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ist das erlaubt? pressefreiheit in deutschland. - Politikorange.de

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23 frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008 ausland<br />

HART AN DER GRENZE UND DARÜBER HINAUS<br />

Pressefreiheit <strong>in</strong> Europas letzter Diktatur: Belarus. Von Julia Becker<br />

K<br />

atja Kievic, Katja Kievic!“,<br />

schreit e<strong>in</strong>e gellen<strong>de</strong> Stimme<br />

durch <strong>de</strong>n Gang <strong>de</strong>s<br />

Busses, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m rund 50 Reisen<strong>de</strong> die<br />

Grenze von Belarus Richtung Polen<br />

überqueren wollen. Unter ihnen <strong>ist</strong><br />

auch e<strong>in</strong>e 20-jährige Stu<strong>de</strong>nt<strong>in</strong> aus<br />

Belarus, wieWeißrussland auch hierzulan<strong>de</strong><br />

im <strong>in</strong>ternationalen Verkehr<br />

genannt wird. Blass und <strong>in</strong> sich gekehrt<br />

sitzt sie auf ihrem Platz. Laute<br />

Musik dröhnt durch ihre Kopfhörer.<br />

Sie <strong>ist</strong> die E<strong>in</strong>zige, die die 35 Grad<br />

Celcius im stickigen Inneren <strong>de</strong>s Gefährts<br />

aushält und die drei Stun<strong>de</strong>n<br />

bis zur ersten Passkontrolle nicht<br />

draußen im Schatten verbr<strong>in</strong>gt. Ihr<br />

Name <strong>ist</strong> Katja Kievic.<br />

Als <strong>de</strong>r Schrei <strong>de</strong>r Miliz durch<br />

<strong>de</strong>n Bus geschmettert wird, steht<br />

die zierliche Frau auf – blass, aber<br />

gefasst. Ihr Dekolleté weißt Narben<br />

auf. Vor <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Insassen<br />

wird sie samt Gepäck abgeführt.<br />

Hilflose Blicke zehn junger Menschen<br />

treffen sich. Katja gehört zu<br />

<strong>de</strong>n belarussischen und <strong>de</strong>utschen<br />

Jungjournal<strong>ist</strong>en, die <strong>in</strong> M<strong>in</strong>sk politische<br />

Themen recherchiert hatten.<br />

Aber arbeiten<strong>de</strong> Journal<strong>ist</strong>en s<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong> Belarus nicht gerne gesehen und<br />

Katja Kievic steht auf <strong>de</strong>r roten<br />

L<strong>ist</strong>e <strong>de</strong>r Regierung.<br />

Der Grund: Die Stu<strong>de</strong>nt<strong>in</strong> <strong>ist</strong><br />

Vorsitzen<strong>de</strong> e<strong>in</strong>er Organisation,<br />

die von Präsi<strong>de</strong>nt Alexan<strong>de</strong>r Lukaschenko<br />

wegen ihrer kritischen<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung mit gesellschaftspolitischen<br />

Themen nicht<br />

gedul<strong>de</strong>t wird. Seit sie <strong>de</strong>n Vorsitz<br />

hat, wird ihr <strong>das</strong> Leben schwer<br />

gemacht: Büroräume durchsucht,<br />

Freun<strong>de</strong> verhaftet, an <strong>de</strong>r Grenze<br />

wird sie abgefangen und oft auch als<br />

Frau sehr erniedrigt. Als sich die Stu<strong>de</strong>nt<strong>in</strong><br />

im Anschluss an die Präsi<strong>de</strong>ntenwahlen<br />

vom März 2006 an <strong>de</strong>n<br />

mehrtägigen Groß<strong>de</strong>monstrationen<br />

gegen Wahlmanipulationen auf <strong>de</strong>m<br />

Oktoberplatz <strong>in</strong> M<strong>in</strong>sk beteiligte,<br />

wur<strong>de</strong> sie am Morgen <strong>de</strong>s 21. März<br />

mit 400 weiteren Demonstranten<br />

von e<strong>in</strong>em Son<strong>de</strong>re<strong>in</strong>satztrupp<br />

verhaftet. Nach <strong>de</strong>m gewaltsamen<br />

Abtransport musste Katja vier Tage<br />

im Gefängnis ausharren.<br />

„Ich hatte Glück, <strong>das</strong>s ich sofort <strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong>e Zelle kam. An<strong>de</strong>re stan<strong>de</strong>n<br />

