Boberhaus und Boberhauskreis - Adolf-Reichwein-Verein
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<strong>Reichwein</strong> wiederum war es, der in Halle dafür gesorgt<br />
hatte, dass die praxisnahe Ausbildung über die<br />
Unterrichtskompetenzen hinaus auf die Handlungsprobleme<br />
des Schullebens <strong>und</strong> der Schulgemeinde<br />
ausgedehnt wurde. Dieser Aufgabe diente die Durchführung<br />
der Landschulpraktika in der jugendbewegten<br />
Form des Zeltlagers. R<strong>und</strong>zelte aus amerikanischen<br />
Heeresbeständen wurden zur Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsstätte<br />
des Kollegiums von Lehrerstudenten <strong>und</strong> Akademiedozenten,<br />
die gemeinsam �vor Ort�, auf nahegelegenen<br />
Wiesen der Dörfer, an deren Schulen die<br />
Praktika stattfanden, die Veranstaltungen planten <strong>und</strong><br />
durchführten. Attraktiv wurde das Campuskonzept<br />
insbesondere durch eine hohe Varianz der Gruppenbeziehungen,<br />
die es zur Förderung professionellen<br />
Könnens künftiger Lehrer bot. Kollegiale Manöverkritiken<br />
wurden ergänzt durch individuelle Beratungen<br />
der einzelnen Studierenden, durchgeführt von Vertrauenslehrern<br />
<strong>und</strong> Dozenten. Eine wesentliche Rolle<br />
spielten die Diskussionen über Erziehungsfragen mit<br />
den Eltern der Kinder. Studenten <strong>und</strong> Dozenten gewannen<br />
ihr Vertrauen nicht zuletzt durch aktive Beteiligungen<br />
am kulturellen Leben der Gemeinde, an<br />
Festen <strong>und</strong> Feiern. Damit berührt <strong>Reichwein</strong> eine<br />
weitere Dimension der Lehrerbildung, die er als Fortführung<br />
der Schulpädagogik ins �Volkserzieherische�<br />
bezeichnet hat.<br />
- Aufgabe des Lehrerstudiums: Anbahnung<br />
professioneller Erziehungskompetenzen<br />
durch demokratische Selbsterziehung in Veranstaltungen<br />
des Akademielebens<br />
In seinen �Bemerkungen zu einer Selbstdarstellung�<br />
vom Frühjahr 1933 beschreibt <strong>Reichwein</strong> diese Aufgabe<br />
so: �Da ich davon überzeugt bin, daß jede Lehre<br />
erst dann erzieherisch voll wirksam werden kann,<br />
wenn sie durch Beispiel oder praktische Anwendung<br />
gültig oder versuchsweise ausgeprägt wird, hatte ich<br />
in das Leben der Akademie zwei Unternehmungen<br />
eingeführt, die zur Einordnung <strong>und</strong> Disziplin, zur Entsagung<br />
<strong>und</strong> Freude des gemeinschaftlichen Lebens<br />
erziehen sollten: Die Winter- <strong>und</strong> Sommerlager <strong>und</strong><br />
die Landschulpraktika in Form des Zeltlagers. Skilager<br />
in den Bauden des Riesengebirges <strong>und</strong> Zeltlager<br />
an der sommerlichen See zielten auf Straffheit <strong>und</strong><br />
Härtung durch anspruchsloses Leben. Den gleichen<br />
Sinn hatte das Zeltlager, das die Landschulpraktikanten<br />
vereinigte.� (Pallat / <strong>Reichwein</strong> / Kunz 1999, 260)<br />
Die spartanische Straffheit in den beschriebenen<br />
Innovationen des Akademielebens gibt <strong>Reichwein</strong><br />
korrekt wieder. Über die inhaltliche Tendenz der angesprochenen<br />
�Lehre� erfahren die Adressaten des<br />
Lebenslaufes aber wiederum nichts. Aufschlüsse<br />
reichwein forum Nr. 7 / November 2005<br />
39<br />
hierzu bieten dagegen Protokolle der Referate <strong>und</strong><br />
Diskussionen auf einem der erwähnten Zeltlager an<br />
der �sommerlichen See�. In seinen Beiträgen zu der<br />
bereits angesprochenen Tagung. �Politik <strong>und</strong> Erziehung�<br />
vom Spätsommer 1932 begründet <strong>Reichwein</strong><br />
die Notwendigkeit der sozialen Erziehungsaufgabe<br />
von Lehrern mit dem Zusammentreffen neuer Verhaltensansprüche<br />
an den Einzelnen in der Arbeitswelt<br />
<strong>und</strong> Politik. Im notwendig gewordenen Transformationsprozess<br />
von der kapitalistischen zur demokratisch-sozialistischen<br />
Gesellschaftsformation falle den<br />
Intellektuellen, vorab Lehrern, eine Führungsrolle<br />
demokratischer Eliten zu: Vermittelt werden müsse im<br />
Reformprozess allen beteiligten Gruppen eine existentielle<br />
Verhaltensänderung. Über disziplinierte Einordnung,<br />
engagierte Mitarbeit <strong>und</strong> sachk<strong>und</strong>ige Mitbestimmung<br />
in Kooperativen gelte es, privatistische<br />
Einstellungen, die über Generationen eingeprägt<br />
wurden, allmählich zu überwinden. Sollten Lehrer die<br />
neuen, notwendig gewordenen Verhaltensformen<br />
durch ihre Erziehungsarbeit fördern, müssten sie sie<br />
aber zunächst bei sich selbst ausbilden. Diesem<br />
Zweck dienten <strong>Reichwein</strong>s Angebote zur demokratischen<br />
Selbsterziehung der Studentenschaft im Gesamtbereich<br />
des Akademielebens. Unter den Bedingungen<br />
der Weltwirtschaftskrise <strong>und</strong> ihren Folgen<br />
steigender Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> weitverbreiteter materieller<br />
Not in Deutschland konnte die Selbsterziehung<br />
künftiger Lehrer, um glaubwürdig zu bleiben, aber nur<br />
in Formen anspruchslosen Lebens stattfinden: �Die<br />
Führungsaufgabe der Lehrerschaft im ganzen Volk,<br />
das sich sittlich, geistig <strong>und</strong> beruflich neu ordnet, um<br />
eine neue Existenzform zu finden, in der es leben<br />
kann,� schreibt er 1931, �wird von Lehrern nur übernommen<br />
werden können, wenn sie zur Führung erzogen<br />
worden sind; zur Führung nicht aus Privileg,<br />
sondern aus Können�die Pflege der Maschinen, die<br />
Exaktheit unseres materielltechnischen Gefüges, das<br />
Wachstum von Genossenschaftssinn <strong>und</strong> genossenschaftlicher<br />
Organisation, die verantwortungsvolle<br />
Haltung aller einzelnen zu Volk <strong>und</strong> Staat werden<br />
künftig davon abhängen, daß 150 000 Lehrer in<br />
Deutschland Hüter nicht nur des erzieherischen,<br />
sondern ebenso auch des politischen Gewissens�<br />
werden. (<strong>Reichwein</strong> (1931) 1978, 81)<br />
- Fazit<br />
Die gesellschaftlichen Ansprüche an die Lehrerbildung<br />
lassen sich nach <strong>Reichwein</strong>s Auffassung in drei<br />
miteinander verknüpften Hauptaufgaben zusammenfassen:<br />
- Förderung politischer Urteilsbildung <strong>und</strong> Entscheidungskompetenz