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Jahre Wende - Humanistischer Verband Deutschlands

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tungen. Leicht werden sie dabei manipuliert<br />

und penetrant wiederholte Begriffe sickern<br />

schließlich in ihr Denk- und Sprechschema<br />

ein. Auf Anhieb fallen mir da „christliches<br />

Abendland“, „gottgefällig handeln“, „zum<br />

rechten Glauben zurückkehren“ „christliche<br />

Leitkultur“ oder die Glaubenseidformel „So<br />

wahr mir Gott helfe“ ein. Dass in Krisenzeiten<br />

verbale Bigotterie spürbar zunimmt,<br />

begründet Kraus mit der These: „Wenn eine<br />

Kultur fühlt, dass es mit ihr zu Ende geht,<br />

lässt sie den Pfarrer kommen.“<br />

Wo gehobelt wird, fallen Späne. Selbst<br />

Große verirren sich im dichten Sprachwald<br />

dann und wann. Goethe, der im „Faust“<br />

den goldenen Baum des Lebens grün sein<br />

ließ, schrieb im „Werther“: „Das waren dem<br />

Gehirne spanische Dörfer.“ In seinem Gehirne<br />

hatten sich zwei Redensarten verheddert.<br />

Da können einem böhmische Dörfer<br />

schon mal spanisch vorkommen. Die „Berliner<br />

Zeitung“ wurde von diesem geflügelten<br />

Wort zu kühnen geografischen Phantasien<br />

angeregt: „Darüber hinaus ist Chinesisch<br />

für Mitteleuropäer eher ein böhmisches<br />

Dorf.“ In Spanien sagt man übrigens: Das<br />

kommt mir chinesisch vor.<br />

Ochsenschleim und Mutschekuh<br />

Ein weiteres markantes Ausdruckselement<br />

der Sprache ist der Klang der Wörter. Vor<br />

<strong>Jahre</strong>n las ich, wie ein Gedicht des Kinderbuchautors<br />

Lewis Carroll („Alice im Wunderland“)<br />

neu übersetzt wurde:<br />

„Verdaustig wars, und glasse Wieben<br />

Rotterten gorkicht im Gemank;<br />

Gar elump war der Pluckerwank,<br />

Und die gabben Schweisel frieben.“<br />

Bloßer Quatsch? Vorsicht. Die wichtigsten<br />

Wörter sind zwar ersponnen, aber der<br />

Text löst trotzdem Empfindungen aus, er<br />

klingt, als ob sich jemand in einer miesen<br />

Situation – im Sumpf? – elend fühlt. Wie<br />

kommt das? Da sind Laute, da sind Ähnlichkeiten<br />

mit Sinnvollem. Zumindest höherer<br />

Blödsinn also. Vokale und Buchstabengruppen<br />

können hart oder weich, lockend oder<br />

drohend, angenehm oder unappetitlich<br />

klingen, jeder weiß, dass ein „Aaah“ das Gegenteil<br />

von einem „Äääh“ ist, dass „Oooh“<br />

Freude und „Ööh“ Protest ausdrückt. Ganz<br />

unabhängig von der Bedeutung hört sich<br />

Mutschekuh lieb und Ochsenschleim eklig<br />

an. Werbeleute machen sich das zunutze.<br />

Friedrich von Logau (1604-1655) rühmte<br />

die Breite der Klangpalette unserer Muttersprache:<br />

34<br />

4/2009<br />

„Kann die deutsche Sprache schnauben,<br />

schnarren, poltern, donnern, krachen,<br />

kann sie doch auch spielen, scherzen,<br />

lieben, kosen, tändeln, lachen.“<br />

Aber aufgepasst! Der Klang kann auch<br />

irreführen. Als mein Sohn zum ersten Male<br />

das Wort Aftershave hörte, grinste er hintergründig.<br />

Auf die Frage, ob er überhaupt<br />

wisse, was das ist, antwortete er postwendend:<br />

„Na klar, was für’n Hintern.“ Und<br />

als meiner Tochter im Gespräch das Wort<br />

Kotflügel begegnete, reagierte sie mit „Iiih!“<br />

Wie hässlich klingt Gemeinnutz, wie schön<br />

dagegen Grünspan und Blausäure. Wie<br />

ähnlich sind sich Amor und Amok. Das<br />

Gegenteil von Prothese ist nicht Antithese.<br />

Mark Twain, der im „Bummel durch Europa“<br />

der „schrecklichen deutschen Sprache“<br />

ein Kapitel widmet und nicht ganz ernst gemeinte<br />

Verbesserungsvorschläge unterbreitet,<br />

bemängelte, Wortklang und Bedeutung<br />

stimmten im Deutschen nicht überein. Das<br />

Wort Gewitter erinnere ihn an Vogelgezwitscher.<br />

Selbst das englische toothbrush<br />

(Zahnbürste) komme ihm kraftvoller vor als<br />

etwa Ausbruch, von thunder, burst, crash,<br />

roar nicht zu reden. Da freute ihn, eine feine<br />

