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Das betriebliche Magazin für nachhaltige Beschaffung, Ausgabe April 2023

Die betriebliche Beschaffung verändert sich zunehmend zu einem strategischen Faktor der Unternehmensentwicklung. Angesichts von Klimawandel, Ressourcenknappheit und Menschenrechtsverletzungen ist die betriebliche Beschaffung in einer Transformation. Sie sind Teil dieser Transformation und wollen sich über aktuelle Trends, Best Practices und Meinungen der Stakeholder in der betrieblichen Beschaffung informieren? Dann sind Sie hier richtig! Das Magazin für nachhaltige Beschaffung informiert regelmäßig zu den Themen Dekarbonisierung, Product Carbon Footprint, Lieferketten, Supplier Diversity, Biodiversität, regulatorische Anforderungen und Sustainable Finance, veröffentlicht Interviews, Erkenntnisse aus der täglichen Praxis und gibt Tipps zum Einstieg und Vertiefung der nachhaltigen Beschaffung.

Die betriebliche Beschaffung verändert sich zunehmend zu einem strategischen Faktor der Unternehmensentwicklung. Angesichts von Klimawandel, Ressourcenknappheit und Menschenrechtsverletzungen ist die betriebliche Beschaffung in einer Transformation.

Sie sind Teil dieser Transformation und wollen sich über aktuelle Trends, Best Practices und Meinungen der Stakeholder in der betrieblichen Beschaffung informieren? Dann sind Sie hier richtig! Das Magazin für nachhaltige Beschaffung informiert regelmäßig zu den Themen Dekarbonisierung, Product Carbon Footprint, Lieferketten, Supplier Diversity, Biodiversität, regulatorische Anforderungen und Sustainable Finance, veröffentlicht Interviews, Erkenntnisse aus der täglichen Praxis und gibt Tipps zum Einstieg und Vertiefung der nachhaltigen Beschaffung.

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<strong>Das</strong> <strong>betriebliche</strong> <strong>Magazin</strong><br />

<strong>für</strong> einen <strong>nachhaltige</strong>n Einkauf<br />

6,80 EURO<br />

<strong>Ausgabe</strong> <strong>April</strong> <strong>2023</strong><br />

Top-Themen:<br />

Kreislaufwirtschaft<br />

Dekarbonisierung in der Lieferkette<br />

Kleine Kniffe<br />

1<br />

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2 Kleine Kniffe<br />

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Editorial<br />

Der Beitrag des <strong>Beschaffung</strong>swesens zum Erfolg eines Unternehmens besteht nicht nur in<br />

der Verwaltung der <strong>Ausgabe</strong>n. Im Zuge der Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft kommt der<br />

<strong>Beschaffung</strong>sabteilung eine wichtige Rolle zu. Die erfolgreiche Schließung, Verlangsamung und<br />

Verkleinerung von Ressourcenkreisläufen erfordert eine Koordination, die über Organisationsgrenzen<br />

hinausgeht. Die Rolle der <strong>Beschaffung</strong> als Schnittstelle und „Wächter“ der Akteure im<br />

vorgelagerten Liefernetzwerk muss daher strategischer werden.<br />

Nachhaltige Entwicklung bedeutet, mit den begrenzten Ressourcen unseres Planeten zu leben<br />

und auch eine gerechte Verteilung der Ressourcen innerhalb und zwischen den Generationen<br />

zu berücksichtigen. In gewisser Weise stellt sie einen gewünschten Zielzustand <strong>für</strong> die Gesellschaft<br />

dar (das WAS). Die Kreislaufwirtschaft ist ein solcher Ansatz, der einen Weg (das WIE) zur<br />

Erreichung einer <strong>nachhaltige</strong>n Entwicklung vorschlägt. Sie beschreibt ein Wirtschaftssystem, das<br />

- im Gegensatz zu linearen „End-of-Life“-Konzepten - die Ressourcen im Wirtschaftskreislauf so<br />

lange wie möglich auf ihrem höchsten Wert hält. In einer Kreislaufwirtschaft ist das Wirtschaftswachstum<br />

von der Nutzung natürlicher Ressourcen entkoppelt, was nicht mehr bedeutet, dass<br />

schnelleres Wachstum eine schnellere Nutzung natürlicher Ressourcen bedeutet.<br />

Im Vergleich zur „traditionellen“ <strong>Beschaffung</strong> erfordert die <strong>Beschaffung</strong> <strong>für</strong> die Kreislaufwirtschaft<br />

eine andere, kooperativere Einstellung gegenüber den Lieferanten: Die Zusammenarbeit mit<br />

strategischen Lieferanten kann eine starke Quelle <strong>für</strong> Innovationen und <strong>nachhaltige</strong> Wettbewerbsvorteile<br />

sein. Zunehmende Spezialisierung und vertikale Desintegration führen zu Netzwerken<br />

und Allianzen von Unternehmen, deren Verbindungen nicht mehr rein transaktional sind und<br />

somit spezifischer und schwerer zu imitieren. Lieferanten-Käufer-Beziehungen können Quellen<br />

eines „kollaborativen Überschusses“ sein, der gemeinsam durch Beiträge der Allianzpartner erzeugt<br />

wird, die von keinem der beiden Unternehmen allein erwirtschaftet werden können.<br />

Chefredakteur<br />

Kleine Kniffe<br />

3<br />

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Impressum<br />

Redaktion<br />

SDG media GmbH<br />

Wagenfeldstraße 7a<br />

44141 Dortmund<br />

Kontakt:<br />

redaktion@kleine-kniffe.de<br />

Chefredaktion und V.i.S.d.P:<br />

Thomas Heine<br />

Textbeiträge von:<br />

Martin Berelson, Anna Büttgen, Tatjana Capriotti,<br />

Martin Eichenseder, Alexandra Engelt,<br />

Christina von Frankenberg, Andrea Gerlitz,<br />

Ralf Grosse, Thomas Heine, Jana Janze, Varena<br />

Junge, Peter Köhne, Eveline Lemke, Jens<br />

Loschwitz, Carolin Oala, Deborah Paluch, Sven<br />

Schirmer, Svenja Seegers, Thaïs de Tribolet,<br />

Veronika Warmers, Herwart Wilms<br />

46<br />

Fotos/Grafiken:<br />

Depositphotos, Christina von Frankenberg,<br />

DIN e.V., GovMarket, Mazars GmbH & Co. KG<br />

Titelfoto: REMONDIS Sustainable Services<br />

GmbH<br />

Internet:<br />

www.<strong>nachhaltige</strong>-beschaffung.com<br />

Social media:<br />

Twitter: https://twitter.com/MKniffe<br />

LinkedIn: https://www.linkedin.com/posts/<br />

thomas-heine-866785<br />

Facebook: https://www.facebook.com/Kleine-<br />

Kniffe-1601748926512841/<br />

Höhe der Auflage:<br />

5.000<br />

Distribution<br />

Der Versand der Auflage erfolgte mit finanzieller<br />

Unterstützung des Umweltbundesamtes<br />

Druck:<br />

Produktion mit 100% Ökostrom aus regenerativer<br />

Stromerzeugung und ohne Einsatz<br />

fossiler Brennstoffe.<br />

Druck:<br />

Recyclingpapier<br />

Herausgeber<br />

SDG media GmbH<br />

Wagenfeldstraße 7a<br />

44141 Dortmund<br />

www.sdg-media.de<br />

kleine kniffe® ist eingetragene Marke<br />

der IMAGO GmbH, Dortmund<br />

42<br />

06. Kreislaufwirtschaft<br />

Rückgrat<br />

der Rohstoffversorgung<br />

08. Stoffkreisläufe<br />

und Klimaschutz<br />

10. Kreislaufwirtschaft<br />

in der<br />

Praxis<br />

13. Nachhaltigkeit<br />

ganz praktisch<br />

16. Wer billig kauft,<br />

zahlt doppelt<br />

19. Veranstaltungshinweis<br />

20. <strong>Beschaffung</strong> von<br />

Ökostrom<br />

22. Nachhaltige<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>für</strong><br />

‚ KMUs<br />

14. Greenwashing<br />

25. Veranstaltungshinweis<br />

4 Kleine Kniffe<br />

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06 14<br />

13<br />

10<br />

26. Unternehmerin<br />

in Sachen<br />

Nachhaltigkeit<br />

39. Klimafreundliche<br />

<strong>Beschaffung</strong><br />

48. Recyclingpapier<br />

28. Die Zukunft von<br />

Familienunternehmen<br />

40. Kreislaufwirt<br />

schaft in der<br />

<strong>Beschaffung</strong><br />

52. Mehrwegallianz<br />

statt<br />

Wegwerfware<br />

32. <strong>Beschaffung</strong><br />

Nachhaltiger IT<br />

42. <strong>Das</strong> LkSG als<br />

Chance<br />

52. Startups als<br />

Innovationstreiber<br />

35. Einstieg in die<br />

Circular<br />

Economy<br />

44. Startups als<br />

Innovationstreiber<br />

36. Normungsroadmap<br />

Circular<br />

Economy<br />

46. Sustainable<br />

Procurement<br />

Pledge (SPP)<br />

Kleine Kniffe<br />

5<br />

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Aus Expertensicht<br />

Kreislaufwirtschaft<br />

als Rückgrat der Rohstoffversorgung Europas<br />

<strong>Das</strong> Tempo, mit dem sich diverse Akteure inzwischen dem Klimaschutz verschreiben, ist atemberaubend.<br />

Klang das Ziel der Europäischen Union, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden, noch weit weg, näheren<br />

sich gesetzte Zielmarken <strong>für</strong> die Klimaneutralität immer mehr der Gegenwart an: Deutschland peilt bis 2045<br />

Treibhausgasneutralität an, das Bayerische Klimaschutzgesetz verankert <strong>für</strong> ein klimaneutrales Bayern<br />

bereits das Jahr 2040. Viele Unternehmen setzen sich das Ziel <strong>für</strong> ihre <strong>betriebliche</strong>n Aktivitäten gar in<br />

2030. Dabei wäre es falsch, dies als Aktionismus abzutun. Vielmehr dürften diese sehr ambitionierten Ziele<br />

Ausfluss ernsthafter Sorge um das Weltklima sein. Der UN-Generalsekretär sagte auf der Klimakonferenz<br />

in Scharm el Scheich: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal.“<br />

Ein Beitrag von Jens Loschwitz<br />

Maßgebliche Akteure steuern um: Bis 2030 wollen die USA<br />

beispielsweise nur noch halb so viel CO 2<br />

ausstoßen wie 2005. Im<br />

Sommer 2022 unterzeichnete US-Präsident Joe Biden den Inflation<br />

Reduction Act (IRA). Der IRA sieht die höchsten staatlichen Investitionen<br />

in saubere Energie in der Geschichte der USA vor. Insgesamt<br />

sind <strong>Ausgabe</strong>n in Höhe von 369 Milliarden US-Dollar <strong>für</strong> Klimaschutz-<br />

und Energieprogramme vorgesehen. Die USA legen so den<br />

Turbo <strong>für</strong> den Klimaschutz ein.<br />

Und Deutschland? Die Regeln haben uns so weit gefesselt, dass<br />

selbst die Zitierung von Karl Valentin, dessen Satz zum Mögen<br />

und Trauen hier gut passen würde, Gegenstand von Rechtsprechung<br />

ist, wonach dieser mit seinen 12 Wörtern urheberrechtlich<br />

geschützt ist und nicht frei verwendet werden darf (LG München I,<br />

Urteil vom 08.09.2011, Az. 7 O 8226/11). So kommt es wohl auch,<br />

dass in Deutschland bereits die Planungs- und Genehmigungsverfahren<br />

nach einer BDI-Erhebung im Schnitt -gemessen an den<br />

gesetzlichen Vorgaben - ein halbes Jahr zu lang dauern. Allein die<br />

durchschnittliche Vorbereitungszeit bis zum Vorliegen der Vollständigkeitserklärung<br />

seitens der Behörde dauerte im Durchschnitt fast<br />

elf Monate. Mit einer Planung ist aber noch kein einziger Spatenstich<br />

erfolgt, geschweige denn auch nur ein Gramm CO 2<br />

eingespart.<br />

<strong>Das</strong> Lamentieren über Wettbewerbsverzerrungen durch die<br />

USA aufgrund der IRA-Milliarden lenkt vom großen Reformbedarf<br />

des deutschen Rechtsrahmens ab. Zwar ist parteiübergreifend das<br />

Bedürfnis nach einer Transformation der EU-Wirtschaft verstanden.<br />

Allerdings hat man den Eindruck, dass der New Green Deal<br />

der EU-Kommission national eher aufgepfropft werden soll, als<br />

dass wirklich eine Bereitschaft zur Veränderung besteht. Ein bisschen<br />

Green Deal geht nicht, wenn man die Herzkammer des Green<br />

Deal den New Circular Economy Action Plan (CEAP) in den Blick<br />

nimmt. Der CEAP zeichnet eine Roadmap, die zu einem Turbo <strong>für</strong><br />

die Transformation der EU-Wirtschaft zu einer funktionierenden<br />

Kreislaufwirtschaft werden könnte. Die Kreislaufwirtschaft ist der<br />

zentrale Schlüssel <strong>für</strong> die Transformation und die Voraussetzung<br />

<strong>für</strong> den wettbewerbsfähigen Umbau der Wertschöpfungsketten.<br />

Rohstoffe aus dem Recycling müssen bevorzugt von der deutschen<br />

Industrie in der Produktion eingesetzt werden.<br />

Für die Realisierung eines <strong>nachhaltige</strong>n Industriestandortes<br />

Deutschland sind zeitgemäße Rahmenbedingungen unerlässlich. Ein<br />

Turbo <strong>für</strong> die Beschleunigung der Genehmigung und Durchführung<br />

von Investitionsmaßnahmen ist unabdingbar. Die Genehmigungsund<br />

Durchführungsbeschleunigung im Bereich der erneuerbaren<br />

Energien darf nicht auf diese beschränkt bleiben. Die Transformation<br />

zu einer zirkulären und klimaneutralen Wirtschaft setzt in vielen<br />

Branchen erhebliche Investitionen voraus. Zusätzlich muss die Infrastruktur<br />

massiv ertüchtigt werden und beispielsweise dezentrale<br />

Bahnanschlüsse wie Binnenhäfen geschaffen bzw. ausgebaut werden.<br />

6 Kleine Kniffe<br />

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Foto: depositphotos<br />

Gesetze sollten künftig Raum <strong>für</strong> Innovation – nicht zuletzt<br />

<strong>für</strong> mehr Kreislaufwirtschaft - schaffen. Hier<strong>für</strong> bietet sich die<br />

breite Einführung des erprobten Instruments von sog. Reallaborregelungen<br />

an. Innovationen wird so eine Realisierungschance in<br />

Deutschland eingeräumt. Berichte, wonach ausgerechnet Biontech<br />

einen Teil seiner Forschung künftig nach Großbritannien verlagert,<br />

sind durchaus symptomatisch <strong>für</strong> den Standort Deutschland.<br />

Die EU wird beim künftigen Strommarktdesign das Thema<br />

Industriestrompreis angehen müssen. Nötig ist ein dauerhaft wettbewerbsfähiger<br />

Industriestrompreis <strong>für</strong> energieintensive Produktion.<br />

Dabei sollte der Energieverbrauch in einem Zusammenhang mit<br />

der Transformation unserer Industrie zur Kreislaufwirtschaft und<br />

der Energiewende gestellt werden: Der Industriestrompreis sollte<br />

in seiner Ausgestaltung von dem Einsatz von Recyclingrohstoffen<br />

abhängig sein.<br />

Bund, Länder, Kommunen müssen zudem selbst umsteuern.<br />

Öffentliche ökologische <strong>Beschaffung</strong> ist der Hebel <strong>für</strong> eine erfolgreiche<br />

Rohstoffwende. Heute sind Ausschreibungen mit klarem Fokus<br />

auf Recyclingrohstoffe immer noch die Ausnahme. Der Einsatz von<br />

Recyclingmaterial muss zur Regel werden.<br />

Die strategische Bedeutung von Recyclingrohstoffen muss<br />

sich in einer ganzheitlichen Regulatorik zur Rohstoffsicherung<br />

wiederfinden. Eine aktive Rohstoffpolitik muss alle Säulen der<br />

Rohstoffsicherung in den Blick nehmen: Sowohl Primärrohstoffe<br />

(heimische wie Import) als auch Sekundärrohstoffe (heimische und<br />

Import). Eine EU-Agentur <strong>für</strong> Kreislaufwirtschaft sollte <strong>für</strong> ein Level<br />

Playing Field in der EU sowie ein gleiches Verständnis von Vollzug<br />

und Umsetzung der europäischen Regulatorik sorgen und Verbesserungen<br />

bei der innereuropäischen Abfallverbringung mit dem Ziel<br />

des hochwertigen Recyclings erreichen. Es ist an der Zeit, die Kreislaufwirtschaft<br />

größer zu denken und auch große Schritte zu deren<br />

Vollendung tun. Kleinstaaterei ist weder im Geist Europas noch wird<br />

es der Bedeutung der Kreislaufwirtschaft als künftiges Rückgrat der<br />

Rohstoffversorgung Europas gerecht.<br />

Autor<br />

Jens Loschwitz<br />

BDE Bundesverband der Deutschen<br />

Entsorgungs-,<br />

Wasser- und Kreislaufwirtschaft e. V.<br />

Kleine Kniffe<br />

7<br />

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Circular Economy<br />

Eine runde Sache: Wie das Schließen<br />

von Stoffkreisläufen zum Klimaschutz beiträgt<br />

Beim <strong>betriebliche</strong>n Klimaschutz richten immer mehr Unternehmen ihren Blick darauf, was jenseits<br />

des Werktors passiert. Denn bei den meisten Unternehmen entstehen dort mehr als 90 Prozent der<br />

anzurechnenden CO 2<br />

-Emissionen – sie stecken in der Lieferkette, der Logistik, der Nutzung und der<br />

Entsorgung. Über das Schließen von Stoffkreisläufen in einer Circular Economy kann der CO 2<br />

-Fußabdruck<br />

von Produkten deutlich reduziert werden. Es spart zugleich knappe natürliche Ressourcen. <strong>Das</strong><br />

Unternehmensnetzwerk Klimaschutz greift das Thema Circular Economy durch Informationen und konkrete<br />

Angebote auf.<br />

Ein Beitrag von Svenja Seegers<br />

Circular Economy - warum sollten sich<br />

Unternehmen damit beschäftigen?<br />

Heute folgen Konsum- und Produktionsmuster einer linearen<br />

Logik: herstellen, konsumieren und entsorgen. Die Circular<br />

Economy, zu Deutsch zirkuläre Wertschöpfung, bietet als Gegenmodell<br />

gleich mehrere Vorteile: Sie hat das Potenzial, emissionsärmer<br />

und damit klimaschonender zu sein. Damit trägt sie zur Erreichung<br />

der Klimaschutzziele bei. Gleichzeitig reduziert sie den Verbrauch<br />

natürlicher Ressourcen, vermeidet Abfall, verringert die Rohstoffabhängigkeit<br />

und wirkt steigenden Rohstoffpreisen entgegen.<br />

Circular Economy bedeutet im besten Fall, dass alle Stoffe wiederverwendet<br />

werden. So können beispielsweise Elektronikartikel<br />

oder Fußböden bereits im Design- und im Herstellungsprozess<br />

als Ressourcen <strong>für</strong> die nächste Nutzungsphase optimiert werden.<br />

Materialien können dann nach ihrer Nutzung in sortenreine Ausgangsstoffe<br />

zerlegt und einem technischen Kreislauf zugeführt<br />

werden. Dabei bleibt ihre stoffliche Güte erhalten und ein Downcycling<br />

mit Qualitätsverlust wird vermieden.<br />

CO 2<br />

-Einsparungseffekt durch<br />

Kreislaufwirtschaft<br />

Ein zentraler Aspekt der Circular Economy ist das Recycling<br />

von Abfällen (Kreislaufwirtschaft), um diese wieder in Produktionsprozesse<br />

zurückzuführen. Aus den Abfällen sollen deshalb frei handelbare<br />

Sekundärrohstoffe werden. Deren Herstellung verbraucht in<br />

der Regel deutlich weniger Ressourcen und verursacht weniger CO 2<br />

-Emissionen als es bei Primärrohstoffen der Fall ist. (Abb.1)<br />

Eine neue Studie (2022) der Agenturen Prognos und CE DELFT<br />

zeigt das Potenzial der Kreislaufwirtschaft <strong>für</strong> die Reduzierung der<br />

CO 2<br />

-Emissionen auf. Die Studie ermittelt bei einer konservativen<br />

Berechnung eine jährliche Einsparung durch mehr Kreislaufwirtschaft<br />

von 150 Millionen Tonnen CO 2<br />

- Äquivalente (CO 2<br />

e) in<br />

der EU bis in das Jahr 2035. Mit ambitionierteren Recyclingzielen<br />

ließen sich sogar 296 Mio. t CO 2<br />

e einsparen.<br />

Normen und Standards können helfen<br />

Die technologischen Entwicklungen der Materialtrennung<br />

und des Recyclings sowie im Ausbau der Nutzung von Nebenerzeugnissen<br />

und Reststoffen macht es möglich, den Fokus auf die<br />

verstärkte Nutzung von Sekundär- gegenüber Primärrohstoffen zu<br />

richten. Große Hemmnisse liegen dabei Stand heute auf politischer<br />

und regulatorischer Seite. Die im vergangenen Jahr veröffentlichte<br />

Normungsroadmap „Circular Economy“ von DIN, DKE und VDI<br />

beschreibt, welche Normen und Standards es im Kontext der Circular<br />

Economy bereits gibt und zeigt zugleich auf, wo Handlungsbedarf<br />

besteht. Noch in diesem Jahr soll im Dialog ein Entwurf <strong>für</strong> eine<br />

nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie entwickelt und 2024 verabschiedet<br />

werden. Geplant ist von der Bundesregierung und der<br />

EU ein digitaler Produktpass, der alle relevanten Daten zu einem<br />

Produkt entlang seines gesamten Lebenszyklus von der Rohstoffgewinnung<br />

bis zum Recycling erfasst.<br />

Auf dem Weg zur Umsetzung<br />

Wie aber finden Unternehmen den Einstieg in einer zirkuläre<br />

8 Kleine Kniffe<br />

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(Abb.1)<br />

Wirtschaftsweise? Ausgangspunkt ist das Wissen über den<br />

CO 2<br />

-Fußabdruck der eigenen Produkte. Welche Materialien sind<br />

im Produkt eingesetzt? Wieviel CO 2<br />

Emissionen verantworten<br />

unterschiedliche Materialien und Rohstoffe? Umfassende Informationen<br />

zu den CO2 2<br />

-Emissionen finden sich in Datenbanken <strong>für</strong><br />

Lebenszyklusanalysen, häufig auch Life Cycle Assessment (LCA)<br />

genannt. Auch im kostenlosen Ecocockpit können die CO 2<br />

Emissionen<br />

von einzelnen Stoffgruppen berechnet werden.<br />

UNK und Circular Economy<br />

Gründe das Konzept der Circular Economy in das Geschäftsmodell<br />

zu integrieren, gibt es viele. Allerdings wird dies erst möglich,<br />

wenn Unternehmen bereit sind ihre Geschäftsmodelle zu hinterfragen<br />

und Circular Economy als Teil einer ganzheitlichen Strategie<br />

verstehen. Gerade auch der Austausch mit Unternehmen ähnlicher<br />

Branchen ist relevant. Diese können sich gegenseitig unterstützen<br />

und gemeinsam an Lösungsansätzen arbeiten. Denn Ansätze im<br />

Recycling beziehungsweise 2ndLife können durch den breiten Einsatz<br />

effizienter und günstiger werden. <strong>Das</strong> Unternehmensnetzwerk<br />

Klimaschutz möchte <strong>für</strong> diesen Bereich sensibilisieren, indem es auf<br />

die verschiedenen klimarelevanten Aspekte hinweist. Mit generellen<br />

Informationen, Webinaren und Dialogveranstaltungen.<br />

Maßstäbe setzen<br />

<strong>Das</strong> Unternehmen ZINQ aus Gelsenkirchen ist ein Pionier in<br />

seiner Branche. Es ist das erste Unternehmen im Bereich Oberflächentechnik,<br />

das ein zirkuläres Geschäftsmodell umsetzt. <strong>Das</strong><br />

Wissen teilt es mit Mitarbeitenden, Kunden und Lieferanten in einer<br />

eigens da<strong>für</strong> geschaffenen Plattform. Bereits heute erwirtschaftet das<br />

Unternehmen 90 % seines Umsatzes mit zirkulären Produkten. Vor<br />

13 Jahren wurde mit der Cradel to Cradel Zertifizierung begonnen.<br />

Im Handlungsfeld Zero Carbon geht es vor allem darum, wie durch<br />

den verringerten Einsatz von Primärzink hin zu mehr Sekundärzink<br />

der Fußabdruck - auch bereits in der Lieferkette - verringert werden<br />

kann. Unter anderem wurde ein Rücknahme- und Wiederaufbereitungssystem<br />

entwickelt, in dem Zink und Stahl in neuer zirkulärer<br />

Qualität wieder gewonnen wird.<br />

ZINQ ist Gründungsmitglied des Unternehmensnetzwerks<br />

Klimaschutz. Wer mehr erfahren möchte, kann sich die neue Episode<br />

des gemeinsamen Podcast mit dem Verband Klimaschutz-Unternehmen<br />

„Betriebsgrün – Der Podcast <strong>für</strong> <strong>betriebliche</strong>n Klimaschutz“<br />

anhören. Diese ist bei den gängigen Streaming-Diensten zu<br />

abonnieren und erscheint am 2. März.<br />

Autorin<br />

Svenja Seegers<br />

Projektreferentin<br />

„Unternehmensnetzwerk<br />

Klimaschutz – eine IHK-Plattform“<br />

DIHK Service GmbH, Berlin<br />

www.klima-plattform.de<br />

Kleine Kniffe<br />

9<br />

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Aus <strong>nachhaltige</strong>r Unternehmenspraxis<br />

