Austropack 2023/03
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DRUCK, DESIGN<br />
DRUCK, DESIGN<br />
Herr Dr. Meyer-Hentschel, seit 2012<br />
befassen Sie sich mit dem Convenience-Thema.<br />
Was hat sich in diesen<br />
Jahren getan? Gehört der Convenience-Trend<br />
noch immer zu den vorherrschenden<br />
Trends?<br />
Ja, defi nitiv. Convenience treibt den Online-Handel<br />
voran, ist ein dominierender<br />
Faktor in der Automobilindustrie und<br />
führt zur Renaissance kleinfl ächiger<br />
Ladenkonzepte in Großstädten, denn<br />
in kleinfl ächigen Läden geht der Einkauf<br />
schneller. Convenience ist immer<br />
dann gefragt, wenn man wenig Zeit hat<br />
und fi nanziell so gestellt ist, dass man<br />
nicht auf jeden Preis schauen muss.<br />
Vor 50, 60 Jahren, als die Frauen, die<br />
Mütter noch ausschließlich zuhause waren<br />
und sich um Haushalt und Kinder<br />
gekümmert haben, hatte Convenience<br />
keine Chance. Heute, wo das Zeitbudget<br />
geschrumpft ist, ist Convenience<br />
gefragt – und wenn man sich einmal<br />
daran gewöhnt hat, will man es nicht<br />
mehr missen. Österreich liegt im Übrigen<br />
im Convenience-Index von 2018 auf<br />
„Es traut sich keiner …“<br />
Vor einigen Jahren war Convenience in aller Munde. „Höfliche Verpackungen“<br />
punkteten mit einfacher Handhabung und Benutzerfreundlichkeit vor allem<br />
auch bei älteren VerbraucherInnen. Doch seit einiger Zeit scheint dieser Trend<br />
in den Hintergrund gerückt, wenn nicht gar verschwunden zu sein, zumindest<br />
was Verpackungen anbelangt. Convenience-Experte Dr. Gundolf Meyer-Hentschel<br />
verrät, was aus dem Trend geworden ist.<br />
Platz 3, hinter Amerika und der Schweiz.<br />
Der Index ist ein Maß dafür, wie groß<br />
die Aufnahmebereitschaft der VerbraucherInnen<br />
eines Landes für Convenience-Produkte<br />
und -Dienstleistungen ist.<br />
Wichtige Einfl ussfaktoren dabei sind die<br />
Arbeitszeit, wie viele Frauen berufstätig<br />
sind sowie die Höhe der Löhne. Das<br />
Potenzial wäre also vorhanden.<br />
Wie sieht es mit Convenience in der<br />
Verpackungsbranche aus?<br />
Die Verpackungsbranche ist heute komplett<br />
nachhaltigkeitsorientiert, sie kennt<br />
kein anderes Thema. Ob das jedoch der<br />
richtige Weg ist, weiß ich nicht. Man<br />
rennt blind gerade aus, ohne einen Blick<br />
nach links oder rechts zu werfen. Die<br />
komplette Branche folgt diesem Trend<br />
und keiner traut sich, darüber hinaus<br />
zu denken. Naheliegend wäre es doch,<br />
diese beiden Trends zu kombinieren,<br />
doch dafür ist in den Köpfen kein Platz.<br />
Wenn man tut, was die Mehrheit tut,<br />
kann einem ja niemand vorwerfen, man<br />
habe etwas falsch gemacht. Das Thema<br />
„höfl iche Verpackungen“ scheint sich<br />
in den letzten drei bis vier Jahren zum<br />
Schlafen gelegt haben.<br />
Hätten Sie ein Beispiel, wo die Kombination<br />
von Convenience und Nachhaltigkeit<br />
bei einer Verpackung geklappt<br />
hat?<br />
Ein gutes aber eines der wenigen Beispiele<br />
sind Geschirrspülertabs mit wasserlöslicher<br />
Folie. Besonders aber nicht<br />
nur für Ältere ist dies ein wichtiger Aspekt<br />
und ein Entscheidungskriterium<br />
beim Kauf. Wenn sie sich die Fitzlerei<br />
mit der Verpackung der Tabs ersparen,<br />
dann rückt der Preis in den Hintergrund.<br />
Sind die Tabs dann auch noch platzsparend<br />
in der Umverpackung eingepackt,<br />
dann umso besser. Convenience und<br />
Nachhaltigkeit – es klappt auch beides.<br />
Sie sagten, der Convenience-Trend<br />
treibt den Online-Handel an?<br />
Ja. Im Online-Handel gibt es eigene Convenience-Manager,<br />
die den ganzen Tag<br />
darüber nachdenken, wie sie den Einkauf<br />
reibungslos gestalten können. Hier<br />
steht jedoch weniger das Produkt oder<br />
die Verpackung im Fokus, viel mehr der<br />
Einkauf selbst.<br />
Der Handel hat im Online-Bereich gut<br />
begriffen, wie wichtig Convenience ist.<br />
Bei den Herstellern ist es anders, da<br />
geht es um Nachhaltigkeit, damit will<br />
man politisch und bei den KundInnen<br />
punkten. Ein weiteres undurchschaubares<br />
Label auf der Verpackung erhöht<br />
jedoch nicht automatisch den<br />
