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Was ihn in seiner Heimat erwartet?<br />

„Folter, Schläge, Stromschläge,<br />

Schnitte mit Messern.“<br />

len Schutz eingereicht – das war zu<br />

dem Zeitpunkt, als in Russland gerade<br />

die Mobilmachung im Rahmen des<br />

Krieges gegen die Ukraine stattfand.<br />

Der Antrag wurde abgelehnt, Abu<br />

Bakar hat eine Beschwerde eingereicht<br />

– diese wurde dann angenommen.<br />

Nach diesem mühseligen<br />

Verfahren, dem ewigen hin - und her,<br />

darf Abu Bakar also bleiben. Vorerst.<br />

Heute lebt er von der Mindestsicherung<br />

seiner Großmutter und hofft<br />

darauf, bald eine Arbeitserlaubnis<br />

zu bekommen – und normal an der<br />

Gesellschaft teilhaben zu können.<br />

An dieser Stelle frage auch ich mich<br />

mittlerweile, wie das auf lange Sicht<br />

funktionieren wird – im Endeffekt<br />

haben ja beide Seiten nichts davon.<br />

„IN TSCHETSCHENIEN WERDEN<br />

SIE MICH FOLTERN“<br />

Übrigens: Nach Tschetschenien,<br />

einer Teilrepublik Russlands, gibt es<br />

aufgrund der momentanen geopolitischen<br />

Lage gerade ebenfalls keine<br />

Abschiebungen. Trotzdem hat Abu<br />

Bakar Sorge davor, dass sich das<br />

bald ändern könnte. Was mit ihm<br />

passieren würde, wenn man ihn nach<br />

Russland abschiebt? „Das Übliche,<br />

was sie mit allen meinen Landsleuten<br />

tun, die nicht für sie arbeiten oder<br />

nicht mit ihnen kooperieren. Folter,<br />

Schläge, Stromschläge, Schnitte mit<br />

Messern…“, zählt Abu Bakar auf. Er<br />

nimmt hier Bezug auf den Machthaber<br />

Tschetscheniens und Putins<br />

„Mann fürs Grobe“, Ramzan Kadyrow<br />

und sein Gefolge. Im Internet<br />

kursieren etliche Videos, auf denen<br />

Folter gegenüber sogenannten<br />

„Landesverrätern“ in Tschetschenien<br />

ersichtlich ist – das gilt mehreren<br />

Berichten zufolge nicht nur für seine<br />

Kritiker:innen, sondern auch für Menschen<br />

mit Vorstrafen, wie es bei Abu<br />

der Fall ist.<br />

NEUES ASYLGESETZ ALS<br />

LÖSUNG?<br />

Erst Anfang Juni haben sich die<br />

EU-Staaten auf eine Verschärfung<br />

der Asylregeln geeinigt – der Kompromiss<br />

sieht einen deutlich strengeren<br />

Umgang mit Menschen ohne<br />

Bleibeperspektive vor. Menschen, die<br />

aus als sicher geltenden Ländern in<br />

EU-Staaten kommen, sollen in Zukunft<br />

gleich nach dem Grenzübertritt unter<br />

haftähnlichen Bedingungen in streng<br />

kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen<br />

kommen – dort wird innerhalb einer<br />

Frist von sechs Monaten geprüft,<br />

ob eine Chance auf Asyl besteht<br />

oder nicht. Wenn nicht, soll man<br />

umgehend zurückgeschickt werden.<br />

Dadurch würde sich aus EU-Sicht die<br />

Lücke schließen, in der Menschen<br />

erst in die Situation kommen, in<br />

einem Land ohne Bleiberecht untertauchen<br />

zu können. Aber: Was als<br />

„sicheres Land“ gilt, ist in der Realität<br />

der Einzelnen oft genau das Gegenteil.<br />

Das ist streitbar und wird je nach<br />

Einzelfall entschieden. Was passiert<br />

aber mit Menschen wie Amir, Djamal,<br />

Mahdi und all den anderen, die schon<br />

da sind und bleiben? Sie schaffen<br />

sich ein eigenes Paralleluniversum,<br />

mit eigenen Gesetzen, mit eigenen<br />

Strategien, Auffangnetzen und Regeln<br />

– ganz im Stillen, sie leben an der<br />

Gesamtgesellschaft vorbei, ob es ihr<br />

gefällt oder nicht. „Schreib‘ mir, wenn<br />

du zuhause bist, man weiß ja nie, ob<br />

um die Uhrzeit keine illegalen Flüchtlinge<br />

rumlaufen“, mit diesen Worten<br />

verabschiedet sich Amir lachend nach<br />

unserem Treffen. ●<br />

* Die Namen wurden zum Schutz der Personen<br />

von der Redaktion geändert.<br />

Die Fotos wurden für die Geschichte nachgestellt.<br />

Auf den Bildern handelt es sich nicht<br />

um die Protagonisten aus der Reportage.<br />

INFOS ZUR<br />

RECHTSLAGE:<br />

Wo gibt es Beratung?<br />

Bei der Bundesagentur für Betreuungsund<br />

Unterstützungsleistungen (BBU)<br />

gibt es Rechts- und Rückkehrberatung<br />

für „Fremde” und Asylwerber:innen.<br />

Oder bei unabhängigen NGOs, wie<br />

beispielsweise die Diakonie, Caritas,<br />

Helping Hands und spezialisierten<br />

Rechtsanwält:innen (wie z.B. vom<br />

„Netzwerk Asylanwält:innen)<br />

Wer bestimmt, ob man abgeschoben<br />

wird?<br />

Das BFA (Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen)<br />

Was bedeutet „freiwillige Rückkehr“?<br />

Für eine freiwillige Rückkehr in das Heimatland<br />

oder das nächste sichere Land<br />

hat man nach einem mehrmals abgelehnten<br />

Asylantrag in der Regel 14 Tage.<br />

Das Bundesministerium für Inneres<br />

(BMI) und das BFA unterstützen Personen,<br />

die in ihr Heimatland zurückkehren,<br />

mit unterschiedlichen Leistungen. Während<br />

das BFA die individuellen Anträge<br />

zur freiwilligen Rückkehr genehmigt und<br />

eine Rückkehrhilfe gewährt, fördert das<br />

BMI eine „bundesweit flächendeckende<br />

Rückkehrberatung“.<br />

Was bedeutet „Duldung“?<br />

Es gibt in Österreich, nach § 46a<br />

Fremdenpolizeigesetz 2005, einen<br />

Auffangtatbestand, der sich „Duldung“<br />

nennt. Dieser besagt: „Der Aufenthalt<br />

von Fremden ist zu dulden“, wenn eine<br />

Abschiebung nicht zulässig ist. Das gilt<br />

auch für „Fremde“, die eigentlich nicht<br />

rechtmäßig hier aufhältig sind („für Personen<br />

bei denen […] nicht durch Legalisierung<br />

des Aufenthaltes im Rahmen<br />

eines anderen Rechtsinstituts [wie z.B.<br />

nach AsylG oder NAG] Rechnung getragen<br />

wird, bei denen aber ein „Abschiebehindernis“<br />

vorliegt“). Die Person<br />

hat also folglich einen Anspruch auf<br />

Duldung und eine sogenannte „Karte<br />

für Geduldete“. Diese gilt dann ein Jahr<br />

und kann nach einem Jahr verlängert<br />

werden, wenn die gleichen Voraussetzungen<br />

dann noch gelten.<br />

/ POLITIKA | WIEN / 19

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