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Der Wädenswiler / Richterswiler Anzeiger im Dezember 2023

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Wädenswiler Anzeiger Nr. 139 / Dezember 2023WÄDENSWIL 11

Anja Kutter und Maya Fässler – zwei, die stark sind

und es sein müssen

Philipp Kutter und Roland Fässler sind beide seit einem

schweren Skiunfall im Februar an den Rollstuhl gefesselt. Anja

Kutter und Maya Fässler sind die starken Frauen, die das neue

Leben der Familien managen. Auch sie haben viel verloren.

Wie kann man es verkraften, wenn sich von einem Tag auf den

anderen das ganze Leben verändert, wenn kein Stein auf dem

anderen bleibt und alles, was man liebt, nicht mehr möglich

ist?

Text & Bild: Ingrid Eva Liedtke

Ein zufriedenes, ausgefülltes Leben,

Familie, Karrieren, eine schöne

Freizeit – alles läuft gut und erfolgversprechend.

Und dann macht

ein Skiunfall alles zunichte, was

man sich aufgebaut hat.

Seit Philipp Kutter, Stadtpräsident

von Wädenswil und Nationalrat,

und Roland Fässler, Präsident der

Interessengemeinschaft Wädenswiler

Sportvereine und Vizepräsident

des Zentralvorstands Zürcher

Turnverband, im Februar dieses

Jahres kurz nacheinander beim

Skifahren schwer verunfallt sind,

hat sich nicht nur ihre Welt, sondern

auch die ihrer Frauen und Familien

verändert.

Neue Wege

Anja und Philipp Kutter haben zwei

Kinder, Lisa ist 11 und Julia 9 Jahre

alt. Die letzte Zeit war schwierig für

die Mädchen. Papi war neun Monate

lang nicht zuhause, sondern in

der Rehaklinik in Nottwil. Als er

vor ein paar Wochen nach Hause

kam, war er körperlich nicht mehr

derselbe. Wandern, Skifahren,

Picknicken im Freien, Schwimmen

im See: all die Aktivitäten, die ihr

Familienleben ausmachten, sind

nicht mehr möglich. Dazu zählt

auch das Leben in ihrem Haus.

Weil es nicht rollstuhlgängig ist,

mussten die Kutters in eine geeignete

Wohnung umziehen.

Es ist ein harter Schicksalsschlag,

der den Vollblut-Politiker und seine

Familie getroffen hat. Die Öffentlichkeit

hat seither mitbekommen,

wie er sich mit ganzer Kraft

ins Leben zurück kämpft. Immer

an seiner Seite: seine Frau Anja.

Auch Maya Fässler ist in der Phase,

das neue Leben mit einem Mann

im Rollstuhl aufzugleisen. Sie und

Roland Fässler haben drei Kinder

im Alter von 16, 19 und 22 Jahren.

Sie sind eine Sportlerfamilie. Ihr

Haus in Wädenswil wird momentan

rollstuhlgängig umgebaut, und

Maya und ihre Kinder freuen sich

darauf, dass Roli bald wieder zuhause

sein kann. Seine Reha endet

kurz vor Weihnachten.

Als Nichtbetroffene kann man sich

nicht vorstellen, was es heisst, von

den Schultern abwärts gelähmt zu

sein und auch Arme, Hände und

Finger nicht mehr frei bewegen zu

können. Anja Kutter beschreibt es

so: «Man muss nochmals komplett

bei null beginnen. Nichts, einfach

nichts ist mehr wie vorher.» Jede

noch so kleine Alltagsverrichtung

sei enorm aufwändig. Das brauche

viel Kraft. Für die betroffenen

Männer selber, aber auch für die

Angehörigen. «Ich bin fast rund

um die Uhr beschäftigt. Vor allem

zu Hause, aber auch auswärts.

Wenn Philipp ins Stadthaus, an

Veranstaltungen oder nach Bern

geht, begleite ich ihn meistens.»

Es gebe zwar viele Unterstützungsangebote

von Freunden. Dafür seien

sie auch sehr dankbar, sagt Anja

Kutter. «Nach Philipps Unfall war

für mich schnell klar, dass ich Hilfe

von aussen brauche. Dabei habe

ich aber unterschätzt, dass das auch

bedeutet, immer Menschen bei uns

zuhause und dadurch fast keine

Privatsphäre mehr zu haben. Das

braucht ebenfalls viel Energie –

auch für die Kinder. Deshalb ist es

mir inzwischen manchmal lieber,

ich helfe Philipp selber – zum Beispiel

am Abend ins Bett zu gehen.

Das ist zwar anstrengend, dafür

sind wir als Familie unter uns und

es ist schön ruhig. Im Normalfall

kommt aber die Spitex zweimal

täglich.»

Wertvolle Momente

Maya Fässler pflichtet ihr bei. «Ja,

es geht mir auch so. Gerade rund

um das Zubettgehen und Aufstehen

gibt es ja sehr viel zu tun. Aber

es ist auch ein gutes Gefühl, danach

zu wissen, dass es den Männern gut

geht.»

Anja: «Ich finde diese Momente

eigentlich auch schön. Wenn man

merkt, dass man das ganze Prozedere

ohne Spitex schafft, macht

das stark und schweisst zusammen.

Wir diskutieren und lachen in solchen

Momenten auch viel zusammen.

Diese Zweisamkeit geniesse

ich – obwohl ich danach erschöpft

bin.»

Maya: «Weil zu Hause noch nicht

alles parat ist, übernachten wir derzeit

am Wochenende, wenn Roli

von Nottwil nach Hause kommen

darf, bei meinem Bruder. Ich schlafe

jeweils auf einer Matratze neben

Rolis Pflegebett. Es war ein speziell

schöner Moment, als ich das erste

Mal nach so langer Zeit wieder neben

meinem Mann schlafen konnte

– trotz dieser Umstände.»

Anja: «Ich muss in der Nacht jeweils

aufstehen, um Philipp umzulagern.

Inzwischen sind wir schon

so eingespielt, dass ich meistens

schon merke, dass es nun Zeit dafür

ist, bevor er selber erwacht.»

Es ist berührend zu hören, wie sehr

Momente, die man oft als selbstverständlich

nimmt, eine grosse

Bedeutung erlangen und dem Zusammensein

dieser Paare einen

neuen Platz und Stellenwert geben

können. Wie Paare, die nicht

so gut miteinander schwingen, in

einer solchen Lage funktionieren,

will man sich nicht vorstellen.

Man merkt, dass die beiden Frauen

im Umgang mit ihren Männern

bereits recht routiniert sind – auch

was die pflegerische Unterstützung

angeht. «Natürlich gibt es auch Pannen.

Das ist dann mit sehr viel Aufwand

verbunden. Gerade wenn es

Blase oder Darm betrifft, die leider

auch nicht mehr so funktionieren

wie früher. Man muss lernen, sich

nicht zu sehr aufzuregen darüber»,

sagt Maya Fässler.

Anja: «Ich kann und möchte nicht

die ganze Pflege übernehmen. In

vieles aber wächst man hinein. Ich

mache jetzt schon viel mehr, als ich

mir je hätte vorstellen können.»

Von A nach B kommen

Auch von A nach B zu kommen,

bedeutet für die beiden heute viel

Aufwand. Vor allem, wenn man irgendwo

hin will, zum Beispiel mit

dem Zug. Passagiere im Rollstuhl

müssen sich eine Stunde im Voraus

anmelden, damit sie sicher Zugang

zum Bahnwagen haben. Jede Reise

muss minutiös geplant werden.

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