Evonik Magazin 3/2008 - Evonik Industries
Evonik Magazin 3/2008 - Evonik Industries
Evonik Magazin 3/2008 - Evonik Industries
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<strong>Evonik</strong>-<strong>Magazin</strong> 3|<strong>2008</strong><br />
<strong>Evonik</strong>-<strong>Magazin</strong><br />
3| <strong>2008</strong><br />
Kraft für Neues. <strong>Evonik</strong> in China*<br />
*<strong>Evonik</strong> baut<br />
in Schanghai<br />
das Projekt<br />
MATCH für den<br />
Kunststoffmarkt<br />
– Bausteine<br />
für LCD-Bildschirme,kratzfeste<br />
Lacke,<br />
hochwertige<br />
Klebstoffe<br />
und<br />
Innenverkleidungen<br />
für Autos.<br />
Reportage ab<br />
Seite 18
Wir verbessern die Kratzfestigkeit von Autolacken und<br />
noch vieles mehr. Mit über 100 Produktionsstandorten<br />
in rund 30 Ländern sind wir einer der weltweit führenden<br />
Anbieter im renditestarken Markt der Spezialchemie.<br />
Wir sind der kreative Industriekonzern aus Deutschland<br />
für Chemie, Energie und Immobilien.<br />
Wer schützt eigentlich Autolacke<br />
vor Kratzern?<br />
Wir machen so was.<br />
www.evonik.de
FOTOS (VON LINKS OBEN): KARSTEN BOOTMANN, PRIVAT, DORIS POKLEKOWSKI, JAN SIEFKE, CATRIN MORITZ<br />
Etappenziele<br />
<strong>Evonik</strong> <strong>Magazin</strong> begrüßt einen willkommenen Investor, ermittelt den „China Faktor“ in der<br />
deutsch-chinesischen Kooperation an einer <strong>Evonik</strong>-Chemieanlage im Süden Schanghais und freut<br />
sich, wenn es gelingt, einen VW Golf klimaschonend um 371 Kilo abzumagern<br />
Dr. Werner Müller,<br />
RAG-Stiftung-Chef<br />
Wilhelm Bonse-<br />
Geuking und CVC-<br />
Deutschlandchef<br />
Steve Koltes (v.l.)<br />
Klaus Jopp,<br />
Autor<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
ein Etappenziel ist erreicht, ein vielversprechender Partner<br />
gefunden: Der Finanzinvestor CVC erwirbt für 2,4 Mil -<br />
liarden € 25,01 Prozent der Anteile an der <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong><br />
AG. Investor und Vorstand stimmen in den Zielen überein:<br />
Steigerung des Unternehmenswerts und Börsengang bis<br />
2013. – Das ist die Nachricht, die am Ende eines monate langen<br />
Bieterverfahrens stand und die ein großes Etappen ziel<br />
in der Entwicklung von <strong>Evonik</strong> markiert. Doch wer ist<br />
der Investor? Was verbirgt sich hinter dem Kürzel CVC?<br />
Wie verbinden sich Investmentansatz und Konzernstrategie? Diese Fragen stellte das <strong>Evonik</strong>-<br />
<strong>Magazin</strong> dem CVC-Deutschlandchef Steve Koltes. Lesen Sie den Beitrag auf Seite 26.<br />
China hat in den letzten drei Jahrzehnten rund 400<br />
Millionen Menschen aus Armut und Hunger befreit.<br />
In ihrem Report „Der zweite Aufbruch“ (ab Seite 6)<br />
beschreibt „Weltreporterin“ Ruth Kirchner, wie sich<br />
China nun den Herausforderungen des Umweltschutzes<br />
und des nachhaltigen Produzierens stellt.<br />
Der „zweite Aufbruch“ ist auch eine Herausforderung<br />
für westliche Partner. Im Süden Schanghais hat<br />
Ruth Kirchner, Dr. Tilman Spengler und Christoph<br />
Peck berichten aus Peking und Schanghai<br />
<strong>Evonik</strong> unter dem Projektnamen MATCH eine einzigartige<br />
Verbundanlage zur Herstellung von Hochleistungskunststoffen errichtet. Ein<br />
Spezialauftrag für unseren Autor Christoph Peck, der nicht nur die große Reportage vor<br />
Ort erstellte (ab Seite 18). Peck hatte auch den Auftrag, die Details für die Aufklapp-<br />
Seiten des <strong>Evonik</strong>-<strong>Magazin</strong>s zu recherchieren. Sie zeigen mit den Mitteln moderner Infografik<br />
eine Aufsicht der mächtigen Chemie-Anlage, die ihre Funktionalität erkennen lässt.<br />
Weitere Etappenziele zeigt Klaus Jopp ab Seite 42. Da die Energie- und<br />
Rohstoffpreise weiter steigen werden, ist die bessere Nutzung der<br />
vorhandenen Energie die zurzeit größte Herausforderung. Jopp weist mit<br />
Daten und Fakten nach, welche Erfolge <strong>Evonik</strong>-Technologien zur<br />
Energie-Effizienz heute schon erzielen. Schönstes Beispiel: der VW Golf,<br />
der unter Einsatz neuer Materialien um 371 Kilo abmagert …<br />
Viel Vergnügen bei der Lektüre!<br />
Ihr Redaktionsteam <strong>Evonik</strong>-<strong>Magazin</strong><br />
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
EDITORIAL<br />
3
6 CHINAS WIRTSCHAFTSWUNDER 26 INVESTOR<br />
30 KATALYSE 42 ENERGIE-EFFIZIENZ
FOTOS (IM UHRZEIGERSINN): AGE FOTOSTOCK/LOOK-FOTO, KARSTEN BOOTMANN, EVONIK INDUSTRIES, TIM WEGNER; KALLIGRAFIE TITEL: SU-SHAO WU<br />
EDITORIAL<br />
3 Etappenziele<br />
GESTALTEN<br />
6 China: der zweite Aufbruch<br />
Ausgelöst durch das rasante Wirtschaftswachstum, entwickelt sich jetzt in China das Bewusstsein<br />
für Umweltschutz und nachhaltiges Produzieren. Dieser erneute Aufbruch bedarf der Unterstützung<br />
durch moderne, westliche Technologie. <strong>Evonik</strong> errichtet südlich des Stadtzentrums von<br />
Schanghai mit dem Projekt MATCH eine einzigartige Verbundanlage zur Herstellung von Kunststoffen.<br />
Christoph Peck besuchte das „Richtfest“ auf der Großbaustelle<br />
INFORMIEREN<br />
24 Das weltweite Netz<br />
Mehr als ein Fünftel der Weltbevölkerung nutzt heute das Internet, und es werden täglich mehr.<br />
Doch wie verteilt sich dieses Wachstum über die Weltregionen?<br />
BEWEGEN<br />
26 Das Geheimnis des Erfolgs<br />
Steve Koltes ist der Deutschlandchef von CVC Capital Partners, dem neuen Anteilseigner<br />
von <strong>Evonik</strong>. Im Interview erläutert er seine Visionen für den Konzern<br />
PRODUZIEREN<br />
30 Kat sei Dank!<br />
<strong>Evonik</strong>s Beitrag zur Entwicklung optimaler Katalysatoren, die in Chemieunternehmen die Voraussetzung<br />
für wirtschaftliches und energiesparendes Produzieren sind<br />
VERSORGEN<br />
36 Freies Spiel für Energie<br />
Seit einem Jahr steht die Gasbörse in Leipzig für europäische Kooperation und transparenten Wettbewerb.<br />
Vorstandsvorsitzender Dr. Hans-Bernd Menzel erklärt die Vorteile eines transparenten Energiehandels<br />
ENTWICKELN<br />
38 Offen für Querdenker<br />
Die neue Personalkampagne trägt dazu bei, <strong>Evonik</strong> zu einem besonders attraktiven Arbeitgeber zu machen<br />
ANWENDEN<br />
42 Königsweg Energie-Effizienz<br />
Bei <strong>Evonik</strong> gibt es eine Vielzahl von Projekten und Technologien, die mit Daten und Fakten beweisen,<br />
dass Energie-Effizienz mehr als ein Schlagwort ist<br />
INFORMIEREN<br />
50 Ansporn für junge Wissenschaftler<br />
Dr. Arend Oetker ist Schirmherr des „European Science-to-Business Award“ von <strong>Evonik</strong><br />
ERLEBEN<br />
52 Fahrrad statt Auto<br />
In Köln-Zollstock hat <strong>Evonik</strong> mit Partnern ein modernes Wohnviertel entstehen lassen. In den autofreien<br />
Zollstockhöfen leben junge Familien und ältere Menschen in unmittelbarer Nachbarschaft<br />
DISKUTIEREN<br />
56 Wollen wir wirklich 100 Jahre alt werden?<br />
Noch dieses Jahrhundert wird die durchschnittliche Lebenserwartung in den Industrienationen<br />
die Hundert übertreffen. Bewertungen dazu aus Wirtschaft, Politik, Forschung<br />
LEBEN<br />
58 Wissen, was kommt<br />
Freud und Leid der Prognostiker, Trendforscher und Demoskopen<br />
Diese Ausgabe des <strong>Evonik</strong>-<strong>Magazin</strong>s finden Sie auch online unter www.evonik.de<br />
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
IMPRESSUM<br />
INHALT 5<br />
Herausgeber:<br />
<strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG<br />
Christian Kullmann<br />
Rellinghauser Str. 1–11<br />
45128 Essen<br />
Chefredaktion:<br />
Inken Ostermann (V.i.S.d.P.)<br />
Objektmanagement <strong>Evonik</strong>:<br />
Ute Drescher<br />
Art Direction:<br />
Wolf Dammann<br />
Redaktion (Leitung):<br />
Michael Hopp<br />
Chefin vom Dienst:<br />
Roswitha Knye<br />
Fotoredaktion:<br />
Ulrich Thiessen<br />
Dokumentation:<br />
Kerstin Weber-Rajab,<br />
Tilman Baucken; Hamburg<br />
Gestaltung:<br />
Teresa Nunes (Ltg.),<br />
Anja Giese, Heike Hentschel,<br />
Sabine Schulz/Redaktion 4<br />
Schlussredaktion:<br />
Wilm Steinhäuser<br />
Verlag und Anschrift<br />
der Redaktion:<br />
HOFFMANN UND CAMPE VERLAG<br />
GmbH, ein Unternehmen der<br />
GANSKE VERLAGSGRUPPE<br />
Harvestehuder Weg 42<br />
20149 Hamburg<br />
Telefon +49 40 44188-457<br />
Telefax +49 40 44188-236<br />
E-Mail cp@hoca.de<br />
Geschäftsführung:<br />
Manfred Bissinger<br />
Dr. Kai Laakmann<br />
Dr. Andreas Siefke<br />
Objektleitung:<br />
Eva Maria Böbel<br />
Herstellung:<br />
Claude Hellweg (Ltg.), Oliver Lupp<br />
Litho:<br />
PX2, Hamburg<br />
Druck:<br />
Laupenmühlen Druck, Bochum<br />
Copyright:<br />
© <strong>2008</strong> by <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG,<br />
Essen. Nachdruck nur mit<br />
Genehmigung des Verlages. Der Inhalt<br />
gibt nicht in jedem Fall die Meinung<br />
des Herausgebers wieder<br />
Kontakt:<br />
Fragen oder Anregungen zum<br />
Inhalt des <strong>Magazin</strong>s:<br />
Telefon +49 0201 177-3831,<br />
Telefax +49 0201 177-2908,<br />
E-Mail magazin@evonik.com<br />
Fragen zum Versand<br />
oder Bestellungen:<br />
Telefon +49 40 68879-139<br />
Telefax +49 40 68879-199<br />
E-Mail magazin-vertrieb@hoca.de<br />
Die Bezeichnungen PLEXIGLAS ® , PLEXIGUM ® ,<br />
ROHACELL ® , SEPARION ® , Siridion ® und<br />
SOLIMIDE ® sind geschützte Marken der <strong>Evonik</strong><br />
<strong>Industries</strong> AG oder ihrer Tochterunternehmen.<br />
Sie sind im Text in Groß buchstaben geschrieben
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
Der zweite Aufbruch<br />
Chinas Wirtschaftswunder setzt nicht mehr auf Wachstum um jeden Preis, sondern auf<br />
nachhaltige Entwicklung. Die dazu notwendigen modernen Technologien kommen aus dem Ausland<br />
Auffahrten zur Nanpu-Brücke über<br />
den Huangpu in Schanghai. Vor<br />
15 Jahren gab es hier noch Reisfelder<br />
FOTO: MARTIN PUDDY/GETTY IMAGES<br />
CHINA<br />
TEXT RUTH KIRCHNER<br />
GESTALTEN<br />
EINE BOOTSFAHRT auf dem Huangpu-<br />
Fluss von Schanghai ist mehr als ein touristischer<br />
Höhepunkt. An kaum einem anderen<br />
Ort werden Chinas Gegensätze so deutlich<br />
wie im Hafenbecken der glitzernden Hafenmetropole.<br />
Hier spiegeln sich Alt und Neu,<br />
Abgesang und Aufstieg direkt neben ei nander<br />
wider: auf der einen Seite am sogenannten<br />
Bund die alte Flaniermeile mit den verschnörkelten<br />
Kolonialfassaden. Gegenüber,<br />
auf der anderen Seite des breiten Stromes,<br />
das neue Finanzviertel Pudong – mit dem<br />
kitschig-rosafarbenen Fernsehturm und<br />
der atemberaubenden Skyline von Hochhäusern<br />
wie dem Jin-Mao-Wolkenkratzer<br />
oder, direkt daneben, dem neuen Shanghai<br />
World Financial Center, dem dritthöchsten<br />
Gebäude der Welt.<br />
Kaum eine Metropole hat sich so rasant<br />
entwickelt wie Schanghai. „Hier waren<br />
noch vor 15 Jahren überall Reisfelder“,<br />
sagt ein HSBC-Banker, der noch in einem<br />
der ersten Hochhäuser Pudongs sein<br />
Büro hat, beim Blick aus dem Fenster.<br />
Jetzt leuchten ringsum an den modernen<br />
Fassaden überall die Visitenkarten der Welt<br />
AG: Citibank, Deutsche Bank, Siemens,<br />
Volkswagen. Pudong, das keine 20 Jahre<br />
alte Stadtviertel Schanghais, ist Symbol<br />
für Chinas wirtschaftlichen Aufstieg. ><br />
7
8<br />
FOTO RECHTS: DANIELE MATTIOLI/ANZENBERGER AGENCY,<br />
FOTOS OBEN, VON LINKS: CONTRASTO/LAIF, GREG ELMS, EIGHTFISH/GETTY IMAGES (2)<br />
><br />
Luxus lernen: Reiche Chinesen testen hochwertige Handys, Digitalkameras und Autos; Schanghais Szene-Bar TMSK setzt im Design auf Chinas traditionelles<br />
Und der Wandel ist ohne Beispiel: Seit den<br />
von Deng Xiaoping eingeleiteten Reformen<br />
ist Chinas Wirtschaft jährlich um rund zehn<br />
Prozent gewachsen. Das Reich der Mitte, das<br />
Ende der 70er-Jahre nach Maos Misswirtschaft<br />
quasi vor dem Ruin stand, ist mittlerweile<br />
die viertgrößte Volkswirtschaft<br />
der Welt, wird Deutschland voraussichtlich<br />
2009 als Exportweltmeister ablösen.<br />
MIT DENG BEGANN DIE<br />
AUFHOLJAGD<br />
Dabei hatte Chinas Öffnung vor 30 Jahren als<br />
Experiment angefangen. Unter der Regierung<br />
von Deng Xiaoping begann China 1979<br />
eine eher zaghafte Abkehr von der sowjetisch<br />
orientierten Planwirtschaft, in der alle<br />
Produktionsentscheidungen nur durch den<br />
Staat gefällt wurden. Grund für das Umdenken<br />
der Führung in Peking war, dass Mao<br />
Zedong, der 1976 gestorben war, das große<br />
Reich völlig heruntergewirtschaftet hatte.<br />
Unter Deng Xiaoping kehrte sich alles um.<br />
Der kleine, energische Führer setzte auf eine<br />
gewagte Symbiose von Kommunismus und<br />
Kapitalismus. Und China setzte sich schon<br />
bald an die Spitze der asiatischen Wachstumsländer.<br />
„Einige sollen zuerst reich werden“,<br />
hatte der heute als Reformarchitekt<br />