bei eisigem Frost am nächsten Tag<br />

immer noch <strong>in</strong> Reihe auf <strong>de</strong>m Hof“,<br />

erzählt sie.<br />

„Alles raus aus <strong>de</strong>m Bus. Je<strong>de</strong>r<br />

stellt sich mit se<strong>in</strong>em Gepäck <strong>in</strong><br />

Reihe“, schreit e<strong>in</strong> Mann von <strong>de</strong>r<br />

Stets mit e<strong>in</strong>em Be<strong>in</strong> im Gefängnis: Demonstranten gegen <strong>das</strong> Lukaschenko-Regime <strong>in</strong> M<strong>in</strong>sk.<br />

Miliz durch die Mitte <strong>de</strong>s Busses,<br />

nach<strong>de</strong>m sich alle Reisen<strong>de</strong>n für<br />

die Grenzkontrollen wie<strong>de</strong>r im Bus<br />

e<strong>in</strong>gefun<strong>de</strong>n hatten. Hastig packt<br />

auch e<strong>in</strong>e junge Deutsche namens<br />

Stefanie ihre Sachen zusammen.<br />

Auch sie gehört zu <strong>de</strong>r Gruppe<br />

<strong>de</strong>r Jungjournal<strong>ist</strong>en. Während sie<br />

stopft, fangen ihre Hän<strong>de</strong> an zu<br />

zittern, ihr <strong>ist</strong> schlecht. Alle Gepäckstücke<br />

wer<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Bauch<br />

<strong>de</strong>s Busses gezerrt, je<strong>de</strong>r Millimeter<br />

nach Illegalem abgesucht.<br />

Wie Tiere stehen die Reisen<strong>de</strong>n <strong>in</strong><br />

Reihe, begafft von an<strong>de</strong>ren Grenzgängern.<br />

Die Be<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r Stehen<strong>de</strong>n<br />

zittern, obwohl viele krampfhaft<br />

versuchen, ke<strong>in</strong>e Regung zu zeigen.<br />

Auch die junge Deutsche nicht.<br />

Blitzartig schießen <strong>de</strong>r 20-Jährigen<br />

Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r vergangenen Woche<br />

durch <strong>de</strong>n Kopf. E<strong>in</strong>es davon zeigt<br />

die zehnköpfige Redaktion e<strong>in</strong>er<br />

verbotenen, aber sehr gefragten<br />

belarussischen Zeitung. Diese wird<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em 12 Quadratmeter kle<strong>in</strong>en,<br />

dunklen Keller <strong>in</strong> M<strong>in</strong>sk geschrieben,<br />

im Ausland gedruckt, anschließend<br />

über die Grenzzäune zurück<br />

nach Belarus geworfen, um dort im<br />

Untergrund verteilt zu wer<strong>de</strong>n. „Ich<br />

habe zahlreiche Morddrohungen<br />

bekommen. Aber ich habe unserem<br />

Präsi<strong>de</strong>nten klar zu verstehen gegeben,<br />

<strong>das</strong>s er erst die ganze Redaktion<br />

erschießen muss, bevor unsere Zeitung<br />

nicht mehr ersche<strong>in</strong>t“, erklärt<br />

<strong>de</strong>r Chefredakteur <strong>de</strong>s Blattes, <strong>de</strong>m<br />

