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1 Der Themenschwerpunkt dieser Ausgabe ist die ... - Adveniat

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Gisela Büttner Lermen, selbst Einwanderin in Brasilien, lehrte<br />

an der Katholischen Universität von Pernambuco Theologie und<br />

promovierte nach ihrer Pensionierung mit dem vorliegenden<br />

Werk im Fach Geschichte an der Universität in São Leopoldo<br />

in Rio Grande do Sul. Ihre Forschungsarbeit orientiert sich am<br />

Modell „Geschichte von unten“ mit dem Ziel, <strong>die</strong> Erfahrungen<br />

der katholischen Einwanderinnen für <strong>die</strong> Geschichte „zurückzugewinnen“,<br />

d.h. das „verhängnisvolle Sich-Verschließen der<br />

Kirche gegenüber den Erfahrungen von Laien allgemein und<br />

von Frauen im Besonderen“ aufzubrechen.<br />

Das Bundesland Rio Grande de Sul erlebte im 19. Jahrhundert<br />

eine beträchtliche Einwanderung aus Deutschland und Italien.<br />

Nachdem kürzlich <strong>die</strong> italienische Einwanderung<br />

in einer ebenfalls femin<strong>ist</strong>isch ausgerichteten<br />

Dissertation analysiert wurde,<br />

folgt hiermit <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong> zur Rolle der deutschen<br />

Frau im Rahmen der Einwanderung.<br />

Die Rolle der katholischen italienischen<br />

Frauen wurde folgendermaßen skizziert:<br />

„Gehorchen, danken, arbeiten.“<br />

Die Mehrzahl der katholischen deutschen<br />

Einwanderinnen und Einwanderer stammte<br />

aus dem agrarisch geprägten Südwesten<br />

Deutschlands, in dem viele Landbewohner<br />

aufgrund der Realerbteilung verarmt waren.<br />

Bezogen auf <strong>die</strong> kirchliche Verwaltung<br />

kamen sie aus den Diözesen Trier, Mainz<br />

und Freiburg.<br />

Die ersten Einwanderungsgenerationen<br />

(1824-1849) entwickelten in der neuen<br />

Heimat – auf dem Hintergrund einer in<br />

jeder Hinsicht „grauenvollen“ Situation<br />

der offiziellen Kirche – eine eindrucksvolle<br />

Eigeninitiative, um religiöses Leben und<br />

Unterweisung der Jugend zu praktizieren. Eine Art Laiengemeinden<br />

entstand, <strong>die</strong> allerdings nach 1849, als Jesuiten zunehmend<br />

<strong>die</strong> Seelsorge und Gemeindestruktur bestimmten,<br />

keine Zukunft hatten.<br />

Ab den 1840er Jahren brachten <strong>die</strong> Einwanderer Frömmigkeitsformen<br />

der katholischen Restauration aus Deutschland<br />

mit, <strong>die</strong> von der Autorin als „ultramontan emotional geladen“<br />

bezeichnet werden: Marienverehrung, Wallfahrten, Prozessionen,<br />

den Herz-Jesu-Kult sowie Bruderschaften, z.B. <strong>die</strong><br />

Herz-Mariä-Bruderschaft.<br />

Eine gefühlsorientierte Frauenfrömmigkeit wird gestützt, eine<br />

Spiritualität mit den Ideen Selbstverleugnung, Opfer, Sühne.<br />

Aktivitäten der Laien werden denen kirchlicher Autoritäten<br />

untergeordnet. Frauen kommen selten zu Wort. Als überraschendes<br />

Novum wird vermerkt, dass einige in den 1930er<br />

Jahren als Rednerinnen zu Katholikentagen eingeladen wurden.<br />

Während im südbrasilianischen Siedlungsgebiet der Deutschen<br />

katholischer Glaube, Muttersprache, Deutschtum und<br />

Unterordnung der Frau noch <strong>die</strong> Kultur bestimmten, wurde<br />

1922 in Rio de Janeiro bereits <strong>die</strong> „Brasilianische Föderation<br />

für weiblichen Fortschritt“ gegründet. Sie trat dafür ein, <strong>die</strong><br />

politischen Rechte der Frau sicherzustellen, „<strong>die</strong> unsere Konstitution<br />

ihr verleiht und sie für <strong>die</strong> intelligente Ausübung<br />

<strong><strong>die</strong>ser</strong> Rechte vorzubereiten“.<br />

<strong>Der</strong> letzte Teil des Buches enthält biographische<br />

Charakterstu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> den in<br />

jüngerer Zeit veröffentlichen Briefen von<br />

Auswanderern an ihre Verwandten in<br />

Deutschland sowie der deutschsprachigen<br />

Presse der südbrasilianischen Siedlungsregion<br />

entnommen wurden. Die dort veröffentlichten<br />

Todesanzeigen enthielten häufig<br />

ein Porträt der verstorbenen Person und<br />

damit Hinweise auf <strong>die</strong> Lebensumstände.<br />

Da <strong>die</strong>se sich in vielen Punkten ähnelten,<br />

hätte hier stärker zusammengefasst werden<br />

können.<br />

So nimmt der Leser tatsächlich an der Erforschung<br />

der Erfahrungen der deutschen<br />

Frauen teil, deren Schulbildung gering war.<br />

Er liest mit Erstaunen, dass <strong>die</strong> deutsche<br />

Muttersprache als „heiliges Gut“ verteidigt<br />

wurde. Er stellt Bezüge zur Migrationsdebatte<br />

hier (in Deutschland) und heute her.<br />

Er fragt sich, „wer“ lebte „wie“ von den<br />

deutschen Einwanderen im Kolonialgebiet. „Wilde Menschen“?<br />

Er fragt sich, wie sich <strong>die</strong> katholisch-deutsche Sozialisation<br />

auf den Süden Brasiliens auswirkt.<br />

Die Autorin bietet eine reiche Fülle an Materialien an, um <strong>die</strong><br />

Erfahrungen der deutschen Auswanderinnen „zurückzugewinnen“,<br />

um Fragen anzustoßen, <strong>die</strong> geeignet sind, den Horizont<br />

für <strong>die</strong> Migrationsproblematik überhaupt auszuweiten.<br />

Erschienen im Verlag Regionalkultur, Heidelberg 2006<br />

Kultur<br />

Gisela Lermen:<br />

„Deutsche Auswanderinnen in Südbrasilien“<br />

Lebenswelten und Erfahrungen von Frauen in Kolonie und katholische Kirche<br />

(1824-1939)<br />

von Annedore Jünnemann und Gerborg Me<strong>ist</strong>er<br />

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