Kreislaufwirtschaft in der Praxis:<br />

Ein Experteninterview<br />

Timothy Glaz ist ein absoluter Experte im Bereich Kreislaufwirtschaft. Er ist seit 2014 als Leiter<br />

Corporate Affairs <strong>für</strong> die Nachhaltigkeitsinitiativen des Mainzer Unternehmens Werner & Mertz<br />

und seiner bekannten Ökopionier-Marke Frosch zuständig. Im Interview gibt er interessante<br />

Einblicke, wie ganzheitliche Kreislaufwirtschaft gelebt werden kann.<br />

<strong>Das</strong> Interview führte Thomas Heine<br />

Herr Glaz, was verbirgt sich hinter dem Begriff:<br />

„Circular Economy“? Oft wird dieser als Synonym <strong>für</strong><br />

Nachhaltigkeit verwendet, aber da gibt es durchaus<br />

Unterschiede, oder?<br />

Genau, der Nachhaltigkeitsbegriff ist historisch gewachsen und<br />

kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft. Es handelt sich dabei<br />

um einen Sammelbegriff, der aktuell beliebig dehnbar ist und man<br />

kann darunter alles und nichts fassen. Deswegen bevorzugen wir<br />

es, relevante Teilaspekte deutlich konkreter zu fassen, z. B. mit dem<br />

Begriff „Circular Economy“ oder Kreislaufwirtschaft. <strong>Das</strong> bezeichnet,<br />

sehr vereinfacht ausgedrückt, den Kreislauf der Dinge zum<br />

Schutz von Ressourcen und Klima. Dahinter steht eine ganze Reihe<br />

weiterer Prozesse, die weit über den einfachen Kreislauf von Ressourcen<br />

hinausgehen. Jedenfalls bevorzugen wir diesen Begriff, weil<br />

er transparenter abbildet, <strong>für</strong> was sich das Unternehmen einsetzt<br />

und was es selbst umsetzt. Im Endeffekt geht es um den Kreislauf<br />

von Materialien, sowohl in Produkten als auch in Verpackungen.<br />

Gelebte Kreislaufwirtschaft bedeutet, dass man die gesamte Wertschöpfungskette<br />

analysiert und prüft, wo man Verluste vermeiden<br />

kann, damit Materialien im Kreislauf gehalten werden können.<br />

Wie funktioniert Kreislaufwirtschaft und wie geht<br />

Werner & Mertz dabei vor? Welche Vorteile ergeben sich<br />

daraus?<br />

Wenn man in Kreisläufen denkt, schafft das zunächst einmal ein<br />

Bewusstsein da<strong>für</strong>, wie ein Lebenszyklus von Anfang bis Ende aussieht.<br />

Es geht darum zu hinterfragen, wo die Produkte herkommen,<br />

woraus sie bestehen, durch wie viele Hände sie gehen und wo sie<br />

nach der Verwendung landen. Dabei ist vor allem die Frage entscheidend,<br />

wie man Materialien im Kreislauf halten kann. Dies kann man<br />

gut am Thema Verpackungen erklären: Wir verwenden <strong>für</strong> unsere<br />

Produkte recycelte und recycelbare Verpackungen. Der Kreislauf bei<br />

diesem konkreten Beispiel bedeutet vereinfacht: Aus einer leeren<br />

Verpackung wird durch hochwertiges Recycling wieder eine neue<br />

Verpackung <strong>für</strong> den gleichen Zweck in gleichwertiger Qualität<br />

erzeugt.<br />

Unserer Auffassung nach geht es darum, dass das Bewusstsein<br />

<strong>für</strong> den Kreislauf in allen Schritten mitgetragen wird. Für Einkäufer,<br />

v.a. <strong>für</strong> die professionelle Anwendung, stehen bspw. Einkaufspreis<br />

und Anwendbarkeit im Vordergrund. Unsere Aufgabe ist es, solche<br />

Aspekte mit einzubeziehen und praktische sowie ökologisch sinnvolle<br />

Lösungen zu entwickeln, wie etwa Nachfüll-Konzepte.<br />

Außerdem sind Elemente wie Haltbarkeit und Handhabbarkeit zu<br />

berücksichtigen. Wenn man <strong>für</strong> den Anwender mitdenkt, steigen<br />

die Chancen, dass Materialien (in diesem Fall die Verpackung) auch<br />

wirklich zurück in den Kreislauf geführt werden. Wir entwickeln<br />

Lösungen, die <strong>für</strong> alle (<strong>für</strong> uns wie auch <strong>für</strong> die Anwender) einen<br />

Mehrwert bieten.<br />

Der Ansatz von Werner & Mertz beruht darauf, Produkte und<br />

Verpackungen ganzheitlich zu denken. <strong>Das</strong> bedeutet, dass man sich<br />

eingehend mit sämtlichen Prozessen auseinander setzen muss – auch<br />

über die Unternehmensgrenzen hinaus (z.B. Lieferanten etc.). Halbherzige<br />

Zugeständnisse führen da nicht weit, wenn kein umfassendes<br />

Bewusstsein geschaffen wird. Wenn man nicht wirklich verstanden<br />

hat, was man verbessern will und warum, entsteht kein echtes<br />

Bewusstsein <strong>für</strong> Transformation. Nur notdürftig an Symptomen<br />

10 Kleine Kniffe<br />

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Foto: Werner & Mertz<br />

herumzudoktern, nach dem Motto: „Wir machen mal eine grüne<br />

Limited Edition“, führt nicht weit. Man muss sich klar darüber<br />

werden, worauf man hinauswill und dann einsteigen, um weiterzumachen,<br />

in eine klar definierte Richtung.<br />

Wie kann Unternehmen der Einstieg in die Kreislaufwirtschaft<br />

gelingen und wo sollte man im ersten Schritt<br />

ansetzen?<br />

Wir sind eingestiegen, indem wir bei EMAS (Eco-Management<br />

and Audit Scheme) und Cradle to Cradle gelernt haben, wie unsere<br />

Unternehmens-Prozesse genau aussehen und welche Wirkungen sie<br />

im ökologischen, bzw. ressourcenrelevanten Bereich haben. Wenn<br />

man diese Daten hat, kann man zielgerichtet Prozesse steuern.<br />

Man kann auch selbst ansetzen und sich diese Themen verdeutlichen.<br />

Als Einstieg eignet sich beispielsweise die Optimierung der<br />

Verpackungen, weil es da schon eine Reihe von Lösungen und Anbietern<br />

gibt. Oder etwa bei den Etiketten: Wenn ich weiß, dass diese<br />

im Recyclingprozess ein Problem darstellen (z.B. durch die Druckfarbe<br />

oder den Kleber), muss ich mich der Thematik annehmen und<br />

genau analysieren, wie schnell man daran etwas ändern kann. Aber<br />

auch Wasser ist ein relevantes Thema <strong>für</strong> alle. Also fragt man sich,<br />

wie und mit welchem Aufwand man eingreifen kann, um diese Ressource<br />

zu schonen. Hier gibt es zahlreiche Ansätze.<br />

Es geht themenübergreifend darum, die eigenen Möglichkeiten<br />

einzuschätzen und <strong>für</strong> die Zukunft strategisch zu planen. Dabei<br />

lässt sich nicht pauschal sagen, wo hier konkret der erste Schritt<br />

liegt, denn erst wenn man das Gesamtbild analysiert hat, kann man<br />

potentielle Hotspots identifizieren und in Angriff nehmen. <strong>Das</strong> sollte<br />

differenziert und unternehmensbezogen betrachtet werden.<br />

Für die meisten Unternehmen stehen die Themen<br />

Plastik und Abfallvermeidung im Fokus. Welche Rolle<br />

spielen diese <strong>für</strong> Werner & Mertz?<br />

Abfallvermeidung wäre definitiv ein Fortschritt im Sinne der<br />

Umwelt. Wir haben Prognosen, dass sich die Kunststoffproduktion<br />

bis 2060 verdreifachen wird – da reden wir von über 1,2 Mrd.<br />

Tonnen. <strong>Das</strong> ist verrückt und nach heutigem Stand der Infrastruktur<br />

kann man nicht davon ausgehen, dass Recycling oder Kreislaufwirtschaft<br />

das kompensieren können. Vielmehr muss man davon<br />

ausgehen, dass sich diese Werte weitestgehend auf Neuware beziehen,<br />

die ohnehin schon sehr viel Energie verbraucht und dadurch<br />

CO 2<br />

-Emissionen verursacht (pro Gramm Neuplastik bis zu 9 Gramm<br />

CO 2<br />

). Um einen großen Schritt weg von dieser Entwicklung hin in<br />

Richtung Ressourcen- und Klimaschutz zu gehen, sollte die Neuproduktion<br />

von Kunststoff möglichst vermieden werden. Für Werner &<br />

Mertz haben sich hierzu zwei Ansätze herauskristallisiert:<br />

Der erste Ansatz bezieht sich auf die Vermeidung von Abfall,<br />

indem Kunststoffe im Kreislauf gehalten werden. Durch den Einsatz<br />

von Recyclat können wir zwischen 60-70 % CO 2<br />

einsparen. Zwar<br />

brauchen wir immer noch CO 2<br />

, weil auch das Sammeln, Sortieren<br />

und Extrudieren (=das Aufschmelzen) energieaufwendige Schritte<br />

sind. Im Vergleich zur Neuproduktion von Kunststoff sind hier die<br />

Emissionen aber deutlich geringer.<br />

Kleine Kniffe<br />

11<br />

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Foto: depositphotos<br />

Der zweite Ansatz ist, dass wir uns auf Nachfüll-Konzepte<br />

konzentrieren. Unsere Nachfüllbeutel sparen im Vergleich zu einer<br />

Flasche etwa 70 % Kunststoff ein. Wir sparen hier also nicht nur<br />

Neuplastik, sondern auch den Einsatz von Recyclat. Da<strong>für</strong> werden<br />

die Flaschen so produziert, dass sie entsprechend lange haltbar sind.<br />

Auch die Nachfüllbeutel sind aus Monomaterial, damit auch sie<br />

hochwertig recycelt werden können. <strong>Das</strong> Beispiel zeigt, wie man<br />

Schritt <strong>für</strong> Schritt tiefer in die Optimierung eintauchen kann, mit<br />

stetig dazugewonnener Expertise.<br />

Wird Ihrer Meinung nach in der Politik genug <strong>für</strong> die<br />

Kreislaufwirtschaft getan?<br />

Es ist erkannt worden, dass Kreislaufwirtschaft einen wichtigen<br />

Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. <strong>Das</strong> findet sich mittlerweile<br />

auch im Koalitionsvertrag wieder. Der öffentliche Diskurs hat das<br />

Bewusstsein in der Politik da<strong>für</strong> gefördert, dass dieses Thema nicht<br />

allein das Umweltministerium, sondern genauso die Wirtschaft<br />

betrifft. Insofern ist es eine günstige Fügung, dass Umwelt- und<br />

Wirtschaftsministerium in der Verantwortung derselben Partei<br />

liegen.<br />

Ein zentraler Punkt ist da der öffentliche Einkauf. Wenn es um<br />

das sogenannte „Green Public Procurement“, also den öffentlichen<br />

Einkauf <strong>nachhaltige</strong>r Produkte geht, sind sowohl das Umwelt- als<br />

auch das Wirtschaftsministerium gefordert, um Veränderungen<br />

in der Gesetzgebung zu realisieren. Mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz<br />

sollte es öffentlichen Beschaffern ermöglicht werden, sich<br />

<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> Produkte zu entscheiden. Leider gab es da in den<br />

letzten Zügen aufgrund politischer Interventionen Änderungen an<br />

der zuletzt verabschiedeten Änderung des Gesetzes, die das Thema<br />

nicht unbedingt weitergebracht haben. Für Beschaffer müsste<br />

ein klares Regelwerk mit konkret definierten Kriterien geschaffen<br />

werden, damit Einkäufer qualifizierte Entscheidungen treffen<br />

können. <strong>Das</strong> ist ein großer Hebel <strong>für</strong> eine wirtschaftliche Transformation.<br />

Auch die Symbolkraft ist nicht zu unterschätzen, denn wenn<br />

der Gesetzgeber die Regeln, die er der Wirtschaft vorgibt, <strong>für</strong> seine<br />

eigenen <strong>Beschaffung</strong>en nicht einhält, macht er sich unglaubwürdig.<br />

Aber es stimmt mich optimistisch zu hören, dass das Problem<br />

bekannt ist und erneut angegangen wird.<br />

<strong>Das</strong> Interview führte<br />

Thomas Heine<br />

Chefredakteur<br />

www.<strong>nachhaltige</strong>-beschaffung.com<br />

12 Kleine Kniffe<br />

Kleine_Kniffe_04_23_KMU.indd 12 30.03.23 13:42


Aus Unternehmensverbänden<br />

Nachhaltigkeit ganz praktisch<br />

Ist Nachhaltigkeit eine Chance <strong>für</strong> Unternehmen? Oder doch eher ein Risiko? Bei der IHK in<br />

Reutlingen unterstützt man Betriebe auf beiden Seiten der Medaille.<br />

Ein Beitrag von Tatjana Capriotti<br />

In der Herzkammer des Schwabenlands zwischen Reutlingen,<br />

Tübingen und Albstadt schaut man auch nach Brüssel und weiß, dass<br />

der europäische „Green Deal“ einige neue Vorgaben und verschärfte<br />

Anforderungen mit sich bringen wird. Klimaschutz genießt politisch<br />

hohe Priorität. Zugleich ist vielen Betrieben klar: In Umweltschutz<br />

und Energieeffizienz liegen enorme betriebswirtschaftliche Potenziale<br />

– <strong>für</strong> neue Produkte, verbesserte Wettbewerbsfähigkeit oder<br />

Kosteneinsparungen. Da verwundert es nicht, dass 43 Prozent der<br />

Unternehmen aus der Region südlich von Stuttgart bei ihren nächsten<br />

Investitionen genau diese Themen im Blick haben wollen.<br />

Die Industrie- und Handelskammer unterstützt ihre Mitgliedsunternehmen,<br />

indem sie informiert, berät und Möglichkeiten<br />

zum gegenseitigen Austausch bietet.<br />

Beispiel: Energie<br />

Nicht erst seit dem russischen Krieg in der Ukraine stehen<br />

Energieeinsparungen weit oben auf der IHK-Agenda: Bei runden<br />

Tischen <strong>für</strong> Unternehmen geht es regelmäßig um Erfahrungsaustausch<br />

und Ideen, wie man es (noch) besser machen kann. Zuletzt<br />

kam im Angesicht der staatlich verordneten Preisbremsen eine<br />

Runde aus großen Gasverbrauchern zusammen. Mit zum Angebot<br />

gehören zudem Workshops <strong>für</strong> Azubis, die sich zu „Energiescouts“<br />

weiterbilden lassen, um im eigenen Unternehmen Energieeinsparpotenziale<br />

aufzudecken.<br />

Beispiel: Vernetzung<br />

Die IHK Reutlingen hat schon 2015 ein Netzwerk Nachhaltigkeit<br />

gegründet. Dort treffen sich Nachhaltigkeitsverantwortliche<br />

regelmäßig, um sich über Strategien, Trends, Konzepte und Regelungen<br />

in den Bereichen Corporate Social Responsibility (CSR) und<br />

Nachhaltigkeit auszutauschen.<br />

Beispiel: Firmen- und Politikberatung<br />

Um Unternehmen in Fragen von Umwelt, Energie- und Ressourceneffizienz<br />

noch umfassender zu beraten, hat die IHK Reutlingen<br />

unlängst ihre bisherigen Aktivitäten in ein eigenes IHK-Institut <strong>für</strong><br />

Nachhaltiges Wirtschaften integriert. Betriebe erhalten eine Erstberatung<br />

und konkrete Hilfe bei Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen<br />

aber auch zum „Green Deal“. Der Klimaschutzplan der Europäischen<br />

Union sieht vor, dass die EU bis zum Jahr 2050 klimaneutral wird<br />

– ein Vorhaben, das auch stark auf die Wirtschaft durchschlägt.<br />

Mit dem neuen Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg wird angestrebt<br />

bereits bis 2040 klimaneutral zu werden, was die regionalen<br />

Unternehmen zusätzlich fordert: Die IHK will die Betriebe über<br />

Beratung und Projekte auf diesem Weg begleiten, aber auch der<br />

Politik im direkten Gespräch verdeutlichen, welche Vorschriften <strong>für</strong><br />

Unternehmen machbar sind und welche die Wirtschaft vor immense<br />

Herausforderungen stellen.<br />

Wie geht es weiter?<br />

Es ist absehbar: Klimaneutralität wird sich in der kommenden<br />

Zeit immer stärker zum Wettbewerbsfaktor entwickeln. Insofern<br />

gibt es viele Chancen <strong>für</strong> Firmen, gerade <strong>für</strong> kleine und mittlere.<br />

Mit Blick auf die politischen Rahmenbedingungen geht es der IHK<br />

Reutlingen aber auch darum, die bürokratischen Belastungen,<br />

die mit dem „Green Deal“ einhergehen, gering zu halten und den<br />

Unternehmen bestmögliche Hilfestellung im Umsetzungsprozess<br />

sowie eine Plattform zum gegenseitigen Austausch zu bieten.<br />

Autorin<br />

Tatjana Capriotti<br />

IHK Reutlingen<br />

capriotti@reutlingen.ihk.de<br />

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13<br />

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Zwischendurch bemerkt<br />

Greenwashing:<br />

<strong>Das</strong> muss die <strong>Beschaffung</strong> wissen<br />

Greenwashing ist längst nicht nur eine irreführende Marketingtaktik, sondern untergräbt<br />

systematisch das Vertrauen der Verbraucher:innen und die Bemühungen von Unternehmen, die<br />

sich ernsthaft <strong>für</strong> Umwelt- und Klimaschutz einsetzen. Unternehmen müssen gezieltes sowie<br />

unbeabsichtigtes Greenwashing frühzeitig identifizieren. Nicht nur die Marketingabteilungen,<br />

sondern auch die <strong>Beschaffung</strong> spielt hierbei eine entscheidende Rolle.<br />

Ein Beitrag von Varena Junge<br />

Die Kund:innen wollen mehr Informationen über die angebotenen<br />

Produkte, die Nachhaltigkeitsabteilung fordert CO 2<br />

-Daten <strong>für</strong>s<br />

Reporting, die Marketingabteilung will endlich wissen, ob sie das<br />

Produkt jetzt als “ökologisch & besser” vermarkten kann, das Lieferkettensorgfaltsgesetz<br />

nimmt Menschenrechte ins Visier und die<br />

Geschäftsführung ruft “<strong>nachhaltige</strong> <strong>Beschaffung</strong>” als neue Leitlinie<br />

aus. Und mittendrin der Einkauf, der auch noch Kosten-, Qualitäts-<br />

und Lieferzeitaspekte gleichzeitig berücksichtigen muss. Die<br />

Anforderungen steigen, dazu gehört zunehmend die Relevanz von<br />

Klimazielen und damit das Risiko von Greenwashing.<br />

Greenwashing ist häufig gar nicht beabsichtigt<br />

und geschieht trotzdem überall<br />

Greenwashing ist dabei nicht zwingend eine bewusste Täuschung<br />

oder Lüge, sondern entsteht oft unbeabsichtigt durch<br />

fehlende Datengrundlagen, Unwissenheit und mangelndes Bewusstsein.<br />

Und Greenwashing ist auch <strong>für</strong> den Einkauf ein zunehmendes<br />

Problem:<br />

• 48 % der befragten Supply-Chain-Manager:innen sind der<br />

Meinung, dass ihr Unternehmen gegenüber Stakeholdern in<br />

Bezug auf Nachhaltigkeit nicht transparent genug ist und<br />

19 % gaben zu, selbst nicht genau zu wissen, wie nachhaltig<br />

ihre Produkte sind (Chartered Institute of Procurement and<br />

Supply, 2021)<br />

• Nur die Hälfte der <strong>Beschaffung</strong>sexpert:innen glaubt, dass die<br />

Nachhaltigkeitsziele und -strategien ihrer Lieferanten mit den<br />

eigenen, umfassenderen Nachhaltigkeitsambitionen im<br />

Einklang stehen (Boston Consulting Group, 2022)<br />

• Die indirekten Scope 3 CO 2<br />

-Emissionen sind <strong>für</strong> 65-99 % des<br />

Unternehmens CO 2<br />

-Fußabdrucks verantwortlich. Dennoch<br />

sind diese den wenigsten Unternehmen im Detail bekannt und<br />

somit auch nicht in Reduktionsmaßnahmen integriert (Scope<br />

ESG, 2021)<br />

Greenwashing beginnt intern<br />

Unternehmen, die Greenwashing betreiben, verlieren an Glaubwürdigkeit<br />

und können mit empfindlichen Geldbußen belangt<br />

werden. In Europa gibt es zunehmend regulatorische Initiativen, wie<br />

den englischen Green Claims Code, das französische Klimagesetz und<br />

Regelwerke von Verbraucherschutzbehörden. Diese beschreiben<br />

irreführende Aussagen vor allem als unspezifische Behauptungen<br />

ohne quantitative Datenbasis und angemessene Kommunikation<br />

der Limitationen.<br />

Im Kontext des Einkaufs bezieht sich Greenwashing auf drei<br />

Aspekte:<br />

• <strong>Das</strong> Ausklammern indirekter CO 2<br />

-Emissionen aus dem<br />

Einkauf von eigenen Klimazielen,<br />

• die <strong>Beschaffung</strong> von Produkten, Materialien oder Komponenten,<br />

die weniger umweltfreundlich sind als sie beworben<br />

werden, und<br />

• der Einkauf von CO 2<br />

-Kompensationszertifikaten aus<br />

kritischen Projekten und anschließende Verwendung des<br />

Begriffs “klimaneutral”.<br />

Wie der Einkauf zur Anti-Greenwashing-<br />

Abteilung werden kann<br />

Die Klima- und Umweltschutzstrategie eines Unternehmens<br />

muss in der Geschäftsführung verankert sein und alle Abteilungen<br />

14 Kleine Kniffe<br />

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Foto: depositphotos<br />

involvieren, doch der Einkauf hat eine besonders relevante Rolle.<br />

Einkäufer:innen sollten eine treibende Rolle übernehmen, eigenes<br />

Wissen aufbauen und die Bedeutung von Lieferketten bei der Bewältigung<br />

von Klimazielen aktiv auf die Agenda setzen.<br />

Auch wenn die Forderung nach mehr Transparenz entlang der<br />

Lieferkette richtig ist, die stark variierende Entwicklungsgeschwindigkeit<br />

der Lieferanten und unterschiedliche Marktstrukturen sind<br />

in der Praxis extrem herausfordernd. Kollaborative Strategien und<br />

fokussierte Datenabfragen statt unstrukturierte Datensammlung<br />

und -speicherung sind hier<strong>für</strong> am erfolgversprechendsten.<br />

Diese fünf konkreten Maßnahmen helfen außerdem,<br />

Greenwashing zu vermeiden:<br />

• Einkaufsentscheidungen auf quantifizierbaren CO 2<br />

-Daten<br />

treffen statt qualitativer Umweltversprechen,<br />

• Wissen über Datenlücken und Einordnung ihrer Relevanz auf<br />

Produkt- sowie Lieferantenebene,<br />

• unspezifische Umweltaussagen, Labels und Siegel immer<br />

hinterfragt, unterstützende Daten anfordern und Plausibilitätsund<br />

Verifizierungs-Checks anwenden,<br />

• die laufende Analyse des eingekauften CO 2<br />

s hilft bei der<br />

Identifikation von CO 2<br />

-Hotspots und ermöglicht die Ableitung<br />

von Reduktionsstrategien,<br />

• klar definierte, kontinuierlich analysierte Klima-Kennzahlen<br />

helfen bei der Fokussierung auf Maßnahmen mit dem größten<br />

Hebel, idealerweise im Kontext von industriespezifischen<br />

Benchmarks zur besseren Einordnung.<br />

Ohne digitale, datenbasierte Tools ist dies <strong>für</strong> keine Organisation<br />

umsetzbar, doch glücklicherweise wächst der Markt an Softwarelösungen<br />

und es gibt zunehmend differenzierte Angebote je nach<br />

Lieferkettengröße, Branche und Unternehmenszielen.<br />

Durch die Umsetzung dieser Maßnahmen ist auch eine Integration<br />

der indirekten Emissionen durch den Einkauf in unternehmerische<br />

Klimaschutzziele sinnvoll möglich. So wird Greenwashing effektiv<br />

vorgebeugt. Ergänzt durch eine enge Zusammenarbeit mit dem<br />

Marketing kann somit eine substanzbasierte Kommunikation nach<br />

außen sichergestellt werden.<br />

Bei alldem gilt es, den Pragmatismus nicht zu verlieren - das<br />

Risiko von Greenwashing, die mangelnde Datengrundlage und die<br />

Komplexität von Nachhaltigkeit in der Lieferkette ist keine Ausrede<br />

<strong>für</strong> Nichtstun und Abwarten. Die Folgen von Greenwashing sind<br />

nicht nur schlecht <strong>für</strong> Verbraucher:innen und die Umwelt, sondern<br />

sorgen auch da<strong>für</strong>, dass Einkäufer:innen keinen guten Job machen<br />

können und ggf. trotz guter Intention sogar schlechte Entscheidungen<br />

treffen. Deshalb gilt es intern und extern den Fokus auf<br />

datenbasierte Entscheidungen, schnelle Lernprozesse und ehrliche<br />

Kommunikation zu legen.<br />

Autorin<br />

Varena Junge<br />

Geschäftsführerin Yook GmbH<br />

varena@yook.one<br />

https://www.linkedin.com/in/varena/<br />

www.yook.one<br />

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Gesellschaftliche Verantwortung<br />

