Zahnmedizin im Nationalsozialismus
Ausgabe 2-3/2022
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20_TITELTHEMA<br />
ZBW_2-3/2022<br />
www.zahnaerzteblatt.de<br />
zahnärztekammer Baden-Württemberg<br />
ein berufsgerichtliches Verfahren<br />
angedacht, aber nicht durchgeführt<br />
worden. Erst 1965, <strong>im</strong> ersten<br />
Frankfurter Auschwitzprozess wurde<br />
er durch das Schwurgericht wegen gemeinschaftlicher<br />
Beihilfe zum gemeinschaftlichen<br />
Mord zu sieben Jahren<br />
Zuchthaus verurteilt. Frank verzichtete<br />
1969 auf seine zahnärztliche<br />
Approbation.<br />
Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft<br />
<strong>im</strong> Jahr 1970 arbeitete Frank als<br />
Pharmavertreter.<br />
ERMORDUNG DER GOEBBELS-<br />
KINDER<br />
Dr. Helmut Kunz (1910–1976) war einer<br />
von 48 Zahnärzten, die nach 1945<br />
als Kriegsverbrecher vor Gericht standen.<br />
Der in Ettlingen Geborene wurde<br />
1937 Mitglied der NSDAP, promovierte<br />
1939 zum Dr. med. dent. und schloss<br />
sich dem NS-Ärztebund an. Im Januar<br />
Dr. Helmut Kunz<br />
1940 als Sanitätsoffizier zur Wehrmacht<br />
einberufen, trat er <strong>im</strong> August<br />
1940 der Waffen-SS bei und wurde der<br />
SS-Totenkopf-Division zugeordnet,<br />
die <strong>im</strong> Konzentrationslager Dachau<br />
Dienst tat. Nach Verwundung an der<br />
Ostfront und Lazarettaufenthalt wurde<br />
Kunz in das SS-Sanitätsamt in Berlin<br />
versetzt. Hier war er ab Oktober<br />
1943 Hugo Blaschke unterstellt, dem<br />
obersten Zahnarzt der SS. Unter anderen<br />
behandelte er auch Magda Goebbels,<br />
die ihn Ende April 1945 aufgefordert<br />
hatte, bei der Tötung ihrer sechs<br />
Kinder zu helfen. Kunz hat sie mit<br />
Morphiumspritzen sediert, ehe die<br />
Mutter ihnen dann Cyanidkapseln verabreichte.<br />
Foto: Gemeinfrei<br />
1945 wurde Kunz von Soldaten der<br />
Roten Armee verhaftet und war sieben<br />
Jahre in sowjetischer Haft. 1952 wurde<br />
er von einem Moskauer Militärgericht<br />
zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt, unter<br />
anderem wegen seiner Beteiligung<br />
an der Ermordung der Goebbels-Kinder.<br />
Er kam 1955 <strong>im</strong> Zuge der von Bundeskanzler<br />
Adenauer ausgehandelten<br />
Rückführung deutscher Kriegsgefangener<br />
aus der Sowjetunion frei. Zunächst<br />
wurde er nicht weiter verfolgt<br />
und zog zu seiner Familie nach Karlsruhe.<br />
1956 nahm er eine Stelle an der<br />
Universitätszahnklinik Münster an,<br />
Anfang 1957 ließ sich Kunz als Zahnarzt<br />
in Freudenstadt nieder. Ein <strong>im</strong><br />
gleichen Jahr eingeleitetes Ermittlungsverfahren<br />
führte 1959 zu einer<br />
Anklage wegen Beihilfe zum Totschlag;<br />
das Verfahren wurde jedoch eingestellt,<br />
auch <strong>im</strong> Hinblick auf seine in der<br />
Sowjetunion verbüßte Haft. Bis 1975<br />
war er als Zahnarzt tätig.<br />
NUR EIN ZEUGE<br />
El<strong>im</strong>ar Lüder Precht (1912-1969)<br />
besuchte in Freiburg die Volksschule<br />
