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08/09 - Evangelische Kirchen in Erfurt

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KOLUMNE 4<br />

Prägendes Christentum<br />

Stefan Börner<br />

„Kultur, Denken und Seelenwelt des Abendlandes s<strong>in</strong>d durch das Christentum geprägt.“<br />

Wer wäre nicht spontan geneigt, diesem Satz zuzustimmen und dabei an all die Werte zu denken,<br />

die im christlichen Glauben begründet s<strong>in</strong>d: ethisch <strong>in</strong> den Zehn Geboten, <strong>in</strong> Jesu Bergpredigt und<br />

<strong>in</strong> den Gleichnissen. Wer dächte nicht an Mönche und Klöster. In jedem Dorf steht e<strong>in</strong>e Kirche im<br />

Mittelpunkt, und die Kunst- und Geistesgeschichte ist überhaupt nicht denkbar ohne biblische Motive,<br />

zu Kunstwerken gewordene �römmigkeit, Musik zum Lobe Gottes und – <strong>in</strong> Deutschland – die<br />

Sprache Luthers. Es ist alles <strong>in</strong> Allgeme<strong>in</strong>besitz übergegangen, aber die Ursprünge s<strong>in</strong>d christlich.<br />

Unsere Welt besteht <strong>in</strong> jeder Zelle aus christlicher Erbsubstanz.<br />

Als der Autor dieser Zeilen vor Jahr und Tag begann – e<strong>in</strong>e „Wende“ sollte noch e<strong>in</strong> Jahrzehnt lang<br />

tätig ersehnt werden –, sich <strong>in</strong> kirchlichen Gremien zu engagieren, dachte er ohne weiteres Überlegen,<br />

auch die Demokratie gehöre dazu. Beispielsweise besitze ich noch e<strong>in</strong> hektographiertes<br />

�altblättchen „6 x 3 Spielregeln für die Synodalen e<strong>in</strong>er Kreissynode“, mit dem Re<strong>in</strong>hard Höppner,<br />

damaliger Präses des Magdeburger <strong>Kirchen</strong>parlaments, den neuberufenen Vertretern ihre Pflichten,<br />

vor allem aber ihre Rechte erklärte. Ich lernte z.B. „Anträge zur Geschäftsordnung“ kennen und,<br />

dass ich vor der Abstimmung über me<strong>in</strong>en eigenen Antrag das Recht auf e<strong>in</strong> Schlusswort habe. Im<br />

Nachwort stand: „Die Synode ist e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de“ und lebt „von dem Geist Gottes, ohne den gute<br />

Beratungen nicht möglich s<strong>in</strong>d.“ In der Kirche habe ich gelernt, wie gut und wie wichtig Demokratie<br />

ist. Sie – die evangelische Kirche – hat mit dieser Lehre Gutes für die Menschen getan, denn<br />

Demokratie konnte man damals nirgendwo sonst erfahren.<br />

Und doch gehört die Demokratie mitnichten zu den Werten, die kirchlichen Ursprungs s<strong>in</strong>d. Im<br />

Gegenteil. Die Kirche stand beim Erwachen der abendländischen Demokratien noch auf der Gegenseite<br />

– mit ihren Obrigkeitsvorstellungen, die ihr von Gott gewollt schienen, mit ihrem Menschenbild,<br />

das ohne Unterschiede nicht auskam, alle<strong>in</strong> schon zwischen Männern und �rauen. Gewiss<br />

hat sie seit damals h<strong>in</strong>zugelernt, aber dennoch: Demokratie als Ordnung Gleichberechtigter<br />

und als Weg, über Abstimmung und Interessenausgleich zu geme<strong>in</strong>samen, womöglich gottgefälligen<br />

Beschlüssen zu gelangen, liegt der Kirche nicht im Blute.<br />

Ob man es ihr, die von jeher und aus gewissermaßen „familiären“ Gründen e<strong>in</strong> Hort der Hierarchie<br />

war, wohl manchmal noch anmerkt?<br />

Wo demokratische und hierarchische Strukturen gleichzeitig existieren und e<strong>in</strong>ander angepasst,<br />

mite<strong>in</strong>ander verwoben werden müssen, s<strong>in</strong>d zwischenmenschliche Probleme unausweichlich. Das<br />

gilt <strong>in</strong> allen organisierten Verbänden (wenn sie nicht von vornhere<strong>in</strong> autoritär aufgebaut s<strong>in</strong>d), also<br />

auch unter Christengeschwistern, <strong>in</strong> der Kirche. Bei uns wird es noch etwas kurioser dadurch, dass<br />

<strong>in</strong> der Hierarchie viele �reiwillige ehrenamtlich mitarbeiten, die sich e<strong>in</strong>erseits schwerlich <strong>in</strong> Weisungsstrukturen<br />

e<strong>in</strong>sperren lassen, andererseits dar<strong>in</strong> durchaus folgenreich handeln können, und<br />

oftmals ganz gern. Und dazu haben wir alle unterschiedlich gemischte Persönlichkeiten, laut und<br />

leise, dom<strong>in</strong>ant und dezent, schnell und bedächtig, selbstbewusst und aufmerksam für Andere, auf<br />

die Richtung bedacht und auf die �e<strong>in</strong>heiten. – „Zwei Seelen wohnen, ach, <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Brust“, sagt<br />

�aust, und auch der Kolumnenschreiber weiß aus Erfahrung, wovon er spricht.<br />

Aber e<strong>in</strong>es sollten wir dennoch nicht machen: Konfliktpotenzial, das so entstehen kann, aus dem<br />

Bedürfnis nach geschwisterlicher E<strong>in</strong>tracht im versöhnten Geiste Jesu zu ignorieren, zu verdrängen.<br />

Das kann ke<strong>in</strong> Mite<strong>in</strong>ander unter Christenschwestern und -brüdern se<strong>in</strong>, das die Harmonie <strong>in</strong> der<br />

Geme<strong>in</strong>schaft über den Seelenfrieden E<strong>in</strong>zelner stellt. Die Geme<strong>in</strong>schaft der Heiligen bewährt sich<br />

erst dort, wo jeder akzeptiert und geliebt ist trotz, ne<strong>in</strong>: wegen se<strong>in</strong>er Eigenart, die e<strong>in</strong> Beitrag ist zur<br />

�arbigkeit des Gesamtbildes. Kann man das „christliche Demokratie“ nennen?<br />

(Und die sollte der Kirche doch im Blute liegen...)

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