Die historische Scherer-Bünting - Orgelbauverein
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Materialsammlung<br />
<strong>Die</strong> <strong>historische</strong> <strong>Scherer</strong>-<strong>Bünting</strong> Orgel in Mölln – Wege der Rekonstruktion<br />
Symposium 23. – 25. Januar 2009<br />
Prof. Dr. h.c. Harald Vogel<br />
Möglichkeiten und Grenzen<br />
der Orgeldenkmalpflege<br />
In der St. Nicolai-Kirche in Mölln befindet sich eine Orgel, die im heutigen Zustand eine<br />
bemerkenswerte Mischung aus altem Pfeifenwerk und moderner Technik zeigt: Einerseits besteht<br />
das bis zur Gotik zurückreichende Pfeifenmaterial aus Registern und Registerfragmenten von hoher<br />
Qualität, andererseits ist der moderne technische Teil (mit elektrischer Traktur) in z.T.<br />
abenteuerlicher Weise in die Reste der ursprünglichen Gehäuse- und Prospektanlage<br />
hineingezwängt.<br />
Dem interessierten Betrachter bietet sich ein Bild orgelbautechnischer Inkonsequenz, die in dieser<br />
krassen Form zum Glück selten zu finden ist. Als Beispiel kann die Verbreiterung des Mittelturms<br />
des Rückpositivs angeführt werden, um Platz für die großen Pfeifen auf der Windlade zu schaffen.<br />
Bei dieser modernen Windlade stehen alle großen Pfeifen in der Mitte, wodurch eine Abweichung<br />
von der bestehenden Gehäuseform notwendig wurde. Auffällig ist der seitliche Platzbedarf für die<br />
großen Schleifenmagneten. Ein anderes Beispiel sind die beiden hintereinanderliegenden<br />
Pedalladen auf jeder Seite, auf welche die Pedalregister verteilt sind. <strong>Die</strong> Koppelung der<br />
Registertraktur zwischen Vorder- und Hinterlade ist ein gebasteltes Kuriosum.<br />
Von einer wohlüberlegten Planung und Respekt vor dem <strong>historische</strong>n Charakter der Orgel kann<br />
keine Rede sein. Im technischen Bereich ist die Orgel in der Nicolai-Kirche in Mölln nicht als<br />
denkmalwert zu bezeichnen. Hier sind die Grenzen einer denkmalpflegerischen Behandlung weit<br />
unterschritten. Selbst bei der gegenwärtigen Disposition, die eine Maximallösung darstellt, wäre eine<br />
orgelbautechnische Lösung im denkmalpflegerischen Sinne denkbar. Das Problem dieser<br />
Disposition besteht darin, dass zwar alle alten Pfeifen untergebracht sind, aber nicht mehr die alten<br />
Werk- und Mensurzusammenhänge erkennen lassen (vgl. die vorliegende Sichtung des<br />
Pfeifenbestandes durch die Lübecker Manufaktur für <strong>historische</strong>n Pfeifenbau).<br />
<strong>Die</strong> Möglichkeiten der Orgeldenkmalpflege umfassen ein recht großes Spektrum von Lösungen.<br />
<strong>Die</strong>ses Spektrum reicht von einer Rückführung auf den Ursprungszustand über die Konsolidierung<br />
eines gewachsenen Zustands bis zur Beibehaltung des vorgefundenen Zustands. <strong>Die</strong> Rückführung<br />
auf den Ursprungszustand bildet eine Ausnahme, die nur möglich ist, wenn die späteren<br />
Veränderungen sehr geringfügig oder nur additiv sind.<br />
<strong>Die</strong> Normallösung ist die Konzentration auf einen gewachsenen Zustand, der gut dokumentiert sein<br />
muss und gut erhaltenes Material aus späterer Zeit enthält. Dabei können weitere Hinzufügungen<br />
erfolgen, wie z.B. das Anfügen eines freien Pedals zu Instrumenten mit ursprünglich nur<br />
angehängtem Pedal. <strong>Die</strong> Beibehaltung des vorgefundenen Zustands ist eine Lösung, wenn die<br />
späteren Veränderungen und Hinzufügungen eine dauerhafte Funktion garantieren und die<br />
klangliche Identität nicht zu sehr angetastet ist.<br />
<strong>Die</strong> konsequente technische Wiederherstellung ist auch bei gut erhaltenen alten Werken sehr selten<br />
möglich, allein schon wegen der heutigen veränderten klimatischen Bedingungen in den Kirchen. So<br />
ist es in den letzten Jahrzehnten bei der Orgeldenkmalpflege zu einer Reihe von Maßnahmen<br />
gekommen, durch die einerseits der Gebrauch der <strong>historische</strong>n Orgeln unter den heutigen<br />
Rahmenbedingungen möglich gemacht wird und andererseits eine Spielweise gefördert wird, die an<br />
bestimmten Voraussetzungen gekoppelt ist:<br />
1) Funktionssicherheit der Windladen: <strong>Die</strong> durch moderne Kirchenheizungen veränderten<br />
klimatischen Bedingung machen geringfügige Anpassungen notwendig (Dehnungsfugen, dünne<br />
Dichtungsringe in den Schleifenbahnen oder die Verwendung von hochwertigen Materialien bei<br />
Ergänzungen). Dadurch wird eine gleiche Windzufuhr zu den Pfeifen erreicht, damit diese sich nicht<br />
mehr durch wechselnde Undichtigkeiten in den Windladen verstimmen können.<br />
2) Funktionssicherheit der Traktur: Verringerung der Reibungswiderstände durch die nicht<br />
ausgetuchten beweglichen Verbindungsstellen unter Verzicht auf moderne Materialien, die einen<br />
hohen Verschleißgrad haben. In den meisten Fällen ist bei den alten Trakturen eine hohe<br />
Schließgeschwindigkeit der Ventile zu beobachten, die durch eine Kontrolle der Geschwindigkeit der<br />
Tastenaufwärtsbewegung differenziert werden kann. Hier liegt eine Einflussmöglichkeit auf die<br />
Pfeifenabsprachen vor, die bei modernen elektrischen und (konstruktionsbedingt) bei modernen<br />
mechanischen Trakturen nicht erreicht wird.<br />
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