WLZ 56 | Juni 2018
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Menschen im<br />
Wechselland<br />
Ottokar Kernstock<br />
Ottokar Kernstock ist vor 90 Jahren gestorben.<br />
Über sein Wirken und Leben als Pfarrer auf der Burg<br />
Festenburg erkundigten wir uns beim heutigen<br />
Pfarrer Sighard Schreiner.<br />
Kernstock und der<br />
Nationalsozialismus<br />
Seine Nähe zum Nationalsozialismus<br />
- als deren Wegbereiter<br />
er oft bezeichnet wird - widerspricht<br />
Schreiner. In der damaligen<br />
Zeit seien diese Nationalismen<br />
üblich gewesen als Ergebnis<br />
des Wechselspiels zwischen gemeinsamem<br />
Denken - zum Beispiel<br />
bei der Sowjetunion - und<br />
dem Willen, selbstständig zu<br />
sein. Der Kampf um die eigene<br />
Identität. Ähnlich, wie es zurzeit<br />
in der EU mit dem Vereinigten<br />
Königreich passiere, so Schreiner.<br />
Man müsse diese Thematik<br />
immer mit der damaligen Zeit<br />
interpretieren.<br />
80-jährig verstarb Kernstock am<br />
5. November 1928. Sein Grab<br />
befindet sich bis heute am Bergfriedhof<br />
bei der Festenburg und<br />
blickt in die entgegengesetzte<br />
Richtung aller anderen Gräber in<br />
Richtung Wechsel. Gerne wird<br />
angenommen, weil er sich dort<br />
gerne aufhielt. Tatsächlich aber<br />
aus dem Grund, weil ein Pfarrer<br />
immer zu seinen Leuten schaut.<br />
❏<br />
Stefanie Schadler<br />
©Bild: Petschar, Friedlmeier, Steiermark in alten Fotografien, Ueberreuther Verlag Wien.<br />
Ein halbes Leben<br />
auf der Burg<br />
Der in Marburg im Jahre 1848<br />
geborene Ottokar Kernstock war<br />
ein bekannter Dichter und 40<br />
Jahre lang Pfarrer auf der Festenburg.<br />
Der heutige Pfarrer Sighard<br />
Schreiner hat ihm vermutlich<br />
sogar seinen Arbeitsplatz zu verdanken,<br />
da Kernstock sich im 19.<br />
Jahrhundert den fortschreitenden<br />
Verfall der Burg annahm und das<br />
Dach sanieren ließ. „Ein Gebäude<br />
bleibt erhalten oder verfällt<br />
mit dem Zustand seines Daches“,<br />
so Schreiner. Mit einer Dachfläche<br />
von 3.000 m2 und rund<br />
100.000 Ziegeln war und ist der<br />
Erhalt ein großer Kostenpunkt.<br />
Auch das Deckengemälde in der<br />
Kirche - den Festenburger Frauenhimmel<br />
- ließ er sanieren, der<br />
dadurch bis heute erhalten ist.<br />
Ein Festgedicht befindet sich von<br />
ihm am Friedberger Bahnhof,<br />
von ihm stammt die Bezeichnung<br />
Wechselgau - für ihn das<br />
Gebiet zwischen Hartberg und<br />
dem Wechsel - sowie der Text<br />
der Bundeshymne zwischen<br />
1929 und 1938.<br />
Museum und freier Redner<br />
Nach seinem Tod wurden seine<br />
Räumlichkeiten - die schönsten<br />
auf der Burg, wie Schreiner betont<br />
- in ein Kernstock-Museum<br />
umgewandelt. Neben Exponaten<br />
wie seiner Schreibmaschine oder<br />
der Brillenklammer steht auch<br />
die Wohnkultur des 19. Jahrhunderts<br />
im Vordergrund. Auch<br />
eine Karikatur von Hermann Vogel,<br />
Karikaturist der Münchener<br />
Fliegenden Blätter, zum Anlass<br />
seines 60. Geburtstages ist ausgestellt.<br />
Diese zeigt Kernstock<br />
als Don Quichotte. Sein halbes<br />
Leben verbrachte er auf der Burg<br />
und war als „Gerader Michl“ sowie<br />
guter, freier Redner bekannt.<br />
So schrieb er als Kaplan in Vorau<br />
einst eine Festrede, die ihm als<br />
Streich von der Kanzel entwendet<br />
und gegen ein leeres Blatt<br />
Papier ausgetauscht wurde. Als<br />
er die Kanzel betrat, entdeckte er<br />
das leere Blatt, wendete es mehrmals<br />
und begann schließlich seine<br />
freie 20-minütige Rede mit:<br />
„Hier ist nichts und da ist nichts<br />
und aus Nichts hat Gott die Welt<br />
erschaffen“, erzählt Schreiner<br />
eine von vielen Anekdote.<br />
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Wechselland Zeitung | Juli/August <strong>2018</strong><br />
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