gefeierte Deng als Parole ausgegeben und<br />
damit das Ende des sozialistischen Traums<br />
von der egalitären Gesellschaft besiegelt.<br />
China öffnete sich mit Sonderwirtschaftszonen<br />
für ausländische Investitionen. Die<br />
ersten entstanden in Hainan und Shenzhen,<br />
später kam auch Schanghai hinzu. In den<br />
gigantischen Industrieparks probte China,<br />
was in den 90er-Jahren als „sozialistische<br />
Marktwirtschaft“ zur neuen Staats ideologie<br />
wurde. Günstige Standort bedingungen,<br />
schnelle Genehmigungsverfahren, billige<br />
Energie, gute Infrastruktur sowie ein Heer<br />
von willigen und billigen Arbeitskräften –<br />
so wurde China innerhalb nur weniger Jahre<br />
zur Werkbank der Welt.<br />
China hat in den vergangenen Jahren<br />
stets die meisten ausländischen Direktinvestitionen<br />
angezogen – zuletzt 74 Milliarden<br />
US-$. Die Entfesselung der Produktiv kräfte,<br />
von der einst Karl Marx geträumt hatte, fing<br />
aber vor allem mit einfachen Industrien an,<br />
etwa in der Textilindustrie. Denn für die<br />
Herstellung von Kleidung braucht man nicht<br />
viel Kapital, aber viele Hände. Und davon hat<br />
das 1,3-Milliarden-Volk jede Menge.<br />
Es folgten Schuhe, Spielzeug, Elektrogeräte,<br />
Handys, Computer. Heute kommt<br />
fast jedes Einwegfeuerzeug, jeder Reißverschluss<br />
und jeder Elektrobohrer aus chinesischen<br />
Fabriken, die meist im „Speckgürtel“<br />
an der Ostküste angesiedelt sind.<br />
Doch auch im armen Westen des Landes<br />
träumen immer noch Millionen von Landbewohnern<br />
vom bescheidenen Wohlstand,<br />
von einem Weg aus der Armut. Für sie ist<br />
der Job in einer der Fabriken im Süden und<br />
Osten oft der erste Schritt.<br />
In den kommenden 20 Jahren, so schätzen<br />
Experten, steht China erneut vor einer gewaltigen<br />
Völkerwanderung. Rund 300 Millionen<br />
Menschen werden vom Land in die neuen<br />
Städte drängen. Noch immer leben 800<br />
Millionen Chinesen auf dem Lande, hängt<br />
ihre wirtschaftliche Existenz von der Landwirtschaft<br />
ab. Doch die trägt nur noch zwölf<br />
Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.<br />
China steht damit noch immer vor einem<br />
gewaltigen Umbruch und vor gro ßen Aufgaben.<br />
Die kommunistische Regierung in<br />
Peking weiß dies und treibt darum die Politik<br />
der „gaige kaifang“ (Reform und Öff nung)<br />
auch gegen innerparteilichen Widerstand<br />
weiter voran. Denn die Indus tria li sierung<br />
und der damit wachsende Wohlstand von<br />
Millionen von Menschen ist für Chinas<br />
Führung der Garant für die Stabilität im<br />
Land – und damit auch Rechtfertigung für<br />
das Einparteiensystem.<br />
Denn die Hoffnung im Westen, dass der<br />
wirtschaftlichen Öffnung auch eine politische<br />
Öffnung folgt, wird bislang nicht<br />
erfüllt. Vor allem der Beitritt des Landes<br />
zur Welthandelsorganisation (WTO) Ende<br />
2001 wurde nicht nur als eine umfassende<br />
Verpflichtungserklärung Chinas zur Eingliederung<br />
in das Weltwirtschaftssystem<br />
>
farbiges Liuli-Glas; ausgelassene Stimmung bei der After-Work-Party<br />
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
„Einige sollen zuerst<br />
reich werden“,<br />
sagte Deng Xiaoping<br />
Vor der Skyline fl anieren: Blick auf das Pudong-Viertel am Ufer des Huangpu mit Asiens höchstem Fernsehturm, dem Oriental Pearl Tower<br />
CHINA<br />
GESTALTEN<br />
9
10<br />
Unbegrenztes Wachstum: ein Dächermeer der Wohnhäuser im Stadtteil Pudong, Herstellung von Motoren für die boomende chinesische Autoindustrie,<br />
> gesehen, sondern auch als Zeichen für die bislang ebenso wenig wie ausreichende geschlagen werden“, sagt die Umwelt- und<br />
Öffnung des Landes.<br />
medizinische Vorsorge.<br />
Chinaexpertin Dr. Elizabeth Economy.<br />
Nach wie vor haben sich allerdings nicht Und durch die Ein-Kind-Politik sehen Das hat Peking durchaus erkannt. Die<br />
alle internationalen Erwartungen erfüllt, Experten selbst dann große Probleme auf Partei spitze setzt darum inzwischen nicht<br />
da eine Vielzahl von Wirtschaftsbereichen das Milliardenvolk zukommen, wenn sozia- mehr auf Wachstum um jeden Preis, sondern<br />
weiterhin unter starker politischer Konle Sicherungssysteme eingeführt werden. auf eine „nachhaltige Entwicklung“, also auf<br />
trolle steht. Und China wird noch immer Denn China wird alt, bevor es reich wird: umweltbewusstes Wachstum. Aus eigener<br />
von einer nicht demokratisch gewählten Schon in 30 Jahren dürften nicht mehr Kraft kann China das jedoch kaum schaffen.<br />
Partei – der KP China – regiert, oppositio- genug junge Chinesen da sein, um die ältere Für ein „gesundes“ Wachstum sind modernelle<br />
Parteien sind nicht erlaubt.<br />
Generation zu versorgen. Und die Schere ne Technologien nötig, die vor allem das<br />
UMWELTSCHÄDEN BERGEN<br />
POLITISCHEN SPRENGSTOFF<br />
zwischen Arm und Reich klafft immer weiter<br />
auseinander. Einige sind eben tatsächlich<br />
zuerst reich geworden, wie es Deng Xiao-<br />
Ausland – Europa, Amerika, Japan – zu bieten<br />
hat.<br />
Dabei bieten sich für deutsche Umwelt-<br />
China hat darum auch bislang nicht den ping einst vorgegeben hatte.<br />
und Energiekonzerne große Chancen, hat<br />
Status einer Marktwirtschaft bekom- Schon jetzt also hat das Wirtschafts- Bundesumweltminister MdB Sigmar Gabriel<br />
men, obwohl sich dies Peking ausdrücklich wunder China seinen Preis. Und Millio- bei seinem letzten China-Besuch betont.<br />
wünscht. Und trotz aller Fortschritte bergen nen müssen mit den Negativfolgen der Denn der Umweltschutz soll Chinas Wachs-<br />
die neuen Strukturen Chinas auch Risiken Wachstumspolitik leben, denn das rasante tum keineswegs bremsen. Präsident Hu Jintao<br />
für die wirtschaftliche, soziale und politische Wachstum hat Ressourcen und Umwelt hatte im vergangenen Oktober angekündigt,<br />
Entwicklung. Noch immer sind zum Beispiel aufgefressen. Die direkten und indirekten man wolle das Bruttoinlandsprodukt pro Ein-<br />
Chinas Banken unterkapi talisiert, sind die Folge kosten allein der Luft- und Wasserwohner bis zum Jahre 2020 vervierfachen.<br />
Finanzmärkte nur sehr begrenzt für auslänverschmutzung belaufen sich laut Weltbank Ein mutiges Ziel, denn mit einem durchdische<br />
Mitspieler geöffnet worden.<br />
auf rund sechs Prozent des Bruttoinlandsschnittlichen Pro-Kopf-Inlandsprodukt von<br />
Chinas Börsen gelten durch die Aktien produkts. Anders gesagt: Das Wirtschafts- nur gut 2.000 US-$ pro Jahr ist China auch<br />
der Staatsfirmen, die meist nur einen sehr wachstum zerstört bereits einen Teil der nach 30 Jahren Reform und Aufstieg noch<br />
kleinen Anteil ihres Kapitals handelbar Werte, die es schafft.<br />
immer das weltgrößte Entwicklungsland.<br />
gemacht haben, als völlig überbewertet Zudem bergen Umweltschäden poli- Doch wenn das Boot auf dem Huangpu in<br />
und zudem als untransparent. Viele Staatstischen Sprengstoff. Lokale Unruhen ent- Schanghai wieder am Bund anlegt und die<br />
unternehmen sind oft nicht konkurrenzzünden sich oft an der Wut über verseuchtes Pudong-Skyline mit ihren Tausenden von<br />
fähig, werden noch Millionen von Arbeit- Wasser oder vergiftete Böden. „Die Umwelt Lichtern zu glitzern beginnt, gibt es kaum<br />
nehmern entlassen müssen. Eine soziale wird die Arena sein, in der viele der ent- einen Zweifel mehr, dass China auch den<br />
Absicherung durch den Staat gibt es aber scheidenden Schlachten um Chinas Zukunft nächsten Wandel vollziehen wird. <<br />
FOTOS OBEN, VON LINKS: CAO ZICHEN SH/IMAGINECHINA, PICTURE-ALLIANCE/DPA, WEI XINAN/IMAGINECHINA
tonnenweise Textilien in einer Fabrik im Nordwesten Chinas<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/PDA<br />
Stand der Dinge<br />
Momentaufnahme einer Gesellschaft auf dem Sprung<br />
TEXT DR. TILMAN SPENGLER<br />
EINE SEHR BEEINDRUCKENDE<br />
Autobahn führt von der Provinzhauptstadt<br />
Chengdu in jenen Teil von Sichuan, in dem<br />
das Erdbeben besonders heftig wütete. Über<br />
der Fahrbahn hängen Transparente in leuchtend<br />
roten Farben, die in goldenen Schriftzeichen<br />
politische Losungen verkünden.<br />
Der ältere Besucher des Landes erinnert<br />
sich: Es sind Parolen aus der Zeit der Kulturrevolution,<br />
der radikal linken Periode, die<br />
den Maoismus als Ideologie bemühte…<br />
Auch die Kalligrafie ist die alte. Wie vor<br />
vier Jahrzehnten wird die Bevölkerung wieder<br />
aufgerufen, „sich nur auf sich selbst zu<br />
verlassen“, „sich machtvoll zusammenzuschließen“,<br />
„vom Volk zu lernen“. Bei näherem<br />
Hinsehen fallen diesem älteren Besucher<br />
des Landes zwei Neuerungen auf: Das<br />
Wort „Sozialismus“ kommt in den Losungen<br />
kaum noch vor. Und anders als zu Zeiten<br />
Maos sind in kleinerer Schrift auf den Parolen<br />
die Namen der Sponsoren jener Transparente<br />
vermerkt, die Namen von Banken,<br />
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
Energieerzeugern, Handelskammern. Da<br />
haben die früheren Klassenfeinde vonei nander<br />
gelernt.<br />
Das Erdbeben und die Hilfsaktionen<br />
für die Opfer in den weit abgelegenen<br />
Teilen der Provinz haben den Blick der<br />
Öffentlichkeit auch auf ein gravieren<br />
des Problem der chinesischen Wirtschaftspolitik<br />
gelenkt, nämlich die ungleichzeitige<br />
Entwicklung von Stadt- und Landregionen.<br />
In der liberalisierten Wirtschaft hat sich<br />
daran nichts geändert. Nur heißt heute<br />
die Chiffre für „Land“ schlicht „Wanderarbeiter“.<br />
Ihre Zahl wird je nach Statistik<br />
auf 130 oder 170 Millionen bemessen,<br />
ihr Anspruch auf Daseins fürsorge ist zu<br />
vernachlässigen, und da sie eben „Wanderarbeiter“<br />
sind, findet man in den großen<br />
chinesischen Städten keine Slums.<br />
Diese großen chinesischen Städte, das<br />
trägt nicht unbedingt zur Lösung des Problems<br />
bei, müssen weiter wachsen, um im<br />
Wettbewerb bestehen zu können. In 15 Jahren<br />
rechnen Statistiker daher mit weiteren<br />
20 Megacitys, Städten von mehr als 10 Mil-<br />
CHINA<br />
Kein Wachstum um<br />
jeden Preis –<br />
Nachhaltigkeit ist<br />
gefragt<br />
GESTALTEN<br />
lionen Einwohnern. Das Wachsen der Städte<br />
lässt das Land weiter schrumpfen.<br />
Ein Staat, der keine sozialen Unruhen<br />
verträgt, muss ein Gefühl für Gemeinschaft<br />
stärken. Nationalismus heißt ein politisch<br />
hinlänglich erprobter Begriff. Nationalismus<br />
lebt von symbolischen Veranstaltungen, von<br />
der gemeinsamen Bewältigung schrecklicher<br />
Naturkatastrophen, wie eingangs<br />
geschildert, doch auch von Olympischen<br />
Spielen, Weltausstellungen und allem<br />
an deren Glitzerwerk internationaler Wertschätzung.<br />
Viele chinesische Intellektuelle<br />
haben bereits ein wenig Angst vor dem<br />
neuen, heftigen Nationalismus ihrer Landsleute.<br />
Wir sollten ihnen helfen.<br />
11<br />
Dr. Tilman Spengler ist<br />
Sinologe, Journalist<br />
und Schriftsteller und war<br />
seit 1980 Mitherausgeber<br />
der Zeitschrift „Kursbuch“.<br />
Seine bekanntesten<br />
Bücher sind „Lenins Hirn“,<br />
„Der Maler von Peking“<br />
und „Mallorca. Von<br />
schwarzen Schweinen<br />
und Madonnen“
MATCH auf einen Blick<br />
In der Verbundanlage sind sieben Anlagen integriert, sie produzieren<br />
Standardmonomere, Spezialmonomere und Polymere – in einem Wort:<br />
Hochleistungskunststoffe<br />
1 MTBE-Splitter<br />
MTBE: Das steht für Methyltertiärbutylether<br />
und ist als Anti-Klopfmittel im<br />
Benzin bekannt. Der Splitter spaltet aus<br />
MTBE, das aus China und Saudi-Arabien<br />
angeliefert wird, den für die MMA-<br />
Anlage notwendigen Rohstoff Isobuten.<br />
2+3 MMA<br />
Ab September 2009 liefert diese Anlage<br />
MMA und MAS, also Methylmethacrylat und<br />
Methacrylsäure. Einerseits im Markt für<br />
Farben und Lacke erforderlich, andererseits<br />
Vorprodukt für Hochleistungskunststoffe,<br />
wie sie die anderen Anlagen produzieren.<br />
5 PUMA<br />
Drei Anlagen in einem Gebäude: Die<br />
Spezialester gehen in verschiedene<br />
Anwendungen; sie sind auch nicht nur<br />
für den chinesischen Markt gedacht,<br />
sondern werden weltweit vermarktet.<br />
Sie dienen zur Imprägnierung von<br />
Metallen oder gehen in Dentalprodukte.<br />
Kühltürme<br />
Chemische Reaktionen werden über<br />
Tem peratur gesteuert. Das dazu nötige Wasser<br />
wird nach Erhitzen in einem geschlossenen<br />
Kreislauf in Kühltürmen abgekühlt und kann<br />
wieder eingesetzt werden.<br />
6 HERA<br />
HERA steht für Hydroxyester. Sie werden<br />
verwendet für Hochleistungsbeschichtungen,<br />
die dauerhaft kratzfest sind oder denen<br />
auch Lösungsmittel nichts anhaben dürfen<br />
und die witterungsstabil sein müssen,<br />
ohne Glanz einzubüßen. Auch als Haft vermittler<br />
für Metalloberfl ächen oder in<br />
Reaktionsharzen fi nden sie Verwendung.
