Die historische Scherer-Bünting - Orgelbauverein
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Materialsammlung<br />
<strong>Die</strong> <strong>historische</strong> <strong>Scherer</strong>-<strong>Bünting</strong> Orgel in Mölln – Wege der Rekonstruktion<br />
Symposium 23. – 25. Januar 2009<br />
Marc Schaefer<br />
Anmerkungen zur Temperatur<br />
Im Folgenden möchte ich auf einige Aspekte der Entwicklungsgeschichte der Temperatur eingehen,<br />
mit Anmerkungen zur heutigen Praxis und Anregungen für die Zukunft.<br />
Bei jeder Restaurierung einer <strong>historische</strong>n Orgel stellt sich die Frage nach der Temperatur und der<br />
Tonhöhe.<br />
<strong>Die</strong> Frage nach der Temperatur stellte sich kaum vor fünfzig Jahren. Es ist das Verdienst von Herbert<br />
Kelletat [Zur musikalischen Temperatur, insbesondere bei Johann Sebastian Bach, 1960], eine<br />
Entwicklung gestartet zu haben, die rasch voranschritt. Ein neues Bewusstsein für verschiedene<br />
Möglichkeiten der Temperierung wurde geweckt, insbesondere bei Orgelbauern und<br />
Musiktheoretikern. Ich möchte auf diesbezügliche Veröffentlichungen von Harald Vogel und Kristian<br />
Wegscheider hinweisen. Es wurden neue Temperaturmodelle entwickelt, deren einige erfolgreich<br />
wurden.<br />
Ich habe auch damals mitgemacht, mit Begeisterung. Als Sachverständiger habe ich bei der Planung<br />
und dem Bau der Chororgel der Kirche St. Paul in Straßburg mitgewirkt. <strong>Die</strong>se Orgel wurde 1976<br />
durch Marc Garnier gebaut, mit kurzer Oktav und mitteltöniger Stimmung. <strong>Die</strong> Grundidee war, in<br />
dieser calvinistisch-reformierten Kirchengemeinde – ehemalige deutsche Garnisonskirche – ein<br />
Instrument zu schaffen, das sich speziell zur Begleitung der reformierten Psalmen eignen sollte. An<br />
der Westseite dieser Kirche steht eine große Walcker-Orgel von 1879, die sich damals in schlechtem<br />
Zustand befand. Inzwischen wurde sie restauriert. <strong>Die</strong> Garnier-Orgel war als Pendant dazu gedacht.<br />
Sie war eine der ersten ungleichschwebend gestimmten Orgeln in Frankreich, und die erste mitteltönig<br />
gestimmte Orgel im Elsass. Daraus entstand ein Zentrum für Interpretation alter Musik, insbesondere<br />
für solche, die mitteltönig gedacht war.<br />
Ich stehe immer noch dazu, dass dieser Schritt getan wurde.<br />
Andere Einstimmungen, die damals gemacht wurden, sind aus heutiger Sicht zumindest als<br />
fragwürdig, wenn nicht als falsch, zu bezeichnen. Als Beispiel möchte die 1781 von Johann Andreas<br />
Silbermann gebaute Orgel der ehemaligen Jesuitenkirche in Molsheim (Unter-Elsass) zitieren. Sie<br />
wurde 1971 durch Alfred Kern restauriert. Das war die Gelegenheit, die 1968 durch Karl Bormann<br />
[Orgel- und Spieluhrenbau] publizierte sog. Silbermann-Stimmung nach Ignaz Bruder anzuwenden. Es<br />
stellte sich jedoch heraus, dass die von Bormann angegebene Tabelle fehlerhaft war und dass eine<br />
Korrektur notwendig war.<br />
Inzwischen ist bekannt, dass diese Stimmung nicht unbedingt Johann Andreas Silbermann<br />
zuzuschreiben ist. Ferner wissen wir nun, dass Johann Andreas Silbermann die gleichschwebende<br />
Stimmung bevorzugte.<br />
<strong>Die</strong> Temperatur ist kein Selbstzweck, sondern eine „Not.“<br />
Mattheson schreibt: „<strong>Die</strong> Temperatur ist demnach eine solche Abmessung der Intervalle auf dem<br />
Clavier, dadurch dem einen von seiner Richtigkeit was abgenommen, dem andern aber was zugeleget<br />
wird, damit sie alle zusammen in möglichster Eintracht bleiben mögen. Man nimmt also die<br />
Temperatur des Claviers aus Noth zur Hand, weil sich auf diesem Instrument weder mit dem Athem,<br />
noch mit den Fingern die geringste Mäßigung treffen läßt; welches hingegen die menschliche Stimme<br />
und alle andre klingende Werckzeuge, nach ihrer Art, gar wol zulassen.“ [Johann Mattheson, Der<br />
vollkommene Kapellmeister, 1739]<br />
<strong>Die</strong> Temperatur ist also kein Selbstzweck; sie dient nur für Tasteninstrumente, da die anderen<br />
Instrumente sowie der Gesang, sie nicht brauchen.<br />
Der Weg zur Mitteltönigkeit, und weg von der Mitteltönigkeit bis hin zur gleichschwebenden Stimmung<br />
mag als lang oder auch als kurz empfunden werden, je nachdem man die Musik oder die Theorie oder<br />
den Orgelbau im Auge hat.<br />
Ein markanter Moment in der Entwicklung der Temperatur war wohl der Stimmungsvorschlag von<br />
Arnolt Schlick [Spiegel der Orgelmacher und Organisten, Straßburg-Speyer 1511], der sowohl als<br />
Komponist, als Theoretiker und Sachverständiger eine Erweiterung des Tonsystems vornahm. <strong>Die</strong>se<br />
Stimmung war gedacht für die Töne der Kirchentonarten und ihre Transpositionen. <strong>Die</strong> meisten<br />
Quinten werden vermindert „soweit das Ohr es ertragen kann“, aber weniger als in der Mitteltönigkeit,<br />
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