08/09 - Evangelische Kirchen in Erfurt
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9 RELIGIÖSES BRAUCHTUM<br />
22. September – Geburtstag<br />
des Christopherus<br />
Wenn wir den <strong>Erfurt</strong>er Dom betreten, fällt<br />
unser Blick bald auf e<strong>in</strong> 8,80 x 5,95 m<br />
großes Wandgemälde an der Südwand des<br />
Domes, das 1499 mit Ölfarbe auf Sandste<strong>in</strong><br />
gemalt wurde. Es zeigt den heiligen<br />
Christopherus, den Christusträger. Um<br />
Christopherus ranken sich viele Legenden.<br />
E<strong>in</strong>em Christophoros, ist nach e<strong>in</strong>er Inschrift<br />
am 22. September 454 e<strong>in</strong>e Kirche<br />
<strong>in</strong> Chalkedon geweiht worden, weshalb<br />
von e<strong>in</strong>em Martyrer dieses Namens auszugehen<br />
ist. Ohne dass es jedoch gesicherte<br />
Daten zu diesem Christophoros<br />
gab, bildeten sich um ihn Legenden, die<br />
sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en östlichen und e<strong>in</strong>en westlichen<br />
Zweig aufspalteten. Nach e<strong>in</strong>er<br />
Handschrift des 8. Jahrhunderts berichtet<br />
der Osten von e<strong>in</strong>em Menschen fressenden<br />
Kynokephalen Reprobus, der <strong>in</strong> der<br />
Taufe den Namen Christophoros und die<br />
menschliche Sprache erhält. Als Missionar<br />
<strong>in</strong> Lykien tätig bestätigt ihn Gott durch<br />
e<strong>in</strong>en grünenden Stab. Se<strong>in</strong> Martyrium<br />
erleidet er nach �olter durch Enthauptung.<br />
Zum Westen h<strong>in</strong> verbreitete sich die Christophoros-Legende<br />
entlang der byzant<strong>in</strong>ischen<br />
Pilgerstraße. Der Heilige wurde<br />
zum Riesen. Im 13. Jahrhundert wird aus<br />
Christophoros lat. Christoforus, Christopherus,<br />
der nur dem mächtigsten Herrn<br />
dienen will. Als Eremit dient er Gott, <strong>in</strong>dem<br />
er Pilger durch e<strong>in</strong>en reißenden �luss<br />
trägt. Dabei trifft er auf Christus, verborgen<br />
<strong>in</strong> der Gestalt e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des. Unter der<br />
Last des K<strong>in</strong>des droht Christopherus zusammenzubrechen.<br />
Da offenbart sich ihm<br />
Christus und tauft ihn im �luss. Die Gottesbegegnung<br />
wird durch e<strong>in</strong>en „grünenden<br />
Stab“ bestätigt. Diese aus den Südalpen<br />
stammende Legendenvariante wird<br />
auf dem Weg zum Norden um das Motiv<br />
des �ährdienstes und die Begegnung e<strong>in</strong>es<br />
Heiligen mit Christus erweitert. Im<br />
Westen wird Christopherus zu e<strong>in</strong>em populären<br />
Heiligen, e<strong>in</strong>em der Vierzehn<br />
Nothelfer. Se<strong>in</strong>e Verehrung verbreitet sich<br />
über ganz Europa, ist ab dem 16. Jahrhundert<br />
auch <strong>in</strong> Amerika präsent. Angerufen<br />
wird er als Helfer <strong>in</strong> Gefahr, bei<br />
Unwetter und Dürre. Se<strong>in</strong>es �ährdienstes<br />
wegen galt er als Patron der Pilger und<br />
Reisenden, Schiffer und �uhrleute. Das<br />
Stabwunder machte ihn zum Patron der<br />
Gärtner. Heute ist Christopherus vor allem<br />
als Schutzpatron im Straßenverkehr<br />
bekannt; se<strong>in</strong>e Plakette ist <strong>in</strong> vielen Autos<br />
angebracht. Zahlreiche Rettungshubschrauber<br />
tragen se<strong>in</strong>en Namen.<br />
Der Gedanke an den eigenen Tod beschäftigte<br />
den mittelalterlichen Menschen über<br />
alle Maßen. Die sprichwörtliche Sterbensangst<br />
war ganzjährig und lebenslänglich<br />
präsent. Dagegen versuchte man sich abzusichern.<br />
Vom 13. bis zum 16. Jahrhundert<br />
galt der Anblick des heiligen Christopherus<br />
als sicherer Lebensschutz bis<br />
zum Abend, als Schutz vor e<strong>in</strong>em unvorhergesehenen<br />
Tod. Ritter brachten deshalb<br />
e<strong>in</strong> Bild des Christopherus an der Innenseite<br />
ihres Schildes an, Bürger malten ihn<br />
auf die Innenseite der Stadttore. Vor allem<br />
fand sich der Heilige überlebensgroß<br />
<strong>in</strong> oder an fast jeder Kirche wieder – gemalt<br />
oder als Plastik –, damit jeder Gottesdienstbesucher<br />
auch beim Besuch der<br />
Kirche des heiligen Christopherus<br />
ansichtig wurde. In e<strong>in</strong>er Redensart lebt<br />
das Wesen des Heiligen weiter: „Er hat<br />
e<strong>in</strong>en Christoffel, der ihn über Wasser<br />
trägt“, benutzt das legendarische Bild des<br />
heiligen Christopherus, um auszudrücken,<br />
dass e<strong>in</strong>er Hilfe gewährt, zu der der Betroffene<br />
selbst nicht <strong>in</strong> der Lage ist.<br />
Aus „Religiöses Brauchtum“ von Dr.theol.<br />
Manfred Becker-Huberti – bearbeitet von<br />
Christ<strong>in</strong>e Gohles