in Littenweiler und die Rotteck-<br />
Oberrealschule. Dann studierte er<br />
<strong>Zahnmedizin</strong> in seiner He<strong>im</strong>atstadt,<br />
legte 1936 das Staatsexamen ab<br />
und arbeitete anschließend als Assistent.<br />
Seit 1933 SS-Mitglied wurde er<br />
1939 zur Waffen-SS eingezogen. Er<br />
gehörte verschiedenen Einheiten an,<br />
bevor er ab Juli 1942 in den KZs Natzweiler,<br />
Dachau, Oranienburg und<br />
von Juli 1944 bis Januar 1945 auch<br />
als leitender Zahnarzt in Auschwitz<br />
eingesetzt wurde. Nach Kriegsende<br />
war Precht ab 1950 als Assistenzarzt<br />
bei Willy Frank, seinem Vorgänger <strong>im</strong><br />
KZ Auschwitz, in dessen Stuttgarter<br />
Zahnarztpraxis angestellt. Später<br />
wurde er Schulzahnarzt in Offenburg.<br />
Im ersten Frankfurter Auschwitzprozess<br />
wurde Precht 1962 vernommen,<br />
jedoch nicht angeklagt. Er gab an,<br />
von den Versuchen gewusst zu haben,<br />
die Straßburger Professoren an Häftlingen<br />
in Natzweiler verübten. Sie<br />
hätten ihm davon be<strong>im</strong> gemeinsamen<br />
Mittagessen berichtet. Des Weiteren<br />
gab er an, keinen Rampendienst und<br />
keine Selektionen vorgenommen zu<br />
haben, obwohl dies für Lagerärzte obligatorisch<br />
war. Auch habe er kein<br />
zahnärztliches Gerät von deportierten<br />
Zahnärzten beschlagnahmt.<br />
Precht räumte jedoch ein, Zahngold<br />
von Ermordeten an das SS-Wirtschafts-<br />
und Verwaltungshauptamt<br />
weitergeleitet zu haben.<br />
HENKER VON BELGRAD<br />
Dr. Ernst Weinmann (1907–1947),<br />
gebürtig in Frommenhausen bei Tübingen,<br />
war ein deutscher Zahnarzt,<br />
SS-Obersturmbannführer und Oberbürgermeister<br />
von Tübingen. Seine<br />
nach dem Ende des <strong>Zahnmedizin</strong>studiums<br />
und der Promotion aufgenommene<br />
politische Karriere hatte<br />
er schon mit seinem Eintritt in die<br />
Dr. Ernst Weinmann<br />
NSDAP 1927 begründet. Er wurde<br />
zuerst Ortsgruppenleiter in Tübingen<br />
und gehörte dem Führerrat der<br />
Universität an. 1939 wurde er Oberbürgermeister<br />
von Tübingen, ein<br />
Amt, das er formal bis 1945 bekleidete.<br />
Da er ab 1940 <strong>im</strong> Reichssicherheitshauptamt<br />
in Berlin tätig war,<br />
der zentralen Behörde des Repressionsapparates<br />
der Nazis, nahmen<br />
Stellvertreter kommissarisch seinen<br />
Platz in Tübingen ein. Nach dem<br />
Balkanfeldzug wurde Weinmann<br />
„Beauftragter für das Umsiedlungswesen<br />
be<strong>im</strong> Militärbefehlshaber in<br />
Serbien“ in Belgrad. In dieser Funktion<br />
war er in Jugoslawien an Judendeportationen<br />
sowie Zwangsumsiedlungen<br />
von Slowenen beteiligt.<br />
Kurz vor Kriegsende war er wieder in<br />
Tübingen, tauchte dann unter, begab<br />
sich aber Ende 1945 in französische<br />
Internierung. Von Frankreich<br />
an Jugoslawien ausgeliefert, wurde<br />
er wegen seiner Beteiligung an den<br />
Deportationen angeklagt, zum Tode<br />
verurteilt und 1947 in Belgrad hingerichtet.<br />
Foto: Stadtmuseum Tübingen<br />
Dorothea Kallenberg