1 Der Themenschwerpunkt dieser Ausgabe ist die ... - Adveniat

Im Dezember 2007 wurde Oskar Niemeyer hundert Jahre alt.
Er ist der bedeutendste brasilianische Architekt unserer Zeit.
Er entwarf Bauten von unvergänglicher Schönheit und prägte
die Architektur der neuen Hauptstadt Brasília.
„Der rechte Winkel zieht mich nicht an, und auch nicht die
gerade, harte infl exible Linie, die der Mensch geschaffen hat.
Was mich anzieht, ist die freie und sinnliche Kurve, die ich in
den Bergen meines Landes fi nde, im mäandernden Lauf seiner
Flüsse, in den Wolken des Himmels, im Leib der geliebten
Frau.“ (Oscar Niemeyer, 1996)
Jugend
Diese Aussage des fast Neunzigjährigen verdeutlicht seine
Vorstellung von einer Architektur, in der Phantasie und Assoziationen
eine wesentliche Rolle spielen, und seine Entfernung
vom Funktionalismus des Bauhauses. 1907 geboren
absolvierte er 1934 sein Studium der Architektur in Rio de
Janeiro an der Nationalen Schule der Schönen Künste (Escola
Nacional de Belas Artes). Einer seiner Lehrer war Lucio Costa,
mit dem er später viele Jahre zusammenarbeitete. Sie entwarfen
zusammen mit einem Architektenteam, das von Le
Corbusier beraten wurde, das brasilianische Bildungs- und
Gesundheitsministerium (Ministério de Educação e Saúde),
das zwischen 1936 und 1945 erbaut wurde. Niemeyer wurde
in dieser frühen Phase stark von Le Corbusier beeinfl usst. Zusammen
mit Lucio Costa baute er den brasilianischen Pavillon
für die Weltausstellung in New York 1939.
Pampulha und erste
Auslandserfahrungen
Seinen eigenen Stil fand er im Bau des Gebäudekomplexes
von Pampulha, eines Stadtteils von Belo Horizonte, wo er seine
Vorstellungen von geschwungenen Linien und der Einbindung
der Bauten in die Landschaft mit dem formbaren Material des
Betons zum ersten Mal zwischen 1940 und 1943 verwirklichte.
Als ein Baustoff mit unbegrenzten Möglichkeiten dient ihm
Beton bis heute. Zu den Gebäuden gehörte die Kirche São
Francisco de Assis, deren ungewöhnliche Form und deren
Wandgemälde von Portinari mit dem Heiligen Franziskus als
Retter der Kranken, Armen und Sünder die konservativen
Kirchenoberen schockierte, sowie ein Kasino, eine Tanzhalle,
ein Restaurant und ein Hotel, ein Yacht– und Golfclub. Für
Niemeyer war diese Bauphase eine Gelegenheit, sich von der
Monotonie der zeitgenössischen Architektur zu lösen und die
Kurve als eigenständiges architektonisches Element gegen das
funktionelle Rechteck einzuführen. Hier ließ er Le Corbusier
hinter sich zurück, der auch ungewöhnliche
Formen und Win-
Oscar-Niemeyer-Museum, Curitiba (links)
Sitz der KPF, Paris
kel, aber keine geschwungenen Linien in seinen Entwürfen
verwendet hatte.
Doch auch später arbeiteten die beiden miteinander: Zusammen
waren sie als Mitglieder des internationalen Architektenteams
verantwortlich für den endgültigen Entwurf des Sitzes der
Vereinten Nationen in New York, der ebenfalls ein Meilenstein
in der modernen Architekturgeschichte ist. Der Gebäudekomplex
wurde zwischen 1949 und 1952 gebaut. Niemeyer
hatte ein Lehrangebot zunächst von der Yale University, dann
1953 von der Harvard University erhalten. Aber als Mitglied
der kommunistischen Partei wurde ihm in der McCarthy-Zeit
keine Aufenthaltsgenehmigung in den USA erteilt.
Auch in Deutschland wurde Niemeyer tätig. 1952 nahm er
an dem Wettbewerb für die Internationale Bauaustellung von
1957 (Interbau) zur Ausgestaltung des Hansaviertels in Berlin
zusammen mit 52 anderen Architekten aus 13 Ländern teil.
Von ihm stammt der Entwurf eines der Wohnhochhäuser, das
1957 vollendet wurde.
Brasília
Kultur
Juscelino Kubitschek kannte Niemeyer bereits, als er ihn als
Bürgermeister von Belo Horizonte mit dem Bau der Gebäude
in Pampulha beauftragte. Kurz nachdem er 1956 Präsident
geworden war, beauftragte Kubitschek ihn mit dem Bau der
neuen Hauptstadt Brasilia. Von seinem früheren Lehrer Lucio
Costa stammt der Plan der Stadt in der Form eines Flugzeuges.
Oscar Niemeyer entwarf die öffentlichen Gebäude: den
Kongress mit dem Senat und dem Abgeordnetenhaus in Form
einer Schüssel und einer Kuppel, den Präsidenten- und Regierungspalast,
verschiedene Ministerien und die Kathedrale
in der Form einer Dornenkrone. Brasilia war ein Manifest der
Moderne in Brasilien, der Inbegriff eines Neuanfangs - künstlerisch
auf der Basis einer neuen und eigenständigen
brasilianischen Formensprache und politisch gedacht
als Verheißung eines besseren Lebens
für alle Brasilianer, auch für die Sertanejos,
die Bewohner des Hinterlandes.
Nach vierjähriger Bauzeit wurde
Brasília 1960 zur Hauptstadt
des Landes erklärt. Die
Stadt war in Sektoren
eingeteilt,
den Freiz
e i t -
11