04 Chili con Charme – Aggression und (Ver-)Führung ... - BerufSZiel
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BERUFSZEIT<br />
Sie möchten bei rot über die Ampel laufen, doch neben Ihnen<br />
steht ein Kind. Treibt Sie Ihr Terminkalender trotzdem vorwärts?<br />
Den US-Neurophysiologen Benjamin Libet trieb in den 1970er-<br />
Jahren die Frage um, wie viel <strong>Ver</strong>antwortung überhaupt im Kopf<br />
eines Menschen steckt. Seine Messungen beruhten auf einem<br />
Fingerschnippen. Wo ist das Körperteil für die richtige Entscheidung<br />
<strong>–</strong> Kopf oder Bauch? Ein <strong>Ver</strong>such von Martin Rath<br />
«<br />
Hans-Günther Oed (2)<br />
Ich telefoniere mit dem deutschen Partner einer der weltweit führenden<br />
Anwaltssozietäten, Zweigstelle Deutschland. Er schildert einen Termin,<br />
kürzlich in seinem Büro. „Ich habe ein Vorstellungsgespräch geführt.<br />
Ich weiß immer binnen weniger Minuten, ob ich mir den Mann oder die<br />
Frau als Mitarbeiter vorstellen kann.“ Darin liege der Sinn des Wortes<br />
‚Vorstellungsgespräch‘. Der Anwalt lacht: „Bewerber w<strong>und</strong>ern sich<br />
manchmal, wie kurz ein Vorstellungsgespräch ausfallen kann.“<br />
Ob der Bewerber den falschen Duft trug? Oder gar die falsche Kleidung?<br />
<strong>–</strong> In Vorstellungsgesprächen fragt man, egal auf welcher Seite,<br />
zunächst nach den Hard Skills. Mit ihnen sind viele Bewerber ausreichend<br />
ausgestattet. Aber aufgr<strong>und</strong> welcher Eigenschaften werden dann<br />
letztlich Entscheidungen getroffen, wenn eine Anzahl gleich qualifizierter<br />
Menschen um eine Stelle ringt? Ob es immer rational zugeht? Manche<br />
Antworten versprechen zu viel.<br />
Seit Ende der 1970er-Jahre aus dem Labor von Benjamin Libet, einem<br />
US-amerikanischen Neurophysiologen, ein Fingerschnippen zu hören<br />
war, wollen Journalisten aller Herren Länder wissen, dass es bei Entscheidungen<br />
mit dem freien Willen nicht weit her sein könne: Libets<br />
Experiment hatte folgenden Aufbau: Die <strong>Ver</strong>suchsteilnehmer wurden<br />
gebeten, zu einem von ihnen frei gewählten Zeitpunkt die Hand oder<br />
einen Finger zu bewegen. Den Zeitpunkt ihrer Entscheidung, sich zu<br />
bewegen, mussten sie dabei mit einer speziellen Uhr registrieren.<br />
Gleichzeitig wurde über Elektroden am Kopf gemessen, wann sich das<br />
motorische Bereitschaftspotenzial aufbaute. Die Messungen ergaben:<br />
550 Millisek<strong>und</strong>en bevor sie mit den Fingern schnippten, hatte sich<br />
das Bereitschaftspotenzial in den Köpfen der Kandidaten aufgebaut,<br />
doch gaben sie an, den bewussten Entschluss 200 Millisek<strong>und</strong>en vor<br />
KO<br />
CH<br />
der Bewegung getroffen zu haben. Daraus folgt, dass das Gehirn 350<br />
Millisek<strong>und</strong>en schneller ist, als das Ich. Tun wir also nicht das, was wir<br />
wollen, sondern wollen wir das, was wir tun?<br />
„Ich möchte gar nicht wissen, von welchen Neuronen es abhängt, dass<br />
ich meine Frau liebe“, sagt der Arzt Hans-Anton Adams. „Auch bei den<br />
