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Boberhaus und Boberhauskreis - Adolf-Reichwein-Verein

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ekannte <strong>und</strong> geliebte Menschen ist, nämlich um das<br />

Einstehen für die Fernsten <strong>und</strong> Fremdesten, die gar<br />

nicht Gekannten. Vielleicht können die möglichen<br />

Ansprüche der Getöteten geahnt werden, ohne sie<br />

doch zu eigenem Nutzen auszubeuten. Es geht<br />

dabei auch um eine am �Antlitz des Anderen� (Levinas,<br />

Brumlik) orientierte Ethik. Mag sein, daß eine<br />

solche Anerkennung des Anderen auch zugleich den<br />

Kern der Umkehr meint, mit der die Nachkriegs-<br />

Republik sich von dem tödlichen Denken des Nationalsozialismus<br />

verabschiedet hat; eine Umkehr, auch<br />

daran ist gegen ganz rechts zu erinnern, die nicht nur<br />

für die Bonner, sondern auch für die �Berliner Republik�<br />

gelten muss. Wir sollten riskieren, durch historische<br />

Empathie, durch geschichtsbewusste, (�anamnetische)<br />

Solidarität� (J. B. Metz) eine Aufmerksamkeit<br />

auszubilden, die es uns erlaubt, mit den Augen<br />

der Erinnerten nicht mehr zu vergessen <strong>und</strong> so einen<br />

von der historischen Erfahrung der Unterdrückten<br />

geschärften Blick auch auf das zu richten, was heute<br />

geschieht. Eine Ethik der Erinnerung bezöge sich auf<br />

Nahe, Ferne <strong>und</strong> Fremde. Sie läge in einer gegen<br />

Ethnozentrismus, Rassismus <strong>und</strong> Antisemitismus<br />

gerichteten universalen Achtung der Menschenwürde<br />

wie in der Verachtung der Tat <strong>und</strong> der Täter.<br />

Die Mit-Teilung der Überlebenden, so sie uns ihre<br />

Erfahrungen <strong>und</strong> Empfindungen mitteilen, reicht tief,<br />

<strong>und</strong> ist oftmals in diesem Sinn bereichernd. Unser<br />

Bemühen um eine erinnernde Solidarität hätte diesen<br />

�Sinn�. 23 Dies schlösse ein, die Erfahrung der Ohnmacht<br />

für einen Moment lang auszuhalten, an dessen<br />

inneren Augen immer wieder die Erfahrung gewaltsamer<br />

Trennung nächster Angehöriger vorüberzieht,<br />

etwa das Gesicht des 85jährigen Auschwitzüberlebenden<br />

Kazimir Smolen, als er uns beschreibt,<br />

wie er an einem Tag des Jahres 1944 in Auschwitz-<br />

Birkenau die Kinder schreien hört, ehe sie von ihren<br />

Eltern getrennt, in die Gaskammer geführt werden,<br />

so, als hörte er sie heute.<br />

23 Walter Benjamin hatte aus der jüdisch-philosophischen<br />

Tradition auf einer Erinnerung bestanden, die Vergangenheit<br />

gegenwärtig macht � persönlich <strong>und</strong> mehr noch<br />

gesellschaftlich. Solidarität mit den Gewesenen heißt dann,<br />

ihre Erinnerung zu retten, sie vor dem Vergessen zu<br />

bewahren <strong>und</strong> auch vor dem Konformismus der Sieger <strong>und</strong><br />

deren späterer <strong>Verein</strong>nahmung noch ihrer Opfer. Derjenige,<br />

der die Vergangenen vor dem Konformismus rette, tue dies,<br />

weil er für sie, für diese Vergangenen, sich verantwortlich<br />

fühlt. Es geht insofern um eine Parteinahme über das<br />

Gedenken dieser Vergessenen. Wenn auch vor Auschwitz<br />

geschrieben, so hieße dies nach Auschwitz auch: die Opfer<br />

nicht zu instrumentalisieren. Es geht um sie, nicht um uns,<br />

<strong>und</strong> erst recht nicht um die Opfer als ein Medium nationaler<br />

Selbstfindung.<br />

reichwein forum Nr. 7 / November 2005<br />

21<br />

Polnische Poetin aus deutscher Sicht:<br />

Wis�awa Szymborska<br />

Gerhard Bauer<br />

Meine Begeisterung für diese Autorin ist so groß,<br />

dass ich gern auch die zusätzliche Aufgabe erfülle<br />

<strong>und</strong> das, was ich in der Kreisauer Tagung vorgetragen<br />

habe, nachträglich aufschreibe. Trotzdem ist es<br />

nicht das gleiche. Die Spontaneität der Rede aus<br />

einem vollen Herzen, getragen von der wohlwollenden<br />

Neugier der Versammelten am ersten Abend der<br />

Begegnung an jenem exterritorialen <strong>und</strong> doch so<br />

bedeutungsvoll �nahen� Ort, lässt sich nicht schriftlich<br />

simulieren. Ich kann nur hoffen, dass die schriftliche<br />

Version, mit genauer bedachten statt mit momentan<br />

gegriffenen Ausdrücken, ihren eigenen sinnvollen<br />

Duktus erhält, <strong>und</strong> ich kann an mehreren Stellen<br />

etwas vervollständigen, was im Feuer des Redens<br />

auf der Strecke geblieben ist.<br />

So wurde ich wiederholt während der Tagung gefragt,<br />

aus welchem persönlichen Hintergr<strong>und</strong> diese markante<br />

Dichtung gespeist ist. Die Poetin selbst spricht<br />

selten von ihrer eigenen Person; sie lehnt es ab,<br />

geistige oder künstlerische Leistungen auf biographische<br />

Daten zurückzuführen. Trotzdem ist einiges<br />

über sie bekannt. Es liegt sogar ein voluminöser Band<br />

vor, von zwei ihrer jüngeren Fre<strong>und</strong>innen herausgegeben,<br />

in dem Auskünfte über sie <strong>und</strong> Zeugnisse von

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