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08/09 - Evangelische Kirchen in Erfurt

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ZEITGESCHEHEN 8<br />

gleich bleibender Regelmäßigkeit die blonden<br />

Haare se<strong>in</strong>es Scheitels mit der Hand<br />

zur Seite wegstrich. Beim Erzählen holte<br />

er immer tief Luft und se<strong>in</strong>e Redepausen<br />

schienen das Wort erst zu suchen, welches<br />

er aussprechen wollte. Immer um den Menschen<br />

werbend mit dem schmalen Lächeln,<br />

dass se<strong>in</strong> Gesicht nicht verließ. So hat sich<br />

se<strong>in</strong> Bild <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung geprägt. Wie<br />

auch e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>defest <strong>in</strong> Rippicha, dem<br />

Ort se<strong>in</strong>es Wirkens und wohl noch mehr.<br />

Die Wiese des Pfarrgartens wurde zum<br />

�ußballfeld erklärt und jeder Torerfolg mit<br />

e<strong>in</strong>em Karnickel belohnt, die Brüsewitz aus<br />

den eigenen Ställen holte.<br />

Es s<strong>in</strong>d wenige persönliche Begegnungen,<br />

die me<strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nern festgehalten hat. Überlagert<br />

und geprägt aber von den Ereignissen<br />

um die Person Brüsewitz.<br />

Se<strong>in</strong> Aktionismus, der Mitte der Siebzigerjahre<br />

<strong>in</strong> vieler Munde war, verschaffte mir<br />

Genugtuung. Endlich e<strong>in</strong>er, der sich nicht<br />

alles gefallen ließ, der nicht mit stummer<br />

Verweigerung, sondern mit offenem Protest<br />

antwortete.<br />

E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Blick auf das aus Neonröhren<br />

gefertigte Leuchtkreuz bei Nacht ist mir <strong>in</strong><br />

Er<strong>in</strong>nerung. Es zierte den Kirchturm von<br />

Rippicha und sprach e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Sprache:<br />

Ich will nicht schweigen.<br />

Dieses Kreuz war für andere e<strong>in</strong> Ärgernis.<br />

Brüsewitz hat, soweit sagt es me<strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nern,<br />

um dieses Neonkreuz gerungen, das doch<br />

ke<strong>in</strong>e Duldung f<strong>in</strong>den sollte. So habe ich<br />

es empfunden und hätte es ebenso getan,<br />

wenn alle<strong>in</strong> die Spitze des Kirchturms bei<br />

Nacht im Sche<strong>in</strong>werferlicht erstrahlt wäre.<br />

Mit dem Namen Brüsewitz verband ich<br />

damals e<strong>in</strong>e stille Bewunderung wegen<br />

se<strong>in</strong>es Mutes, aber auch Existenzängste.<br />

Die �olgen se<strong>in</strong>es Rufens blieben mir nicht<br />

verborgen. In den Gesprächen me<strong>in</strong>er Eltern<br />

erfuhr ich von stundenlangen Verhören<br />

durch die Stasi, die Brüsewitz und se<strong>in</strong>e<br />

�amilie erdulden mussten. Und davon,<br />

dass kirchliche Verantwortungsträger e<strong>in</strong>e<br />

distanzierte Haltung zu ihm e<strong>in</strong>nahmen.<br />

Der Mensch Brüsewitz war für mich damals<br />

h<strong>in</strong>ter se<strong>in</strong>en teilweise spektakulären Aktionen<br />

nur wenig erkennbar. Er besaß aber<br />

für mich e<strong>in</strong>e erkennbare Präsenz durch<br />

se<strong>in</strong>e Aktionen, deren Zeuge ich selber gar<br />

nicht gewesen b<strong>in</strong>.<br />

Er war Gesprächsthema.<br />

Auch für mich, der ich doch nur am Rand<br />

der ganzen Ereignisse stand, war e<strong>in</strong>e<br />

wachsende Spannung um die Person Oskar<br />

Brüsewitz zu spüren. Rippicha solle er<br />

verlassen, hieß es dann. Dass er nicht wollte<br />

und wahrsche<strong>in</strong>lich auch nicht konnte,<br />

sich dagegen wehrte, war auch am Rand<br />

der Ereignisse stehend zu erfahren.<br />

�ür mich war diese Zeit, ich war im 9.<br />

Schuljahr, e<strong>in</strong>e Zeit heftiger ideologische<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung <strong>in</strong> der Klasse. Ausgetragen<br />

wurde sie aber auf der persönlichen<br />

Ebene und formulierte klare �e<strong>in</strong>dbilder.<br />

Es war abzusehen, dass unsere �amilie<br />

Zeitz verlassen würde.<br />

Me<strong>in</strong> letztes Schuljahr aber wollte ich dennoch<br />

<strong>in</strong> Zeitz absolvieren, mich nicht verdrängen<br />

lassen, obgleich e<strong>in</strong> Schulwechsel<br />

nach <strong>Erfurt</strong> möglich war.<br />

Im Sommer 1976 bauten me<strong>in</strong>e Eltern <strong>in</strong><br />

<strong>Erfurt</strong> e<strong>in</strong> Haus, das wir e<strong>in</strong> Jahr später beziehen<br />

wollten.<br />

Es war wohl der 20. August, �reunde aus<br />

Zeitz besuchten uns. Noch hatten wir<br />

nichts von den Wellen des Ereignisses zwei<br />

Tage zuvor gespürt. So traf uns die Nachricht<br />

von der Selbstverbrennung Oskar Brüsewitz<br />

mit voller Wucht.<br />

Nach Zeitz zurückgekehrt, g<strong>in</strong>g ich gleich<br />

an den Ort, um den sich schon unzählige<br />

Berichte und Geschichten bildeten.<br />

Er lag der Michaeliskirche näher als dem<br />

gegenüberliegenden Rathaus, das auch<br />

Kreisparteileitung und Polizeirevier beherbergte.<br />

Die Brandspuren s<strong>in</strong>d hartnäckig.<br />

Herr K: „B. war verrückt, die Kirche wollte<br />

ihn doch auch nicht mehr.“<br />

Damals war ich 15 Jahre jung.

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