Verkauf.<br />
Warum wird Convenience manchmal<br />
mit der älteren Generation gleichgesetzt?<br />
Wenn man wissen will, wie man Convenience<br />
macht, sind Ältere eine wunderbare<br />
Fokusgruppe. Wenn es bei ihnen<br />
funktioniert, dann funktioniert es bei<br />
allen anderen auch.<br />
Gerade auch ältere Zielgruppen sind<br />
Ihr Spezialgebiet. Wird heute mehr<br />
Rücksicht auf diese Gruppe genommen,<br />
wenn es um das Design von Verpackungen<br />
und Produkten geht?<br />
Nein. Wir defi nieren „ältere Leute“ heute<br />
anders als noch vor zehn, zwanzig<br />
Jahren. Ein 60ig-Jähriger von heute ist<br />
nicht mehr wie ein 60ig-Jähriger vor 20<br />
Jahren. Höheres Alter wird heute ab 75<br />
gemeint. Das Problem ist, dass es hier<br />
keine Regeln gibt – man kann ein Umweltsünder<br />
sein, aber kein Seniorensünder.<br />
Sich in unserer westlichen Gesellschaft<br />
gegenüber Älteren respektlos zu<br />
verhalten ist kein Thema, das die Politik<br />
interessiert. Verpackung hat viel mit Politik<br />
zu tun. In den meisten Unternehmen<br />
ist das Management jung, Senioren sind<br />
für sie kein Thema von Interesse. Da beschäftigt<br />
man sich lieber mit dem Pride<br />
Month und druckt eine Regenbogenfl agge<br />
aufs Etikett, um sich mit einer Community<br />
zu solidarisieren, die gerade viel<br />
Aufmerksamkeit erfährt. Wenn eine alte<br />
Frau, die allein lebt, ihre Milchpackung<br />
nicht aufkriegt, dann steht da keine Publicity<br />
dahinter, das kommt nicht an. Obwohl<br />
wir alle irgendwann in genau dieser<br />
Situation sein werden.<br />
Wie groß ist der Anteil dieser Gruppe?<br />
Die Gruppe der älteren VerbraucherInnen<br />
stellen in den europäischen Märkten<br />
20 bis 25 Prozent der KundInnen.<br />
Warum nimmt man dann keine<br />
Rücksicht auf diese Gruppe, die beinahe<br />
ein Viertel der KundenInnen ausmacht?<br />
Dahinter steckt die ewig alte Angst, dass<br />
eine Marke älter wird. In vielen Unternehmen<br />
herrscht Alarmstimmung, wenn<br />
sich der Anteil der älteren KundenInnen<br />
als KäuferInnen erhöht hat. Ältere Menschen<br />
werden als Bedrohung gesehen.<br />
Natürlich ist auch die eigene Angst vor<br />
dem Älterwerden schuld daran, dass wir<br />
uns nicht so gerne mit dieser Gruppe<br />
beschäftigen. Stattdessen richtet man<br />
sich auf die Generation Z oder Alpha,<br />
die Jetzt-Geborenen, aus, obwohl ihre<br />
Zahl immer geringer wird. Es fi ndet ein<br />
Verdrängungswettbewerb statt, die Gesellschaft<br />
wird älter.<br />
Wer das jedoch richtig gemacht hat,<br />
ist Ikea. Es war vor 30, 40 Jahren eine<br />
Jugend- und Studentenmarke. Doch<br />
Ikea hat es verstanden, mit ihrer Zielgruppe<br />
mitzuschwimmen, sie zu begleiten,<br />
hatte keine Angst davor, mitzualtern.<br />
Darum können sie heute auch<br />
höherpreisige Produkte anbieten, die<br />
auch die gutsituierte ältere Generation<br />
kauft.<br />
Haben sich die Anforderungen dieser<br />
Gruppe in den letzten zehn Jahren<br />
verändert, beziehungsweise erwarten<br />
Sie Änderungen in den kommenden<br />
Jahr(zehnt)en?<br />
Nein, diese Gruppe ist nach wie vor offen<br />
für Convenience-Lösungen. Und ja,<br />
die Preissensibilität in dieser Gruppe<br />
sinkt weiter, solange die Babyboomer<br />
noch leben. Sie sind fi nanziell sehr gut<br />
gestellt.<br />
Ist ihr AgeExplorer noch im Einsatz?<br />
Ja, natürlich. Er ist ein sehr nützliches<br />
Tool, um Verpackungsentwickler und<br />
das Marketing zu sensibilisieren und zu<br />
unterstützen.<br />
Was wäre Ihr Appell an Verpackungshersteller?<br />
Convenience is what consumers pay<br />
for!<br />
Dr. Gundolf Meyer-Hentschel beschäftigt<br />
sich seit vielen Jahren mit<br />
der Convenience von Verpackungen.<br />
Er gilt als Schöpfer des Begriffs „Höfliche<br />
Verpackungen“. Sein Unternehmen,<br />
das Meyer-Hentschel Institut in<br />
Saarbrücken und Zürich, testet Verpackungen<br />
auf Convenience und berät<br />
Handelsunternehmen, Markenartikler<br />
und Verpackungshersteller.<br />
https://meyer-hentschel.com/<br />
packaging-download-site/<br />
Foto: Meyer-Hentschel<br />
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