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Public Value Bericht des Verbandes Österreichischer ... - Der Standard

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ergibt jeder Readerscan, dass die meisten Leser die meisten<br />

Geschichten nicht auf einen Sitz bis zum Ende verschlingen.<br />

Mitunter nimmt einer einen Artikel jedoch wieder zur Hand,<br />

ruft ihn erneut auf, hält beim Studieren inne, denkt über das<br />

Gelesene gar nach.<br />

Müßig zu erwähnen, dass Fernsehen<br />

und Radio vorbei rauschen. Vor bald drei Jahrzehnten prägte<br />

der US­Medienwissenschaftler Neil Postmann den Begriff<br />

»Info tainment«. Und es ist bereits zwei Jahrzehnte her,<br />

dass Deutschland am Beispiel einer Sat1­Moderatorin die<br />

»Schreine markerisierung« der Television erkannte. Heute<br />

laufen im deutschsprachigen Fernsehen, auch auf allen österreichischen<br />

Sendern etliche anspruchsvolle Gesprächsformate.<br />

Die Gesetze der Talkshow und die hypnotisierende Wirkung<br />

der fimmernden Bilder können diese aber auch nicht<br />

außer Kraft setzen.<br />

OB DER SCHWARM INTELLIGENT IST,<br />

MUSS ER ERST BEWEISEN<br />

Social media sind für Mainstream­Medien<br />

Recherchequellen wie Distributionskanäle und für Journalisten<br />

Plattformen zur Eigenwerbung. Sir Karl Popper postulierte<br />

zwar: »Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der<br />

soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann.«<br />

Und das geht sich inklusive Kritikfähigkeit mit 140 Zeichen<br />

sogar aus. Ein breiter, differenzierter Diskurs via Facebook<br />

oder Twitter ist bisher trotzdem selten gelungen. Als Beispiel<br />

dafür, wie es nicht geht, dient die Debatte über die religiös<br />

motivierte Beschneidung von Buben im Sommer 2012 – abgesehen<br />

von den vielen Links zu klassischen Medien, die verbreitet<br />

wurden. Zugegeben, der Schwarm weiß, welche Themen<br />

interessieren, ob er auch intelligent ist, wie behauptet,<br />

muss er erst beweisen.<br />

Klassische Medien geben auch Themen<br />

Raum, die keine Quote bringen. Sie versuchen die Aufmerksamkeit<br />

<strong>des</strong> Publikums auf Umstände zu lenken, die<br />

sie für demokratiepolitisch relevant halten, auch wenn der<br />

Schwarm fröhlich zwitschernd darüber hinweg fiegt. Aufklärung<br />

ohne Publikum ist keine. Daher tänzelt man auf<br />

einem schmalen Grat: Auf der einen Seite liegen die ureigensten<br />

Aufgaben der Medien, die Erklärung komplizierter<br />

Mechanismen, das Anprangern von Missständen, das Aufdecken<br />

von Skandalen, die Kontrolle der Mächtigen. Auf der<br />

anderen Seite darf das Publikum keinesfalls gelangweit, ermüdet<br />

und überfordert werden.<br />

Eine schwierige Übung in einer Gesellschaft,<br />

in der jeden Tag eine andere, pardon, Sau durchs Dorf<br />

getrieben wird. Ja, seit der Digitalisierung <strong>des</strong> Zeitungsgeschäfts<br />

zählt Schnelligkeit noch mehr. Bleibt denn da noch<br />

genug Zeit, um am Gatter kurz Halt zu machen? Redaktionsküchen<br />

müssen heute zwei Arten an geistiger Nahrung servieren:<br />

das Fast Food, also das Schweinsschnitzel, das satt<br />

macht, und das Slow Food, den stundenlang gegrillten Braten<br />

vom liebevoll zu Tode gestreichelten Schwein, appetitlich<br />

garniert und mit allerlei Beilagen. Die Köchinnen und Köche<br />

bemühen sich Tag für Tag um ein ausgewogenes Menü, können<br />

aber nicht vermeiden, dass sich immer wieder einmal ein<br />

Gast den Magen verdirbt.<br />

NIE GEKANNTE MÖGLICHKEITEN<br />

DES MEINUNGSAUSTAUSCHES<br />

Zwei Dinge versuchen die Leser-Medien<br />

aber gerade von der Blogosphäre zu lernen. Erstens: Transparenz<br />

ist die neue Objektivität. Zweitens: It’s a conversation,<br />

stupid! Von den eigenen Redakteuren oft belächelt, waren<br />

Leserbriefe seit jeher ein Atout der Zeitungen. Onlineforen<br />

bieten nun nie gekannte Möglichkeiten <strong>des</strong> Meinungsaustausches.<br />

Das Turnier der Argumente funktioniert aber nur,<br />

wenn genügend Schiedsrichter über die Einhaltung der Regeln<br />

wachen oder die Ritter mit offenem Visier reiten – im<br />

besten Falle bei<strong>des</strong>, moderierte Foren ohne anonyme Postings.<br />

Da ja auch Name, Anschrift und etwaige politische<br />

Funktion der Autoren von Leserbriefen, die abgedruckt werden,<br />

nachrecherchiert werden, hat sich die »Kleine Zeitung<br />

Digital« entschlossen, nur jene User posten zu lassen, die<br />

ihre Handynummer angeben. Vorbild war die schwedische<br />

Zeitung »Aftonbladet«, welche sich veranlasst sah, die neuen<br />

Hürden nach dem Massenmord Anders Breviks aufzubauen.<br />

Wirtschaftlich gesehen war diese Entscheidung falsch –<br />

ethisch richtig.<br />

Zurück zum Untersuchungsausschuss<br />

wider die Korruption. Was blieb denn von den vielen <strong>Bericht</strong>en,<br />

Reportagen, Analysen, Kommentaren, den witzig-aktionistischen<br />

Titelseiten der Zeitungen und Zeitschriften? Die<br />

Regierungsfraktionen drehten den U­Ausschuss im Frühherbst<br />

2012 trotzdem ab. Haben die Journalisten versagt?<br />

Nein, denn es ist nicht ihre Aufgabe, Politik zu machen. Sie<br />

haben Wählerinnen und Wähler befähigt, sich ihren eigenen<br />

Reim auf die Ereignisse zu machen. Wie viele, darüber kann<br />

man nur mutmaßen. Sicher nicht genug.<br />

EVA WEISSENBERGER<br />

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