprägen lassen, können ein paar einfache<br />

Beispielsätze das Ganze noch abrunden:<br />

Ich gebe dir dieses Buch. Ich gebe dir das. Ich gebe es dir.<br />

Ia at dung chel co<strong>des</strong>ch. Ia at dung chel. Ia at dung igl. *<br />

Ia dung chel co<strong>des</strong>ch a tè. Ia dung chel a tè.<br />

Ia dung a tè chel co<strong>des</strong>ch.<br />

Ia dung igl a tè.<br />

Ich habe dir dieses Buch gegeben.<br />

Ia at va do chel co<strong>des</strong>ch. *<br />

Ia va do chel co<strong>des</strong>ch a tè. - Ia va do a tè chel co<strong>des</strong>ch.<br />

Ich habe dir das gegeben. Ich habe es dir gegeben.<br />

Ia at va do chel. * Ia at va do igl. *<br />

Ia va do chel a tè.<br />

Ia va do igl a tè.<br />

* Die Varianten mit „at“ kommen mehr in der Schriftsprache vor.<br />

Ich bin gekommen, um meine Mutter zu sehen.<br />

Ia sung nia/neida per vaseir/veir mia mamma.<br />

152


Ich bin gekommen, um sie (eben meine Mutter) zu sehen.<br />

Ia sung nia/neida per la vaseir/veir. *<br />

Ia sung nia/neida per vaseir/veir ella.<br />

Sie ist gekommen, um dir diese Worte zu sagen.<br />

Ella è neida per at deir chels pleds. *<br />

Ella è neida per deir chels pleds a tè.<br />

Ella è neida per deir a tè chels pleds.<br />

Sie ist gekommen, um sie (eben diese Worte) dir zu sagen.<br />

Ella è neida per at deir igls. *<br />

Ella è neida per deir els a tè.<br />

* Auch diese Varianten kommen mehr in der Schriftsprache vor.<br />

153


Die reflexiven (rückbezüglichen) Verben<br />

Diese Verben drücken eine Handlung aus, die jemand an sich<br />

selbst vornimmt. Die drei nicht zusammengesetzten Zeiten<br />

Präsens, Imperfekt und Futur I sind leicht zu bilden. Als<br />

Paradeverb dient in diesem Kapitel das Verb «sa lavar», das<br />

dafür am geeignetsten und zudem mit fast allen anderen<br />

romanischen Sprachen identisch ist.<br />

ich wasche mich<br />

du wäschst dich<br />

er/sie wäscht sich<br />

es/man wäscht sich<br />

wir waschen uns<br />

ihr wascht euch<br />

sie waschen sich<br />

1. Präsens<br />

ia ma lav<br />

te ta lavas<br />

el/ella sa lava<br />

i/ins sa lava<br />

nous ans lavagn<br />

vous az lavez<br />

els/ellas sa lavan<br />

ich wusch mich<br />

du wuschest dich<br />

er/sie wusch sich<br />

es/man wusch sich<br />

wir wuschen uns<br />

ihr wuscht euch<br />

sie wuschen sich<br />

2. Imperfekt<br />

ia ma lavava<br />

te ta lavavas<br />

el/ella sa lavava<br />

i/ins sa lavava<br />

nous ans lavavan<br />

vous az lavavas<br />

els/ellas sa lavavan<br />

154


ich werde mich waschen<br />

du wirst dich waschen<br />

er/sie wird sich waschen<br />

es/man wird sich wasche<br />

wir werden uns waschen<br />

ihr werdet euch waschen<br />

sie werden sich waschen<br />

3. Futur I<br />

ia ma lavaro,<br />

ia niro a ma lavar<br />

te ta lavarossas,<br />

te nirossas a ta lavar<br />

el/ella sa lavaro,<br />

el/ella niro a sa lavar<br />

i/ins sa lavaro,<br />

i/ins niro a sa lavar<br />

nous ans lavaron,<br />

nous niron ad ans lavar *<br />

vous az lavarossas,<br />

vous nirossas ad az lavar *<br />

els/ellas sa lavaron,<br />

els/ellas niron a sa lavar<br />

* Hier ist wieder zu beachten, dass vor „ans“ und „az“ so wie vor<br />

allen anderen Vokalen ein „ad“ stehen muss.<br />

Was ich oben schon bei den Verben „esser“ und „aveir“<br />

geschrieben habe, gilt auch hier: Die kürzere Variante, die als die<br />

klassische gilt und zudem den benachbarten<br />

Schwestersprachen Italienisch und Französisch viel näher steht,<br />

ist vorzuziehen, aber es gibt auch hier dafür keine feste Regel.<br />

Und jetzt kommt er: Der Eintritt in den Bereich der<br />

zusammengesetzten Zeiten, die innerhalb der Romania tiefe<br />

155


Kluften erkennen lassen, weil die Unterschiede in keinem<br />

anderen Bereich grösser sind als hier. Während in den<br />

zusammengesetzten Zeiten im Französischen, Italienischen,<br />

Surselvischen und Südsardischen bzw. Campidanesischen<br />

immer das Verb „sein“ verwendet werden muss, trifft das bei<br />

„haben“ auf die anderen romanischen Sprachen zu, wobei diese<br />

ebenfalls zwei Gruppen bilden. Während das Partizip im<br />

Spanischen und Portugiesischen sowie im Nordsardischen<br />

(Logudoresisch im Nordwesten und Nugoresisch im Nordosten)<br />

und auch im <strong>Surmeirischen</strong> immer unveränderlich ist, weil es<br />

nicht darauf ankommt, ob von einem Mann, einer Frau oder einer<br />

gemischten Gruppe die Rede ist, muss im Katalanischen,<br />

Friaulischen und Rumänischen sowie in den beiden<br />

engadinischen Sprachen genauso wie in den oben erwähnten<br />

vier Sprachen genau darauf geschaut werden, auch wenn mit<br />

„haben“ konjugiert wird. Allerdings ist im Friaulischen und<br />

Nordsardischen auch eine Variante mit „sein“ möglich, wobei<br />

dann wieder die entsprechenden Veränderungen erfolgen<br />

müssen.<br />

Ein kleiner Vergleich zwischen Vertretern dieser drei Gruppen<br />

zeigt diese Unterschiede deutlich:<br />

ich habe mich gewaschen usw.<br />

Italienisch: Spanisch: Katalanisch:<br />

mi sono lavato/lavata me he lavado m’he lavat/lavada *<br />

ti sei lavato/lavata te has lavado t’has lavat/lavada<br />

si è lavato/lavata se ha lavado s’ha lavat/lavada<br />

ci siamo lavati/lavate nos hemos ens/nos/mos hem **<br />

lavado<br />

lavats/lava<strong>des</strong><br />

vi siete lavati/lavate os heis lavado us/vos heu lavats/<br />

156<br />

lava<strong>des</strong>


si sono lavati/lavate se han lavado s’han lavats/lava<strong>des</strong><br />

* Im Katalanischen wird das Verb „es rentar“, das auf den<br />

Balearischen Inseln „se rentar“ lautet - also mit einem<br />

umgekehrten „es“ -, zwar viel mehr verwendet, aber „es lavar“ ist<br />

für einen Vergleich mit den romanischen Schwestersprachen viel<br />

geeigneter.<br />

** Das Personalpronomen „mos“ wird nur auf den Balearischen<br />

Inseln so gesagt.<br />

Auch die Rumantscheia ist in diesem Bereich tief gespalten, weil<br />

Surselvisch zur Gruppe ganz links, Surmeirisch zur mittleren<br />

Gruppe und die beiden engadinischen Sprachen zur Gruppe<br />

ganz rechts gehören, wie die Konjugation im Perfekt zeigt:<br />

Surselvisch: Surmeirisch: Vallader:<br />

jeu sun selavaus/ ia ma va lavo, * eu m’ha lavat/<br />

selavada ia va ma lavo lavada<br />

ti eis selavaus/ te t’ast lavo, tü t’hast lavat/<br />

selavada te ast ta lavo lavada<br />

el ei selavaus el s’ò lavo, el s’ha lavat<br />

el ò sa lavo<br />

ella ei selavada ella s’ò lavo, ella s’ha lavada<br />

ella ò sa lavo<br />

igl ei selavau ** i s’ò lavo, i s’ha lavat<br />

igl ò sa lavo<br />

ins ei selavaus ** ins s’ò lavo, i’s s’ha lavat<br />

ins ò sa lavo<br />

157


nus essan selavai/ nous ans vagn lavo, nus ans (a)vain<br />

selavadas nous vagn ans lavo lavats/lavadas<br />

vus essas selavai/ vous az vez lavo, vus as (a)vais<br />

selavadas vous vez az lavo lavats/lavadas<br />

els ein selavai els s’on lavo, els s’han lavats<br />

els on sa lavo<br />

ellas ein selavadas ellas s’on lavo, ellas s’han<br />

ellas on sa lavo lavadas<br />

* Im <strong>Surmeirischen</strong> gilt die obere Variante als die „französische“,<br />

weil sie dem Französischen nahesteht (je me suis lavé/lavée,<br />

nous nous sommes lavés/lavées), während die untere als die<br />

„deutsche“ bezeichnet wird, weil sie dem Deutschen nähersteht;<br />

Beide Varianten sind korrekt und kommen etwa gleich häufig vor.<br />

Ausgerechnet das Surmeirische, das auch unter den<br />

Rätoromanen im Ruf steht, am schwierigsten zu sein, ist in<br />

diesem Bereich also am einfachsten.<br />

** Bei „es“ steht im Surselvischen hinten kein „s“, weil es nicht<br />

als „lebendig“ empfunden wird, aber dafür bei „man“, weil von<br />

Menschen die Rede ist und es damit als lebendig gilt. Das<br />

Surselvische ist die einzige romanische Sprache, in der die<br />

Vorsilbe „se-„ bei allen reflexiven Verben und Personen und in<br />

allen Zeiten so verwendet wird, was die Konjugationen natürlich<br />

ebenfalls vereinfacht.<br />

Nach dieser kurzen Übersicht kann ich jetzt auch die übrigen<br />

Zeiten der reflexiven Verben vorstellen, wobei ich das Perfekt<br />

wiederhole.<br />

158


4. Perfekt<br />

ich habe mich gewaschen ia ma va lavo,<br />

ia va ma lavo<br />

du hast dich gewaschen te t’ast lavo,<br />

te ast ta lavo<br />

er/sie hat sich gewaschen el/ella s’ò lavo,<br />

el/ella ò sa lavo<br />

es/man hat sich gewaschen i/ins s’ò lavo,<br />

i/ins ò sa lavo<br />

wir haben uns gewaschen nous ans vagn lavo,<br />

nous vagn ans lavo<br />

ihr habt euch gewaschen vous az vez lavo,<br />

vous vez az lavo<br />

sie haben sich gewaschen els/ellas s’on lavo,<br />

els/ellas on sa lavo<br />

5. Plusquamperfekt<br />

Für diese Zeit gilt das Gleiche wie für das Perfekt:<br />

ich hatte mich gewaschen ia ma veva lavo,<br />

ia veva ma lavo<br />

du hattest dich gewaschen te ta vevas lavo,<br />

te vevas ta lavo<br />

er/sie hatte sich gewaschen el/ella sa veva lavo,<br />

el/ella veva sa lavo<br />

159


es/man hatte sich gewaschen<br />

wir hatten uns gewaschen<br />

ihr hattet euch gewaschen<br />

sie hatten sich gewaschen<br />

i/ins sa veva lavo,<br />

i/ins veva sa lavo<br />

nous ans vevan lavo,<br />

nous vevan ans lavo<br />

vous az vevas lavo,<br />

vous vevas az lavo<br />

els/ellas sa vevan lavo,<br />

els/ellas vevan sa lavo<br />

6. Futur II<br />

ich werde mich gewaschen haben usw.<br />

ia ma varo lavo, ia varo ma lavo;<br />

ia niro a m’aveir lavo; ia niro ad aveir ma lavo -<br />

te ta varossas lavo, te varossas ta lavo;<br />

te nirossas a t’aveir lavo; te nirossas ad aveir ta lavo -<br />

el/ella sa varo lavo, el/ella varo sa lavo;<br />

el/ella niro a s’aveir lavo, el/ella niro ad aveir sa lavo -<br />

i/ins sa varo lavo, i/ins varo sa lavo;<br />

i/ins niro a s’aveir lavo, i/ins niro ad aveir sa lavo -<br />

nous ans varon lavo, nous varon ans lavo;<br />

nous niron ad ans aveir lavo, nous niron ad aveir ans lavo -<br />

vous az varossas lavo, vous varossas az lavo;<br />

vous nirossas ad az aveir lavo; vous nirossas ad aveir az lavo -<br />

160


els/ellas sa varon lavo, els/ellas varon sa lavo;<br />

els/ellas niron a s’aveir lavo, els/ellas niron ad aveir sa lavo<br />

Auch hier gilt, dass in dieser ohnehin selten verwendeten Zeit<br />

von diesen vier Varianten, die im Schriftgebrauch alle korrekt<br />

sind, die beiden oberen mehr zu empfehlen sind, weil sie weniger<br />

kompliziert sind und zudem den benachbarten<br />

Schwestersprachen Italienisch und Französisch viel näher<br />

stehen.<br />

7. Konditional Präsens<br />

ich würde mich waschen<br />

ia ma lavess<br />

du wür<strong>des</strong>t dich waschen<br />

te ta lavessas<br />

er/sie würde sich waschen<br />

el/ella sa lavess<br />

es/man würde sich waschen i/ins sa lavess<br />

wir würden uns waschen<br />

nous ans lavessan<br />

ihr würdet euch waschen<br />

vous az lavessas<br />

sie würden sich waschen<br />

els/ellas sa lavessan<br />

8. Konditional Perfekt<br />

ich hätte mich gewaschen<br />

ia ma vess lavo,<br />

ia vess ma lavo<br />

du hättest dich gewaschen<br />

te ta vessas lavo,<br />

te vessas ta lavo<br />

er/sie hätte sich gewaschen el/ella sa vess lavo,<br />

el/ella vess sa lavo<br />

161


es/man hätte sich gewaschen<br />

wir hätten uns gewaschen<br />

ihr hättet euch gewaschen<br />

sie hätten sich gewaschen<br />

i/ins sa vess lavo,<br />

i/ins vess sa lavo<br />

nous ans vessan lavo,<br />

nous vessan ans lavo<br />

vous az vessas lavo,<br />

vous vessas az lavo<br />

els/ellas sa vessan lavo,<br />

els/ellas vessan sa lavo<br />

9. Konjunktiv Präsens<br />

dass ich mich wasche<br />

tgi ia ma lava<br />

usw.<br />

te ta lavas<br />

el/ella sa lava<br />

tg’i/g’ins sa lava<br />

tgi nous ans lavan<br />

tgi vous az lavas<br />

tgi els/ellas sa lavan<br />

auch: tg’ia …. - tg’el …. - tg’ella …. - tg’els …. - tg’ellas ….<br />

Da „lavar“ zur ersten Konjugation gehört, die wie oben gesehen<br />

nur im Präsens Indikativ etwas schwierig zu bilden ist, gestaltet<br />

sich der Konjunktiv Präsens bei diesem Verb leicht. Bei vielen<br />

anderen Verben trifft das eben nicht zu, aber eine ausführliche<br />

Behandlung würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Für<br />

all jene, die hier tiefer eindringen wollen, kann ich noch einmal<br />

162


das oben erwähnte <strong>Lehrbuch</strong> für Surmeirisch von Gion Peder<br />

Thöni empfehlen.<br />

10. Konjunktiv Perfekt<br />

dass ich mich gewaschen tgi ia ma vegia lavo,<br />

habe/hätte ia vegia ma lavo -<br />

usw.<br />

te ta vegias lavo,<br />

te vegias ta lavo -<br />

tgi el/ella/i/ins sa vegia lavo,<br />

tgi el/ella/i/ins vegia sa lavo -<br />

tg’i/tg’ins sa vegia lavo,<br />

tg’i/tg’ins vegia sa lavo -<br />

tgi nous ans vegian lavo,<br />

nous vegian ans lavo -<br />

vous az vegias lavo,<br />

vous vegias az lavo -<br />

els/ellas sa vegian lavo,<br />

els/ellas vegian sa lavo<br />

11. Konjunktiv Imperfekt<br />

wenn ich mich waschen würde schi ia ma lavess<br />

usw.<br />

schi te ta lavessas<br />

schi el/ella sa lavess<br />

sch’i/sch’ins sa lavess<br />

schi nous ans lavessan<br />

163


schi vous az lavessas<br />

schi els/ellas sa lavessan<br />

auch: sch’ia …. - sch’el …. - sch’ella …. - sch’els …. -<br />

sch’ellas ….<br />

12. Konjunktiv Plusquamperfekt<br />

wenn ich mich gewaschen hätte schi ia ma vess lavo,<br />

usw. schi ia vess ma lavo -<br />

schi ta vessas lavo,<br />

schi vessas ta lavo -<br />

schi el/ella sa vess lavo,<br />

schi el/ella vess sa lavo -<br />

sch’i/sch’ins sa vess lavo,<br />

sch’i/sch’ins vess sa lavo -<br />

schi nous ans vessan lavo,<br />

schi nous vessan ans lavo -<br />

schi vous az vessas lavo,<br />

schi vous vessas az lavo -<br />

schi els/ellas sa vessan lavo,<br />

schi els/ellas vessan sa lavo<br />

164


Die faktitiven Verben<br />

Auch diese sind genauso wie die augmentativen und die<br />

Ablautverben für das Surmeirische charakteristisch. Mit den<br />

faktitiven Verben sind solche gemeint, die aus vier<br />

verschiedenen Wortabteilungen neu gebildet werden können<br />

und dann die Funktion von transitiven Verben ausüben, also<br />

immer mit einem Akkusativobjekt verbunden werden:<br />

a) Aus Substantiven.<br />

b) Aus Adjektiven.<br />

c) Aus intransitiven Verben, die eine Tätigkeit ausdrücken, die<br />

jemand an sich selbst ausführt, ohne dass sie formal<br />

Reflexivverben zu sein brauchen.<br />

d) Aus transitiven Verben, die also schon mit einem<br />

Akkusativobjekt verbunden werden und dann neue transitive<br />

Verben bilden.<br />

Dabei kommt es nicht darauf an, von welcher Konjugation aus<br />

die faktitiven Verben entstehen. Im Deutschen werden sie auch<br />

aus bewirkende Verben bezeichnet, was sie ja wirklich sind.<br />

Die hier aufgeführten Verben kommen besonders häufig vor.<br />

a) Bildung aus Substantiven:<br />

igl crap, Stein - crappantar steinigen<br />

la crappa Gestein<br />

la gleisch, Licht - glischantar beleuchten,<br />

la glisch<br />

erhellen<br />

igl or Gold - orantar vergolden<br />

165


la pasch Friede - paschantar befrieden<br />

la rabgia Wut, - rabgiantar wütend/zornig<br />

Zorn<br />

machen, erzürnen<br />

igl teissi Gift - teissantar vergiften<br />

la tema Angst, - temantar ängstigen,<br />

Furcht<br />

verängstigen<br />

igl turmaint Plage, - turmantar plagen, quälen<br />

Qual<br />

b) Bildung aus Adjektiven:<br />

cuntaint zufrieden - cuntantar zufriedenstellen<br />

nosch schlecht - noschantar verschlechtern<br />

setg dürr - setgantar dürren<br />

sitg trocken - sitgantar trocknen<br />

spavaint furchtbar - spavaintar erschrecken<br />

stanchel müde - stanclantar ermüden,<br />

müde machen<br />

c) Bildung aus intransitiven Verben:<br />

correr laufen, - corrantar verjagen, in die<br />

rennen<br />

Flucht schlagen<br />

fugeir fliehen, - sfugiantar wie oben<br />

flüchten<br />

mantger fehlen - mantgentar verfehlen<br />

166


passar vergehen, - passantar verbringen<br />

vorbeigehen<br />

sagleir springen - sagliantar sprengen<br />

tascheir schweigen - taschantar verschweigen, zum<br />

Schweigen bringen<br />

veiver leben - vevantar beleben, etwas zum<br />

Leben bringen<br />

d) Bildung aus transitiven Verben:<br />

bavrar tränken - bavrantar tränken<br />

durmeir schlafen - durmantar einschläfern<br />

fimar rauchen - fimantar räuchern<br />

saveir wissen - saptgantar wissen lassen<br />

tameir fürchten - tamentar erschrecken<br />

zuppar verstecken - zuppantar verstecken,<br />

verbergen,<br />

verheimlichen<br />

Manchmal hat ein solches faktitives Verb die gleiche Bedeutung<br />

wie das, von dem es abgeleitet wird:<br />

bavrar, bavantar<br />

zuppar, zuppantar<br />

tränken<br />

verstecken<br />

Schliesslich gibt es auch noch faktitive Verben, die von keinem<br />

anderen Verb abgeleitet werden; das häufigste ist dieses:<br />

167


arder<br />

arsantar<br />

brennen, verbrennen<br />

verbrennen, niederbrennen<br />

Da das Partizip «ars» lautet, ist es offensichtlich, dass das zweite<br />

Verb von diesem abgleitet wird.<br />

All diese faktitiven Verben haben gemeinsam, dass sie formal<br />

zur ersten Konjugation gehören - auch jene, die von den fünf<br />

anderen abgeleitet werden -, und dass bei ihnen im Präsens<br />

abgesehen von der ersten und zweiten Person Mehrzahl immer<br />

ein „ai“ dazwischengeschoben wird.<br />

Als Beispiel führe ich die Konjugation <strong>des</strong> Verbs „glischantar“ im<br />