4 BUMA<br />
Die Butyl-Methacrylate – eine klare Flüssigkeit –<br />
sind Basismaterial für Beschichtungen und<br />
Klebe mittel. Sie werden gebraucht in Kunstharzen<br />
oder Öl-Zusatzstoffen und beeinfl ussen<br />
in Tex tilien, Leder oder Papieroberfl ächen die<br />
Lichtempfi ndlichkeit.<br />
7 PMMA<br />
Überall dort, wo hohe Ansprüche<br />
an Brillanz, Transparenz und<br />
Witterungsbeständigkeit gestellt<br />
werden, kommt PMMA, also<br />
PLEXIGLAS, ins Spiel. Das wird<br />
hier hergestellt. Das Gra nulat<br />
sorgt dafür, dass TFT-Bildschirme<br />
gleichmäßig leuchten oder Auto -<br />
instrumente und Handylinsen perfekt<br />
lesbar sind.<br />
8 Thermoplaste<br />
Die Anlage, im gleichen Gebäude wie<br />
die PMMA-Anlage, produziert Kunststoffe,<br />
die sich bei bestimmten Temperaturen verformen<br />
lassen. Sie werden in Bindemitteln oder<br />
Zusatzstoffen verwendet, zum Beispiel für Öl.<br />
So funktioniert der Verbund<br />
MAS<br />
MMA<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
Methacrylsäure<br />
(MAS)<br />
Butyl-Methacrylat<br />
(BUMA)<br />
Spezialester<br />
(PUMA)<br />
Hydroxyester<br />
(HERA)<br />
PMMA<br />
(Formmassen)<br />
Thermoplastische Kunststoffe<br />
2<br />
MMA<br />
Verbrennungsanlage<br />
Hier werden brennbare Rückstände<br />
ökologisch verbrannt. Auf diese<br />
Weise lässt sich Dampf erzeugen und<br />
Energie zurückgewinnen.<br />
1<br />
MTBE-<br />
Splitter<br />
Isobuten<br />
MTBE<br />
M a r k t<br />
FOTOS: JAN SIEFKE; ILLUSTRATION: EVONIK INDUSTRIES<br />
FOTOS: SEAN YONG/REUTERS (O. L.), A1PIX/BIS (U. L.), EVONIK INDUSTRIES<br />
Im Fokus: der chinesische Markt<br />
Methylmethacrylat (MMA) und die darauf basierenden Spezialitäten gehen in Autolacke oder<br />
Schiffsanstriche, in Displays oder Computer-Monitore, in Autoarmaturen oder Signalleuchten; sie<br />
sind in Beschichtungen oder Dentalprodukten enthalten und machen die A-Säulen in Automobilen<br />
stabil. Die <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG liefert die Stoffe, die der wachstumsstarke chinesische<br />
Markt verlangt. Speziell bei MMA macht China bereits 60 Prozent des Weltmarktes aus. Und<br />
das weitere Wachstum ist ungebrochen: Marktanalysen sehen bei Produkten der Spezialchemie<br />
zweistellige Wachstumsraten voraus. Mitten in diesem Markt: die weltweit einzigartige<br />
Verbundanlage von <strong>Evonik</strong> in Schanghai mit einer Jahreskapazität von rund 100.000 Tonnen.<br />
Flüssigkristall -Handy-Display Leuchtdioden Golfball-Beschichtung<br />
Autobeschichtung<br />
Weiche Kontaktlinsen LCD-Bildschirm
12 GESTALTEN<br />
CHINA EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
FOTOS: HULTON ARCHIVE/GETTY IMAGES, EVONIK INDUSTRIES (3)<br />
1930<br />
Die Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt<br />
(ab 1980 Degussa AG) schickt<br />
den Leiter ihrer Abteilung Keramische<br />
Farben für mehrere Monate nach China.<br />
1933<br />
Degussa eröffnet ihr erstes<br />
Korrespondentenbüro in Schanghai.<br />
1935<br />
In Sianfu (heute Xi’an) wird eine Anlage<br />
zur Herstellung von absolutem Alkohol<br />
nach einem Hiag-Verfahren (Hiag =<br />
Holz verkohlungs-Industrie AG, 1931<br />
mit Degussa fusioniert) errichtet.<br />
1938<br />
Ein Zweigbüro der Schanghaier Niederlassung<br />
wird in Hongkong gegründet.<br />
1954<br />
Die Firma Jebsen & Co. (Hamburg), mit<br />
einer Niederlassung in Shanghai,<br />
übernimmt die Vertretung von Degussa-<br />
Produkten in China.<br />
1958<br />
Gründung der Hüls Far East Ltd. in<br />
Hongkong als Vertriebsgesellschaft der<br />
Chemischen Werke Hüls AG, Marl.<br />
Zu den anfänglichen Verkaufsprodukten<br />
Polyvinylchlorid (PVC) und Weichmacher<br />
kommen in den 1960er-Jahren<br />
Polystyrol für Imita tionskristallschalen und<br />
Poly äthylen für Kunststoffblumen<br />
und -früchte sowie für Spielzeug hinzu. In<br />
den 1970er-Jahren wird die Palette<br />
vor allem um Ameisensäure, Essigsäure,<br />
Isobutanol und Butylglykol erweitert.<br />
1969<br />
Die Degussa eröffnet unter dem<br />
Namen Degussa Far East Service Ltd.<br />
ein Büro in Hongkong, das der<br />
Förderung der Verkaufsbemühungen<br />
im Fernen Osten dienen soll.<br />
1974<br />
Gründung der Degussa China Ltd., Hongkong.<br />
Das Arbeitsgebiet umfasst den<br />
Vertrieb von Erzeugnissen und Handelsprodukten<br />
der Degussa in Hongkong,<br />
Macau und der Volksrepublik China.<br />
Seit über 70 Jahren<br />
im Geschäft mit China<br />
Schon 1930 starteten die Firmenvorläufer von<br />
<strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> ihre Geschäftstätigkeiten<br />
Die Nanking Road, Schanghai 1930. Die Straße war Sitz des ersten Firmenvorläufers in China.<br />
Die heutige Nanjing Road ist eine der längsten und beliebtesten Shopping-Meilen der Welt<br />
Muster für ein<br />
keramisches Abziehbild<br />
aus dem Degussa-<br />
Büro Hongkong, 1936<br />
Umschlag des Produkt-<br />
Kataloges für China, 1957<br />
Das Gebäude, in dem die<br />
Degussa Far East Service<br />
Ltd. in Hongkong ihren<br />
Sitz hatte, 1969. Von hier<br />
aus wurden Kontakte<br />
zum Fernen Osten aufgebaut.<br />
Heutiger Firmensitz<br />
ist der Manulife Tower<br />
in Hongkong
1983<br />
Die Degussa AG beteiligt sich zu<br />
62,5 Prozent an der 1979 gegründeten<br />
United Silica Industrial Ltd. in Taiwan.<br />
1985/1987<br />
Röhm GmbH liefert PLEXIGUM für<br />
Bautenfarben nach Hongkong, wenig<br />
später auch in die Volksrepublik China.<br />
1988<br />
Erster PLEXIGLAS-Auftrag für eine<br />
Lärmschutzwand an einer viel befahrenen<br />
Straße in Hongkong.<br />
1993<br />
Die Qingdao Carbon Black Company<br />
nimmt unweit von Tsingtau die damals<br />
größte und zugleich modernste Rußfabrik<br />
mit 30.000 Jahrestonnen in Betrieb. Die<br />
von chinesischen Ingenieuren erbaute<br />
und nach Degussa-Lizenz betriebene Anlage<br />
benötigt vom Vertragsabschluss bis<br />
zur Inbetriebnahme nur drei Jahre.<br />
2000<br />
Die Stockhausen GmbH & Co. KG,<br />
eine Tochtergesellschaft der Degussa AG,<br />
nimmt mit ihrem chinesischen<br />
Joint-Venture-Partner Tianlong eine<br />
Anlage zur Herstellung von Spezialchemikalien<br />
für die Wasserbehandlung<br />
und die Papierindustrie in Betrieb.<br />
2001<br />
Der Degussa-Geschäftsbereich Feinchemie<br />
und die Südchinesische Nanning<br />
Only Time Pharmaceuticals Co. Ltd.<br />
vereinbaren ein Joint Venture zur Produktion<br />
von Pharma-Aminosäuren.<br />
Erste Verkäufe von PLEXIGLAS als<br />
flächendeckendem Material in die Volksrepublik<br />
China.<br />
Grundsteinlegung im Industriepark<br />
Xinzhuang in Schanghai. Der<br />
Geschäfts bereich Oligomere & Silicone<br />
baut auf einer Fläche von rund<br />
20.000 Quadratmetern ein Servicezentrum<br />
mit Büros, Konferenzräumen,<br />
Labor kapazitäten, Lagerbereich und<br />
Produktions anlagen.<br />
2002<br />
Der Geschäftsbereich Coatings & Colorants<br />
eröffnet ein regionales technisches<br />
Service-Labor (Greater China Service<br />
Center) in Schanghai.<br />
Eröffnung der Degussa (China) Holding<br />
in Peking als Dachgesellschaft der<br />
15 Unternehmen des Konzerns in China.<br />
2004<br />
Degussa AG eröffnet in Schanghai ein<br />
Forschungs- und Entwicklungszentrum.<br />
Umsatz in China um 17 Prozent auf<br />
rund 280 Millionen € gesteigert. Der<br />
Konzern ist mit 17 Unternehmen<br />
vertreten.<br />
Im November 2004 nimmt die<br />
Degussa AG eine Anlage zur Herstellung<br />
der Pharma-Aminosäure L-Methionin in<br />
Nanning, Kreis Wuming (Region Guangxi<br />
Zhuang), in Betrieb.<br />
2005<br />
Mit Shandong Cathay Lineng Biotechnology<br />
Co. Ltd. Vertrag über die<br />
Gründung eines Joint Ventures zur<br />
Produktion von L-Lysin. Vereinbarung mit<br />
der Shanghai Petrochemical Academy<br />
(SPA) über eine Berufsfachschule. Vier<br />
Destillationsanlagen inklusive eines<br />
Gas-Chromatografen zur Qualitätskontrolle<br />
sowie ein moderner Pumpenstand<br />
mit fünf verschiedenen Pumpentypen<br />
sollen die Vermittlung praktischer<br />
Elemente an der Schule ermöglichen.<br />
Degussa AG und China Europe International<br />
Business School (CEIBS)<br />
arbeiten bei der Ausbildung von Management-Nachwuchs<br />
zusammen.<br />
Die RohMax Additives GmbH, eine<br />
Tochtergesellschaft der Degussa, eröffnet<br />
ein neues technisches Servicezentrum<br />
für Öladditive in China.<br />
Degussa AG und Rizhao Lanxing<br />
Chemical Industry Co. Ltd. (Provinz<br />
Shandong) unterzeichnen einen Vertrag<br />
zur Gründung eines Joint Ventures zur<br />
Herstellung von schwefelfunktionellen<br />
Silanen (Gummisilanen).<br />
2006<br />
Die Degussa AG und die Lynchem<br />
Co. Ltd. in Dalian (Provinz Liaoning) unterzeichnen<br />
einen Vertrag zur Gründung<br />
eines Joint Ventures. Ziel des neuen Unternehmens<br />
ist es, die Produk tionsbasis<br />
und damit die Flexibilität von Degussa<br />
und Lynchem in der Exklusivsynthese<br />
von Feinchemikalien zu vergrößern.<br />
2007<br />
Das Geschäftsgebiet Binders & Additives<br />
feiert die Eröffnung des neuen anwendungstechnischen<br />
Labors in Kanton.<br />
Am neuen Produktionsstandort Degussa<br />
Lanxing (Rizhao) wird die Chemical<br />
Industrial Co. Ltd. feierlich eingeweiht.<br />
Das neue Silanwerk liefert einen wichtigen<br />
Rohstoff für die Reifenindustrie.<br />
In Schanghai findet die Grundsteinlegung<br />
für die Polymerisations- und Com poundieranlage<br />
für Spezialpolyamide des<br />
Geschäfts bereichs High Performance<br />
Polymers statt. Durch die neue Produktionsanlage<br />
am Multi-User-Standort<br />
(MUSC) wird der Geschäftsbereich seine<br />
Kunden in China und der gesamten<br />
Region mit verschiedenen Spezialpolyamiden<br />
und Compounds beliefern,<br />
die auf regionalen Rohstoffen basieren.<br />
Die bisherige Degussa (China) Co.,<br />
Ltd. wird in <strong>Evonik</strong> Degussa (China) Co.,<br />
Ltd. umbenannt. Der neue chinesische<br />
Claim „Ying Chuang“ heißt übersetzt<br />
in etwa „gewinnt durch Erschaffung“.<br />
<strong>2008</strong><br />
Die <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG unterstützt<br />
die Konferenz Boao Forum for Asia <strong>2008</strong><br />
als Diamant-Sponsor. Die Veranstaltung<br />
und das Motto „Green Asia: Moving<br />
towards Win-Win through Changes“ bieten<br />
<strong>Evonik</strong> die Gelegenheit, Erfahrungen<br />
und Fachkompetenzen beizusteuern.<br />
<strong>Evonik</strong>-Vorstand Dr. Klaus Engel hebt in<br />
seiner Eröffnungsrede die strategische<br />
Ausrichtung von <strong>Evonik</strong> in Asien, und<br />
speziell in China, hervor.<br />
17
18 GESTALTEN<br />
CHINA EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
Großes MATCH in Schanghai<br />
Im Süden Schanghais errichtet <strong>Evonik</strong> mit dem Großprojekt MATCH eine einzigartige<br />
Verbundanlage, um den schnell wachsenden Chemie-Markt direkt zu bedienen<br />
TEXT CHRISTOPH PECK<br />
FOTOS JAN SIEFKE<br />
UNS IST AN DEM SCHORNSTEIN<br />
gar nichts aufgefallen. Ein 30 Meter hohes<br />
Edel stahl-Ungetüm mit einer vergitterten<br />
Leiter außen, einem Umgang in halber Höhe<br />
und einer weiteren Leiter bis zur Spitze. Neu,<br />
sauber, stabil: macht einen guten Eindruck.<br />
Dem Fachmann freilich treibt er die Haare zu<br />
Berge. Denn beide Leitern und das Durchstiegsloch<br />
des Umgangs sind in einer Linie<br />
angeordnet. Genau das darf aber nicht sein;<br />
niemand soll, falls er abrutscht, von ganz<br />
oben bis ganz unten fallen können. Deswegen<br />
müssen Leitern und Luke versetzt angebracht<br />
sein. „Sie waren auch versetzt auf den<br />
Plänen“, sagt Dr. Claas-Jürgen Klasen, „aber<br />
irgendjemand fand es wohl schöner, alles in<br />
einer Flucht anzuordnen.“<br />
Wir sind im Süden Schanghais, in Chinas<br />
größtem Chemiepark, wo die <strong>Evonik</strong><br />
<strong>Industries</strong> AG eine weltweit einzig artige<br />
Verbundanlage errichtet. MATCH heißt<br />
das Projekt, ausgeschrieben steht das<br />
für „Methacrylate China“, auf Englisch:<br />
„Methacrylates to China“. Dahinter verbirgt<br />
sich eine große Verbundanlage zur Herstellung<br />
von Methylmethacrylat (MMA),<br />
weiteren Methacrylatmonomeren und<br />
Polymethylmethacrylat (PMMA), einem<br />
leistungsfähigen Kunststoff. Klasen ist der<br />
Projektleiter. Der 48-jährige Verfahrenstechniker<br />
muss dafür sorgen, dass die<br />
Anlage pünktlich fertig wird, allen Anforderungen<br />
genügt und das Budget eingehalten<br />
wird. Keine leichte Aufgabe, wie uns<br />
bald klar wird.<br />
Dass der Schornstein neue Leitern<br />
braucht, ist gewiss keine große Sache. Aber<br />
doch ein Beispiel dafür, was alles passieren<br />
kann, wenn ein deutsches Unternehmen in<br />
China mit Chinesen eine chinesische Chemieanlage<br />
baut. Auch im Reich der Mitte steckt<br />
der Teufel im Detail, und eine Chemieanlage,<br />
die auf eine Jahresproduk tion von 100.000<br />
Tonnen MMA ausgelegt ist, besteht aus Tausenden<br />
und Abertausenden von Details. Ein<br />
bisschen Statistik gefällig? MATCH besteht<br />
aus zehn Reaktoren, 32 Kolonnen, mehr als<br />
250 Pumpen, 120 Kesseln, mehr als 100<br />
Kilometern Rohren, 10.000 Ventilen und<br />
mehr als 77.000 Stutzen oder Flanschen.<br />
Das und etliches mehr verdichtet sich zu<br />
2.600 Bestellungen bei 225 Zulieferern.<br />
Aus 25 Unternehmen in ganz China kommt<br />
Equipment für MATCH – alles muss die<br />
hohen Anforderungen von <strong>Evonik</strong> erfüllen.<br />
Denn nur dann lassen sich die qualitativ<br />
hoch wertigen Produkte herstellen, die der<br />
Markt verlangt und in denen die Wachstumschancen<br />
von <strong>Evonik</strong> liegen.<br />
Was genau aber ist der Markt? MMA,<br />
Methacrylsäure (MAS), Hydroxyester und<br />
Butyl meth acrylat (BMA) werden hauptsächlich<br />
bei der Produktion von Kunststoffen,<br />
Farben und Lacken genutzt. Weitere<br />
Spezialmeth acrylate finden Anwendung<br />
bei der Herstellung von Klebstoffen, Hilfsmitteln<br />
für die Papier- und Gummi-Industrie<br />
und die Abwasseraufbereitung. Für<br />
PMMA-Formmassen, die unter der Marke<br />
PLEXIGLAS vermarktet werden, ist<br />
MMA der Basisrohstoff. Formmassen aus<br />
PLEXIGLAS sind wegen ihrer hohen Transparenz,<br />
Witterungs beständigkeit und Oberflächenhärte<br />