Wer billig kauft, zahlt doppelt<br />

Nachhaltigkeitskriterien spielen bei Vergaben der öffentlichen Hand nach wie vor nicht die Rolle, die sie<br />

spielen sollten. Dabei hat der vermeintlich billigste Preis oft hohe Folgekosten, die wiederum die öffentliche<br />

Hand zu tragen hat.<br />

Ein Beitrag von Herwart Wilms<br />

Wer billig kauft, zahlt doppelt.<br />

Diese alte Weisheit der Kaufleute<br />

kennt inzwischen nahezu jeder<br />

Verbraucher, der schon einmal auf<br />

vermeintliche günstige Angebote in<br />

Onlineshops hereingefallen ist. Und<br />

es gilt umso mehr <strong>für</strong> die öffentliche<br />

Hand, die mit einer gewaltigen<br />

Einkaufsmacht von geschätzten 500<br />

Milliarden Euro im Jahr Hersteller,<br />

Bauunternehmer und Dienstleister<br />

dazu bewegen könnte, mehr sozial<br />

ausgewogene, umwelt- und ressourcenschonende<br />

Produkte und<br />

Angebote auf den Markt zu bringen.<br />

Ja, nachhaltig erzeugte Produkte<br />

sind etwas teurer, weil<br />

umwelt- und ressourcenschonende<br />

Herstellungsverfahren aufwändiger<br />

sind. Auf der anderen Seite<br />

vermeiden <strong>nachhaltige</strong> Produkte<br />

und Dienstleistungen ökologische<br />

Folgekosten, die von der Allgemeinheit<br />

und damit wiederum der<br />

öffentlichen Hand getragen werden<br />

müssen. Der Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen der<br />

Menschen kommt uns alle teuer zu stehen.<br />

Kernthesen des Beitrags<br />

Nachhaltige Produkte und Dienstleistungen vermeiden ökologische<br />

Folgekosten, die von der Allgemeinheit getragen werden<br />

müssen. Der Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen der<br />

Menschen kommt uns alle teuer zu stehen.<br />

Darüber hinaus sparen <strong>nachhaltige</strong> Produkte Energie. <strong>Das</strong><br />

Potenzial ist gewaltig: Die Europäische Kommission schätzt, dass<br />

mit <strong>nachhaltige</strong>n Produkten bis 2030 rund 132 Millionen Tonnen<br />

Primärenergie eingespart werden kann. <strong>Das</strong> entspreche etwa 150<br />

Milliarden Kubikmeter Erdgas und damit fast der Gesamtheit der<br />

russischen Erdgasimporte der EU.<br />

Wird dieses Potential genutzt? Es mangelt jedenfalls nicht an<br />

politischen Zielvorgaben Jedoch war in fast 60 Prozent der Fälle<br />

das einzige Vergabekriterium der Preis oder die Kosten. Und<br />

Nachhaltigkeitskriterien hatten lediglich einen durchschnittlichen<br />

Einfluss auf die Entscheidung <strong>für</strong> einen Bieter von gerade<br />

mal etwas mehr als zwei Prozent. Es mangelt also an konkret formulierte<br />

Rahmenbedingungen.<br />

Als ein positives Beispiel <strong>für</strong> eine solche Art Katalog kann der<br />

Mindeststandard recyclinggerechtes Design der Zentralen Stelle<br />

Verpackungsregister (ZVSR) gelten.<br />

Darüber hinaus sparen <strong>nachhaltige</strong><br />

Produkte Energie. <strong>Das</strong><br />

Potenzial ist gewaltig: Die Europäische<br />

Kommission schätzt, dass<br />

mit <strong>nachhaltige</strong>n Produkten bis<br />

2030 rund 132 Millionen Tonnen<br />

Primärenergie eingespart werden<br />

kann. <strong>Das</strong> entspreche etwa 150<br />

Milliarden Kubikmeter Erdgas und<br />

damit fast der Gesamtheit der russischen<br />

Erdgasimporte der EU. Für<br />

ein resilienteres, unabhängigeres<br />

Europa, das Freiheit und Nachhaltigkeit<br />

miteinander vereinen will,<br />

ist die öffentliche Hand als Nachfrager<br />

ein wichtiger strategischer<br />

Impulsgeber.<br />

Öffentliche<br />

Auftragsvergaben sind<br />

nach wie vor reine<br />

Preiswettbewerbe<br />

Gründe <strong>für</strong> die öffentliche<br />

Hand gibt es also genug, bei ihren<br />

<strong>Beschaffung</strong>svorgängen auf Nachhaltigkeitskriterien<br />

zu setzen. Doch leider geschieht das noch viel zu<br />

selten: Nach der Vergabestatistik des Bundeswirtschaftsministeriums<br />

<strong>für</strong> das erste Halbjahr 2021 – der ersten und bislang einzigen statisti-<br />

16 Kleine Kniffe<br />

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Abbildung 1: Anzahl und Auftragsvolumen der öffentlichen Aufträge und Konzessionen unter Einbeziehung von Nachhaltigkeitskriterien<br />

(Quelle: Vergabestatistik. Bericht <strong>für</strong> das erste Halbjahr 2021, hrsg. v. BMWK)<br />

schen Auswertung von Vergabeverfahren in Deutschland – spielten<br />

bei fast 87.000 öffentlichen Aufträgen und Konzessionen Nachhaltigkeitskriterien<br />

nur bei knapp 11.000 <strong>Beschaffung</strong>svorgängen eine<br />

Rolle. <strong>Das</strong> entspricht einem Anteil von gerade mal 12,5 Prozent.<br />

Gemessen am Auftragsvolumen haben Bund, Länder und Gemeinden<br />

31,5 Prozent des Gesamtvolumens mit Nachhaltigkeitskriterien<br />

vergeben. In fast 60 Prozent der Fälle war das einzige Vergabekriterium<br />

der Preis oder die Kosten. (Siehe Abbildung 1)<br />

Sind diese Erkenntnisse aus der öffentlichen Statistik schon<br />

ernüchternd, trübt sich das Gesamtbild bei einer Tiefenanalyse noch<br />

weiter ein. So hatten Wissenschaftler der Bundeswehr Universität in<br />

München untersucht, welchen Einfluss Nachhaltigkeitskriterien im<br />

Vergabeverfahren tatsächlich haben. Da<strong>für</strong> hatten sie sich die Unterlagen<br />

von 160 Vergabeverfahren im Bereich Reinigungsleistungen,<br />

Reinigungsmittel und Reinigungsgeräte genauer angesehen. Im<br />

Ergebnis hatten Nachhaltigkeitskriterien einen durchschnittlichen<br />

Einfluss auf die Entscheidung <strong>für</strong> einen Bieter von gerade mal etwas<br />

mehr als zwei Prozent.<br />

Zentral definierte Nachhaltigkeitskriterien als<br />

Positivkatalog<br />

Dabei mangelt es nicht an politischen Zielvorgaben. Bereits die<br />

Agenda 2030 <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> Entwicklung hat das Thema Nachhaltigkeit<br />

in der öffentlichen <strong>Beschaffung</strong> als ein bedeutendes Ziel der<br />

Vereinten Nationen definiert. Die EU will mit dem Aktionsplan<br />

<strong>für</strong> die Kreislaufwirtschaft verbindliche Mindestkriterien <strong>für</strong> eine<br />

<strong>nachhaltige</strong> <strong>Beschaffung</strong> einführen. Und in Deutschland verpflichtet<br />

das Kreislaufwirtschaftsgesetz bereits seit 2012 die öffentlichen<br />

Stellen des Bundes zur <strong>nachhaltige</strong>n <strong>Beschaffung</strong>. Die Kreislaufwirtschaftsgesetze<br />

der Länder enthalten vergleichbare Vorgaben<br />

<strong>für</strong> Landesbehörden und Kommunen. Im vergangenen Jahr kam<br />

noch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur <strong>Beschaffung</strong> klimafreundlicher<br />

Leistungen (AVV Klima) hinzu. Nur: geändert hat sich<br />

bislang nichts. Faktisch sind öffentliche Auftrags- und Konzessionsverfahren<br />

bis heute reine Preiswettbewerbe. Der billigste Anbieter<br />

bekommt den Zuschlag.<br />

Unterstellt man den Vergabestellen keine böse Absicht, dürfte<br />

ein möglicher Grund in den mitunter diffusen und wenig konkreten<br />

Vorgaben <strong>für</strong> die operative Ebene zu finden sein – verbunden mit der<br />

Sorge, im Vergabeverfahren etwas falsch zu machen. Zwar listet das<br />

Umweltbundesamt in seiner Datenbank Umweltkriterien zahlreiche<br />

<strong>Beschaffung</strong>sleitfäden, Handlungsempfehlungen, Ökobilanzen<br />

und Produktzertifizierungen auf, die öffentliche Vergabestellen bei<br />

einer <strong>nachhaltige</strong>n <strong>Beschaffung</strong> unterstützen können. Doch das ist<br />

nicht konkret genug, um auf beiden Seiten des Marktes – Anbieter<br />

und Nachfrager – eine marktdurchdringende Wirkung zu entfalten.<br />

Was fehlt, ist ein konkreter, rechtlich abgesicherter Positivkatalog,<br />

welche Nachhaltigkeitsstandards Produkte und Dienstleister erfüllen<br />

müssen, damit die öffentliche Hand sie überhaupt beschaffen oder<br />

beauftragen darf.<br />

So konkret formulierte Rahmenbedingungen würden ein eindeutiges<br />

Signal in den Markt setzen: Die öffentliche Hand wüsste<br />

genau, welche Nachhaltigkeitsstandards Produkte und Dienstleister<br />

erfüllen werden müssen, um ein Vergabeverfahren rechtssicher<br />

durchzuführen. Anbieter wiederum wüssten genau, welche Standards<br />

sie oder ihre Produkte einhalten müssen, um <strong>für</strong> die öffentliche<br />

Kleine Kniffe<br />

17<br />

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Abbildung 2: Top Ten der Vergabegegenstände im 1. Halbjahr 2021<br />

(Quelle: Vergabestatistik. Bericht <strong>für</strong> das erste Halbjahr 2021, hrsg. v. BMWK)<br />

Hand überhaupt in Frage zu kommen. Kein Unternehmen, das Bund,<br />

Länder und Kommunen als Kunden behalten möchte, könnte sich<br />

fortan mehr den Themen Klimaschutz, Biodiversität und Kreislaufwirtschaft<br />

entziehen. Nachhaltigkeitskriterien wären nicht mehr<br />

nur das Feigenblatt eines faktischen Preiswettbewerbs, sondern der<br />

Preiswettbewerb, wie wir ihn heute haben, würde innerhalb von an<br />

Nachhaltigkeitskriterien orientierten Leitplanken erfolgen.<br />

Als ein positives Beispiel <strong>für</strong> eine solche Art Katalog kann der<br />

Mindeststandard recyclinggerechtes Design der Zentralen Stelle<br />

Verpackungsregister (ZVSR) gelten. Darin definiert die ZVSR<br />

jährlich im Einvernehmen mit dem Umweltbundesamt sowie dem<br />

Expertenkreis Recyclinggerechtes Design, welche Verpackungen als<br />

recyclingfähig gelten und welche nicht. Hersteller, die ausschließlich<br />

recyclingfähige Verpackungen in Verkehr bringen wollen, können<br />

sich an diesen Standards orientieren. Grundlage des Mindeststandards<br />

ist Paragraf 21 des Verpackungsgesetzes, mit dem Hersteller<br />

durch gestaffelte Lizenzentgelte Anreize erhalten sollen, sowohl<br />

die Recyclingfähigkeit ihrer Verpackungen zu verbessern als auch<br />

den Rezyklatanteil zu erhöhen. Jahrelang als zahnloser Tiger verschrien,<br />

hat der Paragraf 21 des Verpackungsgesetzes allein durch<br />

die Definition die Mindeststandards sowie dessen jährliche Weiterentwicklung<br />

eine marktprägende Wirkung im Verpackungssektor<br />

entfaltet. Verpackungshersteller wissen nun, was als recyclingfähig<br />

gilt und können ihre Produktpolitik darauf einstellen.<br />

Eine vergleichbare Klarheit benötigen wir auch in der <strong>nachhaltige</strong>n<br />

öffentlichen <strong>Beschaffung</strong>. Nur wenn die Nachhaltigkeitskriterien<br />

an einem zentralen Punkt klar und unmissverständlich definiert sind,<br />

sind die Regeln eindeutig: Für den Hersteller oder Anbieter bedeutet<br />

ein Abweichen einen praktischen Marktausschluss. Die Vergabestelle<br />

wiederum muss mit einem Vergabenachprüfungsverfahren<br />

rechnen, sollten die Kriterien im Vergabeverfahren von den zentral<br />

definierten Nachhaltigkeitskriterien abweichen. Dabei müssen<br />

mitnichten Nachhaltigkeitskriterien <strong>für</strong> sämtliche Produkte definiert<br />

werden, die die öffentliche Hand nachfragt. Für den Anfang würde<br />

es ausreichen, <strong>für</strong> die zehn am häufigsten nachgefragten Produkte<br />

und Dienstleistungen entsprechende Nachhaltigkeitsstandards zu<br />

definieren.<br />

Bei der Umsetzung eines klaren Nachhaltigkeitskurses in der<br />

öffentlichen <strong>Beschaffung</strong> ist mit Widerständen zu rechnen. Denn die<br />

fetten Jahre überschüssiger Staatseinnahmen und negativer Zinsen<br />

<strong>für</strong> Staatsanleihen sind vorbei. Corona-Krise, Ukraine-Krieg, die<br />

Unterbringung und Versorgung traumatisierter Kriegsflüchtlinge<br />

sowie anhaltend hohe Energiepreise machen sich deutlich in den<br />

Staatshaushalten bemerkbar. <strong>Das</strong> Geld sitzt nicht mehr so locker,<br />

obwohl Schulen saniert und Infrastrukturen erneuert werden<br />

müssen. Zum dritten Mal in Folge hat die Bundesrepublik Deutschland<br />

im vergangenen Jahr das fiskalpolitische Nachhaltigkeitsziel<br />

verfehlt und damit künftigen Generationen neue Schulden aufgebrummt.<br />

In der Krise wird nicht gespart. <strong>Das</strong> ist richtig so. Doch gerade<br />

um künftige Generationen nicht noch stärker zu belasten, sollten<br />

wir bei der öffentlichen <strong>Beschaffung</strong> auf mehr Nachhaltigkeit achten.<br />

Denn wer billig kauft, zahlt doppelt. Irgendwann.<br />

Nachhaltigkeitsstandards <strong>für</strong> die Top Ten<br />

Autor:<br />

Herwart Wilms<br />

Geschäftsführer<br />

REMONDIS<br />

Sustainable Services GmbH<br />

18 Kleine Kniffe<br />

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Veranstaltungshinweis<br />

Climate Transformation Summit <strong>2023</strong><br />

Der virtuelle Climate Transformation Summit (#CTS<strong>2023</strong>) bietet am 11. und 12. Mai 2022 bereits<br />

zum vierten Mal geballtes Fachwissen zur Klimatransformation der Wirtschaft. Fokusthema ist<br />

die Dekarbonisierung der Lieferkette: Denn 90 % der Emissionen eines Unternehmens entstehen<br />

typischerweise im Scope 3.<br />

Diverse, internationale Klima-Expertise aus<br />

Politik, Wirtschaft und Wissenschaft<br />

Um den branchenübergreifenden Wissenstransfer zu fördern,<br />

lädt die Online-Konferenz nicht nur Unternehmen, sondern auch<br />

Wissenschaftler:innen und Politiker:innen ein, um aus verschiedenen<br />

Perspektiven zu teilen, was wir jetzt <strong>für</strong> eine erfolgreiche<br />

Klimatransformation entlang der Lieferkette brauchen. Mit dabei<br />

sind u. a. Thomas Udesen und Oliver Hurrey vom Sustainable Procurement<br />

Pledge (SPP), Paula Caballero, die „Erfinderin der SDGs“,<br />

Anna Rathmann vom Jane Goodall Institute (JGI), Sonya Bhonsle<br />

vom Carbon Disclosure Project (CDP), Yvonne Zwick von B.A.U.M.<br />

e. V., Dr. Katharina Reuter vom Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft<br />

(BNW e. V.) sowie Dr. Olivia Henke von der Stiftung Allianz<br />

<strong>für</strong> Entwicklung und Klima. Gleichzeitig teilen Expert:innen aus der<br />

Praxis von Unternehmen wie IKEA, Ørsted, Ericsson und Deutsche<br />

Bahn in interaktiven Panels, Workshops sowie einer Online-Messe<br />

ihre Erfahrungen und Best Practices bei der Umsetzung von Klimazielen<br />

zusammen mit Lieferanten.<br />

Die Lieferkette als größte Herausforderung der<br />

Klimatransformation<br />

Laut einer neuen Studie (Februar <strong>2023</strong>) des Beratungsunternehmens<br />

OIiver Wyman hat mittlerweile rund die Hälfte (49 Prozent)<br />

der europäischen Unternehmen Klimaschutzpläne – jedoch können<br />

weniger als fünf Prozent der Unternehmen nachweisen, wie sie<br />

diese erreichen und umsetzen wollen. <strong>Das</strong> größte Problem stellt<br />

dabei die Lieferkette dar. Denn hier entstehen typischerweise 90<br />

% oder mehr der Emissionen eines Unternehmens (Quelle: World<br />

Economic Forum). Aufgrund der großen Anzahl und Verteilung der<br />

Lieferanten lassen sich Daten zu klimabezogenen Risiken, Zielen und<br />

Emissionen jedoch nur schwer erfassen – und Lieferanten fehlt es<br />

wiederum oft an Wissen und Erfahrung, um ihre Emissionen erfolgreich<br />

zu reduzieren. Beim #CTS<strong>2023</strong> werden daher neue Tools,<br />

Ansätze und Erfahrungen zur Dekarbonisierung und dem erfolgreichen<br />

Supplier Engagement geteilt und diskutiert.<br />

Lara Obst, Mitgründerin und Geschäftsführerin von The Climate<br />

Choice, erklärt: “Die Klimatransformation kann nur gemeinsam<br />

gelingen: durch effektive Reduktion von CO₂-Emissionen entlang<br />

der Lieferkette. Der Schlüssel hier<strong>für</strong> ist eine enge und datengetriebene<br />

Zusammenarbeit mit Lieferanten. Aktuell fehlen aber häufig<br />

noch Informationen von Lieferanten und eine entsprechende Vergleichbarkeit<br />

und Überprüfbarkeit von Klimamaßnahmen. Wie<br />

Unternehmen diese Herausforderung überwinden können, wollen<br />

wir beim diesjährigen Summit gemeinsam herausfinden.”<br />

Der #CTS<strong>2023</strong> wird von The Climate Choice organisiert und<br />

findet als digitaler Klima-Gipfel <strong>für</strong> die Praxis live und in englischer<br />

Sprache statt. Mehr Informationen sowie Tickets sind unter www.<br />

climatesummit.de erhältlich.<br />

Kleine Kniffe<br />

19<br />

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Aus nationalen Kompetenzstellen der <strong>Beschaffung</strong><br />

Öffentliche <strong>Beschaffung</strong> von Ökostrom<br />

Die Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern verursacht hohe Treibhausgas-Emissionen.<br />

Die Verminderung des Stromverbrauchs und der Bezug von Strom aus erneuerbaren Energien,<br />

sogenannter Ökostrom, gehören zu den klimaschutzpolitisch wirkungsvollsten Maßnahmen. Mit<br />

dem Bezug von Ökostrom können Sie die Treibhausgas-Emissionen senken und haben gleichzeitig<br />

die Möglichkeit, durch den Einkauf die Nachfrage nach erneuerbarem Strom zu erhöhen. Die<br />

öffentliche <strong>Beschaffung</strong>spraxis kann so einen Beitrag zum Ausbau der erneuerbaren Energien und<br />

damit zum Klimaschutz leisten. <strong>Das</strong> Umweltbundesamt (UBA) stellt als praktische Unterstützung<br />

einen Leitfaden zur <strong>Beschaffung</strong> von Ökostrom bereit.<br />

Ein Beitrag von Martin Berelson<br />

Die Bundesrepublik hat sich zum Ziel gesetzt, dass ihre öffentlichen<br />

Einrichtungen bis 2030 klimaneutral sein sollen. Entsprechend<br />

sieht das „Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit – Weiterentwicklung<br />

2021“ der Bundesregierung vor, den Ökostrombezug der<br />

öffentlichen Verwaltung weiter auszubauen. Viele andere Körperschaften<br />

haben sich ähnliche Ziele gesetzt. Um Ihnen als<br />

Einkäufer*innen die <strong>Beschaffung</strong> von Ökostrom in transparenten<br />

und wettbewerblichen Vergabeverfahren zu vereinfachen, stellt das<br />

UBA den Leitfaden „<strong>Beschaffung</strong> von Ökostrom – Arbeitshilfe <strong>für</strong><br />

eine europaweite Ausschreibung der Lieferung von Ökostrom im<br />

offenen Verfahren“ zur Verfügung.<br />

Was macht Ökostrom aus und wie kann dieser<br />

nachgewiesen werden?<br />

Elektrizitätsversorger sind gesetzlich verpflichtet, darüber zu<br />

informieren, aus welchen Quellen der von ihnen angebotene Strom<br />

stammt. Durch diese Stromkennzeichnungspflicht ist es <strong>für</strong> Sie<br />

möglich, Anbieter von Ökostrom zu identifizieren und auch deren<br />

gesamtes Produktportfolio über den sogenannten „Gesamtunternehmensmix“<br />

nachzuvollziehen. Wenn Stromanbieter nicht-geförderten<br />

Strom aus erneuerbaren Quellen anbieten, müssen sie dies mit Herkunftsnachweisen<br />

(HKN) belegen.<br />

Eine Ökostromkennzeichnung ist nur erlaubt, wenn <strong>für</strong> die<br />

gelieferte Menge erneuerbaren Stroms aus nicht geförderten erneuerbaren<br />

Energiequellen auch HKN im Herkunftsnachweisregister<br />

(HKNR) durch den Elektrizitätsversorger entwertet worden sind.<br />

Da sich der Stromproduzent <strong>für</strong> die erneuerbare Stromeigenschaft<br />

nicht mehrere HKN ausstellen lassen kann, ist gewährleistet, dass die<br />

grüne Eigenschaft nicht doppelt vermarktet wird.<br />

<strong>Das</strong> HKNR wird in Deutschland im UBA geführt (www.HKNR.<br />

de). <strong>Das</strong> UBA ist nicht nur die zuständige Stelle <strong>für</strong> den Umgang<br />

mit HKN (Ausstellung, Entwertung, Übertragung, Im- und Export),<br />

sondern auch zur Prüfung der Stromkennzeichnung im Bereich<br />

„erneuerbare Energien mit HKN“.<br />

Daneben gibt es sogenannten „geförderten Ökostrom“. Dieser<br />

wird in Deutschland aus Förderungszahlungen nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz<br />

(EEG) finanziert. Die Kosten werden<br />

durch den Haushalt gedeckt, die entsprechenden Mengen erneuerbarer<br />

Energien daher allen Verbraucher*innen zugeteilt. Ein<br />

Anteil „erneuerbare Energie, gefördert durch das EEG“ steckt deshalb<br />

bereits in jeder Stromkennzeichnung. Für diesen ist nur ein<br />

Nachweis des Stromverbrauchs im regionalen Zusammenhang zur<br />

Stromerzeugung durch Entwertung sog. Regionalnachweises möglich.<br />

<strong>Das</strong> zugehörige Regionalnachweisregister wird ebenfalls beim<br />

UBA geführt (www.regionalnachweisregister.de)<br />

Wichtige Anforderungen an die<br />

Ökostromqualität in öffentlichen<br />

Ausschreibungen<br />

Der Leitfaden des UBA zur <strong>Beschaffung</strong> von Ökostrom empfiehlt,<br />

den Auftragsgegenstand „Lieferung von Ökostrom“ in den<br />

Vergabeunterlagen genau, transparent und diskriminierungsfrei zu<br />

spezifizieren. Sie als Beschaffer*innen haben es damit selbst in der<br />

Hand, durch Anforderungen an die Stromqualität sicherzustellen,<br />

20 Kleine Kniffe<br />

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Foto: depositphotos<br />

dass die <strong>Beschaffung</strong> von Ökostrom zu einem Umweltnutzen führt.<br />

Grundsätzlich sollten Sie Strom aus erneuerbaren Energien<br />

in den Vergabeunterlagen wie folgt definieren: Strom aus<br />

erneuerbaren Energiequellen, das heißt Wind, Sonne, geothermische<br />

Energie, Umgebungsenergie, Gezeiten-, Wellen- und sonstige<br />

Meeresenergie, Wasserkraft und Energie aus Biomasse, Deponiegas,<br />

Klärgas und Biogas. Als Biomasse gelten nur Energieträger gemäß<br />

Biomasse-Verordnung. Flüssige Biomasse-Brennstoffe (bspw.:<br />

Biodiesel, Pflanzenöl oder Bioethanol), haben zusätzlich den Nachhaltigkeitskriterien<br />

der „Verordnung über Anforderungen an eine<br />

<strong>nachhaltige</strong> Herstellung von Biomasse zur Stromerzeugung“ (BioSt-<br />