Präsens und Imperfekt auf:<br />

ia glischaint<br />

te glischaintast<br />

el/ella glischainta<br />

i/ins glischainta<br />

nous glischantagn<br />

vous glischantez<br />

els/ellas glischaintan<br />

ia glischantava<br />

te glischantavas<br />

el/ella glischantava<br />

i/ins glischantava<br />

nous glischantavan<br />

vous glischantavas<br />

els/ellas glischantavan<br />

Das das Imperfekt direkt vom Infinitiv abgeleitet wird, entfällt das<br />

„-ai“.<br />

Auch in den rätoromanischen Schwestersprachen kommen<br />

diese faktitiven Verben vor; ein Blick auf die Konjugationen in den<br />

gleichen Zeiten wie oben zeigt, dass auch hier das Engadinische<br />

dem <strong>Surmeirischen</strong> viel nähersteht als das Surselvische.<br />

168


Engadinisch:<br />

Surselvisch:<br />

eu glüschaint (VL), jeu glischentel *<br />

eau glüschaint (PT)<br />

tü glüschaintast<br />

ti glischentas<br />

el/ella glüschainta<br />

el/ella glischenta<br />

nus glüschantain(s) ** nus glischentein<br />

vus glüschantais<br />

vus glischenteis<br />

els/ellas glüschaintan els/ellas glischentan<br />

eu/eau glüschantaiva jeu glischentavel *<br />

tü glüschantaivast<br />

ti glischentavas<br />

el/ella glüschantaiva el/ella glischentava<br />

nus glüschantaivan(s) ** nus glischentavan<br />

vus glüschantaivat (VL), vus glischentavas<br />

vus glüschantaivas (PT)<br />

els/ellas glüschantaivan els/ellas glischentavan<br />

* Die Endung «-el» ist im Surselvischen das Markenzeichen der<br />

ersten Person Einzahl, und zwar bei allen Verben.<br />

** Im Puter steht in der ersten Person Mehrzahl am Schluss<br />

immer ein „s“.<br />

Die Anwendung der faktitiven Verben setzt sehr gute Kenntnisse<br />

der Sprache voraus - erst recht im <strong>Surmeirischen</strong>, das viel mehr<br />

unregelmässige Verben aufweist als das Engadinische und<br />

Surselvische -, aber es ist wichtig, sie wenigstes zu kennen.<br />

169


Das Passiv<br />

Genauso wie im Italienischen wird für das Passiv, also eine<br />

Handlung, die an jemanden durch jemand anderen vollzogen<br />

wird, nicht wie in den meisten romanischen Sprachen das Verb<br />

„sein“ verwendet, sondern „kommen“, also „neir “. Da ich dieses<br />

im Kapitel „Die wichtigsten unregelmässigen Verben“ bereits<br />

ausführlich vorgestellt habe, kann von diesen Formen<br />

ausgehend das Passiv leicht gebildet werden.<br />

Dabei wird der sogenannte Agens, wie die handelnde Person in<br />

der Fachsprache genannt wird, mit „da“ verbunden:<br />

DE: Du wirst von mir geliebt.<br />

SM: Te vignst amo/amada da me.<br />

Te vignst carezzo/carezzada da me.<br />

DE: Unsere Mutter wird von uns allen geliebt.<br />

SM: Nossa mamma vign amada/carezzada da nous tots.<br />

So weit wie möglich werden solche Sätze jedoch im Aktiv<br />

ausgedrückt:<br />

DE: Ich liebe dich.<br />

SM: Ia t’am, ia ta carezz.<br />

DE: Wir alle lieben unsere Mutter.<br />

Wir lieben alle unsere Mutter.<br />

SM: Nous tots aman/carezzan nossa mamma.<br />

170


Allerdings ist hier anzumerken, dass der Gebrauch <strong>des</strong> Passivs<br />

auch beim Verb „esser“ möglich ist, aber er kommt viel seltener<br />

vor:<br />

DE: Du wirst von mir geliebt.<br />

SM: Te ist amo/amada da me. - Te ist carezzo/carezzada da me.<br />

DE: Unsere Mutter wird von uns allen geliebt.<br />

SM: Nossa mamma è amada/carezzada da nous tots.<br />

In den Medien kommt das Passiv mit „esser“ vor allem bei<br />

Verkehrsmeldungen vor:<br />

DE: Ein Mann ist schwer verletzt worden.<br />

SM: En om è sto blasso grevamaintg.<br />

DE: Drei Frauen sind schwer verletzt worden.<br />

SM: Treis donnas èn blassadas grevamaintg.<br />

Das Passiv mit „esser“ kommt auffallend häufig in der Bibel vor:<br />

DE: Geheiligt werde Dein Name .… (im Vaterunser)<br />

SM: Sontgifitgo seia igl Ties nom .…<br />

DE: Eine Stimme ist in Rama gehört worden .…<br />

SM: Ena vousch è stada santida a Rama .…<br />

Beide Bibelzitate stammen aus dem Matthäus-Evangelium.<br />

171


Die Modalverben<br />

Das sind die Verben, die in Verbindung mit einem anderen Verb<br />

oder auch alleinstehend eine Hoffnung, einen Wunsch, eine<br />

Fähigkeit oder eine Verpflichtung ausdrücken, und zwar diese:<br />

wollen, können, dürfen, müssen, sollen<br />

Im <strong>Surmeirischen</strong> lauten diese Infinitive so:<br />

leir/voleir, pudeir, saveir, dastgeir, stueir, dueir<br />

Im Gegensatz zum Engadinischen und zu fast allen anderen<br />

romanischen Sprachen, aber gleich wie im Surselvischen, wo der<br />

Infinitiv «astgar» lautet, gibt es für «dürfen» ein eigenes Verb<br />

(dastgeir), aber es kann bei einer Unsicherheit auch dann<br />

«pudeir» verwendet werden.<br />

Für «sollen» gibt es zwar einen eigenen Infinitiv (dueir), aber<br />

keine eigene Konjugation, so dass immer die von «stueir»<br />

verwendet werden muss.<br />

leir, voleir (wollen):<br />

1. Präsens<br />

pudeir (können):<br />

ich will ia vi ich kann/darf ia poss<br />

du willst te vot du kannst/darfst te post<br />

er/sie will el/ella vot er/sie kann/darf el/ella pò<br />

es/man will i/ins vot es/man kann/darf i/ins pò<br />

wir wollen nous lagn wir können/dürfen nous pudagn<br />

ihr wollt vous lez ihr könnt/dürft vous pudez<br />

sie wollen els vottan sie können/dürfen els/ellas pon<br />

172


saveir (können im Sinn von wissen): dastgeir (dürfen):<br />

ich kann/weiss ia sa ich darf ia dastg<br />

du kannst/weisst te sast du darfst te dastgas<br />

er/sie kann/weiss el/ella so er/sie darf el/ella dastga<br />

es/man kann/weiss i/ins so es/man darf i/ins dastga<br />

wir können/wissen nous savagn wir dürfen nous<br />

dastgagn<br />

ihr könnt/wisst vous savez ihr dürft vous dastgez<br />

sie können/wissen els/ellas son sie dürfen els/ellas<br />

dastgan<br />

stueir (müssen):<br />

dueir (sollen):<br />

ich muss ia stò ich soll ia stò<br />

du musst te stost usw. (wie bei «stueir»)<br />

er/sie muss el/ella stò<br />

es/man muss i/ins stò<br />

wir müssen nous stuagn<br />

ihr müsst<br />

vous stuez<br />

sie müssen els/ellas ston<br />

Genauso wie in allen anderen romanischen Sprachen gibt es für<br />

„können“ zwei verschiedene Verben, die sich in ihren Aussagen<br />

deutlich voneinander unterscheiden, einerseits „pudeir“ und<br />

andererseits „saveir“:<br />

173


DE: Ich kann schwimmen.<br />

(Möglichkeit)<br />

SM: Ia poss nodar.<br />

Ich kann schwimmen.<br />

(Fähigkeit)<br />

Ia sa nodar.<br />

Ein Vergleich mit dem Vallader, Puter, Surselvischen,<br />

Französischen, Italienischen, Friaulischen, Sardischen,<br />

Katalanischen, Spanischen und Portugiesischen:<br />

VL: Eu poss nodar.<br />

PT: Eau poss noder.<br />

SV: Jeu poss senudar.<br />

FR: Je peux nager.<br />

IT : Posso natare.<br />

FL: O pues nadâ.<br />

SS: Potzu nadai.<br />

NS: Pozzo nadare.<br />

CT: Puc nadar.<br />

ES: Puedo nadar.<br />

PO: Posso nadar.<br />

Eu sa nodar.<br />

Eau so noder.<br />

Jeu sai senudar.<br />

Je sais nager.<br />

So natare.<br />

O sai nadâr.<br />

Skiu nadai.<br />

Ischio nadare.<br />

Sé nadar.<br />

Sé nadar.<br />

Sei nadar.<br />

Die Partizipien dieser Modalverben, die wie in allen anderen<br />

romanischen Sprachen selten vorkommen, weil sie ein wenig<br />

kompliziert zu verwenden sind und sich zudem nicht so leicht<br />

aussprechen lassen, sind diese:<br />

lia - pudia - savia - dastgea - stuia<br />

174


Ein paar Beispiele:<br />

Ich will dir einen Brief schreiben.<br />

Ia vi at screiver ena brev. (literarisch)<br />

Ia vi screiver a tè ena brev.<br />

Ia vi screiver ena brev a tè.<br />

Du kannst mir das Buch geben.<br />

Te post am dar igl co<strong>des</strong>ch. (literarisch)<br />

Te post dar a me igl co<strong>des</strong>ch.<br />

Te post dar igl co<strong>des</strong>ch a me.<br />

Ihr müsst uns das sagen.<br />

Vous stuez ans deir chel. (literarisch)<br />

Vous stuez deir a nous chel.<br />

Vous stuez deir chel a nous.<br />

Wir wollen es wissen.<br />

Nous lagn igl saveir. (literarisch)<br />

Nous lagn saveir el.<br />

Diese Konstruktionen sind also teilweise mit denen im<br />

Italienischen, Spanischen und Französischen identisch:<br />

DE: Ich will dir einen Brief schreiben.<br />

IT: Voglio scriverti una lettera.<br />

Ti voglio scrivere una lettera.<br />

175


ES: Quiero escribirte una carta.<br />

Te quiero escribir una carta.<br />

FR: Je veux t‘écrire une lettre.<br />

Da die übrigen Zeiten von den Infinitiven ausgehend leicht zu<br />

bilden sind, führe ich hier nur noch die Formen der ersten Person<br />

Einzahl auf:<br />

vuleir - ia vuleva, ia vularo/ia niro a vuleir, ia va lia, ia veva lia,<br />

ia niro ad aveir lia, ia vuless, ia vess lia, tgi ia viglia,<br />

tgi ia vegia lia, schi ia vuless, schi ia vess lia<br />

pudeir - ia pudeva, ia pudaro/ia niro a pudeir, ia va pudia, ia vess<br />

pudia, ia niro ad aveir pudia, ia pu<strong>des</strong>s, ia vess pudia,<br />

tgi ia possa, tgi ia vegia pudia, schi ia pu<strong>des</strong>s, schi ia<br />

vess pudia<br />

saveir - ia saveva, ia niro a saveir, ia va savia, ia veva savia,<br />

ia niro ad aveir savia, ia savess, ia vess savia, tgi ia<br />

saptga, tgi ia vegia savia, schi ia savess, schi ia vess<br />

savia<br />

dastgeir - ia dastgeva, ia niro a dastgeir, ia va dastgea, ia veva<br />

dastgea, ia niro ad aveir dastgea, ia dastgess, ia vess<br />

dastgea, tgi ia dastga, tgi ia vess dastgea, schi ia<br />

dastgess, schi ia vess dastgea<br />

176


stuveir - ia stueva, ia niro a stueir, ia va stuia, ia vess stuia,<br />

ia niro ad aveir stuia, ia stuess, ia vess stuia, tgi ia<br />

stoptga, tg ia vegia stuia, schi ia stuess, schi ia vess<br />

stuia<br />

dueir - ia duess, schi ia duess (alle anderen sind mit denen <strong>des</strong><br />

Verbs „stueir“ identisch)<br />

Die Verbformen der ersten Person Einzahl sind im Konjunktiv<br />

Präsens also diese:<br />

tgi ia viglia, tgi ia possa, tgi ia saptga, tgi ia dastga, tgi ia stoptga<br />

Mit dieser Verbentabelle ist es auch nur von der ersten Person<br />

Einzahl ausgehend möglich, alle möglichen Beispielsätze mit<br />

Modalverben zu bilden. Diese paar wenigen können das ganze<br />

Formengestrüpp schon ein wenig entflechten:<br />

DE: Ich will, dass du das weisst.<br />

SM: Ia vi tgi te saptgas chel.<br />

DE : Sie wollten immer, dass wir diese Arbeit tun konnten.<br />

SM: Els vulevan adegna tgi nous pu<strong>des</strong>san far chella lavour.<br />

DE: Es kann sein, dass wir hier bald schwimmen dürfen.<br />

SM: I pò esser tgi nous dastgan nodar chi prest.<br />

177


DE: Ich wollte, er müsste dieses Buch lesen.<br />

SM: Ia vuless tgi el stoptga liger chel co<strong>des</strong>ch.<br />

Ia vuless tg’el stoptga liger chel co<strong>des</strong>ch.<br />

DE: Ihr sollt noch in dieser Woche kommen!<br />

SM: Vous stuez neir anc ainten chesta emda! *<br />

Vous stuez neir anc ainten chest’emda!<br />

Tgi vous vignas anc ainten chesta emda! **<br />

Tgi vous vignas anc ainten chest’emda!<br />

* Hier wird „chesta“ und nicht „chella“ verwendet, weil „emda“<br />

eine Zeit ausdrückt.<br />

** Die Variante mit „tgi“ (dass) wird weiter unten im Kapitel über<br />

die bejahenden und verneinten Befehlsformen näher behandelt.<br />

Die Verneinung<br />

Nach so vielen Verbtabellen, die ich bewusst so aufgeführt habe,<br />

damit einmal alle möglichen Varianten auf einmal gesehen<br />

werden können, wird es jetzt wieder einfach. Wenn eine Aussage<br />

verneint wird, genügt es, hinter dem Verb, auf das sie sich direkt<br />

bezieht, einfach ein „betg» zu setzen.<br />

DE: Ich liebe dich.<br />

SM: Ia t’am.<br />

Ia ta carezz.<br />

Ich liebe dich nicht.<br />

Ia t’am betg.<br />

Ia ta carezz betg.<br />

178


DE: Du liebst diesen Mann.<br />

SM: Te amas chegl om.<br />

Te carezzas chegl om.<br />

Du liebst diesen Mann nicht.<br />

Te amas betg chegl om.<br />

Te carezzas betg chegl om.<br />

In der Schriftsprache ist es aber vorgeschrieben, vor das Verb<br />

auch noch ein „na“ zu setzen, wie das auch im Surselvischen und<br />

Sutselvischen vorkommt:<br />

DE: Das Haus war nicht gut.<br />

SM: La tgesa (na) era betg buna.<br />

ST : La tgea (na) eara betga buna.<br />

SV: La casa (na) era buca buna.<br />

Während im benachbarten Sutselvischen und im Surselvischen<br />

vor einem Konsonanten „betga“ und „buca“ stehen, werden<br />

„betg“ und „buc“ immer vor einem Vokal verwendet; dagegen<br />

bleibt das surmeirische „betg“ immer unveränderlich.<br />

Es ist die gleiche „Mantelverneinung“ wie im Französischen, wo<br />

das „ne“ vorn im mündlichen Gebrauch ebenfalls wegfällt:<br />

DE: Ich komme nicht.<br />

FR: Je (ne) viens pas.<br />

Das Haus war nicht gut.<br />

La maison (n’)était pas bonne.<br />

Dagegen steht in beiden engadinischen Sprachen direkt vor dem<br />

Verb „nu“, wenn es vor einem Konsonanten steht, und „nun“,<br />

wenn ein Vokal folgt:<br />

DE: Die Frau kommt nicht.<br />

VL: La duonna nu vegn.<br />

PT: wie oben<br />

Das Haus war nicht gut.<br />

La chasa nun eira buna.<br />

La chesa nun eira buna.<br />

179


Wenn eine verneinte Aussage nur im Sinn von „ich nicht“, also<br />

mit dem Verneinungswort ganz hinten, ausgedrückt werden soll,<br />

kann zwar „na“ (nein) gesagt werden, aber es ist auch möglich,<br />

dafür das Wort „betg“ zu verwenden, das dem surselvischen<br />

„buca“ und dem engadinischen „brich“ entspricht. Im letzteren<br />

kommt «brich» nur in solchen Sätzen vor, ansonsten stehen vor<br />

den Verben «nu» oder und «nun»:<br />

DE: Kommst du diesen Abend?<br />

SM: Vignst te chesta seira?<br />

DE: Ja, ich komme. Nein, ich komme nicht. Nein, ich nicht.<br />

SM: Gea, ia vign. Na, ia vign betg. Na, ia na.<br />

Na, ia betg.<br />

DE: Kommst du diesen Abend nicht?<br />

SM: Vignst te betg chesta seira?<br />

Nein, heute nicht.<br />

Na, oz na.<br />

Na, oz betg.<br />

Im Surselvischen und Engadinischen lauten diese Sätze so:<br />

SV: Vignas ti questa sera? Na, jeu na. - Na, jeu buc/buca.<br />

VL: Vainst tü quista saira? Na, eu na. - Na, eu brich.<br />

PT: Vainst tü quista saira? Na, eau na. - Na, eau brich.<br />

SV: Vignas ti buca questa sera? Na, oz na. - Na, oz buc(a).<br />

EN: Nu vainst tü quista saira?<br />

Na, hoz na. - Na, oz brich.<br />

180


Zur Verneinung gehören auch diese Ausdrücke:<br />

na .… pi<br />

nicht mehr<br />

na .… mai, nie, niemals<br />

na .… mai ple<br />

na .… anc<br />

noch nicht<br />

DE: Ich liebe dich nicht mehr.<br />

SM: Ia (n) t’am pi.<br />

Ia (na) ta carezz pi.<br />

Ich werde nie mehr kommen.<br />

Ia (na) niro mai pi.<br />

Ia (na) niro mai ple.<br />

DE: Ich habe dieses Haus noch nicht.<br />

SM: Ia (na) va anc chella tgesa.<br />

Wenn ich in diesem Kapitel die rätoromanischen<br />

Schwestersprachen in der Surselva und im Engadin schon<br />

erwähnt habe, kann ich das ganze Bild noch mit diesen Angaben<br />

abrunden:<br />

SV: na .… pli,<br />

buca pli<br />

na .… pli mai<br />

na .… aunc,<br />

buc aun<br />

nicht mehr<br />

nie mehr<br />

noch nicht<br />

VL: nu .… plü nicht mehr PT: nu …. pü<br />

nu .… plü mai nie mehr nu …. pü mai<br />

nu …. amo noch nicht nu …. auncha<br />

181 („äntscha“)


Ein paar Beispielsätze:<br />

SV: Jeu carezel tei pli.<br />

Jeu vegn(el) a vegnir pli mai.<br />

Jeu hai buc aunc questa casa.<br />

Jeu vai buc aunc questa casa.<br />

VL: Eu nu t’am plü.<br />

Eu nu gnirà plü mai.<br />

Eu nun ha amo quista chasa (« …. nunamo…. »).<br />

PT: Eau nu t’am pü.<br />

Eau nu gniro mai pü.<br />

Eau nun he auncha quista chesa.<br />

Für „lieben“ haben alle drei Sprachen einen Ausdruck<br />

gemeinsam, der dem deutschen „gernhaben“ entspricht:<br />

SM: aveir gugent<br />

SV: haver bugen<br />

EN: avair gugent<br />

Sowohl „gugent“ als auch „bugen“ werden auf der letzten Silbe<br />

betont.<br />

DE: Ich liebe dich, ich habe dich gern. Die Verneinung:<br />

SM: Ia ta va gugent.<br />

SV: Jeu hai bugen tei.<br />

Ia (na) ta va betg gugent.<br />

Jeu (na) hai buca bugen tei.<br />

Jeu (na) vai buca bugen tei.<br />

182


VL: Eu t’ha gugent.<br />

PT: Eau t’he gugent.<br />

Eu nu t’ha gugent.<br />

Eau nu t’he gugent.<br />

Allein diese paar Beispielsätze geben einen guten Einblick in die<br />

recht grossen Unterschiede zwischen diesen<br />

Schwestersprachen.<br />

Die Inversion<br />

Erst jetzt, da ich das Kapitel mit der Verneinung und damit<br />

zugleich die Konstruktion von Fragesätzen behandelt habe, kann<br />

ich auf das eingehen, was für das Surmeirische und die anderen<br />

rätoromanischen Sprachen sowie für das nah verwandte<br />

Friaulische gewissermassen das Markenzeichen ist, weil alle<br />

anderen romanischen Sprachen das nicht kennen. Mit der<br />

Inversion (Umstellung) wird nicht nur bei Fragen, sondern auch<br />

in gewöhnlichen Aussagesätzen ein Nebensatz eingeleitet,<br />

<strong>des</strong>sen Konstruktion mit der im Deutschen und in allen anderen<br />

germanischen Sprachen mit Ausnahme <strong>des</strong> Englischen<br />

übereinstimmt. Tatsächlich haben sie alle rätoromanischen<br />

Dialekte infolge der jahrhundertelangen starken Beeinflussung<br />

durch das Deutsche oder genauer durch die walserdeutschen<br />

Dialekte übernommen, doch nach anderen Aussagen kann sie<br />

auch aus dem eigenen romanischen Haus stammen, weil zum<br />

Beispiel das Alt- und Mittelfranzösische sie auch kannten, ja,<br />

sogar noch heute kann sie in einem schnellen Alltagsgespräch<br />

vorkommen. Doch auch im Englischen, das bekanntlich nach der<br />

erfolgreichen Invasion der Normannen im Jahr 1066 im Verlauf<br />

der nächsten paar Jahrhunderte vom Französischen stark<br />

beeinflusst worden ist, wird die Inversion in den<br />

Alltagsgesprächen noch oft verwendet.<br />

183


Leider kann diese Inversion nicht einfach dadurch gebildet<br />

werden, dass das Personalpronomen und das mit ihm<br />

verbundene Verb wie bei den Fragesätzen einfach umgestellt<br />

werden, sondern es müssen auch noch bestimmte Regeln<br />

beachtet werden, die jedoch als kleiner Trost keine einzige<br />

Ausnahme kennen.<br />

Eine kleine Tabelle, welche die Bildung der Inversion zeigt, kann<br />

das übersichtlich zeigen:<br />

ia sung sung ia? sunga bin ich ….<br />

te ist ist (te)? * ist bist du ….<br />

el è è el? è’l? è’l, el ist er ….<br />

ella è è ella? ella ist sie ….<br />

igl è è’gl? egl? egl ist es ….<br />

ins è è ins? è ins ist man ….<br />

nous ischan ischan nous? ischans sind wir ….<br />

vous ischas ischas vous? ischas seid ihr ….<br />

els èn èn els? enigl sind sie ….<br />

ellas èn èn ellas? enigl sind sie ….<br />

ia va va ia? vaia habe ich ….<br />

te ast ast (te)? * ast hast du ….<br />

el ò ò el? ò’l? ò’l, ol hat er ….<br />

ella ò ò ella? olla hat sie ….<br />

igl ò ò’gl? ogl? ogl hat es ….<br />

ins ò ò ins? ò ins hat man ….<br />

nous vagn vagn nous? vainsa haben wir ….<br />

184


vous vez vez vous? vez habt ihr ….<br />

els on on els? onigl haben sie ….<br />

ellas on on ellas? onigl haben sie ….<br />

Wie wir sehen können, sind die Formen bei den Fragen und bei<br />

der Inversion nur bei der zweiten Person Einzahl und Mehrzahl<br />

überall identisch. Interessant ist, dass «vainsa» (haben wir) mit<br />

der Variante im benachbarten Puter übereinstimmt.<br />

Im mündlichen Gebrauch wird das «te» bei Fragen oft<br />

weggelassen:<br />

ist te? = ist?<br />

ast te? = ast?<br />

Auch das «vous» wird in der zweiten Person Mehrzahl manchmal<br />

weggelassen, aber das gilt eigentlich nicht als korrekt.<br />

Die gleichen Regeln gelten auch für alle anderen Verben und<br />

Zeiten, bei denen die beiden zweiten Personen ebenfalls überall<br />

identisch sind:<br />

carezzar (lieben)<br />

neir (kommen)<br />

ia carezz carezza ia vign vigna<br />

te carezzas carezzas te vignst vignst<br />

el carezza carezza’l el vign vign el<br />

ella carezza carezza ella ella vign vign ella<br />

i carezza carezza’gl i vign vign igl<br />

ins carezza carezza ins, ins vign vign ins<br />

carezza’ns<br />

185


nous carezzagn carezzagnsa nous nign nignsa<br />

vous carezzez carezzez vous niz niz<br />

els carezzan carezzan els els vignan vignan els<br />

ellas carezzan carezzan ellas ellas vignan vignan ellas<br />

ia carezzava carezzava ia vigniva vigniva<br />

te carezzavas carezzavas te vignivas vignivas<br />

el carezzava carezzaval’l el vigniva vigniva’l<br />

ella carezzava carezzava ella ella vigniva vigniva ella<br />

i carezzava carezzava’gl i vigniva vigniva’gl<br />

ins carezzava carezzava ins, ins vigniva vigniva ins,<br />

carezzava’ns<br />

vigniva’ns<br />

nous carezzavan nous vignivan vignivansa<br />

carezzavansa<br />

vous carezzavas carezzavas vous vignivas vignivas<br />

els carezzavan carezzavan els els vignivan vignivan els<br />

ellas carezzava carezzavan ellas ellas vignivan vignivan ellas<br />

eir (gehen)<br />

abitar (wohnen)<br />

ia vign vigna ia abitesch abitescha<br />

te vast vast te abiteschas abiteschas<br />

el vo vogl el abitescha abiteschel<br />

ella vo volla ella abitescha abiteschla<br />

i vo vogl igl abitescha abitescha’gl<br />

186


ins vo vo ins, ins abitescha abitescha‘ns<br />

vo‘ns<br />

nous giagn giagnsa nous abitagn abitagnsa<br />

vous gez gez vous abitez abitez<br />

els von vonigl els abiteschan abiteschigl<br />

ellas von vonigl ellas abiteschan abiteschigl<br />

Zu beachten sind vor allem die Inversionsendungen bei den<br />

augmentativen Verben, in diesem Beispiel beim Verb „abitar“<br />

(wohnen).<br />

Ein paar Beispiele zeigen, wie das funktioniert, und führen<br />

zugleich deutlich vor Augen, wie wichtig die Verwendung <strong>des</strong><br />

