Ausgabe 08/2023
Das Magazin für Herisau und Umgebung. Erscheinungsdatum: 9.8.2023
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24 · Herisauer Persönlichkeiten <strong>08</strong>/<strong>2023</strong><br />
BÄRENFLEISCH, LEHRER UND<br />
TELLERWÄSCHER-KARRIERE<br />
Im letzten Teil der Serie «Herisauer Persönlichkeiten» offerieren wir Ihnen einen bunten Mix<br />
von Menschen, die in der Geschichte unserer Gemeinde ihre Spuren hinterlassen haben oder<br />
exemplarisch für die Entwicklung von Herisau stehen.<br />
Haben Sie schon einmal an einem Flussufer<br />
die schönsten Steine gesucht? Ein schwieriges<br />
Unterfangen. Die Auswahl ist riesig, die<br />
Entscheidung subjektiv und die Liegengebliebenen<br />
hätten es auch verdient, mitgenommen<br />
zu werden. Bei der Serie über Herisauer<br />
Persönlichkeiten der Vergangenheit ging es<br />
mir ebenso. Einige habe ich bewusst ruhen<br />
lassen; die berühmten Familien Schiess,<br />
Schläpfer, Signer, Suhner, Wetter, Tanner oder<br />
Zuberbühler etwa. Ihnen wird auch ohne<br />
mein Dazutun grosse Wertschätzung zuteil.<br />
Gesucht habe ich die eher Vergessenen. Gefunden<br />
habe ich viele. Zu viele für diese Serie,<br />
die mit diesem Text zu Ende geht. Was ist nun<br />
mit all jenen Menschen, deren Namen sich<br />
auf meiner Liste angesammelt haben? Einige<br />
werden das Nachsehen haben, einige möchte<br />
ich Ihnen hier – kurz nur – noch vorstellen.<br />
Louise Büchi zuerst. Sie nämlich ist Bestsellerautorin<br />
und salopp ausgedrückt die<br />
«Betty Bossi» aus Herisau. 28 Jahre lang war<br />
sie Leiterin des Kurhauses Heinrichsbad. Im<br />
Winterhalbjahr 1882/1883 führte sie ihren<br />
ersten dreimonatigen Kochkurs für «Töchter<br />
aus mittelständischen Familien» durch. Diesem<br />
folgten zahlreiche weitere und daraus<br />
entstand das Heinrichsbader Kochbuch. Zwischen<br />
1896 und 1930 – also weit über ihren<br />
Tod 1923 hinaus – ist es in zwanzig Auflagen<br />
erschienen. Im Vorwort zur vierten Auflage<br />
schreibt Büchi: «Ich habe gesucht, das<br />
Verständnis für den Einkauf und für die verschiedenen<br />
Arbeiten bei der Ausführung der<br />
Rezepte durch die in der Einleitung und am<br />
Anfang der verschiedenen Abschnitte erhaltenen<br />
Ratschläge zu erleichtern. Ebenso habe<br />
ich grossen Wert daraufgelegt, genügend<br />
Anleitungen zur Aufbewahrung der Lebensmittel<br />
sowie zur Verwendung der Resten von<br />
Speisen zu geben, um zu zeigen, wie bei wenigen<br />
Mitteln eine gute, nahrhafte Küche geführt<br />
werden kann, wenn alles zweckentsprechend<br />
verwendet wird.» Man rufe sich hierbei<br />
in Erinnerung, dass Kochen damals eine zeitaufwändige<br />
Arbeit am Holzherd war und das<br />
Wissen im Bereich Ernährungstheorie und<br />
«gesunde Ernährung» nicht Teil des Allgemeinwissens<br />
war. Mit ihrem Kochbuch schuf<br />
Büchi ein Grundlagenwerk mit Nährwerttabellen,<br />
der Auflistung der Verdaulichkeit einiger<br />
Lebensmittel, Allgemeines zur Ernährung,<br />
mit hunderten von Rezepten mit hiesigen Lebensmitteln<br />
aber auch Ausgefallenerem wie<br />
etwa Austern, Kaviar, Artischocken oder Trüffel.<br />
Bemerkenswert: Es scheint – gerade beim<br />
Fleisch – nichts zu geben, was keine Verwendung<br />
findet – etwa in «Hirnpastetchen» oder<br />
«Hahnenkamm-Ragout». Etwas seltsam mutet<br />
das Rezept für «Bärentatzen» an, welches<br />
mit dem Satz «Das Bärenfleisch wird in der<br />
Küche oft verwendet. (…) Als besonders fein<br />
gelten die Filets und die Tatzen» eingeleitet<br />
wird. Mit Menuplanung, Anweisungen für das<br />
Falten von Servietten, dem Anrichten und<br />
schliesslich «einigen nützliche Belehrungen<br />
für den Haushalt» schliesst das gut 500 Seiten<br />
umfassende Werk. 1898 erschien übrigens<br />
auch das «Buch der einfachen Hausfrau».<br />
Dieses richtete sich an Frauen mit kleinem<br />
Haushaltsbudget. Herausgegeben wurde es<br />
von Heinrich und Anna Volkart-Schlatter.<br />
Auch sie aus Herisau. Heinrich Volkart war<br />
Reallehrer. Lehrer war auch Melchior Steiner<br />
(1802 bis 1873). Auf ihn bin ich auf einer Fotografie<br />
eines bemalten Glückwunschtellers<br />
gestossen. Diese waren in der ersten Hälfte<br />
des 19. Jahrhunderts eine kunsthandwerkliche<br />
Spezialität des Appenzellerlandes. Gesehen<br />
habe ich das Bild im Buch «Zeitzeugnisse –<br />
Appenzeller Geschichten in Wort und Bild».<br />
Hier zeigt Historiker Thomas Fuchs anhand<br />
Melchior Steiners Lebensweg exemplarisch<br />
die Modernisierung der Volksschule.<br />
Von Privatunternehmern<br />
zu Gemeindeangestellten<br />
Steiner stammte aus bescheidenen Verhältnissen,<br />
«hatte jedoch das Glück, dass er ab<br />
1811 die relativ teure Schule des initiativen<br />
Junglehrers Johann Jakob Signer (1790–1859)<br />
besuchen konnte. Mit zwölf Jahren begann<br />
Steiner, wie die meisten jungen Leute in seinem<br />
Alter, eine Arbeit, und zwar als unbezahlter<br />
Gehilfe und Student bei Signer». Noch<br />
keine 17 Jahre alt wurde Steiner als selbständiger<br />
Unternehmer Schulmeister in Herisau. Er<br />
mietete eine «unheizbare, niedere schwarze<br />
Wanzenkammer und schaffte sich mit einem<br />
Kredit der Mutter Unterrichtsmaterial und Tische<br />
an». Die Zahl der Schulkinder bestimmte<br />
seinen Lohn. Ab 1825 entwickelte sich in Herisau<br />
die «moderne» Volksschule. Zwischen<br />
1829 und 1833 liess die Gemeinde vier Schul-<br />
Hochzeitsteller von Lehrer Melchior Steiner und seiner Frau Anna Katharina Steiner, geborene Mock, 1826.<br />
<br />
(Kulturmuseum St. Gallen).