deutsche Dame zu einem US-Girl sagen zu<br />

hören: „Die beiden Sprachen sind sich so<br />

ähnlich - wie nett; wir sagen ‚Ach Gott!’,<br />

und Sie sagen ‚Goddam!’“<br />

Dahingeschieden oder abgenippelt?<br />

Wer schon mal einen Anzeigentext aufsetzen<br />

musste weiß: Umgangssprachliche Wörter<br />

sind dafür meist unbrauchbar. Warum? Es<br />

gibt drei Sprachebenen mit vielen Abstufungen:<br />

den gehobenen Stil, die stilistische<br />

Null-Färbung, die Vulgärsprache. Nehmen<br />

wir eine Todesanzeige. Da steht vom so<br />

plötzlich Dahingeschiedenen, vom teuren<br />

Toten, den der Herr zu sich genommen<br />

hat. Das sind feierliche Varianten. Der ist<br />

erbärmlich verreckt, hat ins Gras gebissen,<br />

ist abgenippelt, hat seinen Löffel abgegeben,<br />

den hat der Teufel geholt. So hört es sich<br />

vulgär an. Neutral wäre gestorben, den letzten<br />

Atemzug getan, einer langen Krankheit<br />

erlegen. Humoristen leben von der Vermischung<br />

der Stile. Auch in der Laiengruppe<br />

übten wir: Der Riese sprach mit dröhnender<br />

Stimme: Mama, ich muss pullern. In der<br />

Frage des Dieners zur Hausherrin „Geruhen<br />

Frau Gräfin nicht auch zu bemerken, dass<br />

dieses ein rechtes Scheißwetter sei?“ macht<br />

ein Wort aus dem Sprachprekariat aus der<br />

höfisch formulierten Frage einen Witz.<br />

In dieser Krisenzeit wird allenthalben<br />

zur Sparsamkeit ermahnt, warum nicht<br />

auch beim Wortgebrauch? Doppelt moppeln<br />

ist eine deutsche Sprachuntugend, die<br />

vor allem in Berlin durch die Mischung des<br />

Adelsfranzösisch mit dem heimischen Dialekt<br />

eine lange Tradition hat. Wie konstatiert<br />

der Berliner Lokaldichter und Erfinder<br />

des Eckenstehers Nante, Adolf Glaßbrenner:<br />

„Tugend ist nur Mut zur Courage.“<br />

Dem gleichen tautologischen Topf sind<br />

„infame Gemeinheit“, „konträres Gegenteil“<br />

und „gegenwärtig nicht momentan“<br />

entnommen.<br />

In der ehemaligen DDR spöttelte man<br />

gern: „Spare mit jedem Pfennig, koste es,<br />

was es wolle.“ Ehemalige DDR? Das hätte<br />

nur Sinn, wenn irgendwo eine zweite herumläge,<br />

die noch existiert. Aber manche<br />

haben Angst, als Nostalgiker zu gelten,<br />

wenn sie einfach DDR sagen, so wie sie in<br />

Berlin gar die Erdachse drehen und vom<br />

ehemaligen Ostteil der Stadt reden. Weißen<br />

Schimmeln begegnet man überall, bei<br />

RTL im Versprechen, einen „neuen Start<br />

anzufangen“, im RBB-Inforadio beim<br />

„früheren Ex-Präsidenten Clinton“, und<br />

Monitor fragt, „wie es künftig weitergehen<br />

wird“.<br />

Meist soll Wortbombast nur kleine<br />

Sprachfürzchen zu Donnerschlägen aufblasen.<br />

Beliebt ist das in Parlamentsreden. O-<br />

Ton: „Gerade im Angesicht der Komplexität<br />

der aktuellen Situation sollten wir hektische<br />

Betriebsamkeit auf diesem Sachgebiet tunlichst<br />

meiden.“ Gemeint ist: „Ehe wir in ein<br />

Fettnäpfchen treten, machen wir lieber gar<br />

nichts.“ Der Chef des Marburger Bundes<br />

verkündete vor einem Ärzteausstand: „Die<br />

Ärzte wollen eine Streiksituation gestalten.“<br />

– „Die Ärzte wollen streiken“ hätte auch<br />

genügt. Auf der Fanmeile zur Fußball-WM<br />

wollten die Händler „im Vorfeld der Veranstaltungen“<br />

die Riesenbratwürste nicht<br />

schlicht anbieten, sondern „zum Verzehr<br />

bringen“. Das teilten sie Journalisten nicht<br />

etwa mit, nein, sie brachten es ihnen zur<br />

Kenntnis.<br />

So gestelzt reden Stadionausrufer und Regierungssprecher,<br />

Betriebsrat und Bischof,<br />

Bürgermeister und Kanzlerin. Ist es wirklich<br />

schon 130 <strong>Jahre</strong> her, dass ein Münsteraner<br />

Pfarrer als Neujahrsgebet sagte: Gib den<br />

Regierenden ein besseres Deutsch und den<br />

Deutschen eine bessere Regierung. Herr<br />

sorge dafür, dass wir alle in den Himmel<br />

kommen. Aber nicht sofort. l

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