oben vorgestellten „betg“ (nicht) sein kann:<br />

DE: Wenn du fröhlich bist, bin ich auch fröhlich.<br />

SM: Schi te ist led, sunga er leda (Frau zum Mann).<br />

Schi te ist leda, sunga er led (Mann zur Frau).<br />

DE: Wenn du kommst, komme ich auch.<br />

SM: Schi te vignst, vigna er.<br />

DE: Wenn er auch kommt, komme ich nicht.<br />

SM: Schi el vign er, vigna betg.<br />

Wenn das Subjekt im Hauptsatz betont wird, kann auch das<br />

Personalpronomen wieder verwendet werden, wobei dann die<br />

besonderen Inversionsendungen wegfallen:<br />

187


DE: Wenn du kommst, komme ich auch.<br />

SM: Schi te vignst, vign ia er.<br />

DE: Wenn er kommt, komme ich nicht.<br />

SM: Schi el vign, vign ia betg.<br />

Im Französischen, Italienischen und Spanischen sieht es so aus:<br />

DE: Wenn du glücklich bist, bin ich es auch.<br />

FR: Si tu est heureux/heureuse, je le suis aussi.<br />

IT : Se tu sei felice, lo sono anche io.<br />

ES: Si tú estás feliz, yo lo estoy también.<br />

DE: Wenn du kommst, komme ich auch.<br />

FR: Si tu viens, je viens aussi (mündlich auch: viens-je aussi).<br />

IT : Se (tu) vieni, vengo anche io.<br />

ES: Si (tú) vienes, vengo también.<br />

DE: Wenn er auch kommt, komme ich nicht.<br />

FR: S’il vient aussi, je ne viens pas (mündlich auch: viens-je pas).<br />

IT : Se viene anche lui, io non vengo.<br />

ES: Si él viene también, yo no vengo.<br />

Die Inversion gilt natürlich auch für die Modalverben:<br />

DE: Kannst du kommen? Kannst du nicht kommen?<br />

188


SM: Post te neir?<br />

Post te betg neir?<br />

DE: Wenn du kommst, kann ich auch kommen.<br />

SM: Schi te vignst, possa er neir.<br />

DE: Wenn du kommst, kann auch ich kommen.<br />

SM: Schi te vignst, possa neir er ia.<br />

DE: Wenn ich komme, kannst du auch kommen.<br />

SM: Schi ia vign, post er neir.<br />

DE: Wenn ich komme, kannst auch du kommen.<br />

SM: Schi ia vign, post neir er te.<br />

DE: Wenn wir kommen, könnt ihr auch kommen.<br />

SM: Schi nous nign, pudez er neir.<br />

DE: Wenn wir kommen, könnt auch ihr kommen.<br />

SM: Schi nous nign, pudez neir er vous.<br />

Im Surselvischen und Engadinischen sieht die Inversion so aus:<br />

DE: Wenn du kommst, komme ich auch.<br />

SV: Sche ti vegnas, vegn(el) jeu era.<br />

EN: Scha tü vegnast, vegna eira.<br />

189


DE: Wenn er kommt, komme ich nicht.<br />

SV: Sche el vegna, vegn(el) jeu buc(a).<br />

EN: Scha el vain, vegna brich.<br />

DE: Warum kommst du nicht?<br />

SV: Pertgei (na) vegnas (ti) buc(a)?<br />

EN: Perche nu vegnast tü?<br />

Perche vengast tü brich? *<br />

* Diese zweite engadinische Variante gilt zwar nicht als korrekt,<br />

aber sie kann in den Alltagsgesprächen auch vorkommen.<br />

Da die Inversion besonders schwierig zu meistern ist und eine<br />

fremdsprachige Person schon beim Aussprechen <strong>des</strong> ersten<br />

Wortes sowieso als eine solche erkannt wird, ist es auch möglich,<br />

auf die oben aufgeführten Spezialendungen zu verzichten und<br />

wie im Surselvischen, das nur diese kennt, die einfache Inversion<br />

zu verwenden, die in den Fragesätzen vorkommt. Das ist<br />

grammatikalisch zwar nicht ganz korrekt, aber man wird auch so<br />

gut verstanden, und darauf kommt es letztlich an.<br />

190


Der Imperativ (Die Befehlsformen)<br />

Im Vergleich zum Engadinischen, <strong>des</strong>sen Imperativ-System<br />

zum grössten Teil mit dem im Italienischen identisch ist (canta!<br />

non cantare! cantate! non cantate! - chanta! nu chantar/nu<br />

chanter! chantai! nu chantai!), lassen sich sowohl der bejahte als<br />

auch der verneinte Imperativ im <strong>Surmeirischen</strong> einfach bilden. Es<br />

genügt, von der zweiten Person Einzahl <strong>des</strong> Indikativs das «s»<br />

wegzulassen, um die Einzahl zu bilden, während bei der zweiten<br />

Person Mehrzahl an den Verbstamm «e» angehängt wird. Noch<br />

leichter ist es bei der ersten Person Mehrzahl, die unverändert<br />

bleibt.<br />

Ein Beispiel:<br />

canta! = sing! cante! = singt! cantagn! = singen wir!<br />

(Betonung auf dem «e»)<br />

Das gilt allerdings nur für die erste Konjugation; in den fünf<br />

anderen Konjugationen und erst recht bei den unregelmässigen<br />

Verben gibt es leider nicht wenige Ausnahmen, für die ein<br />

weiteres eigenes Buch nötig wäre, um sie alle aufzuführen, aber<br />

wenigstens bleibt auch dort die erste Person Mehrzahl<br />

unverändert. Am Ende dieses Buches ist angegeben, auf<br />

welchen Seiten die ganze umfangreiche Verbenwelt im<br />

<strong>Surmeirischen</strong>, welche die surselvische und engadinische bei<br />

weitem übertrifft, genauer angeschaut werden kann.<br />

Beim verneinten Imperativ wird «betg» genauso wie im<br />

Surselvischen «buca» verwendet, allerdings mit dem<br />

Unterschied, dass «betg» zumin<strong>des</strong>t in der Schriftsprache<br />

immer vor dem Verb steht, während «buca» immer hinten steht:<br />

191


DE: sing nicht! singt nicht! singen wir nicht!<br />

SV: canta buc! cantei buc! che nus canteien buc!<br />

SM: betg canta! betg cante! betg cantagn!<br />

In den beiden dritten Personen muss genauso wie in allen<br />

anderen romanischen Sprachen «tgi» (dass) in Verbindung mit<br />

dem Konjunktiv verwendet werden:<br />

DE: Er soll (nicht) singen!<br />

SM: Tgi el betg canta!<br />

Tg’el betg canta!<br />

Sie sollen (nicht) singen!<br />

Tgi els/tgi ellas betg cantan!<br />

Tg’els/tg’ellas betg cantan!<br />

In den Alltagsgesprächen wird „betg“ manchmal auch hinter dem<br />

Verb gesagt, obwohl es nicht als korrekt gilt, aber es steht damit<br />

dem Surselvischen etwas näher, wo allerdings „buca“ ebenfalls<br />

vor dem Verb gehört werden kann:<br />

SM: Tg’el canta betg! Tg’els/tg’ellas cantan betg!<br />

SV: Ch’el canta buc! Ch’els/ch’ellas cantan buc!<br />

Ch’el buca canta! Ch’els/ch‘ellas buca cantan!<br />

Bei „esser“ (sein) und „aveir“ (haben) sowie bei den wichtigsten<br />

unregelmässigen Verben, die ich weiter oben in einem eigenen<br />

Kapitel vorgestellt habe, steht der Konjunktiv auch in einem<br />

bejahten Imperativ bei jeder einzelnen Person, wobei „tgi“ nur in<br />

den beiden dritten Personen immer mitverwendet werden muss:<br />

DE: Sei lieb! Seid lieb! Seien wir lieb!<br />

SM: Seia tger/tgera! Seias tgers/tgeras! Seian nous tgers/<br />

192<br />

tgeras!


DE: Er soll lieb sein!<br />

SM: Tgi el seia tger!<br />

Sie soll lieb sein!<br />

Tgi ella seia tgera!<br />

DE: Sie (m.) sollen lieb sein!<br />

SM: Tgi els seian tgers!<br />

Sie (f.) sollen lieb sein!<br />

Tgi ellas seian tgeras!<br />

DE: Sei nicht bös!<br />

SM: Betg seia nosch/noscha!<br />

Seia betg nosch/noscha!<br />

Seid nicht bös!<br />

Betg seias noschs/noschas!<br />

Seias betg noschs/noschas!<br />

DE: Seien wir nicht bös!<br />

SM: Betg seian nous noschs/noschas!<br />

Seian nous betg noschs/noschas!<br />

DE: Er soll nicht bös sein!<br />

SM: Tgi el betg seia nosch!<br />

Tgi el seia betg nosch!<br />

Sie soll nicht bös sein!<br />

Tgi ella betg seia noscha!<br />

Tgi ella seia betg noscha!<br />

DE: Sie (m.) sollen nicht bös sein! Sie (f.) sollen nicht bös sein!<br />

SM: Tgi els betg seian noschs! Tgi ellas betg seian noschas!<br />

Tgi els seian betg noschs! Tgi ellas seian betg noschas!<br />

DE: Habe Geduld!<br />

SM: Vegia pazienztga!<br />

193<br />

Habt Geduld!<br />

Vegias pazienztga!


DE: Haben wir Geduld!<br />

SM: Vegian nous pazienztga!<br />

DE: Er soll Geduld haben!<br />

SM: Tgi el vegia pazienztga!<br />

Sie soll Geduld haben!<br />

Tgi ella vegia pazienztga!<br />

DE: Sie (m.) sollen Geduld haben! Sie (f.) sollen Geduld haben!<br />

SM: Tgi els vegian pazienztga!<br />

Tgi ellas vegian pazienztga!<br />

DE: Hab keine Angst!<br />

SM: Betg vegia tema!<br />

Vegia betg tema!<br />

Habt keine Angst!<br />

Betg vegias tema!<br />

Vegias betg tema!<br />

DE: Haben wir keine Angst!<br />

SM: Betg vegian nous tema!<br />

Vegian nous betg tema!<br />

DE: Er soll keine Angst haben!<br />

SM: Tgi el betg vegia tema!<br />

Tgi el vegia betg tema!<br />

Sie soll keine Angst haben!<br />

Tgi ella betg vegia tema!<br />

Tgi ella vegia betg tema!<br />

DE: Sie sollen keine Angst haben!<br />

SM: Tgi els/tgi ellas betg vegian tema!<br />

Tgi els/tgi ellas vegian betg tema!<br />

194


Bei den wichtigsten unregelmässigen Verben sehen die<br />

Imperativformen so aus:<br />

Gib (nicht)! Gebt (nicht)! Geben wir (nicht)!<br />

(Betg) dò! (Betg) de! (Betg) dagn!<br />

Er soll (nicht) geben!<br />

Tgi el (betg) detta!<br />

Sie sollen (nicht) geben!<br />

Tgi els (betg) dettan!<br />

Geh (nicht)! Geht (nicht)! Gehen wir (nicht)!<br />

(Betg) vo! (Betg) ge! (Betg) giagn!<br />

Er soll (nicht) gehen!<br />

Tgi el (betg) geia!<br />

Sie sollen (nicht) gehen!<br />

Tgi els (betg) geian!<br />

Komm (nicht)! Kommt (nicht)! Kommen wir (nicht)!<br />

(Betg) vea! (Betg) ni! (Betg) nign!<br />

Er soll (nicht) kommen!<br />

Tgi el (betg) vigna!<br />

Sie sollen (nicht) kommen!<br />

Tgi els (betg) vignan!<br />

Mach (nicht)! Macht (nicht)! Machen wir (nicht)!<br />

(Betg) fò! (Betg) fasche! (Betg) faschagn!<br />

Er soll (nicht) machen!<br />

Tgi el (betg) fetscha!<br />

195<br />

Sie sollen (nicht) machen!<br />

Tgi els (betg) fetschan!


Wisse (nicht)!<br />

(Betg) saptga!<br />

Wisset (nicht)!<br />

(Betg) saptgas!<br />

Lasst uns (nicht) wissen!<br />

Tgi nous (betg) saptgan! (Hier ist es mit „tgi“ besser)<br />

Er soll (nicht) wissen!<br />

Tgi el (betg) saptga!<br />

Sie sollen (nicht) wissen!<br />

Tgi els/ellas (betg) saptgan!<br />

Da im <strong>Surmeirischen</strong> auch der Bereich <strong>des</strong> Imperativs ein<br />

ganzes eigenes Buch füllen könnte, gebe ich ganz unten an, auf<br />

welchen Seiten <strong>des</strong> einzigen <strong>Lehrbuch</strong>es, das bis heute für diese<br />

Sprache geschrieben wurde, alle Formen genau angeschaut<br />

werden können. Immerhin bleibt der kleine „Trost“, dass nicht nur<br />

alle Formen der ersten Person Mehrzahl mit denen im Indikativ<br />

Präsens identisch sind, sondern dass zudem die meisten der<br />

zweiten Mehrzahl auch in der zweiten, dritten, vierten, fünften<br />

und sechsten Konjugation auf „e“ enden, aber eben nicht alle.<br />

In Verbindung mit einem Akkusativpronomen sieht die ganze<br />

Tabelle so aus:<br />

lass mich! lascha’m! lascha me!<br />

lass ihn! lasch’igl! lascha el!<br />

lass sie! lasch’la! lascha ella!<br />

lass uns! lascha’ns! lascha nous!<br />

lass sie! (m.) lasch’igls! lascha els!<br />

lass sie (f.) lasch’las! lascha ellas!<br />

196


lasst mich! lasche’m! lasche me!<br />

lasst ihn! lasche’gl! lasche el!<br />

lasst sie! lasche’la! lasche ella!<br />

lasst uns! lasche’ns! lasche nous!<br />

lasst sie! (m.) lasche’gls! lasche els!<br />

lasst sie! (f.) lasche’las! lasche ellas!<br />

lassen wir dich! - laschagn tè!<br />

lassen wir ihn! laschagn’igl! laschagn el!<br />

lassen wir sie! laschagn’la! laschagn ella!<br />

lassen wir uns! laschagn ans! laschagn nous!<br />

lassen wir sie! laschagn’igls! laschagn els!<br />

lassen wir sie! laschagn’las! laschagn ellas!<br />

Die linke Variante kommt fast nur in der Schriftsprache vor,<br />

während die rechte, die zugleich die einfachere ist, in den<br />

Alltagsgesprächen verwendet wird. Auch hier steht bei einer<br />

Verneinung immer «betg» am Satzanfang.<br />

Bei den reflexiven Verben sieht es so aus:<br />

Wasch dich (nicht)! (Betg) lava’t! (Betg) lava tè!<br />

Wascht euch (nicht)! (Betg) az lave! (Betg) lave vous!<br />

Wachen wir uns (nicht)! (Betg) ans lavagn! (Betg) lavagn nous!<br />

Er soll sich (nicht) waschen! Tgi el (betg) sa lava!<br />

Sie sollen sich (nicht) waschen! Tgi els/ellas (betg) sa lavan!<br />

197


Ein paar Beispielsätze:<br />

Lass mich nach Hause gehen!<br />

Lascha’m eir a tgesa!<br />

Lascha me eir a tgesa!<br />

Lasst uns in Frieden!<br />

Lasche’ns an pasch!<br />

Lasche nous an pasch!<br />

Zu beachten ist das «an» bei «pasch», das sich vom<br />

surselvischen „en“ und vom engadinischen „in“ gründlich<br />

unterscheidet. Weiter unten gehe ich im Kapitel über die<br />

Präpositionen noch näher darauf ein.<br />

In Verbindung mit einem Dativpronomen sieht die ganze Tabelle<br />

so aus:<br />

gib mir! dò’m! dò a me!<br />

gib ihm! dò’gl! dò ad el!<br />

gib ihr! dò’la! dò ad ella!<br />

gib uns! dò’ns! dò a nous!<br />

gib ihnen! (m.) dò’gls ! dò ad els!<br />

gib ihnen! (f.) dò’las! dò ad ellas!<br />

gebt mir! de’m! de a me!<br />

gebt ihm! de’gl! de ad el!<br />

gebt ihr! de’la! de ad ella!<br />

gebt uns! de’ns! de a nous!<br />

gebt ihnen! (m.) de’gls! de ad els!<br />

gebt ihnen! (f.) de’las! de ad ellas!<br />

198


geben wir dir! - dagn a tè!<br />

geben wir ihm! dagn’igl! dagn ad el!<br />

geben wir ihr! dagn’la! dagn ad ella!<br />

geben wir uns! - dagn a nous!<br />

geben wir euch! - dagn a vous!<br />

gebt ihnen! (m.) dagn’igls! dagn ad els!<br />

gebt ihnen! (f.) - dagn ad ellas!<br />

Ein paar Beispielsätze:<br />

Gib mir das Buch!<br />

Dò’m igl co<strong>des</strong>ch!<br />

Dò a me igl co<strong>des</strong>ch!<br />

Gebt uns die Bücher!<br />

De’ns igls co<strong>des</strong>chs!<br />

De a nous igls co<strong>des</strong>chs!<br />

Für die Verben «pudeir» und „voleir“ (wollen) gibt es im Imperativ<br />

eigene Imperativformen im Bereich der Höflichkeit:<br />

Könnten Sie mir bitte das Buch geben?<br />

Tgi Vous possas dar igl co<strong>des</strong>ch a me! (mehr mündlich)<br />

Tgi Els possan dar igl co<strong>des</strong>ch a me! (fast nur bei Priestern und<br />

Wollen Sie mir bitte das Buch geben?<br />

Bischöfen)<br />

Tgi Vous viglias/tgi Els viglian dar igl co<strong>des</strong>ch a me!<br />

Was im Deutschen wie eine höfliche Frage wirkt, kann im<br />

<strong>Surmeirischen</strong> genauso wie in allen anderen romanischen<br />

Sprachen, in denen auf die gleiche Weise gesprochen wird,<br />

durchaus als ein Befehl aufgefasst werden.<br />

199


Das Gerundium<br />

Wer Latein gelernt hat, ist mit dieser besonderen Ausdrucksform,<br />

die für alle romanischen Sprachen charakteristisch ist, bereits<br />

vertraut. Allerdings unterscheidet sich die Funktion <strong>des</strong> heutigen<br />

Gerundiums völlig von dem im Latein oder genauer im<br />

klassischen Schriftlatein, während im Vulgärlatein, der wirklich<br />

gesprochenen Sprache auf den Strassen, bereits Ansätze zum<br />

heutigen Gebrauch zu erkennen waren. Zudem zeigt sich ein<br />

weiterer Unterschied zum lateinischen Gerundium darin, dass<br />

das der heutigen romanischen Sprachen immer unveränderlich<br />

ist.<br />

Obwohl das Gerundium einen Nebensatz zum Teil beträchtlich<br />

verkürzen kann, wird es in den Alltagsgesprächen aller<br />

romanischen Sprachen fast nie verwendet, aber es taucht dafür<br />

umso mehr in der Schriftsprache auf, ja, es gilt sogar als ein<br />

Zeichen für gute Bildung. Es kommt immer dann zum Zug, wenn<br />

ein Satz mit diesen Wörtern eingeleitet wird:<br />

als, da, indem, nachdem, sobald, während, weil, wenn<br />

Es wird dadurch gebildet, dass an den Stamm der Verben in allen<br />

sechs Konjugationen ein „-ond“ gehängt wird.<br />

Ein paar Beispiele:<br />

DE: Indem/sobald/während/wenn unsere Mutter singt, ist sie<br />

immer fröhlich.<br />

Im Gerundium: Singend ist unsere Mutter immer fröhlich.<br />

SM: Cantond è nossa mamma adegna leda.<br />

200


DE: Da wir das Fest genossen, haben wir viele Lieder gesungen.<br />

Im Gerundium: Das Fest geniessend haben wir viele Lieder<br />

gesungen.<br />

SM: Galdond la festa vainsa canto bleras canzungs.<br />

(Infinitiv = galdeir)<br />

DE: Als/da/indem/sobald/während/weil er sein Haus verkaufte,<br />

machte er einen grossen Fehler.<br />

Im Gerundium: Sein Haus verkaufend machte er einen<br />

grossen Fehler.<br />

SM: Vendond la sia tgesa ò’l fatg en grond sbagl.<br />

Bei einer Verneinung kann „betg“ sowohl vor als auch hinter dem<br />

Gerundium stehen:<br />

Betg cantond è nossa mamma mai leda.<br />

Cantond betg è nossa mamma mai leda.<br />

Betg galdond la festa (na) vainsa betg canto.<br />

Galdond betg la festa (na) vainsa betg canto.<br />

Betg vendond la sia tgesa n’èl betg fatg en grond sbagl. *<br />

Vendond betg la sia tgesa n’èl betg fatg en grond sbagl. *<br />

* «N’èl» ist die Verschmelzung von „na“ mit „ò“ und „el“. Auch die<br />

Varianten „ò’l betg“ und „ol betg“ wären hier korrekt.<br />

201


In der Umgangssprache werden aber viel mehr diese Varianten<br />

verwendet:<br />

Coura tgi ella canta (betg) ….<br />

Coura tgi ella betg canta ….<br />

Parchegl tgi nous galdevan (betg) la festa ….<br />

Parchegl tgi nous betg galdevan la festa ….<br />

Coura tgi/parchegl tgi el ò vendia (betg) la sia tgesa ….<br />

Die Gerundien von „esser“ und „aveir“ sowie der Modalverben<br />

und der wichtigsten unregelmässigen Verben sind diese:<br />

esser = essend, siond aveir = avend dar = dond<br />

dastgeir = dastgiond deir = schond (!) dueir = dueiond *<br />

eir = giond far = faschond leir = vulend<br />

neir = gnond pudeir = pudiond saveir = saviond<br />

stueir = stuiond<br />

* Obwohl es für dieses Verb keine eigenen Konjugationen gibt,<br />

kann diese Gerundium-Variante in alten Schriften noch gesehen<br />

werden.<br />

Mit den Gerundien von „esser“ und „aveir“ können natürlich auch<br />

vorzeitige Handlungen ausgedrückt werden:<br />

Nach seiner Rückkehr war er sehr froh.<br />

Essend/siond turno era’l fitg led.<br />

Nach ihrer Rückkehr war sie sehr froh.<br />

Essend/siond turnada era’la fitg leda.<br />

202


Nach ihrer Rückkehr waren sie (Pl. m.) sehr froh.<br />

Essend/siond turnos erana fitg leds.<br />

Nach ihrer Rückkehr waren sie (Pl. f.) sehr froh.<br />

Essend/siond turnadas eran’las fitg ledas.<br />

Als er seine Arbeit beendet hatte, war er sehr froh.<br />

Nach Beendigung seiner Arbeit war er sehr froh.<br />

Avend fitto la sia lavour era’l fitg led. (Infinitiv = fittar)<br />

Da das Gerundium in den Alltagsgesprächen wie oben erwähnt<br />

fast nie vorkommt, empfehlen sich die hier aufgeführten<br />

Varianten:<br />

coura tgi (auch «cura tgi»), parchegl tgi<br />

Diese zwei Regeln sind fest einzuprägen:<br />

Ein Gerundium, das immer einen Nebensatz und nie einen<br />

Hauptsatz einleitet, ist nur dann korrekt, wenn es sich direkt auf<br />

das Subjekt im Hauptsatz bezieht.<br />

Im Gegensatz zum Deutschen wird auch in solchen Sätzen kein<br />

Komma verwendet, weil dieses durch das Gerundium<br />

aufgehoben wird:<br />

Avend fitto la sia lavour era’l fitg led.<br />

203


Die wichtigsten Präpositionen<br />

Die wichtigsten und häufigsten Präpositionen bzw.<br />

Verbindungswörter sind diese:<br />

a zu per für<br />

an, aint, in sen auf<br />

ainten sot unter<br />

cun mit sur über<br />

da aus, von sur tar bei, zu<br />

Ich gehe zu ihm.<br />

Wir wohnen in der Schweiz.<br />

Ich gehe mit ihr.<br />

Ich komme von Zürich.<br />

Ich habe das für sie gemacht.<br />

Ich wohne auf dieser Erde.<br />

Unter dem Himmel.<br />

Ich liebe dich über alles.<br />

Ich bin bei den Eltern.<br />

Ia vign ad el.<br />

Nous abitagn an Svizra.<br />

Ia vign cun ella.<br />

Ia vign da Turitg.<br />

Ia va fatg chel per ella.<br />

Ia abitesch sen chella tera.<br />

Sot igl tschiel.<br />

Ia ta carezz sur tot.<br />

Ia sung tar igls genitours.<br />

So weit ist es noch leicht, aber wenn diese Präpositionen direkt<br />

mit einem Substantiv oder einem Adjektiv verbunden werden,<br />

verschmelzen sie mit Ausnahme von «sot» und «tar» zu diesen<br />

Formen:<br />

204


Sg. m. Pl. m. Sg. f. Pl. f.<br />

a agl agls alla allas<br />

cun cugl cugls culla cullas<br />

da digl digls dalla dallas<br />

per pigl pigls pella pellas<br />

sen segl segls sella sellas<br />

sot sot igl sot igls sot la sot las<br />

sur sugl sugls sulla sullas<br />

tar tar igl tar igls tar la tar las<br />

Während ich die verschiedenen Varianten für „a“ und „da“ oben<br />

im Kapitel „Hauptwörter“ schon vorgestellt habe, werden auch<br />

„cun“, „per“ und „sen“ so verschmolzen:<br />

cugl bab mit dem Vater culla mamma mit der Mutter<br />

cugls babs mit den Vätern cullas mammas mit den Müttern<br />

pigl bab für den Vater pella mamma für die Mutter<br />

pigls babs für die Väter pellas mammas für die Mütter<br />

pigl om für den Mann * segl crap auf dem Stein<br />

pigls omens für die Männer * segls craps<br />

auf den Steinen<br />

sella muntogna auf dem Berg sulla muntogna über dem/den<br />

Berg<br />

sellas muntognas auf den Bergen sullas montagnas über den/<br />

205 die B.