NachV) zu genügen.<br />

Sie sollten bei einer Ausschreibung jedoch auch die Marktsituation<br />

betrachten. Nicht alle Anforderungen an Ökostrom konnten in<br />

der Vergangenheit kombiniert in einem Produkt am Markt in ausreichender<br />

Menge angeboten werden. Die Kombination bestimmter<br />

Anforderungen und hohe Ausschreibungsvolumina führten teilweise<br />

dazu, das vereinzelt Ausschreibungen scheiterten.<br />

Der aus diesen Erkenntnissen entwickelte Baukasten <strong>für</strong> den<br />

<strong>Beschaffung</strong>sgegenstand Ökostrom enthält verschiedene Aspekte<br />

der Ökostromqualität, die Sie entsprechend der aktuellen Marktsituation<br />

wählen sollten:<br />

• In jedem Fall sollten Sie in Ihrer Ausschreibung „Strom zu<br />

100 Prozent aus erneuerbaren Energien“ einfordern. Nur so ist<br />

gewährleistet, dass Ihnen Ökostrom mit dem größtmöglichen<br />

Umweltnutzen angeboten wird.<br />

• Daneben könnten Sie in Erwägung ziehen, als Beleg <strong>für</strong> die<br />

Bereitstellung von regionalem EEG-gefördertem Ökostrom auf<br />

Regionalnachweise zu bestehen.<br />

• Ergänzend zur oben genannten Definition von Strom aus<br />

erneuerbaren Energien sollten Sie in der Ausschreibung<br />

Anforderungen an Wasserkraftwerke festhalten. Bei der<br />

Gewinnung von Strom aus Wasserkraft kann es unter<br />

Umständen zu starken Beeinträchtigungen von Flora und<br />

Fauna kommen.<br />

• Falls Sie nicht nur Ökostrom beziehen, sondern auch den<br />

zusätzlichen Ausbau von erneuerbarer Stromproduktion<br />

fördern wollen, könnten Sie die Ausschreibung dahingehend<br />

spezifizieren, dass der zu beziehende Strom zum Teil oder<br />

ausschließlich aus Anlagen neuerem Datums ohne Förderung<br />

stammen sollte. <strong>Das</strong> Angebot hierzu ist jedoch begrenzt.<br />

Die einzelnen Bausteine werden im Leitfaden ausführlich vorgestellt<br />

und diskutiert. Die Ausführungen in diesem Artikel geben<br />

lediglich einen Überblick. Mehr dazu hier:<br />

https://t1p.de/zly7v<br />

Autor<br />

Martin Berelson<br />

Jurist und als wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter tätig <strong>für</strong> das<br />

Herkunftsnachweisregister beim UBA<br />

Kleine Kniffe<br />

21<br />

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Dekarbonisierung in der Lieferkette<br />

Nachhaltige <strong>Beschaffung</strong> <strong>für</strong> KMUs auf Basis eines<br />

bewährten Modells ökologischer Lebenszyklusbetrachtung<br />

Auf dem Weg zur Klimaneutralität haben sich die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) zum Ziel gesetzt,<br />

durch Produkte und Dienstleistungen verursachte Umweltwirkungen in den <strong>Beschaffung</strong>sprozess zu<br />

integrieren.<br />

Ein Beitrag von Sven Schirmer<br />

Als Unternehmen steht man<br />

aktuell den verschiedensten<br />

Herausforderungen gegenüber.<br />

Nachhaltigkeit ist ein Wirtschaftsfaktor.<br />

Die Fragen werden gestellt:<br />

Was muss man tun, was soll man<br />

tun? Wie bereite ich mich auf die<br />

Anforderungen meiner Kunden<br />

und Auftraggeber vor? Wie kann<br />

ich mein Produkt- und Dienstleistungsportfolio<br />

verändern, damit<br />

es als Nachhaltig, aber nicht als Greenwashing<br />

bezeichnet wird?<br />

Die Österreichischen<br />

Bundesbahnen (ÖBB) sind der<br />

Mobilitätsanbieter in Österreich.<br />

Der Strategische Konzerneinkauf<br />

der Holding steuert u.a. die jährlich<br />

bis zu 4 Mrd. Euro an Investitionen<br />

des Gesamtkonzerns und dies<br />

besonders nachhaltig.<br />

2020 wurde dort eine Erweiterung des bestehenden TCO Modells<br />

(Total Cost of Ownership) in Angriff genommen. Neben den<br />

reinen Einmalkosten, den Errichtungs- als auch laufenden Kosten,<br />

wurde es um die durch Umweltwirkungen verursachten Kosten<br />

erweitert.<br />

Basierend auf den Europäischen Forderungen und weltweiten<br />

Übersicht<br />

<strong>Das</strong> hier vorgestellte Modell, welches von den ÖBB mit Unterstützung<br />

der Technischen Universität Graz erarbeitet wurde,<br />

ermöglicht die spezifische Berechnung der verursachten Umweltwirkungen<br />

von Produktion, Errichtung, Nutzungsphase und<br />

Wieder-/Verwertung von Produkten und Dienstleistungen.<br />

Diese Umweltwirkungen können monetarisiert und damit in<br />

die Total Cost of Ownership (TCO) integriert werden, womit sie<br />

direkten Eingang in den <strong>Beschaffung</strong>sprozess finden.<br />

Die entwickelte Methodik erlaubt es branchenübergreifend,<br />

vom Einzelunternehmen über das KMU bis zum Großkonzern, die<br />

Nachhaltige Betrachtung in die Lebenszyklusbetrachtung zu integrieren.<br />

Damit kann sich jedes Unternehmen fit machen <strong>für</strong> die<br />

steigenden Anforderungen von Seiten der Gesetzgebung als auch<br />

von den Auftraggebern.<br />

Standards galt es, ein Modell zu<br />

entwickeln, welches den jetzigen<br />

als auch zukünftigen Anforderungen<br />

gewachsen ist.<br />

Ausschlaggebend sind hier<br />

zuerst der sogenannte europäische<br />

Green Deal [2], welcher ein klimaneutrales<br />

Europa bis 2050 fordert,<br />

zu nennen, sowie als Zweites, das<br />

Green House Gas Protocol [3], in<br />

welchem die weltweit anerkannteste<br />

Methodik beschrieben wird, um<br />

Klimaauswirkungen zu berechnen.<br />

Eine Herausforderung <strong>für</strong> die<br />

ÖBB war es, die Anwendbarkeit<br />

<strong>für</strong> alle Warengruppen sicherzustellen.<br />

Ob es um den Kauf von<br />

Büroklammern oder die Errichtung<br />

eines Tunnels geht, jedes<br />

<strong>Beschaffung</strong>svorhaben sollte nutzerfreundlich durchführbar sein.<br />

Der Aufwand auf Auftraggeber- als auch -nehmerseite, sollte überschaubar<br />

bleiben. Dies hat erfreulicherweise den Effekt, dass auch<br />

KMUs von dem Modell profitieren können, denn es wurde auch <strong>für</strong><br />

deren Anwendbarkeit erstellt.<br />

Alle denkbaren und bekannten Einflussfaktoren wurden in der<br />

Modellentwicklung bereits von Anfang an berücksichtigt, um ein <strong>für</strong><br />

alle nutzbares ökologisches Bewertungsmodell zu entwickeln.<br />

22 Kleine Kniffe<br />

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Abbildung 2<br />

<strong>Das</strong> TCO CO 2<br />

Modell<br />

Im Unterschied zur Herangehensweise in anderen Ländern<br />

Europas [4], hat sich der Strategische Konzerneinkauf der ÖBB<br />

da<strong>für</strong> entschieden, eine Produkt- bzw. Dienstleistungsbezogene<br />

spezifische Berechnung der Umweltwirkungen durchzuführen.<br />

<strong>Das</strong> TCO CO 2<br />

Modell benötigt <strong>für</strong> eine derart detailliert<br />

gewünschte Berechnung, die eine vergleichbare Bewertung der<br />

unterschiedlichen Gebote verschiedener Lieferanten zulässt,<br />

entsprechende Eingangsdaten aus Zertifikaten oder durch Primärdaten.<br />

Diese müssen eine erforderliche Detailtiefe vorweisen, um<br />

den Lebenszyklus in der erforderten Qualität abbilden zu können.<br />

Die ÖBB haben sich auf Treibhausgasemissionen in Form von<br />

CO 2<br />

-Äquivalenten (CO 2<br />

e) nach im Kyoto-Protokoll [5] definierten<br />

Regularien entschieden. Im Gegensatz zu anderen Umweltfaktoren<br />

liegen diese bereits jetzt weltweit ausreichend vor, sind transparent,<br />

objektiv und vergleichbar. <strong>Das</strong> entwickelte Modell erlaubt später<br />

das Ergänzen dieser anderen Umweltfaktoren, wie z.B. Feinstaub,<br />

Wasser- oder Flächenverbrauch, usw. In der ersten Version des<br />

TCO CO 2<br />

Modells wurden die End-Of-Life Szenarien (Verschrottung,<br />

Verwertung, Weiterverwendung) nicht berücksichtigt.<br />

Mittlerweile sind hier die Anforderungen der Kreislaufwirtschaft<br />

gestiegen und das Modell wurde nun mit dem Wiederverwertungspotential<br />

als Phase 4 erweitert, wie in Abb 1 zu sehen.<br />

<strong>Das</strong> Modell verlangt vergleichbare Eingangsdaten, nämlich<br />

die Materialien und Prozesse, um mittels vorhandener Emissionsfaktoren<br />

aus diesen die Emissionen je Phase berechnen zu können.<br />

Unter Prozessen verstehen wir entweder Transportprozesse,<br />

Abbildung 1<br />

bei denen Zwischen- oder finale Produkte von A nach B transportiert<br />

werden, Nutzungsprozesse der Anwendungsphase sowie<br />

die Verarbeitungsprozesse, bei denen unter Energieverbrauch aus<br />

Eingangsmaterialien ein Zwischen- oder Endprodukt entsteht oder<br />

(auf-)gebaut wird. In all diesen Schritten kann CO 2<br />

direkt oder<br />

indirekt (durch den Energieverbrauch) entstehen und wird in der<br />

Stoffflussbilanz dargestellt. Abb 2 zeigt dies schematisch am Beispiel<br />

des Lebenszyklus eines Laptops.<br />

Kleine Kniffe<br />

23<br />

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Foto: depositphotos<br />

<strong>Das</strong> vorliegende TCO CO 2<br />

Modell kann von privaten als auch<br />

öffentlichen Auftraggebern genutzt werden. Alle Erfordernisse<br />

wurden berücksichtigt, u.a. die notwendige Transparenz in der<br />

Berechnung, als auch das Nutzen frei verfügbarer Emissionsfaktoren.<br />

Dazu werden insbesondere die öffentlich zugänglichen Daten der<br />

Umweltbundesämter Österreichs [6, 7] und vor allem Deutschlands<br />

[8] verwendet. Ein Nebeneffekt sind die fehlenden Kosten <strong>für</strong> die<br />

Nutzung dieser wissenschaftlichen Datensätze.<br />

Spezifisch <strong>für</strong> die jeweilige <strong>Beschaffung</strong> lässt sich somit im ausgesandten,<br />

und von den Bietern zu befüllenden, TCO CO 2<br />

Tool eine<br />

integrierte Datenbank an notwendigen Emissionsfaktoren zur Verfügung<br />

stellen. Der Bieter kann die enthaltenen Werte überprüfen<br />

und anwenden oder aber ergänzen und mit eigenen Zertifikaten die<br />

Anwendung seiner eigenen Emissionsfaktoren in der Berechnung<br />

verifiziert nutzbar machen. Damit haben Unternehmen jederzeit<br />

die Möglichkeit ihre ökologisch relevanten Innovationen bzw.<br />

Investitionen in der Produktentstehung oder Dienstleistungsabwicklung<br />

einfließen zu lassen und letztendlich davon zu profitieren.<br />

Beispielsweise kann so ein Bieter, der sein Aluminium aus einer<br />

regionalen Recyclingeinrichtung bezieht, die ihren Strom aus<br />

Wasserkraft gewinnt, einen ganz anderen Emissionsfaktor <strong>für</strong> das Ausgangsmaterial<br />

in Anwendung bringen, als ein anderer Bieter, der<br />

sein Aluminium aus dem fernen Ausland, mit Kohlestrom aufbereitet<br />

und per Schiff antransportieren lässt.<br />

Auftraggeberseitig sind neben den Standard-Emissionsfaktoren<br />

<strong>für</strong> Prozesse und Materialien ebenso Informationen bereitzustellen,<br />

die wir als Parameter der LCC-Betrachtung bezeichnen. Darunter<br />

fallen die genaue Beschreibung des zu betrachtenden Produktes bzw.<br />

der Dienstleistung, der Anlieferort <strong>für</strong> die Berechnung der Transportkosten<br />

und -emissionen, gewünschte Arbeiten (z.B. Aufbau)<br />

vor Ort, die Nutzungsangaben, z.B. wie viele Stunden pro Jahr und<br />

unter welchen Bedingungen wird ein Gerät genutzt werden und<br />

schließlich die gewünschte Behandlung zum Lebensende. Sind zur<br />

Auftragsvergabe manche Parameter unbekannt, so kann man diese<br />

auch weglassen und der korrespondierende Anteil der Emissionsbetrachtung<br />

entfällt. Z.B., wenn man einen Rahmenvertrag über<br />

Büromöbel abschließt, <strong>für</strong> Filialen seiner Firma in ganz Europa,<br />

kann es sein, dass man zu diesem Zeitpunkt nicht genau beziffern<br />

kann, wie viele Möbel werden wann abgerufen und zu welcher Filiale<br />

werden diese geliefert. Für die ÖBB wäre eine Bewertung der<br />

Transportemissionen in diesem Fall vergaberechtlich nicht zulässig,<br />

da hier nur spekuliert werden kann. Hinterliegt hier allerdings ein<br />

sauberer Lieferplan, der auch eingehalten werden soll, dann kann<br />

man diese Emissionen selbstverständlich bereits in der Angebotsbewertung<br />

berücksichtigen. Private Unternehmen haben hier weniger<br />

Einschränkungen.<br />

<strong>Das</strong> aktuell noch auf Excel basierende Tool ist branchenunabhängig<br />

einsetzbar, wird vom Strategischen Konzerneinkauf der<br />

ÖBB zentral verwaltet, fortwährend optimiert und erweitert, um<br />

jederzeit der Gesetzgebung und den Anforderungen von Seiten des<br />

Auftraggebers und der Bieter zu genügen.<br />

Ein Kniff <strong>für</strong> den Anwender des TCO CO 2<br />

Tools: Verschiedene<br />

Szenarien der Produktentstehung oder Dienstleistungsabwicklung<br />

sind durchspielbar, um somit Strategien <strong>für</strong> die eigene Firmenentwicklung<br />

ableiten zu können, z.B. Transportmittel ändern,<br />

Material austauschen, Energieversorger wechseln, etc. Der<br />

Kosten-Nutzen Vergleich ist somit direkt sichtbar.<br />

Autor:<br />

Sven Schirmer<br />

ÖBB-Holding AG<br />

Corporate Procurement Coordinator<br />

Strategischer Konzerneinkauf<br />

24 Kleine Kniffe<br />

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Veranstaltungshinweis<br />

TOP-Event: 2. Würzburger Nachhaltigkeitstag am 9. Mai<br />

Am 9. Mai findet mit dem 2. Würzburger Nachhaltigkeitstag ein mit renommierten<br />

Sprecher*innen gespickter TOP-Event statt. Dabei geht es um die größte Herausforderung <strong>für</strong> die<br />

<strong>Beschaffung</strong>sabteilungen von Unternehmen: die ökologische und soziale Nachhaltigkeit sowie die<br />

Dekarbonisierung der Lieferkette.<br />

Die Dekarbonisierung in der Lieferkette ist <strong>für</strong> ca. 80 % des<br />

CO 2<br />

-Fussabdrucks eines Unternehmens verantwortlich, so dass hier<br />

der größte Hebel zur Reduzierung von Treibhausgasen, aber auch<br />

die höchste Komplexität liegt. Für Einkauf und SCM stellt dies aber<br />

auch die vielleicht beste Chance dar, sich im Unternehmen dauerhaft<br />

als eine der wichtigsten Funktionen zu etablieren.<br />

Wie dies gelingen kann, präsentieren und diskutieren mit den<br />

Teilnehmenden hochrangige Sprecher*innen auf dem TOP-Event<br />

des Jahres, dem 2. Würzburger Nachhaltigkeitstag am 9. Mai. Mit<br />

von der Partie sind Michael Stietz (SVP & CPO Körber), Hans Krug<br />

(SVP Procurement, Miele), Frank Tegeder ( Sustainability & Supply<br />

Chain Optimization Specialist, Miele) Klaus Blachnik (CPO/SVP<br />

Procurement, OMV), Nikolaus Kirner (CPO, SAP), Josef Lamplmayr<br />

(CPO, voestalpine), Niels Walberg (CPO, K+S), Alexandra Morton<br />

(Global EVP SCM, infarm), Volker Reulein (VP Purchasing, Miba),<br />

Thomas Udesen (EVP & CPO, Bayer). Wie Softwarelösungen dabei<br />

unterstützen können, zeigen Harald Nitschinger (Managing Director,<br />

Prewave), Prof. Dr. Christian Heinrich (CEO, carbmee) und Dr.<br />

Cristina Stanca-Mustea (scoutbee) auf.<br />

So wie die Berücksichtigung sozialer Aspekte im Einkauf (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz),<br />

ist Carbon Management keine<br />

freiwillige Goodwill-Aktion mehr. Die nachhaltigkeitsbezogenen<br />

Berichtspflichten – in der EU durch die Corporate Sustainability<br />

Reporting Directive (CSRD) definiert – können nur erfüllt werden,<br />

wenn Einkauf und SCM die erforderlichen Daten aus der Lieferkette<br />

bereitstellen können. Der Druck zur Reduzierung negativer<br />

Umwelteinwirkungen entsteht auch aus der sinkenden Bereitschaft<br />

von Investoren, stark umweltschädliche Industrien zu finanzieren.<br />

Zudem entstehen aus dem in Vorbereitung befindlichen EU Supply<br />

Chain Act faktische Zwänge zur stärkeren Gewichtung ökologischer<br />

Aspekte. Des Weiteren sind in Bälde aufgrund des Carbon Border<br />

Adjustment Mechanism (CBAM) <strong>für</strong> in die EU importierte, produktbezogene<br />

CO 2<br />

-Belastungen Emissionszertifikate zu erwerben.<br />

So soll eine „Flucht“ vor der in der EU geltenden CO 2<br />

-Besteuerung<br />

mittels Auslagerung von Produktionen und <strong>Beschaffung</strong>sumfängen<br />

in Nicht-EU-Länder (Carbon Leakage) weniger attraktiv werden.<br />

Der Zug in Richtung Nachhaltigkeit fährt bereits und ist nicht<br />

mehr aufzuhalten – auch angesichts völkerrechtlich bindender Verpflichtungen<br />

der Bundesrepublik, die Pariser Klimaziele hinsichtlich<br />

der maximal akzeptablen Erderwärmung zu erreichen. Angesichts<br />

einer (fast) überstandenen Pandemie, einem Krieg in Europa,<br />

dessen Ende nicht absehbar ist, und zunehmenden autokratischen<br />

Tendenzen in vielen Staaten sowie einer geradezu beängstigenden<br />

Dominanz der VR China in Bezug auf kritische Rohstoffe,<br />

sind die Herausforderungen <strong>für</strong> Unternehmen und insbesondere<br />

<strong>Beschaffung</strong>sverantwortliche extrem. Dies und die nachhaltigkeitsbezogenen<br />

Anforderungen erfordern eine Überprüfung und oftmals<br />

erhebliche Änderungen der globalen Einkaufs- und Lieferstrategien.<br />

Weitere Informationen und Anmeldung unter:<br />

https://cfsm.de/nachhaltigkeitstag<br />

Kleine Kniffe<br />

25<br />

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Startups als Innovationstreiber<br />

Vom Kindheitstraum zur Unternehmerin<br />

in Sachen Nachhaltigkeit<br />

Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich nach einem Schlüsselerlebnis beschlossen, die Welt ein Stückchen<br />

besser zu machen. 30 Jahre später habe ich diese Mission zu meinem Beruf gemacht. Ich möchte<br />

die Menschen begeistern, ökologische und auch soziale Nachhaltigkeit in ihren Organisationen zum<br />

Standard zu machen. Denn das ist die Zukunft - das neue Normal. Der große Mehrwert, der daraus <strong>für</strong><br />

die Unternehmen, aber auch <strong>für</strong> jeden persönlich entsteht, wird Ihnen Schritt <strong>für</strong> Schritt bewusst werden.<br />

Genau wie die Wertschätzung, die Sie von Ihren internen und externen Stakeholdern bekommen werden.<br />

Viele Unternehmen und Organisationen tun auch bereits etwas. Erste Maßnahmen in ökologischer und<br />

sozialer Hinsicht wurden schon umgesetzt. Aber oft wird noch nicht so richtig “ein Schuh daraus”. Es<br />

fehlt Struktur und ein Plan, so dass die Maßnahmen auch sichtbar werden und entsprechende Wirkung<br />

erzielen. Da<strong>für</strong> braucht man keine ganze Abteilung. Der Weg zu ganzheitlicher Nachhaltigkeit beginnt bei<br />

den Mitarbeitenden. Sie mit einzubinden und ein <strong>nachhaltige</strong>s Mindset zu schaffen, achtsam zu werden<br />

- das ist der erste Schritt. Und der kann einfach und pragmatisch sein, ist aber die Basis <strong>für</strong> jede weitere<br />

Entwicklung in der Organisation. Genau dabei unterstütze ich mit der EcoEmbassy. Es darf auch einfach<br />

sein.<br />

Thomas Heine im Gespräch mit Christina von Frankenberg, Geschäftsführerin der EcoEmbassy<br />

Wie sind Sie dazu gekommen, Unternehmerin<br />

zu werden?<br />

Offen gesprochen: Hätte man mich vor einigen Jahren gefragt,<br />

ob ich mir vorstellen könne, ein Unternehmen zu gründen, hätte<br />

ich wahrscheinlich gelacht und den Kopf geschüttelt. Weil ich kein<br />

“Unternehmerinnen-Typ” bin, dachte ich damals. Falsch gedacht,<br />

kann ich heute sagen. Ich habe große Freude daran, mich mit den<br />

unterschiedlichsten Fragestellungen des Unternehmertums auseinanderzusetzen.<br />

Mit der Gründung der EcoEmbassy habe ich mein Herzensthema<br />

zum Beruf gemacht: Nachhaltigkeit. Ich möchte einen Beitrag<br />

zu einer guten Zukunft leisten. Oft habe ich während der ersten 16<br />

Jahren meiner beruflichen Laufbahn mit dem Gedanken gespielt,<br />

einen Job in einem Sozialunternehmen anzunehmen. Aber irgendetwas<br />

sprach immer dagegen. Dann kam die Idee, es speziell kleinen<br />

und mittleren Unternehmen so leicht wie möglich zu machen, Nachhaltigkeit<br />

in ihrer Organisation zu integrieren – und das mit einer<br />

ganz bestimmten Kombination aus Leistungen, die speziell auf KMU<br />

zugeschnitten sind. <strong>Das</strong> wollte ich machen. Nur das. Und dann hieß<br />

es <strong>für</strong> mich: Machen. Gründen. Netzwerken. Springen.<br />

Wie führen Sie Ihr Unternehmen EcoEmbassy?<br />

Vor gut zwei Jahren habe ich die EcoEmbassy gegründet. Wir<br />

sind also noch verhältnismäßig “jung”. Da wir aber mit einem großen<br />

Netzwerk an Kooperationspartnern und Spezialisten arbeiten, fühlt<br />

es sich größer an, als es auf dem Papier ist. Deshalb habe ich mich<br />

bereits letztes Jahr entschlossen, <strong>für</strong> die EcoEmbassy eine Gemeinwohlbilanz<br />

zu erstellen. Im Rahmen dieses Prozesses habe ich alle<br />

bestehenden und alle zukünftigen “Winkel” des Unternehmens im<br />

26 Kleine Kniffe<br />

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Foto: Christina von Frankenberg<br />

Sinne der ökologischen, sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit<br />

beleuchtet. Welches umweltfreundliche Büromaterial, welchen<br />

Stromanbieter, welche IT-Geräte verwenden wir? Kurz: wie leben<br />

wir Umweltschutz im Unternehmen und wo gibt es noch Optimierungsmöglichkeiten.<br />

Oder die Frage, was Familienfreundlichkeit <strong>für</strong><br />

uns bedeutet. Hier bin ich derzeit selbst die Blaupause, da ich einen<br />

eineinhalbjährigen Sohn habe. Diesen Spagat hinzubekommen, hat<br />

natürlich seine Herausforderungen. Die Auseinandersetzung mit solchen<br />

Fragestellungen ist <strong>für</strong> mich persönlich extrem wichtig. Hier<br />

entsteht die Basis <strong>für</strong> die Weiterentwicklung des Unternehmens.<br />

