Heft 2 - Sauerländer Heimatbund e.V.
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SAUERLAND NR. 2/2010 89<br />
schäftigung mit der lokalen Sprache nur<br />
etwas für ewig Gestrige ist. Zum Herzstück<br />
des Unternehmens gehört der<br />
Aufbau einer kostenlosen Internet -<br />
bibliothek mit dem Namen „daunlots“.<br />
Bislang kann man dort etwas zur Geschichte<br />
des <strong>Sauerländer</strong> Platts nachlesen,<br />
in einer Erstveröffentlichung neu<br />
aufgetauchte Gedichte von Christine<br />
Koch entdecken und Sprachzeugnisse<br />
aus der Mitte des 19. Jahrhunderts herunterladen.<br />
Nachahmung wird empfohlen.<br />
Das Projekt soll wachsen. Neue Bände<br />
für die Internetbibliothek sind bereits<br />
Nördlich der Pfarrkirche in Eslohe<br />
stehen drei alte, zum Teil stark verwitterte<br />
Grabdenkmäler. Eines von ihnen zeigt<br />
einen Schmetterling im Kreis einer<br />
Schlange und gleich darunter einen<br />
sechseckigen Stern, der an einen Davidstern<br />
erinnern mag. Dem Esloher Peter<br />
Bürger gebührt der Verdienst, erstmals<br />
auf dieses ungewöhnliche Denkmal aufmerksam<br />
gemacht und seine Sym bole<br />
gedeutet zu haben. 1 Doch wie kommt<br />
solch ein Stein auf den Kirchhof von Eslohe?<br />
Peter Bürger vermutet aufgrund der<br />
figürlichen Darstellung, dass es sich um<br />
ein jüdisches Grabmal handele. Stimmt<br />
dies wirklich? Der Stein selbst gibt durch<br />
seine Inschrift eindeutig Auskunft über<br />
die Identität der Toten, für die er bestimmt<br />
war. Gestiftet wurde das Denkmal,<br />
so die Inschrift auf der Vorderseite,<br />
für die in jungen Jahren verstorbene<br />
Louise Gabriel durch ihre Eltern. Ein<br />
Blick in die katholischen Kirchenbücher<br />
Eslohes gibt ohne Umstände das Geheimnis<br />
ihrer Identität preis. Louise Gabriel<br />
wurde am 9. Juli 1814 in Eslohe<br />
geboren und einen Tag später in der<br />
dortigen Pfarrkirche getauft. Ihre Taufnamen<br />
waren Magdalena Ludovica<br />
Dorothea. „Louise“ ist eine Zärtlichkeitsform<br />
von „Ludovica“. Das Sterberegister<br />
der Esloher Pfarrkirche verrät,<br />
dass Louise Gabriel am 28. August<br />
in Arbeit. Auch kaum bekannte Bücher<br />
aus der Vergangenheit könnten darin<br />
Aufnahme finden. Allerdings werden<br />
noch ehrenamtliche Mitarbeiter/<br />
innen gesucht, die plattdeutsche Texte<br />
am Computer erfassen können.<br />
Ein anderes Unternehmen, das von<br />
Dr. Werner Beckmann betreute „Mund -<br />
artarchiv Sauerland“ (Stertschultenhof),<br />
beherbergt in seinem Fundus Tonauf -<br />
nah men zu rund 130 verschiedenen<br />
Ortsmundarten. Mittelfristig gibt es hier<br />
die Möglichkeit, zumindest kurze Hör -<br />
proben für alle besuchten Dörfer im Internet<br />
abrufbar zu machen.<br />
Ein jüdischer Grabstein auf dem Esloher Kirchplatz?<br />
Ein Blick in die Geschichte der Familie Gabriel in Eslohe hilft, das Rätsel zu lösen<br />
1830 in Eslohe an Auszehrung verstarb<br />
und bereits zwei Tage danach auf dem<br />
damaligen Kirchhof zu Grabe geleitet<br />
wurde. Sie war gerade einmal 16 Jahre<br />
alt.<br />
Dieser Befund macht den Grabstein<br />