* Da der bestimmte männliche Artikel im <strong>Surmeirischen</strong> immer<br />

mit einem «gl» geschrieben wird, kommt es nicht darauf an, ob<br />

ein Wort mit einem Konsonanten oder einem Vokal beginnt.<br />

Dagegen wird im Surselvischen darin streng unterschieden,<br />

während auch das Engadinische nur eine Variante kennt:<br />

SV: pil bab - pigl um<br />

EN: pel bap - pel om<br />

Wer gute Kenntnisse <strong>des</strong> Italienischen, Friaulischen,<br />

Katalanischen und Portugiesischen hat, kennt diese<br />

verschiedenen Verbindungsvarianten bereits. Allerdings ist es<br />

nicht falsch, an Stelle dieser Verbindungen nur die Variante mit<br />

„cun“, „per“, „sen“ und «sur» und dem entsprechend<br />

verbundenen Wort zu verwenden, vor allem in der Schriftsprache<br />

nicht, aber es gilt als weniger «echt»:<br />

cun igl bab mit dem Vater per igl bab für den Vater<br />

cun igls babs mit den Vätern<br />

per igls babs für die Väter<br />

cun la mamma mit der Mutter per la mamma für die M.<br />

cun las mamma mit den Müttern per las mammas für die M.<br />

per igl om (per gl’om) für den Mann sen igl crap auf dem Stein<br />

per igls omens für die sen igls craps auf den<br />

Männer<br />

Steinen<br />

sen la muntogna auf dem Berg sur la muntogna über dem/<br />

den Berg<br />

sen las muntognas auf den B. sur las muntognas über den/<br />

206 die B.


Im Gegensatz zum Surselvischen und Engadinischen, aber<br />

genau gleich wie im Italienischen, Friaulischen, Katalanischen<br />

und Portugiesischen - allerdings ohne Brasilianisch - müssen die<br />

bestimmten Artikel auch in Verbindung mit einem<br />

Possessivpronomen verwendet werden, sofern es sich nicht um<br />

Angehörige und Verwandte handelt, aber das gilt wie oben<br />

gesehen nur für die Einzahl. In der Mehrzahl ist er genauso wie<br />

in den oben erwähnten Schwestersprachen mit Ausnahme <strong>des</strong><br />

Brasilianischen immer Vorschrift:<br />

cugl mies bab,<br />

cun mies bap<br />

culla mia mamma,<br />

cun la mia mamma,<br />

cun mia mamma<br />

mit meinem Vater<br />

mit meiner Mutter<br />

aber: cugls mies frars<br />

(cun igls mies frars)<br />

cullas mias soras<br />

(cun las mias soras)<br />

mit meinen Brüdern<br />

mit meinen Schwestern<br />

pigl noss paeis<br />

(per igl noss paeis)<br />

pigls noss paeis<br />

(per igls noss paeis)<br />

pella nossa patria<br />

(per la nossa patria)<br />

für unser Land<br />

für unsere Länder<br />

für unsere Heimat<br />

207


pellas nossas patrias<br />

(per las nossas patrias)<br />

sella mia meisa<br />

(sen la mia meisa)<br />

sellas mias meisas<br />

(sen las mias meisas)<br />

sullas nossas muntognas<br />

(sur las nossas muntognas)<br />

für unsere Heimatländer<br />

auf meinem Tisch<br />

auf meinen Tischen<br />

über unseren Bergen<br />

Mit „in“ verhält es sich anders, <strong>des</strong>halb stelle ich es hier von den<br />

anderen wichtigen Präpositionen getrennt vor. Es gibt gleich drei<br />

Varianten, für deren Anwendung es bestimmte Regeln gibt,<br />

wobei die Grenzen fliessend sind:<br />

an Svizra<br />

an tgesa<br />

in der Schweiz<br />

zu Hause<br />

aint igl co<strong>des</strong>ch<br />

aint igls co<strong>des</strong>chs<br />

im Buch<br />

in den Büchern<br />

ainten la baselgia<br />

ainten las baselgias<br />

in der Kirche<br />

in den Kirchen<br />

Während „an“ also für weibliche Ländernamen und sogenannte<br />

feste Ausdrücke wie „an tgesa“ verwendet wird, kommt „aint“<br />

genauso wie im Engadinischen bei männlichen Wörtern<br />

einschliesslich Ländernamen zum Zug; dagegen steht „ainten“,<br />

208


das es im Surselvischen und Engadinischen nicht gibt, für<br />

weibliche Wörter. Allerdings kann auch „ainten“ in Verbindung<br />

mit einem weiblichen Wort stehen, wenn noch ein weiteres Wort<br />

dazukommt, jedenfalls habe ich das schon so gelesen:<br />

ainten chel co<strong>des</strong>ch<br />

ainten chels co<strong>des</strong>chs<br />

ainten la nossa patria<br />

ainten las nossas patrias<br />

in diesem Buch<br />

in diesen Büchern<br />

in unserer Heimat<br />

in unseren Heimatländern<br />

Wenn „in“ mit einem Possessivpronomen verbunden wird, gelten<br />

mit dem bestimmten Artikel also wieder die gleichen Regeln:<br />

aint igl mies cor<br />

ainten la nossa baselgia<br />

in meinem Herzen<br />

in unserer Kirche<br />

Darin unterscheidet sich das Surmeirische also nicht vom nahe<br />

verwandten Italienischen, wo auch hier verbunden wird:<br />

nel mio cuore<br />

nel mio cuor’ (Dichtersprache)<br />

nella nostra chiesa<br />

in meinem Herzen<br />

in unserer Kirche<br />

Allerdings ist im lockeren Umgangston manchmal auch „in nostra<br />

chiesa“ und «in chiesa nostra» zu hören, zudem sind „in casa<br />

nostra“ und „in famiglia nostra“ und ähnliches noch mehr im<br />

Gebrauch.<br />

Bei ein paar Ausdrücken, die auch als stehende Ausdrücke<br />

bezeichnet werden, weil sie häufig vorkommen, ist es üblich,<br />

keinen bestimmten Artikel zu verwenden. Das gilt aber nur für die<br />

Einzahl:<br />

209


a meisa<br />

(neir a meisa<br />

a tgesa<br />

(an tgesa<br />

am Tisch, zu Tisch<br />

zu Tisch kommen)<br />

nach Hause, zu Hause<br />

im Haus)<br />

ainten affari<br />

ainten baselgia<br />

ainten cuschigna,<br />

ainten tgadafi<br />

ainten famiglia<br />

ainten muntogna,<br />

ainten pizza<br />

ainten pegna<br />

ainten posta<br />

ainten stanza<br />

ainten stgaffa<br />

ainten tgiminada<br />

ainten vischnanca<br />

im/ins Geschäft, im/in den Laden<br />

in der Kirche, in die Kirche (hinein)<br />

in der/die Küche<br />

in der/die Familie<br />

auf dem/den Berg<br />

im/in den Ofen<br />

auf/in der Post<br />

im/in den Raum, im/ins Zimmer<br />

im/in den Schrank<br />

in der/die Speisekammer<br />

im/ins Dorf<br />

anturn vischnanca<br />

anvidar a nozzas<br />

um das Dorf herum<br />

zur Hochzeit einladen<br />

per veia<br />

am Weg<br />

per vischnanca im Dorf umher<br />

anturn 210


sen bratsch<br />

sen meisa<br />

sen pegna<br />

sen veia<br />

auf dem/den Arm<br />

auf dem/den Tisch<br />

auf dem Ofen<br />

auf dem/den Weg<br />

sot meisa<br />

unter dem/den Tisch<br />

Da sind Ähnlichkeiten zu den italienischen Ausdrücken „a casa“,<br />

„a tavola“ (am Tisch) und „in famiglia“ (in der Familie)<br />

offensichtlich.<br />

Zwei wichtige Ausnahmen sind diese:<br />

sel paeis<br />

auf dem Land<br />

(also nicht „sen paeis“)<br />

sel tetg<br />

auf dem Dach (also nicht „sen tetg“)<br />

Die oben aufgeführten Ausdrücke machen aber nur einen<br />

kleinen Anteil aus, weil das Surmeirische im Gegensatz zum<br />

Surselvischen und zu den beiden engadinischen Sprachen noch<br />

mehr als hundert andere aufweist, die in noch mehr Feinheiten<br />

eingehen.<br />

Ein paar Müsterchen mit «sot»:<br />

sotve, giu sotve<br />

sotno, giu sotno<br />

sotaint, giu sotaint<br />

sotor, giu sotor<br />

untenhin<br />

untenher<br />

unten drin<br />

unten heraus<br />

211


Da es in diesem <strong>Lehrbuch</strong> vor allem darum geht, das<br />

Surmeirische so einfach und übersichtlich wie möglich zu<br />

vermitteln, und es den Rahmen sprengen würde, wenn ich auch<br />

noch lange Wörterlisten aufführen würde, weise ich ganz unten<br />

darauf hin, auf welchen Seiten <strong>des</strong> <strong>Lehrbuch</strong>es, das ich für<br />

dieses mitbenützt habe, all diese Spezialausdrücke gefunden<br />

werden können.<br />

Es ist sowieso nicht weiter tragisch, wenn überall auch die<br />

bestimmten Artikel verwendet werden, weil es für die<br />

Fremdsprachigen äusserst schwierig ist, so viele Feinheiten zu<br />

unterscheiden, erst recht im <strong>Surmeirischen</strong>, das abgesehen von<br />

den reflexiven Verben viel konservativer ist als das Surselvische<br />

und die beiden engadinischen Sprachen. Man wird auch so<br />

verstanden, zudem wird man sowieso schon beim ersten<br />

ausgesprochenen Wort als eine nicht einheimische Person<br />

erkannt.<br />

212


Ein kleines Gespräch<br />

Nach so viel Grammatik wird es jetzt wieder etwas lockerer. Um<br />

einen kleinen Einblick in den surmeirischen Alltag zu vermitteln,<br />

bringe ich hier ein kurzes Gespräch zwischen zwei Freunden, die<br />

sich nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder treffen. Ich nenne<br />

sie Gion (G) und Peder (P).<br />

G: Guten Tag! P: Guten Tag auch für Sie!<br />

G: Bung de, signour! P: Bung de er per Vous!<br />

G: Kennen wir uns nicht? P: Nein, ich glaube nicht - warum?<br />

G: Cunaschagna’ns betg? P: Na, ia crei betg - partge?<br />

G: Aber sicher kennen wir uns. Du bist doch Peter, nicht wahr?<br />

G: Ma tschert cunaschagna’ns. Te ist igl Peder, verdad?<br />

P: Ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Du bist Hans.<br />

P: Gea, oss ragorda’m puspe. Te ist igl Gion.<br />

G: Du hast Recht. Endlich sehen wir uns wieder!<br />

G: Te ast raschung. Finalmaintg vasagna’ns puspe!<br />

P: Wie viele Jahre sind vergangen? Sicher mehr als zwanzig.<br />

P: Cants onns èn passos? Tschert pi tge vantg.<br />

213


G: Wirklich eine lange Zeit. Wo bist du gewesen?<br />

G: Veiramaintg en lung taimp. Noua ist te sto?<br />

P: Ich bin in Amerika gewesen, aber jetzt bin ich wieder hier.<br />

P: Ia sung sto in America, ma oss sunga cò puspe.<br />

G: Und was machst du jetzt?<br />

G: E tge fast oss?<br />

P: Ich arbeite als Gymnastiklehrer mit vielen Männern und<br />

Frauen. Diese Arbeit macht mir viel Vergnügen. - Und du, was<br />

machst du?<br />

P: Ia lavour scu scolast da gimnastica cun blers omens e femnas.<br />

Chella lavour fò bler plascheir a me. - E te, tge fast te?<br />

G: Ich bin ein Bauer geblieben und habe mehr als zwanzig<br />

Pferde und Kühe.<br />

G: Ia sung rasto en pour e va pi tge vantg tgavals e vatgas.<br />

P: Und diese Arbeit auf dem Land macht dir wirklich viel Freude?<br />

P: E chella lavour sen la tera fò veiramaintg bler plascheir a tè?<br />

214


G: Sicher, ich arbeite gern mit Tieren.<br />

G: Tschert, ia va gugent luvrar cun bestgas.<br />

P: So denke ich, hast du auch eine Familie.<br />

P: Uscheia painsa tge te ast er ena famiglia.<br />

G: Ja, ich habe eine gute Ehefrau und fünf Kinder, drei Söhne<br />

und zwei Töchter. Sie sind alle meine grösste Freude.<br />

G: Gea, ia va ena buna consorta e tschintg unfants, treis fegls e<br />

duas feglias. Els èn tots igl mies pi grond plascheir.<br />

P: Das ist schön für dich. Ich hatte nicht so viel Glück, ich habe<br />

nie geheiratet.<br />

P: Chel è bel per tè. Ia veva betg tanta furtegna, ia va mai marido.<br />

G: Ein Mann wie du? Das kann ich nicht glauben.<br />

G: En om scu te? Chel possa betg creir.<br />

P: Ich habe zwar viele gute Frauen gekannt, aber keine war für<br />

mich die richtige.<br />

P: Ia va canoschia bleras bunas femnas, ma engina era la giusta<br />

per me.<br />

215


G: Das ist traurig. - Ich habe eine Idee: Willst du zu uns kommen?<br />

G: Chel è trest. - Ia va en’idea: Vot te neir a nous?<br />

P: Ja, das wäre eine grosse Freude für mich - aber wann wäre<br />

es möglich?<br />

P: Gea, chel fiss en grond plascheir per me - ma coura fissa<br />

pussebel?<br />

G: Am ersten Sonntag nach den Ostern. Geht das für dich?<br />

G: L’amprema dumengia siva la Pasca. Vo chel per tè?<br />

P: Ja, ich denke schon, dass das geht. Ich würde deine Familie<br />

gern kennen lernen.<br />

P: Gea, ia pains tge chel vo. Ia vess gugent canoscher la tia<br />

famiglia.<br />

G: Und für meine Familie ist es sicher auch ein Vergnügen, dich<br />

kennen zu lernen. Also bis zu diesem Tag!<br />

G: E per la mia famiglia è’gl tschertamaintg er en plascheir<br />

canoscher tè. Damai anfignen tgi chest de!<br />

P: Ja, ich freue mich. Auf Wiedersehen, Hans, und vielen Dank!<br />

P: Gea, ia ma legresch. A bun ans veir, Gion, ed angraztg fitg!<br />

216


Die Zahlen<br />

Die Kardinalzahlen Die Ordinalzahlen<br />

(Grundzahlen):<br />

(Ordnungszahlen):<br />

0 nul, la nolla -<br />

1 egn, en, ena (1) igl amprem (gl’amprem), l’amprema<br />

2 dus igl sagond, la sagonda<br />

3 treis igl terz, la terza<br />

4 catter igl quart, la quarta<br />

5 tschintg igl tschintgavel, la tschintgavla<br />

6 seis igl seisavel, la seisavla<br />

7 set igl setavel, la setavla<br />

8 otg igl otgavel (gl’otgavel), l’otgavla<br />

9 nov igl novavel, la novavla<br />

10 diesch igl dieschavel, la dieschavla<br />

11 en<strong>des</strong>ch igl en<strong>des</strong>chavel (gl’en<strong>des</strong>chavel),<br />

l’en<strong>des</strong>chavla<br />

12 do<strong>des</strong>ch igl do<strong>des</strong>chavel, la do<strong>des</strong>chavla<br />

13 tre<strong>des</strong>ch igl tre<strong>des</strong>chavel, la tre<strong>des</strong>chavla<br />

14 chitor<strong>des</strong>ch igl chitor<strong>des</strong>chavel, la chitor<strong>des</strong>chavla<br />

15 chin<strong>des</strong>ch igl chin<strong>des</strong>chavel, la chin<strong>des</strong>chavla<br />

16 se<strong>des</strong>ch igl se<strong>des</strong>chavel, la se<strong>des</strong>chavla<br />

17 dieschset igl dieschsetavel, la dieschsetavla<br />

18 dieschdotg igl dieschdotgavel, la dieschdotgavla<br />

217


19 dieschnov igl dieschnovavel, la dieschnovavla<br />

20 vantg igl vantgavel, la vantgavla<br />

21 vantgegn, igl vantgenavel,<br />

vantgena<br />

la vantgenavla<br />

22 vantgadus igl vantgadusavel, la vantgadusavla -<br />

igl vantgasagond, la vantgasagonda<br />

23 vantgatreis igl vantgatreisavel, la vantgatreisavla -<br />

igl vantgaterz, la vantgaterzavla<br />

24 vantgacatter igl vantgacart, la vantgacarta<br />

25 vantgatschintg igl vantgatschintgavel,<br />

la vantgatschintgavla<br />

26 vantgaseis igl vantgaseisavel, la vantgaseisavla<br />

27 vantgaset igl vantgasetavel, la vantgasetavla<br />

28 vantgotg igl vantgotgavel, la vantgotgavla<br />

29 vantganov igl vantganovavel, la vantganovavla<br />

30 trenta igl trentavel, la trentavla<br />

31 trentegn, igl trentenavel,<br />

trentena<br />

la trentenavla<br />

40 curanta igl curantavel, la curantavla<br />

50 tschuncanta igl tschuncantavel, la tschuncantavla<br />

60 sessanta igl sessantavel, la sessantavla<br />

70 settanta igl settantavel, la settantavla<br />

80 otganta igl otgantavel (gl’otgantavel),<br />

l’otgantavla<br />

218


90 novanta igl novantavel, la novantavla<br />

100 tschient, tschent igl tschientavel, la tschientavla -<br />

igl tschentavel, la tschentavla<br />

101 tschientegn, igl tschientenavel,<br />

tschentegn igl tschentenavel,<br />

tschientena, la tschientenavla,<br />

tschentena la tschentenavla<br />

102 tschientadus igl tschientadusavel,<br />

la tschiendadusavla -<br />

igl tschientasagond,<br />

la tschientasagonda<br />

103 tschientatreis igl tschientatreisavel,<br />

la tschientatreisavla -<br />

igl tschientaterz, la tschientaterza<br />

104 tschientacatter igl tschientacart, la tschientacarta<br />

105 tschientatschintg igl tschientatschintgavel,<br />

la tschientatschintgavla<br />

106 tschienteaseis igl tschientaseisavel,<br />

la tschientaseisavla<br />

107 tschientaset igl tschientasetavel,<br />

igl tschientasetavla<br />

108 tschientotg igl tschientotgavel,<br />

la tschientotgavla<br />

219


109 tschientanov igl tschientanovavel,<br />

la tschientanovavla<br />

110 tschientadiesch igl tschientadieschavel,<br />

la tschientadieschavla<br />

111 tschientaden<strong>des</strong>ch igl tschientaden<strong>des</strong>chavel, (2)<br />

la tschientaden<strong>des</strong>chavla<br />

120 tschientavantg igl tschientavantgavel,<br />

la tschientavantgavla<br />

121 tschientavantgen igl tschientavantgenavel,<br />

la tschientavantgenavla<br />

200 duatschient igl duatschientavel, la duatschientavla<br />

300 tretschient igl tretschientavel, la tretschientavla<br />

400 cattertschient igl cattertschientavel,<br />

la cattertschientavla<br />

500 tschintgatschient igl tschintgatschientavel,<br />

la tschintgatschientavla<br />

600 seistschient igl seistschientavel, la seistschientavla<br />

700 setschient igl setschientavel, la setschientavla<br />

800 otschient igl otschientavel (gl’otschientavel),<br />

l’otschientavla<br />

900 novtschient igl novtschientavel, la novtschientavla<br />

1'000 mella igl melliavel, la melliavla<br />

2'000 dus mella igl dus melliavel, la dus melliavla<br />

10'000 diesch mella igl diesch melliavel, la diesch melliavla<br />

220


20'000 vantg mella igl vantg melliavel, la vantg melliavla<br />

100'000 tschient mella igl tschient melliavel,<br />

la tschient melliavla<br />

200'000 dus tschient mella igl dus tschient melliavel,<br />

la dus tschient melliavla<br />

1'000 000 en milliung igl milliunavel, la milliunavla (3)<br />

1 Milliarde en milliard igl milliardavel, la milliardavla<br />

1 Billion en billiung igl billiunavel, la billiunavla (3)<br />

1 Trillion en trilliung igl trilliunavel, la trilliunavla (3)<br />

(1). «Egn» steht bei einer Aufzählung oder für sich allein, in<br />

Verbindung mit einem Substantiv oder Adjektiv muss «en»<br />

verwendet werden. Akkustisch sind sie jedoch identisch.<br />

(2). Bei den Einerzahlen wird zwischen zwei Vokalen ein «d»<br />

eingeschoben:<br />

tschientaden<strong>des</strong>ch (111)<br />

(3). Das «g» in der Grundzahl wird in der Ordnungszahl<br />

ausgelassen, aber es kann im mündlichen Gebrauch manchmal<br />

auch «milliungavel» oder «milliungavla» usw. herausrutschen.<br />

Wie bei verschiedenen Zahlen ab 101 gesehen werden kann,<br />

wird auch <strong>des</strong>halb, weil es sich so leichter aussprechen lässt,<br />

zwischen den Hunderter- und Zehnerzahlen sowie zwischen den<br />

Hunderter- und Einerzahlen und zwischen den Zehner- und<br />

Einerzahlen oft ein «a» dazwischengeschoben.<br />

221


Gerechnet wird auf diese Weise:<br />

5 + 4 = 9 tschintg e/plus/ed anc catter è/èn/fo/fon nov<br />

6 - 2 = 4 seis manc/minus/pi pac dus è/èn/fo/fon catter<br />

3 x 4 = 12 treis gedas catter è/èn/fo/fon do<strong>des</strong>ch *<br />

15 : 5 = 3 chin<strong>des</strong>ch dividia tras tschintg è/èn/fo/fon treis<br />

chin<strong>des</strong>ch partia cun tschintg è/èn/fo/fon treis<br />

* das Mal = la gada, l’eda (f.)<br />

Die beiden hintersten Varianten beim Addieren und Subtrahieren<br />

(ed anc, pi pac) gelten heute als veraltet, ähnlich wie es das<br />

deutsche „sechs weniger zwei“ bei diesem Beispiel wäre.<br />

Die Mass- und Mengenangaben<br />

ein Ganzes<br />

eine Hälfte<br />

ein Drittel<br />

ein Viertel<br />

ein Fünftel<br />

ein Sechstel<br />

ein Siebtel<br />

ein Achtel<br />

ein Neuntel<br />

ein Zehntel<br />

en antier («antíer»)<br />

ena mesadad<br />

en terz<br />

en cart<br />

en tschintgavel<br />

en seisavel<br />

en setavel<br />

en otgavel<br />

en nonavel<br />

en dieschavel<br />

222


ein Hundertstel<br />

ein Tausendstel<br />

ein Millionstel<br />

en tschientavel<br />

en melliavel<br />

en milliunavel<br />

ein Liter<br />

ein Deziliter<br />

ein Kilo(gramm)<br />

ein Gramm<br />

fünfzig Gramm<br />

hundert Gramm<br />

ein Pfund<br />

zwei Pfund<br />

ein Zentner<br />

zwei Zentner<br />

ena dozza<br />

ena mesa dozza<br />

en liter<br />

en deci(liter)<br />

en kilo(gram)<br />

en gram<br />

tschuncanta gram<br />

tschient gram<br />

en fond<br />

dus fond<br />

en centner<br />

dus centner<br />

ein Dutzend<br />

ein halbes Dutzend<br />

ein Zentimeter<br />

ein Dezimeter<br />

ein Meter<br />

zwei Meter<br />

ein Kilometer<br />

en centimeter<br />

en decimeter<br />

en meter<br />

dus meter<br />

en kilometer<br />

ein Quadratzentimeter<br />

en centimeter quadrat<br />

223


ein Quadratdecimeter en decimeter quadrat<br />

ein Quadratmeter<br />

en meter quadrat<br />

eine Are (10 x 10 m) en’ara (f.)<br />

eine Hektare (100 x 100 m) ena hectara (ena!)<br />

ein Quadratkilometer en kilometer quadrat<br />

ein Kubikzentimeter<br />

ein Kubikdezimeter<br />

ein Kubikmeter<br />

en centimeter cubic<br />

en decimeter cubic<br />

en meter cubic<br />

Wie im Deutschen steht bei den Mass- und Mengenangaben<br />

immer nur die Einzahl:<br />

dus liter/gram/kilo/centner/meter usw.<br />

Im Gegensatz zum Französischen, Italienischen, Spanischen<br />

und Portugiesischen sowie zu den anderen romanischen<br />

Schwestersprachen mit Ausnahme der anderen<br />

rätoromanischen Schriftdialekte steht bei einer Mengenangabe<br />

kein Partitiv-Partikel dazwischen:<br />

en liter vegn = ein Liter Wein<br />

en kilo pang = ein Kilo Brot<br />

Dagegen:<br />

FR: un litre de vin, un kilo de pain<br />

IT: un litro di vino, un chilo di pane<br />

ES: un litro de vino, un kilo de pan<br />

PO: um litro de vinho, um quilo de pão<br />

224


Es gilt zwar nicht als völlig falsch, auch „en liter da vegn“ oder<br />

„en kilo da pang“ zu sagen, aber es klingt so eben nicht ganz<br />

„echt“.<br />

Bei einer Längenangabe kann dagegen „da“ stehen:<br />

en meter (da) feildarom<br />

ein Meter Draht<br />

Die Uhrzeit<br />

Da das Wort „oura“ (Stunde) weiblich ist, richten sich alle Sätze,<br />

die eine Uhrzeit angeben, nach diesem Wort, und zwar nach der<br />

Mehrzahl, also nach „ouras“. Das kennen wir auch aus dem<br />

Italienischen, Spanischen und Portugiesischen, die in diesem<br />

Bereich dem <strong>Surmeirischen</strong> näherstehen als das Französische:<br />

