PSC 1-2-09 - FSP
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Verkehrspsychologie in den Schlagzeilen<br />
Ent-Emotionalisierung, verbesserte Nachschulungen<br />
und Qualitätssicherung bei den Begutachtungen. <strong>FSP</strong>-<br />
Psychologin und Fahreignungsdiagnostikerin Jacqueline<br />
Bächli-Biétry nimmt gegenüber Psychoscope Stellung<br />
zur aktuellen «Raserdebatte».<br />
Jacqueline Bächli-Biétry, überrascht Sie<br />
die derzeitige Raserdebatte?<br />
Nein. In den letzten 12 Jahren ist es<br />
in den Medien immer wieder zu einer<br />
Raserdiskussion gekommen. Unschuldige<br />
Opfer von Personen, die<br />
rücksichtslos zu schnell fahren und<br />
das Leben anderer aufs Spiel setzen,<br />
lösen in der Bevölkerung grosse Betroffenheit<br />
aus. Und da wir alle am<br />
Strassenverkehr teilnehmen, könnte<br />
es jeden von uns oder unsere Angehörigen<br />
treffen.<br />
Interessant finde ich hingegen, dass<br />
Verkehrsopfer von angetrunkenen<br />
Lenkern medial viel weniger intensiv<br />
thematisiert werden.<br />
Welche Erklärung haben Sie hierfür?<br />
Während die angetrunkenen Todeslenker<br />
oft Schweizer mittleren Alters<br />
sind, handelt es sich bei den Rasern<br />
tatsächlich häufig um junge<br />
Männer mit Migrationshintergrund.<br />
Das Medienecho bei «Raserunfällen»<br />
dürfte also auch mit der gesellschaftlichen<br />
Unzufriedenheit mit<br />
Migrationsfragen im Zusammenhang<br />
mit Personen aus dem Balkan<br />
zu tun haben.<br />
Rasen, ein Phänomen mit «Migrationshintergrund»?<br />
Rasen ist ein Unterschichtphänomen<br />
und junge Ausländer mit entsprechenden<br />
Wurzeln gehören häufiger<br />
dieser Schicht an. Wer keine<br />
andere Möglichkeit hat, gesellschaftliche<br />
Anerkennung zu finden,<br />
versucht diese nicht selten im Strassenverkehr<br />
zu erlangen. Erschwerend<br />
kommt hinzu: Das Auto spielt<br />
gerade in den Herkunftsländern dieser<br />
jungen Männer eine noch viel<br />
grössere Rolle als Statussymbol als<br />
bei uns. Viele dieser Jungen erhalten<br />
denn auch ein hoch potentes Auto<br />
zur Führerprüfung geschenkt.<br />
Was konkret charakterisiert den typischen<br />
Raser?<br />
Der typische Raser ist jung<br />
und männlich. Er hat schlechte<br />
berufliche Perspektiven und ein<br />
schlechtes Selbstwertgefühl. Seine<br />
Selbststeuerungsfähigkeit ist in<br />
der Regel schlecht und mit einer geringen<br />
Frustrationstoleranz verbunden.<br />
Und last but not least liegen<br />
eine massiv emotionale Beziehung<br />
zum Auto und zum Autofahren vor.<br />
Das hoch potente Auto dient gewissermassen<br />
als grandiose Hülle<br />
für ein unfertiges Selbst und die<br />
eigenen Verhaltensmöglichkeiten<br />
als Fahrzeuglenker werden massiv<br />
überschätzt. Allerdings wissen wir<br />
aus Umfragen, dass ein Grossteil aller<br />
Motorfahrzeuglenker zumindest<br />
gelegentlich gegen die Geschwindigkeitslimiten<br />
verstösst. Wer gelegentlich<br />
zu schnell fährt, bezeichnet<br />
sich aber kaum als Raser und<br />
hat ein grosses Bedürfnis, sich von<br />
«Rasern» abzugrenzen. Offenbar<br />
verfolgt die Bevölkerung im Zusammenhang<br />
mit der Raserdebatte zum<br />
Teil auch den eigenen Schatten.<br />
Raserei, ein Gesellschaftsproblem?<br />
Ja. Ein gesellschaftlich vielschichtiges<br />
Problem: Mindestens mutet es<br />
ja irgendwie «schizophren» an, wenn<br />
in der Werbung tagtäglich die Kraft<br />
und Leistung des Autos verherr -<br />
licht werden und die Bevölkerung<br />
gleichzeitig erstaunt reagiert, wenn<br />
mit diesen «übermotorisierten Geschossen»<br />
schwere Unfälle verursacht<br />
werden.<br />
Wie kann eine Fachperson gefährliche<br />
LenkerInnen erkennen? Wo liegen die<br />
Grenzen?<br />
Verkehrspsychologen kennen die<br />
Faktoren, die hochriskantes Verhalten<br />
im Verkehr begünstigen. Diese<br />
Fragestellungen können mit standardisierten,<br />
speziell entwickelten Testverfahren<br />
geprüft werden. Zugewiesen<br />
werden Personen in der Regel<br />
aber erst, wenn sie schon mehrfach<br />
verkehrsauffällig waren und Ausweisentzüge<br />
nicht merklich genützt<br />
haben. Aus diesem Grund ist die Art<br />
der psychischen Verarbeitung der<br />
persönlichen Vorgeschichte im Verkehr<br />
von zentraler Bedeutung. Es ist<br />
prognostisch von grösstem Interesse,<br />
wie eine Person ihr Verhalten reflektiert<br />
und welche Konsequenzen<br />
oder Kompensationsmöglichkeiten<br />
sie sich für zukünftige kritische Situationen<br />
ausdenkt. Selbstverständlich<br />
kann das zukünftige Verhalten<br />
im Voraus nicht immer genau prognostiziert<br />
werden: Ist eine Person,<br />
die ihr Fehlverhalten adäquat reflektiert<br />
und die richtigen Kompensationsstrategien<br />
erworben hat, auch in<br />
der Ernstsituation im Strassenverkehr<br />
in der Lage, das neu erworbene<br />
Wissen anzuwenden? Ferner stellt<br />
sich immer auch die Frage, für wie<br />
lange eine verkehrspsychologische<br />
Prognose gelten soll: Eine Destabilisierung<br />
der Persönlichkeit durch<br />
äussere Umstände wie Scheidung<br />
oder Arbeitslosigkeit kann auch mit<br />
Fehlverhalten im Strassenverkehr<br />
einhergehen.<br />
Gibt es neue Massnahmen, die zugleich<br />
wirksam und verhältnismässig sind, um<br />
die korrekten Verkehrsteilnehmer besser<br />
zu schützen?<br />
Der Verkehrssicherheit dienen alle<br />
Massnahmen und Faktoren, die zu<br />
einer «Ent-Emotionalisierung» im<br />
Strassenverkehr führen. Ich rate<br />
deshalb allen Verkehrsteilnehmern,<br />
möglichst viel Abstand zu anderen<br />
Verkehrsteilnehmern einzuhal-<br />
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<strong>FSP</strong> AKTUELL<br />
PSYCHOSCOPE 1-2/20<strong>09</strong>