weltweit im Automobilbau und<br />
Verkehrswesen gefragt, in Optik und Kommunikation,<br />
in der Bau- und der Leuchtenindustrie.<br />
DIE SPEZIALCHEMIE WÄCHST<br />
BIS 2011 UM 50 PROZENT<br />
Dieser Markt brummt. Speziell in China.<br />
Die Zahlen mögen schwanken, aber im<br />
Prinzip sind die Experten sich einig: Der<br />
Chemie markt wird noch stärker zulegen<br />
als das allgemeine und mit durchschnittlich<br />
neun Prozent beachtliche wirtschaftliche<br />
Wachstum Chinas. 2004 betrug der Weltmarktanteil<br />
Chinas an der Chemie 13 Prozent,<br />
bis 2015 wird er auf 22 Prozent wachsen.<br />
Chinesische Unternehmen haben ihre<br />
Stärken in der Produktion von sogenannten<br />
Commodities, also beispielsweise Massenkunststoffen.<br />
Die Spezialchemie wird sich >
Das Team der PMMA-Anlage (v.l.): Sun Yanfei, Yonghui Zhu, Marlin Anderson, Gexiao Sun, Claudius Wege, Kim Gu<br />
19
20<br />
><br />
Stets die Übersicht bewahren: Projektleiter Dr. Claas-Jürgen Klasen. Ingo Sander, Leiter im Bereich Spezialmonomere (Mitte) mit Projektmanagern und Teamleitern.<br />
bis 2011 um 50 Prozent steigern, das bedeutet<br />
zweistellige Wachstumsraten. Hier liegen<br />
die Chancen für Unternehmen wie<br />
<strong>Evonik</strong>.<br />
Die Idee, mit einer Verbundanlage, die<br />
Mono mere und Polymere an einem Ort herstellt,<br />
nach China zu gehen, datiert einige<br />
Jahre zurück. Damit, so die Überlegung,<br />
ließe sich die Kapazität weltweit steigern<br />
und außerdem ein wichtiger Markt besetzen.<br />
Mehr und mehr zeigte sich, dass es<br />
nicht ge nügt, Produkte in den boomenden<br />
Chemie markt Chinas zu liefern, man muss<br />
auch vorort präsent sein. Mit MATCH und<br />
weiteren vorhandenen und geplanten<br />
Anlagen entwickelt sich <strong>Evonik</strong> und sein<br />
Geschäfts bereich Performance Polymers<br />
in China zum größten Anbieter von Spezialpolymeren<br />
und Spezialmonomeren.<br />
Die Zahlen von <strong>Evonik</strong> in der Greater<br />
China Region (also inklusive Hongkong und<br />
Taiwan) kennen nur eine Richtung: steil nach<br />
oben. 1.400 Mitarbeiter in 20 Tochtergesellschaften<br />
erwirtschafteten 2004 einen Umsatz<br />
von 300 Millionen €. Zwei Jahre später waren<br />
es 460 Millionen. Und im Geschäftsjahr 2007<br />
machte <strong>Evonik</strong> in Greater China mit inzwischen<br />
4.200 Mitarbeitern einen Umsatz von<br />
754 Millionen – eine Steigerung von 28 Prozent.<br />
Für 2009 liegt die Latte bei rund 1 Milliarde<br />
€. Nicht allein mit und durch MATCH<br />
soll dies erreicht werden.<br />
Um das ambitionierte Ziel zu erreichen, wurde<br />
eine bereichsübergreifende Gesellschaft<br />
geschaffen, die <strong>Evonik</strong> nach außen vertritt,<br />
geeignetes Personal entwickelt und den Markt<br />
nach neuen Wachstumsfeldern absucht.<br />
Dr. Dahai Yu, Regional President für <strong>Evonik</strong> in<br />
der Greater China Region, sucht systematisch<br />
mit seinen Leuten nach Wachstums optionen.<br />
Eine ganz wichtige Einrichtung dafür ist das<br />
Forschungs- und Entwicklungszentrum in<br />
Xinzhuang, für das <strong>Evonik</strong> insgesamt 20 Millionen<br />
€ aufgewendet hat. Fast alle Geschäftsbereiche<br />
haben sich hier niedergelassen, um<br />
ihre Produkte chinesischen Erfordernissen<br />
INFOGRAFIK: DR. DIETER DUNEKA/PICFOUR<br />
Hongqiao<br />
Airport<br />
Stadtgebiet<br />
SCIP<br />
Schanghai<br />
Pudong<br />
Airport<br />
Tiefsee-Hafen<br />
Shanghai International<br />
anzupassen, Marketing am Ort zu betreiben<br />
und technische Dienstleistungen anzubieten.<br />
Gerade mal drei Jahre nach Eröffnung<br />
platzte das Zentrum aus allen Nähten,<br />
es musste ein Neubau mit rund 25.000 Quadratmetern<br />
Büro- und Laborfläche hochgezogen<br />
werden. So entwickelt sich das Zentrum<br />
mehr und mehr zum „R&D-Hub“, zu einer<br />
Nabe für Forschungs- und Dienstleistungen,<br />
deren Speichen nach ganz China und darüber<br />
hi naus reichen. Und die natürlich auch für das<br />
MATCH-Projekt hilfreich ist.<br />
Das Dickschiff in der China-Flotte von<br />
<strong>Evonik</strong> hat eine relativ kurze Geschich-<br />
CHINA<br />
Der Shanghai Chemical Industry<br />
Park (SCIP) südlich des Stadtgebiets<br />
zieht Chemieunternehmen aus<br />
aller Welt an – nicht zuletzt wegen<br />
seiner günstigen Lage zum Tiefseehafen<br />
und den beiden Flughäfen<br />
Schanghais. Auch <strong>Evonik</strong> betreibt<br />
dort eine Multi-User-Site. Größter<br />
User: die MATCH-Verbundanlage
te. Im Dezember 2005 begannen die<br />
Planungs arbeiten für MATCH, ein Jahr später<br />
beschloss der Vorstand, 250 Millionen €<br />
zu investieren – die zweitgrößte Investition<br />
im Geschäftsfeld Chemie, nur eine Methionin-Anlage<br />
in Antwerpen (Belgien) hat mehr<br />
gekostet. Im März 2007 kam die Erlaubnis aus<br />
der Hauptstadt Peking, im September fand<br />
der erste Spatenstich statt. Und so sehen die<br />
weiteren Meilensteine auf dem Zeitstrahl<br />
aus: Juli <strong>2008</strong> Richtfest, viertes Quartal<br />
<strong>2008</strong> Produktionsbeginn der ersten Phase;<br />
September 2009 Produktions beginn der<br />
gesamten Anlage.<br />
KEINE CHEMIEANLAGE<br />
VON DER STANGE<br />
Was sich liest wie der Fahrplan eines 100mal<br />
erprobten Anlagenbaus, hat es in sich.<br />
Dass es keine Chemieanlage von der Stange<br />
gibt, ist bekannt. Aber bei MATCH kommt<br />
einiges mehr zusammen. Da ist zunächst einmal<br />
der Verbund. MATCH besteht eigentlich<br />
aus sieben verschiedenen, aber eng verzahnten<br />
Anlagen, zusammengefasst in drei<br />
Produktionsgruppen: Standard monomere,<br />
Spezialmonomere und Polymere. Die beiden<br />
letzten brauchen MMA als Ausgangsprodukt.<br />
„Wir werden die Spezialmonomer anlage<br />
ab Ende <strong>2008</strong> in Betrieb nehmen“, erläutert<br />
Wilfried Schmidt, der Leiter der Produk-<br />
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
Wilfried Schmidt, künftig für die Produktion der gesamten Anlage verantwortlich<br />
tion. „Die große MMA-Anlage folgt im dritten<br />
Quartal 2009.“ Der Vorzug ist, dass sie<br />
mit den kleineren Anlagen schon mal Erfahrung<br />
gewinnen können. Ob bei Schmidt<br />
oder Ingo Sander, dem künftigen Betriebsleiter<br />
im Bereich Spezial monomere, oder<br />
Marlin Anderson, dem Chef der Polymer-<br />
Anlage: Bei allen ist Spannung zu spüren.<br />
Nicht, dass die Anlage nicht funktionieren<br />
würde, aber es sind doch viele Herausforderungen<br />
zu meistern. Klasen zählt auf: „Wir<br />
haben den Verbund selbst und einen im Aufbau<br />
befindlichen Produktionsstandort mit<br />
vielen neuen Serviceleistungen und neuen<br />
Mitarbeitern. Wir haben uns hier für einen<br />
für <strong>Evonik</strong> neuen Prozess der Herstellung<br />
von MMA entschieden, der in dieser Größenordnung<br />
bisher nicht realisiert wurde.<br />
Und dann kommt noch der China-<br />
Faktor hinzu. Der erstreckt sich einmal<br />
auf das eingesetzte Material, zum anderen<br />
auf die Menschen in der Anlage. Ein Team<br />
von elf Experten ist ständig im Land unterwegs,<br />
um bei den Zulieferern Qualitätskontrollen<br />
zu machen, damit Pannen wie<br />
beim Schornstein die Ausnahme bleiben.<br />
Klasens Assistentin Maggie Lu hat zusammengezählt,<br />
wie viele Stunden das Engineering-Team<br />
in China unterwegs war und<br />
ist auf stolze 25.000 gekommen. Allerdings<br />
waren 11.000 davon Wartezeiten, weil Termine<br />
platzten oder Flugzeuge nicht gingen,<br />
CHINA<br />
Das Dickschiff der<br />
China-Flotte legt ab<br />
GESTALTEN<br />
Papiere nicht da waren oder man schlicht<br />
und einfach mal wieder anderthalb Stunden<br />
warten musste, um überhaupt in den<br />
Chemiepark einge lassen zu werden – dank<br />
besonderer Sorgfalt wegen der Olympischen<br />
Spiele.<br />
Doch der menschliche Faktor ist Klasen<br />
wichtiger: „Letztlich ist es doch ‚people<br />
business‘“ . Und das trägt Namen wie<br />
Wenxing Zhang, Tao Pei, Yingming Yuan<br />
oder Kim Gu und Sun Yanfei. Sie sind Production<br />
Manager, Teamleiter oder für die<br />
Labors in den Anlagen zuständig, und aus<br />
ihren Rängen werden schon in wenigen<br />
Jahren die Anlagenchefs kommen. Leiter,<br />
Production Manager, Teamführer, Operator<br />
– so ist die Hierarchie in der Anlage.<br />
Schon jetzt beschäftigt die Anlagenchefs,<br />
wie sie künftig die Mitarbeiter halten sollen.<br />
„Mit der Ausbildung, die sie bei uns bekommen“,<br />
sagt Sander, „verdoppeln sie ihren<br />
Marktwert schlagartig. Und wir haben hier<br />
einen solchen Boom, dass gute Leute händeringend<br />
gesucht werden.“<br />
Viele kommen von der Shanghai Petrochemical<br />
Academy (SPA), einer Art Berufsschule,<br />
die auch von <strong>Evonik</strong> unterstützt<br />
wird. Sie haben in anderen Anlagen in China,<br />
im Forschungszentrum Xinzhuang oder<br />
in Deutschland gelernt. So war zum Beispiel<br />
das komplette MMA-Team während<br />
unseres Besuches gerade in Deutschland. ><br />
21
22 GESTALTEN<br />
CHINA EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
><br />
Trockenübungen<br />
und Trainingseinheiten<br />
vor der Stunde X<br />
„Hiervon versprechen wir uns eine reibungslose<br />
Übertragung der Sicherheitsphilosophie<br />
auf die neue Anlage“, sagt<br />
Dr. Horst Hiltner, Betriebsleiter der MMA-<br />
Anlage. Auch Andersons Truppe trainierte<br />
monatelang in Worms und Darmstadt. 22<br />
Absolventen der SPA und zehn erfahrene<br />
Operators sollen vom vierten Quartal an<br />
die PMMA-Anlage fahren, rund um die Uhr,<br />
sieben Tage in der Woche – wie alle anderen<br />
Anlagen auch.<br />
Noch sind Trockenübungen angesagt<br />
oder Trainingseinheiten auf Computern,<br />
welche die noch nicht fertiggestellte<br />
Produktions anlage realitätsnah simulieren.<br />
Aber im Herbst wird es ernst. Dann ist<br />
der Bau der PMMA-Anlage abgeschlossen,<br />
dann kann die Wartezeit, bis die Genehmigung<br />
eingeht, für die Wasserspiele genutzt<br />
werden. Das heißt, die Anlage wird erst einmal<br />
mit Wasser befüllt und getestet. Und<br />
gegen Ende des Jahres ist es so weit: Die<br />
So kam es zu MATCH<br />
Das Großprojekt von <strong>Evonik</strong> in China: eine kleine Chronik<br />
Dez. 2005<br />
Auswahl des<br />
Produktionsverfahrens<br />
(C4) und<br />
Beginn der<br />
Planungen<br />
Jan. 2006<br />
Vertragsunterzeichnung<br />
mit dem<br />
Lizenzgeber<br />
zur Erlangung<br />
der C4-Lizenz<br />
Jan. 2006<br />
Freigabe des<br />
Projekts durch<br />
Degussa/RAG<br />
(heute: <strong>Evonik</strong>)<br />
Anlage wird den Betrieb aufnehmen. Und<br />
ein kleines Granulat produzieren, das Licht<br />
gleich mäßig in TFT-Bildschirmen verteilt,<br />
Rücklichter an den Autos leuchten oder<br />
Handy-Displays in brillantem Glanz erstrahlen<br />
lässt.<br />
PRÄCHTIGE STIMMUNG,<br />
SPÜRBARE SPANNUNG<br />
Dann ist Sander mit seinen Anlagen für<br />
Spezialmonomere schon einen Monat lang<br />
„online“. Wie hatte Schmidt gesagt? „Wir<br />
fan gen mit der Anlage an, die wir am besten<br />
kennen.“ Wie, wollen wir von Sander<br />
wissen, definiert er den Erfolg seines<br />
Werkes? „Erstens: Die Anlage ist pünktlich<br />
und im Etat fertig. Zweitens: Das Produkt<br />
entspricht der Spezifikation. Drittens: Die<br />
Anlage erreicht das Ziel-EBIT; und schließlich<br />
viertens: Alle arbeiten gern in der Anlage.“<br />
Wenn nicht alles täuscht, haben er und<br />
Anderson den vierten Punkt schon erreicht.<br />
März 2007<br />
Freigabe des<br />
Projekts durch<br />
die zuständige<br />
chinesische<br />
Behörde in<br />
Peking<br />
Mai 2007<br />
Beginn der<br />
detaillierten<br />
Planung<br />
mit einem<br />
Planungsbüro<br />
in Peking<br />
Juni 2007<br />
Unterzeichnung<br />
des Flächennutzungsvertrags<br />
(in China<br />
kann man kein<br />
Land kaufen)<br />
Die Stimmung in den Teams ist prächtig. Sie<br />
sind sich ihrer selbst gewiss, wissen, dass sie<br />
gut ausgebildet sind, dass sie in den Trainings<br />
oder in langen Jahren in Joint Ventures<br />
oder im Forschungszentrum das Rüstzeug<br />
für ihre Arbeit mitbekommen haben. Sowieso<br />
sind alle – Chinesen oder Expats – stolz da -<br />
rauf, an diesem Projekt mitzumachen. Dass<br />
sich das gut im Lebenslauf machen wird, ist<br />
fast nebensächlich. „Solch eine Chance“,<br />
sagt Schmidt, „bekommt man einmal im<br />
Leben.“<br />
So eint sie alle die Gewissheit: „We will<br />
match it“, wir werden es schaffen. Das hat<br />
ihnen Klasen immer wieder eingebläut, und<br />
das wird er auch noch bis zum Herbst 2009<br />
tun. Und dann, im Dezember 2009, wird<br />
er mit dem ganzen Projektteam seinen 50.<br />
Geburtstag feiern. „Aber in Deutschland“,<br />
sagt er mit hörbarem Ausrufezeichen. Denn<br />
dann ist MATCH ganz wahr geworden:<br />
Methacrylates to China. <<br />
Sept. 2007<br />
Erster Spatenstich<br />
und<br />
Baubeginn<br />
Okt. <strong>2008</strong><br />
Beginn der<br />
Produktion,<br />
Phase eins:<br />
PMMA, Tanklager<br />
und Spezialmonomere<br />
Sept. 2009<br />
Beginn der<br />
Produktion,<br />
Phase zwei :<br />
Standard monomere<br />
(MMA<br />
und MAA)
Geschäftiges Treiben wenige Monate vor Produktionsbeginn: In der Hochphase des Baus arbeiten 2.600 Menschen an der Anlage<br />
23
24 INFORMIEREN<br />
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
INFOGRAFIKEN: REDAKTION 4<br />
Wirtschaft<br />
Immer mehr Insolvenzen<br />
Starker Anstieg bei Privathaushalten – Besserung bei Unternehmen<br />
Gesamt<br />
Unternehmen<br />
QUELLE: STATISTISCHES BUNDESAMT QUELLE: STATISTISCHES BUNDESAMT<br />
Das weltweite<br />
Netz: Internet<br />
Etwas mehr als ein Fünftel der Weltbevölkerung, 1,4<br />
Milliarden Menschen, nutzt das Internet. Die wichtigsten<br />
Sprachen sind Englisch (428 Millionen User),<br />
Chinesisch (233 Millionen) und Spanisch (122 Millionen).<br />
64 Millionen User sprechen deutsch und bilden<br />
nach Japanern und Franzosen die sechstgrößte Gruppe.<br />
Im Weltmaßstab wuchs die Internet-Community in<br />
den vergangenen acht Jahren um rund 300 Prozent<br />
Fast<br />
5.000.000<br />
Ermittlungsverfahren haben die Staatsanwaltschaften<br />
der Landgerichte in Deutschland 2006<br />
erledigt: 4.877.000. Von diesen Verfahren führten<br />
1,19 Millionen entweder zur Anklage oder zu<br />
einem Antrag auf Strafbefehl.