DE: Wie spät ist es?<br />

IT: Che ore sono?<br />

FL: Ce ore ise? (ore = Einzahl)<br />

ES: Que horas son?<br />

PO: Que horas são?<br />

Dagegen im Katalanischen und Französischen:<br />

Quina hora és? - Quelle heure e-t-il?<br />

Im <strong>Surmeirischen</strong> lautet diese Frage so:<br />

Las cantas egl? (Auch hier wieder mit der Inversion bei «egl»)<br />

225


Dementsprechend wird geantwortet:<br />

Es ist ein Uhr.<br />

Gl’è l’egna. (auch: Igl è l’egna.)<br />

Es ist halb zwei (Uhr). Gl’è l’egna e mesa.<br />

Es ist zwei Uhr.<br />

Gl’è las dus.<br />

Es ist halb drei (Uhr). Gl’è las dus e mesa.<br />

Es ist ein Uhr zehn.<br />

Gl’è l’egna e diesch.<br />

Es ist zwei Uhr zwanzig, Gl’è las dus e vantg.<br />

Es ist zwanzig nach zwei. Gl’è vantg passo las dus.<br />

Es ist drei Uhr fünfzehn. Gl’è las treis ed en cart.<br />

Es ist Viertel nach drei. Gl’è en cart passo las treis.<br />

Es ist zehn vor fünf.<br />

Gl’è diesch allas tschintg.<br />

Gl’è diesch avant las tschintg.<br />

Gl’è diesch manc las tschintg.<br />

Es ist Viertel vor fünf. Gl’è en cart allas tschintg.<br />

Gl’è en cart avant las tschintg.<br />

Gl’è en cart manc las tschintg.<br />

Das Surmeirische unterscheidet sich in diesem Bereich also<br />

nicht von den wichtigsten westlichen Schwestersprachen, dabei<br />

spielt auch das Französische wieder mit:<br />

DE: Es ist zwei Uhr dreissig, es ist halb drei.<br />

FR: Il est deux heures et trente, il est deux heures et demie.<br />

IT : Sono le due e trenta, sono le due e mezza.<br />

ES: Son las dos y treinta, son las dos y media.<br />

PO: São as duas e trinta, são as duas e meia.<br />

226


Im amtlichen Gebrauch, vor allem in den Bahnhöfen, ist genauso<br />

wie im Deutschen mehr die Variante mit den vollen Zahlen zu<br />

hören:<br />

Der Zug kommt um zwei Uhr fünfzehn.<br />

Igl tren vign allas dus e chin<strong>des</strong>ch.<br />

Ig tren niro allas dus e chin<strong>des</strong>ch.<br />

Der Zug geht um drei Uhr vierzig.<br />

Igl tren parta allas treis e curanta.<br />

Igl tren partiro allas treis e curanta.<br />

Die Zeiteinheiten<br />

Sekunde la secunda<br />

Minute<br />

la minuta<br />

Stunde l’oura, f.<br />

Tag<br />

igl de<br />

Woche l’emda, f.<br />

Jahr<br />

igl onn (gl’onn)<br />

Jahrzehnt igl decenni<br />

Jahrhundert igl tschentaner („tschentanér“)<br />

Jahrtausend igl mellenni<br />

227


Sonntag<br />

Montag<br />

Dienstag<br />

Mittwoch<br />

Donnerstag<br />

Freitag<br />

Samstag<br />

Die Wochentage<br />

la dumengia<br />

igl glin<strong>des</strong>chde (gl’in<strong>des</strong>chde)<br />

igl marde<br />

la mesemda<br />

la gievgia<br />

igl venderde<br />

la sonda<br />

Am Sonntag usw. wird mit „an“ oder mit dem bestimmten Artikel<br />

ausgedrückt: an/la dumengia, an/igl marde usw.<br />

Januar<br />

Februar<br />

März<br />

April<br />

Mai<br />

Juni<br />

Juli<br />

August<br />

September<br />

Oktober<br />

November<br />

Dezember<br />

Die Monatsnamen<br />

igl schaner<br />

igl favrer<br />

igl marz<br />

igl avregl (gl’avregl)<br />

igl matg<br />

igl zarcladour<br />

igl fanadour<br />

igl avost (gl’avost)<br />

igl settember<br />

igl otgover (gl’otgover)<br />

igl november<br />

igl december<br />

228


Wie bei den Monatsnamen wird «im» mit «an» ausgedrückt:<br />

im Januar = an schaner - im Februar = an favrer<br />

usw.<br />

Wie im Surselvischen, wo die beiden Wörter für den Juni und den<br />

Juli «zercladur» und «fenadur» lauten, scheren diese als Einzige<br />

aus der Reihe aus, die von römischen Namen abstammt. Das<br />

Wort für den Juni leitet sich vom Verb «zarclar» (jäten) ab und<br />

das für den Juli von «fanar» (heuen). Tatsächlich wird im Juni am<br />

meisten gejätet, während der beste Heumonat der Juli ist. Im<br />

August wird zwar auch noch geheut, doch da es in den Bergen<br />

früher kälter wird als unten im Mittelland, empfiehlt sich der Juli<br />

am meisten.<br />

Frühling<br />

Sommer<br />

Herbst<br />

Winter<br />

Die Jahreszeiten<br />

la premaveira<br />

la stad<br />

igl aton (gl’aton)<br />

igl anviern (gl’anviern)<br />

im Frühling<br />

im Sommer<br />

im Herbst<br />

im Winter<br />

da premaveira, la premaveira<br />

da stad, la stad<br />

d’aton, igl aton (gl’aton)<br />

d’anviern, ig anviern (gl’anviern)<br />

mitten im da mesa premaveira, ma mesa stad, da mesa aton<br />

Frühling/ (gesprochen: da mes’aton), da mesa anviern<br />

Sommer/ (gesprochen: da mes’anviern)<br />

Herbst/Winter 229


Die Feiertage (in kalendarischer Reihenfolge)<br />

Neujahr<br />

igl Bumang<br />

Dreikönigstag igl De digls treis rètgs<br />

Chalandamarz * igl Calondamarz (1. März)<br />

Fasnacht<br />

igl Tschever<br />

Palmsonntag la Dumengia dallas Palmas<br />

Karfreitag<br />

igl Venderde Sontg<br />

Ostern<br />

la Pasca<br />

Ostermontag igl Glin<strong>des</strong>de da Pasca<br />

Erster Mai<br />

igl amprem da matg,<br />

gl’amprem da matg<br />

Muttertag<br />

igl De dalla Mamma<br />

Himmelfahrt, las Anzainzas<br />

(CH: Auffahrt)<br />

Pfingsten<br />

las Tschuntgesmas<br />

Pfingstmontag igl Glin<strong>des</strong>de dallas Tschuntgesmas<br />

Bun<strong>des</strong>feier la Festa Naziunala<br />

(1. August)<br />

Eidgenössischer la Festa Federala<br />

Buss-, Dank- und Gebetstag<br />

Weihnachten igl Nadal<br />

Silvester<br />

igl De da Silvester, il De digl Silvester<br />

230


am Neujahr<br />

an der Fasnacht<br />

an Ostern<br />

an der Auffahrt<br />

an Pfingsten<br />

an Weihnachten<br />

am Silvester<br />

da Bumang<br />

da Tschever<br />

da Pasca<br />

d’Anzainzas<br />

da Tschuntgesmas<br />

da Nadal<br />

da Silvester<br />

Wir feiern Neujahr/Fasnacht/Weihnachten/Silvester.<br />

Nous faschagn Bumang/Tschever/Nadal/Silvester.<br />

(von „far“ = machen, tun)<br />

Natürlich kann für solche Ausdrücke auch das Wort „celebrar“<br />

(nous celebragn) verwendet werden, nur wirkt das dann im<br />

wahrsten Sinn <strong>des</strong> Wortes noch feierlicher als unbedingt nötig.<br />

* Der Chalandamarz, der in Mittelbünden "Calondamarz"<br />

genannt wird, gehört im Kanton Graubünden zu den wichtigsten<br />

Feiertagen. Allerdings kommt er nur im Engadin, im Münstertal<br />

und in Mittelbünden vor - also dort, wo Engadinisch und<br />

Surmeirisch gesprochen werden - und dazu auch in den vier<br />

italienischsprachigen Tälern (Calancatal, Misox, Bergell und<br />

Puschlav), wo dieser Tag Calendamarz oder Calentmarz<br />

genannt wird. Die Bezeichnung stammt vom lateinischen Wort<br />

"Calendae", das auch "Kalendae" geschrieben wurde und damit<br />

das einzige lateinische Wort war, in dem ein "k" vorkam.<br />

"Calendae" war das meistverwendete Wort für das römische<br />

Neujahr, das seit der Zeit <strong>des</strong> Kaisers Augustus, in der römische<br />

231


Truppen zum ersten Mal rätischen Boden betraten (im Jahr 15 v.<br />

Chr.), immer am ersten März eines Jahres begann. Deshalb<br />

beziehen sich die Monatsnamen vom September bis zum<br />

Dezember (siebter bis zehnter Monat) genau auf diesen ersten<br />

März. In früheren Zeiten war im Römischen Reich der erste<br />

September der Jahresbeginn gewesen, und das zeigt sich in<br />

anderen romanischen Sprachen (zum Beispiel im Sardischen)<br />

auch bei gewissen Wörtern, aber eben nicht im<br />

Rätoromanischen und in den vier genannten<br />

italienischsprachigen Tälern, weil diese Sprachgebiete damals<br />

noch nicht von römischen Truppen besetzt und <strong>des</strong>halb noch<br />

nicht davon betroffen waren.<br />

Am Chalandamarz haben die Schulkinder natürlich schulfei und<br />

viele Geschäfte bleiben geschlossen. Wer schon einmal in einem<br />

solchen Dorf Ende Februar/Anfang März Ferien machte - und<br />

das tun wegen der sogenannten Sportferien und der immer noch<br />

vorhandenen Skigebiete nach wie vor Tausende - und von<br />

diesem Brauch nichts wusste, konnte sich darüber wundern,<br />

dass am Vormittag <strong>des</strong> 1. März Dutzende von Kindern mit<br />

grossen Glocken und Treicheln lärmend durch das ganze Dorf<br />

zogen. Ich spreche da aus eigener Erfahrung, weil ich einmal in<br />

Mittelbünden die Möglichkeit bekam, solche Skiferien zu erleben,<br />

die ich ganz oben erwähnt habe. Da es beim ersten Mal im<br />

Prättigau gewesen war, wo das Rätoromanische schon vor ein<br />

paar Jahrhunderten ausgestorben ist, wusste ich beim zweiten<br />

Mal auf der Lenzerheide, wo heute manchmal die alpine<br />

Skisaison abgeschlossen wird, von diesem Brauch noch nichts;<br />

ich hatte zwar ansatzweise davon gehört, aber erst jetzt konnte<br />

ich es mir richtig vorstellen.<br />

Erstaunlicherweise kennen die Dörfer, in denen Surselvisch und<br />

Sutselvisch gesprochen wird, diesen Brauch nicht oder genauer<br />

nicht mehr. Die einzige Ausnahme ist Trin in der Nähe von<br />

Domat/Ems, wo am 9. Oktober ein ähnliches Fest gefeiert wird,<br />

232


das dort «Las Muntinadas» genannt wird. Dieser Tag wurde<br />

<strong>des</strong>halb gewählt, weil einen Tag später der Alpabzug gefeiert<br />

wird, wenn das Vieh, das bisher weit oben in den Bergen<br />

übersommert hat, wieder heruntergeholt wird, und das ist auch<br />

in vielen anderen Kantonen so. Allerdings gibt es diesen Brauch<br />

in Trin erst wieder seit wenigen Jahren, nachdem er durch die<br />

Modernisierung der Landwirtschaft auch in dieser Region<br />

allmählich ausser Mode geraten ist.<br />

Das typisch schweizerische Wort "Auffahrt" führe ich hier<br />

<strong>des</strong>halb auf, weil das deutsche "Himmelfahrt" in der Schweiz<br />

zwar verstanden, aber so gut wie nie verwendet wird, jedenfalls<br />

nicht von den Einheimischen. Aber auch die Auffahrt wird nur<br />

geschrieben - gesagt wird "Uffert", und zwar in fast allen<br />

Dialekten. Im Wallis heisst es dagegen «Üffert», in Obwalden<br />

«Iffert» und in Nidwalden sogar «Uiffert». Das erstaunt dort nicht<br />

weiter, wenn jemand in den vertrauten Kreisen mit «dui»<br />

angesprochen wird, ein Haus ein «Huis» ist und die Natur sogar<br />

«Natuir» heisst. Gerade auch <strong>des</strong>halb ist aus meiner Sicht<br />

keineswegs das Walliserdeutsche, wie die meisten<br />

Deutschschweizer meinen, sondern der Nidwaldner Dialekt der<br />

aussergewöhnlichste.<br />

Der 1. August ist das, was in Deutschland seit der<br />

Wiedervereinigung im Jahr 1990 der 3. Oktober ist, also<br />

praktisch ein nationales Heiligtum. Trotzdem hat es viele<br />

Jahrzehnte politischen Kampfes gebraucht, bis dieser Tag als<br />

Festtag so weit verankert wurde, dass er auch im hintersten und<br />

letzten Bergkanton tatsächlich ein solcher Sonntag geworden ist,<br />

dass zum Beispiel die Fabrikarbeiter nicht mehr arbeiten<br />

müssen. Noch bis vor kurzem gab es diesen freien Tag nur in<br />

solchen Kantonen wie Zürich, Basel oder Schaffhausen, wo die<br />

Arbeiterbewegung sich viel mehr Rechte hatte erkämpfen<br />

können, während in allen anderen Kantonen erst ab dem<br />

Nachmittag frei war, und das Gleiche galt auch für den 1. Mai.<br />

233


Kein Scherz: Ich habe es damals auf der Post noch selbst<br />

miterlebt, dass jene, die an diesen beiden Tagen arbeiteten, mit<br />

einem stark reduzierten Personal die ganzen Eingänge der<br />

übrigen fast zwanzig Kantone verarbeiten mussten, in denen am<br />

Vormittag noch gearbeitet wurde. Der Ausdruck "Tag der Arbeit"<br />

hatte damals seine wörtliche Berechtigung. Es durfte zwar auch<br />

in den weniger fortgeschrittenen Kantonen marschiert und<br />

protestiert werden, aber eben erst am Nachmittag.<br />

Was den 1. August betrifft, wurden die Scheiterhaufen, die noch<br />

heute als Erinnerung an alte "ruhmreiche" Zeiten am Abend<br />

verbrannt wurden, schon Tage zuvor errichtet, so dass noch<br />

rechtzeitig gefeiert werden konnte, und daran hat sich bis heute<br />

nichts geändert. Allerdings muss als Orientierungshilfe für<br />

Nichtschweizer auch klargestellt werden, dass die meisten<br />

Einheimischen mit diesem an sich schönen Brauch nichts mehr<br />

anfangen können und sehr viele genau an diesem Tag sowieso<br />

irgendwo in den Ferien sind. Wer das nicht selbst gesehen hat,<br />

glaubt es kaum, dass die meisten Leute, die heute um diese<br />

Scheiterhaufen herumstehen, überwiegend hier lebende<br />

Ausländer sind, die diesen Abend als ein interessantes<br />

"Happening" empfinden. Ich habe es als kleiner Bub - und an der<br />

Hand der Bündner Frau, die mir damals so nahe stand - in den<br />

Bergen noch miterlebt, dass viele Leute um diese Holzhaufen<br />

standen und zusammen vaterländische und religiöse Lieder<br />

sangen, und in fast allen Dörfern hielt ein Pfarrer oder der<br />

Dorfpräsident (Dorfpräsidentinnen gab es damals noch keine)<br />

eine kurze andächtige Rede, meistens vor dem Anzünden <strong>des</strong><br />

Scheiterhaufens und vor dem Singen. Nur die Nationalhymne<br />

habe ich nicht miterlebt: Es war eben kurz nach dem Jahr 1961,<br />

als die alte Hymne mit dem Titel "Rufst du, mein Vaterland" durch<br />

den heutigen Schweizerpsalm ersetzt wurde, der aber ähnlich<br />

wie die dritte Strophe <strong>des</strong> Deutschlandlie<strong>des</strong> noch ein paar<br />

Jahrzehnte gebraucht hat, bis er bei der Bevölkerung wirklich<br />

angekommen ist.<br />

234


Der Eidgenössische Buss-, Dank- und Gebetstag, der an jedem<br />

dritten Septembersonntag gefeiert wird - also mit wechselnden<br />

Daten -, ist dem in Deutschland gefeierten im November<br />

vergleichbar, und obwohl es schon Bestrebungen von<br />

"progressiven" Kreisen gab, diesen Feiertag abzuschaffen,<br />

besteht er vorläufig immer noch. Dieser Tag ist neben dem 1.<br />

August der Einzige im ganzen Jahr, an dem im Staatsfernsehen<br />

am Ende <strong>des</strong> Programms die Nationalhymne gespielt wird und<br />

alte vaterländische Spielfilme gezeigt werden. Ich schreibe<br />

<strong>des</strong>halb bewusst Staatsfernsehen, weil die Schweiz ähnlich wie<br />

Österreich viel zu klein ist, als dass sich mehrere Privatsender<br />

auf die Dauer halten könnten, ohne früher oder später von den<br />

Privatprogrammen der drei grossen Nachbarländer Deutschland,<br />

Frankreich und Italien buchstäblich "aufgesogen" zu werden.<br />

Das Datum<br />

Da wir jetzt alle Zahlen, Monatsnamen, Wochentage und<br />

Feiertage kennen, ist es möglich, die Daten zu bestimmen. Auch<br />

hier steht das Surmeirische den romanischen<br />

Schwestersprachen nahe, aber es wird nicht das Verb «esser»<br />

verwendet wie in den meisten anderen:<br />

Welcher Tag ist heute? Der wievielte ist heute?<br />

Igls cants vainsa oz?<br />

Igls cants egl oz?<br />

Tge de vainsa oz?<br />

Im Italienischen, Spanischen und Portugiesischen sieht es so<br />

aus:<br />

IT: Quante sono oggi?<br />

235


ES: Cuántas son hoy?<br />

PO: Quantas são hoje?<br />

Darauf kann ebenfalls auf zwei Arten geantwortet werden. Dabei<br />

ist zu beachten, dass der Monatstag im Gegensatz zu den<br />

meisten anderen romanischen Sprachen, aber genau gleich wie<br />

in den rätoromanischen Schwestersprachen immer in der<br />

Mehrzahl stehen muss; die einzige Ausnahme ist der erste Tag,<br />

der immer in der Einzahl steht, aber nicht im Engadinischen.<br />

Heute ist es Sonntag, der 1. Oktober.<br />

Oz egl (la) dumengia, igl amprem d’october.<br />

Oz egl (la) dumengia, gl’amprem d’obtober.<br />

Heute haben wir Sonntag, den 1. Oktober.<br />

Oz vainsa (la) dumengia, igl amprem/gl’amprem d’october.<br />

Heute ist es Montag, der 2. Oktober.<br />

Oz egl (igl) glen<strong>des</strong>de, igls dus d’october.<br />

Heute haben wir Montag, den 2. Oktober.<br />

Oz vainsa (igl) glen<strong>des</strong>de, igls dus d’october.<br />

Genauso wie in allen anderen romanischen Sprachen und<br />

rätoromanischen Schwesterdialekten wird auch im<br />

<strong>Surmeirischen</strong> in Verbindung mit einem Monatsnamen nur die<br />

Zahl 1 der Ordinalzahlen verwendet, bei allen anderen muss die<br />

Kardinalzahl stehen:<br />

236


Mein Geburtstag ist am/der 19. November.<br />

Igl mies anniversari è igls dieschnov da november.<br />

"igls" kann also sowohl "am" als auch "der" bedeuten.<br />

Auch bei den Jahreszahlen gibt es zwei mögliche Varianten:<br />

Der Zweite Weltkrieg endete in Europa am 8. Mai <strong>des</strong> Jahres<br />