Wenn Sie in der Zeit zurückgehen könnten, würden<br />

Sie denselben Weg nochmal gehen? Oder würden Sie<br />

etwas anders machen?<br />

Die Entscheidung, meinem Herzensthema beruflich eine Chance<br />

zu geben, war das Beste, was ich mir selbst in meiner bisherigen<br />

Laufbahn ermöglichen konnte. Nach 16 Jahren auf dem klassischen<br />

Karriereweg nun meine Ideen auf meine ganz eigene Art auf den<br />

Weg zu bringen - das entspricht der Art von Freiheit, in der ich<br />

mich wirklich entfalten kann. Deswegen würde ich diese Entscheidung<br />

definitiv wieder treffen. Würde ich rückblickend etwas anders<br />

machen? Ich würde meinen unternehmerischen Weg früher gemeinsam<br />

mit einem persönlichen und auch fachlichen Sparringspartner<br />

gehen, um meine Ideen und Entscheidungen aus einer anderen Perspektive<br />

zu reflektieren. <strong>Das</strong> finde ich unheimlich hilfreich.<br />

Welche Entscheidung würden Sie <strong>für</strong> sich als die<br />

Wegweisendste bezeichnen oder auch die, aus der Sie<br />

am meisten gelernt haben?<br />

Persönlich hat mich sicherlich die frühe Entscheidung geprägt,<br />

nicht meinem Wunsch-Karriereweg zu folgen, sondern an der Seite<br />

meiner an Krebs erkrankten Mutter zu bleiben. Rückblickend bin<br />

ich glücklich über diese Entscheidung, denn nach elf Jahren habe ich<br />

mich mit dem Gefühl verabschiedet, alles gegeben zu haben. Und<br />

heute gebe ich alles <strong>für</strong> meine Familie und mein Unternehmen - das<br />

ist mein Weg.<br />

Als Gründerin habe ich das Gefühl kennengelernt, wenn man<br />

erkennt, dass die ursprüngliche Geschäftsidee so (noch) nicht umzusetzen<br />

ist – ein Schreckmoment. An diesem Punkt war ich ein halbes<br />

Jahr nach der Gründung. Hier aber zu sehen, dass man eine Idee<br />

auch ergänzen und verändern kann und sie nicht gänzlich verwerfen<br />

muss, das war das größte Learning in diesem Prozess. Mutig die<br />

Richtung zu wechseln und sich neu auszurichten war die richtige<br />

Entscheidung. Heute sind wir in dem Gesamtkonzept viel weiter,<br />

scheuen uns aber nicht vor Veränderung und Weiterentwicklung.<br />

Was wünschen Sie sich <strong>für</strong> die Wirtschaft der<br />

Zukunft?<br />

Für die Unternehmen von Morgen wünsche ich mir mehr<br />

Kooperation und Vernetzung, die Rückbesinnung auf Werte wie<br />

Achtsamkeit und ein Gefühl, was “genug” bedeutet (Suffizienz). Ein<br />

Zeitalter des Postwachstums. Ich wünsche mir, dass unternehmerische<br />

Entscheidungen ganzheitlicher getroffen werden, so dass die<br />

Belange aller Stakeholder - und nicht nur Shareholder- miteinbezogen<br />

werden. Dazu gehören neben sozialen Aspekten auch Fragen<br />

zur Biodiversität, dem Klimaschutz, Ressourcenschonung und vielen<br />

anderen. Eine Auseinandersetzung mit den Sustainable Development<br />

Goals (SDGs) der UN verschafft hier eine hervorragende<br />

Wissensbasis <strong>für</strong> die vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit.<br />

Es ist an uns allen, die Zukunft zu gestalten.<br />

Kleine Kniffe<br />

27<br />

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Aus Wissenschaft und Forschung<br />

Die Zukunft von Familienunternehmen –<br />

Ein Transformationsmodell<br />

zur Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie 1<br />

Um in Zukunft bestehen zu können, müssen Unternehmen in ihrer Strategie Nachhaltigkeitsziele definieren.<br />

Familienunternehmen als die vorherrschende Unternehmensform weltweit, haben einen erheblichen<br />

Einfluss auf die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele. 2<br />

Ein Beitrag von Andrea Gerlitz<br />

Darüber hinaus haben Familienunternehmen aufgrund ihrer<br />

Eigentümerstruktur die Chance, Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit<br />

zu sein. Von unseren Forschungserkenntnisse ausgehend, stellen<br />

wir ein Transformationsmodell vor, das jedes Familienunternehmen<br />

adaptieren kann. In Abbildung 1 werden die 10 Schritte, wie Familienunternehmen<br />

eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln können,<br />

skizziert.<br />

1: Wissen was zählt:<br />

Bewusstmachen von Werten in der<br />

Unternehmerfamilie und im Gesellschafterkreis<br />

<strong>Das</strong> Denken in Generationen statt in Quartalen ist Teil der DNA<br />

von Familienunternehmen. Damit aus diesem Startvorsprung ein<br />

dauerhafter Nachhaltigkeitsvorteil wird, beschäftigen sich erfolgreiche<br />

Unternehmerfamilien damit, welche Wertvorstellungen ihr<br />

unternehmerisches Handeln bestimmen. Aus diesem Werte-Bewusstsein<br />

erwachsen konkrete Leitlinien, <strong>für</strong> die Art und Weise<br />

das Unternehmen zu führen. Dabei ist es wichtig, sich konkrete<br />

Folgen zu vergegenwärtigen, nur so werden die wirklich belastbaren<br />

Wertvorstellungen auch zum Fundament <strong>für</strong> die darauf aufbauende<br />

Strategie.<br />

2: Klare Ansage: Familienstrategie<br />

Wenn eine Familienstrategie so formuliert und umgesetzt wird,<br />

dass Nachhaltigkeit ein integraler Bestandteil ist, entwickelt sich das<br />

Familienunternehmen gemäß der Nachhaltigkeitsziele. Die Integration<br />

der Nachhaltigkeitsstrategie in die Governance der Familie,<br />

macht nach innen und außen deutlich, dass die Familie Nachhaltigkeit<br />

als essenzielle Aufgabe anerkannt hat und verfolgt 3 .<br />

3: Eigene Themen: Nachhaltigkeitsorientierung<br />

Eine Nachhaltigkeitsstrategie, die sich an Themen orientiert,<br />

welche sich organisch aus dem Unternehmen und seinem Ökosystem<br />

ergeben, wird sich verhältnismäßig leicht und dauerhaft um- und<br />

durchsetzen lassen. Neben den vorhandenen Kompetenzen im<br />

Unternehmen und dem unternehmerischen Willen, geht es vor<br />

allem um Themen, Kompetenzen und Chancen, die sich gemeinsam<br />

mit Wertschöpfungspartnern und anderen Stakeholdern<br />

umsetzen lassen. Hier kann das <strong>Beschaffung</strong>swesen Impulse setzen<br />

und als Lieferant kann man seine Kunden auf gemeinsame Nachhaltigkeitspotenziale<br />

ansprechen. Gerade hierbei öffnen sich <strong>für</strong><br />

Familienunternehmen neue Türen und das Thema Nachhaltigkeit<br />

wird auch zu einem Faktor der Differenzierung und der Zukunftssicherung<br />

<strong>für</strong> das Unternehmen.<br />

28 Kleine Kniffe<br />

Kleine_Kniffe_04_23_KMU.indd 28 30.03.23 13:42


Abbildung 1<br />

4: Machen, messen, dranbleiben –<br />

Nachhaltigkeit auf Familienebene:<br />

Commitment, Kontrolle und Kontinuität<br />

Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass ein Unternehmen<br />

dann nachhaltig agiert, wenn die Unternehmerfamilie sich der<br />

Nachhaltigkeit verpflichtet fühlt, Nachhaltigkeitsziele so definiert<br />

werden, dass sie messbar sind und die Nachhaltigkeitsstrategie auf<br />

Dauer angelegt ist. 4 So werden klare Steuerungsmechanismen greifen<br />

und langfristige Investitionen umgesetzt. Mit anderen Worten:<br />

die Nachhaltigkeitsstrategie wird auch in Krisensituationen nicht<br />

infrage gestellt. Konkret geht es um drei Fragen<br />

• Wie verpflichtet sich die Familie zur Nachhaltigkeit? Worin<br />

besteht ihr unternehmerischer Impuls?<br />

• Wie können Nachhaltigkeitsziele so definiert werden, dass sie<br />

erreichbar und messbar sind?<br />

• Wie können aus den Zielen langfristige Themen abgleitet<br />

werden, die intern und extern motivieren und das Thema<br />

Nachhaltigkeit auch in die nächste Generation tragen?<br />

5: Wissen was ist: Status-quo-Analyse mit<br />

dem Top-Management<br />

Die Unternehmerfamilie ist in diesem Schritt aufgerufen,<br />

gemeinsam mit ihrem Top-Management-Team darauf zu blicken,<br />

wo das Unternehmen bezüglich der Nachhaltigkeit steht und welche<br />

strategische Stoßrichtung die Unternehmerfamilie diesbezüglich ins<br />

Auge gefasst hat. Es geht darum, Motivation und Umsetzung in den<br />

Blick zu nehmen.<br />

6: Der Funke springt über: Nachhaltigkeit auf<br />

der Top-Management-Ebene: verinnerlichen<br />

und vermitteln<br />

Mit diesem Schritt wird die Nachhaltigkeitsstrategie aus der<br />

Sphäre der Familie in die Sphäre des Unternehmens getragen. <strong>Das</strong><br />

Führungsteam des Unternehmens wird sich selbst in den Dienst der<br />

verabschiedeten Nachhaltigkeitsstrategie stellen und alles daransetzen,<br />

sich <strong>für</strong> diese intern und extern einzusetzen und mit geeigneten<br />

Maßnahmen die Mitarbeitenden und Wertschöpfungspartner zu<br />

motivieren, im Sinne der Nachhaltigkeit zu agieren. Damit dies<br />

gelingen kann, muss die Unternehmensführung das Nachhaltigkeits-<br />

Kleine Kniffe<br />

29<br />

Kleine_Kniffe_04_23_KMU.indd 29 30.03.23 13:42


Abbildung 2<br />

anliege der Familie rational und emotional verinnerlichen. Hierbei<br />

kann es hilfreich sein, externe Expertise hinzuzunehmen, um diesen<br />

Prozess zu begleiten und zu inspirieren.<br />

7: Gemeinsam Sinn schaffen – Nachhaltigkeit<br />

auf Unternehmensebene: Purpose,<br />

Professionalisierung und Partnerschaften<br />

Nun geht es darum, konkrete Taten folgen zu lassen und diese<br />

auf ein übergeordneten Sinnschöpfung zu beziehen, und zwar<br />

gemeinsam mit allen Partnern und Stakeholdern. 5<br />

• Worin liegt die Sinn-Schöpfung unseres Familienunternehmens?<br />

• Was kann jeder dazu beitragen? Welches gemeinsame Band<br />

der Nachhaltigkeit weben wir mit unseren Wertschöpfungspartnern?<br />

• Wie professionalisieren wir den Bereich Nachhaltigkeit?<br />

8: Ziele definieren: Nachhaltigkeitsziele entlang<br />

der Wertschöpfung definieren<br />

Was im dritten Schritt als Nachhaltigkeitsorientierung definiert<br />

worden ist, erfährt nun die Konkretisierung in definierten, messbaren,<br />

bewertbaren und kommunizierbaren Zielen. Dabei liefen drei<br />

Fragenkomplexe die notwendige Orientierung:<br />

• Maßnahmen: Was ist jetzt notwendig? Welche konkreten<br />

Maßnahmen ergeben sich daraus? Welche sind zu priorisieren?<br />

Welche anderen Maßnahmen folgen daraus? Was wird<br />

darüber hinaus beeinflusst?<br />

• Mittel: Welche Ressourcen müssen bereitgestellt werden?<br />

(Menschen, Finanzen, Technologie, Kommunikation usw.)?<br />

Auf welchen Annahmen beruht diese Berechnung? Mit<br />

welchen Alternativen ist zu rechnen?<br />

• Meilensteine: Welche konkreten Effekte sind beabsichtigt?<br />

Wie wirken sich diese als Meilensteine auf die „Tripple Bottom<br />

Line“ aus? Wie werden welche Wertschöpfungspartner dazu<br />

beitragen? Welche weiteren Effekte wird es geben?<br />

9: Steuern und justieren: Auswirkungen der<br />

Nachhaltigkeitsstrategie<br />

<strong>Das</strong> strategische Ziel und die konkreten Ergebnisse der einzelnen<br />

Maßnahmen werden in diesem Schritt mit Hilfe einer<br />

Nachhaltigkeitsmatrix erfasst. Wie und in welchem Umfang werden<br />

ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeitsziele erreicht?<br />

Welche Maßnahmen zeigen welche Effekte? Eine so entstehende<br />

„Heat Map“ visualisiert, welche Maßnahmen weiter ausgebaut<br />

werden müssen, welche Ziele gut erreicht werden und in welchen<br />

Bereichen neue Maßnahmen zu entwickeln sind, bzw. welche neuen<br />

Ziele sich ergeben. Die operative Steuerung der Strategie leitet so<br />

über zum letzten Schritt. (Siehe Abbildung 2)<br />

10 Status erheben, bewerten, erneuern:<br />

Reflexion<br />

Die abschließende Reflexion leitet über zu einem neuen Durchlauf<br />

der Lemniskate. Erst mit diesem Schritt beginnt der eigentliche<br />

Transformationsprozess des Unternehmens. Es werden zwei Fragen<br />

gestellt:<br />

• Erfahren die familiären Werte ihre Konkretisierung in den<br />

durchgeführten Nachhaltigkeitsprojekten? Welche Nuancen<br />

sind in Zukunft zu setzen?<br />

30 Kleine Kniffe<br />

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• Entwickelt die Nachhaltigkeitsstrategie eine Eigendynamik?<br />

Wie sind diese emergenten Strategien zu bewerten? Wie<br />

können diese in Zukunft justiert werden?<br />

FAZIT<br />

Nachhaltigkeit ist grenzenlos. Dieses Modell betrachtet die<br />

spezifische Situation von Familienunternehmen. Es hilft dabei,<br />

eine Strategie zu entwickeln, die auf dem Wertefundament der<br />

Unternehmerfamilie aufbaut und mit den spezifischen Stärken des<br />

Unternehmens arbeitet. So fungiert dieses Modell als Navigationshilfe<br />

durch die Vielzahl der „Social Development Goals“. Erfolgreich<br />

ist ein Familienunternehmen immer dann, wenn es aus den Familienwerten<br />

heraus strategische Leitplanken <strong>für</strong> Unternehmen setzt<br />

und dann gemeinsam mit der Unternehmensleitung Ziele vorgibt<br />

und mit innerer Überzeugung und geduldigem Kapital dem Unternehmen<br />

zur Sinnschöpfung verhilft. Dies gelingt nur gemeinsam mit<br />

allen internen und externen Partnern und Stakeholdern. Nachhaltigkeit<br />

so verstanden, führt zu mehr sinnvollen Innovationen, stärkt den<br />

Wettbewerbsvorteil, führt zu einem besseren Image und Reputation<br />

des Unternehmens, was letztlich die finanzielle Leistungsfähigkeit<br />

des Unternehmens verbessert und somit den Fortbestand des Unternehmens<br />

sichert.<br />

Autorin<br />

Andrea Gerlitz<br />

Promotionsstipendiatin<br />

Fakultät <strong>für</strong> Wirtschaft und<br />

Gesellschaft<br />

Universität Witten/Herdecke<br />

Quellen:<br />

1. Dieser Aufsatz basiert auf dem bereits veröffentlichten WIFU-Praxisleitfaden<br />

und den darin skizzierten Gedanken: Gerlitz, A. und Hülsbeck, M.<br />

(2021): „Die Dynamische Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie<br />

in Familienunternehmen. Ein Transformationsmodell <strong>für</strong> die Praxis“<br />

und kann unter diesem Link kostenlos abgerufen werden: https://t1p.<br />

de/3yjwh<br />

2. Broccardo et al. (2019)<br />

3. Rüsen et al. (2019)<br />

4. Vgl. Sharma & Sharma (2021).<br />

5. Vgl. Sharma & Sharma (2021).<br />

Literaturverzeichnis:<br />

• Broccardo, L., Truant, E., & Zicari, A. (2019). Internal<br />

corporate sustainability drivers: What evidence from<br />

family firms? A literature review and research agenda.<br />

Corporate Social Responsibility and Environmental<br />

Management, 26(1), 1-18.<br />

• Rüsen, T., Schlippe, A. v. & Groth, T. (2019): Familien<br />

strategieentwicklung in Unternehmerfamilien. Inhalt und<br />

Formen von Family Governance und Familienmanagementsystemen.<br />

WIFU-Praxisleitfaden. Witten: WIFU.<br />

• Sharma, P. & Sharma, S. (2021): Pioneering business<br />

families committed to sustainable development.<br />

In: Pioneering Family Firms’ Sustainable Development<br />

Strategies. Cheltenham: Edward Elgar.<br />

Kleine Kniffe<br />

31<br />

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“Kleine Kniffe” der nachhaltgen <strong>Beschaffung</strong><br />

Einführung: Nachhaltigere IT<br />

<strong>für</strong> motivierte Anfänger bis Fortgeschrittene<br />

Eine fünfteilige Serie über Lieferketten, Gefahrenstoffe, Lebensdauer/Reparierbarkeit und<br />

selbstverständlich auch Klimawandel Möchten Sie mit der Wahl Ihrer IT-Hardware einen Beitrag zur<br />

Nachhaltigkeit leisten? Dann sind Sie hier genau richtig. Fünf Kapiteln, die Ihnen und Ihrem Team helfen<br />

sollen, die Grundlagen der Nachhaltigkeitsaspekte der IT-Produkte zu erlernen und die wichtigsten<br />

Maßnahmen zu ermitteln, die Sie ergreifen müssen..<br />

Ein Beitrag von Martin Eichenseder<br />

Sie erfahren, welche Nachhaltigkeitsrisiken bestehen und wie<br />

sie diese verringern. Wir werden die Bedeutung des <strong>Beschaffung</strong>swesens<br />

als entscheidende Triebkraft <strong>für</strong> die Nachhaltigkeit sowohl<br />

intern als auch innerhalb der IT-Branche erläutern. Außerdem<br />

erhalten Sie Tipps, wie Sie beim Kauf und der Verwaltung von<br />

IT-Produkten das Risiko von greenwash und bluewash vermeiden<br />

können. Ein schrittweiser Leitfaden hilft Ihnen schließlich, vom Plan<br />

zur Tat zu schreiten.<br />

Kapitel 1: Nachhaltigkeitsrisiken im<br />

Zusammenhang mit IT-Produkten<br />

IT-Produkte sind mit vielen sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsrisiken<br />

verbunden, von der Rohstoffgewinnung bis zur<br />

Endmontage und während des gesamten Lebenszyklus. Der größte<br />

Teil der Nachhaltigkeitsauswirkungen findet in der Lieferkette<br />

statt, wo sie dem Blick des Käufers verborgen bleiben. Zu den Risikobereichen<br />

gehören unfaire und ungesunde Arbeitsbedingungen,<br />

Klimaauswirkungen, gefährliche Stoffe und giftiger Elektroschrott.<br />

Unsere derzeitige, lineare Art, IT-Produkte zu produzieren und<br />

zu verbrauchen, schädigt empfindliche Ökosysteme. Sie verursacht<br />

den Verlust wertvoller natürlicher Ressourcen, wobei jährlich mehr<br />

als 50 Millionen Tonnen potenziell giftiger Elektroschrott anfallen.<br />

IT-Produkte tragen auch zur Klimakrise bei. Ein einziges Notebook<br />

verursacht während seiner Lebensdauer rund 300 kg Treibhausgasemissionen,<br />

von denen fast 80 Prozent auf die Herstellungsphase<br />

entfallen. Schlechte Arbeitsbedingungen sind ein ständiges Problem<br />

in der gesamten Lieferkette von IT-Produkten und gefährden die<br />

Gesundheit und das Leben der Arbeiter. IT-Produkte <strong>nachhaltige</strong>r<br />

zu kaufen und zu verwalten bedeutet, die ökologischen und sozialen<br />

Risiken während des gesamten Lebenszyklus des Produkts zu<br />

verringern.<br />

32 Kleine Kniffe<br />

Zu den Risiken gehören:<br />

• Soziale Verantwortung in der Lieferkette: Gesundheits- und<br />

Sicherheitsfragen, Zwangsarbeit, übermäßige Überstunden.<br />

• Gefahrenstoffe: Beeinträchtigt die Gesundheit der Arbeitneh<br />

mer und verschmutzt die Umwelt.<br />

• Konfliktmineralien: Bekannt da<strong>für</strong>, dass sie Kriege und Men<br />

schenrechtsverletzungen anheizen.<br />

• Elektroschrott: Schädigt Ökosysteme und die menschliche<br />

Gesundheit und erschöpft die natürlichen Ressourcen.<br />

• Klimagasemissionen: Entstehen sowohl bei der Herstellung als<br />

auch bei der Nutzung.<br />

• Mangel an Kreislaufwirtschaft: Erschöpft die natürlichen<br />

Ressourcen, trägt zur Klimakrise und zur Zerstörung der<br />

natürlichen Lebensräume bei.<br />

Im Kapitel 2 geht es um eine Strategie in der IT <strong>Beschaffung</strong><br />

basierend auf den Risiken, kurz gesagt: das Risikomanagement<br />

Autor:<br />

Martin Eichenseder<br />

Geschäftsführer<br />

TCO Certified<br />

martin.eichenseder@<br />

tcodevelopment.com<br />

Foto: depositphotos<br />

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Kleine Kniffe<br />

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Circular Economy<br />

Förderprojekt CASCADE - Einfach gemacht:<br />

Kreislaufwirtschaftsprojekte mit Leben erfüllen<br />

Zirkularität spielt in der <strong>nachhaltige</strong>n Welt ohne Abfälle einer Welt der Zukunft die zentrale Rolle.<br />

Die Europäische Union hat das Thema mit dem Green Deal aufgenommen und hilft, das Wissen<br />

um diese Neo-Ökonomie zu verbreiten. Wir stellen hier ein solches Projekt EU-finanziertes<br />

ERASMUS Projekt vor, <strong>für</strong> das sich Unternehmen als Tester*innen gesucht werden.<br />

<strong>Das</strong> Projekt heißt CASCADE (Creating Awareness and Skills<br />

for Circular Approaches in the Digital Economy). Zunächst ist es<br />

ein zehnwöchiges digitales Lernprogramm, das dazu beitragen soll,<br />

klimafreundliche Unternehmenslösungen zu entwickeln, die den<br />

Prinzipien der Circular Economy folgen. <strong>Das</strong> Ziel des Programms<br />

ist es jedoch, einen förderfähigen zirkulären Vorschlag zu erarbeiten,<br />

der im Unternehmen umgesetzt werden kann. <strong>Das</strong> Programm<br />

wird kostenlos zur Verfügung gestellt, damit es von möglichst vielen<br />

interessierten Teilnehmern genutzt werden kann.<br />

<strong>Das</strong> Programm richtet sich vor allem an digitale Dienstleistungsunternehmen,<br />

hauptsächlich an kleine und mittlere<br />

Unternehmen (KMU), die schon heute das “Rückgrat” der Wirtschaft<br />

sind. CASCADE will dieses Rückgrat jetzt “kreislauffähig” machen.<br />

Ihr Weg, geeignete Schritte zum Heben der Kreislaufpotentiale zu<br />

gehen, potenzielle Partnern und Finanzierungsmöglichkeiten zu<br />

suchen, soll damit geebnet werden.<br />

Außerdem wird die Europäische Wirtschaft damit gestärkt.<br />

<strong>Das</strong> Programm wird durch acht europäische Partner mit umfassender<br />

Erfahrung in der Berufsausbildung ausgerollt. Es wird in den<br />

Sprachen der beteiligten Projektpartner verfügbar sein: Deutsch,<br />

Französisch, Portugiesisch, Rumänisch, Spanisch und Tschechisch.<br />

Und das Programm besteht aus fünf Modulen:<br />

• Inspiration und Überwindung von Barrieren <strong>für</strong> die<br />

Circular Economy;<br />

• Methoden der Systeminnovation;<br />

• Förderung und Finanzierungsmöglichkeiten;<br />

• Grundlagen des Projektmanagements und<br />

• Antragsmanagement.<br />

Wer daran teilnimmt darf sich auf eine moderne Didaktik<br />

freuen, die Spiel und Szenario basierte, interaktive E-Learnings mit<br />

Videos, auf Basis von fundiertem Wissen und neuesten Methoden<br />

kombiniert. Zudem wird die Anwendungsorientierung getestet, so<br />

dass während der Entwicklung der Lerninhalte und zum Abschluss<br />

<strong>für</strong> jedes Modul Experten konsultiert werden und Testpersonen Ihre<br />

Feedbacks geben.<br />

Ziel ist es, KMU eine Vision und Idee <strong>für</strong> ein kreislaufwirtschaftliches<br />

Projekt zu identifizieren und sie dabei zu unterstützen, diese<br />

in eine konkrete Projektskizze umzusetzen, Fördermöglichkeiten zu<br />

finden, Kenntnisse im Projektmanagement zu vermitteln und einen<br />

erfolgreichen Projektfinanzierungsantrag zu schreiben. Acht Partner<br />

aus sieben europäischen Ländern bilden das CASCADE-Konsortium<br />

und bringen ihr Fachwissen und ihre Erfahrung ein.<br />

Aufruf: Wenn Sie das Lernprogramm als Pilottester absolvieren<br />

möchten, melden Sie sich unter info@circular-cascade.eu.<br />

34 Kleine Kniffe<br />

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Circular Economy<br />

Roadmap Normung <strong>für</strong> Circular Economy vorgestellt<br />

EU und Bundesregierung machen Druck auf die Normgeber, um Circular Economy umzusetzen.<br />

Dabei sollen innerhalb der nächsten zwei Jahre wegweisende Normen neu formuliert werden,<br />

damit sie sich den Prinzipien des Green Deal anpassen.<br />

Ein Beitrag von Eveline Lemke<br />

Eine Circular Economy verspricht <strong>nachhaltige</strong>res Wirtschaften<br />

in einer Welt ohne Abfälle. Nach der Theorie sollten durch das<br />

Design-Prinzip Cradle-to-Cradle, welches in biologische und<br />

technische Kreisläufe unterteilt alles Stoffe, Flüssigkeiten und<br />

Materialien <strong>für</strong> die ewige wirtschaftliche Nutzung erhalten bleiben.<br />

