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Keine Probleme machen,<br />
nicht auffallen, keine Polizei<br />
antreffen”, diese drei Regeln<br />
bestimmen Mahdis* Alltag.<br />
Der 27-Jährige ist vor vier Jahren aus<br />
Afghanistan nach Österreich geflüchtet,<br />
nach mehreren abgelehnten Asylanträgen<br />
wurde er vor die Wahl gestellt:<br />
Entweder verlässt er das Land, oder er<br />
wird abgeschoben. Mahdi entschied sich<br />
für die dritte Option: Er blieb in Österreich<br />
und tauchte hier unter. Genauer<br />
gesagt wohnt er bei einem älteren Ehepaar<br />
in einem Dorf irgendwo in Tirol. Die<br />
Nachbarn in der kleinen Ortschaft leben<br />
in dem Glauben, dass er sich legal in<br />
Österreich aufhält. Dass Mahdi eigentlich<br />
keine Papiere hat, wissen nur seine<br />
Zieh-Eltern und sehr enge Freunde, die<br />
in einer ähnlichen Situation stecken. Er<br />
hilft dem Ehepaar bei der Gartenarbeit<br />
und anstehenden Handwerksarbeiten im<br />
Haus. „Das ist für die beiden auch ein<br />
großes Risiko, aber sie helfen mir und ich<br />
helfe ihnen” – so lautet die Abmachung.<br />
Er lebt zwar in ständiger Angst, aber<br />
„das ist immer noch besser als in meiner<br />
Heimat”, erklärt der Afghane. „In den<br />
österreichischen Dörfern leben viele von<br />
uns, da ist es einfacher unterzutauchen<br />
als in der Großstadt”, erzählt er.<br />
ÖSTERREICHS „U-BOOTE“<br />
Mahdi ist einer von etwa 30.000 Menschen,<br />
die sich momentan illegal in<br />
Österreich aufhalten. Die Zahl ist hierbei<br />
bloß eine Schätzung verschiedener<br />
NGOs, die Dunkelziffer dürfte höher sein.<br />
Offizielle Statistiken betreffend dieser Fälle<br />
werden nicht geführt. „Erstens gehen<br />
wir aufgrund des dichten Kontrollnetzes<br />
auf verschiedenen Ebenen davon aus,<br />
dass die meisten Menschen vor, beim<br />
oder zeitnah zum Grenzübertritt aufgegriffen<br />
werden. Zweitens würde das nicht<br />
wirklich viel Sinn machen, da die meisten<br />
Menschen ja nach Asyl bzw. Legitimation<br />
ihres Aufenthalts streben, also entweder<br />
in andere Zielländer weiterreisen oder<br />
in Österreich um Asyl ansuchen. Selbst,<br />
wenn es Fälle gibt, in denen das nicht<br />
so ist, gibt es naturgemäß dazu keine<br />
Zahlen“, bestätigt BMI-Sprecher Harald<br />
Sörös.<br />
Bis Ende April 20<strong>23</strong> wurden laut<br />
BMI 3.624 negative Entscheidungen in<br />
den Schnell- und Eilverfahren getroffen.<br />
Außerdem haben sich bis Ende Mai rund<br />
16.989 Personen dem Verfahren entzogen,<br />
damit auf Schutz verzichtet und<br />
Österreich selbständig wieder verlassen.<br />
Die Rede ist von Personen, die nach<br />
mehreren negativen Asylentscheidungen<br />
das Land verlassen müssten – freiwillig<br />
oder eben unfreiwillig. Manche bleiben<br />
aber als sogenannte „U-Boote” hier:<br />
Sie kommen in illegal untervermieteten<br />
Wohnungen unter, halten sich mit<br />
Schwarzarbeit über Wasser und hoffen,<br />
dass sie niemand erwischt. Manche von<br />
ihnen fangen an, mit Drogen zu dealen,<br />
viele andere sind der Gutmütigkeit<br />
oder eben auch der Ausbeutung seitens<br />