1945.<br />

La sagonda ghera mondiala ò termino an Europa igl otg da matg<br />

digl onn mella novtschientacurantatschintg.<br />

La sagonda ghera mondiala ò termino an Europa igl otg da matg<br />

digl onn dieschnovtschientacurantatschintg.<br />

Der Unterschied liegt also zwischen «tausend neunhundert…»<br />

und «neunzehn hundert…».<br />

Bei den beiden langen Zahlwörtern muss in der Mitte nach der<br />

Hunderterzahl wieder ein „a“ eingeschoben werden.<br />

Auch bei den Ehrentiteln wird nach dem Brauch in allen<br />

romanischen Sprachen nur die Zahl 1 der Ordinalzahlen<br />

verwendet, für alles andere kommen wieder die Kardinalzahlen<br />

zum Zug:<br />

Papst Franziskus (der Erste)<br />

Papst Benedikt XVI.<br />

237<br />

Papa Franciscus (igl amprem)<br />

Papa Benedistus igl se<strong>des</strong>ch


Papst Johannes Paul II.<br />

Papst Johannes Paul I.<br />

Papst Paul VI.<br />

Papst Johannes XXIII.<br />

Papst Pius XII.<br />

Papa Gion Paul igl dus<br />

Papa Gion Paul igl amprem<br />

Papa Paul igl seis<br />

Papa Gion igl vantgatreis<br />

Papa Pius igl do<strong>des</strong>ch<br />

Was die Wochentage betrifft, teilt das Surmeirische auch hier die<br />

Gemeinsamkeit mit den anderen romanischen Sprachen, dass<br />

der bestimmte Artikel nur bei einer gewohnheitsmässigen<br />

Handlung verwendet wird, ansonsten steht der Tag allein:<br />

Kommst auch du am Sonntag, Hans?<br />

Vignst er te dumengia, Gion?<br />

Ja, ich komme an diesem Sonntag.<br />

Gea, ia vign chesta dumengia.<br />

Ja, an diesem Sonntag komme ich auch.<br />

Gea, chesta dumengia vigna er.<br />

Zur Erinnerung: „Chesta“ kann bei Zeitangaben verwendet<br />

werden, sonst muss immer „chella“ stehen.<br />

Aber:<br />

Wir gehen immer am Sonntag/sonntags in eine Messe.<br />

Nus giagn adegna la dumengia ad ena messa.<br />

(ausgesprochen:…la dumengiadena messa).<br />

238


Wir gehen am Sonntag/sonntags immer in eine Messe.<br />

Nus giagn la dumengia adegna ad ena messa.<br />

(ausgesprochen :…la dumengiadegnadena messa.<br />

Zum Schluss dieses Kapitels noch dies: Genauso wie in allen<br />

anderen romanischen Sprachen wird für «zwei Wochen» oder<br />

«vierzehn Tage» nicht «dus emdas» oder «chitor<strong>des</strong>ch <strong>des</strong>»<br />

gesagt und geschrieben, sondern «fünfzehn Tage», also<br />

«chin<strong>des</strong>ch <strong>des</strong>».<br />

Die Religionen und die Presse in Graubünden<br />

Wie tief gespalten Graubünden im religiösen Bereich selbst über<br />

Sprachgrenzen hinweg ist, so wie das auch auf die ganze<br />

Schweiz und ferner auf den ganzen deutschen Sprachraum<br />

zutrifft, kann in meinen anderen Büchern «<strong>Lehrbuch</strong> <strong>des</strong><br />

Engadinischen» und «<strong>Lehrbuch</strong> <strong>des</strong> Surselvischen» genauer<br />

nachgelesen werden. Es gibt jedoch eine einzige Sprachregion,<br />

die schon seit vielen Jahrhunderten ein geschlossener religiöser<br />

Block ist: Es ist ausgerechnet das ganze surmeirische<br />

Sprachgebiet, das die Reformation nie angenommen hat und<br />

immer streng katholisch geblieben ist, und das betrifft auch das<br />

Dorf Bivio bzw. Beiva, wo Italienisch als Hauptsprache gilt, aber<br />

immer noch ein wenig Surmeirisch gesprochen wird. Die einzige<br />

Ausnahme ist Bergün, das trotz der Berge dazwischen wie oben<br />

erwähnt immer mehr nach dem Oberengadin ausgerichtet war<br />

und <strong>des</strong>halb folgerichtig die Reformation angenommen hat.<br />

Dazu passt auch, dass dort in den drei ersten Primarschuljahren<br />

auf Puter und nicht auf Surmeirisch unterrichtet wird, und<br />

seitdem das Dorf Filisur schon seit dem Beginn <strong>des</strong> letzten<br />

239


Jahrhunderts die Sprachenmehrheit gewechselt hat, ist Bergün<br />

auch sprachlich vom Rest <strong>des</strong> Surmeirs abgeschnitten.<br />

Auch im Bereich der Presse zeigt sich der eigenwillige Charakter,<br />

der den Ober- und Unterhalbsteinern nicht nur von den<br />

Deutschbündnern, sondern auch von den übrigen Rätoromanen<br />

nachgesagt wird: Während alle anderen einst unabhängigen<br />

Zeitungen (Surselvisch: La Gasetta Romontscha, La Casa<br />

Paterna - Sutselvisch: La Pùnt - Engadinisch: Fögl Ladin) im Jahr<br />

1996 aus wirtschaftlichen Gründen zur «La Quotidiana»<br />

zusammengelegt wurden, die von Montag bis Freitag erscheint,<br />

hat sich die surmeirische Mini-Zeitung «La Pagina da Surmeir»,<br />

die in Savognin als Wochenzeitung gedruckt wird, bis heute<br />

hartnäckig gehalten, und sie zählt immerhin noch etwa 1'700<br />

Abonnenten. Das bedeutet also, dass die meisten, die diese<br />

Sprache reden, sie auch lesen, was beachtlich ist. Allerdings<br />

erscheinen auch in der «La Quotidiana», die mehrere Tausend<br />

Abonnenten zählt - die wenigsten jedoch im Engadin und im<br />

Münstertal -, unter dem Titel «La Vousch da Surmeir» Beiträge<br />

in dieser Sprache. Immerhin hat diese Pressefusion von 1996<br />

den gewaltigen Vorteil gebracht, dass die ganze Auswahl an<br />

Schriftdialekten in einer einzigen Zeitung zur Verfügung steht,<br />

und das sollte die Herzen bei allen, die sich dafür interessieren,<br />

eigentlich höherschlagen lassen.<br />

240


Länder, Regionen, Nationalitäten und Sprachen<br />

Was jetzt kommt, ist eine Pionierarbeit. Bis heute ist sowohl im<br />

<strong>Surmeirischen</strong> als auch in den anderen rätoromanischen<br />

Schriftdialekten noch keine einzige Liste erschienen, auf der fast<br />

alle Länder, Regionen und Inseln der Welt mit den<br />

entsprechenden Bezeichnungen für die Nationalitäten und<br />

Sprachen aufgeführt sind.<br />

In der Mitte stehen die surmeirischen Übersetzungen für die<br />

Länder, Regionen und Inseln, während rechts aussen die Wörter<br />

für die Nationalität und die Sprachen aufgeführt sind. Abgesehen<br />

von den drei obersten führe ich die weiblichen Varianten nur<br />

dann in der Einzahl auf, wenn sie unregelmässig gebildet<br />

werden:<br />

Schweiz la Svizra svizzer, svizzers;<br />

svizra, svizras<br />

Deutschland la Teratu<strong>des</strong>tga (1) tu<strong>des</strong>tg, tu<strong>des</strong>tga<br />

Österreich l’Austria, f. austriac, austriaca<br />

Zudem führe ich bei den Wörtern, die auf «-an» (m.) und «-ana»<br />

(f.) enden, nur die männliche Variante auf:<br />

Armenien l’Armenia, f. armenian,<br />

armeniana<br />

also: l’Armenia, f. armenian<br />

Wenn ein Adjektiv sich von der Nationalitätsbezeichnung<br />

unterscheidet, steht die männliche Variante hinter einem<br />

Semikolon bzw. Strichpunkt:<br />

241


Grossbritannien la Gronda Britannia brit, brita;<br />

britannic<br />

Länder, Regionen und Inseln in Europa<br />

Europa l’Europa, f. europes (2)<br />

europeic<br />

Nordeuropa l’Europa digl Nord, nord-europes;<br />

l’Europa settentrionala nord-europeic<br />

Osteuropa l’Europa digl Ost, ost-europes;<br />

l’Europa orientala ost-europeic<br />

Südeuropa l’Europa digl Sid, sid-europes;<br />

l’Europa meridionala sid-europeic<br />

Westeuropa l’Europa digl Vest, vest-europes;<br />

l’Europa occidentala vest-europeic<br />

Abchasien l’Abhasia, f. abhasian; abhasic (3)<br />

Adscharien l’ Adscharia, f. adscharian;<br />

adscharic<br />

Aland-Inseln las Islas Alandicas alan<strong>des</strong>; alandic<br />

Albanien l’Albania, f. albanes (4)<br />

Andalusien l’Andalusia, f. andalus, andalusa<br />

Andorra l’Andorra, f. andorran<br />

Apulien l’Apulia, f. apulian<br />

Aragon<br />

igl Aragon (gl’Aragon) aragones


Armenien l’Armenia, f. armenian; armenic<br />

Aserbaidschan igl Aserbaidschan aserbaidschan<br />

(gl’Aserbaidschan)<br />

Azoren (las Islas da) azoran; azoranic<br />

las Azoras<br />

Balearen, las Balearas, balear, baleara;<br />

Balearische las Islas Balearicas<br />

Inseln<br />

Baschkirien, la Baschchiria, baschchir,<br />

Baschkortostan igl Baschkortostan baschchira;<br />

baschchiric<br />

Basilicata la Basilicata basilicates<br />

Baskenland igl Paeis basc basc, basca<br />

Bayern la Bavaria bavarian, bavares<br />

Belarus la Belarussia belaruss, belarussa<br />

(Weissrussland)<br />

Belgien la Belgia belg, belga<br />

Böhmen la Bohemia bohemian; bohemic<br />

Bornholm (l’Isla da) Bornholm bornholmes<br />

Bosnien la Bosnia bosniac, bosniaca<br />

Brabant igl Brabant brabantes<br />

Brandenburg igl Brandenburg brandenburghes<br />

Bretagne la Bretagna breton, bretona;<br />

bretonic<br />

Bulgarien la Bulgaria bulgar, bulgara


Cornwall la Cornia, corn, corna -<br />

la Cornlandia cornlan<strong>des</strong>; cornic<br />

Dagestan igl Daghestan daghestanes;<br />

dagestanic<br />

Dalmatien la Dalmacia dalmacian<br />

Dänemark igl Danmarc den, dena; danes<br />

Deutschland la Teratu<strong>des</strong>tga tu<strong>des</strong>tg, tu<strong>des</strong>tga<br />

Emilia-Romagna l’Emilia-Romagna, f. emilian; emilianic<br />

England l’Engheltera,f. engles<br />

Estland l’Estonia, f. est, esta; estlan<strong>des</strong><br />

Estremadura l’Estremadura, f. estremadurian;<br />

estremaduric<br />

Färöer-Inseln (las Islas da) farues; faruesic<br />

las Faruesas<br />

Finnland la Finnlandia finn, finna;<br />

Finnlan<strong>des</strong><br />

Flandern la Flandria flam, flama; flamic<br />

Frankreich la Frantscha franzos, franzosa<br />

Friaul igl Friaul furlan<br />

Friesland la Frisia, la Frislandia fris, frisa -<br />

frislan<strong>des</strong>; frisic<br />

Galicien la Galicia galeg, galega<br />

Georgien la Gheorghia, gheorghian,<br />

la Giordscha<br />

giordschan<br />

Gotland la Gotlandia gotlan<strong>des</strong>


Griechenland la Grecia grec, greca<br />

Grönland la Grönlandia grönlan<strong>des</strong><br />

(hier „ö“ als Ausnahme)<br />

Grossbritannien la Gronda Britannia brit, brita;<br />

britannic<br />

Hebriden (las Islas da) hebridian<br />

las Hebridas<br />

Hercegowina la Hercegovina hercegovines<br />

Holland l’Ollandia, f. ollan<strong>des</strong><br />

Iberische la Penisla Iberica iberian; iberic<br />

Halbinsel<br />

Ibiza l‘Ibiza, f.; l’Isla d’Ibiza ibizian; ibizianic<br />

Irland l’Irlandia, f. irlan<strong>des</strong><br />

Island l’Islandia, f. islan<strong>des</strong><br />

Italien l’Italgia, f. taliang, taliangia;<br />

talianger,<br />

taliangra<br />

Jütland la Jütlandia jütlan<strong>des</strong><br />

(mit „ü“!)<br />

Kalabrien la Calabria calabres<br />

Kampanien la Campagna campagnes<br />

Kanarische (las Islas da) canares; canaric<br />

Inseln<br />

las Canarias<br />

Kantabrien la Cantabria cantabrian;<br />

cantabric


Karelien la Carelia carelian<br />

Kasachstan igl Casacstan casacstanes<br />

Kastilien la Castiglia castiglian; castilic<br />

Katalonien la Catalugna catalan<br />

Korsika la Corsica cors, corsa; corsic<br />

Kosovo igl Cosovo cosovar, cosovara<br />

Kreta igl Creta (igl!) cret, cretana;<br />

cretic<br />

Krim (la Penisla da) crimes<br />

la Crim<br />

Kroatien la Croacia croat, croata<br />

Kurland la Curlandia curlan<strong>des</strong><br />

Lappland la Lapponia, lapplan<strong>des</strong> -<br />

igl Paeis Samic sam, sama;<br />

samic<br />

Lettgallen la Lettgallia lettgalles;<br />

lettgallic<br />

Lettland la Latvia, lett, letta; -<br />

la Lettonia<br />

lettlan<strong>des</strong>;<br />

lettic, lettlandic<br />

Liechtenstein igl Liechtenstein liechtensteines;<br />

da Liechtenstein<br />

Ligurien la Liguria ligurian; liguric<br />

Limburg igl Limburg limburghes<br />

Litauen la Lituania lituanian


Livland la Livlandia, livlan<strong>des</strong>;<br />

la Livona<br />

livlandic, livonic,<br />

livic<br />

Lombardei la Lombardia lombar<strong>des</strong><br />

Luxemburg igl Luxemburg luxemburghes<br />

Madeira (l’Isla da) madeiran<br />

la Madeira<br />

Mähren la Moravia moravian<br />

Mallorca (l’Isla da) mallorchin;<br />

la Malllorca<br />

mallorchinic<br />

Malta igl Malta (igl!) maltes; maltesic<br />

Mazedonien la Macedonia macedonian;<br />

macedonic<br />

Menorca (l’Isla da) menorchin;<br />

la Menorca<br />

menorchinic<br />

Moldawien la Moldavia moldavian; moldavic<br />

Monaco igl Monaco mongass,<br />

monegassa;<br />

monegassic<br />

Montenegro igl Montenegro montenegrin;<br />

montenegrinic<br />

Murcia la Murcia murcian; murcianic<br />

Niederlande igls Paeis bass nederlan<strong>des</strong>;<br />

nederlandic<br />

Niedersachsen la Saxonia bassa bass-saxones


Nordirland l’Irlandia digl Nord, nord-irlan<strong>des</strong><br />

la Nord-Irlandia<br />

Nordmazedo- la Macdonia digl Nord nord-macedonian;<br />

nien la Nord-Macedonia nord-macdonic<br />

Norwegen la Norvegia norveg, norvega<br />

Ossetien l’Ossetia, f. osset, osseta;<br />

ossetic<br />

(Nord-Ossetien l’Ossetia digl Nord nord-osset usw.<br />

Süd-Ossetien l’Osstia digl Sid sid-osset usw.)<br />

Österreich l’Austria, f. austriac, austriaca<br />

Ostpreussen la Prussia digl Ost ost-prussian<br />

Pfalz igl Palatin palatines<br />

Piemont igl Piemont piemontes<br />

Polen la Pologna polac, polaca;<br />

polones<br />

Pommern la Pommerania pommeranian;<br />

pommeranic<br />

Portugal igl Portugal portughes<br />

Posen la Posnania posnanian<br />

Preussen la Prussia prussian<br />

Rhodos igl Rodos, rodanes<br />

l’Isla digl Rodos<br />

Rumänien la Rumagna rumen, rumena<br />

Russland la Russia russ, russa<br />

Sachsen la Saxonia saxones


San Marino Son Marino sonmarines<br />

Sardinien la Sardigna sard, sarda<br />

Schlesien la Silesia silesian<br />

Schottland la Scocia scot, scota;<br />

scotlan<strong>des</strong><br />

Schweden la Suezia, la Sveda sved, sveda<br />

Schweiz la Svizra svizzer, sviza<br />

Semgallen la Semgallia semgalles;<br />

Semgallic<br />

Serbien la Serbia serb, serba<br />

Schetland- (las Islas da) schetlan<strong>des</strong><br />

Inseln<br />

la Schetlandia<br />

Siebenbürgen la Transilvania transilvanes<br />

Sizilien la Sicilia sicilian<br />

Slowakei la Slovachia slovac, slovaca<br />

Slowenien la Slovenia sloven, slovena<br />

Spanien la Spagna spagnol, spagnola<br />

Südtirol il Tirol digl Sid sid-tiroles<br />

Thüringen la Turinghia turinghes<br />

Tirol il Tirol tiroles<br />

Toskana la Toscana toscanes; toscanic<br />

Tschechien la Tschechia tschec, tscheca<br />

Tschetschenien la Tschetschenia tschetschen;<br />

tschetschenic<br />

Türkei la Tertgeia (!) terca, terca (!)


Ukraine l’Ucraina, f. ucrain, ucraina;<br />

Ucrainic<br />

Umbrien l’Umbria, f. umbrianes<br />

Ungarn l’Ungareia, f. ungares<br />

Valencia la Valencia valencian<br />

Vatikanstadt igl Martgea Vatican vatican; vaticanic<br />

Wales igl Paeis da Gales gales<br />

Vojvodina la Vojvodina vojvodines<br />

Walachei la Valachia valaches<br />

Wallonien la Vallonia vallones<br />

Weissrussland la Belarussia belaruss, belarussa<br />

Westpreussen la Prussia digl Vest vest-prussian<br />

Zypern igl Cipro cipriot, cipriota;<br />

cipriotic<br />

Im Vergleich zu dem, was wir von anderen romanischen<br />

Sprachen und auch vom Engadinischen und Surselvischen her<br />

kennen, sind im <strong>Surmeirischen</strong> nicht wenige Namen<br />

gewöhnungsbedürftig: Danmarc, Italgia, Engheltera, Rumagna,<br />

Tertgeia, Ungareia.<br />

(1). Im Surselvischen heisst dieses Wort „Tiaratu<strong>des</strong>tga“ und ist<br />

mit dem <strong>Surmeirischen</strong> fast identisch, während es im<br />

Engadinischen „Germania“ lautet und mit dem Italienischen also<br />

deckungsgleich ist.<br />

(2). Die vier Wörter, welche die Himmelsrichtungen anzeigen<br />

(Nord, Ost, Sid, Vest), werden genauso wie in allen anderen


omanischen Sprachen mehr im politischen Sinn verwendet,<br />

während die Adjektive (settentrional, oriental, meridional,<br />

occidental) mehr geografisch und wirtschaftlich ausgerichtet<br />

sind:<br />

Nordeuropa = Europa digl Nord (Skandinavien und Finnland)<br />

Nordeuropa = Europa settentrionala (geografisch und<br />

Ähnlich verhält es sich im Englischen:<br />

politisch<br />

wirtschaftlich)<br />

= North Europe (East, South, West)<br />

geografisch = Northern Europe (Eastern, Southern, Western)<br />

und wirtschaftlich<br />

In Verbindung mit Wörtern, die keine Ländernamen sind, müssen<br />

aber auch die englischen Adjektive klein geschrieben werden.<br />

(3). Die vier Endungs-Varianten (-an, -ana; -ans, -anas) sind im<br />

Surselvischen und im Vallader identisch. Die einzige Ausnahme<br />

ist im Puter die männliche Endung „-aun“, die wie „-ään“ und<br />

manchmal sogar wie „-ääm“ ausgesprochen wird. Zudem<br />

werden alle vier im Jauer zwar so wie im Vallader geschrieben,<br />

aber so wie im Puter ausgesprochen:<br />

-aun, -auna; -auns, -aunas<br />

(4). Den Endungen „-es“ (Sg. + Pl. m.) sowie „-esa“ (Sg. f.) und<br />

„-esas“ (Pl. f.), die im Surselvischen identisch sind, entsprechen<br />

im Engadinischen „-ais“, „-aisa“ und „-aisas“.<br />

Albaner (Sg. + Pl. m.) Albanerin (Sg. f.) Albanerinnen (Pl. f.)<br />

igl albanes l’albanesa las albanesas


l’albanais l’albanaisa las albanaisas<br />

Waliser (Sg. + Pl. m.) Waliserin (Sg. f.) Waliserinnen (Pl. f.)<br />

igl gales la galesa las galesas<br />

il galais la galaisa las galaisas<br />

Frühere Länder, Provinzen und Reiche in Europa<br />

Batavia la Batavia batavian; batavianic<br />

(heute Niederlande)<br />

Bessarabien la Bessarabia bessarabian;<br />

(heute Moldawien)<br />

bessarabic<br />

Gallien la Gallia gallles *<br />

(heute Frankreich)<br />

Helvetien l’Helvecia, f. helvecian; helvetic<br />

Hibernia l’Hibernia, f. hibernian;<br />

(heute Irland)<br />

hibernianic<br />

Hispanien l’Hispagna, f. hispanian; hispanic<br />

Iberien l’Iberia, f. iberian; iberic<br />

Illyrien l’Illiria, f. illirian; illiric<br />

Jugoslawien la Jugoslavia jugoslav, jugoslava;<br />

Jugoslavic<br />

Kaledonien la Caledonia caledonian;<br />

(heute Schottlland)<br />

caledonic


Lusitanien la Lusitania lusitanian;<br />

(heute Portugal)<br />

lusitanic<br />

Makedonien la Machedonia machedonian;<br />

Machedonic<br />

Römisches Reich igl Imperi Roman, roman<br />

igl Imperi roman<br />

Sowjetunion l’Uniung sovjet, sovjeta;<br />

Sovjetica sovjetic<br />

Thrakien la Trachia trachian; trachic<br />

(heute Bulgarien)<br />

Tschechoslowakei la Tschecoslovachia tschecoslovac,<br />

tschecoslovaca<br />

Vorsicht: Ein «galles» (Gallier) darf nicht mit einem „gales“<br />

(Waliser) verwechselt werden, der entscheidende Unterschied<br />

liegt also in einem „l“ mehr.<br />

Länder, Regionen und Inseln in Asien<br />

Asien l’Asia, f. asiat, asiata;<br />

asiatic<br />

Afghanistan igl Afghanistan afgan, afgana;<br />

(gl’Afganistan) afganic<br />

Ägypten igl Egipt (gl’Egipt) egiptian; egiptic


Anatolien l’Anatolia, f. anatolian;<br />

anatolic<br />

Andamanen (las Islas da) andamanian;<br />

las Andamanas andamanic<br />

Arabische la Penisla Arabica (nicht üblich)<br />

Halbinsel<br />

Bahrain igl Bahrain bahraines;<br />

Bahrainic<br />

Bali (l’isla da) Bali balines, da Bali<br />

Bangla<strong>des</strong>ch igl Bangla<strong>des</strong>ch bengal, bengala;<br />

bangla<strong>des</strong>ches<br />

Beludschistan igl Beludschistan beludschistanes<br />

Bhutan igl Butan butanes; butanic<br />

Birma, Burma la Birmania birmanes; birmanic<br />

(heute Myanmar)<br />

burmanes; burmesic<br />

Borneo igl Borneo da Borneo;<br />

borneonic<br />

Brunei igl Brunei da Brunei<br />

China la China chines<br />

Hongkong igl Hongcong hongdonghes<br />

Indien l’India, f.; las Indias indian, da l’India<br />

Indonesien l’Indonesia, f. indonesian;<br />

indonesic<br />

Irak igl Irac (gl’Irac) iraches


Iran igl Iran (gl’Iran) iranian; iranic<br />

Israel igl Israel (gl’Israel) israelian, israelit,<br />

israelita; israelic<br />

Japan la Japonia japones<br />

Java igl Java (igl!) javanes; javanic<br />

Jemen igl Jemen jemenit, jemenita;<br />

jemenitic<br />

Jordanien la Jordania jordanian; jordanic<br />

Kambodscha igl Cambodscha cambodschan;<br />

cambodschanic<br />

Kanton (China) igl Kantong kantonghes<br />

Kaschmir igl Caschmir caschmiran;<br />

caschmiric<br />

Katar igl Catar catares; cataric<br />

Kirgisien, la Chirghisia, chirghis, chirghisa<br />

Kirgisistan igl Chirghisistan chirghisistanes,<br />

chirghisic<br />

Korea la Corea corean; coreanic<br />

(Nordkorea la Corea digl Nord nord-corean;<br />

nord-coreanic<br />

Südkorea la Corea digl Sid sid-corean;<br />

sid-coreanic)<br />

Kurdistan igl Curdistan curd, curda; curdic<br />

Kuwait igl Cuvait cuvaitan; cuvaitic -<br />

Laos igl Laos laot, laota; laotic


Libanon igl Libanon libanes; libanesic<br />

Macau (China) igl Macau maucauan, da M.<br />

Malaysia la Malaisia malaisian; malaisic<br />

Malediven (las Islas da) maledivan;<br />

las Maledivas maledivic<br />

Mandschurei la Mandschuria mandschurian;<br />

mandschuric<br />

Molukken (las Islas da) moluches<br />

las Molucas<br />

Mongolei la Mongolia mongol, mongola;<br />

mongolic<br />

Nepal igl Nepal nepales; nepalesic<br />

Neu-Guinea la Nova-Ghinea nov-ghinean;<br />

nov-ghineanic,<br />

nov-ghineic<br />

Oman igl Oman (gl’Oman) omanes; omanic<br />

Ost-Timor igl Timor digl Ost ost-timores;<br />

ost-timoric<br />

Ost-Turkestan igl Turchestan ost-turchestanes;<br />

(Sinkiang in China) digl Ost<br />

ost-turchestanic<br />

Pakistan igl Pachistan pachistanes;<br />

pachistanic<br />

Palästina la Palestina palestinian;<br />

palestinic


Philippinen las Filipinas filipin, filipina;<br />

filipinic<br />

Saudi-Arabien l’Arabia Saudita, f. saudi-arab,<br />

saudi-araba;<br />

saudi-arabic<br />

Seychellen las Seischellas seischellan;<br />

seischellanic<br />

Sibirien la Sibiria sibirian; sibiric<br />

Singapur igl Singapur singapuran;<br />

singapuric<br />

Sinkiang igl Sinchiang sinchianges<br />

Sri Lanka igl Sri Lanka (igl!) srilanches<br />

Sulawesi igl Sulavesi sulavesian;<br />

sulavesic<br />

Sumatra igl Sumatra (igl!) sumatranian;<br />

sumatranic<br />

Syrien la Siria sirian; siric,<br />

sirianic<br />

Tadschikistan igl Tadschichistan tadschic, tadschica<br />

Taiwan igl Taivan taivanes; taivanic<br />

Thailand la Tailandia tailan<strong>des</strong><br />

Tibet igl Tibet tibetan; tibetanic,<br />

tibetic<br />

Timor igl Timor timores; timoric


Turkmenistan igl Turcmenistan turcmen, turcmena;<br />

turcmenic<br />

Usbekistan igl Usbechistan usbec, usbeca<br />

Vereinigte igls Emirats Unias digls Emirats U. A.<br />

Arabische Arabics<br />

Emirate<br />

Vietnam igl Vietnam vietnames,<br />

vietnamit,<br />

vietnamita; vietnamic<br />

Frühere Länder, Provinzen und Reiche in Asien<br />

Babylon igl Babilon babilonian;<br />

babilonic<br />

Celebes igl Celebes celebesian;<br />

(heute Sulawesi)<br />

celebesic<br />

Ceylon igl Ceilon ceilones; ceilonesic<br />

(heute Sri Lanka)<br />

Medien la Media median; medic<br />

(heute Iran)<br />

Mesopotamien la Mesopotamia mesopotanian;<br />

(heute Irak)<br />

mesopotamic<br />

Persien la Persia persian; persic<br />

(heute Iran)<br />

Siam igl Siam siames; siamesic<br />

(heute Thailand)