Die Umsetzung der komplexen Realität in einfache Normen<br />

ist eine Herausforderung, bei der vor allem die Reboundeffekte, die<br />

zu Klimawandel und Umweltverschmutzung beigetragen haben,<br />

überwunden werden müssen. Jedoch gibt es Hoffnung, dass dies mit<br />

Normung überwunden werden könne und der Druck ist groß, denn<br />

die EU hat gleichzeitig über 100 bestehende Normen benannt, die sie<br />

durch delegierte Rechtsakte in zirkuläre Gesetze gießen will, wenn<br />

sich die Praxis nicht ändert.<br />

Diese Ansage der EU blieb auch durch das Deutsche Institut <strong>für</strong><br />

Normung e. V. (DIN), die Deutsche Kommission Elektrotechnik<br />

Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE (DKE) und der<br />

Verein Deutscher Ingenieure (VDI) nicht ungehört und sie haben<br />

eine sogenannte Roadmap als Fahrplan und Orientierungsrahmen<br />

<strong>für</strong> zukünftige zirkuläre Normung beschrieben. Erarbeitet wurde<br />

sie von mehr als 550 Expertinnen und Experten aus Wirtschaft,<br />

Wissenschaft, Öffentlicher Hand und Zivilgesellschaft. <strong>Das</strong><br />

Bundesumweltministerium (BMUV) hat das Projekt gefördert.<br />

Ein Blick in das über 250 Seiten umfassende Werk zeigt, dass<br />

die Normgeber nur die technischen Kreisläufe in den Blick nehmen.<br />

Biologische Kreisläufe bleiben völlig außen vor, was sicherlich durch<br />

den Charakter der Normung zubegründet ist.<br />

Dennoch Staatsekretärin Christiane Rohleder lobte das<br />

Vorhaben bei der Übergabe: “Nur wenn wir zu einer echten Kreislaufwirtschaft<br />

kommen, können wir die globalen Krisen bewältigen<br />

– die Klimakrise, das Artenaussterben und die Umweltverschmut-<br />

zung. Die Bundesregierung will das Thema Normung <strong>für</strong> eine echte<br />

Kreislaufwirtschaft in der EU voranbringen und Anforderungen<br />

an Produkte europaweit festlegen – im Dialog mit den Herstellern.<br />

Mit der Normungsroadmap Circular Economy sind hier<strong>für</strong> wichtige<br />

Vorarbeiten geleistet.”<br />

Christoph Winterhalter, Vorsitzender des Vorstandes (CEO)<br />

von DIN ergänzte, dass die Standardisierung den angestoßenen<br />

Transformationsprozess hin zu einer zirkulären Wirtschaft gezielt<br />

unterstützen könne. Und Michael Teigeler, Geschäftsführer der DKE<br />

bezeichnete den Prozess als Auftakt zur Erarbeitung der Standards in<br />

Europa. Dieter Westerkamp, VDI-Direktor und geschäftsführendes<br />

Präsidiumsmitglied (interim) betonte die Notwendigkeit, den Schulterschluss<br />

zu üben und die Synchronisierung von Gesetzgebung und<br />

Standardisierung zur Beschleunigung der Transformation zu erzielen.<br />

Die weitere Arbeit wird durch den Fachbeirat Circular Economy<br />

von DIN und DKE in der Koordinierungsstelle Umweltschutz (KU)<br />

geleitet. Auf der Kollaborationsplattform www.DIN.ONE können<br />

sich Interessierte zur Mitarbeit eintragen.<br />

Autorin<br />

Eveline Lemke<br />

Thinking Circular®<br />

Sustainability and<br />

Circular Economy Consulting<br />

e.lemke@thinking-circular.com<br />

Kleine Kniffe<br />

35<br />

Kleine_Kniffe_04_23_KMU.indd 35 30.03.23 13:43


Circular Economy<br />

Normungsroadmap Circular Economy:<br />

Fahrplan <strong>für</strong> das zirkuläre Wirtschaften<br />

Unsere Produktion und unser Konsum sind aktuell stark geprägt vom Konzept der Linearität: Die<br />

vorhandenen Ressourcen werden der Natur entnommen, in vielschichtigen Verfahren zu Produkten<br />

transformiert und fallen dann anschließend, nach teilweise unverhältnismäßig kurzer Nutzung, als Abfall<br />

an. <strong>Das</strong> lineare System war in der Vergangenheit gerade auch ökonomisch hoch erfolgreich und hat uns<br />

einen nie zuvor gekannten Wohlstand beschert, wenn man die damit verbundenen Emissionen außer Acht<br />

lässt. <strong>Das</strong> System kommt jedoch immer deutlicher an seine planetaren Grenzen. Der Earth Overshoot Day<br />

ist eine Quantifizierung dessen: Für Deutschland lag dieser Tag 2022 Anfang Mai 1 . Seitdem leben wir<br />

demnach auf Kosten anderer Länder bzw. zukünftiger Generationen.<br />

Ein Beitrag von Alexandra Engelt<br />

Mit dem Konzept der Circular Economy soll diese lineare Ressourcenentnahme<br />

durch Schließen von Kreisläufen in eine zirkuläre<br />

Wirtschafts- und Lebensweise geändert werden. Aber was bedeutet<br />

eigentlich Circular Economy? Auf internationaler Normungsebene<br />

hat ISO Circular Economy wie folgt definiert: „Wirtschaft, die<br />

bewusst auf Erhaltung und Regeneration angelegt ist und darauf<br />

abzielt, die Gebrauchstüchtigkeit und den Wert von Produkten,<br />

Komponenten und Werkstoffen stets auf höchstem Niveau zu erhalten,<br />

wobei zwischen technischen und biologischen Kreisläufen<br />

unterschieden wird”. 2 Diese Definition basiert auf der Ausarbeitung<br />

der Ellen MacArthur Foundation.<br />

Bei der Erreichung der Ziele des Green Deals 3 und Klimaschutzgesetzes<br />

2021 4 kommt der Circular Economy eine besondere<br />

Bedeutung zu. Um die ambitionierten Klimaschutzziele zu erreichen,<br />

sind jetzt neue und überarbeitete technische Regeln <strong>für</strong> das zirkuläre<br />

Wirtschaften notwendig. Auch der Koalitionsvertrag zwischen<br />

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP „Mehr Fortschritt wagen“<br />

adressiert Normung im Kontext einer Circular Economy: „In einer<br />

„Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie“ bündeln wir bestehende<br />

rohstoffpolitische Strategien. Auf dieser Grundlage setzen wir uns<br />

in der EU <strong>für</strong> einheitliche Standards ein.“ 5<br />

Die Normungsroadmap Circular Economy – legt<br />

<strong>für</strong> die politischen Ziele den Weg fest und treibt<br />

so die grüne Transformation Deutschlands und<br />

Europas voran.<br />

Circular Economy ist ein Querschnittsthema und betrifft<br />

vielfältige Branchen und Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette.<br />

Um die Zusammenarbeit und damit das Vorantreiben<br />

zirkulärer Geschäftsmodelle und Produkte zu unterstützen, ist jedoch<br />

ein klarer Fahrplan notwendig, in welchen Bereichen bislang keine<br />

Normen und Standards existieren, wo diese aber zukünftig zusammen<br />

mit den interessierten Kreisen entwickelt werden müssen: eine<br />

Normungsroadmap Circular Economy <strong>für</strong> Deutschland!<br />

Die Arbeiten wurden im Januar 2022 vom Deutschen Institut<br />

<strong>für</strong> Normung e. V. (DIN), von der vom VDE getragenen DKE Deutsche<br />

Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in<br />

DIN und VDE (DKE) und dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI)<br />

gemeinsam gestartet. Die Ergebnisse wurden dann im Januar <strong>2023</strong><br />

veröffentlicht. Gefördert wurde das Projekt vom Bundesministerium<br />

<strong>für</strong> Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz<br />

(BMUV). Ziel der Roadmap ist es einen Überblick über den<br />

Status Quo der Normung und Standardisierung im Bereich Circular<br />

Economy zu geben, Anforderungen und Herausforderungen <strong>für</strong> die<br />

sieben Schwerpunktthemen zu identifizieren und daraus ableitend<br />

36 Kleine Kniffe<br />

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Foto: depositphotos<br />

konkrete Bedarfe <strong>für</strong> zukünftige Normen und Standards zu formulieren.<br />

Im Rahmen dieses Prozesses wurden daher noch keine Normen<br />

und Standards, sondern vorgelagerte Empfehlungen erarbeitet. Dies<br />

leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, nationale Interessen und<br />

Positionen abzubilden und diese anschließend aktiv in nationale,<br />

aber vorrangig auch europäische und internationale Normungsaktivitäten<br />

einzubringen.<br />

Die Normungsroadmap Circular Economy stellt sieben Schwerpunktthemen<br />

in den Mittelpunkt, die sich an den Fokusthemen des<br />

Circular Economy Action Plans der Europäischen Kommission orientierten:<br />

6<br />

• Digitalisierung/Geschäftsmodelle/Management<br />

• Elektrotechnik & IKT<br />

• Batterien<br />

• Verpackungen<br />

• Kunststoffe<br />

• Textilien<br />

• Bauwerke & Kommunen<br />

bekundet. Davon haben über 500 Autor*innen ihr Fachwissen in den<br />

sieben Arbeitsgruppen aus diversen Gesellschaftsbereichen eingebracht.<br />

Die hohe Zahl der Interessierten und aktiven Autor*innen<br />

sowie die Vielfältigkeit der Personen und Institutionen decken eine<br />

breite fachliche Expertise ab.<br />

Die Normungsroadmap Circular Economy orientiert sich an<br />

dem Modell der R-Strategien der Circular Economy. Diese Strategien<br />

haben zum Ziel, den Verbrauch von natürlichen Ressourcen<br />

zu reduzieren und die Kreislaufführung von Materialien zu unterstützen.<br />

Sie systematisieren verschiedene Verwertungsstrategien<br />

in einer Hierarchie, ergänzen sich gegenseitig und koexistieren.<br />

Diese werden als Kerngerüst der Transformation hin zur zirkulären<br />

Wertschöpfung angesehen. Die Abbildung 1 zeigt das 9R-Framework<br />

und wie Normung zur Unterstützung der verschiedenen<br />

R-Strategien eingesetzt werden kann.<br />

Im Rahmen der sieben Arbeitsgruppen wurden von den beteiligten<br />

Fachpersonen aus Wirtschaft, Wissenschaft, öffentliche Hand<br />

und Zivilgesellschaft über 200 Normungsbedarfe kollaborativ erarbeitet.<br />

Mehr als 1.300 Expertinnen und Experten aus verschiedenen<br />

Branchen und mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen<br />

haben ihr Interesse an Normung im Bereich der Circular Economy<br />

Kleine Kniffe<br />

37<br />

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Abbildung 1: Din e.V.<br />

Die Umsetzung der Normungsbedarfe<br />

Damit bietet die Normungsroadmap großes Potenzial, dass<br />

Deutschland eine Vorreiterrolle in der Circular Economy einnimmt.<br />

Sie bildet daher die Basis <strong>für</strong> ein Umsetzungsprogramm, das auf<br />

Grundlage der Ergebnisse im Jahr <strong>2023</strong> konkrete Normungs- und<br />

Standardisierungsvorhaben einleiten und die schnelle Übertragbarkeit<br />

gewonnener Erkenntnisse in deutsche, europäische und<br />

internationale Normungsaktivitäten unterstützen wird.<br />

Normung geht alle an – vom Start-up bis zum Großunternehmen.<br />

Strategisch lohnt sich das auch <strong>für</strong> das eigene Unternehmen.<br />

Denn: Wer eigene Interessen und Technologien in den Normungsprozess<br />

einbringt, kann die Zukunft seiner Branche aktiv<br />

mitgestalten und sich einen Wissensvorsprung vor den Mitbewerbern<br />

sichern. Bei Fragen zur Mitarbeit in der Normung können<br />

sich Interessierte jederzeit an DIN wenden – mehr Informationen<br />

zum Thema Normen und Standards <strong>für</strong> die Circular Economy gibt<br />

es auch auf der DIN-Themenseite. Die Normungsroadmap ist verfügbar<br />

unter:<br />

www.din.de/go/circular-economy<br />

Quellen:<br />

1. Umweltbundesamt (2022): Earth Overshoot Day 2022, Erdüberlastungstag:<br />

Ressourcen <strong>für</strong> 2022 verbraucht | Umweltbundesamt, abgerufen am<br />

19.10.2022.<br />

2. ISO - ISO/CD 59004 - Circular Economy – Terminology, Principles and<br />

Guidance for Implementation. https://www.iso.org/standard/80648.<br />

html<br />

3. Europäische Kommission (2019): Green Deal, Europäischer Grüner Deal<br />

| EU-Kommission (europa.eu)<br />

4. Klimaschutzgesetz 2021, Klimaschutzgesetz: Klimaneutralität bis 2045<br />

| Bundesregierung<br />

5. Mehr Fortschritt wagen, Bündnis <strong>für</strong> Freiheit, Gerechtigkeit und<br />

Nachhaltigkeit Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen Der Sozialdemokratischen<br />

Partei Deutschlands (SPD), Bündnis 90 / Die Grünen und<br />

den Freien Demokraten (FDP), Berlin, den 7. Dezember 2021, https://<br />

t1p.de/70lu<br />

6. European Commission, & Directorate-General for Environment. (2020):<br />

Ein neuer Aktionsplan <strong>für</strong> die Kreislaufwirtschaft Für ein saubereres<br />

und wettbewerbsfähigeres Europa, https://t1p.de/vl1bx<br />

7. Vgl. 9R-Framework der UNEP (basierend auf Potting et al. (2017)):<br />

United Nations Environment Programme (2019), www.unenvironment.<br />

org/circularity abgerufen am 27.09.2022 und Potting et al. (2017, S.5)<br />

Circular.pdf<br />

Autorin<br />

Alexandra Engelt<br />

Dieser Beitrag wurde in ähnlicher Form in der <strong>Ausgabe</strong><br />

Dezember 2022 der DIN Mitteilungen veröffentlicht.<br />

Leiterin Strategische Entwicklung<br />

Circular Economy bei DIN<br />

38 Kleine Kniffe<br />

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Startups als Innovationstreiber<br />

Klimafreundliche <strong>Beschaffung</strong> durch automatisierte<br />

Produkt-CO 2<br />

-Daten<br />

Die indirekten CO 2<br />

-Emissionen entlang der Lieferkette sind die größte Herausforderung <strong>für</strong><br />

unternehmerischen Klimaschutz und Netto-Null-Versprechen, insbesondere bei Industrie- und<br />

Handelsunternehmen entstehen hier etwa 75 % der Gesamtemissionen. Die <strong>Beschaffung</strong> spielt<br />

deshalb eine kritische Rolle dabei, Unternehmen vor dem Vorwurf des Greenwashings zu schützen<br />

und CO 2<br />

-Reduktionsstrategien voranzutreiben. Einfach ist diese Aufgabe allerdings nicht.<br />

Ein Beitrag von Varena Junge<br />

CO 2<br />

-Emissionen entlang der Lieferkette sind<br />

extrem schwierig zu erfassen<br />

<strong>Das</strong> Problem: Indirekte Emissionen entstehen entlang der kompletten<br />

Wertschöpfungskette und neben fehlendem Wissen über<br />

Vorstufen-Lieferanten ist selbst die Datenverfügbarkeit von näheren<br />

Lieferanten in der Realität meistens schwach. Gleichzeitig greifen<br />

sogenannte ausgabenbasierte Berechnungsmethoden <strong>für</strong> CO2-Emissionen<br />

zu kurz, sie bergen das Risiko massiver Fehleinschätzungen<br />

und können weder <strong>für</strong> kennzahlenbasierte Steuerung noch das<br />

Tracking von tatsächlichen Veränderungen genutzt werden.<br />

Um eine klimafreundliche Lieferkette aufzubauen, sowohl im<br />

direkten wie indirektem Einkauf, benötigt der Einkauf Entlastung<br />

bei der Datensammlung und -strukturierung und eine hilfreiche<br />

Datenbasis. Neben der Lieferanten- bedarf es außerdem der<br />

Produkt-Perspektive, um Handlungsoptionen zu identifizieren.<br />

IT-Tools, die letztendlich nur bessere Excel-Tabellen sind, resultieren<br />

selten in wirklicher Entlastung bei der manuellen Datensammlung<br />

und -validierung. Erst durch die automatisierte Datenstrukturierung,<br />

intelligente Datenanreicherung und smarte Algorithmen wird der<br />

Aufwand tatsächlich reduziert und völlig neue Einblicke generiert.<br />

Digitale Lösungen erleichtern die Arbeit von<br />

Einkäufer:innen<br />

Mit der Softwarelösung von Yook können Unternehmen<br />

CO 2<br />

-Daten <strong>für</strong> eingekaufte Waren entlang der gesamten Lieferkette<br />

identifizieren. Der größte Vorteil: die Software kann auch<br />

mit lückenhaften Datensätzen arbeiten und füllt diese zunächst mit<br />

industrietypischen Durchschnittswerten. Dieses iterative Vorgehen<br />

ermöglicht die schnelle Identifikation von Hotspots und Reduktionspotentialen<br />

sowie eine extrem fokussierte Datensammlung. Jeder<br />

Datenpunkt erhält zusätzlich einen Qualitätsscore, das schafft Transparenz<br />

bezüglich der vorhanden Datenqualität und -verfügbarkeit.<br />

Die Umsetzung der zunehmenden EU-Regulatorik ist effizient,<br />

die <strong>Beschaffung</strong> kann historische Einkäufe datenbasiert evaluieren,<br />

klimafreundliche Entscheidungen <strong>für</strong> die Zukunft treffen und relevante<br />

KPIs benchmarken.<br />

Mit dem Einkauf steht und fällt die Erreichung von unternehmerischen<br />

Klimaschutzzielen - keine einfache Aufgabe, doch mit den<br />

richtigen Tools können Einkäufer:innen diese Verantwortung aktiv<br />

gestalten.<br />

Autorin<br />

Varena Junge<br />

Geschäftsführerin Yook GmbH<br />

varena@yook.one<br />

https://www.linkedin.com/in/varena/<br />

www.yook.one<br />

Kleine Kniffe<br />

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Kleine_Kniffe_04_23_KMU.indd 39 30.03.23 13:43


Aus nationalen Kompetenzstellen der <strong>Beschaffung</strong><br />

Die Kreislaufwirtschaft<br />

in der <strong>nachhaltige</strong>n <strong>Beschaffung</strong> berücksichtigen<br />

Eine <strong>nachhaltige</strong> <strong>Beschaffung</strong> zielt darauf ab, Produkte und Dienstleistungen auf eine<br />

Art und Weise zu beschaffen, die sowohl ökonomische, soziale als auch ökologische<br />

Aspekte berücksichtigt. Ein Detailaspekt dabei ist die Berücksichtigung des Gedankens der<br />

Kreislaufwirtschaft.<br />

Ein Beitrag von Ralf Grosse<br />

<strong>Das</strong> Ziel der Kreislaufwirtschaft konkretisiert sich auf eine Art<br />

des Wirtschaftens, bei der Ressourcen effizient genutzt und Abfälle<br />

vermieden werden sollen (s.a. § 1 Kreislaufwirtschaftsgesetz).<br />

<strong>Das</strong> bedeutet, dass Produkte und Dienstleistungen durch die<br />

öffentliche Hand so ausgeschrieben<br />

werden sollten, dass<br />

sie repariert, wiederverwendet<br />

oder recycelt werden können,<br />

anstatt nach dem Gebrauch entsorgt<br />

zu werden. Diese Art der<br />

<strong>Beschaffung</strong> kann auch dazu<br />

beitragen, dass die Nachfrage<br />

nach Produkten, die Teil einer<br />

Kreislaufwirtschaft sind, steigt<br />

und Unternehmen motiviert<br />

werden können, ihre Produkte<br />

so zu gestalten, dass sie besser in<br />

den Kreislauf integriert werden.<br />

Um dieses Marktpotential<br />

zu nutzen und den negativen<br />

Auswirkungen auf die Umwelt entgegen zu wirken, hat sich die<br />

Stadt Ludwigsburg verpflichtet, die öffentliche <strong>Beschaffung</strong> an<br />

den C2C-Prinzipien auszurichten. In diesem Zusammenhang setzt<br />

die Stadt Ludwigsburg besonders auf die Zusammenarbeit mit<br />

Unternehmen, die geeignet sind, ökologisch <strong>nachhaltige</strong> und sozial<br />

verantwortliche Leistungen anzubieten.<br />

In der Praxis ist es leider oft schwer, Produkte zu finden, die<br />

diesen hohen Anforderungen entsprechen. Dennoch setzt die<br />

Stadt Ludwigsburg ihr <strong>Beschaffung</strong>svolumen ein, um vor allem die<br />

Entwicklung innovativer C2C-Produkte zu fördern. Deshalb wird<br />

der C2C-Ansatz konsequent bei <strong>Beschaffung</strong>en thematisiert und<br />

Unternehmen belohnt, die sich bereits auf den Weg in Richtung<br />

C2C gemacht haben.<br />

Bei der Förderung der Kreislaufwirtschaft<br />

können folgende Schritte<br />

helfen:<br />

1. Analyse der <strong>Beschaffung</strong><br />

Der öffentliche Auftraggeber<br />

sollte analysieren und prüfen,<br />

welche Produkte und Dienstleistungen<br />

beschafft werden und welche<br />

Auswirkungen dies auf die Umwelt<br />

hat. Im Raum steht auch die Frage,<br />

ob es zu den bisherigen Leistungen<br />

Alternativen gibt, oder ob die<br />

Anforderungen an die Leistungsfähigkeit<br />

noch aktuell sind oder auch verringert werden können.<br />

Weiterhin können beispielhaft Instrumente wie Ökobilanzen, Lebenszyklus<br />

-Analysen und Umweltverträglichkeitsprüfungen helfen.<br />

2. Festlegung von Nachhaltigkeitskriterien<br />

Auf Basis der Analyse sollten Nachhaltigkeitskriterien festgelegt<br />

werden, die in den <strong>Beschaffung</strong>sprozessen berücksichtigt werden<br />

sollen. Diese können neben anderen Nachhaltigkeitsaspekten auch<br />

40 Kleine Kniffe<br />

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Foto: depositphotos<br />

die Verwendung von recycelten Materialien, die Reparierbarkeit<br />

oder die Vermeidung von Abfall sein. Hilfreich kann es dabei sein,<br />

entsprechende Kriterien von Gütezeichen <strong>für</strong> bestimmte Produkte<br />

einzubeziehen.<br />

Zu berücksichtigen ist auch eine mögliche Weiterverwendung<br />

nach der Nutzung bei der öffentlichen Hand von noch brauchbaren<br />

Produkten, wie z.B. Möbel oder Informations- und Kommunikationstechnik.<br />

Gedanken hierzu sollten bereits vor der eigentlichen<br />

Ausschreibung mit einbezogen werden.<br />

3. Schulung von <strong>Beschaffung</strong>smitarbeitenden<br />

Die im <strong>Beschaffung</strong>sprozess tätigen Mitarbeitenden sollten über<br />

die Bedeutung der Nachhaltigkeitskriterien informiert und geschult<br />

werden, um diese bei der <strong>Beschaffung</strong> von Produkten und Dienstleistungen<br />

entsprechend berücksichtigen zu können. Dabei sollten auch<br />

Praxisbeispiele und vorhandene Unterstützungsmöglichkeiten den<br />

Schulungsteilnehmenden nähergebracht werden.<br />

Die Nichtregierungsorganisation Cradle to Cradle (C2C) hat<br />

einen neuen web-basierten Leitfaden <strong>für</strong> eine strategische <strong>Beschaffung</strong><br />

veröffentlicht. <strong>Das</strong> C2C-Konzept strebt eine Kreislaufwirtschaft<br />

an und adressiert dadurch die Problematik der Ressourcenverschwendung<br />

einer linearen Wirtschaft. Der Fokus liegt somit auf<br />

zirkulären, sozialen, ökologischen und innovativen Kriterien.<br />

Der Leitfaden soll insbesondere Akteurinnen und Akteuren der<br />

kommunalen <strong>Beschaffung</strong>spraxis weiterhelfen, indem Grundlagen<br />

von C2C <strong>für</strong> eine öffentliche Produktbeschaffung sowie Denkanstöße<br />

und Hilfestellungen gegeben werden. Ziel ist es, Wissen über<br />

das Konzept von C2C zu vermitteln. Dabei wird die Fähigkeit<br />

gefördert natürliche, technische und stoffliche Kreisläufe zu verstehen<br />

und entsprechend handeln zu können. Der Leitfaden ist auf<br />

folgender Webseite zu finden: https://c2c-beschaffung.org/<br />

Mit Schulungen und Informationen kann die Kompetenzstelle<br />

<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Beschaffung</strong> dienen. Rufen Sie uns an oder schreiben<br />

Sie uns. Die Kontaktdaten finden Sie auf der Homepage der KNB:<br />

www.<strong>nachhaltige</strong>-beschaffung.info.<br />

Weitere Informationen<br />

Über unsere Webseite www.<strong>nachhaltige</strong>-beschaffung.<br />

info finden Sie darüber hinaus noch weitere<br />

Informationen zum Thema <strong>nachhaltige</strong> öffentliche<br />

<strong>Beschaffung</strong>.<br />

Kompetenzstelle <strong>für</strong> Nachhaltige <strong>Beschaffung</strong> (KNB)<br />

