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Zahnmedizin im Nationalsozialismus

Ausgabe 2-3/2022

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18_TITELTHEMA<br />

ZBW_2-3/2022<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

NS-Täter unter der Zahnärzteschaft<br />

VERGESSEN,<br />

VERSCHWIEGEN,<br />

VERDRÄNGT<br />

Stolpersteine, die seit 1992 in Deutschland<br />

und in 25 Ländern Europas an NS-Opfer<br />

erinnern, haben das Schicksal von Verfolgten,<br />

Deportierten, Ermordeten in unsere Nähe<br />

gerückt. Die Täter allerdings blieben viele<br />

Jahrzehnte <strong>im</strong> Dunkeln. – Ein Blick auf ein<br />

schmerzhaftes Kapitel Berufsgeschichte<br />

der Zahnärzteschaft mit Bezug zum heutigen<br />

Baden-Württemberg.<br />

Foto: Bundesarchiv, B 285 Bild-04413/Stanislaw Mucha/CC-BY-SA 3.0<br />

Das Torhaus des KZ Auschwitz-Birkenau.<br />

Erst in jüngerer Zeit gibt es verstärkt<br />

Anstrengungen, diejenigen Mediziner<br />

be<strong>im</strong> Namen zu nennen, die während<br />

des <strong>Nationalsozialismus</strong> an Verbrechen<br />

beteiligt waren. Zu den ersten<br />

Veröffentlichungen gehören die Bücher<br />

von Ernst Klee. „Nie hatten Mediziner<br />

mehr Macht über Menschen als<br />

in der Nazizeit“, schrieb Klee, ein vielfach<br />

ausgezeichneter Autor und Filmemacher.<br />

Bereits in den 1980er-Jahren veröffentlichte<br />

er über „Euthanasie“ <strong>im</strong> NS-<br />

Staat. Akribisch hat er auch in seinem<br />

„Personenlexikon zum Dritten Reich“<br />

die Verbrechen erforscht und die Täter<br />

be<strong>im</strong> Namen genannt. Keine Selbstverständlichkeit,<br />

denn allzu lange wurde<br />

das Verhalten von NS-Ärzten verdrängt<br />

und vertuscht. Kaum einer musste<br />

nach 1945 harte Strafen fürchten, viele<br />

waren schnell in Amt und Würden zurück.<br />

Auch in der Zahnärzteschaft gab<br />

es Täter, die nach 1945 mitten in der<br />

Gesellschaft lebten und auch ihrem<br />

Beruf nachgingen.<br />

Allein 1.300 Zahnärzte waren bereits<br />

vor 1933 Mitglieder der NSDAP, das<br />

waren 12 Prozent der Zahnärzteschaft,<br />

bei der gesamten Ärzteschaft waren es<br />

rund 7 Prozent.<br />

Explizit mit der Zahnärzteschaft beschäftigte<br />

sich Dr. med. dent. Wolfgang<br />

Kirchhoff und die Vereinigung<br />

demokratische <strong>Zahnmedizin</strong> (VDZM).<br />

In dem 2016 erschienenen Werk „... total<br />

fertig mit dem <strong>Nationalsozialismus</strong>“,<br />

blätterte Kirchhoff mit seiner<br />

Mitautorin eine „unendliche Geschichte<br />

der <strong>Zahnmedizin</strong> <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>“<br />

auf und untermauert<br />

damit seine Pionierleistungen bei der<br />

Aufarbeitung der NS-Vergangenheit<br />

der Zahnärzteschaft. Kirchhoff zeigt<br />

auf, dass die zahnmedizinische Wissenschaft<br />

Beiträge zur Durchführung<br />

von Sterilisationen und „Euthanasie“<br />

lieferte, Zahnärzte sich am Massenmord<br />

in Konzentrationslagern beteiligten<br />

und das Entfernen von Goldzähnen<br />

aus den Leichen der Geschändeten<br />

organisierten und überwachten.<br />

„Ein großer Teil des Goldes und Silbers,<br />

das den europäischen Juden geraubt<br />

oder von ihren Leichen abgerissen<br />

wurde, ging durch die Schmelzöfen<br />

der Degussa“ schrieb der US-Historiker<br />

Peter Hayes 2004 in der Degussa-Firmengeschichte.<br />

TÄTERFORSCHUNG<br />

Zur jüngsten Täterforschung trug das<br />

Projekt „<strong>Zahnmedizin</strong> und Zahnärzte<br />

<strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>“ bei, das von<br />

den Spitzenorganisationen der Zahnärzteschaft<br />

in Deutschland <strong>im</strong> November<br />

2019 vorgestellt wurde. Unabhängige<br />

Wissenschaftler der Universitäten<br />

Düsseldorf und Aachen haben die Rolle<br />

der Zahnheilkunde <strong>im</strong> NS-Reg<strong>im</strong>e<br />

systematisch aufgearbeitet.<br />

Hier war Prof. Dr. Dr. Dominik Groß,<br />

Direktor des Instituts für Geschichte,<br />

Theorie und Ethik der Medizin, Aachen<br />

federführend: „Die Zahnärzteschaft<br />

diente sich dem NS-Reg<strong>im</strong>e in<br />

vielerlei Hinsicht an. Im Jahr 1938 waren<br />

bereits 9 Prozent aller Zahnärzte<br />

Mitglieder der Allgemeinen SS, gut 60<br />

Prozent der zahnärztlichen Hochschullehrer<br />

traten bis 1945 in die<br />

NSDAP ein. Mindestens 300 Zahnärzte<br />

engagierten sich in der Waffen-SS,<br />

etwa 100 Zahnärzte waren als Zahnärzte<br />

in Konzentrationslagern tätig.“ Ziel<br />

des Projekts ist eine historisch-kritische<br />

Darstellung der Geschichte der<br />

Zahnärzteschaft und ihrer Organisati-

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