Boberhaus und Boberhauskreis - Adolf-Reichwein-Verein
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eichwein forum Nr. 7 / November 2005<br />
Kenntnis von den Bildungsprozessen junger Menschen <strong>und</strong> ein wacher Blick für die Schul- <strong>und</strong> Bildungssituation<br />
in den Ländern Deutschlands in denjenigen Epochen, die er miterlebt hat. Dazu kam aber: seine auf eigenen<br />
Studien beruhende Kenntnis der kapitalistischen Wirtschaft in Deutschland <strong>und</strong> in einigen wichtigen weltweiten<br />
Verflechtungen; die Fähigkeit, Deutschland <strong>und</strong> manche Teile Europas aus der Perspektive der Weltwirtschaft zu<br />
betrachten; sein Blick für politische Situationen <strong>und</strong> für das, was sie eigentlich erfordern würden <strong>und</strong> vom einzelnen,<br />
d.h. von miteinander verb<strong>und</strong>enen Einzelnen tatsächlich <strong>und</strong> dringlich verlangten. Und natürlich sein Mut �<br />
nicht als Frage des Temperaments oder Charakters, sondern als Erkenntnis, als praktizierte Verantwortung.<br />
Was heißt das für die Arbeit des <strong>Reichwein</strong>-<strong>Verein</strong>s? Wir müssen uns nicht dümmer stellen als wir sind, müssen<br />
bei Betrachtung des Kunstkenners <strong>Reichwein</strong> (im kommenden Jahr in Jena) den Widerstandskämpfer nicht außer<br />
Acht lassen <strong>und</strong> vice versa. Wenn wir unser Verständnis für das schulen, was in den beiden gewesenen Diktaturen<br />
möglich <strong>und</strong> nicht möglich war (wie jüngst in Kreisau), müssen wir nicht so tun, als wäre das Vergangenheit,<br />
als könnten wir heute, weil in einer Demokratie lebend, einfach tun, was wir tun wollen. Herr Garstecki von der<br />
Stiftung Trott sprach immerhin von den �vielfältigen Möglichkeiten des Widerstehens auch in einer Demokratie���<br />
ich schlage vor, dass wir diese Betrachtungsweise für unseren <strong>Verein</strong> kooptieren. Wir hätten zudem etwas nachzuarbeiten,<br />
was in der gesamten derzeitigen Elite-Diskussion viel zu wenig bedacht wird: Wovon zehrt <strong>und</strong> wie<br />
wirkt die pädagogische Elite? Marx sprach von der unerlässlichen �Erziehung der Erzieher�.<br />
ZUR PERSON<br />
Walter Dexel<br />
7. 1.1890 - 8. 6.1973<br />
Hans-Peter Thun<br />
Wir sind bestimmte, immer wiederkehrende Namen in<br />
<strong>Reichwein</strong>s Primär- <strong>und</strong> Sek<strong>und</strong>ärliteratur gewöhnt,<br />
kennen wohl auch kurze Erläuterungen dazu aus dem<br />
Briefband oder aus Ullrich Amlungs exzellenter Bio-<br />
graphie 4 , die Namen sind uns so vertraut, dass oft<br />
4 Amlung, Ullrich: ... in der Entscheidung gibt es keine Umwege.<br />
<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> (1898-1944). Reformpädagoge,<br />
Sozialist, Widerstandskämpfer<br />
Marburg: Schüren Pressevlg /PRO, 1999<br />
ISBN 3-89472-164-2<br />
6<br />
Gerhard Bauer<br />
nicht bewusst wird, wie wenig wir de facto über die<br />
Person wissen. �Lieber Dexel�, �liebe Dexels��� auch<br />
wieder so eine Anrede, die den Leser der überlieferten<br />
Briefe <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s von 1926 bis 1944 begleitet<br />
5 . Und wer war das nun - Walter Dexel? Dieser<br />
Frage soll hier nachgegangen werden, wenn auch die<br />
Antwort, um das gleich vorweg zu sagen, nur sehr<br />
skizzenhaft sein wird. Das liegt an der Diskrepanz<br />
zwischen zur Verfügung stehendem Raum <strong>und</strong> der<br />
Vielseitigkeit des beruflichen Schaffens dieses Mannes.<br />
Wollte man seiner Biographie charakterisierende<br />
Schlagwörter zuordnen, so brauchte man deren viele:<br />
Kunstwissenschaftler, Maler, Grafiker, Werbegestalter,<br />
Kunsttischler, Bühnenbildner, Städteplaner, Ausstellungsorganisator,<br />
Hochschullehrer, Kunstvereins<strong>und</strong><br />
Museumsleiter.<br />
Als der junge <strong>Reichwein</strong>, ganze 25 Jahre, am 1. Oktober<br />
1923 in Jena auftaucht, wo er seine erste �richtige�<br />
Arbeitsstelle als Leiter der Volkshochschule<br />
Thüringen antreten soll, seine Frau Eva noch hoch<br />
schwanger in Eschersheim, da zeigt er bereits eine<br />
erstaunliche Eigenschaft, die ihn sein ganzes Leben<br />
begleitet: Er sammelt persönliche Beziehungen, sucht<br />
die Verbindung zu Menschen, die ihm bei seiner<br />
beruflichen <strong>und</strong> persönlichen Entwicklung nützlich<br />
sein können; als Helfer bei der Umsetzung von Vorhaben,<br />
als Diskussionspartner zur Entwicklung <strong>und</strong><br />
5 <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>: Pädagoge <strong>und</strong> Widerstandskämpfer : ein<br />
Lebensbild in Briefen <strong>und</strong> Dokumenten (1914 - 1944) /<br />
Gabriele C. Pallat, Roland <strong>Reichwein</strong>, Lothar Kunz (Hrsg.).<br />
Mit einer Einf. von Peter Steinbach. -<br />
Paderborn ; München ; Wien ; Zürich : Schöningh, 1999. -<br />
XXXVIII, 454 S. : Ill. ISBN 3-506-77156-6<br />
Zitiert als: Briefe 1999