„Man kennt sich untereinander, man weiß, wo es gerade bissi Geld zu verdienen gibt oder wo man am besten nicht hingehen sollte.“ hat, würde sich auch empfehlen, nach Inanspruchnahme einer Rechtsberatung einen Folgeantrag zu stellen und so könnte die betroffene Person doch noch einen Schutzstatus in Österreich erhalten“ (Mehr Infos s. Infobox) Amir hätte nach mehreren negativen Asylbescheiden abgeschoben werden sollen – vor der neuerlichen Machtübernahme der Taliban 2021. Seinen afghanischen Pass hat er längst nicht mehr. „Aber wohin soll ich gehen? Meine Familie würde sofort glauben, dass ich hier kriminell war, und sie würden nicht mehr mit mir sprechen, ich hätte kein Leben mehr dort.” Solche Geschichten kennt er von seinen Freunden, die aus Österreich nach Kabul abgeschoben wurden. Also entschied sich Amir, hier zu bleiben. Auch ohne Papiere. „Alles ist besser, als zurück nach Afghanistan zu gehen, da gibt es nichts. Auch bevor die Taliban da waren, das war, seitdem ich lebe, immer ein Scheißland.” Während wir durch einen Park gehen, blickt er immer wieder um sich. „Ich lebe echt mit der ur Paranoia, aber ein bissi selber Schuld, oder? Aber was würdest du an meiner Stelle machen?“, fragt er mich. Amir hat einige Freunde, die in einer ähnlichen Situation stecken – „Man kennt sich untereinander, man weiß, wo es gerade bissi Geld zu verdienen gibt oder wo man am besten nicht hingehen sollte.“ Amir lebt mit sieben anderen in einer Wohnung in einem Industriegebiet in Wien – besagte Wohnung wird schwarz untervermietet. Sein Handyvertrag läuft auf einen anderen Namen. Krankenversichert ist er auch nicht, einmal hat er sich die e-card eines Freundes geborgt, um zum Arzt zu gehen – damals gab es auf den Karten noch keine Fotos. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er mit „bissi bei Umzügen helfen, bissi Computer zusammenbauen, du weißt schon, dies und das halt”. Früher hat er auch „bissi mit Gras und so gedealt”, aber das wurde ihm auf Dauer doch zu unsicher – zu groß war die Sorge, erwischt zu werden. Und das Geld war sowieso nicht gut. Er sei aber nicht einer dieser Afghanen, die „schon wieder mit einem Messer irgendwen angegriffen, oder irgendeine Frau belästigt oder anderen Scheiß gebaut haben“, versichert er mir mehrmals – wenn er solche Schlagzeilen liest, schämt er sich für seine Herkunft. Amir kann verstehen, wenn „die Österreicher” Menschen wie ihn hier nicht haben wollen. „Die wissen einfach zu wenig über unsere Situation, aber sieh’s mal positiv: Ich koste den Staat ja nichts”, sagt er schmunzelnd. „Wien ist eigentlich ur schön, aber ich gehe selten raus – ich habe zu viel Angst davor, dass mich die Polizei erwischt.” Amir hofft darauf, dass er irgendwann ein Schlupfloch findet, durch das er legal in Österreich bleiben könnte. „Oder ich gehe nach Frankreich, die haben bessere Asylgesetze für uns.” „IN AFGHANISTAN BIN ICH GESTORBEN UND HIER WURDE ICH NOCHMAL GEBOREN“ „In Afghanistan herrscht folgende Annahme: Wenn du abgeschoben wirst, dann warst du in Österreich sicher straffällig. Du verlierst dein Gesicht und kannst dort nicht mehr normal leben”, erzählt mir Shaukat Walizadeh, Geschäftsführer des afghanischen Kulturvereins „NEUER START” in Wien. „Diese Asylverfahren werden teilweise so willkürlich entschieden, teilweise schlampig oder nicht gründlich genug. Ich bin der Meinung, dass Österreich hier massiv Ressourcen verschwendet. Menschen stecken teilweise jahrelang in Asylverfahren, diese Zeit könnte man viel besser nutzen, wenn sie eine Arbeitserlaubnis hätten oder schneller ihren Aufenthalt bekommen – dann hätte Österreich auch mehr davon.” Der gebürtige Afghane selbst lebt seit 2009 in Österreich, hatte zuerst Asyl bekommen und besitzt mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft. „Ich sage immer: In Afghanistan bin ich gestorben und hier wurde ich nochmal geboren. Ich mag Österreich, weil ich hier meine Familie gegründet habe und man hier einem geregelten Alltag nachgehen kann. Aber warum klappt das dann nicht bei den Behörden auch?”, fragt er sich. Gründe für Flucht sind unterschiedlich, genau wie die Länder, aus denen Menschen nach Österreich kommen. „WIR KÖNNEN NICHT ZURÜCK, ABER HIER KÖNNEN WIR AUCH NICHT NORMAL LEBEN“ „Wir haben uns zwanzig Tage lang bei einem Freund in seiner Wohnung in Wien versteckt. Die Polizei war alle zwei Tage bei uns im Asylheim und hat nach uns gesucht”, erzählt Mohammed*. Er ist Ende zwanzig und vor acht Jahren mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder Yasin* aus dem Irak nach Österreich gekommen. Sie lebten jahrelang im Asylheim, 2019 sollten sie abgeschoben werden. „Der Irak ist ein sicheres Land, es gibt keinen Grund dafür, dass ihr Asyl bekommt”, hieß es seitens der Behörden. „Wir haben aber leider genug Gründe, und wir haben auch alle Beweise vorgelegt. Unser Vater wurde von der Asa’ib Ahl al-Haqq Terrormiliz im Irak (Anm. ein paramilitärisches Terrornetzwerk) verfolgt. Wir können nicht dorthin zurück”, erzählt Yasin. Mithilfe eines Anwalts gelang es der Familie, wieder Asylwerberstatus zu erlangen. Das bedeutet: Sie leben wieder im Asylheim, sie dürfen sich momentan legal im Land aufhalten. Trotzdem leben sie weiterhin großteils von Schwarzarbeit: „Haare schneiden, bei Umzügen helfen, bei großen Festen als Security, weil die da keinen Ausweis wollen”, zählt Yasin auf. „Die Lage ist einfach so schlecht, ich würde ja gerne mehr machen und arbeiten gehen. Aber wir können nicht zurück, aber hier können wir auch nicht normal leben, es ist zum Verzweifeln”, wirft Mohammed ein. Dennoch befinden sie sich in einer vergleichsweise stabileren Lage – vorerst dürfen sie im Land bleiben. DIE SACHE MIT DEM STUDENTENVISUM Als „U-Boote” leben in Österreich übrigens auch Menschen, die hier auf einen 16 / POLITIKA | WIEN /
„Keine Probleme machen, nicht auffallen, keine Polizei antreffen”, diese drei Regeln bestimmen Mahdis* Alltag. / POLITIKA | WIEN / 17