Hotline: +49 (0)22899 610-2345<br />

Email: nachhaltigkeit@bescha.bund.de<br />

Autor<br />

Ralf Grosse<br />

Kompetenzstelle <strong>für</strong> Nachhaltige <strong>Beschaffung</strong> (KNB)<br />

Kleine Kniffe<br />

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Kleine_Kniffe_04_23_KMU.indd 41 30.03.23 13:43


Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz<br />

<strong>Das</strong> Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz<br />

als Chance<br />

Seit 1. Januar <strong>2023</strong> ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft – <strong>für</strong> eine ganzheitliche<br />

Neuausrichtung des Risikomanagements in globalen Lieferketten.<br />

Ein Beitrag von Anna Büttgen und Carolin Oala<br />

Wir leben in einer konsumgeprägten Welt, in der wir uns um<br />

Knappheit wenig Gedanken machen müssen. Trotzdem wurden in<br />

dieser krisengeprägten Zeit die Grenzen und Probleme des globalen<br />

Austauschs immer präsenter. Allein die Energie- und Gasengpässe<br />

sollten uns die Begrenztheit unserer Ressourcen und unseren leichtfertigen<br />

Umgang mit diesen wieder vor Augen führen.<br />

Daraus resultiert nicht nur die Verantwortung des Individuums,<br />

sondern vor allem die der Unternehmen, die mit ihrem Handeln<br />

großen Einfluss auf die von ihnen bereitgestellten Leistungen und<br />

deren Lebenswege haben. Mit dem Erlass des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes<br />

(LkSG), auch Lieferkettengesetz genannt, das am<br />

16. Juli 2021 im nationalen Recht verankert wurde, wurde das Übernehmen<br />

von Verantwortung zur Pflicht.<br />

Warum benötigen wir das LkSG?<br />

Nachdem immer mehr Menschenrechtsverletzungen und<br />

Umweltverschmutzungsskandale durch nationale oder ausgelagerte<br />

Produktionen bekannt wurden, bemüht man sich inzwischen, die<br />

Situation in den globalen Wertschöpfungsketten zu verbessern –<br />

immer mit Blick auf Menschenrechte, andere soziale Belange, den<br />

Umweltschutz und eine <strong>nachhaltige</strong> <strong>Beschaffung</strong>.<br />

Dennoch zeigt die Bilanz, dass wir mit dem LkSG erst am Anfang<br />

stehen. Denn laut Angaben des Bundesentwicklungsministeriums<br />

BMZ verrichteten im Dezember 2022 1,4 Milliarden Menschen<br />

Arbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen, davon befanden<br />

sich 28 Mio. Menschen in Zwangsarbeit und 160 Mio. Mädchen und<br />

Jungen waren weltweit von Kinderarbeit betroffen.<br />

Für wen gilt das LkSG?<br />

<strong>Das</strong> LkSG zieht ab 1. Januar <strong>2023</strong> Unternehmen <strong>für</strong> deren<br />

Einfluss auf die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten<br />

bezüglich der Wertschöpfungskette zur Rechenschaft.<br />

Dies gilt im Jahr <strong>2023</strong> <strong>für</strong> in Deutschland ansässige Unternehmen<br />

mit über 3.000 Beschäftigten. Ab 2024 wird das Gesetz <strong>für</strong> Unternehmen<br />

ab 1.000 Mitarbeitenden relevant und soll danach auf die<br />

Erweiterbarkeit des Anwendungsbereichs auf kleinere Unternehmen<br />

überprüft werden.<br />

Darüber hinaus sind auch jetzt schon kleinere Unternehmen in<br />

der Pflicht, sich mit ihren Auswirkungen auf die Umwelt und dem<br />

Einhalten der Menschenrechte auseinanderzusetzen, da die vom<br />

Gesetz betroffenen Unternehmen auch gewährleisten müssen, dass<br />

die direkten Zulieferer und Dienstleister die Standards erfüllen:<br />

Die direkten Akteure sollen ihrer Sorgfaltspflicht mittels Risikomanagement<br />

nachkommen und ihre Bewertungen in Risikoberichten<br />

dokumentieren.<br />

Darüber hinaus gelten die Sorgfaltspflichten auch bei mittelbaren<br />

Zulieferern. Dabei handelt es sich lediglich um anlassbezogene<br />

Risikobewertungen und Maßnahmen – die aber unverzüglich durchzuführen<br />

sind, sobald ein verpflichtetes Unternehmen Kenntnis von<br />

einem möglichen Verstoß erlangt.<br />

Was ist eine Lieferkette und welche<br />

Verpflichtungen ergeben sich aus dem LkSG?<br />

Eine Lieferkette im Sinne des Gesetzes nach §2 (5) LkSG „(…)<br />

bezieht sich auf alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens.<br />

Sie umfasst alle Schritte im In- und Ausland, die zur<br />

Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen<br />

erforderlich sind (…).“<br />

42 Kleine Kniffe<br />

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Grafik: Mazars GmbH & Co. KG<br />

Mit dem LkSG wird somit noch einmal ersichtlich, dass Unternehmen<br />

zwar ihre Produktion und <strong>Beschaffung</strong> verlagern können,<br />

nicht aber ihre Verantwortung. Um dieser gerecht zu werden,<br />

verlangt das Gesetz neben der Risikoanalyse bezüglich der negativen<br />

Auswirkungen und Pflichtverletzungen durch unmittelbare<br />

Zulieferer auch Präventions- und Abhilfemaßnahmen, die im Risikomanagement<br />

zu verankern sind.<br />

Die „angemessene“ Reaktion auf Pflichtverletzungen und Risiken<br />

ist dabei abhängig von Art und Umfang der Tätigkeit des Unternehmens,<br />

dem Einflussvermögen auf die Situation, der potenziellen<br />

Schwere und Irreversibilität sowie der Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

und dem eigenen Verursachungsbeitrag. Die Abhilfemaßnahmen<br />

sollen jedoch zwingend zur Beendigung des Verstoßes führen.<br />

Sollte dies in absehbarer Zeit nicht möglich sein, müssen Aktionen<br />

zur Minimierung und Vermeidung der Auswirkungen ergriffen und<br />

über eine Beendigung der Geschäftsbeziehung entschieden werden.<br />

Darüber hinaus müssen sich die Unternehmen zur Achtung<br />

der Menschenrechte verpflichten, einen Beschwerdemechanismus<br />

etablieren und ihre Handlungen transparent in Berichten veröffentlichen.<br />

Zu berücksichtigende umweltbezogene Risiken:<br />

• Verarbeitung von Quecksilber<br />

• Verwendung persistenter organischer Schadstoffe<br />

• Nicht umweltgerechter Umgang mit Abfällen und deren<br />

Entsorgung in Drittstaaten<br />

Ausblick<br />

Die Verpflichtung, die unternehmerischen Nachhaltigkeitsrisiken<br />

der Lieferketten zu betrachten, ist ein guter Schritt – aber<br />

nur ein Anfang. Auch kleinere Unternehmen werden in Zukunft<br />

stärker in die Verantwortung genommen, sei es durch die Anfrage<br />

der belieferten Unternehmen, durch Anpassungen des LkSG oder<br />

die Umsetzung des noch ausstehenden EU-Lieferkettengesetzes,<br />

das noch einmal deutlich über die Anforderungen des LkSG hinausgehen<br />

und schätzungsweise 9.400 Unternehmen zur Umsetzung<br />

verpflichten soll. Es ist wichtig, dass Lieferantenmanagement und<br />

Risikobetrachtungen in der Lieferkette schon jetzt fester Bestandteil<br />

in bestehenden Managementsystemen jedes Unternehmens werden<br />

– nicht nur, um die Sorgfaltspflichten umzusetzen, sondern auch und<br />

vor allem als Beitrag <strong>für</strong> eine <strong>nachhaltige</strong>re Wertschöpfung.<br />

Zu berücksichtigende Menschenrechte:<br />

• Unversehrtheit von Leben und Gesundheit<br />

• Freiheit von Sklaverei und Zwangsarbeit<br />

• Schutz von Kindern und Freiheit von Kinderarbeit<br />

• Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen<br />

• Schutz vor Folter<br />

• Gerechte Arbeitsbedingungen (Arbeitsschutz, Pausen)<br />

• Umweltbezogene Pflichten zum Schutz der menschlichen<br />

Gesundheit<br />

Autorinnen<br />

Anna Büttgen und Carolin Oala<br />

Produktmanagement Nachhaltigkeit,<br />

GUTcert GmbH<br />

www.gut-cert.de<br />

Kleine Kniffe<br />

43<br />

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Startups als Innovationstreiber<br />

Nachhaltigkeitsmanagement in Lieferketten<br />

geht über die Kohlenstoffbilanzierung hinaus<br />

Regulatorische Änderungen, einschließlich der neuesten Richtlinie zur<br />

Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive - CSRD),<br />

machen es <strong>für</strong> Unternehmen immer dringlicher, ihre Nachhaltigkeit in den Bereichen Umwelt,<br />

Gesellschaft und Unternehmensführung zu verbessern. In diesem Zusammenhang erweist sich<br />

das Aufkommen innovativer Softwarelösungen als ein Wendepunkt <strong>für</strong> Unternehmen, die ihre<br />

Nachhaltigkeitspraktiken verbessern müssen, aber nicht wissen, wo sie anfangen sollen.<br />

Ein Beitrag von Thaïs de Tribolet<br />

Neue Gesetze erhöhen die Dringlichkeit zu<br />

handeln<br />

Die CSRD, deren Vorschlag vom Europäischen Parlament im<br />

November 2022 angenommen wurde, verpflichtet Unternehmen<br />

zur Erstellung und Offenlegung einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie.<br />

<strong>Das</strong> Gesetz sieht vor, dass Unternehmen eine doppelte<br />

Materialitätsprüfung durchführen müssen, um die relevanten<br />

ESG-Themen <strong>für</strong> ihr Unternehmen zu ermitteln. Sie müssen die<br />

entsprechenden ESG-KPIs wie Treibhausgasemissionen und<br />

Abfallaufkommen, aber auch Kennzahlen zu Diversity und Equity<br />

wie das unbereinigte geschlechtsspezifische Lohngefälle offenlegen.<br />

Die Unternehmen müssen darüber hinaus auch Verbesserungsziele<br />

angeben und Aktionspläne zur Erreichung dieser Ziele aufstellen.<br />

Mit diesen Anforderungen erhöht die CSRD die Dringlichkeit <strong>für</strong><br />

Unternehmen, einen ganzheitlichen Ansatz <strong>für</strong> das Nachhaltigkeitsmanagement<br />

zu entwickeln, das auf praktischen Maßnahmen basiert.<br />

Die Lieferketten sind entscheidend, wenn es um die Nachhaltigkeit<br />

eines Unternehmens geht. Doch trotz der Bereitschaft der<br />

<strong>Beschaffung</strong>steams, ihre Organisationen bei der Einführung <strong>nachhaltige</strong>rer<br />

Praktiken zu unterstützen, besteht die Herausforderung<br />

darin, dass es ihnen an Ressourcen und Instrumenten fehlt, um die<br />

Mehrheit ihrer Lieferanten effektiv einzubinden.<br />

ROSE - eine Software zur Unterstützung von<br />

Unternehmen bei der Verbesserung ihrer<br />

Nachhaltigkeitsleistung<br />

Bereits vor der neuen Verordnung erkannten viele Unternehmen<br />

die Notwendigkeit, mehr zu tun und ihre Nachhaltigkeitsleistung<br />

zu verbessern, wussten aber nicht, wo sie beginnen sollten. ROSE<br />

basiert auf einer Initiative der Universität St. Gallen, die darauf<br />

abzielte, einen praktischen Rahmen <strong>für</strong> die Messung und Verfolgung<br />

der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen zu entwickeln.<br />

In den letzten drei Jahren hat ROSE mit über 40 Unternehmen an<br />

deren Nachhaltigkeitsstrategie und -umsetzungsplan gearbeitet<br />

und eine Softwarelösung <strong>für</strong> die effektive Verwaltung eines Nachhaltigkeitsmanagements<br />

entwickelt. Heute unterstützt die ROSE<br />

Software Unternehmen dabei, ihre Ausgangssituation zu ermitteln,<br />

verbesserungswürdige Bereiche zu identifizieren, Aktionspläne zu<br />

entwickeln und den Fortschritt über mehrere Jahre in verschiedenen<br />

ESG-Bereichen zu verfolgen.<br />

Datenerfassung als Grundlage <strong>für</strong> den<br />

Nachhaltigkeitsfahrplan des Unternehmens<br />

Die CSRD versteht die Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens<br />

als die Summe einer Vielzahl von <strong>nachhaltige</strong>n Praktiken und<br />

quantitativen Indikatorent. ROSE sammelt Daten aus verschiedenen<br />

Quellen, wie z. B. Lieferantenbefragungen, ERP-Systemen und Zertifizierungssystemen,<br />

um einen umfassenden Überblick über die<br />

Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens zu geben.<br />

So ergibt sich beispielsweise die Leistung eines Unternehmens<br />

in Bezug auf Vielfalt und Chancengleichheit aus seinen Einstellungspraktiken<br />

(Überprüfung von Blindbewerbern, gezielte Auswahl von<br />

Bewerbern mit unterschiedlichem Hintergrund, geschlechtsspezifisch<br />

ausgewogenes Einstellungsteam usw.) und aus Zahlen zur<br />

aktuellen Vielfalt im Unternehmen, wie z. B. dem Verhältnis<br />

zwischen den Geschlechtern im Team, in der Geschäftsführung<br />

und im Vorstand, oder dem geschlechtsspezifischen Lohngefälle.<br />

44 Kleine Kniffe<br />

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Diese Daten werden dann verwendet, um Empfehlungen auszusprechen,<br />

Prioritäten <strong>für</strong> Nachhaltigkeitsinitiativen zu setzen und die<br />

Fortschritte im Laufe der Zeit zu verfolgen.<br />

Erreichung der Nachhaltigkjeitsambitionen<br />

durch die gezielte Einbindung von Lieferanten<br />

Die <strong>Beschaffung</strong> ist in einer einzigartigen Position, um Nachhaltigkeitsbemühungen<br />

zu unterstützen, da sie die Lieferkette eines<br />

Unternehmens beeinflussen kann. Leider fehlen der <strong>Beschaffung</strong><br />

oft die Ressourcen, um mehr als nur die wichtigsten Lieferanten<br />

aktiv einzubinden, und die Instrumente, um Initiativen effizient<br />

zu verwalten und zu überwachen. Dadurch verringert sich der<br />

Gesamteinfluss, den die <strong>Beschaffung</strong> erzielen kann.<br />

• Minimierung von Risiken in Bezug auf Nachhaltigkeit: Poten<br />

zielle Risiken können auf der Plattform aufgedeckt werden.<br />

<strong>Beschaffung</strong>steams können Nachhaltigkeitsrisiken identifi<br />

zieren, Maßnahmen ergreifen und die Verbesserungen in den<br />

relevanten Bereichen verfolgen.<br />

Nachhaltigkeit ist ein entscheidender Faktor <strong>für</strong> den Unternehmenserfolg.<br />

Unternehmen, die diesem Thema in ihrer Lieferkette<br />

priorisieren, werden in den kommenden Jahren besser aufgestellt<br />

sein, um langfristig erfolgreich zu sein. Durch die Nutzung von<br />

ROSE zur Einbindung der Lieferkette kann die <strong>Beschaffung</strong> aktiv<br />

zum langfristigen Erfolg des Unternehmens beitragen und gleichzeitig<br />

den Planeten schützen und die Gesellschaft im Allgemeinen<br />

unterstützen.<br />

Die ROSE Software wurde entwickelt, um Unternehmen aller<br />

Branchen und Größen mit Lieferketten von bis zu 500 Lieferanten<br />

zu unterstützen. ROSE ermöglicht der <strong>Beschaffung</strong> insbesondere die:<br />

• Einbindung einer breiteren Palette von Lieferanten: ROSE<br />

minimiert manuelle Prozesse und macht die Einbindung<br />

von Lieferanten skalierbar, wo die manuelle Verwaltung einer<br />

großen Lieferantenbasis nicht möglich war.<br />

• Lückenlose Verwaltung und Nachverfolgung: <strong>Das</strong>hboards<br />

bieten einen schnellen Einblick in die Nachhaltigkeitsleistung<br />

der Lieferantenbasis. <strong>Das</strong> <strong>Beschaffung</strong>swesen kann die<br />

Fortschritte bestimmter Lieferanten leicht erfassen und verfol<br />

gen.<br />

Autorin<br />

Thaïs de Tribolet<br />

Co-Founder & CEO<br />

ROSE Framework<br />

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Initiativen der <strong>nachhaltige</strong>n <strong>Beschaffung</strong><br />

Sustainable Procurement Pledge (SPP) Germany<br />

2019 entstand die Idee, eine weltweite Grass-Roots-Initiative <strong>für</strong> <strong>Beschaffung</strong>sfachleute ins Leben zu<br />

rufen. Thomas Udesen (Bayer) und Bertrand Conquéret (Henkel) als Co-Founder waren sich der enormen<br />

Einflussmöglichkeiten des Einkaufs auf Nachhaltigkeitsaspekte bewusst und entwickelten die Initiative<br />

Sustainable Procurement Pledge (SPP) als eine globale Nachhaltigkeitsinitiative <strong>für</strong> Einkäufer.<br />

Ein Beitrag von Thomas Heine und Peter Köhne<br />

Nachhaltigkeit im Einkauf: hohe Einflusskraft<br />

Die Bedeutung des Einkaufs in Hinblick auf die Nachhaltigkeitsstrategie<br />

eines Unternehmens nimmt deutlich zu.<br />

Regierungen auf der ganzen Welt investieren jährlich mehr als 13<br />

Billionen US-Dollar in Verträge über Waren, Dienstleistungen<br />

und öffentliche Arbeiten und die 9.000 Mitgliedsunternehmen im<br />

Bundesverband <strong>für</strong> Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V.<br />

(BME e.V.) repräsentieren ein <strong>Beschaffung</strong>svolumen von 1,25 Billionen<br />

EUR. Diese Zahlen verdeutlichen, wie viel Einflusskraft der<br />

Einkauf hat.<br />

Nachhaltige <strong>Beschaffung</strong>: Idee des Sustainable<br />

Procurement Pledge (SPP)<br />

SPP sieht das <strong>Beschaffung</strong>swesen weltweit als große Chance. Die<br />

Wirkung, die durch einen <strong>nachhaltige</strong>n Einkauf erzielt werden kann,<br />

führt nicht nur zu einem Mehrwert <strong>für</strong> die jeweiligen Arbeitgeber<br />

und Umfelder, sondern auch zur positiven Weiterentwicklung der<br />

Lieferketten.<br />

Nachhaltige <strong>Beschaffung</strong>: Ziele des<br />

Sustainable Procurement Pledge (SPP)<br />

Die Aktivitäten des SPP konzentrieren sich auf die Menschen,<br />

die im Einkauf arbeiten, diejenigen, die in Gesprächen und Verhandlungen<br />

mit Lieferanten und Supply Chain Partnern zusammentreffen<br />

und genau dann die Möglichkeit haben, Nachhaltigkeitsthemen<br />

anzusprechen und zu diskutieren. Ein Kerngedanke bei SPP ist:<br />

Impact starts with “I”. Jeder einzelne hat die Möglichkeit, etwas zu<br />

verändern und einen Wertbeitrag <strong>für</strong> Mensch und Umwelt zu leisten.<br />

Am Anfang stehen häufig diese Fragen: Wie kann ich etwas<br />

verändern? Wo fange ich an? Worauf muss ich achten? Und was<br />

kann ich besser machen?<br />

Aufbau von Wissen und<br />

Unterstützungsmöglichkeiten <strong>für</strong> den Einkauf<br />

SPP hat zwei wesentliche Wirkungsstränge definiert:<br />

• Der erste richtet sich an den Aufbau von Wissen und<br />

die Befähigung, Nachhaltigkeit in Einkaufsentscheidungen<br />

einzubeziehen („Empower and Equip”).<br />

• Im zweiten Wirkungsstrang geht es um die Führungsauf<br />

gaben und den Anspruch, die mit dem Wandel einhergehen<br />

(„Leadership”).<br />

Alle Angebote unter: https://spp.earth/challenges/<br />

Im Bereich „Empower & Equip” bietet SPP Ressourcen zur<br />

Vermittlung von Skills, Wissen und Tools an, um Veränderungen<br />

voranzutreiben. Es gibt eine Vielzahl an wertvollen Informationen,<br />

Whitepaper, Guidelines, Best Practice-Beispielen, Lernangeboten<br />

und Videos, die dabei unterstützen, Wissen in bestimmten Themenbereichen<br />

aufzubauen.<br />

Im Leadership-Bereich geht es vor allem um die Ermutigung,<br />

den Wandel anzustoßen und voranzutreiben. Führung hat in diesem<br />

Sinne keine hierarchische Dimension, sondern einen Anspruch an die<br />

Person, Dinge verändern zu wollen. Wie in jedem Change-Prozess<br />

46 Kleine Kniffe<br />

Kleine_Kniffe_04_23_KMU.indd 46 30.03.23 13:43


Foto: Co Chair SPP Germany: Thomas heine, Peter Köhne<br />

lässt sich das nur im Zusammenspiel von Top-Down- und Bottom-Up-Bewegung<br />

bewerkstelligen. Hierzu bedarf es der richtigen<br />

Haltung, der richtigen Stoßrichtung und der richtigen Botschaften.<br />

„Stammtisch <strong>für</strong> <strong>Beschaffung</strong>sprofis“: SPP<br />

Chapter Germany<br />

In Deutschland gibt es bereits viele Akteure, die sich <strong>für</strong> eine<br />

nachhaltig orientierte Wirtschaft und <strong>für</strong> die Umsetzung der Sustainable<br />

Development Goals (SDGs) engagieren. Initiativen zur<br />

<strong>nachhaltige</strong>n <strong>Beschaffung</strong> sind jedoch rar.<br />

Thoma Heine, Herausgeber des <strong>Magazin</strong>s <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Beschaffung</strong><br />

und Peter Köhne, Chief Procurement Officer bei Steira<br />

haben als Co-Chairs SPP Chapter Germany die Verantwortung <strong>für</strong><br />

den Aufbau und die Weiterentwicklung von SPP in Deutschland<br />

übernommen. SPP Germany ist die Verkörperung eines „Stammtischs<br />

<strong>für</strong> <strong>Beschaffung</strong>sprofis“. Es geht um gegenseitige Unterstützung, um<br />

Austausch von Wissen und guten Praxisbeispielen und um Inspirationen,<br />

die es ermöglichen voneinander und miteinander zu lernen,<br />

um den Wandel voranzutreiben.<br />

Mehr Informationen:<br />

SPP Germany auf LinkedIn:<br />

https: /www.linkedin.com/groups/12700757/<br />

Kling dich ein bei SPP-Germany<br />

Du glaubst, dass <strong>nachhaltige</strong>s Handeln unumgänglich ist, liebst<br />

es, Ziele leidenschaftlich in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten<br />

zu verwirklichen und liebst das Leuchten in den Augen, wenn Menschen<br />

Ziele erreichen? Dann schließe dich uns an und bringe dich mit<br />

all deinem Wissen und deinen Erfahrungen ein.<br />

SPP ist international aufgestellt mit sieben Länder-Gruppen,<br />

drei Industriebranchen orientierten Gruppen und vier themenorientierten<br />

Gruppen. Wir sind die einzige international orientierte<br />

Plattform der <strong>nachhaltige</strong>n <strong>Beschaffung</strong> in Deutschland und stützen<br />

uns auf dieses internationale Netzwerk von engagierten Menschen,<br />

die der <strong>nachhaltige</strong>n <strong>Beschaffung</strong> eine Schlüsselrolle <strong>für</strong> eine enkelsichere<br />

Zukunft auf unserem Planeten zuschreiben.<br />

Wir sind eine Botton-Up-Initiative und von niemandem gesteuert.<br />

Uns eint die Überzeugung, dass es ohne Nachhaltigkeit keine<br />

Zukunft geben wird. Wir leben vom Wissen, den Erfahrungen und<br />

dem Engagement unserer Botschafter. Um dieses zu multiplizieren<br />

und zu kommunizieren entwickeln Thomas Heine und Peter Köhne<br />

als SPP Germany Co-Chair Plattformen des Erfahrungsaustausches,<br />

der Präsentation und der Reflexion.<br />

Nutze diese Plattformen und mach dein Wissen und deine<br />

Erfahrungen <strong>für</strong> andere fruchtbar. Sei es als Teilnehmer auf einem<br />

Messepanel, als Interview-Partner in einem Webinar, als Buchautor<br />

oder als Teilnehmer auf einem unserer Events. Wir geben deinem<br />

Wissen eine Bühne.<br />

Kleine Kniffe<br />

47<br />

Kleine_Kniffe_04_23_KMU.indd 47 30.03.23 13:43


Circular Economy in der Papierproduktion<br />

Ein kleiner Schritt als Umdenker,<br />

ein großer <strong>für</strong> die Nachhaltigkeit<br />

Es gibt viele Ideen und Konzepte, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Es sind aber nicht<br />

nur die großen politischen Entscheidungen. Vor allem ist es das Handeln eines jeden Individuums –<br />

jede und jeder kann und sollte seinen Beitrag leisten. Und der erste Schritt zu mehr Nachhaltigkeit<br />

ist nun einmal das Umdenken. Und so effektiv gestaltet sich der Umstieg mit ReThinkingPaper.<br />

