Im Gespräch mit Martin Hikel (38), Bezirksbürgermeister von <strong>Neukölln</strong> <strong>Neukölln</strong> ist etwas für Feinschmecker, für Urbanisten Nach sechs Jahren Routine merkt Bezirksbürgermeister Martin Hikel nicht mehr, dass er nur schräg durch die erste Tür des Bürgermeisterbüros kommt. Schlanke 2.08 Meter machen den Hausherrn zum größten Mann im Rathaus. • Wurde Ihnen eigentlich mal empfohlen, Basketballer zu werden? Tatsächlich immer. Ich habe auch in der Schul- AG gespielt, aber offenbar nicht mit dem Talent. Sonst wäre ich heute vielleicht bei ALBA. • Sie sind Mitglied mehrerer <strong>Neukölln</strong>er Vereine, ein Sportverein ist nicht dabei. Ich habe im Referendariat Tennis gespielt, dafür reicht die Zeit nicht mehr. Zum Laufen brauche ich keinen Sportverein. Seit der Elternzeit bin ich Mitglied der SG <strong>Neukölln</strong>. Da konnte ich mit meinem Sohn einen schönen Sommer verbringen. • Würden Sie wieder in Elternzeit gehen? Auf jeden Fall! Es ist ein totaler Gewinn für das Familienleben und die Bindung zum Kind. Für die Partnerin ist es wichtig, Carearbeit zur Lastenverteilung zu übernehmen. Und es gibt ein befreiendes Gefühl, für spätere Auszeiten, dass alles ohne einen weitergeht. • Wie schaffen Sie es, Bezirksbürgermeister und SPD-Landesvorsitzender zu sein? Wie alle: mit einem guten Terminmanagement und einem fitten Büro, das auch mal Termine hin- und herschiebt. • Sie waren Mathe- und Politik-Lehrer, auch Mathefreak? Hilft es beim Organisieren? Vielleicht hilft es beim nüchternen Betrachten der Probleme. Ich weiß, dass es für alles eine Lösung gibt. Freak war ich nicht, mir hat es immer Spaß gemacht. • Wäre eine Doppelspitze wie in der SPD auch im Bezirksamt vorstellbar? Es ist eine Idee in der Parteiarbeit, Arbeit zu verteilen und gezielte Frauenförderung zu betreiben. Das ist wichtig und gut. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, ob es im Bezirksamt möglich wäre. Man soll nie nie sagen. Wichtig wäre, dass Parteien mehr Frauen aufstellen, damit Bezirksämter gemischter werden. Im Rat der Bürgermeister haben wir zwei CDU- und fünf Kolleginnen von den Grünen. • Fast jeder Zweite im Bezirk hat einen Migrationshintergrund. Lernen die Jüngsten gut die Sprache in den Kitas - oder brauchen wir mehr frühe Förderung zur Integration? Dass ich viel von früher Förderung halte, ist bekannt, zumal wir eine sehr heterogene Bevölkerung haben, viele unter Armut leiden und wenig Zugang zu Bildungsangeboten haben. Frühe Förderung lässt sich am besten institutionell erreichen: über Kitas, Schulen, Familieneinrichtungen… • Schätzen Sie mehr die Vielfalt im Bezirk oder sehen sie eher die Integrationsprobleme? Beides. Die Vielfalt ist bei uns Alltag, Normalität, sie fällt nicht auf. Aber es gibt einen Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und prekär sozialen Lagen. Wir erleben traditionelle Vorstellungen von Kindererziehung, die auf soziale Armut und mangelnde Bildung zurückzuführen sind. Das ist auch Ergebnis fehlender Integration in den 70ern und 80ern. Wir haben große Probleme mit Menschen, die sich ausgeschlossen fühlen und extremistische religiöse Ansichten vertreten. Und da gibt es auch nichts schön zu reden. • Sie sind mit 19 Parteimitglied geworden. Was reizte Sie an der Politik? Ich bin 2005 in die SPD eingetreten – ohne Vorstellung, was ein Bezirksbürgermeister tut, wollte Räder in der großen Politik drehen. Der Irak-Krieg, die Afghanistan-Intervention, die Konflikte haben mich politisiert. Als Friedrich Merz von der Steuerklärung auf dem Bierdeckel sprach, fand ich das Martin Hikel, seit März 2018 Bezirksbürgermeister von <strong>Neukölln</strong> bescheuert, auch wenn es nett klingt: Warum soll jemand, der 300.000 € verdient, den gleichen Steuersatz haben, wie jemand, der 30.000 € verdient? Ich war nie Bundestagsabgeordneter, sondern in der BVV, bei den Jusos, an den Infoständen. Da waren die Themen wie die Brunnengalerie in Rudow und die U-Bahn-Verlängerung nach Schönefeld. Ich habe es nie bereut. Ein politisches Mandat ist etwas Tolles. Man lernt immer dazu. • Städtepartnerschaften gehören zu Ihren Sonderaufgaben – lernen Sie voneinander? Ja, uns half der Austausch mit Israel, um nach dem Überfall etwas zu erfahren, über die Lage vor Ort – und wir können dorthin berichten, was hier passiert, wenn antisemitische Übergriffe die Schlagzeilen bestimmen. Wir haben einen Azubiaustausch mit Leonberg organisiert. Uns vereint die schlechte kommunale Finanzierung, aktuell ist sie besonders schlecht. Wir können gar nicht an so vielen Stellen sparen. Wir tun das momentan mal bei einer Fahrt, mal bei einem Fest. Kürzungen bei der Suchthilfe und Straßensozialarbeit sind No-Gos. © BA / Jesco-Denzel 3 BEZIRKSBÜRGERMEISTER