Heft 2 - Sauerländer Heimatbund e.V.
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SAUERLAND NR. 2/2010 95<br />
Abb. 5: Knopperngalle an einer Eichel der Stieleiche;<br />
Unna-Kessebüren, 2007<br />
(alle Fotos v. Verf.)<br />
nen Blütenknospen der Z e r r e i c h e.<br />
An den männlichen Blüten entwickelt<br />
sich die eiförmige, nur 1 bis 2 mm<br />
große, ziemlich unscheinbare Galle mit<br />
jeweils einer Larve. Im Mai schlüpfen die<br />
Männchen und Weibchen der zweigeschlechtlichen<br />
Generation. Die befruchteten<br />
Eier werden zwischen Eichelfrucht<br />
und Becher von Stieleichen abgesetzt,<br />
und der Zyklus beginnt mit der Ent -<br />
wicklung der Knoppern von vorn.<br />
Grundvoraussetzung für das Gelingen<br />
dieses zweifachen, miteinander gekoppelten<br />
Phasenwechsels ist das Vorkom -<br />
men beider Eichenarten im gleichen Gebiet.<br />
Was das Vorhandensein der Stieleiche<br />
anbelangt, so stellt sie kein Problem<br />
dar – sie ist praktisch überall reichlich<br />
vorhanden, wenn man einmal von den<br />
höchsten Lagen des Sauer landes absieht.<br />
Hingegen ist die Zerr eiche, Quercus<br />
cerris, ein ausgeprägter Exot, der in<br />
Südosteuropa beheimatet ist und bei uns<br />
nur sehr gelegentlich in Parks und Anlagen<br />
angepflanzt wird. Dabei ist sie niemals<br />
ein modischer Renner wie Rosskastanie,<br />
Platane oder Robinie gewesen.<br />
Als Forstbaum ist sie lediglich im Raum<br />
der Pader bor ner Hoch flä che, vor hundert<br />
Jahren, versuchsweise angepflanzt<br />
worden. Die Bestände gibt es heute<br />
noch, und dort, bei Büren und Borchen,<br />
fand sich auch erwartungsgemäß die<br />
Knop perngalle. Auch im Rombergpark,<br />
einem der größten deutschen Ar bo -<br />
reten, ist die Zerreiche vertreten. Einzelne<br />
weitere Wuchsorte sind den Botani-<br />
kern bekannt, und<br />
die Kontrolle ergab<br />
in manchen Fällen<br />
in der Nach -<br />
barschaft weitere<br />
Nachweise der<br />
Knop pern gal len, so<br />
dass mir mittler -<br />
weile 18 west -<br />
fälische Fund orte<br />
bekannt sind. Im<br />
Sauerland sind es<br />
zwei Friedhöfe<br />
mit altem Baum be -<br />
stand: der Möhne -<br />
friedhof in Neheim<br />
und der Friedhof<br />
Iserlohn. Im Be -<br />
reich von Ardey<br />
und Haar strang<br />
fand ich die Knop -<br />
pern z. T. recht reichlich im Schwer ter<br />
und Werler Wald, auf dem Friedhof Unna<br />
und in Feldgehölzen von Ostbüren<br />
und Frömern. Meldungen weiterer<br />
Fund stellen dieser unverkennbaren Gallen<br />
sind mir willkommen.<br />
„Der Zoo in der Pflanzengalle“<br />
Beim Versuch, den Gallen-Erreger<br />
daheim in einem mit Gaze verschlossenen<br />
Behälter schlüpfen zu lassen (was<br />
ohne große Schwierigkeiten möglich<br />
ist), wird man eine überraschende Entdeckung<br />
machen: es entwickelt sich allmählich<br />
eine ganze Schar von Insekten,<br />
die durchaus unterschiedlich aussehen<br />
und sich bei genauerem Überprüfen unter<br />
einer guten Lupe oder, besser, einem<br />
Bino kular auch als verschiedene Arten<br />
erweisen. Es handelt sich dabei neben<br />
dem eigentlichen Verursacher der Gallen<br />