Ein Beitrag von Veronika Warmers<br />

Nachhaltigkeit ist das Buzzword unserer Zeit. Mobilität, Konsum<br />

und Ernährung – diese und andere Lebensaspekte werden schon im<br />

Kleinen angepasst. Unternehmen setzen sich jetzt vermehrt auch mit<br />

entsprechenden Fragestellungen zu mehr Nachhaltigkeit auseinander.<br />

Sie suchen neue Wege und denken in vielerlei Hinsicht um. Aber<br />

was bedeutet das, wenn man auf Recyclingpapier umsteigt?<br />

Vieles spricht <strong>für</strong> Recyclingpapier<br />

Die aktuelle Ökobilanzstudie des Umweltbundesamtes liefert<br />

eben jene Einblicke, wie sich die Einsparpotenziale von Recyclingpapier<br />

gegenüber Frischfaserpapier verhalten: Einsparungen von 78<br />

Prozent Wasser, 68 Prozent Energie und 15 Prozent CO 2<br />

equ.-Emissionen<br />

bei der Herstellung– das haben Studien des Umweltbundesamts<br />

ergeben und sie machen deutlich, dass Recyclingpapiere hinsichtlich<br />

klar definierter Parameter besser abschneiden als jedes Frischfaserpapier.<br />

Aber woran liegt das? Die Vorteile liegen schon im Prinzip<br />

der Kreislaufwirtschaft. <strong>Das</strong> fängt bei der Materialbeschaffung an,<br />

betrifft Produktionsprozesse und endet bei der Bereitstellung des<br />

Papiers am Werksausgang.<br />

Kreisläufe als Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit<br />

Tatsächlich zeigt sich, dass die Verwendung von 100 Prozent Altpapier<br />

als Rohstoff, nahezu geschlossene Kreisläufe und intelligente<br />

Prozessführungen zu signifikanten Einsparungen und damit zur<br />

Vermeidung von Umweltbelastungen führen. Eine zukunftsorientierte<br />

Wirtschaft – gleich ob aus der Perspektive des Unternehmens<br />

oder der Kundinnen und Kunden – richtet das Augenmerk auf den<br />

Aspekt einer langfristigen Ressourcensicherung. Durch die Herstellung<br />

<strong>nachhaltige</strong>r und besonders zukunftsfähiger Produkte liefert<br />

Steinbeis Papier einen relevanten Beitrag zum Umwelt-, Klima- und<br />

Ressourcenschutz – und <strong>für</strong> Verbraucherinnen und Verbraucher<br />

einen individuellen Beitrag zur Erreichung der nationalen und internationalen<br />

Klimaschutzziele.<br />

Einsparpotenziale ReThinkingPaper von Steinbeis<br />

Papier am Beispiel von 500 Blatt DIN A4<br />

Und das bringt die Umstellung auf<br />

Recyclingpapier<br />

In modernen Arbeitsumfeldern gibt es so manche Stellschraube,<br />

um nachhaltig agieren zu können. Sei es bei Energie- und Wassereinsparungen<br />

oder bei der Wahl des richtigen Büromaterials, um<br />

Ressourcen zu schonen und die CO₂-Bilanz zu verbessern. Und der<br />

Anfang wird schon beim Einsatz des richtigen Büropapiers gemacht:<br />

Mit der Umstellung auf ReThinkingPaper sparen Kundinnen und<br />

Kunden im Vergleich zu herkömmlichem Papier 100 Prozent<br />

Holz, 73 Prozent Energie, 79 Prozent Wasser und 42 Prozent CO₂<br />

equ.-Emissionen. Die Zertifizierungen der Recyclingpapiere von<br />

Steinbeis Papier mit dem Blauen Engel und dem EU Ecolabel untermauern<br />

die <strong>nachhaltige</strong> Innovationskraft von ReThinkingPaper.<br />

48 Kleine Kniffe<br />

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Übersicht im Zeichen-Dschungel<br />

Recherche-Tool „Umweltzeichen Kompakt“<br />

Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) hat in Kooperation mit dem Institut<br />

<strong>für</strong> ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) den Online Gütezeichen-Finder „Umweltzeichen<br />

Kompakt“ veröffentlicht – eine Orientierungshilfe <strong>für</strong> den umweltfreundlichen Einkauf<br />

von Produkten und Dienstleistungen mit nachwachsenden Rohstoffen. Datenbank gibt<br />

Orientierungshilfe bei der <strong>Beschaffung</strong> von <strong>nachhaltige</strong>n biobasierten Produkten<br />

Umweltzeichen Kompakt“ listet Gütezeichen zu verschiedensten<br />

Warengruppen, die zum einen in ihrem Kriterienkatalog<br />

nachwachsende Rohstoffe berücksichtigen und zum anderen die<br />

gesetzlichen Bedingungen <strong>für</strong> die Verwendung bei öffentlichen<br />

Ausschreibungen erfüllen. Sie können damit als Qualitätsnachweis,<br />

z. B. <strong>für</strong> gewünschte Umweltstandards, eingesetzt werden.<br />

<strong>Das</strong> Recherche-Tool ist vornehmlich ein Angebot <strong>für</strong> Mitarbeitende<br />

in Behörden und öffentlichen Einrichtungen, richtet sich<br />

aber auch an Endverbraucherinnen und Verbraucher und alle am<br />

umweltfreundlichen Einkauf Interessierte.<br />

Erzeugnisse aus nachwachsenden Rohstoffen sind damit neben<br />

anderen kreislauffähigen Materialien ein entscheidender Faktor <strong>für</strong><br />

das Gelingen einer klimaneutralen Wirtschaft. Biobasierte Produkte<br />

speichern CO 2<br />

, solange sie sich im Nutzungskreislauf befinden.<br />

Selbst bei einer thermischen Verwertung bleiben sie weitgehend<br />

klimaneutral, weil biobasierte Materialien dabei im Wesentlichen<br />

nur die Menge an CO 2<br />

freisetzen, die zuvor von den verarbeiteten<br />

nachwachsenden Rohstoff-Pflanzen beim Wachstum gebunden<br />

wurde. Die Welt der nachwachsenden Rohstoffe ist äußerst vielfältig<br />

und sie werden zu unterschiedlichsten Materialien und Endprodukten<br />

weiterverarbeitet. <strong>Das</strong> Innovationspotenzial ist enorm und jeder<br />

Einkauf treibt die Entwicklung weiter voran.<br />

Weitere Informationen:<br />

https://<strong>nachhaltige</strong>-beschaffung.fnr.de/guetezeichen-finder<br />

Kleine Kniffe<br />

49<br />

Kleine_Kniffe_04_23_KMU.indd 49 30.03.23 13:43


Impulse <strong>für</strong> einen <strong>nachhaltige</strong>n Konsum<br />

Mehrwegallianz statt Wegwerfware<br />

Mit rund 303.000 Euro unterstützt die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) ein Vorhaben, das die<br />

Weichen <strong>für</strong> eine Wiederverwendung von Verpackungen und Behältern stellen und künftig die Riesen-<br />

Müllberge von Einwegprodukten verhindern soll.<br />

Modell <strong>für</strong> Abfallvermeidung und<br />

Ressourcenschonung<br />

<strong>Das</strong> Projekt unter dem Titel „ mehrweg.einfach.machen“ liegt<br />

in der Federführung des Berliner Sozialunternehmens „ ProjectTogether“;<br />

als Kooperationspartner sind der Mehrwegverband<br />

Deutschland sowie die Umweltorganisation WWF beteiligt.<br />

Bonde: „Mit allen zusammen wollen wir eine Mehrwegallianz<br />

schmieden. <strong>Das</strong> kann bundesweit zu einem innovativen Modell<br />

<strong>für</strong> Abfallvermeidung und Ressourcenschonung werden.“ <strong>Das</strong><br />

Bundesumweltministerium hat angekündigt, <strong>für</strong> die im Aufbau<br />

befindliche Allianz die Schirmherrschaft zu übernehmen.<br />

Flächendeckende Strategie statt Insellösungen<br />

Zwar existieren in Deutschland bereits Mehrwegsysteme etwa<br />

<strong>für</strong> Getränke, Milchprodukte oder Transportkisten. Doch parallel<br />

dazu entwickeln Anbieter <strong>für</strong> andere Erzeugnisse wie Öle, Kosmetik,<br />

Trockenware oder Produkte aus dem To-Go-Bereich zusätzliche<br />

Wiederverwertungs-Modelle - allerdings vornehmlich als Insellösungen<br />

und nicht untereinander koordiniert. „Kurzum: Es fehlt an<br />

einer effizienten, flächendeckenden Strategie“, so DBU-Generalsekretär<br />

Bonde. Dieses Dilemma will die Mehrwegallianz ausräumen:<br />

Es sollen Mechanismen geschaffen werden, um die Mehrwegsysteme<br />

aufeinander abzustimmen - zum Beispiel also Rückhol- und Spüllogistik<br />

zu koordinieren.<br />

Ebenfalls eine Aufgabe: Verständnis bei Verbraucherinnen und<br />

Verbrauchern <strong>für</strong> ein Umsteuern zu wecken. Bonde: „Da sind wir<br />

alle gefordert. Dann kann ein Umschwung zu Mehrweg gelingen.“<br />

Der DBU-Generalsekretär ist in dieser Hinsicht aber sehr optimistisch.<br />

Denn das Konsortium der Projektbeteiligten stützt sich auf<br />

ein umfassendes Netzwerk mit großer Expertise. Mit dabei sind<br />

etwa neben Unternehmen und Startups, die Mehrweginnovationen<br />

anbieten, auch sogenannte Letztvertreibende mit direktem Kundenkontakt<br />

- darunter Gastronomie, Lebensmittelhandel, Lieferservice.<br />

Eingebunden sind überdies Spülanbieter, Logistik- und Recyclingfirmen<br />

sowie Verbände, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft.<br />

Dieses breite Bündnis startet ab <strong>April</strong> mit seiner Arbeit. In einer<br />

ersten Phase bis Ende <strong>2023</strong> stehen Entwicklung und Umsetzung im<br />

Vordergrund, im nächsten Jahr geht es insbesondere um die Frage,<br />

wie die Abläufe gemessen und skaliert werden können.<br />

Verbrauch von 2,8 Milliarden Einmalbechern <strong>für</strong><br />

Heißgetränke pro Jahr in Deutschland<br />

Wie notwendig die Abkehr von der Einweg- und Wegwerf-Kultur<br />

ist, offenbart ein Blick in die Statistik, nur bezogen auf<br />

Einwegbecher: Laut Umweltbundesamt (UBA) werden jährlich rund<br />

2,8 Milliarden Einmalbecher <strong>für</strong> Heißgetränke verbraucht - allein<br />

in Deutschland. Bonde: „<strong>Das</strong> sind 5.300 Becher pro Minute.“ Die<br />

Folgen sind gravierend: Hinter den Ziffern verbergen sich 111.000<br />

Tonnen Ausstoß klimaschädliches Kohlenstoffdioxid CO 2<br />

, 43.000<br />

gefällte Bäume, 40.000 Tonnen Abfall und 1,5 Milliarden Liter<br />

Wasserverbrauch. Auf Bundesebene sind oder werden bereits per<br />

Gesetz die Weichen gestellt, um diese Auswirkungen zu minimieren:<br />

Seit Januar dieses Jahres gilt die im Verpackungsgesetz verankerte<br />

Mehrwegangebotspflicht <strong>für</strong> Restaurants, Bistros, Supermärkte,<br />

Tankstellen, Kantinen und Catering. Und schon ab Herbst <strong>2023</strong><br />

müssen sich Hersteller auf eine verpflichtende Abgabe auf Einwegplastik<br />

wie Getränkebecher und -behälter, kunststoffhaltige Filter in<br />

Tabakwaren sowie To-Go-Produkte einstellen. Ab 2027 sind auch<br />

Produzenten von Feuerwerkskörpern mit kunststoffhaltigen Teilen<br />

betroffen.<br />

50 Kleine Kniffe<br />

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IPCC - Weltklimarat<br />

6. IPCC-Sachstandsbericht<br />

Der Weltklimarat hat seinen Abschlussbericht vorgelegt und verschärft darin seine Warnungen.<br />

Die Staatengemeinschaft müsse jetzt handeln, um die Schäden durch den Klimawandel zu<br />

begrenzen. Aber wir sehen, dass die Maßnahmen nicht ausreichen, um diese Ziele auch zu<br />

erreichen. Da klafft eine deutliche Lücke - und die Lücke wird größer. Wir sind momentan mit dem,<br />

was auf dem Tisch liegt - an Klimazielen, auch an Politik - auf dem Weg, dass wir diese 1,5 Grad<br />

reißen werden, dass wir es nicht schaffen werden.<br />

Weitere Informationen:<br />

https://www.ipcc.ch/report/sixth-assessment-report-cycle/<br />

Kleine Kniffe<br />

51<br />

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Innovationen durch Start-ups<br />

Innovation in der Verwaltung.<br />

Dynamik in der <strong>Beschaffung</strong>. Mehr Nachhaltigkeit.<br />

Innovative Lösungen und Technologien sind aus vielen Bereichen unseres Lebens nicht mehr<br />

wegzudenken. Ein intaktes Innovationsökosystem ist ein wichtiger Bestandteil <strong>für</strong> den Austausch<br />

und <strong>für</strong> die Digitalisierung der öffentlichen Hand. Und <strong>für</strong> mehr Nachhaltigkeit. Dennoch ist die<br />

öffentliche Verwaltung zögerlich, wenn es um die Nutzung von neuen Produkten geht. <strong>Das</strong> ist<br />

schwer vorzustellen, denn der GovTech-Markt gilt mit einem geschätzten Marktwert von ca. 390<br />

Milliarden Euro als weltweit größter Technologiesektor.<br />

Ein Beitrag von Deborah Paluch und Jana Janze<br />

„Deutschland soll führender<br />

Start-up-Standort in<br />

Europa werden.“ So steht es<br />

im Koalitionsvertrag von 2020.<br />

Dennoch landet Deutschland im<br />

DESI-Ranking, dem europäischen<br />

Vergleich der digitalen Wirtschaft<br />

und Gesellschaft, im Jahr 2022 auf<br />

Platz 13. Wir müssen die Digitalisierung<br />

in Deutschland vorantreiben,<br />

um zukunftsfähig zu sein.<br />

Die Digitalisierung, insbesondere<br />

die digitale Transformation<br />

der öffentlichen Hand, verfolgt<br />

keinen Selbstzweck. Sie dient einer<br />

umfassenden gesellschaftlichen<br />

Verbesserung. Neue Schlüsseltechnologien<br />

sollen in Deutschland<br />

entwickelt und <strong>für</strong> Organisationen<br />

nutzbar gemacht werden. Gov-<br />

Tech-Start-ups können durch<br />

ihre Dynamik einen wesentlichen<br />

Beitrag leisten, die Verwaltung<br />

und den Staat zu modernisieren.<br />

Der Einsatz ihrer Lösungen zu<br />

Fragen rund um Datenanalysen,<br />

Prozessautomatisierungen oder <strong>für</strong> die Zusammenarbeit und moderne<br />

Kommunikation, sind wesentliche Faktoren. Allerdings ist das<br />

oft leichter gesagt als getan: <strong>Das</strong> Vergaberecht im öffentlichen Sektor<br />

Kernthesen des Beitrags<br />

Die digitale Transformation der öffentlichen Hand verfolgt<br />

keinen Selbstzweck. Sie dient einer umfassenden gesellschaftlichen<br />

Verbesserung. Neue Schlüsseltechnologien sollen in Deutschland<br />

entwickelt und <strong>für</strong> Organisationen nutzbar gemacht werden.<br />

Aktuell wird in Deutschland die Vergabeart „Dynamisches<br />

<strong>Beschaffung</strong>ssystem“ sehr selten eingesetzt, dabei liegen die<br />

Vorteile sowohl <strong>für</strong> Unternehmen als auch <strong>für</strong> die öffentliche Verwaltung<br />

auf der Hand.<br />

<strong>Das</strong> Dynamische <strong>Beschaffung</strong>ssystem flexibilisiert Vergabeprozesse<br />

öffentlicher Institutionen, die öffentliche Verwaltung<br />

kann gewünschte Leistungen ausschreiben und schneller beauftragen.<br />

GovMarket bringt Start-ups mit dem öffentlichen Sektor<br />

zusammen, um ein lebendiges Innovationsökosystem zu fördern<br />

und die <strong>Beschaffung</strong> zu revolutionieren. Mitarbeitende der Verwaltung<br />

erhalten über den Marktplatz von GovMarket eine<br />

kostenfreie und transparente Übersicht – ein Schaufenster – zu<br />

Innovation und Technologie, mit hochqualifizierten, Unternehmen<br />

und kuratierten Anwendungen, leicht vergleichbaren<br />

Referenzen und Fallstudien.<br />

ist komplex. GovTech-Start-ups<br />

fehlt es mitunter am notwendigen<br />

Verständnis <strong>für</strong> Prozesse und<br />

Zwänge öffentlicher Institutionen,<br />

aber auch an Durchhaltevermögen<br />

bei regulierten Vergabeprozessen.<br />

Dennoch sind viele dieser Probleme<br />

lösbar – und das mit den existierenden<br />

Verfahren: Marktdialogen und<br />

-erkundungen, Direktvergaben,<br />

Rahmenverträgen, wettbewerblichen<br />

Dialogen oder Dynamischen<br />

<strong>Beschaffung</strong>ssysteme (DBS).<br />

<strong>Das</strong> Dynamische<br />

<strong>Beschaffung</strong>ssystem<br />

bietet Flexibilität<br />

Kurzum: Ein DBS ist wie eine<br />

Party, auf der alle mitmachen<br />

können. Wie ein Bauernhof, mit<br />

verschiedenen Tieren. Wie ein<br />

Blumenstrauß, mit bunten und<br />

blühenden Blumen. Wie ein Snackautomat.<br />

Oder wie eine bunte Tüte,<br />

die man am Kiosk so befüllen kann,<br />

wie man es möchte.<br />

<strong>Das</strong> DBS flexibilisiert Vergabeprozesse öffentlicher Institutionen,<br />

die öffentliche Verwaltung kann gewünschte Leistungen<br />

52 Kleine Kniffe<br />

Kleine_Kniffe_04_23_KMU.indd 52 30.03.23 13:43


Foto: GovMarket<br />

ausschreiben und schneller beauftragen. Ausgeschrieben werden<br />

marktübliche Leistungen, um wiederkehrende Bedarfe innerhalb<br />

des definierten Zeitraums (in der Regel vier Jahre) zu decken. Da es<br />

sich bei einem DBS um ein ausschließlich elektronisches Verfahren<br />

handelt, wird eine digitale Plattform benötigt, auf die Auftraggeber:innen<br />

und Bieter:innen zugreifen können.<br />

Von einem umfassenden Pool mit<br />

teilnehmenden Unternehmen bis zu<br />

Miniwettbewerben<br />

<strong>Das</strong> Verfahren beginnt mit der Ausschreibung des DBS und<br />

der marktüblichen Leistungen der öffentlichen Auftraggeber:innen.<br />

Passende Unternehmen können sich qualifizieren, indem sie<br />

sich <strong>für</strong> das DBS bewerben. Die Bewerbung umfasst z.B. das allgemeine<br />

Produkt- und Dienstleistungsportfolio, kann aber auch<br />

Referenzen oder Lebensläufe der beteiligten Personen beinhalten.<br />

Die Eignung wird durch die Auftraggeber:innen überprüft. Wird<br />

die Eignung als positiv eingestuft, wird das geprüfte Unternehmen<br />

Teil des Pools, in dem auch allen anderen Unternehmen sind, die es<br />

durch die Eignungsprüfung geschafft haben. Während der gesamten<br />

Laufzeit des DBS können sich weitere Unternehmen <strong>für</strong> den Pool<br />

qualifizieren. <strong>Das</strong> gilt auch dann, wenn ein Unternehmen im ersten<br />

Durchlauf abgelehnt wurde. Da beim Eintritt in das DBS bereits die<br />

Eignungsprüfung der Unternehmen stattgefunden hat, können sich<br />

die Auftraggeber:innen sicher sein, dass die Bieter:innen vertrauenswürdig<br />

und geeignet sind.<br />

Im zweiten Schritt werden über die sogenannten „Mini-Wettbewerbe“<br />

Einzelvergaben mit einer Laufzeit von maximal 45 Tagen<br />

durchgeführt. Hierbei werden alle zugelassenen Unternehmen zur<br />

Abgabe eines Angebotes aufgefordert. Die Einzelvergabe wird nach<br />

dem regulären Ablauf eines nicht offenen Verfahrens durchgeführt.<br />

Erhält ein bietendes Unternehmen keinen Zuschlag <strong>für</strong> sein Angebot,<br />

bleibt es weiterhin im Pool und kann sich bei der nächsten<br />

Ausschreibung wieder bewerben.<br />

Der gesamte Vorgang ist, angefangen bei der Bewerbung <strong>für</strong> das<br />

DBS bis zur Qualifizierungsprüfung, zielgerichtet und schlank - vor<br />

allem im Vergleich zu anderen Verfgabearten.. Auftraggeber:innen<br />

können mit standarisierten Formularen und Checklisten arbeiten.<br />

Leistungen werden schnell beschafft und eingesetzt. Somit können<br />

komplexe Fragestellungen gelöst und nachhaltig beschafft werden.<br />

Unternehmen können sich nach einmaliger Registrierung voll und<br />

ganz auf die Weiterentwicklung ihrer Produkte konzentrieren.<br />

Ein Blick in die Zukunft: Langfristige<br />

Mehrwerte des Einsatzes eines DBS<br />

Aktuell wird in Deutschland die Vergabeart „Dynamisches <strong>Beschaffung</strong>ssystem“<br />

sehr selten eingesetzt, dabei liegen die Vorteile<br />

sowohl <strong>für</strong> Unternehmen als auch <strong>für</strong> die öffentliche Verwaltung<br />

auf der Hand.<br />

• <strong>Beschaffung</strong> revolutionieren: Die <strong>Beschaffung</strong> läuft schneller<br />

und ist <strong>für</strong> Unternehmen transparenter. Gerade bei komplexen<br />

Fragestellungen ist die Verwaltung flexibel und inhaltlich „am<br />

Zahn der Zeit“: die Aktualität der Produkte und Dienstleistungen<br />

wird gewährleistet, innovative Lösungen können<br />

genutzt werden, solange sie noch innovativ sind.<br />

Kleine Kniffe<br />

53<br />

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Grafik: GovMarket<br />

• Inklusiverer Wettbewerb: Durch die Marktöffnung <strong>für</strong><br />

kleinere Unternehmen (Start-ups und KMUs) wird eine<br />

diversere und fairere <strong>Beschaffung</strong>skultur gefördert.<br />

• Nachhaltigkeit der Lösungen: Die Verwaltung hat eine<br />

größere Auswahl an <strong>nachhaltige</strong>n und innovativen Produkten<br />

und Lösungen. Visionäre Ideen von Start-ups und KMUs<br />

erhöhen zudem die Qualität und Produktvielfalt.<br />

• Flexibilität bei Ausfall: Fällt ein Unternehmen aus, kann die<br />

Ausschreibung kurzfristig wiederholt werden. Andere<br />

Bieter:innen können ein neues Angebot abgeben.<br />

• Entwicklung des Marktes mitsteuern: Die Unternehmen<br />

erhalten einen Einblick, welche marktüblichen Leistungen<br />

innerhalb eines DBS nachgefragt werden und können ihr<br />

Angebot erweitern bzw. anpassen.<br />

• Netzwerkbildung und Kollaboration: Der Austausch zwischen<br />

der öffentlichen Verwaltung erleichtert den Einstieg <strong>für</strong><br />

unerfahrene Mitarbeitende in einer Behörde. Einkaufsgemeinschafen<br />

sind ebenfalls denkbar.<br />

Mitarbeitende der Verwaltung erhalten über den Marktplatz von<br />

GovMarket eine kostenfreie und transparente Übersicht – ein<br />

Schaufenster – zu Innovation und Technologie, mit hochqualifizierten,<br />

kuratierten Anwendungen, leicht vergleichbaren Referenzen<br />

und Fallstudien. Zudem unterstützt GovMarket bei der Wahl der<br />

Produkte – passend zu den Fragstellungen rund um die digitale Verwaltung<br />

und begleitet den Vergabeprozess individuell.<br />

Dieses Vorhaben, aber auch die Nutzung des DBS, führt zur<br />

Stärkung und Förderung des Start-up-Ökosystems in Deutschland.<br />

„Denn ohne die Innovationskraft junger Unternehmen und Startups<br />

wäre die digitale Transformation des öffentlichen Sektors nicht<br />

möglich.“ (Bundesministerium <strong>für</strong> Wirtschaft und Klimaschutz,<br />

GovTech – Der Staat der Zukunft ist digital. https://www.de-hub.<br />

de/blog/post/govtech-der-staat-der-zukunft-ist-digital/).<br />

Nicht jede Dienstleistung oder jedes zu beschaffende Produkt<br />

ist <strong>für</strong> ein DBS geeignet, <strong>für</strong> manche Lösungen bedarf es Rahmenverträge.<br />

An anderen Stellen müssen neue Lösungen entwickelt<br />

werden. Hier können Innovationspartnerschaften, eine vorkommerzielle<br />

Auftragsvergabe (PCP) oder auch der wettbewerbliche Dialog<br />

zielführend sein.<br />

GovMarket trägt zur Transparenz<br />

des Start-up-Ökosystem bei<br />

Gleichzeitig braucht es <strong>für</strong> ein funktionierendes DBS eine Übersicht<br />

an innovativen Leistungen. GovMarket bringt Start-ups mit<br />

dem öffentlichen Sektor zusammen, um ein lebendiges Innovationsökosystem<br />

zu fördern und die <strong>Beschaffung</strong> zu revolutionieren.<br />

Autorinnen<br />

Jana Janze und Deborah Paluch<br />

GovMarket<br />

http://www.govmarket.io/<br />

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