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Jahre Wende - Humanistischer Verband Deutschlands

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abschrift sich Luther stützte, kannten das<br />

griechische Wort kamilos wohl nicht und<br />

ersetzten es durch kamelos, Kamel. Kamilos<br />

heißt aber „Schiffstau“. So ein dicker Strick<br />

passt zwar nicht durch ein Nadelöhr, aber<br />

umso besser zu dem Vergleich. Eine andere,<br />

weniger wahrscheinliche Erklärung bezieht<br />

sich auf ein für Kamele zu kleines Tor in der<br />

Jerusalemer Stadtmauer.<br />

Wo beim „Bfüdi“ der Herrgott steckt<br />

Wer sich näher mit der Sprache beschäftigt,<br />

stellt fest, welchen Einfluss die Religion auf<br />

ihre Entwicklung genommen hat. Wir werden<br />

geradezu umzingelt von Redewendungen,<br />

die ihren Ursprung in kirchlichen Ritualen<br />

und in der Lutherbibel oder in abergläubischen<br />

Beschwörungen haben. Kann<br />

man „Pfui Teufel“ oder „Gottverdammich“<br />

leicht zuordnen, so muss man beim österreichischen<br />

„Bfüdi“ (Behüt dich Gott) oder<br />

dem deutschen „Tschüs“ (in dem sich das<br />

französische „Adieu“ versteckt) nach dem<br />

Allmächtigen erst suchen. Wenn in München<br />

einer „Grüß Gott“ sagt, meint er aber<br />

nichts anderes als der Ostfriese mit „Moin,<br />

Moin“ oder der Berliner mit „Tach auch“<br />

und erwartet nicht, der Angesprochene wer-<br />

de den alten Herrn demnächst treffen und<br />

ihm die Grußbotschaft übermitteln. „Gebs<br />

Gott“ ist eine Variante von hoffentlich, „So<br />

Gott will“ sagt mancher statt „Wenn wir<br />

Schwein haben“. Solche Floskeln sind in<br />

der Regel gänzlich sinnentleert. Deshalb ist<br />

auch das Vokabular von Atheisten keineswegs<br />

gottlos. Im Vorjahr habe ich bei einer<br />

HVD-Veranstaltung eine Strichliste geführt<br />

und registrierte binnen drei Stunden 19<br />

Sprachbilder „himmlischer“ Herkunft.<br />

Das Wort Himmel zum Beispiel ist in<br />

seiner nichtastronomischen, jenseitigen<br />

Bedeutung unentbehrlicher Bestandsteil<br />

jeglicher Umgangssprache: Um Himmels<br />

willen; Es schreit zum Himmel; Im siebenten<br />

Himmel; Himmel und Hölle; Himmel,<br />

Arsch und Zwirn; Ach du lieber Himmel;<br />

Himmelhund. Wer denkt bei diesen so<br />

weltlichen Wünschen, Flüchen und Ausrufen<br />

noch an jene unsterbliche Dreieinigkeit,<br />

die vom Himmelsthron aus ganz ohne Handy<br />

und Internet die Welten lenken muss?<br />

Meine Mutter liebte es, endlose Debatten<br />

mit einem resoluten „Also hat Gott die Welt<br />

geliebt wie der Pastor seine Köchin, und die<br />

hieß Marie“ zu beschließen. Das gewährte<br />

einen tiefen Einblick in die Kirchenwelt,<br />

Altes Herz ist aller Laster Anfang<br />

meinte aber nur: Hört auf mit dem blöden<br />

Gequatsche!<br />

Das ist ein eigenartiges Merkmal der<br />

meisten Sprachbilder: Ihr ursprünglicher<br />

Sinn interessiert nicht. Gewicht hat allein,<br />

was der Benutzer in ihnen sieht. Sich mit<br />

dem Wandel der Wortbedeutung zu befassen,<br />

ist aber oft nützlicher Geschichtsunterricht.<br />

Der Wiener Essayist Karl Kraus sagt<br />

es so: „Je näher man ein Wort ansieht, desto<br />

ferner sieht es zurück.“ Für Einzelheiten ist<br />

hier kein Platz, aber man denke darüber<br />

nach, in welcher Umwelt solche heute noch<br />

benutzten Redensarten entstanden sind<br />

wie: „In den ist der Teufel gefahren“, „Den<br />

Teufel austreiben“, „Ins Jenseits befördern“,<br />

„Die hätte man als Hexe verbrennen sollen“,<br />

„Muss ich bis zum Jüngsten Gericht warten?“,<br />

„Der gehört auf den Scheiterhaufen“,<br />

„Du musst die Kirche im Dorf lassen.“<br />

Nicht jede Redewendung ist ein Volltreffer.<br />

So wäre es ein Irrtum zu glauben,<br />

die Leute redeten, wie ihnen der Schnabel<br />

gewachsen ist. Die meisten geben leider, unbewusst<br />

und in gewissen Varianten, nur das<br />

wieder, was sie von anderen Schnäbeln gehört<br />

haben: von Eltern, Lehrern, in der Umgebung,<br />

den Nachrichten, Talkshows, Zei-<br />

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