Länder, Regionen und Inseln in Afrika<br />

Afrika l’Africa, f. african; africanic<br />

Ägypten igl Eghipt (gl’Eghipt), eghiptian; eghiptic<br />

igl Egipt (gl’Egipt) egiptian; egiptic<br />

Algerien l’Algheria, f. algherian; algheric<br />

l’Algeria, f.<br />

algerian; algeric<br />

Angola l’Angola, f. angolan; angolanic<br />

Äquatorial- la Ghinea ecuatoriala dalla Ghinea<br />

Guinea<br />

ecuatorial<br />

Äthiopien l’Etiopia, f. etiopian; etiopic<br />

Benin igl Benin benines; da Benin<br />

Botswana la Botsvana botsvanian; botsvanic<br />

Burkina Faso igl Burchina Faso burchina-fasoan,<br />

da B. F.<br />

Burundi igl Burundi burundian; burundic<br />

Elfenbein- la Costa Ivorica ivor, ivora; ivoric<br />

küste<br />

Eritrea l’Eritrea, f. eritrean; eritreic<br />

Eswatini igl Esvatini esvatinian; esvatinic<br />

Gabun igl Gabun gabunes; gabunic<br />

Gambia igl Gambia (igl!) gambian; gambic<br />

Ghana igl Gana (igl!) ganes; ganaic<br />

Guinea la Ghinea ghinean; ghineanic


Guinea- igl Ghinea-Bissau ghinea-bissaues;<br />

Bissau<br />

ghinea-bissauic<br />

Kamerun igl Camerun camerunes; camerunic<br />

Kap Verde las Islas da Cap cap-verdian;cap-verdic<br />

Verde<br />

Kenia igl Chenia (igl!) chenian; chenianic<br />

Komoren (las Islas da) comores; comoranic<br />

las Comoras<br />

Kongo igl Congo congoles; congolesic<br />

Lesotho igl Lesoto lesotian; lesotic<br />

Libyen la Libia libian; libic<br />

Liberia la Liberia liberian; liberianic<br />

Madagaskar igl Madagascar madagass, madagassa;<br />

madagassic<br />

Malawi igl Malavi malavian; malavic<br />

Mali igl Mali malines; malic<br />

Marokko igl Marocco marochin, marochina<br />

Mauretanien la Mauretania mauretanian; mauretanic<br />

Mauritius igl Mauritius mauritian; mauritianic<br />

Mosambik igl Mosambic mosambican;<br />

mosambicanic<br />

Namibia la Namibia namibian; namibic<br />

Niger igl Nigher nigheran; nigheric<br />

Nigeria la Nigheria nigherian; nigherianic<br />

Ruanda igl Ruanda (igl!) ruandian; ruandic


Sambia la Sambia sambian; sambic<br />

Sao Tomé igl Son Tomé e digl Son Tomé e<br />

und Principe Princip Princip<br />

Senegal igl Senegal senegales; senegalesic<br />

Sierra Leone igl Sierra Leone sierraleones;<br />

da/digl Sierra Leone<br />

Simbabwe igl Simbabve simbabwian; simbabvic<br />

Somalia la Somalia somalian; somalic<br />

Somaliland la Somalilandia somalilandian;<br />

somalilandic<br />

Südafrika l’Africa digl Sid sid-african; sid-africanic<br />

Sudan igl Sudan sudanes; sudanic,<br />

sudanesic<br />

Südsudan igl Sudan digl Sid sid-sudanes; sid-sudanic,<br />

sid-sudanesic<br />

Tansania la Tansania tansanian; tansanic<br />

Togo igl Togo togoles; togolesic<br />

Tschad igl Tschad tscha<strong>des</strong>; tschadic<br />

Tunesien la Tunesia tunesian; tunesic<br />

Zentralafri- la Republica centralafrican;<br />

kanische centralafricana centralafricanic<br />

Republik


Frühere Länder und Reiche in Afrika<br />

Abessinien l’Abessinia, f. abessinian;<br />

(heute Äthiopien)<br />

abessinic<br />

Betschuanaland la Betschuana- betschuanlan<strong>des</strong>;<br />

(heute Botswana) landia betschuanlandic<br />

Dahomey igl Dahomei dahomeian;<br />

(heute Benin)<br />

dahomeianic<br />

Deutsch-Ostafrika l’Africa tu<strong>des</strong>tga (nicht üblich)<br />

(heute Tansania) digl Ost<br />

Deutsch-Südwest- l’Africa tu<strong>des</strong>tga (nicht üblich)<br />

Afrika<br />

digl Sid-Vest<br />

(heute Namibia)<br />

Njassaland la Njassalandia njassalan<strong>des</strong>;<br />

(heute Malawi)<br />

njassalandic<br />

Obervolta igl Obervolta obervoltanian;<br />

(heute Burkina Faso)<br />

obervoltanic<br />

Rho<strong>des</strong>ien la Ro<strong>des</strong>ia ro<strong>des</strong>ian; ro<strong>des</strong>ic<br />

(heute Simbabwe)<br />

Swasiland igl Svasiland, svasilandian;<br />

(heute Eswatini) la Svasilandia svasilandic


Länder, Regionen und Inseln in Amerika<br />

Amerika l’America, f. american<br />

Nordamerika l’America digl Nord nord-american<br />

Zentralamerika l’America centrala central-american<br />

Südamerika l’America digl Sid sid-american<br />

Alabama igl Alabama alabamian; alabamic<br />

Alaska igl Alasca alasches; alaschesic<br />

Antigua l’Antigua, f. antiguan; antiguanic<br />

Antillen (las Islas da) (nicht üblich)<br />

las Antillas<br />

Argeninien l‘Arghentina, f. arghentinian,<br />

l’Argentina, f. argentinian;<br />

arghentinic,<br />

argentinic<br />

Aruba<br />

igl Aruba (gl’Aruba), aruban; arubanic<br />

l’Isla d’Aruba<br />

Bahamas (las Islas da) bahames;<br />

las Bahamas bahamesic<br />

Barbados igl Barbados barbadoses<br />

Belize igl Belize belizian; belizianic<br />

Bermuda la Bermuda bermudan;<br />

Bermudanic<br />

Bolivien la Bolivien bolivian; bolivianic


Brasilien igl Brasil brasilian<br />

Chile igl Tgile tgilen, tgilena;<br />

tgilenic<br />

Costa Rica la Costa Rica costarican;<br />

costaricanic<br />

Dominikanische la Republica dominican<br />

Republik Dominicana<br />

Ecuador igl Ecuador ecuadorian;<br />

ecuadorianic<br />

El Salvador igl Salvador salvadorian;<br />

salvadorianic<br />

Falkland- (las Islas da) malvin, malvina;<br />

Inseln las Malvinas malvinic<br />

(Malwinen)<br />

Florida la Florida floridan; floridanic<br />

Galapagos- las Islas da (nicht üblich)<br />

Inseln<br />

Galapagos<br />

Grenada igl Grenada (igl!) grenadian; grenadic<br />

Guatemala la Guatemala guatemaltec,<br />

guatemalteca<br />

Guayana igl Guaiana (igl !) guaianes; guaianic<br />

Haiti igl Haiti haitian; haitianic<br />

Honduras igl Honduras honduran; honduranic<br />

Jamaica igl Dschamaica dschamaican;<br />

dschamaicanic


Kalifornien la California californian; californic<br />

Kanada igl Canada cana<strong>des</strong><br />

Karibik, (las Islas da) caribian; caribic<br />

Karibische las Caribicas<br />

Inseln<br />

Kolumbien la Colombia colombian<br />

Kuba igl Cuba cuban; cubanic<br />

Malwinen (las Islas da) malvin, malvina;<br />

las Malvinas malvinic<br />

Mexiko igl Mexico mexican<br />

New York Nov-Jork nov-jorkes, nov-jorches<br />

Nicaragua la Nicaragua nicaraguan;<br />

nicaraguanic<br />

Oster-Inseln las Islas da (nicht üblich)<br />

Pasca<br />

Panama igl Panama (igl!) panames; panamesic<br />

Paraguay igl Paraguai paraguaian;<br />

paraguaianic<br />

Patagonien la Patagonia patagonian; patagonic<br />

Peru igl Perú peruan; peruanic<br />

Puerto Rico igl Puerto Rico puertorican;<br />

puertoricanic<br />

Surinam igl Surinam surinames; surinamic<br />

Texas igl Texas texan; texanic<br />

Tobago igl Tobago tobaghes; tobaghic


Trinidad igl Trinidad trinida<strong>des</strong>; trinidadic<br />

Uruguay igl Uruguai uruguaian; uruguaianic<br />

Venezuela la Venezuela venezuelan;<br />

venezuelanic<br />

Vereinigte Staaten igls Stadis Unias american<br />

von Amerika d’America<br />

(USA)<br />

Frühere Länder und Reiche in Amerika<br />

Gross-Kolumbien la Gronda Colombia<br />

(Kolumbien, Panama, Venezuela,<br />

Ecuador und Teile von Peru)<br />

grond-colombian<br />

Konföderierte igls Stadis confedero,<br />

Staaten von Confederos confederada<br />

Amerika d’America<br />

(1861 - 1865)<br />

Länder, Regionen und Inseln in Australien und Ozeanien<br />

Australien l’Australia, f. austral, australa;<br />

australic<br />

Ozeanien l’Oceania, f. oceanian; oceanic


Fidschi-Inseln las Islas da Fidschi fidschian; fidschianic<br />

Gesellschafts- las Islas da tahitian; tahitianic<br />

Inseln<br />

Cumpagneia<br />

(mit Tahiti)<br />

Guam igl Guam guames; guamesic<br />

Havaii igl Havaii, havaiian; havaiianic<br />

las Islas da Havaii<br />

Mikronesien la Micronesia micronesian;<br />

micronesic<br />

Nauru igl Nauru nauruan; nauruanic<br />

Neu-Kaledo- la Nova-Caledonia nov-caledones;<br />

nien<br />

nov-caledonic<br />

Neuseeland la Nova-Selandia nov-selan<strong>des</strong><br />

Polynesien la Polinesia polinesian;<br />

polinesic<br />

Salomonen- (las Islas da) salomonian;<br />

Inseln las Salomonas salomonic<br />

Samoa igl Samoa (igl!) samoan; samoanic<br />

Tahiti igl Tahiti, las tahitian; tahitianic<br />

Islas da Tahiti<br />

Tasmanien la Tasmania tasmanian; tasmanic<br />

Tonga igl Tonga (igl!) tongan; tonganic<br />

Vanuatu igl Vanuatu vanuatuan -<br />

vanuauanic<br />

------------------------------------------------------------------------


Zu beachten ist, dass mehrere Ländernamen, die auf „a“ enden,<br />

keine weiblichen Wörter sind, sondern männliche.<br />

Die Betonung ist insgesamt die gleiche wie im Deutschen und<br />

dem nahe verwandten Italienischen. Das gilt allerdings nicht bei<br />

den wenigen Namen, die sich in der Aussprache von allen<br />

anderen romanischen Sprachen unterscheiden:<br />

Albanien<br />

Algerien<br />

Bulgarien<br />

Rumänien<br />

Türkei<br />

Albanía<br />

Alghería<br />

Bulgaría<br />

Romanía<br />

Turchía<br />

Im Gegensatz zum Italienischen und Französischen wird der<br />

bestimmte Artikel sowohl bei den weiblichen als auch bei den<br />

männlichen Ländernamen in Verbindung mit einer Präposition<br />

zumin<strong>des</strong>t mündlich fast nie verwendet, wenn diese mit einem<br />

Konsonanten beginnen:<br />

DE: in Deutschland in Gabun in Panama<br />

IT : in Germania nel Gabun nel Panama<br />

FR: en Allemagne au Gabon au Panama<br />

SM: an Teratu<strong>des</strong>tga an Gabun an Panama<br />

DE: von Deutschland von Gabun von Panama<br />

IT : dalla Germania, dal Gabun, dal Panama, *<br />

della Germania del Gabun del Panama<br />

FR: d’Allemagne du Gabon du Panama<br />

SM: da Teratu<strong>des</strong>tga da Gabun da Panama


Das Italienische ist die einzige romanische Sprache, die bei den<br />

Verben „kommen“ und „sein“ zwischen zwei verschiedenen de-<br />

Formen unterscheidet:<br />

DE: Ich komme aus Deutschland.<br />

IT : Vengo dalla Germania.<br />

Ich bin von Deutschland.<br />

Io sono della Germania.<br />

DE: Ich komme von/aus Rom.<br />

IT : Vengo da Roma.<br />

Ich bin von Rom.<br />

Io sono di Roma.<br />

Wenn ein männlicher Ländername mit einem Konsonanten<br />

beginnt, kann anstelle von „da“ auch „digl“ verwendet werden,<br />

das aber fast nur in der Schriftsprache auftaucht:<br />

DE: Ich komme von/aus Gabun, von/aus Panama.<br />

SM: Ia vign da/digl Gabun, da/digl Panama.<br />

Dagegen muss der Artikel bei beiden Geschlechtern immer<br />

stehen, wenn die Ländernamen mit einem Vokal beginnen:<br />

DE: Ich komme von/aus Albanien, von/aus Israel, von/aus dem<br />

Oman.<br />

SM: Ia vign dall’Albania/digl Israel/digl Oman.<br />

Vorsicht ist dort geboten, wo das Geschlecht <strong>des</strong> surmeirischen<br />

Wortes von dem der romanischen Schwestersprachen abweicht:<br />

DE: in Japan IT: nel Giappone FR: au Japon<br />

Aber: an Japonia


Die Schweizer Kantone in ihrer amtlichen Reihenfolge<br />

Zürich Turitg turitges<br />

Bern Berna bernes<br />

Luzern Lucerna lucernes<br />

Uri Uri uranes<br />

Schwyz sviz svizes, da Sviz<br />

Unterwalden Sotsilvania sotsilvanes,<br />

da Sotsilvania<br />

(Nidwalden Nidvaldia nidval<strong>des</strong>, da N.<br />

Obwalden Obvaldia obval<strong>des</strong>, da O.)<br />

Glarus Glarunga glarunes<br />

Zug Zug zughes, da Zug<br />

Freiburg Friburg friburghes<br />

Solothurn Soloturn soloturnes<br />

Basel Basilea basiles<br />

(Basel-Stadt Basilea-Martgea basiles digl M.<br />

Basel-Land Basilea-Campagna basiles dalla C.)<br />

Schaffhausen Schaffusa da Schaffusa<br />

Appenzell Appenzell appenzelles<br />

(A.-Ausserrhoden Appenzell dalla rodanes exteriour<br />

Rodania exteriour<br />

A.-Innerrhoden Appenzell dalla rodanes interiour)<br />

rodania interiour<br />

St. Gallen Son Giagl songialles


Graubünden Grischung grischung,<br />

grischunga<br />

Aargau Argovia * argoves<br />

Thurgau Turgovia * turgoves<br />

Tessin Tessin, Tesin tessines, tesines<br />

Waadt Vadt vadtes, da Vadt<br />

Wallis Valais valesan<br />

Neuenburg Neuchâtel da Neuchâtel<br />

Genf Genevra genevres,<br />

da Genevra<br />

Jura Giura giurasses,<br />

digl Giura<br />

* Die Aussprache lautet so: Argovía, Turgovía.<br />

Im Vergleich zum Surselvischen und Engadinischen sind hier<br />

verschiedene Kantonsnamen gewöhnungsbedürftig:<br />

Glarunga, Son Giagl, Basilea-Martgea<br />

Abgesehen von wenigen Ausnahmen (Grischung, Tessin,<br />

Valais, Giura) steht meistens kein bestimmter Artikel. Um<br />

Missverständnisse zu vermeiden, kann bei so doppeldeutigen<br />

Namen wie „Giura“ auch „Cantung“ mitverwendet werden:<br />

Ich komme vom Jura (Gebirge): Ia vign digl Giura.<br />

Ich komme vom Kanton Jura<br />

: Ia vign digl Cantung (da) Giura.


Der obige zweite Satz zeigt an, dass bei „cantung“ das „da“ auch<br />

weggelassen werden kann.<br />

Gerade bei den Umschreibungen mit „da“, „dalla“ und „digl“ zeigt<br />

es sich deutlich, dass das Surmeirische im Gegensatz zum<br />

Engadinischen und Surselvischen nicht so leicht bereit ist,<br />

fremde Wörter so einzubauen, dass ihnen ähnlich klingende<br />

gegenübergestellt werden können (mögliche Beispiele: svizes,<br />

vadtes, genevres, giurasses). Im Zweifelsfall wird einfach das<br />

Fremdwort unverändert übernommen, aber wenigstens ist das<br />

nie falsch, was auch für alle anderen Länder-, Regionen- und<br />

Inselnamen gilt.<br />

Bei den zwei männlichen Kantonsnamen, die mit einem Vokal<br />

beginnen (Uri, Appenzell), ist die Verwendung von „digl“ besser<br />

als „da“, während der bestimmte Artikel bei den zwei weiblichen,<br />

die mit einem Vokal beginnen (Obwalden, Aargau), sogar<br />

Vorschrift ist:<br />

DE: Ich komme von/aus Uri, vom/aus dem Appenzellerland.<br />

SM: Ia vign digl Uri/digl Appenzell.<br />

Aber: Ia vign d’Appenzell (damit ist der Ort gemeint).<br />

DE: Ich komme von/aus Obwalden, aus dem Aargau.<br />

SM: Ia vign dall’Obvaldia/dall’Argovia.<br />

Bei allen anderen Kantonsnamen kann „da“ immer verwendet<br />

werden, auch wenn viele mit den Hauptorten identisch sind.<br />

Bündner Regionen, Täler und Flüsse<br />

Engadin la Nagiadegna nagiadegnes, dalla N.<br />

(la Giadegna *<br />

giadegnes, dalla G.)


(Oberengadin la Nadiadegn’ota ot-nagiadegnes, dalla N.<br />

Unterengadin la Nagiadegna bas-nagiadegnes,<br />

bassa<br />

dalla N. bassa)<br />

Münstertal Val Müstair jaueran, jauerana<br />

(Sprache: jauer)<br />

Albulatal, Val d‘Alvra, dalla Val d’Alvra, **<br />

Unterhalbstein igl Sotses digl Sotses<br />

Oberhalbstein igl Surses sursetter, sursettra;<br />

digl Surses<br />

Lenzerheide igl Lai, digl Lai,<br />

las Planeiras dallas Planeiras<br />

Surmeir igl Surmeir surmiran, digl Surmeir<br />

(Unter- und Oberhalbstein und Lenzerheide zusammen)<br />

Averstal Val d’Avras dalla Val d’Avras<br />

Schams, Val Schons dalla Val Schons<br />

Schamsertal<br />

Domleschg Val Domleschg, domleschghes,<br />

Dumliastga dalla Val Domleschg,<br />

dalla Dumliastga<br />

Sutselva Sutselva sutsilvan, dalla S.<br />

(Schams und Domleschg zusammen)<br />

Safiental Val Stussavgia dallla Val Stussavgia<br />

Valsertal Val Son Peder dalla Val Son Peder<br />

Lugnezertal Val Lumnezia dalla Val Lumnezia<br />

Cadi, Cadital Val Cadi dalla Val Cadi


Somvix Val Sumvitg dalla Val Sumvitg<br />

Medeltal Val Medel dalla Val Medel<br />

Tavetsch Val Tujetsch dalla Val Tujatsch<br />

Oberland Surselva sursilvan, dalla S.<br />

(Surselva, alle rätoromanischsprachigen Täler und Orte im<br />

Oberland)<br />

Rhein igl Ragn (!)<br />

Vorderrhein<br />

igl Ragn anteriour<br />

Hinterrhein<br />

igl Ragn posteriour<br />

Inn (Engadin) igl Enn (gl’Enn)<br />

Rom (Münstertal) igl Rom<br />

* Das Wort „Giadegna“, das im Surselvischen und Engadinischen<br />

„Giadina“ lautet, wird vor allem in der Dichtersprache manchmal<br />

als Verkürzung von „Nagiadegna“ verwendet, dagegen kommen<br />

die von ihm abgeleiteten Wörter (giadegnes, giadegnesa,<br />

giadegnesas) viel weniger vor.<br />

** Vorsicht: Das Wort „val“ (Tal) scheint auf den ersten Blick<br />

männlich zu sein, ist aber tatsächlich weiblich.<br />

Für das östlich und südlich von Chur gelegene Prättigau und das<br />

Schanfigg, die schon seit mehreren Jahrhunderten<br />

deutschsprachig sind, gibt es immer noch diese beiden alten<br />

rätoromanischen Wörter:<br />

igl Pradenz, igl Scanvetg


Sie werden aber genauso wie die beiden für das Safiental und<br />

das obere bzw. südliche Valsertal, die ebenso lange<br />

deutschsprachig sind, nur noch selten verwendet. An ihrer Stelle<br />

können auch diese zumin<strong>des</strong>t gesagt werden, ohne dass jemand<br />

schief schaut:<br />

igl Prättigau, igl Schanfigg, igl Safiental, la Val Safien,<br />

igl Valsertal<br />

Auch das Hinterrheintal, das ebenfalls schon seit mehreren<br />

Jahrhunderten deutschsprachig ist, kann locker umschrieben<br />

werden, und zwar mit „Val digl Ragn posteriour“, während das<br />

Gleiche für das Vorderrheintal, das zum grössten Teil in der<br />

Surselva liegt, mit „Val digl Ragn anteriour“ getan werden kann.<br />

Und noch die vier sogenannten Valli, die vor allem im direkt<br />

benachbarten Oberengadin so bezeichnet werden:<br />

Bergell Val Bergaglia * bergagles,<br />

dalla Val B.<br />

Puschlav Val Puschlav puschlaves,<br />

dalla Val P.<br />

Misox Val Misox, dalla Val M.<br />

Val Mesoc<br />

Calancatal Val Calanca dalla Val C.<br />

Region Moesa Regiun Moesa dalla Regiun M.<br />

(Misox und Calancatal zusammen)<br />

Auch das italienische Wort «Bregaglia» kann verwendet werden,<br />

die Einwohner sind „bregagliotti“ und „bregagliotte“.