Versicherungen<br />
Milliarden-Markt Gesundheit<br />
Gesetzliche<br />
Krankenversicherung<br />
139,7<br />
Öffentliche<br />
Haushalte<br />
13,4<br />
Private Haus halte<br />
33,3<br />
Arbeitgeber<br />
10,4<br />
QUELLE: INTERNET WORLD STATS<br />
Gesamt<br />
245,0<br />
Pflegeversicherung<br />
18,1<br />
Gesetzliche<br />
Rentenversicherung<br />
3,5<br />
Gesetzliche<br />
Unfall versicherung<br />
4,1<br />
Private<br />
Kranken versicherung<br />
22,5<br />
245 Milliarden €<br />
geben die Deut schen<br />
für ihr Gesundheitswesen<br />
aus.<br />
Der Löwen anteil<br />
der Kosten wird von<br />
der g esetzlichen<br />
Krankenversicherung<br />
getragen. Die<br />
privaten Kassen<br />
zahlen rund 23<br />
Milliarden €.<br />
Dieselpreis<br />
Steil nach oben<br />
Verbraucherpreisindex für den Treibstoff spiegelt Verteuerung wider<br />
QUELLE: STAT. BUNDESAMT QUELLE: STATISTISCHES BUNDESAMT 2005 =100<br />
Bevölkerungsanteil, der<br />
das Internet nutzen kann:<br />
81–90 %<br />
71–80 %<br />
61–70 %<br />
51–60 %<br />
41–50 %<br />
31–40 %<br />
21–30 %<br />
11–20 %<br />
6–10 %<br />
0–5 %<br />
25<br />
Welten liegen zwischen<br />
den Möglichkeiten<br />
zur Internetnutzung<br />
in den Industrie ländern<br />
und den Entwicklungsländern.<br />
Stand:<br />
31. Dezember 2007.
26<br />
Steve Koltes<br />
kennt den<br />
deutschen Markt<br />
und seine<br />
Befi ndlichkeiten
Das Geheimnis des Erfolgs<br />
Wer ist Steve Koltes, der Mitbegründer des neuen <strong>Evonik</strong>-Anteilseigners<br />
CVC Capital Partners? So viel steht fest: Er hat Vertrauen in die Perspektiven<br />
von <strong>Evonik</strong> und die Strategie des Unternehmens<br />
TEXT CHRISTOPH PECK, TOM RADEMACHER<br />
FOTOS KARSTEN BOOTMANN<br />
STEVE KOLTES ist ein ruhiger, fast<br />
bedächtiger Mann, der seine Worte wohl zu<br />
wägen weiß. Umso mehr haben sie Gewicht:<br />
„<strong>Evonik</strong> ist ein fantastisches Unternehmen<br />
mit hervorragenden Perspektiven“ – ein<br />
Satz wie dieser sitzt. Der 52-jährige Amerikaner,<br />
Managing Partner und Mitbegründer<br />
des Private-Equity-Unternehmens<br />
CVC Capital Partners, ist so etwas wie der<br />
Musterknabe unter den Finanzinvestoren.<br />
Das hat einerseits mit dem Gebaren seiner<br />
Firma zu tun, die sich in den vergangenen<br />
Jahren erfolgreich gegen den Ruf einer<br />
„Heuschrecke“ verwahren konnte. Andererseits<br />
– und wohl nicht zuletzt – hat es<br />
auch mit ihm selbst zu tun. Selbst in den<br />
hitzigsten Debatten um die Rolle der Finanzinvestoren<br />
in Deutschland genoss der langjährige<br />
Deutschlandchef von CVC in den<br />
Medien den Ruf des Ausnahme-Investors,<br />
des „umgänglichen Sympathieträgers“, wie<br />
etwa das „Handelsblatt“ schrieb.<br />
Kein Wunder, denn sein Motto lautet:<br />
„Wir haben die Verantwortung, auf unseren<br />
Ruf zu achten, damit unser Geschäft für<br />
die Öffentlichkeit verständlich wird und<br />
wir es auch in Zukunft erfolgreich betreiben<br />
können.“ Im persönlichen Kontakt gilt<br />
der begeisterte Hobby-Sportler als freund-<br />
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
lich und offen. Den deutschen Markt kennt<br />
und liebt er. „Deutschland war immer das<br />
Traumland“, schwärmte er, als CVC im<br />
Herbst 2006 sein 20-jähriges Deutschland-<br />
Jubiläum feierte. Auch persönlich ist Koltes<br />
dem Standort D seit Langem verbunden.<br />
In Philadelphia (Pennsylvania, USA) geboren<br />
und aufgewachsen, sammelte er bereits<br />
im Alter von 16 Jahren erste prägende Eindrücke<br />
– als Austauschschüler in Braunschweig.<br />
„Eine tolle Erfahrung“, wie er<br />
heute gerne erzählt. „Ich habe damals ein<br />
Jahr nur deutsch gesprochen.“<br />
EIN JAHR ALS SCHREINER<br />
IN PARIS<br />
Die Begeisterung für Deutschland ist geblieben.<br />
Koltes weiß, wie man sich in der deutschen<br />
Wirtschaft Freunde macht. Dazu<br />
gehört neben dem Charme auch eine Por tion<br />
Bescheidenheit. Die bringt der Amerikaner<br />
mit, der nach dem Studienabschluss am<br />
Middlebury College in Vermont und den Universitäten<br />
in Paris (Frankreich) und Mainz<br />
ein Jahr als Schreiner arbeitete. Ein Wohnsitz<br />
in Zürich (Schweiz) mit seiner Schweizer<br />
Frau und zwei Kindern und ein Feriendomizil<br />
in Südfrankreich sind wahrhaftig<br />
keine Extravaganzen für einen Dompteur<br />
des ganz großen Geldes.<br />
Koltes kennt das harte Geschäft. „Die<br />
Branche hat sich rasend entwickelt, und ich<br />
INVESTOR<br />
BEWEGEN<br />
bin eine Art Dinosaurier aus diesen alten<br />
Zeiten“, sagt er selbst. Mit den alten Zeiten<br />
sind seine Anfänge bei CVC 1987 gemeint.<br />
Damals standen die Buchstaben CVC noch<br />
für Citigroup Venture Capital, und Koltes<br />
wechselte vom Banken sektor der Citigroup<br />
nach London (Großbritannien) ins Beteiligungsgeschäft.<br />
CVC war erst im Vorjahr<br />
in den deutschen Markt eingetreten, und<br />
Koltes half, das Frankfurter Büro aufzubauen.<br />
Dann übernahmen 1993 acht der führenden<br />
Manager das Geschäft und gründeten<br />
CVC Capital Partners als unabhängiges<br />
Unternehmen. Vier der Gründungs partner,<br />
darunter Koltes, sind heute noch dabei.<br />
Seither hat sich viel verändert. „Alles über<br />
1 Million £ war 1987 ein großes Investment“,<br />
erinnert sich Koltes. Mittlerweile<br />
halten sich die Investmentprofis bei CVC<br />
erst gar nicht auf mit Unternehmen, die<br />
weniger als 1 Milliarde € Umsatz machen.<br />
Rund 27 Milliarden € beträgt das Fondsvolumen<br />
insgesamt.<br />
CVC managt derzeit Fonds im Namen<br />
von 250 Investoren aus Nordamerika (gut<br />
50 Prozent), Europa (knapp 30 Prozent),<br />
Asien und dem Nahen Osten. Darunter sind<br />
etliche führende Pensionsfonds, andere institutionelle<br />
Anleger sowie wiederum Fonds.<br />
Sie alle sind an langfristigen Investments<br />
interessiert. Was sich auch daran zeigt,<br />
dass sie ihr Geld durchschnittlich mehr als ><br />
27
28<br />
><br />
zehn Jahre bei CVC investieren, einige sind<br />
sogar seit den frühen 90er-Jahren dabei.<br />
Dafür erwarten sie außergewöhnlich gute<br />
Renditen.<br />
Das Portfolio von CVC reicht vom<br />
Abfallmanagement in den Niederlanden<br />
über Einzelhandelsriesen in England und<br />
die dänische Post bis hin zum Management<br />
der Formel Eins – CVC ist überall<br />
dabei. Eine der bekanntesten und gleichzeitig<br />
langlebigsten Beteiligungen im deutschen<br />
Markt war die Übernahme des Mobiltoi<br />
letten-Anbieters Dixi 1995 für damals<br />
umgerechnet 50 Millionen €. Ein Jahr<br />
später kaufte CVC den größten Wettbewerber<br />
Toi Toi, erweiterte die Angebotspalette,<br />
verschmolz die beiden unter dem<br />
Namen Adco zum Weltmarktführer und<br />
verkaufte seinen Anteil im Spätsommer<br />
2007 wieder – zurück an die ursprüngliche<br />
Unternehmerfamilie von Dixi. Kaufpreis:<br />
kein Kommentar.<br />
„Das Geheimnis unseres Erfolgs ist die<br />
langjährige Erfahrung. In unserer Branche<br />
kann man nicht einfach zwei oder<br />
drei Universitäts abgänger einstellen und<br />
von ihnen eine gute Leistung erwarten.<br />
CVC ist seit über 20 Jahren im Private-<br />
Equity -Geschäft. Unsere führenden<br />
Investment fachleute vereinigen über 400<br />
Jahre Branchen erfahrung.“ Davon soll das<br />
Management in den Portfolio unternehmen<br />
Gemeinsame Zukunft:<br />
Dr. Werner Müller<br />
von <strong>Evonik</strong>, Wilhelm<br />
Bonse-Geuking<br />
von der RAG-Stiftung und<br />
CVC-Chef Steve Koltes<br />
profitieren. Bloßes Dividenden einstreichen<br />
ist CVCs Sache nicht.<br />
DER INVESTOR ALS<br />
SPARRINGSPARTNER<br />
Zum Selbstverständnis gehört vielmehr,<br />
„dass wir eine Zeitlang gute, vielleicht<br />
sogar die besten Eigentümer sind und uns<br />
dann wieder geräuschlos zurück ziehen.<br />
Während dieser Zeit ist das Verhältnis<br />
zwischen Unternehmen und Private<br />
Equity sehr eng: hier das Management,<br />
das die Verantwortung für das Geschäft<br />
trägt. Da der Investor, der das Management<br />
quasi als Sparringspartner begleitet.<br />
Dieses Geschäftsmodell ist fundamental<br />
gesund.“ Das hat – abgesehen vom<br />
Kaufpreis – auch im Bieterverfahren für<br />
die <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG den Ausschlag für<br />
CVC gegeben: Der Investor erhält 25,01<br />
Prozent der Anteile von <strong>Evonik</strong> und überweist<br />
dafür der Eigentümerin, der RAG-<br />
Stiftung, 2,4 Milliarden €. Wichtiger aber<br />
noch als der Kaufpreis: CVC und das <strong>Evonik</strong>-<br />
Management waren sich schnell einig über<br />
die strategischen Ziele. Dr. Werner Müller,<br />
Vorstandsvorsitzender von <strong>Evonik</strong>: „Wir<br />
haben einen vielversprechenden Partner<br />
für das Unternehmen gefunden, der<br />
Vertrauen in die Perspektiven von <strong>Evonik</strong><br />
hat und die Strategie des Unternehmens<br />
versteht und unterstützen will. Und des-<br />
halb sage ich wirklich mit Überzeugung:<br />
Die Interessengleichheit zwischen Stiftung<br />
und CVC ist eine sehr gute Basis für<br />
gesundes Wachstum von <strong>Evonik</strong>.“ Da hat<br />
sich <strong>Evonik</strong> ehrgeizige, aber, wie Koltes<br />
sagt, „absolut realistische“ Ziele gesetzt:<br />
Im Juni <strong>2008</strong> ist das Wachstums- und<br />
Leistungsprogramm „Wert x2“ aufgelegt<br />
worden, das den Unternehmenswert von<br />
<strong>Evonik</strong> in fünf Jahren verdoppeln soll.<br />
Was kann CVC dazu beitragen? „Eine<br />
breite industrielle Übersicht“, sagt Koltes.<br />
„Zum Beispiel in der Diskussion, wo <strong>Evonik</strong><br />
künftig wachsen könnte oder auch beim<br />
Thema Länder- und Marktkompetenz. Von<br />
allen großen Private-Equity-Investoren sind<br />
wir am längsten in Fernost vertreten. Im<br />
Juli haben wir unser neues Büro in Peking<br />
aufgemacht und sind auch sonst überall in<br />
Asien präsent. Also an der Stelle können wir<br />
beispielsweise noch einiges beitragen.“<br />
Und dann denkt er voraus, an die weitere<br />
Kapitalmarktgeschichte von <strong>Evonik</strong>.<br />
„Hier können wir auf die Erfahrung von<br />
zwölf Börsengängen allein in den letzten<br />
fünf Jahren verweisen.“ Mit dem Gang an<br />
die Börse, geplant bis spätestens 2013,<br />
endet auch die Ehe auf Zeit zwischen<br />
<strong>Evonik</strong> und CVC. Für diesen Zeitpunkt<br />
hat sich Koltes ein Ziel gesetzt: „Ich hoffe,<br />
dass alle Beteiligten dann sagen werden:<br />
‚Die Zeit mit CVC war gut.’“
FOTOS: CORBIS, ARGUM/FALK HELLER, PICTURE ALLIANCE/DPA, ELSTER GROUP, LAO/ANDIA.FR,<br />
HOZELOCK, LECTA S.A., NIEN MADE, SAMSONITE, SKYLARK, CHRISTOPH VON HAUSSEN<br />
Die Welt von CVC<br />
Das britische Beteiligungs- und Investmentberatungsunternehmen<br />
CVC Capital Partners<br />
hält Beteiligungen an rund 50 Unter nehmen<br />
weltweit. Insgesamt erwirtschaften diese<br />
Unternehmen rund 48 Milliarden € jährlich.<br />
In Deutschland ist CVC seit 1986 vertreten.<br />
Seither hat sich der Private-Equity-Investor an<br />
über 20 Unternehmen beteiligt und diese<br />
im Durchschnitt sieben Jahre lang gehalten.<br />
Als eines der wenigen europäi schen Private-<br />
Equity-Unternehmen ist CVC gleichzeitig<br />
auch in Asien und in den USA aktiv. In<br />
Deutschland hält CVC Capital Partners neben<br />
der <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG noch Anteile an<br />
der Elster-Gruppe. Das Essener Unternehmen<br />
ist Marktführer im Bereich Messtechnik.<br />
Außerdem hält CVC Beteiligungen an dem<br />
Bauzulieferer Dywidag-Systems und an<br />
der Flint-Gruppe. Im vergangenen Jahr hat<br />
CVC Ista ver kauft, einen weltweit führenden<br />
Dienstleister bei der Erfassung und Abrechnung<br />
von Wasser-, Energie- und Nebenkosten.<br />
CVC hatte das Essener Unter nehmen<br />
2003 zusammen mit anderen Investoren<br />
zu 100 Prozent über nommen und mithilfe<br />
von Übernahmen in Belgien, Frankreich<br />
und den USA zum Marktführer gemacht.<br />
Heute hält CVC eine Minderheitsbeteiligung<br />
von 24 Prozent.<br />
Hozelock:<br />
Bewässerungsanlagen<br />
Skylark:<br />
Restaurantketten<br />
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
Elster Group:<br />
Messzähler<br />
Acromas:<br />
Versicherungen und<br />
Dienstleistungen<br />
Lecta S.A.:<br />
Hochglanzpapier<br />
Smurfi t:<br />
Verpackungen<br />
INVESTOR<br />
Den Wert von<br />
<strong>Evonik</strong> in fünf Jahren<br />
verdoppeln<br />
Debenhams:<br />
Kaufhäuser<br />
Formel Eins:<br />
Sport- und<br />
Rechtemanagement<br />
Nien Made:<br />
Jalousien<br />
BEWEGEN<br />
29<br />
Samsonite:<br />
Koffer
30<br />
Wege zum Ziel: Apparatur zur parallelen Kalzination von Katalysatoren (Gasverteilung) und vier Katalysatormuster im Industriepark Wolfgang, Hanau
Kat sei Dank!<br />
Wer als Chemieunternehmen über die besten Katalysatoren verfügt, kann wirtschaftlicher,<br />
umweltfreundlicher und energiesparender produzieren als die Konkurrenz<br />
TEXT DR. FRANK FRICK<br />
FOTOS TIM WEGNER<br />
DER BESUCH bei der <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong><br />
AG im Industriepark Wolfgang in Hanau<br />
be ginnt entspannt: Empfangen von einem<br />
Chinesen, kreist die Unterhaltung um<br />
Ur laub in den Alpen. Small Talk mit einem<br />
Globe trotter, bevor das Gespräch dienstlich<br />
wird? Nein. Dr. Baoshu Chen verliert<br />
keine Zeit, der Ausflug in die Alpen dient<br />
nur als Vergleich, um seine Arbeit bildhaft<br />
zu erklären: „Stellen Sie sich vor, Sie wandern<br />
und wollen ein nahe gelegenes Tal<br />
erreichen“, schildert er die Ausgangslage.<br />
„Es gibt zwei Wege zum Ziel: Einer davon<br />
führt über den Gipfel eines hohen Berges.<br />
Der andere Weg führt um den Berg he -<br />
rum, und es sind nur relativ geringe Höhenunterschiede<br />
zu bewältigen. An der Weggabelung<br />
steht ein Schild, das auf diese weit<br />
weniger anstrengende Route hinweist.“<br />
Kurze Atempause. „Was für den Wanderer<br />
das Schild, das ist der Katalysator für einen<br />
chemischen Prozess.“ Und damit kennt sich<br />
Chen bestens aus, denn er ist Forschungsleiter<br />
des Geschäftsgebiets Catalysts (Katalysatoren)<br />
von <strong>Evonik</strong>.<br />
Rund 70 Prozent aller Herstellungsverfahren<br />
in der chemischen Industrie<br />
sind auf die „Schilder“ angewiesen,<br />
da runter vor allem die Basisarbeit am<br />
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong> KATALYSE<br />
PRODUZIEREN 31<br />
Beginn der Wertschöpfungskette. Bezogen<br />
auf die Menge an chemischen Produkten<br />
weisen Katalysatoren sogar den Weg hin<br />
zu mehr als 90 Prozent aller chemischen<br />
Erzeugnisse.<br />
Der Weltmarkt-Umsatz für Kats – wie<br />
sie der Chemiker im Alltag gerne nennt –<br />
beträgt etwa 11 Milliarden € pro Jahr. Der<br />
Wert von Waren, die mithilfe von Kats<br />
her gestellt werden, ist um rund das 100-<br />
Fache größer: Experten schätzen ihn<br />
auf 500 bis 2.500 Milliarden € jährlich.<br />
Einer der Gründe für diese enorme Hebelwirkung:<br />
Die Katalysatoren selbst überstehen<br />
scheinbar unverändert den chemischen<br />
Prozess, dem sie die vorteilhafte<br />
Richtung weisen und dessen Geschwindigkeit<br />
sie erhöhen. „Das Schild, das dem<br />
Wanderer den Weg weist, muss auch nicht<br />
dauernd erneuert werden“, sagt Chen. Mit<br />
der Zeit allerdings altern die Kats oder verbrauchen<br />
sich allmählich.<br />
NEUE KAT-GENERATIONEN<br />
„Nahezu alle Chemie-Geschäftsbereiche<br />
von <strong>Evonik</strong> sind auf gute Katalysatoren<br />
angewiesen“, sagt Prof. Dr. Karlheinz Drauz,<br />
Abteilungsleiter Innovationsmanagement<br />
Chemie. „Daneben produzieren wir auch<br />
maßgeschneiderte Katalysatoren.“ Häufig<br />
handelt es sich bei dem Kat um einen<br />
Feststoff, während die reagierenden Stoffe<br />
Gase oder Flüssigkeiten sind. Solche Katalysatoren<br />
nennen Fachleute „heterogen“,<br />
im Unterschied zur „homogenen“ Variante:<br />
Dabei befindet sich der Kat in der gleichen<br />
Phase wie das restliche System, er ist<br />
