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Prof. Dr. Roland Conrady INTERVIEW DER WOCHE➤<br />
Was bringt die neue EU der<br />
Branche, HERR CONRADY?<br />
Seit Mai ist die EU um zehn Staaten reicher.<br />
Was bringt die Mitgliedschaft der<br />
Tourismuswirtschaft?<br />
■ Einen »Big Bang« wird es nicht geben,<br />
wohl aber eine Vielzahl von Chancen. Im<br />
Moment geben vor allem die Sicherung der<br />
rechtlichen Rahmenbedingungen und die Erleichterung<br />
des grenzüberschreitenden Verkehrs<br />
neue Impulse. Sicher wird auch die Einführung<br />
des Euro zum Tourismus-Treiber, sie<br />
kommt aber in den großen Beitrittsländern<br />
frühestens zum Ende des Jahrzehnts.<br />
Wo sehen Sie denn die besten Entwicklungschancen?<br />
■ Kurzfristig sicher im Geschäftsreisesektor.<br />
In den neuen EU-Staaten wird das Wirtschaftswachstum<br />
in den nächsten Jahren<br />
etwa doppelt so hoch ausfallen wie in den alten<br />
Mitgliedsländern. Diese Länder sind sehr<br />
interessante Investitionsstandorte und Handelspartner.<br />
Als Urlaubsländer sind die Neuzugänge<br />
kein großes Thema?<br />
■ Doch, natürlich. Die Vermarktung durch<br />
die deutschen Reiseveranstalter steckt allerdings<br />
noch in den Kinderschuhen. In den Katalogen<br />
aller deutschen Reiseveranstalter sind<br />
heute nur rund 900 Hotels der neuen EU-Länder,<br />
davon entfällt ein Drittel<br />
auf Malta und Zypern.<br />
Haben die Veranstalter<br />
geschlafen?<br />
■ Nein, das schmale Angebot<br />
ist natürlich auch eine<br />
Frage der geringen Kapazitäten.<br />
Die Bettenkapazität<br />
aller neuen EU-Staaten<br />
ist nicht mal halb so<br />
groß wie die Italiens. Aber<br />
trotz der geringen Anzahl<br />
von insgesamt 11.600 Hotels<br />
könnten durchaus<br />
weitere Hotels unter Vertrag<br />
genommen werden.<br />
Wird das in den nächsten<br />
Jahren geschehen?<br />
FACTS<br />
Reiseströme<br />
■ Ungarn: 3,3 Millionen<br />
■ Tschechien: 1,7 Millionen<br />
■ Polen*: 650.000<br />
■ Slowenien: 235.000<br />
■ Lettland: 180.000<br />
■ Litauen: 150.000<br />
■ Zypern: 150.000<br />
■ Malta: 130.000<br />
■ Estland: 130.000<br />
■ Slowakei**: 189.000<br />
■ Summe: 6,6 Millionen<br />
Gäste aus Deutschland<br />
(Schätzung der Fremdenverkehrsämter<br />
für 2004).<br />
*nur Urlauber; **2002<br />
»Die Vermarktung<br />
durch Veranstalter<br />
steckt in den<br />
Kinderschuhen«<br />
Prof. Dr. Roland Conrady (44), Dekan des<br />
Fachbereichs Touristik/Verkehrswesen<br />
an der FH Worms, hat die Studie<br />
»Perspektiven der EU-Erweiterung für<br />
die deutsche Tourismusindustrie« auf<br />
dem BTW-Gipfel in Berlin präsentiert.<br />
■ Wir rechnen schon für dieses Jahr mit einem<br />
Wachstum der Gästezahl aus Deutschland von<br />
acht Prozent. Befragungen haben gezeigt, dass<br />
bei den Deutschen eine starke Bereitschaft besteht,<br />
in die neuen EU-Länder zu reisen.<br />
Außerdem ist das Preisniveau dort sehr attraktiv.<br />
Potenzial ist also reichlich vorhanden.<br />
Wie kann dieses Potenzial<br />
besser ausgeschöpft<br />
werden?<br />
■ Zunächst müssen die<br />
Kenntnisse über die Attraktionen<br />
der Zielgebiete erheblich<br />
verbessert werden. Das<br />
heißt vor allem, die Länder<br />
müssen ihr Auslandsmarketing<br />
weiter ausbauen und<br />
professionalisieren.<br />
Ist die Infrastruktur für<br />
ein dynamisches Wachstum<br />
ausreichend?<br />
■ Neben der geringen Hotelkapazität<br />
sind vor allem<br />
die Mängel im Bereich der<br />
Straßenwege ein Problem.<br />
Reisen in die neuen Länder sind auch aufgrund<br />
der zum Teil höheren Entfernungen beschwerlich.<br />
Deshalb kommt dem Luftverkehr<br />
sicher eine Schlüsselrolle zu.<br />
Auf diesem Gebiet tut sich doch gerade<br />
einiges...<br />
■ Ja, sehr viel sogar. In den neuen Ländern<br />
gibt es 22 größere Airports. Außerdem könnten<br />
künftig ehemalige Militärflughäfen genutzt<br />
werden. Vor allem die Lowcost-Carrier<br />
sind bei den Städteverbindungen schon sehr<br />
aktiv.<br />
Werden wir einen Lowcost-Boom in<br />
Richtung Osten erleben?<br />
■ Ich glaube schon. Rund ein Drittel aller Strecken<br />
in die neuen EU-Staaten wird heute<br />
schon von diesen Airlines bedient. Mit Skyeurope,<br />
Wizz Air und Air Polonia sind dort auch<br />
bereits eigene Airlines für dieses Marktsegment<br />
entstanden, die zum Winterflugplan viele neue<br />
Städteverbindungen aufgelegt haben.<br />
Das Interview führte Christian Schmicke<br />
Mailen Sie uns Ihre Meinung…<br />
c.schmicke@travel-one.net<br />
22.9.2004 TRAVEL ONE 7