Das Stadtgespräch Ausgabe August 2023 auf Mein Rheda-Wiedenbrück
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gendwort »cringe« die Sachlage<br />
besser trifft als Fremdschämen,<br />
verstehe ich übrigens nicht.<br />
www.verein-daheim.de<br />
oder Tel.: 05242/964 9327<br />
1 Kein schöner Zug – die Schadenfreude<br />
T<br />
lache,<br />
Typisch<br />
deutsch?<br />
Man sollte doch meinen, dass<br />
jede menschliche Sprache alle<br />
Situationen abdeckt. Am besten<br />
mit einem einzigen Ausdruck.<br />
Doch das ist nicht immer so,<br />
denn es gibt durchaus Lücken,<br />
also Situationen, Sachverhalte<br />
oder Gefühle, die eben nicht kurz<br />
und bündig bezeichnet werden<br />
können. Wie gut das funktioniert<br />
ist von Sprache zu Sprache durchaus<br />
unterschiedlich. Manche<br />
Sprachen müssen beschreiben,<br />
was andere mit einem einzigen<br />
Ausdruck bezeichnen. Da ist zum<br />
Beispiel das japanische Tsundoku,<br />
an dem auch ich leide. Damit ist<br />
nämlich das Phänomen gemeint,<br />
dass man sich eine Menge Bücher<br />
anschafft, die man dann nicht zu<br />
lesen schafft.<br />
Schadenfreude<br />
Ein deutsches Wort, das ich schon<br />
mehrmals in englischen Texten<br />
ge lesen habe, ist Schadenfreude.<br />
Was sagt das über uns aus? T.C.<br />
Boyle benutzt in seinen Romanen<br />
das deutsche Wort, da offenbar<br />
kein englisches die Freude des<br />
einen über das Missgeschick des<br />
anderen so treffend ausdrückt. Irgendwie<br />
lässt das doch auch <strong>auf</strong><br />
unseren fiesen Volks charakter<br />
schließen, von dem ich keineswegs<br />
frei bin. Nicht, weil ich<br />
generell über Schaden anderer<br />
denn das mache ich nach<br />
meiner eigenen Wahrnehmung<br />
nicht. Aber wenn jemand zum<br />
Beispiel an den Schildern, die<br />
davor warnen, ins Watt zu steigen,<br />
vorbei und ins selbige geht,<br />
dann schaue ich schon mit etwas<br />
Vorfreude dar<strong>auf</strong>, wie das weitergeht.<br />
Wenn der tolle Papa dann<br />
auch noch lautstark verkündet,<br />
man würde hier nicht einsinken<br />
und er dann doch ein unfreiwilliges<br />
Schlammbad nimmt, dann<br />
beschleicht auch mich die Schadenfreude.<br />
Bei der stößt sprachlich<br />
selbst google translate an<br />
seine Grenzen, wobei es immerhin<br />
»malicious joy«, also bösartige<br />
Freude anbietet.<br />
Gemütlichkeit<br />
Doch es gibt auch nette Beispiele<br />
im Deutschen. In englischsprachigen<br />
Romanen kommt auch<br />
»gemütlich« als deutsches Wort<br />
vor. Auch da war cosy oder snug<br />
wohl nicht nah genug an dem,<br />
was vielbelesene Autoren meinten.<br />
Vielleicht hängt gemütlich<br />
auch mit kaltem Wetter zusammen,<br />
denn sie kann ja eher bei<br />
Minustemperaturen gesteigert<br />
werden. Daher kennen die Dänen<br />
das Wort auch, nämlich als<br />
hygge. Den Hype in letzter Zeit<br />
um hygge verstehe ich dagegen<br />
nicht, denn was mehr als Gemütlichkeit<br />
kann die dänische<br />
Entsprechung bieten? Andrerseits<br />
kann ich das nicht beurteilen,<br />
denn meine Dänisch-Kenntnisse<br />
beschränken sich <strong>auf</strong> einen halben<br />
VHS-Kurs vor vielen Jahren.<br />
Auch wieso das angebliche Ju-<br />
Torschlusspanik und<br />
Dornröschenschlaf<br />
»Angst« ist ein weiterer Exportschlager<br />
des Deutschen, also<br />
als Wort, das Psychologen anderer<br />
Sprachen für seelische Pein<br />
verwenden. Dagegen ist mir<br />
»Torschlusspanik« in anderen<br />
Sprachen noch nicht begegnet.<br />
<strong>Das</strong> ist einerseits ein schwieriges<br />
Wort. Aber das heißt nicht<br />
unbedingt etwas, denn die Amis<br />
haben auch »Fahrvergnügen« und<br />
auch »Jägermeister« geschluckt.<br />
Letzteres auch im wörtlichen<br />
Sinn. Andrerseits lässt sich Torschlusspanik<br />
aber in andere Sprachen<br />
nur schwer übersetzen. Im<br />
Englischen gibt es immerhin ein<br />
anschauliches sprachliches Bild,<br />
das übersetzt heißt »Angst haben,<br />
das Boot zu verpassen«. Im<br />
Französischen und Spanischen<br />
lautet die Übersetzung: »Angst<br />
haben, etwas Wichtiges im Leben<br />
zu verpassen« – wie langweilig.<br />
Oftmals wird Torschlusspanik im<br />
Deutschen im Zusammenhang<br />
mit Frauen gebraucht, die befürchten,<br />
in das Alter zu kommen,<br />
in dem sie keine Kinder mehr bekommen<br />
können. Ursprünglich<br />
war damit wohl etwas anderes<br />
gemeint. Die Wortherkunft von<br />
Torschlusspanik hat damit zu<br />
tun, dass tatsächlich in der Vergangenheit<br />
die Tore der Stadt<br />
oder des Klosters über Nacht geschlossen<br />
wurden – und dann war<br />
man schutzlos wilden Tieren und<br />
räuberischem Gesindel ausgeliefert.<br />
Mit Verpassen hat auch der<br />
schlecht übersetzbare Ausdruck<br />
»Dornröschenschlaf« zu tun. Da<br />
bieten die Internet-Übersetzer<br />
einfach »Schlummer« an. Wer<br />
den Anschluss an die Moderne<br />
verpasst hat, ruhte wohl wie<br />
Dornröschen im Schönheitsschlaf<br />
– wie beispielsweise lange die<br />
deutsche Autoindustrie bei den<br />
Elektroautos. Aber irgendwie ist<br />
doch Dornröschen trotzdem positiv<br />
belegt, schon vom Klang her.<br />
44 <strong>Das</strong> <strong>Stadtgespräch</strong>