also zum Beispiel in einer flüssigen Stoffmischung<br />
gelöst.<br />
Aufgrund ihrer Bedeutung ist klar, dass<br />
die Suche nach besseren Kats für viele Forscher<br />
von <strong>Evonik</strong> zum Alltag gehört wie<br />
das Zähneputzen. Einer davon ist Chen, ein<br />
anderer Dr. Christoph Weckbecker, Forschungsleiter<br />
eines Geschäftsgebiets, in dem<br />
sich alles um Methionin dreht. 350.000 Tonnen<br />
dieser Aminosäure kann <strong>Evonik</strong> allein<br />
jährlich als sogenanntes D,L-Gemisch produzieren,<br />
das als Futtermittelzusatz hilft,<br />
vor allem Hühner, aber auch Schweine und<br />
Rinder gesund, effektiv und umweltschonend<br />
zu ernähren.<br />
„Methionin wird in insgesamt 13 Prozessschritten<br />
aus petrochemischen Rohstoffen<br />
wie Kohlenmonoxid, Wasserstoff<br />
und Propan hergestellt – zehn davon<br />
benötigen Katalysatoren“, sagt Weckbecker.<br />
Prinzipiell ist es natürlich möglich,<br />
Anfangsschritte auf dem Weg zum Methionin<br />
auszulassen und stattdessen die Zwischenprodukte<br />
bei anderen Unternehmen<br />
einzukaufen. Ende der 1990er-Jahre<br />
beschloss das Management, mit einem eigenen<br />
Verfahren in die Produktion einzustei- >
32<br />
><br />
gen – unter anderem, um den gestiegenen<br />
Bedarf decken zu können.<br />
Wesentlicher Bestandteil dieses Verfahrens:<br />
ein neu entwickelter Katalysator.<br />
Obwohl dieser Methylmercaptan-Kat seine<br />
Dienste ab 2002 in einer Anlage in Wesseling<br />
bei Köln durchaus zufriedenstellend<br />
verrichtete, ruhten sich Weck becker und<br />
sein Laborleiter Dr. Hubert Redlingshöfer<br />
auf dem Erreichten nicht aus. In zielgerichteten<br />
Versuchsreihen variierten sie unter<br />
anderem die chemische Zusammensetzung<br />
des Kats, seine Kristalleigenschaften und<br />
seine Oberflächenbeschaffenheit. „An -<br />
schließend testeten wir unter praxisnahen<br />
Bedingungen die Muster, die wir in Mengen<br />
von wenigen Kilogramm herstellten“, erinnert<br />
sich Weckbecker.<br />
Zwar war die Freude groß, als sie einen<br />
deutlich verbesserten Katalysator fanden,<br />
doch ganz am Ziel waren die Forscher<br />
noch nicht. Nun galt es, ihn im Tonnen-<br />
Maßstab zu produzieren – eine Auf gabe,<br />
die Weckbecker und Redlingshöfer<br />
gemeinsam mit den Spezialisten um Chen<br />
zu lösen hatten. Viele Katalysatoren<br />
er innern sich gleichsam an ihre Herkunft –<br />
es bedarf viel Know-how, damit sie als<br />
Massenprodukt nicht hinter der Leistung<br />
der Labormuster zurückbleiben. 2005 war<br />
es endlich so weit, und die zweite Kat-<br />
Generation kam in einer Wesse linger<br />
Anlage zu ihrem ersten echten „Masseneinsatz“.<br />
„Seitdem hilft sie, die Ausbeute deutlich<br />
zu erhöhen“, sagt Weckbecker im Jargon<br />
des Chemikers. Soll heißen: Um eine<br />
bestimmte Menge des Zwischenproduktes<br />
Methyl mercaptan zu erzeugen, müssen<br />
weniger Rohstoffe verbraucht werden.<br />
Weniger Rohstoffe bedeutet zunächst einmal:<br />
weniger Kosten. Heißt aber auch: Es<br />
werden Ressourcen geschont und Energie<br />
gespart. Schließlich entstehen auch weniger<br />
Abfallprodukte, die abgetrennt und verbrannt<br />
werden müssen. Genaue Zahlen sind<br />
Betriebsgeheimnis, doch: „Bei Rohstoffen<br />
und beim Abfall geht es um Mengen von<br />
mehreren Hundert Tonnen pro Jahr“, so<br />
Weckbecker.<br />
DER KAT UND DAS<br />
HÜHNERFUTTER<br />
Angesichts dessen spielt es kaum eine<br />
Rolle, wie teuer der Kat selbst ist. „Aus<br />
unserer Sicht geht es nicht vorwiegend<br />
darum, möglichst kostengünstige Katalysatoren<br />
zu entwickeln, sondern solche, die<br />
ihre Aufgabe optimal verrichten – so ist<br />
die Wertschöpfung am größten“, erläutert<br />
Weckbecker.<br />
Letztlich profitiert die gesamte D,L-<br />
Methionin-Produktion vom verbesserten<br />
Methylmercaptan-Prozess. Mit Methionin<br />
Eine Handvoll Zukunft:<br />
oxidisches Trägermaterial<br />
zur Katalysatorfertigung,<br />
sogenannte Extrudate (links).<br />
Die <strong>Evonik</strong>-Forschungsleiter<br />
Dr. Baoshu Chen und<br />
Dr. Christoph Weckbecker<br />
im Gespräch, am Monitor die<br />
chemische Strukturformel<br />
des Katalyse-Abfallprodukts<br />
Glyzerin (rechts)<br />
lassen sich Nährstoffmängel insbesondere<br />
bei Geflügel ausgleichen. Tiere wachsen nur<br />
dann optimal, wenn die Bau steine für dieses<br />
Wachstum, die Aminosäuren, jeweils in den<br />
richtigen Mengen bereit stehen – ähnlich<br />
wie auf einer Baustelle, auf der die Arbeit<br />
nur dann zügig vorangehen kann, wenn es<br />
weder an Sand noch an Kalk, Zement, Kies,<br />
Ziegelsteinen oder Wasser fehlt. Im natürlichen<br />
Futter ist häufig der Baustoff Methionin<br />
relativ zu den anderen Aminosäuren in<br />
zu geringen Mengen vorhanden. Enthält das<br />
Futter zu wenig Methionin, können Hühner<br />
diese anderen Aminosäuren nicht vollständig<br />
verwerten und scheiden sie ungenutzt<br />
wieder aus.<br />
Das Institut für Ener gie - und Umweltforschung<br />
Heidelberg GmbH hat in einer<br />
Öko bilanz zwei Fütterungsmöglichkeiten<br />
miteinander verglichen: Weizen und methionin<br />
reicher Sojaschrot auf der einen Seite<br />
und die Zugabe von synthetischem Methionin<br />
zum Weizen auf der anderen Seite. Das<br />
Ergebnis spricht klar für das synthetische<br />
Methionin: Die Böden werden weniger<br />
überdüngt und übersäuert, der Energieverbrauch<br />
sinkt auf ein Sechstel.<br />
„Doch die Story um Katalysatoren für<br />
die D,L-Methionin-Produktion ist nur Teil<br />
einer noch größeren Geschichte“, sagt Karlheinz<br />
Drauz. Die Buchstaben D, L deuten das<br />
Fachleuten an, denn sie zeigen, dass es sich<br />
>
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong> KATALYSE<br />
PRODUZIEREN 33<br />
Katalysatoren erinnern sich an ihre Herkunft<br />
Optimierung im Labor: Zielgerichtete Versuchsreihen variieren die chemische Zusammensetzung der Kats, ihre Eigenschaften und Beschaffenheit
34 PRODUZIEREN<br />
KATALYSE EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
Katalysatoren erleichtern den Abschied vom Öl<br />
Erster Probelauf: Apparatur zum Testen von pulverförmigen Katalysatoren<br />
><br />
genau genommen um ein Gemisch zweier<br />
Methio nin-Formen handelt. Diese beiden<br />
Formen – die Enantiomere – unterscheiden<br />
sich in ihrem chemischen Aufbau ähnlich<br />
wie die linke Hand eines Menschen von<br />
der rechten. Die D- und die L-Form einer<br />
Sub stanz riechen oder schmecken manchmal<br />
sehr verschieden und haben oft eine<br />
andere biologische Wirkung. Geflügel<br />
kann beide Methionin-Enantiomere vollständig<br />
verwerten, der Mensch hingegen<br />
nur die L-Form. „L-Methionin ist ein wichtiger<br />
Bestandteil von Infusionslösungen, mit<br />
denen Kranke oder Verletzte ernährt werden“,<br />
erläutert Drauz. Das D,L-Gemisch<br />
wird für diesen Zweck nicht eingesetzt, da<br />
das enthaltene D-Enantiomer den Körper<br />
nur unnötig belasten würde. L-Methionin<br />
wird darüber hi naus als Baustein von Arzneistoffen<br />
von der Pharma industrie benötigt.<br />
KATALYSATOREN DER ZUKUNFT<br />
<strong>Evonik</strong> deckt diesen Bedarf mithilfe eines<br />
Verfahrens, in dessen Mittelpunkt wiederum<br />
ein Katalysator steht. Allerdings einer<br />
der besonderen Art: Hergestellt wird er<br />
nämlich nicht von Chen, Weckbecker oder<br />
einem anderen Chemiker, sondern von<br />
Mikroorganismen. Solche Katalysatoren<br />
heißen Biokatalysatoren oder Enzyme.<br />
Aber von vorn: Ausgangspunkt des Verfahrens<br />
ist ein Stoff namens D,L-Methionin-
Hydantoin, aus dem auch der Futtermittel -<br />
zusatz D,L-Methionin unmittelbar ge -<br />
wonnen wird. Als sich Wissenschaftler<br />
von <strong>Evonik</strong> an die Verfahrens entwicklung<br />
für L-Methionin machten, hatten sie<br />
bereits ein Enzym, das ihnen dieses D,L-<br />
Methionin-Hydantoin in eine Amino säure<br />
umwandelte – allerdings in die D-Form.<br />
„Mithilfe gentechnischer Methoden gelang<br />
es uns, Bakterien so umzupolen, dass sie<br />
statt des D-Enantiomeren die gewünschte<br />
L-Form lieferten“, so Drauz.<br />
Dazu isolierten die Wissenschaftler<br />
zunächst das Gen, das im natürlich vorkommenden<br />
Mikroorganismus für die Enzymherstellung<br />
verantwortlich ist. Anschließend<br />
vervielfältigten sie dieses Gen im<br />
Reagenzglas. Dabei fertigten sie allerdings<br />
keine 1:1-Kopien an, sondern bauten nach<br />
dem Zufallsprinzip jeweils gewollt Fehler<br />
ein. Diese „fehlerhaften“ – Fachsprache:<br />
mutierten – Gene schleusten sie wieder<br />
in Bakterien ein, die anschließend mutierte<br />
Abkömmlinge des natürlichen Enzyms<br />
produzierten. Nachfolgende Tests zeigten,<br />
dass darunter auch Enzyme waren, mit<br />
deren katalytischer Hilfe aus D,L-Methionin-Hydantoin<br />
die L-Aminosäure entsteht.<br />
Durch den Vergleich der künstlich<br />
erzeugten Enzyme mit dem natürlichen<br />
gewannen die Wissenschaftler wichtige<br />
Informationen, die sie nutzten, um das<br />
INFOGRAFIK: DR. DIETER DUNEKA<br />
Was ist ein Katalysator?<br />
Diffusion Diffusion<br />
Reaktion<br />
2 NO N 2 + O 2<br />
Adsorption Desorption<br />
Katalysator-Oberfl äche<br />
Ablauf einer katalytischen Reaktion<br />
zwischen Adsorption (Anreicherung)<br />
und Desorption<br />
entsprechende Gen weiter zu verändern –<br />
diesmal gezielter.<br />
„Die grundsätzliche Idee zu dem Produktionsverfahren<br />
hatten wir schon Anfang<br />
der 1990er-Jahre, aber damals waren die<br />
gentechnischen Methoden zu ihrer Umsetzung<br />
noch nicht so weit entwickelt wie heute“,<br />
erinnert sich Drauz. Und weiter: „Da<br />
muss man als Forscher schon an eine Idee<br />
glauben, wenn man rund zehn Jahre in sie<br />
investiert.“ Damit die Bakterien schließlich<br />
tatsächlich wie gewünscht in einem einzigen<br />
Schritt das reine L-Methionin herstellten,<br />
fügten die Wissenschaftler noch<br />
zwei weitere Gene in die Bakterienzelle<br />
ein, die verantwortlich für die Herstellung<br />
zweier weiterer Enzyme sind. 2002 war es<br />
dann so weit: <strong>Evonik</strong> produzierte erstmals<br />
in größeren Mengen L-Methionin auf diese<br />
biotechnologische Weise – bedeutend einfacher<br />
und kostengünstiger als durch herkömmliche<br />
Herstellverfahren.<br />
„Wir suchen stets nach dem besten Katalysator<br />
für einen Prozess. Ob es sich dabei<br />
um einen Biokatalysator, einen homogenen<br />
oder einen heterogenen Katalysator handelt,<br />
ist für uns zweitrangig“, sagt Drauz.<br />
Denn <strong>Evonik</strong> verfügt über das Know-how<br />
und die Technologien, um jede Art von Kat<br />
zu entwickeln und einzusetzen.<br />
Doch einen Unterschied gibt es: Während<br />
homogene und heterogene Kats auch<br />
Bei einer chemischen Reaktion werden in Molekülen Bindungen<br />
zwischen Atomen gebrochen und geknüpft, wobei sich neue<br />
Moleküle bilden. Katalysatoren sind Feststoffe, gelöste Feststoffe oder<br />
Flüssig keiten, die es den reagierenden Molekülen erleichtern,<br />
die alten Bindungen aufzugeben und neue Bindungen einzugehen. Sie<br />
sind damit so etwas wie „Heiratsvermittler“ – tatsächlich ist auch<br />
das chinesische Schriftzeichen für „Katalysator” vom Zeichen für das<br />
Wort „Heiratsvermittler“ abgeleitet. Ein Katalysator beeinflusst<br />
die Geschwindigkeit einer Reaktion, bleibt aber selbst unverändert.<br />
Den Produkten einer Reaktion lässt sich nicht anmerken, ob<br />
sie ohne oder mithilfe eines Katalysators hergestellt wurden.<br />
für andere Unternehmen entwickelt und<br />
produziert werden, gibt <strong>Evonik</strong> Biokatalysatoren<br />
nur in Ausnahmefällen an Kunden<br />
ab. „Ganzzellkatalysatoren müssen<br />
stets frisch hergestellt werden. Sobald sie<br />
aber den genetisch veränderten Mikroorganismus,<br />
der das entsprechende Enzym<br />
liefert, einmal aus der Hand geben, kann<br />
jeder andere Fachmann die Gene des Mikroorganismus<br />
vervielfältigen – und muss den<br />
Biokatalysator dann nicht mehr einkaufen“,<br />
begründet Drauz die Zurückhaltung.<br />
Dass die Katalyseforscher einmal<br />
darunter leiden, dass sie gleichsam die<br />
Schilder für alle Routen aufgestellt haben,<br />
ist nicht zu befürchten. Nicht nur, weil es<br />
stets Bedarf an neuen chemischen Erzeugnissen<br />
gibt, für deren Produktion es der<br />
Hilfe von Katalysatoren bedarf. Sondern<br />
auch, weil die bestehenden Erzeugnisse<br />
zunehmend nicht mehr aus Erdöl stammen<br />
werden. Denn Öl wird immer teurer und<br />
knapper. Daher werden nachwachsende<br />
Rohstoffe bedeutsamer, die zudem klimaneutral<br />
sind. „Diese Umstellung vom Öl auf<br />
andere Rohstoffquellen ist eine gewaltige<br />
Herausforderung, die ohne neue und raffinierte<br />
Katalysatoren nicht bewältigt werden<br />
kann“, ist Chen überzeugt. Angesichts<br />
solcher Aufgaben scheint es fraglich, ob er<br />
künftig noch Zeit für das Wandern in den<br />
Bergen haben wird. <<br />
35
36 VERSORGEN<br />
GASBÖRSE EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
TEXT CONSTANZE SANDERS<br />
NACHVOLLZIEHBARE PREISE und<br />
mehr Angebote von verschiedenen An -<br />
bietern – das wünschen sich Verbraucher,<br />
aber auch viele Gasversorger. Die einen<br />
wollen Wettbewerb, damit der Gaspreis am<br />
heimischen Herd endlich sinkt, die anderen,<br />
damit sie ihre flüchtige Ware konkurrenzfähig<br />
zum Kunden bringen können. Wettbewerb<br />
ist längst Gesetz, jeder private Verbraucher<br />
kann Strom und Gas kaufen, wo<br />
er will.<br />
Das deutsche Erdgasnetz gehört jedoch<br />
741 unterschiedlichen Betreibern, die Marktgebiete<br />
sind zwar verknüpft, aber nicht frei<br />
zugänglich. Es resultieren „Verhinderungen<br />
und Verzögerungen der Netzbetreiber“,<br />
kritisiert Manfred Panitz, Geschäftsführer<br />
vom Bundesverband der Energie-Abnehmer<br />
(VEA), Hannover. Hohe Preise sind die<br />
Folge. Die Koppelung von Gas- und Ölpreis<br />
sowie langfristige Verträge zwischen Gaskonzernen<br />
und Versorgern bestärken diesen<br />
Trend. Alles zusammen führt zu großen<br />
regionalen Differenzen: Ein Musterhaushalt<br />
in Wismar, Mecklenburg-Vorpommern,<br />
etwa, zahlt rund 600 € mehr pro Jahr als<br />
einer im niedersächsischen Stade. Seit knapp<br />
einem Jahr bietet die European Energy<br />
Exchange (EEX) in Leipzig einen offenen<br />
Handelsplatz als elektronische Börse für den<br />
Gashandel. „Eine liquide Gasbörse ermöglicht<br />
den Unternehmen eine größere Wahlfreiheit<br />
und Preistransparenz“, sagt Rosemarie<br />
Folle vom Verband kommunaler<br />
Unternehmen e.V. (vku) in Berlin. Anbieter<br />
und Kunden aus bisher zwei von insgesamt<br />
acht Marktgebieten (ab Oktober <strong>2008</strong>)<br />
finden hier zusammen. Im Gegensatz zu<br />
bilateral ausgehandelten Verträgen ist die<br />
Preisbildung nachvollziehbar, langfristig<br />
bildet sich ein Referenzpreis. Damit auch die<br />
Durchleitung klappt, sei ein Marktgebiet für<br />
Freies Spiel für Energie<br />
H-Gas, mit hohem, und eins für L-Gas, mit<br />
niedrigerem Heizwert, anzustreben, meint<br />
Dr. Christof Bauer, Energiechef bei der<br />
<strong>Evonik</strong> Degussa GmbH.<br />
GASBÖRSE MIT ZUKUNFT<br />
Als einer der Ersten haben sich die Stadtwerke<br />
Bietigheim-Bissingen aus alten Verträgen<br />
befreit und kaufen für ihre rund<br />
25.000 Kunden Gas in Leipzig. Sie profitieren<br />
davon, dass der Zwischenhändler entfällt<br />
und flexible Mengen für einen bestimmten<br />
Zeitraum zu einem Festpreis erhältlich<br />
sind. Trotz erhöhter Tarife bleibt der Preis<br />
aber zumindest bis Ende des Jahres stabil.<br />
Weiterer Vorteil: Überkapazitäten können<br />
die Stadtwerke selbst an der EEX verkaufen.<br />
Leitbörsen in Europa sind bislang die<br />
IntercontinentalExchange (ICE) in London<br />
(Großbritannien) mit ihrem volumenstarken<br />
Gasmarkt und nur einem Netzbetreiber, und<br />
die Amsterdamer European Energy Deriva-<br />
Ein Jahr Gasbörse. Auf dem Weg zu Wettbewerb und europäischer Kooperation im Erdgashandel
