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WENN MIGRA-ELTERN PSYCHISCHE<br />
ERKRANKUNGEN NICHT ERNST NEHMEN<br />
Egal, ob Depressionen, Panikattacken oder Angstzustände: Viele Migra-Eltern können<br />
und wollen die psychischen Erkrankungen ihrer Kinder nicht anerkennen.<br />
Von: Maria Lovrić-Anušić, Collagen: Zoe Opratko<br />
Du hast ein Dach über dem<br />
Kopf, Essen und Trinken<br />
am Tisch. Was für einen<br />
Grund hättest du, traurig zu<br />
sein?“, fragten Sanjas Eltern mit einem<br />
ironischen Unterton, als sie von ihren<br />
psychischen Problemen erzählte. Dass<br />
die 25-Jährige mit kroatischen Wurzeln<br />
in der Arbeit gemobbt wurde und sie<br />
dadurch mit starken Panikattacken und<br />
Depressionen zu kämpfen hat, möchten<br />
sie nicht wahrhaben. Sie stößt damit auf<br />
pures Unverständnis. Sie müsse sich<br />
doch um nichts kümmern, außer zur Uni<br />
zu gehen und zu arbeiten. „Immer, wenn<br />
ich versuche meine Panikattacken anzusprechen,<br />
wird mir nicht geantwortet. Es<br />
wird einfach nur hingenommen, als wäre<br />
es nichts“, lässt Sanja ihrer Enttäuschung<br />
freien Lauf.<br />
Sanja ist nicht die Einzige, die von<br />
ihren Eltern mit ihren psychischen Problemen<br />
alleingelassen wird. Wie weit verbreitet<br />
dieses Phänomen ist, zeigt sich<br />
auf Social Media. Immer mehr Migra-Kids<br />
berichten auf TikTok und Instagram<br />
davon, dass sie von ihren Eltern nicht<br />
ernst genommen werden, geschweige<br />
denn Unterstützung bekommen.<br />
Dabei leiden laut dem österreichischen<br />
Integrationsbericht aus dem Jahre 2022<br />
gerade Menschen mit Migrationshintergrund<br />
deutlich häufiger an psychischen<br />
Erkrankungen wie Depressionen und<br />
chronischen Angstzuständen. Allein<br />
unter den Geflüchteten sind, laut dem<br />
österreichischen Depressionsbericht aus<br />
dem Jahre 2019, satte 30 bis 40 Prozent<br />
von Depressionen betroffen.<br />
UNWISSENHEIT UND<br />
KULTURELLE CODES<br />
Menschen mit Migrationsgeschichte<br />
stehen dem Konzept von psychischem<br />
Leid häufig skeptisch gegenüber, erklärt<br />
die Bildungsmanagerin und Geschlechterforscherin<br />
Emina Šarić. „Diese Skepsis<br />
basiert auf einer Mischung aus Halbwissen<br />
und Mythen über psychische<br />
Erkrankungen, welche in ihrer Heimat<br />
vorhanden sind.“ Viele Eltern, die aus<br />
dem Ausland nach Österreich migriert<br />
sind, haben dieses Gedankengut noch<br />
sehr tief verankert und sitzen in einer<br />
Bubble mit kulturellen Codes im Bezug zu<br />
Menschen mit psychischen Erkrankungen<br />
fest. Diese sind stark negativ behaftet<br />
und Betroffene werden prinzipiell ausgegrenzt,<br />
weshalb Eltern nicht wollen,<br />
dass ihre Kinder in dieses Narrativ fallen.<br />
Es herrscht eine große Wissenslücke zu<br />
den Themen psychische Gesundheit und<br />
Therapiemöglichkeiten.<br />
TABUTHEMA: PSYCHISCHE<br />
ERKRANKUNGEN<br />
„Wir werden unser ganzes Leben schon<br />
gemobbt, weil wir Ausländer sind. Das ist<br />
normal“, erklärten Sanjas Eltern ihr, als<br />
sie sich über ihre Mobbingerfahrungen<br />
auf der Arbeit beschwerte. Die 25-Jährige<br />
arbeitete, neben ihrem forderndem<br />
Vollzeit Jusstudium, in einer Anwaltskanzlei.<br />
Dort wurde sie ständig von zwei<br />
Kolleginnen gemobbt und für sie war das<br />
alles andere als normal. „Ich zog mich<br />
zurück, vermied es rauszugehen und<br />
bekam regelmäßig Panikattacken und<br />
Angstzustände, die ich zu verstecken<br />
versuchte“, erzählt Sanja nachdenklich.<br />
Und das nicht ohne Grund. In ihrer Familie<br />
sind psychische Erkrankungen ein<br />
absolutes Tabuthema und werden immer<br />
nur runtergespielt. Diese ablehnende<br />
Haltung kommt nicht von ungefähr. In<br />
ihrer Heimat werden Menschen, die<br />
offensichtlich erkrankt sind, als verrückt<br />
abgestempelt und das wollen Sanjas<br />
Eltern für ihre Tochter nicht. Laut Šarić<br />
ist das ein häufiges Phänomen in Balkanstaaten.<br />
„Behinderte Menschen wurden<br />
im ehemaligen Jugoslawien absolut<br />
abgelehnt und Kinder mit Behinderungen<br />
häufig versteckt. Außerdem herrscht<br />
der Mythos, dass psychisch erkrankte<br />
Menschen ansteckend wären.“ Dieser<br />
Gedanke ist in den Köpfen von Sanjas<br />
Eltern noch sehr stark verankert. Wie<br />
man nach außen hin wirkt, ist demnach<br />
wichtiger, als wie man sich wirklich fühlt.<br />
„Man redet nicht über die eigenen Probleme,<br />
damit niemand dann über einen<br />
reden kann“, erklärt die 25-Jährige.<br />
„<br />
Man redet nicht über<br />
die eigenen Probleme,<br />
damit niemand dann<br />
über einen reden kann.<br />
“<br />
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