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Boberhaus und Boberhauskreis - Adolf-Reichwein-Verein

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dessen persönliche, vom Konventionellen abweichende<br />

Frömmigkeit. Bonhoeffers �Gebete für Mitgefangene�,<br />

die vor allem auch Nichtgläubige miteinbezogen,<br />

sind auf Anregung Poelchaus entstanden. Er<br />

benötigte sie auch für seinen Gefängnisalltag.<br />

Politisch forderte Bonhoeffer für die Zeit nach dem<br />

Krieg eine Reform der durch den Nationalsozialismus<br />

kompromittierten Kirche <strong>und</strong> er sah die Notwendigkeit,<br />

den kirchlichen Besitz an Notleidende zu übergeben.<br />

Harpprecht verweist auch in diesem Zusammenhang<br />

auf die gute Kooperation Poelchaus mit seinem<br />

katholischen Kollegen Peter Buchholz in Tegel. Poelchau<br />

vermittelte den Gedankenaustausch zwischen<br />

Eugen Gerstenmaier <strong>und</strong> Alfred Delp, beide waren<br />

Gefangene in Tegel <strong>und</strong> Mitglieder des Kreisauer<br />

Kreises. Auch von Moltke wurde durch Poelchau in<br />

den "Religionsaustausch Gerstenmaier/Delp� einbezogen.<br />

Stoff des vorletzten Kapitels sind die verschärfte<br />

Judenverfolgung <strong>und</strong> die Prozesse vor dem Volksgerichtshof.<br />

Harpprecht nennt interessante Zahlen: Von 5000<br />

untergetauchten Juden in Berlin überlebten 1500 in<br />

der Illegalität, weil Menschen wie Harald Poelchau<br />

u.a. sie konkret unterstützten. Er verweist z.B. auch<br />

auf die �Gruppe Emil�, der u.a. auch Ruth Andreas-<br />

Friedrich <strong>und</strong> Karin Friedrich angehörten. Auch die<br />

eingangs erwähnte Geschichte Konrad Lattes wird in<br />

diesem Kapitel � angelehnt an Peter Schneiders<br />

Buch � dargelegt. 45 Eindrucksvoll der kurze Auszug<br />

aus dem Dialog Peter Graf Yorck von Wartenburgs<br />

mit Roland Freisler im Volksgerichtshof über die Judenfrage,<br />

den Harpprecht wörtlich zitiert.<br />

Nach erneuten Bombenangriffen <strong>und</strong> vor der anstehenden<br />

Entscheidungsschlacht um Berlin, verließ<br />

Harald Poelchau mit seiner Frau <strong>und</strong> dem jungen<br />

Sohn Harald am 4.4.1945 mit dem Zug die Reichshauptstadt.<br />

Die Familie kam im fränkischen B<strong>und</strong>orf<br />

auf dem Gutshof des Barons von Truchsess, einem<br />

Förderer des Widerstands, unter.<br />

Im Vergleich zu den anderen Etappen fasst<br />

Harpprecht die Zeit nach 1945 bis zu Poelchaus Tod<br />

1972 im Schlusskapitel exemplarisch zusammen.<br />

Eine genauere Befassung seiner Tätigkeiten im evangelischen<br />

Hilfswerk, das sich der allgemeinen<br />

Nothilfe <strong>und</strong> dem Wiederaufbau der Kirche widmete,<br />

seine Bemühungen als Vortragender Rat für die Justizreform<br />

in der SBZ 1946 � 1949 <strong>und</strong> Poelchaus<br />

erneute Tätigkeit als Gefängnispfarrer wieder in Tegel<br />

45 Peter Schneider: �Und wenn wir nur eine St<strong>und</strong>e gewinnen�.<br />

Wie ein jüdischer Musiker die Nazi-Jahre überlebte�,<br />

Rowohlt Taschenbuch-Verlag, Berlin 2000.<br />

reichwein forum Nr. 7 / November 2005<br />

51<br />

1949 � 1951 unter kirchlicher Obhut... hätte zu einer<br />

Umfangerweiterung der Kurzbiographie geführt, die<br />

der Autor offensichtlich nicht wollte; vielleicht lagen<br />

auch nur pragmatische Gründe seitens des Verlages<br />

vor.<br />

Wenn man von der langen Tätigkeit als Sozialpfarrer<br />

in Berlin von 1952 -1972 absieht, die Harpprecht als<br />

idealen Beruf für Poelchau darstellt, war das Wirken<br />

nach 1945 zunächst nicht mehr so erfolgreich.<br />

Harpprecht stellt bedauernd fest, dass der Theologe<br />

<strong>und</strong> Sozialreformer auf politischer Ebene weder zu<br />

Ernst Reuter noch später zu Willy Brandt einen Kontakt<br />

fand.<br />

Kritisch bemerkt Harpprecht auch, dass Poelchau in<br />

einer Distanz zum Westen stand. Beispielsweise<br />

habe er die Forderungen der Arbeiter am 17. Juni<br />

1953 unterstützt. Doch die Proteste gegen Walter<br />

Ulbircht hielt er �für ein Werk des Westens� <strong>und</strong><br />

gleichzeitig lobte er die Zurückhaltung der Sowjets,<br />

die damals mit ihren Panzern kein Blutbad angerichtet<br />

hätten.<br />

Man spürt Harpprechts Unbehagen bzw. Unverständnis<br />

hinsichtlich Poelchaus poli-tischer Orientierung<br />

nach 1945.<br />

Seinem Fazit �Man darf, wenn eine Summe gezogen<br />

werden soll, Harald Poelchau den reinsten Geist des<br />

Widerstandes nennen, denn er lebte � todesbereit �<br />

ganz aus der Liebe zum Nächsten...� 46 kann man nur<br />

zustimmen.<br />

Im Anhang befindet sich eine genaue Zeittafel über<br />

Poelchaus Lebensdaten <strong>und</strong> Werke (auch Bücher)<br />

von Christian Homrichhausen <strong>und</strong> Franziska Gall<br />

zusammengestellt.<br />

Das Literaturverzeichnis umfasst Bücher <strong>und</strong> Aufsätze<br />

Poelchaus, Film- <strong>und</strong> Tondokumente, Quellen <strong>und</strong><br />

weiterführende Literaturangaben.<br />

Klaus Harpprechts Poelchau-Buch ist keine umfassende<br />

Biographie. Er sieht in ihr selbst ein �Kleines<br />

Buch�, wie er in seiner Widmung eingangs betont.<br />

Der essayistisch-journalistische Stil ist ansprechend<br />

<strong>und</strong> erleichtert die inhaltliche Auseinandersetzung mit<br />

dem �schweren Stoff�.<br />

Das Fehlen von Anmerkungen hat mich zunächst<br />

irritiert. Das umfangreiche Quellenmaterial <strong>und</strong> die<br />

Sek<strong>und</strong>ärliteratur hat Harpprecht nur teilweise herangezogen<br />

bzw. in seiner Schrift berücksichtigt. Eine<br />

umfassende, auch quellenkritische Gesamtbiographie<br />

ist meines Wissens bisher noch nicht vorgelegt<br />

worden.<br />

46 Klaus Harpprecht, a.a.0., S. 222

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