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AVIGNON<br />

Für mehr als Brückentage<br />

Avignon fand ich schon als Kind<br />

gut. Nicht, <strong>das</strong>s ich je dort gewesen<br />

wäre, aber da gab es ja<br />

dieses lustige Lied aus dem Musikunterricht<br />

»Sur le pont d’Avignon«,<br />

bei dem die Leute auf der<br />

besungenen Brücke tanzten. Das<br />

gefiel mir, vielleicht auch, weil ich<br />

mir <strong>das</strong> auf unseren Emsbrücken<br />

nicht vorstellen konnte. Heute<br />

bin ich schlauer und weiß, <strong>das</strong>s<br />

auf der Brücke in Avignon, von<br />

der <strong>das</strong> Lied handelt, nie getanzt<br />

wurde. Und außerdem ist sie völ-<br />

lig nutzlos. Nutzlos ist die Pont<br />

Saint-Bénézet, wie sie offiziell<br />

heißt, weil sie mitten im Fluss<br />

endet. Und <strong>das</strong> schon seit mehr<br />

als dreieinhalb Jahrhunderten. Ursprünglich<br />

hatte die Brücke sehr<br />

wohl eine Funktion, verband sie<br />

doch die befestigte Altstadt mit<br />

den Ortsteilen vor der Stadt.<br />

Schon seit dem 12. Jahrhundert<br />

gab es an dieser Stelle<br />

eine Brücke, die zunächst<br />

aus Holz war, dann aber<br />

durch eine massive Steinbrücke<br />

mit nicht weniger als 22 Bögen<br />

ersetzt wurde. Mit 900 Metern<br />

Länge war sie die längste Brücke<br />

Europas. Sie verband auch die<br />

Altstadt mit der Flussinsel Île de<br />

la Barthelasse. Und dort wurde<br />

allerdings kräftig gefeiert, auch<br />

unter den Brückenbögen. Das<br />

Lied müsste also heißen, und hat<br />

auch wohl so geheißen: sous le<br />

pont d’Avignon, also unter der<br />

Brücke von Avignon tanzt man.<br />

Mit der Brückenherrlichkeit war<br />

es jedoch 1668 vorbei, als ein gewaltiges<br />

Rhône-Hochwasser fast<br />

den gesamten Bau mit sich riss.<br />

Geblieben sind lediglich vier Brückenbögen,<br />

die im Fluss enden.<br />

Dort sind sie längst beliebtes<br />

Fotomotiv mit Romantikgarantie<br />

geworden.<br />

Griechen, Römer,<br />

Araber und Franken<br />

Die Stadt Avignon hat ihre ganze<br />

Existenz der Rhône zu verdanken.<br />

Erste Besiedlungsspuren stammten<br />

aus der Jungsteinzeit und sind<br />

5.000 Jahre alt. Nicht zufällig wurden<br />

sie auf dem Felshügel Rocher<br />

des Doms gefunden, der einerseits<br />

ganz in der Nähe der Rhône<br />

lag, aber andrerseits steil genug<br />

war, um vor Überschwemmungen<br />

zu schützen. Außerdem bildete<br />

der Fels so<br />

etwas wie eine natürliche Burg.<br />

Noch heute lohnt es, den Felshügel<br />

zu erklimmen, bietet er doch<br />

eine wunderbare Übersicht über<br />

die Altstadt und Aufsicht auf die<br />

berühmte Brücke. In der Antike<br />

zahlte sich die Lage Avignons<br />

besonders aus, denn zum einen<br />

passierte der Fluss-Handel von<br />

Nord nach Süd und umgekehrt<br />

durch die Stadt. Zum anderen war<br />

auch die Ost-West-Verbindung<br />

zwischen den heutigen Gebieten<br />

von Italien und Spanien eine<br />

wichtige Achse für den Handel.<br />

Die Griechen, die in Marseille siedelten,<br />

bauten den ersten befestigten<br />

Fluss-Hafen von Avignon.<br />

Ab 48 v. Chr. hatten die Römer<br />

<strong>das</strong> Sagen in Frankreich, wie jeder<br />

Asterix-Fan natürlich weiß. Doch<br />

anders als im wunderbaren Comic<br />

dargestellt, waren die Römer keineswegs<br />

dumm. Im Gegenteil: Sie<br />

bauten den Hafen weiter aus. Unter<br />

Kaiser Hadrian wurde die Stadt<br />

unter dem Namen Iulia Augusta<br />

Avenionesium römische Kolonie.<br />

Mit dem Untergang des Römischen<br />

Reiches sank auch die Bedeutung<br />

Avignons. Man versuchte,<br />

sich den jeweils herrschenden<br />

Machtverhältnissen anzupassen.<br />

Das klappte eher so<br />

mittelgut. Als die<br />

Sarazenen, also die Araber, Anfang<br />

des 8. Jahrhunderts vom<br />

Mittelmeer aus auf der Rhône gen<br />

Norden zogen, lud man sie in die<br />

Stadt ein. Das sollte verhindern,<br />

<strong>das</strong>s die Stadt erobert wurde,<br />

ging aber nur wenige Jahre gut.<br />

Fränkische Truppen unter Karl<br />

Martell, <strong>das</strong> war der Großvater von<br />

Karl dem Großen, erstürmten 737<br />

Avignon mit allem, was die Zeit<br />

an Kriegsgerät zu bieten hatte,<br />

also Sturmleitern, Rammböcken<br />

und heftigen Angriffen der fränkischen<br />

Infanterie. Die Franken<br />

waren nicht mit dem Verhalten<br />

der Stadtväter einverstanden und<br />

ließen den Ort nach der Einnahme<br />

bis auf die Grundmauern niederbrennen.<br />

Schließlich hieß Karl<br />

nicht umsonst »Martell«, also der<br />

Hammer.<br />

Hauptstadt<br />

des Christentums<br />

In den folgenden Jahrhunderten<br />

herrschte meist Frieden, was<br />

entscheidend dazu beitrug, <strong>das</strong>s<br />

der Handel und damit die Stadt<br />

erneut eine Blüte erlebten. Die<br />

heutigen Bauten der Altstadt<br />

stammen zum großen Teil noch<br />

aus dem Mittelalter. Als 1032 <strong>das</strong><br />

Königreich von Arles, zu dem<br />

Avignon gehörte, an <strong>das</strong> Heilige<br />

Römische Reich angegliedert<br />

wurde, unterstanden Avignon<br />

5 Der mächtige Papstpalast<br />

Das Stadtgespräch<br />

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