Die bekanntesten Bündner Orte, die vom Deutschen<br />

abweichen<br />

Alvaneu<br />

Bergün<br />

Alvagni («Alvaní»)<br />

Bravuogn<br />

Chur Coira *<br />

Davos<br />

Disentis<br />

Flims<br />

Ilanz<br />

Klosters<br />

Lenz<br />

Obersaxen<br />

Sagens<br />

Samaden<br />

Sils<br />

Splügen<br />

St. Moritz<br />

Thusis<br />

Tiefencastel<br />

Tavo<br />

Mustèr<br />

Flem<br />

Glion<br />

Clostra<br />

Lantsch<br />

Sursaissa<br />

Sagogn<br />

Samedan<br />

Segl<br />

Spligia<br />

Son Murezza<br />

Tusan<br />

Casti<br />

Für die Hauptstadt Chur gibt es gleich fünf verschiedene<br />

rätoromanische Wörter:<br />

Coira (Surmeirisch, zugleich auch Italienisch)<br />

Cuera (Surselvisch)<br />

Cuoira (Vallader, Puter)<br />

Cuaira (Jauer)


Cuira (Rumantsch Grischun)<br />

Noch ein paar Beispielsätze:<br />

DE: Woher kommst du?<br />

SM: Da nua vignst te?<br />

Woher kommt ihr?<br />

Da nua niz vous?<br />

DE: Woher kommen Sie?<br />

SM: Da nua niz Vous?<br />

Da nua vignan Els? (zu einem Geistlichen)<br />

DE: Ich komme/wir kommen aus Deutschland/aus Frankreich/<br />

aus England.<br />

SM: Ia vign/nous nign da Teratu<strong>des</strong>tga/da Frantscha/<br />

dall’Engheltera.<br />

Im Zweifelsfall kann auch bei den männlichen Ländernamen<br />

immer «da» verwendet werden, obwohl «digl» grammatikalisch<br />

gesehen als korrekter gilt:<br />

DE: Ich komme aus Israel/aus dem Irak/aus Gabun/aus Taiwan.<br />

SM: Ia vign da Israel/da Irak/da Gabun/da Taivan.<br />

Bei den Städtenamen steht dagegen immer «da»:<br />

DE: Ich komme von/aus Bern, von/aus Zürich, von/aus Basel<br />

SM: Ia vign da Berna/da Turitg/da Basilea.


DE: Ich komme von Aarau/von Eglisau/von Olten/von Ulm.<br />

SM: Ia vign d’Aarau/d’Eglisau/d’Olten/d’Ulm.<br />

In der Umgangssprache kann auch „da“ verwendet werden,<br />

wenn direkt dahinter kein „a“ folgt:<br />

Ia vign da Eglisau/da Olten/da Ulm.<br />

DE: Wie viele Sprachen sprichst du?<br />

SM: Cants lungatgs discorras te?<br />

Cants lungatgs ruschanas te?<br />

DE: Wie viele Sprachen sprechen Sie?<br />

SM: Cants lungatgs discorrez Vous/ruschanez Vous?<br />

Cants lungatgs discorran Els/ruschanan Els?<br />

(zu einem Geistlichen)<br />

DE: Vierzehn. - Fantastisch! Und welche?<br />

SM: Chitor<strong>des</strong>ch. - Fantastic! E cals?<br />

DE: Deutsch, Englisch, Holländisch, Französisch, Italienisch,<br />

Vallader, Puter, Surselvisch, Friaulisch, Sardisch,<br />

Katalanisch, Spanisch, Portugiesisch .… und natürlich auch<br />

Surmeirisch.<br />

SM: Tu<strong>des</strong>tg, ingles, ollan<strong>des</strong>, franzos, taliang, vallader, puter,<br />

sursilvan, furlan, sard, catalan, spagnol, portughes .… e<br />

naturalmaintg er surmiran.


Um das bereits reich gefüllte Schiff nicht noch zu überladen,<br />

verzichte ich hier auf Listen mit Namen von Städten, Bergen,<br />

Flüssen, Seen und Meeren, aber ich führe wenigstens ein paar<br />

stellvertretende Beispiele auf:<br />

See = igl lai Meer = il mar Ozean = igl ocean<br />

Zürichsee igl lai da Turitg *<br />

Bodensee<br />

igl lai da Constanz<br />

Genfersee<br />

igl lai da Genevra, igl lai Leman<br />

Vierwaldstättersee igl lai da Lucerna<br />

Mittelmeer<br />

igl Mar Mediterran<br />

Atlantik<br />

igl Ocean Atlantic<br />

Pazifik<br />

igl Ocean Pacific<br />

Anstelle der offiziellen Namen, die im mündlichen Gebrauch ein<br />

wenig gekünstelt vorkommen, können auch die üblichen<br />

schweizerdeutschen verwendet werden:<br />

igl Zürisee, igl Bo<strong>des</strong>ee, igl Gämfersee, igl Vierwaldstättersee<br />

usw.<br />

Die Namen Bodensee und Genfersee kommen nur im Deutschen<br />

so vor, im Englischen und in allen romanischen Sprachen<br />

werden die Umschreibungen mit Konstanz und Genf verwendet,<br />

allerdings beim letzteren mit einer kleinen Einschränkung: Wie<br />

ich es selbst einmal erlebt habe, wird es in Frankreich nicht gern<br />

gehört, wenn „Lac de Genève“ gesagt und geschrieben wird.<br />

Dort wird eben „Lac Léman“ bevorzugt, aber auch in der Schweiz<br />

werden Spiele zwischen Teams aus Genf und Lausanne als<br />

Léman-Derbies bezeichnet.<br />

279


Das Wort Vierwaldstättersee kommt sogar fast nur in der<br />

Schweiz vor, so habe ich auch im deutschen Fernsehen<br />

manchmal schon „See von Luzern“ gehört.<br />

Surmeirisch und Rumantsch Grischun<br />

Dass Surmeirisch sowohl von den beiden engadinischen<br />

Varianten als auch vom Surselvischen ziemlich weit entfernt<br />

steht - das kann auch in den beiden entsprechenden<br />

Lehrbüchern gesehen werden, die ich parallel zu diesem<br />

geschrieben habe -, ist bekannt genug. Was ich in diesem Kapitel<br />

näher behandeln will, ist ein Vergleich zwischen dieser Sprache<br />

und dem Rumantsch Grischun, von dem es immer heisst, es sei<br />

vor allem vom <strong>Surmeirischen</strong> her aufgebaut worden, weil es<br />

ziemlich genau in der sprachlichen Mitte der Rumantscheia bzw.<br />

Romontschia steht.<br />

Diese Sprache hat tatsächlich dafür gedient, dass eine solche<br />

Schriftsprache nach mehreren gescheiterten Versuchen<br />

überhaupt erst erschaffen werden konnte. Deshalb erstaunt es<br />

nicht, dass Rumantsch Grischun nach meinem Wissen heute in<br />

sämtlichen Schulen <strong>des</strong> surmeirischen Sprachgebiets mit<br />

Ausnahme von Bergün die einheimische verdrängt hat;<br />

jedenfalls ist das Surmeirische in der Primarschule nirgendwo<br />

mehr die zweite Unterrichtssprache neben dem Deutschen.<br />

Der Schöpfer war im Jahr 1982 der Stadtzürcher Romanistik-<br />

Professor Heinrich Schmid, der sämtliche rätoromanischen<br />

Dialekte so gut wie kein anderer kannte - auch <strong>des</strong>halb, weil er<br />

sich schon seit seiner Kindheit für sie interessierte und immer<br />

wieder viel Zeit in Graubünden verbrachte. Die Idee zur<br />

Schaffung dieser Sprache war, dass sie für amtliche Dokumente<br />

280


sowohl innerhalb <strong>des</strong> Kantons Graubünden als auch in der<br />

ganzen Schweiz gegen aussen als eine von allen anerkannte<br />

Einheitssprache verwendet werden sollte.<br />

Dieses Ziel ist zwar im amtlichen Bereich erreicht worden, aber<br />

nicht in den Herzen der Menschen, weil die angestammten<br />

Mutterdialekte viel zu weit auseinanderliegen, wie wir oben bei<br />

den paar Müsterchen gesehen haben. Ich selbst habe bis heute<br />

noch keinen Rätoromanen getroffen, der von dieser Sprache<br />

begeistert ist, doch andererseits muss auch gesagt werden, dass<br />

die Erschaffung <strong>des</strong> Rumantsch Grischun ein geniales Werk ist,<br />

das kurz vor der Jahrtausendwende durch das Buch «Ladin<br />

Dolomitan», also die Erschaffung einer amtlichen<br />

Einheitssprache für die verschiedenen ladinischen Dolomiten-<br />

Dialekte, durch den gleichen Autor noch ergänzt worden ist.<br />

Dafür musste er extra viel Zeit dort verbringen, um sich diese<br />

Sprachen anzueignen und die Unterschiede zu erkennen;<br />

dementsprechend hat es zehn Jahre lang gedauert, bis er dieses<br />

zweite grosse Werk vollenden konnte.<br />

(1). Grob gesagt ist das Rumantsch Grischun eine Mischsprache<br />

zwischen einem surmeirischen Gerüst, einem engadinischen<br />

Vorderteil und einem surselvischen Hinterteil. So werden die<br />

Zischlaute am Wortanfang mit einem "ch" und am Wortende mit<br />

einem "tg" geschrieben:<br />

DE SM VL PT SV RG<br />

Kanton cantung chantun chantun cantun chantun<br />

Zürich Turitg Turich Turich Turitg Turitg<br />

Nacht notg not not notg notg<br />

singen cantar chantar chanter cantar chantar<br />

gesagt detg dit dit detg detg<br />

281


Die Grundidee zur Schaffung <strong>des</strong> Wortschatzes bestand darin,<br />

vor allem aus dem Vallader, dem <strong>Surmeirischen</strong> und dem<br />

Surselvischen auszuwählen. Bei einem Verhältnis von zwei zu<br />

eins wurde das Mehrheitswort gewählt, und wenn alle drei<br />

verschieden waren, kam die surmeirische Variante zum Zug. Da<br />

die engadinischen Vokale "ö" und "ü" sowie die surmeirischen<br />

Doppellaute «ei» und «ou» als Kompromisse gegenüber den<br />

anderen Dialekten nicht vorkommen, hat das auch zu teils recht<br />

merkwürdigen Wörtern geführt. Ein Beispiel:<br />

DE: Gemeinde<br />

SM: cumegn, vischnanca<br />

VL: cumün<br />

PT: vschinauncha<br />

SV: vischnaunca<br />

RG: cumin (!), vischnanca<br />

Allerdings gibt es auch «normale» Ausnahmen, wenn ein<br />

surmeirisches Wort gerade wegen der häufigen Doppellaute<br />

allzu ausgefallen scheint, zum Beispiel bei "Natur":<br />

SM EN SV RG<br />

nateira (!) natüra natira natira<br />

Zudem hat sich manchmal ein Wort durchgesetzt, das allenfalls<br />

in einem Dorf oder sogar in mehreren Dörfern gesprochen wird,<br />

aber in keinem Schriftdialekt Aufnahme gefunden hat. Mit einem<br />

solchen hat keine Seite Probleme, zum Beispiel mit dem Jauer-<br />

Wort «jau» für «ich», aber auch mit der Übersetzung für "Dienst",<br />

das im Zusammenhang mit dem Wehrdienst in der Schweiz<br />

immer noch viel verwendet wird:<br />

282


SM EN SV RG<br />

sarvetsch servezzan survetsch servetsch<br />

Beim Adverb gibt es den Kompromiss zwischen der<br />

surmeirischen und engadinischen Variante, die zwar nicht gleich<br />

geschrieben, aber gleich ausgesprochen werden, und dem<br />

Surselvischen ohne "g" am Wortende:<br />

DE: perfekt<br />

SM: perfectamaintg<br />

EN: perfectamaing<br />

SV: perfectamein<br />

RG: perfectamain<br />

(2). Bei den Verben kommt vor allem das Surselvische zum Zug,<br />

allerdings vermischt mit dem System der engadinischen und<br />

surmeirischen Personalpronomina. Das Kennzeichen <strong>des</strong><br />

Surselvischen mit der Stellung <strong>des</strong> Personalpronomens hinter<br />

dem Verb und das vorangestellte „se-„ beim Reflexivpronomen<br />

kommt jedoch nicht vor:<br />

DE: ich liebe dich<br />

SM: ia t’am, ia ta carezz<br />

VL: eu t’am<br />

PT: eau t’am<br />

SV: jeu carezel tei<br />

ich habe dich geliebt<br />

ia ta va amo/carezzo,<br />

ia va ta amo/carezzo<br />

eu t’ha amà/amada<br />

eau t’he amo/ameda<br />

jeu hai carezau tei,<br />

jeu vai carezau tei<br />

283


RG: jau t’am, jau ta carez<br />

jau t’hai amà/amada,<br />

jau t’hai carezà/carezada<br />

DE: ich wasche mich<br />

SM: ia ma lav<br />

VL: eu am lav (eu’m lav)<br />

PT: eau am lav (eau’m lav)<br />

SV: jeu selavel<br />

RG: jau ma lav<br />

ich habe mich gewaschen<br />

ia ma va lavo, ia va ma lavo<br />

eu m’ha lavat/lavada<br />

eau m’he lavo/laveda<br />

jeu hai/vai selavaus/selavada<br />

jau m’hai lavà/lavada<br />

(3). Bei der Verneinung ist das surmeirische "betg" eines der<br />

Schlüsselwörter. Im <strong>Surmeirischen</strong> ist es das, was im<br />

Surselvischen "buc(a)" und im Engadinischen "nu" und "brich"<br />

sind.<br />

DE: Ich komme nicht - ich nicht.<br />

SM: Ia (na) vign betg - ia betg.<br />

VL: Eu nu vegn - eu brich.<br />

PT: Eau nu vegn - eau brich.<br />

SV: Jeu (na) vegnel buca - jeu buc.<br />

RG: Jau (na) vegn betg - jau betg.<br />

Wie im <strong>Surmeirischen</strong> und Surselvischen ist es auch im<br />

Rumantsch Grischun möglich, das "na" auszulassen, aber die<br />

Mitverwendung von "na" gilt als korrekter.<br />

284


Es würde zu weit führen, hier auch nur ein Mini-<strong>Lehrbuch</strong> <strong>des</strong><br />

Rumantsch Grischun zu schreiben, weil es solche Bücher bereits<br />

gibt. Was ich näher untersuche, ist nur das, was diese Sprache<br />

und das Surmeirische wirklich gemeinsam haben, und das ist viel<br />

weniger, als allgemein gedacht wird.<br />

Identisch sind nur diese Merkmale:<br />

(1). è = ist èn = sind<br />

(2). Das Verneinungswort «betg».<br />

(3). Die Verbformen von «esser» und «aveir» im Imperfekt:<br />

era, eras, era, eran, eras, eran<br />

(a)veva, (a)vevas, (a)veva, (a)vevan, (a)vevas, (a)vevan<br />

Die Varianten mit Klammer sind die im Rumantsch Grischun, wo<br />

nicht auf die gleiche Weise abgekürzt wird.<br />

(4). Die Verbformen von „esser“ und „aveir“ im Konditional<br />

Präsens:<br />

fiss, fissas, fiss, fissan, fissas, fissan<br />

(a)vess, (a)vessas, (a)vess, (a)vessan, (a)vessas, (a)vessan<br />

Auch hier entsprechen die Varianten mit Klammer denen im<br />

Rumantsch Grischun.<br />

285


Daneben gibt es natürlich noch verschiedene ähnliche<br />

Merkmale, aber eben nicht identische; zudem weisen auch das<br />

Surselvische und die beiden engadinischen Varianten gleich<br />

viele auf.<br />

Dass vor allem das surmeirische „èn“ anstelle <strong>des</strong> engadinischen<br />

„sun“ - aber wenigstens noch geeigneter als das surselvische<br />

„ein“ - keine glückliche Wahl war, zeigt sich darin, dass es immer<br />

wieder Verwechslungen mit „en“ (in) geben kann. Gerade auch<br />

<strong>des</strong>halb ist es gut, dass diese Sprache nur geschrieben und nicht<br />

auch noch gesprochen wird, wie die folgenden Beispiele zeigen:<br />

DE: im Himmel<br />

SM: aint igl tschiel<br />

SV: el tschiel<br />

EN: aint il tschêl<br />

RG: en il tschiel<br />

in der Natur<br />

ainten la nateira<br />

ella natira<br />

(aint) illa natüra<br />

en la natira<br />

Was die anderen Präpositionen betrifft, ist es im Rumantsch<br />

Grischun genauso wie in allen rätoromanischen Schriftdialekten<br />

möglich, zum Beispiel sowohl „cun“ als auch die verbundenen<br />

Varianten zu verwenden:<br />

DE: mit dem Vater<br />

SM: cun igl bab,<br />

cugl bab<br />

SV: cun il bab,<br />

cul bab<br />

EN: cun il bap,<br />

cul bap<br />

mit der Mutter<br />

cun la mamma,<br />

culla mamma<br />

cun la mumma,<br />

culla mumma<br />

cun la mamma<br />

culla mamma<br />

286


RG: cun il bab,<br />

cul bab<br />

cun la mamma,<br />

culla mamma<br />

Das Gleiche gilt auch für die Mehrzahlformen:<br />

igls, cun ils, cugls, culs - cun las, cullas<br />

Trotz aller Vorbehalte bleibe ich bei meiner obigen Aussage,<br />

dass die Erschaffung <strong>des</strong> Rumantsch Grischun ein geniales<br />

Werk ist, durch das es erst wirklich möglich wurde, dass das<br />

Rätoromanische als Sprache ernst genommen wird - und nicht<br />

nur national, sondern auch international. Das zeigt sich auch<br />

darin, dass es in den Schweizer Pässen neben den drei anderen<br />

offiziellen Lan<strong>des</strong>sprachen und dem Englischen als fünfte<br />

Sprache verwendet wird. Damit bekommt es einen noch höheren<br />

Rang als die übrigen Amtssprachen der Europäischen Union, die<br />

ganz hinten aufgeführt sind.<br />

Wenn jemals von jemandem gesagt und geschrieben werden<br />

kann, dass er oder sie seine Bestimmung gefunden und erfüllt<br />

hat, trifft das sicher auch auf Heinrich Schmid zu, den ich leider<br />

nie persönlich kennen lernen konnte. Es war seine<br />

Lebensaufgabe, für die Rätoromanen und die Dolomiten-Ladiner<br />

eine Gemeinschaftssprache zu erschaffen, und beide Sprachen<br />

haben heute ihren festen Platz und erweisen diesen beiden<br />

Sprachminderheiten in der Schweiz und in Italien einen Dienst,<br />

der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.<br />

287


Quellenangaben<br />

Da ich nicht in Mittelbünden aufgewachsen bin, liegt es nahe,<br />

dass ich für das Verfassen dieses Buches auf andere Lehrbücher<br />

angewiesen war. Gerade <strong>des</strong>halb, weil diese schon vor<br />

mehreren Jahrzehnten geschrieben wurden und seither keine<br />

modernisierten Bücher mehr erschienen sind, schien es mir gut,<br />

all diese zwar zu verwenden, aber auch so zu «büscheln», dass<br />

sie auf dem heutigen Stand sind. Für das Surmeirische war es<br />

insofern etwas leichter, als bis heute im Gegensatz zum Vallader,<br />

zum Puter und zum Surselvischen nur ein <strong>Lehrbuch</strong> erschienen<br />

ist und ich damit weniger blättern musste als in den anderen.<br />

Das <strong>Lehrbuch</strong> ist dieses:<br />

Rumantsch - Surmeir<br />

(Autor Gion Peder Thöni, veröffentlicht 1969 von der Lia<br />

Rumantscha in Chur)<br />

Es ist nicht nur das einzige Surmeirisch-<strong>Lehrbuch</strong>, sondern auch<br />

das umfangreichste, das bis heute für einen der rätoromanischen<br />

Schriftdialekte verfasst worden ist. Der beste Teil sind die beiden<br />

Wörterlisten Surmeirisch-Deutsch und Deutsch-Surmeirisch - in<br />

dieser Reihenfolge - am Ende dieses Buches, wo alle Wörter, die<br />

in den Lektionen vorkommen, noch einmal aufgeführt sind.<br />

Leider ist dieses <strong>Lehrbuch</strong> als Ganzes unübersichtlich geraten,<br />

so dass ich viele Turnübungen machen musste, bis ich so weit<br />

war, dass ich dieses Buch schreiben konnte.<br />

Da vor allem die surmeirische Verbenwelt nicht zuletzt auch<br />

wegen der Tatsache, dass es gleich sechs verschiedene<br />

Konjugationen gibt, von Unregelmässigkeiten nur so wimmelt -<br />

viel mehr als im Surselvischen und in den beiden engadinischen<br />

288


Sprachen zusammen -, konnte ich hier natürlich nur einen<br />

kleinen Teil behandeln. Wenn jemand in diesen Bereich tiefer<br />

einsteigen möchte, kann ich wenigstens die Seiten empfehlen,<br />

auf denen alle Verben mit den wichtigsten unregelmässigen<br />

Formen vorgestellt werden:<br />

25 - 29, 33, 36, 38, 46, 49 - 55, 58, 59, 62, 63, 72 - 75, 78, 80, 86<br />

- 88, 90 - 98, 111, 112, 118, 123, 124, 128 - 131, 137 - 140, 147,<br />

148, 150 - 153, 156, 157, 161, 162, 166, 169, 174 - 181, 187,<br />

188, 208, 217 - 219, 235, 236, 239 - 241, 256, 257, 264, 265<br />

Noch schwieriger als die vielen unregelmässigen Verben ist<br />

jedoch die richtige Verwendung der Hunderten von<br />

Präpositionen und Zeitausdrücken, die viel mehr Nuancierungen<br />

aufweisen als das Surselvische und die beiden engadinischen<br />

Sprachen zusammen. Die meisten von ihnen sind auf diesen<br />

Seiten aufgeführt:<br />

30 - 31, 170 - 172, 177, 183 - 185, 189 - 200<br />

Das Surmeirische hat zwar zu Recht den Ruf, die schwierigste<br />

rätoromanische Sprache zu sein, aber ausgerechnet diese weist<br />

wie oben gesehen zwei Vorteile auf, welche die<br />

Schwestersprachen nicht haben:<br />

1. Je<strong>des</strong> einzelne Wort wird so ausgesprochen, wie man es<br />

schreibt.<br />

2. Bei den Verben - sowohl bei den nicht-reflexiven als auch bei<br />

den reflexiven - gibt es in den zusammengesetzten Zeiten nur<br />

ein Partizip; es kommt also nicht darauf an, ob es sich um einen<br />

Mann, um eine Frau oder um mehrere Personen beider<br />

Geschlechter handelt.<br />

289


Neben dem Buch von Gion Peder Thöni kommt noch eines, das<br />

zwar kein <strong>Lehrbuch</strong>, aber für die Vertiefung <strong>des</strong> Wortschatzes<br />

nützlich ist:<br />

Pled Rumantsch - Plaid Romontsch<br />

(ein ausführliches Wörterbuch für alle Sportdisziplinen, auch mit<br />

den surselvischen und engadinischen Entsprechungen,<br />

veröffentlicht 1981 von einem Autorenkollektiv der Lia<br />

Rumantscha)<br />

290

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