anderer Menschen ausgeliefert. Manche<br />
werden vom Staat in die Illegalität getrieben,<br />
viele Fälle sind überaus komplex. In<br />
Länder wie Afghanistan oder Syrien wird<br />
momentan aus geopolitischen Gründen<br />
aus Österreich nicht abgeschoben – was<br />
passiert aber mit jenen, die schon länger<br />
hier sind? Wie sieht ihre Lebensrealität<br />
aus? Warum bleiben sie im Land?<br />
Welche Gedanken begleiten ihren Alltag?<br />
Wie schafft man es, in einem Land wie<br />
Österreich einfach unterzutauchen? Pauschalisierend<br />
ist es für Politik und Medien<br />
leicht, von „illegalen Flüchtlingen” zu<br />
sprechen – doch die Realität ist weitaus<br />
vielschichtiger. Es sind unterschiedlichste<br />
Geschichten, Beweggründe und Lebensrealitäten<br />
– ich will all das aus erster<br />
Hand erfahren.<br />
Die Recherche gestaltet sich wie<br />
erwartet als sehr schwierig und überaus<br />
kompliziert: „Die will doch, dass wir<br />
in den Knast kommen“, „Vergiss es“,<br />
„Dann kann ich mich ja gleich abschieben<br />
lassen“, „Spinnt die, glaubt sie echt,<br />
wir reden mit der?“, lauten die meisten<br />
Antworten, die mir über gefühlt zwanzig<br />
Ecken weitergeleitet werden. Angst und<br />
Misstrauen der Betroffenen spielen hier<br />
eine vorrangige Rolle – verständlich, wer<br />
in solch einer Situation will schon mit<br />
den Medien sprechen? Immer wieder<br />
springen Gesprächspartner ab, Streifzüge<br />
durch Wien auf der Suche nach<br />
Protagonisten scheitern und hunderte<br />
Telefonate scheinen mich nicht weiter<br />
zu bringen. Bis ich eines Abends von<br />
einer unterdrückten Nummer angerufen<br />
werde.<br />
„WENN ICH ERWISCHT WERDE,<br />
DANN: BUMM, ZACK, AB IN<br />
SCHUBHAFT“<br />
Es ist Amir*, der zögerlich einem Treffen<br />
einwilligt. „Woher weiß ich, dass du<br />
keine Zivilpolizistin bist?” ist seine erste<br />
– sehr berechtigte – Frage, als wir uns<br />
eine Stunde später im zweiten Bezirk in<br />
Wien treffen. Untertags geht er nicht so<br />
gerne raus, nachts fühlt er sich sicherer.<br />
Ich zeige ihm meinen Presseausweis,<br />
mein Instagram-Profil und erkläre ihm,<br />
dass niemand seine wahre Identität<br />
erfahren wird. Erst dann wird er ruhiger<br />
und beginnt zu erzählen. „Jetzt gibt es<br />
ja gerade Abschiebestopp nach Afghanistan,<br />
aber ich bin schon seit 2018<br />
hier. Wenn die (Anm. die Behörden) das<br />
erfahren würden, dann: Bumm, Zack,<br />
ab in Schubhaft, oder?” Nach Afghanistan<br />
gibt es seit 2021 Abschiebestopp.<br />
Was würde also mit Amir passieren?<br />
Das erklärt Julia Ecker, Anwältin für<br />
Fremden- und Asylrecht. „In so einer<br />
Situation könnte er natürlich bei einer<br />
Kontrolle trotzdem erstmal angehalten<br />
und festgenommen werden. Allerdings<br />
sollte dann wegen der Unmöglichkeit der<br />
Abschiebung eine Duldung ausgesprochen<br />
werden. Wenn sich, wie im Fall von<br />
Afghanistan, die Situation seit der negativen<br />
Entscheidung maßgeblich geändert<br />
„In den österreichischen Dörfern<br />
leben viele von uns, da ist es einfacher<br />
unterzutauchen als in der Großstadt”<br />
/ POLITIKA | WIEN / 15