Entscheidungen, die ich während meiner Arbeit treffen muss, hilft mir<br />
dieses Wissen nicht weiter.“ Zur Arbeit des Professors aus Hannover<br />
gehört die so genannte Sichtung von Notfallpatienten. Der Begriff<br />
bezeichnet in der Notfallmedizin die Einteilung von Menschen, die beispielsweise<br />
einem Massenunfall zum Opfer gefallen sind. Der Arzt<br />
bestimmt unter extremem Zeitdruck die <strong>Ver</strong>teilung der knappen medizinischen<br />
Ressourcen <strong>und</strong> teilt die Betroffenen in vier Sichtungskategorien<br />
ein: von den Leichtverletzten, die keine unverzügliche Behandlung benötigen,<br />
bis zu den Schwerstverletzten, für die jede Hilfe zu spät kommt.<br />
„Die Sichtung erfolgt so weit wie möglich nach den rationalen Kategorien<br />
der Notfallmedizin, aber natürlich spielt auch das Bauchgefühl<br />
eine Rolle“, sagt Adams. Er erwähnt, dass er kurz vor unserem Gespräch<br />
eine Sichtung vorzunehmen hatte. Es klingt in seiner Stimme<br />
nach. <strong>–</strong> DIE SICHTUNG, AUCH EINTEILUNG ODER AUSSORTIERUNG, WIRD OFT AUCH ALS<br />
„TRIAGE“ BEZEICHNET, EIN FRANZÖSISCHER BEGRIFF, DER URSPRÜNGLICH AUS DER MILI-<br />
TÄRMEDIZIN KOMMT. DAS PROBLEM, WEM KNAPPE MEDIZINISCHE RESSOURCEN ZUGE-<br />
TEILT WERDEN, KANN ALS AKUTE FRAGE AUFTRETEN, BEISPIELSWEISE BEI GROßUNFÄLLEN,<br />
ABER AUCH ALS DAUERPHÄNOMEN, ETWA BEI DER VERSORGUNG MIT SPENDERORGANEN.<br />
Bei der Steuerung von Unternehmen empfiehlt Dirk Baecker, der neben<br />
seiner Professur für Unternehmensführung in Witten-Herdecke auch<br />
Unternehmen berät, Intuition <strong>und</strong> Ergebniskontrolle. „Manager großer<br />
Unternehmen müssen es aushalten, ihren eigenen Betrieb nicht zu<br />
kennen. ‚Aushalten’ darum, weil sie inzwischen die Ersten sind, die<br />
entlassen werden, wenn etwas schief läuft“, beschreibt der Soziologe<br />
COACHING ZONE I ENTSCHEIDUNG: KOPF ODER BAUCH Bauchentscheidungen sind nicht<br />
zufällig. Dahinter steckt ein ausgeklügeltes System. Die Sinne speisen konstant Informationen ins Gehirn ein. Dort werden sie verarbeitet<br />
<strong>und</strong> mit Erfahrungen verglichen: Als es das letzte Mal so roch, hat etwas gebrannt. Um jetzt zu reagieren, brauchen Sie nicht<br />
nachzudenken. Sie nehmen den Geruch wahr, <strong>und</strong> die gespeicherten Erfahrungen geben den Impuls loszusprinten.<br />
Intuition beruht auf der Fähigkeit, mit Auge, Ohr, Nase <strong>und</strong> Haut wahrzunehmen, lange bevor wir reflektieren. So<br />
ahnen wir am Telefon, ob jemand sauer ist oder glücklich. Unser Ohr nimmt Stimmklang <strong>und</strong> Timbre wahr. Und wir<br />
reagieren darauf <strong>–</strong> bewusst oder unbewusst. Auch die Angst eines Gegners kann man spüren. Vorbewusst riecht man<br />
den Schweiß, sieht den Blick <strong>und</strong> die Spannung in den Muskeln. Wenn die Intuition so viel schneller ist, wozu dann<br />
noch nachdenken? Aus einem guten Gr<strong>und</strong>: Die Kopfentscheidung können Sie begründen. Sie können darüber disku-<br />
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