um drei Gruppen von Wespen. Da<br />
sind ers tens die Einwohner, die selbst<br />
nicht in der Lage sind, Gallbildung anzuregen,<br />
die aber, gleichsam als Kuckucke,<br />
den Wohnraum und das Nahrungsangebot<br />
der Pflanzengalle nutzen, im Übrigen<br />
aber keinen Schaden anrichten und<br />
also lediglich als geduldete Mitbewohner<br />
gelten können. Weniger harmlos sind<br />
die Arten der beiden weiteren Gruppen.<br />
Zur ersten gehören die winzigen, oft<br />
wunderschön metallisch rot-grün gepanzerten<br />
Erzwespen, Zehrwespen und<br />
Schlupfwespen. Sie legen ihre Eier in<br />
die Larven der Gallwespen und ihrer<br />
Untermieter; die Schmarotzerlarven le-<br />
ben dann von der Körpersubstanz der<br />
Wirtslarven und töten diese am Ende,<br />
wenn sie selbst ihre Entwicklung vollendet<br />
haben. Diese Parasitoide (so ist die<br />
korrekte Bezeichnung für diese funktionale<br />
Gruppe) werden nun ihrerseits von<br />
den Wespen der zweiten Gruppe angegriffen<br />
und als Beute genutzt; wir bezeichnen<br />
sie als Hyperparasitoide.<br />
Eine solche voneinander abhängige<br />
Artengemeinschaft von Gall-Erregern,<br />
Einwohnern und Parasitoiden erster und<br />
zweiter Ordnung ist von einer faszinierenden<br />
Komplexheit und je nach Gallenform<br />
und -erreger aus unterschiedlichen<br />
Arten zusammengesetzt. Bei der weitverbreiteten<br />
Rosenschlaf galle, einem<br />
moosigen Gebilde an Heckenrosenzweigen,<br />
fand ich in den letzten Jahren neun<br />
verschiedene Arten: den Gallenerreger<br />
(die Rosengallwespe), ferner einen Untermieter<br />
sowie, sage und schreibe, sieben<br />
verschiedene Parasitoide aus beiden<br />
Gruppen. Im Fall der Knopperngalle<br />
sind es sogar insgesamt 24 Arten, die<br />
sich in ihrem Bestand wechselseitig kontrollieren:<br />
die Parasi toide sorgen dafür,<br />
dass die Gall-Erreger nicht überhandnehmen<br />
und die Wirtspflanzen nicht<br />
schließlich doch schädigen; die Hyperparasitoiden<br />
betreiben das gleich Geschäft<br />
bei ihren „Kollegen“ der ersten<br />
Schmarot zerebene. Solche Netzwerke<br />
und ihre Regulationsmechanismen gibt<br />
es in Vielzahl in der lebenden Natur. Im<br />
geschlossenen und gut überblickbaren<br />
System der Gallen und ihres merkwürdigen<br />
Wespen-Zoos ist das Artengefüge<br />
und seine Biologie aber besser zu studieren<br />
als draußen im freien Gelände.<br />
Literatur<br />
BUHR, H. (1965): Bestimmungstabellen der Gallen<br />
(Zoo- und Phytocecidien) an Pflanzen<br />
Mittel- und Nordeuropas. Bd. 2. – Jena (G. Fischer).<br />
FELDMANN, R. (2008): Aktueller Nachweis von Gallen<br />
der Knopperngallwespe (Andricus quercuscalicis)<br />
in Westfalen. – Natur und Heimat 68 (3): 89-92 (M ünster).<br />
FELDMANN, R. (2009): Die Hautflügler-Gemein -<br />
schaft des Rosenschlafapfels. Analyse eines ökologischen<br />
Kleinsystems. – Natur und Heimat 69 (2): 33-<br />
43 (Münster).<br />
RANDOLPH, S. (2006): The natural history of the<br />
Rose Bedeguar Gall and its insect community. –<br />
British Plant Gall Society.<br />
WILLIAMS, R. (2006): Oak-galls in Britain. 2 Vol. –<br />
Wedmore, Somerset, GB (Vanellus Publications).