tives Exchange (ENDEX) für Termin-<br />
Geschäfte sowie die APX-Group für Spot-<br />
Geschäfte in den Niederlanden.<br />
Im belgischen Zeebrugge, wo das größte<br />
europäische Empfangsterminal für verflüssigtes<br />
Erdgas arbeitet, sitzt der mächtige virtuelle<br />
Handelspunkt Hub für Erdgas-Distribution<br />
zwischen Großbritannien und dem<br />
Festland. Ende Juni startete auch die russische<br />
Gazprom eine eigene Gasbörse.<br />
„Wir verfolgen die Entwicklung in Sankt<br />
Petersburg interessiert“, sagt EEX-Chef Dr.<br />
Hans-Bernd Menzel. Er strebt nach Markttransparenz<br />
für ganz Europa und kooperiert<br />
ab Herbst mit der Pariser Energiebörse Powernext<br />
in Frankreich – zunächst mit Strom, aber<br />
„sie wird für uns ein Partner in vielen Bereichen“.<br />
Mithilfe von Gaz de France will Powernext<br />
auch eine Gasbörse gründen. Das Clearing,<br />
die Abrechnung der Gasprodukte, „wird<br />
durch unsere Tochtergesellschaft European<br />
Commodity Clearing erfolgen“, so Menzel. <<br />
FOTO: ARCHIV WEISHAUPT<br />
Wie funktioniert der Erdgashandel an der EEX?<br />
Acht Fragen an Dr. Hans-Bernd Menzel, Vorstandsvorsitzender<br />
der Leipziger European Energy Exchange<br />
EVONIK-MAGAZIN Warum brauchte Deutschland<br />
eine Gasbörse?<br />
MENZEL Die Marschrichtung der EU ist klar:<br />
Wettbewerb in Energiemärkten, wo immer<br />
Wettbewerb möglich ist. Die EEX steht für<br />
erfolgreichen Wettbewerb im Handel mit Strom,<br />
aber auch CO2-Emissionsrechten und Kohle –<br />
und seit Juli 2007 auch Erdgas.<br />
EVONIK-MAGAZIN Wer bietet an der Gas börse<br />
Erdgas an, wer kauft es?<br />
MENZEL Das Teilnehmerspektrum an der EEX<br />
ist breit gestreut. Zu den Handelsteilnehmern<br />
von Gas gehören Händler, Importeure und Produzenten,<br />
aber auch Verbraucher, die über Freimengen<br />
verfügen. Auch größere Stadtwerke<br />
und mittelfristig große Industriebetriebe kaufen<br />
und verkaufen an der Gasbörse. Sogenannte<br />
Market-Maker fördern mit verbindlichen Kaufund<br />
Verkaufsaufträgen (Quotes) den Gas handel<br />
und sorgen für Liquidität.<br />
EVONIK-MAGAZIN Welche Vorteile bringt die<br />
Gasbörse?<br />
MENZEL Der Großhandelspreis für Gas wird<br />
transparenter und für alle gleich sein. Ein Prinzip<br />
des Börsenhandels ist Anonymität und daraus<br />
folgend Gleichbehandlung: Kleinere Handelsteilnehmer<br />
werden nicht schlechter als große<br />
behandelt. Darüber hinaus bietet unser Terminmarkt<br />
für Erdgas ein Sicherungsinstrument<br />
gegen Preisschwankungen. Gemeinsam mit den<br />
Gasnetzbetreibern stellen wir darüber hinaus<br />
die physische Lieferung der Ware sicher.<br />
EVONIK-MAGAZIN So weit die Theorie, in der<br />
Praxis steigen jedoch die Gaspreise weiter.<br />
MENZEL Börsenhandel bedeutet auch nicht,<br />
dass die Preise dann sinken müssen. Das Gleiche<br />
haben wir auch damals im Strommarkt gesehen.<br />
Die Preise an der Börse entstehen allein<br />
aufgrund von Angebot und Nachfrage. Die<br />
EEX macht also transparent, wie dieses Gleichgewicht<br />
zu bewerten ist.<br />
EVONIK-MAGAZIN Was heißt Spot-, was heißt<br />
Terminhandel bei einer Gasbörse?<br />
MENZEL Spothandel ist der Handel mit Produkten,<br />
die höchstens zwei Tage gehandelt<br />
werden dürfen. Terminhandel läuft mit Produkten,<br />
die mehr als zwei Tage bis zu mehreren<br />
Jahren hin gehandelt werden können. An der<br />
FOTO: BOELKOW/VARIO PRESS<br />
EEX können Gasfutures bis zu sechs Jahre in die<br />
Zukunft gehandelt werden.<br />
EVONIK-MAGAZIN Wie kommt das Gas zu dem<br />
Marktteilnehmer, der eine bestimmte Menge<br />
gekauft hat?<br />
MENZEL Die EEX arbeitet derzeit mit zwei<br />
Gasnetzgesellschaften zusammen und hat im<br />
Marktgebiet der E.on GT und der BEB einen<br />
sogenannten Handelspunkt errichtet. Diese<br />
Gasnetzgesellschaften transportieren das Gas,<br />
gegebenenfalls noch über andere regionale oder<br />
lokale Gasnetzgesellschaften, zum Empfänger.<br />
EVONIK-MAGAZIN Der Gashandel wurde<br />
stufenweise eingeführt, zunächst nur in zwei<br />
Marktgebieten. Warum? Und wie wird es weitergehen?<br />
MENZEL Die Marktgebiete, in denen die EEX<br />
den Handel anbietet, repräsentieren etwa 60<br />
Prozent des deutschen H-Gas-Marktes. Es wird<br />
vermutlich weitere Gebiete geben, die einbezogen<br />
werden. Hier sind die Kooperationswilligkeit<br />
der Betreiber und die Unterstützung<br />
durch die Bundesnetzagentur gefragt. Zum jetzigen<br />
Zeitpunkt ist es wichtig, den Gashandel<br />
an der EEX weiter auszubauen und zu stärken<br />
und damit die Grundlage für einen verlässlichen<br />
Preisindex zu schaffen.<br />
EVONIK-MAGAZIN Wie wollen Sie für Transparenz<br />
im börslichen Gashandel sorgen?<br />
MENZEL Wir halten uns an die von der Börsenaufsicht<br />
vorgegebenen Standards und ergänzen<br />
das durch weitere Veröffentlichungen, die auf<br />
den Transparenzanforderungen der Gasnetzverordnung<br />
wie auch den europäischen Regulierungsbehörden<br />
ERGEG/CEER* basieren.<br />
DR. HANS-BERND MENZEL<br />
(53) ist seit Ende 2002<br />
Vorstands vorsitzender der<br />
European Energy Exchange<br />
AG (EEX), Leipzig, und<br />
ver antwortlich für die erste<br />
deutsche Gasbörse. Menzel arbeitete<br />
zuvor als Unternehmensberater und bringt<br />
Erfahrungen im Risikomanagement<br />
von Finanz- und Rohstoffpreisen mit.<br />
*ERGEG, European Regulators’ Group for Electricity and Gas: Beratungsausschuss bei der Europäischen Kommission;<br />
CEER, Council of European Energy Regulators: Rat der nationalen Regulierungsbehörden. Beide mit jeweils 27 EU-Mitgliedern,<br />
für Deutschland die Bundesnetzagentur.<br />
37
38 ENTWICKELN<br />
PERSONAL-RECRUITING EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
Offen für Querdenker<br />
Die Personalimagekampagne von <strong>Evonik</strong> „Gesucht: Querdenker und andere<br />
Talente“ strahlt nach außen, wirkt aber auch in den Konzern hinein<br />
TEXT SABINE KWAPIK<br />
FOTOS INGO RAPPERS<br />
IM ANTIKEN DELPHI war am Tempel<br />
des Apoll ein kurzer und markanter Spruch<br />
zu lesen: „Gnothi seautón – erkenne dich<br />
selbst!“<br />
Schon sind wir mitten im Thema:<br />
Philosophie, und zwar jene Philosophie,<br />
die hinter der „Querdenker-Kampagne“<br />
der <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG steht.<br />
Großzügiger Raum, Luft und viel Licht,<br />
Kunst im Foyer mit Blick auf einen asiatisch<br />
anmutenden Garten. Wer die Zentrale von<br />
<strong>Evonik</strong> betritt, wird erst nicht vermuten,<br />
dass dort das Jahrtausende alte Gedankengut<br />
aktueller ist denn je. So stellt sich der Besucher<br />
zwar nicht Delphi vor, aber dennoch:<br />
Hier trifft die Antike auf die Moderne. „Uns<br />
geht es nicht nur um höher, schneller, weiter“,<br />
sagt Alfred Lukasczyk, Mitarbeiter der Abteilung<br />
Personal Corporate Center & Personalmarketing<br />
von <strong>Evonik</strong> und verantwortlich für<br />
die „Querdenker“-Kampagne des Unternehmens.<br />
Das ist eine Aussage, bei der manch<br />
anderem Personaler in gro ßen Konzernen<br />
wahrscheinlich die Luft wegbliebe.<br />
Doch das beirrt Alfred Lukasczyk nicht,<br />
trifft doch genau die Aussage aus Delphi<br />
den Kern der Personal-Imagekampagne<br />
„Ge sucht: Querdenker und andere Talente“.<br />
Sie ist auf rund drei Jahre angelegt und steht<br />
im Zentrum des neuen Auftritts von <strong>Evonik</strong><br />
als Arbeitgeber.<br />
Dabei gilt es gerade nicht, mit spitzem<br />
Stift Bestnoten und Höchstleistungen der<br />
Bewerber abzuhaken. „Wir suchen die Leistung.<br />
Aber wir sind auch daran interessiert:<br />
Um was für einen Menschen handelt es<br />
sich? Wo hat er sich sonst noch engagiert,<br />
was hat er erlebt, was bewegt ihn?“, sagt<br />
Lukasczyk. Vereinszugehörigkeit, Hobbys<br />
oder eine Arbeit in karitativen Institutionen<br />
– das alles gehört für den Personaler<br />
zum Gesamtbild. Und genau daraus ergibt<br />
sich das Potenzial: zum Querdenken und<br />
letztlich dann auch zum Querhandeln.<br />
„Nur wer sich von festen Denk strukturen<br />
löst, kommt auf neue Lösungen“, ist das Credo<br />
des Kampagnen-Betreuers. „Das Querdenken<br />
stellt eine spezifische Aus prägung<br />
von Kreativität dar, eine ganz wesentliche<br />
Kern kompetenz von <strong>Evonik</strong>. Und dabei<br />
sind wir offen für Andersartigkeit.“ Die<br />
Kam pagne umfasst die genaue An sprache<br />
der Ziel gruppen in den jeweiligen Fachrichtungen,<br />
gesplittet nach Alter, Berufserfahrung<br />
und Region. Nicht zuletzt vermittelt<br />
die freche, frische und leicht provokante<br />
Ver packung eine aussagekräftige Botschaft.<br />
Rund 100 Hochschulabsolventen stellt das<br />
Unter nehmen mit den Kernbereichen Chemie,<br />
Energie und Immobilen jedes Jahr allein<br />
in Deutschland ein. Kern dieses Recruiting-<br />
Konzepts für Lukasczyk: „Es geht um eine<br />
integrative Zielrichtung und um eine eindeutige<br />
strategische Ausrichtung. Denn eines<br />
unserer zentralen Ziel- und Handlungs felder<br />
der Personal strategie ist die Förderung der<br />
Attraktivität als Arbeit geber. Die Kultivierung<br />
von Quer denken etwa im Sinne einer<br />
interdisziplinären und innovativen Handlungsweise<br />
stellt ein erhebliches Attraktionspotenzial<br />
dar.“<br />
WER IST DER BESTE<br />
ARBEITGEBER?<br />
Genau darauf müssen viele Unternehmen<br />
verstärkt achten. Prognostizieren doch etliche<br />
Studien: In den kommenden Jahren wird<br />
in Deutschland ein Wettlauf um qualifizierten<br />
Nachwuchs entbrennen. Hintergrund dafür<br />
ist die demografische Entwicklung und auch<br />
die Abwanderung von Spitzenkräften ins<br />
Ausland. Dazu kommt, dass jeder zweite<br />
Young Professional in Deutschland in den<br />
kommenden zwei Jahren die Firma wechseln<br />
will, wie Studien ergaben. Und so konkurrieren<br />
viele Unternehmen um das rare „Gut“<br />
künftiger Führungskräfte, veranstalten<br />
Workshops, sind präsent bei Absolventenmessen<br />
und arbeiten daran, bei den Rankings<br />
über beste Arbeitgeber in Deutschland einen<br />
vorderen Platz zu erlangen.<br />
Doch das steht für Lukasczyk nicht im<br />
Zentrum seiner Bemühungen. Auf die Frage, >
ADRIANA FIJAK<br />
Alter: 24 Jahre<br />
Studium:<br />
• Studium der Psychologie an der<br />
Westfälischen Wilhelms-Universität<br />
Münster, Schwerpunkt Arbeitsund<br />
Organisationspsychologie sowie<br />
Gerontopsychologie<br />
Praktika:<br />
• studienbegleitendes Forschungspraktikum<br />
im Bereich der Werbewirkung<br />
• Beratungsstelle für Eltern, Kinder<br />
und Jugendliche im Kreis Mettmann<br />
• ehrenamtliche Betreuungstätigkeit<br />
im Behindertenheim Matthias-<br />
Claudius-Heim<br />
• Projektassistentin bei MSM Germany:<br />
Rekrutierung von „Mystery Shoppern“<br />
und Analyse der Fragebögen<br />
Hobbys:<br />
• Musik hören, tanzen, joggen, Design<br />
und zeichnen, modeln<br />
39
40 ENTWICKELN<br />
PERSONAL-RECRUITING EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
><br />
FOTO OBEN RECHTS: EVONIK INDUSTRIES<br />
ob er diese regelmäßigen Erhebungen stets<br />
im Blick habe, kommt ein überzeugtes „Jein!“.<br />
Zwar zeige <strong>Evonik</strong> auch auf solchen Messen<br />
Flagge, wie auf der größten Job messe<br />
Deutschlands, dem Hobsons Absolventenkongress<br />
in Köln. Das Vorgehen bei der Suche<br />
nach den richtigen neuen Mitarbeitern ist bei<br />
<strong>Evonik</strong> mehr als das Einsammeln der besten<br />
Zeugnisse. „Der Dialog mit den Aspiranten<br />
ist Grundlage einer gemeinsamen Entscheidung<br />
für eine zukünftige Zusammen arbeit“,<br />
sagt Lukasczyk. Grundlage sei ein Konzept<br />
der Partnerschaft – etwa durch das Praktikanten-Programm<br />
Perspectives. „Die Zeit<br />
der einseitigen Entscheidungen ist vorbei.<br />
Basis eines Erfolges ist Authenti zität. Auch<br />
aufseiten des Unternehmens. Versprich<br />
nichts, was du nicht halten kannst. Und wir<br />
wollen so attraktiv sein, dass die Mitarbeiter<br />
gar nicht wegwollen.“<br />
Hellwache braune Augen, ein offenes<br />
Lächeln und Begeisterung. Das fällt auf , wenn<br />
Adriana Fijak von ihrer derzeitigen Beschäftigung<br />
spricht. Man merkt: Die 24-Jährige<br />
fühlt sich pudelwohl. Seit mehreren Wochen<br />
schnuppert die Studentin der Arbeits- und<br />
Organisationspsychologie als Praktikantin in<br />
die Konzernzentrale hinein. „Ich wollte wissen,<br />
was sich hinter dieser Marke verbirgt“,<br />
beschreibt Fijak. Sie scheint viele Kriterien<br />
der „Querdenker“-Philosophie zu erfüllen:<br />
Die Studentin arbeitete in einer Beratungs-<br />
stelle für Eltern, Kinder und Jugendliche und<br />
war ehrenamtliche Betreuerin in einem<br />
Behindertenheim – neben dem Studium. Für<br />
drei Monate ist sie jetzt in Essen, danach geht<br />
es zurück in den Hörsaal.<br />
UNGEWÖHNLICHE WEGE<br />
„Leider ist es bisweilen ja so, dass gut ausgebildete<br />
junge Menschen von einem Praktikum<br />
zum nächsten hingehalten werden. Wir<br />
wollen die Interessenten nicht ausnutzen“,<br />
sagt Lukasczyk. Dass es <strong>Evonik</strong> damit ernst<br />
ist, verdeutlicht auch die Botschaft auf der<br />
<strong>Evonik</strong>-Homepage für interessierte Studenten.<br />
Sie lautet: „Auch bei uns können Sie<br />
Kaffee kochen. Aber nur, wenn wir gerade<br />
dafür ein neues Verfahren entwickeln.“<br />
Adriana Fijak ist bei <strong>Evonik</strong> weit entfernt von<br />
einem Dasein als „Kopier-Maus“. „Ich fühle<br />
mich wirklich integriert und weiß, dass ich<br />
auf jeden zugehen kann“, sagt die junge Frau<br />
mit einer Leidenschaft für Musik.<br />
Dr. Julia Frey, 32, ist promovierte Chemikerin.<br />
Sie fing nach dem Studium in Köln und<br />
der anschließenden Doktorarbeit als Laborleiterin<br />
in der Forschung bei der <strong>Evonik</strong> Goldschmidt<br />
GmbH in Essen an. Ihre Entscheidung<br />
für <strong>Evonik</strong> als Arbeitgeber könne sie nicht an<br />
einfachen Fakten festmachen. „Es war ein<br />
Bauchgefühl, weil alles und alle irgendwie<br />
zusammenpassten. Und dieser Konzern ist<br />
modern. Es ist gelebte Geschichte und gleich-<br />
Links: Alfred Lukasczyk,<br />
Zentral bereich Personal strategie,<br />
-politik und Mitbestimmung“,<br />
im Gespräch. Rechts: <strong>Evonik</strong>-Stand<br />
auf dem Absolventenkongress in<br />
Köln – mehr tun als nur die besten<br />
Zeugnisse sammeln<br />
„ Auch bei uns können Sie Kaffee kochen. Aber nur,<br />
wenn wir ein neues Verfahren dafür entwickeln“<br />
zeitig ein Aufbruch hin zu etwas Neuem, das<br />
macht <strong>Evonik</strong> aus“, sagt die gebürtige Schwäbin<br />
mit einem herzlichen Auflachen. Sie ist<br />
seit einem Dreivierteljahr im Unternehmen<br />
und hat den Neustart im vergangenen Jahr<br />
und die Veränderungen live miterlebt.<br />
Genau diese Veränderungen sollen<br />
ebenfalls mit der „Querdenker“- Kampagne<br />
unterstützt werden. Sie richtet sich nicht nur<br />
nach außen, wie Ulrich Bormann, Zentralbereichsleiter<br />
Personalstrategie, -politik<br />
und Mit bestimmung, erklärt. „Bevorzugter<br />
Arbeitgeber für Bewerber, aber auch für die<br />
leistungsstarken eigenen Mitarbeiter und<br />
Mitarbeiterinnen zu sein ermöglicht es uns,<br />
den demografischen Wandel und die Herausforderung<br />
des Arbeitsmarktes zu meistern.“<br />
Die jetzigen Mitarbeiter und Führungskräfte<br />
sollen möglichst oft mit dem Thema „Querdenken“<br />
in Berührung kommen, mit Fragen konfrontiert<br />
werden, die sie nicht gewohnt sind,<br />
wie Lukasczyk beschreibt. „Die Suche nach<br />
Querdenkern und die Entdeckung verborgener<br />
Talente ist die Einladung, ungewöhnliche<br />
und kreative Wege zu gehen. Und ein<br />
Appell an jetzige Führungskräfte: Macht euch<br />
bereit für die Querdenker, die da kommen.“<br />
Adriana Fijak ist guter Dinge für die kommenden<br />
Wochen. Ob sie nach dem Studium<br />
hier eine Festanstellung antritt, ist noch<br />
offen. Dann würde sie zu den „Querdenkern“<br />
des <strong>Evonik</strong>-Konzerns gehören.