die Angst trotz charakter<strong>ist</strong>ischer<br />

Heiterkeit unverkennbar <strong>in</strong> <strong>de</strong>n<br />

Augen brennt. Se<strong>in</strong> bester Freund<br />

verschwand e<strong>in</strong>es Tages spurlos, bis<br />

heute – e<strong>in</strong> Schicksal, <strong>das</strong> rund fünfzig<br />

weitere Journal<strong>ist</strong>en und Kritiker<br />

aus Belarus teilen. An<strong>de</strong>re Freun<strong>de</strong><br />

wur<strong>de</strong>n erschossen.<br />

nur ausDauer hIlft gegen<br />

DIktator lukaschenko<br />

Lukaschenkos Taktik: Gegner durch<br />

psychischen Druck <strong>in</strong> die Knie zw<strong>in</strong>gen.<br />

Wenn <strong>das</strong> nicht hilft, wer<strong>de</strong>n<br />

die Drohungen wahr gemacht. E<strong>in</strong><br />

an<strong>de</strong>res Bild zeigt junge Belarussen,<br />

die gegen Lukaschenko kämpfen.<br />

Trotz politischer Verfolgung und Folter<br />

lieben sie ihr Land. „Ich habe viel<br />

Schlimmes erlebt. Wenn ich manchmal<br />

aufgeben will, <strong>de</strong>nke ich an me<strong>in</strong>e<br />

kle<strong>in</strong>en Schwestern. Die sollen <strong>das</strong><br />

<strong>in</strong> ihrer Heimat nicht erleben. Also<br />

stehe ich wie<strong>de</strong>r auf, kämpfe weiter“,<br />

so e<strong>in</strong>e Oppositionelle.<br />

Viele von ihnen agieren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

ausgeklügelten Netzwerk, <strong>de</strong>ssen<br />

Verb<strong>in</strong>dungen bis nach Deutschland<br />

reichen. „Manchmal muss<br />

man von außen han<strong>de</strong>ln, um<br />

<strong>in</strong>nen etwas bewegen zu können.<br />

Für me<strong>in</strong> Belarus b<strong>in</strong> ich hier <strong>in</strong><br />

Deutschland“, erzählt Jurij Breschniew,<br />

<strong>de</strong>r seit drei Jahren <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> studiert.<br />

Nach über e<strong>in</strong>er Stun<strong>de</strong> kommt<br />

Katja aus <strong>de</strong>m Grenzhaus. Sie<br />

lächelt. „Die haben nur alles ausgepackt<br />

und mich nur normal gefilzt.<br />

Nett s<strong>in</strong>d die hier“, strahlt die<br />

Belaruss<strong>in</strong>, während sie sich leicht<br />

<strong>in</strong> die verste<strong>in</strong>erte Menschenreihe<br />

fügt. Die Gruppe atmet – trotz<br />

Irritation – auf. Sie steht nun seit<br />

fünf Stun<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Grenze.<br />

„Gera<strong>de</strong> h<strong>in</strong>stellen, alle Koffer<br />

und Taschen öffnen!“. Rabiat fängt<br />

e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e, uniformierte Frau an,<br />

die Bagage auszuräumen. Im Gepäck<br />

<strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong>en s<strong>in</strong>d Papiere<br />

aus <strong>de</strong>m Untergrund. Die Anspannung<br />

<strong>de</strong>r Gruppe äußert sich<br />

<strong>in</strong> blassen Gesichtern, zittern<strong>de</strong>n<br />

Körpern und beten<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n.<br />

E<strong>in</strong>e Flasche Beruhigungsmittel<br />

wird zum zweiten Mal rumgereicht<br />

und zur Hälfte geleert.<br />

Als die Suchen<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r<br />

Reihe bei <strong>de</strong>r Gruppe Journal<strong>ist</strong>en<br />

ankommt, filzt sie nur noch die<br />

Hälfte <strong>de</strong>r Koffer<strong>in</strong>halte. Die Materialien<br />

liegen ganz unten. Das Glück<br />

<strong>ist</strong> heute auf Seite <strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong>en.<br />

Die Miliz f<strong>in</strong><strong>de</strong>t nichts.<br />

Die Pässe wer<strong>de</strong>n zurückgegeben,<br />

Katja bekommt ihren nicht.<br />

Warten. Mitreisen<strong>de</strong> schauen sie<br />

verärgert an, geben ihr die Schuld<br />

für <strong>das</strong> Martyrium. Die Taktik hat<br />

sich verselbstständigt. 15 M<strong>in</strong>uten<br />

später kriegt auch Katja ihre Papiere<br />

zurück. Endlich dürfen alle wie<strong>de</strong>r<br />

<strong>in</strong> <strong>de</strong>n stickigen Bus.<br />

Nach sechse<strong>in</strong>halb Stun<strong>de</strong>n setzt<br />

sich <strong>de</strong>r Bus mit allen Reisen<strong>de</strong>n <strong>in</strong><br />

Bewegung und steuert auf die Grenze<br />

zu. Die vorher gesenkten Köpfe<br />

heben sich, Fixpunkt <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>e weiße<br />

L<strong>in</strong>ie auf e<strong>in</strong>er schmalen Brücke. Als<br />

<strong>de</strong>r Bus sie überquert, klatschen Reisen<strong>de</strong>,<br />

stoßen Jubelschreie aus. Stefanie<br />

sitzt regungslos da und lächelt<br />

abwesend <strong>in</strong> die tr<strong>ist</strong>e Landschaft<br />

h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>m weißen Strich. Ihr ganzer<br />

Körper zittert. EU. Sicherheit.

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