08/09 - Evangelische Kirchen in Erfurt
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7 ZEITGESCHEHEN<br />
ren das Se<strong>in</strong>e dazu getan, dass der ostdeutsche<br />
Protestantismus <strong>in</strong> vitalen Teilen se<strong>in</strong>en<br />
Charakter wieder ernster nahm, Bekenntnis<br />
auch als Protest zu leben, wirklich<br />
protestantisch zu se<strong>in</strong>. Len<strong>in</strong>isten und<br />
Parteibürokraten, Christen und <strong>Kirchen</strong>funktionäre<br />
schreckten auf und konnten<br />
nicht e<strong>in</strong>fach so weitermachen. Und wenn<br />
die evangelische <strong>Kirchen</strong>geschichte <strong>in</strong> der<br />
DDR e<strong>in</strong>e Seite im Lexikon erhalten sollte,<br />
denke ich, kriegt Brüsewitz e<strong>in</strong>en Satz.<br />
Gedanken zu O.B. oder<br />
das Er<strong>in</strong>nern an die<br />
Er<strong>in</strong>nerung<br />
Otfried Pappe<br />
Er<strong>in</strong>nerungen lösen Gefühle aus, Gefühle<br />
prägen Er<strong>in</strong>nerungen.<br />
Wenn ich mich an Herrn B. er<strong>in</strong>nere, dessen<br />
Name zum Synonym für den Widerstand<br />
von Christen gegen e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tolerantes<br />
und auch unmenschliches politisches System<br />
gemacht wurde, dann muss ich mich<br />
daran er<strong>in</strong>nern, dass ich mich er<strong>in</strong>nern und<br />
nicht verdrängen soll.<br />
Aber an was?<br />
An das, was die Er<strong>in</strong>nerung bis heute<br />
zuweilen mit mir macht, die schon längst<br />
Erlebtes <strong>in</strong> Bilder und �ragmente gefasst,<br />
überlagert von Emotionen? Oder s<strong>in</strong>d es die<br />
Spuren, die dem Erlebten am nächsten<br />
kommen wollen, mir das Vergessen verweigern?<br />
Zeitz ist die Stadt me<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit, Schulzeit<br />
und anbrechenden Jugend. 1977 habe<br />
ich ihr den Rücken gekehrt und es war e<strong>in</strong>er<br />
der befreiendsten Augenblicke me<strong>in</strong>es<br />
Lebens. Der Stadt und den Menschen dort<br />
werde ich mit dieser Erfahrung sicher nicht<br />
gerecht. Aber ich glaubte zurückzulassen,<br />
was ich an Bedrängungen bis heute<br />
jederzeit aus me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung herausrufen<br />
kann.<br />
Herrn K., der im Schulunterricht die ideo-<br />
logische Leitl<strong>in</strong>ie für die zukünftige Lebensgestaltung<br />
formulierte. E<strong>in</strong> klarer Dualismus<br />
von Rot und Schwarz, der damals nicht nur<br />
harte Grenzen durch die Kont<strong>in</strong>ente zog,<br />
auch durch die Schulklasse, deren Teil ich<br />
war. Ich gehörte zu den Schwarzen, auch<br />
wenn ich zu dieser Standortbestimmung<br />
weder befragt noch gehört wurde. Der<br />
Sohn e<strong>in</strong>es Pfarrers konnte nur e<strong>in</strong> Schwarzer<br />
se<strong>in</strong>, also e<strong>in</strong>er, der nicht zu den Siegern<br />
gehörte.<br />
Herr K. ließ unter se<strong>in</strong>en Schülern daran<br />
ke<strong>in</strong>en Zweifel aufkommen, obgleich er<br />
die Hoffnung formulierte, auch mir könne<br />
sich der richtige Weg noch erschließen.<br />
E<strong>in</strong>ige me<strong>in</strong>er Mitschüler verstanden dies<br />
als Aufforderung, mich mit gewissem Nachdruck<br />
auf diesen Weg zu weisen.<br />
Herr K. war es auch, der im September<br />
1976 dr<strong>in</strong>gend me<strong>in</strong>e Unterstützung<br />
brauchte, was mich doch sehr überraschte.<br />
E<strong>in</strong> unglaubliches Ereignis hatte die<br />
Kreisstadt Zeitz erschüttert. Die Wellen dieser<br />
Erschütterung breiteten sich über das<br />
ganze Land aus und überwanden mühelos<br />
Grenzen, die für die Ewigkeit bestimmt<br />
waren. Erklärungen wurden geschmiedet.<br />
Auch vor uns Schülern, denn Herr B. hatte<br />
sich am 18. August <strong>in</strong> Zeitz auf e<strong>in</strong>em öffentlichen<br />
Platz mit Benz<strong>in</strong> übergossen und<br />
entzündet. Schon am ersten Schultag die<br />
ersten Erklärungsversuche.<br />
„Nun sag doch mal“, so forderte mich Herr<br />
K. im Staatsbürgerkundeunterricht auf, „der<br />
Brüsewitz war doch geisteskrank! Du hast<br />
ihn doch gekannt. Der ist doch mit Sturzhelm<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Trabant gefahren“.<br />
„Das stimmt nicht“, mehr brachte ich nicht<br />
heraus, mehr war dann auch nicht mehr<br />
gefragt. Die Erklärung war geschmiedet,<br />
gleich, was ich antworten würde. In gewisser<br />
Weise stimmte es auch, Oskar Brüsewitz<br />
war ver-rückt. Er hatte es gewagt, den<br />
ihm zugewiesenen Platz zu verlassen.<br />
Mehrfach konnte ich ihn als Gast <strong>in</strong> unserer<br />
�amilie erleben. Me<strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nern sieht<br />
e<strong>in</strong>en großen schlanken Mann, der <strong>in</strong>