noch rätselhafter, als er bislang schon<br />
erschien. Warum wählten die trauernden<br />
christlichen Eltern vermeintlich jüdische<br />
Symbole, um ihrer Trauer und<br />
ihrem Glauben Ausdruck zu verleihen?<br />
Der Schmetterling war ein beliebtes<br />
Grab symbol im 19. Jahrhundert. Auf<br />
dem jüdischen Friedhof in Verl, Kreis<br />
Güters loh, ist er während des ganzen<br />
19. Jahrhunderts mehrfach anzutreffen.<br />
Aus dem Sauerland sind mir trotz sorgsamer<br />
Nachforschungen bislang keine<br />
Bei spiele bekannt geworden. Es scheint<br />
sich jedoch nicht um ein spezifisch jüdisches<br />
Symbol zu handeln, sondern allgemein<br />
dem Geschmackskanon der Romantik,<br />
die gerne Vorstellungen der Antike<br />
aufgriff, zuzurechnen zu sein. Der<br />
Schmet terling gilt seit der Antike als<br />
Symbol der befreiten unsterblichen Seele,<br />
die ihrer Leibesbindung und damit<br />
Erdver haftetheit entledigt ist und sich<br />
zum Himmel erhebt. Die Schlange, von<br />
welcher der Schmetterling auf Louise<br />
Ga briels Grabstein umgeben wird, lässt<br />
sich ebenfalls nicht als typisch jüdische<br />
Grab zier nachweisen. Auch die Urschlan<br />
ge, die sich in den eigenen<br />
Die Zukunftsmusik wäre damit noch<br />
keineswegs ausgespielt. Was spräche<br />
z. B. gegen plattdeutsche Lernpro -<br />
gramme im Netz? Warum sollte es nicht<br />
Menschen geben, die Plattdeutsch auf<br />
solche Weise oder anders erlernen und<br />
dann auch nach dem Sterben einer lokalen<br />
Alltagssprache ein neues Kapitel der<br />
Mundartdichtung schreiben? Eine Alter -<br />
native zu ohnmächtigen Lamentos lautet<br />
auf jeden Fall: „Plattdeutsch geht ins<br />
Internet.“<br />
Internetseite & Kontakt:<br />
www.sauerlandmundart.de<br />
von Hans Jürgen Rade<br />
Schwanz beißt und so einen Kreis bildet,<br />
steht im Rückgriff auf die antike Ausdrucksweise<br />
für das Werden und Vergehen<br />
in der Zeit, der wir Menschen wie<br />
die gesamte Natur unterworfen sind.<br />
Schlange und Schmetterling bringen zugleich<br />
die Er fahrung der bitteren Realität<br />
des Todes wie die dem Judentum und<br />
dem Christentum gemeinsame Hoffnung<br />
zum Ausdruck. Der Leichnam<br />
kehrt im Grab zum Staub der Erde<br />
zurück, der er entnommen ist, die befreite<br />
Seele hingegen erhebt sich zum Leben<br />
bei Gott.<br />
Und der vermeintliche Davidstern?<br />
Auch hier ist bei der Deutung Vorsicht<br />
geboten, wiewohl die Geschichte der<br />
Familie Gabriel, der Louise entstammte,<br />
tatsächlich das jüdische Erbe ins Spiel<br />
bringt.<br />
Vom Kaufmann, Werkzeugfabri kan -<br />
ten und Gerichtsschöffen Christoph Gabriel,<br />
Louises Vater, vermutete Karl<br />
Thomas, der 1986 die Esloher Häuser -<br />
l iste von 1819 veröffentlichte, dass es<br />
sich bei ihm um einen konvertierten Juden<br />
handele, der bewusst seine Her -<br />
kunft verschleiert habe. 2 Um diese Vermutung<br />
Karl Thomas nachvollziehen zu<br />
können, muss man wissen, dass Herr<br />
Thomas sich vergeblich bemüht hat, die<br />
Herkunft des Christoph Gabriel zu ermitteln.<br />
Als Christoph Gabriel im Jahre<br />
1800 in Eslohe Christina Wortmann aus