DR. JULIA FREY<br />
Alter: 32 Jahre<br />
Beruf und Studium:<br />
• Laborleitung Forschung bei der<br />
<strong>Evonik</strong> Goldschmidt GmbH, Essen<br />
• Dissertation bei Prof. Dr.<br />
Albrecht Berkessel, Köln<br />
• Studium der Chemie in Heidelberg<br />
und Köln<br />
• Ausbildung zur chemischtechnischen<br />
Assistentin, Stuttgart<br />
• Wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
am Lehrstuhl für Organische Chemie,<br />
Universität Köln<br />
• Werkstudentin bei der Bayer AG,<br />
Leverkusen<br />
• Studentische Hilfskraft bei<br />
Prof. Dr. Albrecht Berkessel, Köln<br />
• Chemisch-technische Assistentin,<br />
Leinfelden-Echterdingen<br />
• Praktikum bei Arbico Organics,<br />
Tucson, Arizona, USA, biologische<br />
Schädlingsbekämpfung<br />
Engagement:<br />
• Organisation des Stipendiaten-<br />
Treffens für Liebig-, Kekulé- und<br />
Fonds-Stipendiaten des Fonds der<br />
Chemischen Industrie (FCI) in Köln<br />
• Betreuung hochbegabter Schüler:<br />
„Schüler an der Universität“<br />
• Organisation und Durchführung<br />
des „Gründerkometen“<br />
an der Universität Köln<br />
• Mitglied der Biotechnologischen<br />
Studenteninitiative (btS), Vorstand<br />
der Geschäftsstelle in Heidelberg<br />
und Köln 2000<br />
Hobbys:<br />
• Freunde treffen, lesen, laufen,<br />
Yoga, Ski fahren<br />
41
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
42 ANWENDEN<br />
ENERGIE-EFFIZIENZ EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
TEXT KLAUS JOPP<br />
BENZIN- UND DIESELPREISE machen<br />
es an jeder Tankstelle unmissverständlich<br />
klar, die häuslichen Strom- und Gasrechnungen<br />
und auch die Weltmarktpreise für<br />
Kohle sprechen eine deutliche Sprache:<br />
Energie wird immer teurer. Und das Ende<br />
der Preisspirale ist noch nicht einmal in<br />
Sicht. Nach Prognosen des Deutschen<br />
Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in<br />
Berlin wächst die weltweite Ölnachfrage<br />
weiter rasant, das globale Ölangebot hinkt<br />
hoffnungslos hinterher. Die Leiterin der<br />
Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt<br />
Prof. Dr. Claudia Kemfert bestätigt: „Öl ist<br />
zwar derzeit noch nicht knapp, wird es aber<br />
werden – aufgrund der rasant steigenden<br />
Nachfrage in den Schwellenländern.“ Zudem<br />
treiben Spekulanten rund um den Globus<br />
die Energie- und Rohstoffpreise weiter in<br />
die Höhe. Mit anderen Worten: Die Preisspirale<br />
wird sich auf lange Sicht eindeutig<br />
eher nach oben als nach unten bewegen. Das<br />
gilt für sämtliche Energieträger, denn immer<br />
mehr Menschen auf unserem Planeten<br />
wollen heizen und kochen, fernsehen und<br />
Auto fahren.<br />
Einen Ausweg aus dem Dilemma bietet<br />
die intelligente, bessere Nutzung der Energie.<br />
Eine weltweite optimierte Energie -<br />
Effizienz könnte der Königsweg zu niedrigerem<br />
Verbrauch und damit zu mehr<br />
Klimaschutz sein und obendrein für mehr<br />
Königsweg Energie-Effi zienz<br />
Mexiko-Stadt, frühmorgens:<br />
Die dichte Smog-Schicht<br />
lässt die Stadt nicht aufwachen
Preisstabilität bei Energie und Rohstoffen<br />
sorgen. Das Gute an dem Weg der rationaleren<br />
Energienutzung ist, dass viele Technologien<br />
fertig entwickelt sind, vielfach<br />
fehlt nur noch der Wille, sie auch konsequent<br />
einzusetzen.<br />
Vor Kurzem hat der Verband der Elektrotechnik<br />
Elektronik Informationstechnik<br />
(VDE) in einer Studie die großen Potenziale<br />
der Kraft-Wärme-Kopplung vorgerechnet,<br />
die bis zu 30 Prozent Primärenergie einsparen<br />
könnte. Bei einer Erhöhung der Wirkungsgrade<br />
von Kleinmotoren von derzeit<br />
nur 40 bis 75 Prozent auf mögliche 85 Prozent<br />
in den rund 100 Millionen deutschen<br />
Haushaltsgeräten rechnet der VDE mit<br />
Einsparungen von 8,2 Terawattstunden<br />
(TWh) pro Jahr. Das entspricht immerhin<br />
gut 1,6 Prozent des gesamten Stromverbrauchs.<br />
Die größten Potenziale stecken<br />
jedoch in der Optimierung von Gesamtanlagen.<br />
Hier sind bis zu 40 Prozent Einsparungen<br />
machbar. „Zur Realisierung all<br />
dieser Möglichkeiten benötigten wir einen<br />
beschleunigten und radikalen Technologiewechsel“,<br />
erklärt VDE-Energieexperte<br />
Prof. Dr. Wolfgang Schröppel.<br />
Der Industriekonzern <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong><br />
AG hat sich bereits frühzeitig in diesem<br />
Bereich positioniert: „Mit technologischen<br />
Spitzenprodukten wird das Unternehmen<br />
einen Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung<br />
bei gleichzeitiger Schonung<br />
von Umwelt und Klima leisten. Dazu stellen<br />
wir allein von <strong>2008</strong> bis einschließlich 2010<br />
bis zu 2 Milliarden € bereit“, so Dr. Werner<br />
Müller, Vorstandsvorsitzender von <strong>Evonik</strong>.<br />
Der Konzern ist in Chemie, Immobilien und<br />
Energie aktiv – und in all diesen Bereichen<br />
sind energieeffiziente Lösungen von gro ßer<br />
Bedeutung. Das gilt einerseits nach innen,<br />
also für den eigenen Energiebedarf, aber<br />
ebenso nach außen für Kundenleistungen.<br />
„In diesem Sinne erbringen wir Innova -<br />
tio nen in allen klima relevanten Sektoren,<br />
also bei Energiebereitstellung, -speicherung<br />
und -nutzung“, sagt Dr. Stefan Nordhoff,<br />
Senior Manager Energy Efficiency von<br />
Creavis Technologies & Innovation, der<br />
geschäftsbereichsübergreifenden Forschungseinheit<br />
von <strong>Evonik</strong>. ><br />
Weniger Verbrauch, niedrigere Kosten und ganz viel Klimaschutz – der rationalere Umgang mit Öl,<br />
Gas, Kohle, Erdwärme und Sonne kann viele Probleme auf einmal lösen<br />
43
44 ANWENDEN ENERGIE-EFFIZIENZ EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
Klimaschutz durch neu gebaute Kraftwerke<br />
Bau des Vorzeige-Kraftwerks Walsum 10: Energie für morgen<br />
FOTO: RALF MELS<br />
><br />
Bis zum Jahr 2030 rechnet die Internationale<br />
Energie-Agentur (IEA, Paris, Frank reich)<br />
mit einem Anstieg der Nachfrage nach<br />
Primär energie von etwa 50 Prozent. Fachleute<br />
sind sich einig, dass diese Entwicklung<br />
ohne fossile Energieträger nicht zu bewältigen<br />
ist. Gemäß dem World Energy Outlook<br />
2007 (Referenzszenario) wird der Kohleeinsatz<br />
von 1.954 Millionen Tonnen Öläquivalente<br />
(Mtoe) in 2005 bis 2030 auf 3.456<br />
Mtoe ansteigen, der Gas verbrauch im selben<br />
Zeitraum von 909 Mtoe auf 1.737 Mtoe<br />
zunehmen. Umso wichtiger ist es, dass die<br />
Strom-Erzeugung aus fossilen Quellen mit<br />
der höchstmöglichen Effi zienz geschieht.<br />
Hierfür setzt <strong>Evonik</strong> mit seinem neuen<br />
Kraftwerksblock Walsum 10 in Duisburg<br />
Maßstäbe. Der neue Block wird in Sachen<br />
Effizienz eine neue Bestmarke erreichen,<br />
der Wirkungsgrad von über 45 Prozent<br />
liegt etwa fünf Prozent höher als in anderen,<br />
neueren Steinkohlekraftwerken in<br />
Deutschland.<br />
Seit der Grundsteinlegung im November<br />
2006 wächst das Kraftwerk Walsum<br />
kontinuierlich, die Inbetriebnahme ist für<br />
2010 geplant. Um den hohen Wirkungsgrad<br />
zu realisieren, müssen die Dampfparameter<br />
weiter angehoben werden: Der<br />
Frischdampf steht unter 285 Bar Druck<br />
mit einer Temperatur von 600 °C (Celsius).<br />
In Planung sind inzwischen sogar
FOTOS: EVONIK INDUSTRIES (2)<br />
Biomassekraftwerk Lünen, seit Juni 2006 am Netz: Pro Jahr werden 135.000 Tonnen Altholz (links) verwertet und dabei<br />
150 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt, genug für 39.000 Haushalte<br />
Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad von<br />
über 50 Prozent, auch hieran ist <strong>Evonik</strong><br />
wesentlich betei ligt. Die Testanlage mit<br />
dem Namen COMTES700 (Component<br />
Test Facility for a 700 °C Power Plant) leistet<br />
dazu einen wichtigen Beitrag, mit ihr<br />
soll die Anhebung der Dampf parameter auf<br />
etwa 700 °C und 350 Bar durch den Einsatz<br />
von Werkstoffen auf Nickel-Basis möglich<br />
werden.<br />
DIE NUTZUNG VON ALTHOLZ<br />
Der Einbau von COMTES700 in den Block<br />
F des Kohlekraftwerks Gelsenkirchen-<br />
Scholven der E.on AG ist bereits erfolgt.<br />
Einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz<br />
leistet <strong>Evonik</strong> auch als Spezialist<br />
für erneuer bare Energien wie Biomasse,<br />
Gruben gas und Geothermie. Das im Grubengas<br />
enthaltene Methan trägt mit einem<br />
„global warming potential“ von 21, das<br />
entspricht dem 21-fachen Treibhauspotenzial<br />
von Kohlen dioxid, zur Verstärkung des<br />
Treibhaus effektes bei. <strong>Evonik</strong> nutzt diesen<br />
Energieträger in mehr als 100 Anlagen<br />
an Ruhr und Saar, um jährlich rund 1.230<br />
Gigawatt stunden (GWh) Strom und 366<br />
GWh Wärme zu erzeugen. Am Standort<br />
Fenne im Saarland befindet sich eine der<br />
größten Grubengas-Motoren anlagen der<br />
Welt mit einer Leistung von je 42 Megawatt<br />
(MW) thermisch und elektrisch. Ins-<br />
gesamt werden pro Jahr rund 345 Millionen<br />
Norm kubikmeter Grubengas verwertet<br />
und damit rund 4,6 Millionen Tonnen CO 2<br />
pro Jahr vermieden. <strong>Evonik</strong> vermarket sein<br />
Grubengas-Know-how auch in Russland,<br />
China, Polen und der Ukraine.<br />
Ende Juni 2007 begannen zudem die<br />
Arbeiten für ein Gichtgaskraftwerk auf<br />
dem Gelände der Dillinger Hütte, das überschüssiges<br />
Hochofengas nutzt und umweltfreundlich<br />
in Strom und Wärme verwandelt.<br />
Das Kraftwerk verfügt über eine elektrische<br />
Leistung von 90 MW und eine Feue rungswärme<br />
leistung von 230 MW. Es soll im Sommer<br />
2009 in Betrieb gehen und benö tigt<br />
Investitionen von rund 100 Millionen €.<br />
<strong>Evonik</strong> ist am Kraftwerk mit 49,9 Prozent<br />
beteiligt. Durch den Einsatz der besten verfügbaren<br />
Anlagentechnik können jährlich<br />
fast 2 Milliarden Kubikmeter Hochofengas<br />
in 570 Millio nen Kilowattstunden Elektrizität<br />
und 400.000 Tonnen Dampf umgewandelt<br />
werden.<br />
Sogar CO 2-neutral arbeiten Anlagen auf<br />
Basis von fester Biomasse oder Biogas, bei<br />
deren Umwandlung in Strom und Wärme<br />
nur so viel Kohlendioxid entsteht, wie die<br />
verwendeten Pflanzen zuvor aus der Atmosphäre<br />
gebunden haben. <strong>Evonik</strong> gehört mit<br />
zehn derartigen Kraftwerken zu den<br />
Marktfüh rern bei der energetischen Nutzung<br />
von Biomasse aus Alt- und Rest hölzern.<br />
Zudem betreibt das Unternehmen eine<br />
Biogasan lage und will diesen Bereich weiter<br />
ausbauen. Im Mai 2007 wurde deshalb<br />
ein 50:50-Joint-Venture mit der EnD-I Loick<br />
Bioenergy GmbH (Köln) gegründet, das die<br />
Planung, Errichtung und den Betrieb von<br />
Biogasanlagen insbesondere in einer<br />
Größen ordnung über 4 MW elektrische<br />
Leistung zum Ziel hat. Als erstes Projekt ist<br />
eine Anlage (6 MW) im Industriepark Dorsten/Marl<br />
geplant, die im Ausbau sogar<br />
10 MW erreichen soll.<br />
Bereits seit Juni 2006 läuft das Biomassekraftwerk<br />
Lünen, das pro Jahr rund 135.000<br />
Tonnen Altholz verwertet und dabei 150<br />
Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt.<br />
Das reicht, um 39.000 Haushalte zu versorgen.<br />
Der Standort der Anlage befindet sich<br />
in direkter Nachbarschaft zum Lippewerk<br />
der Remondis GmbH, die Europas größtes<br />
Zentrum für Kreislaufwirtschaft betreibt<br />
und auch für die Altholzanlieferung sorgt.<br />
Remondis ist zu 49,1 Prozent am Biomassekraftwerk<br />
beteiligt, das im Vergleich zu herkömmlich<br />
gewonnener Nutzenergie rund<br />
100.000 Tonnen CO 2 einspart. Außer in<br />
Lünen gibt es in Großaitingen ein weiteres<br />
Kraftwerk sowie Biomasse-Heizkraftwerke<br />
in Werl, Neufahrn, Ilmenau, Neuwied,<br />
Dresden, Traunreuth, Buchenbach und<br />
Buchen. Insgesamt können in den Anlagen<br />
von <strong>Evonik</strong> rund 400.000 Tonnen Alt- und >
46 ANWENDEN<br />
Grubengas-Anlage, Fenne: mit einer Leistung von 42 Megawatt<br />
eine der größten Grubengas-Motorenanlagen weltweit<br />
><br />
Resthölzer verarbeitet werden. Dabei wird<br />
Strom für 77.000 Haushalte und Wärme für<br />
17.400 Haushalte erzeugt. Laut einer von<br />
<strong>Evonik</strong> in Auftrag gegebenen Studie bieten<br />
nachwachsende Rohstoffe, Waldholz und<br />
Bioabfälle ein jährlich zugängliches Marktvolumen,<br />
das einem Energie potenzial von<br />
rund 40.000 GWh (elektrisch) entspricht.<br />
DIE WÄRME AUS<br />
DER TIEFE DER ERDE<br />
Ganz ohne Kohlendioxidbelastung kommt<br />
auch die Geothermie aus – zumindest eine<br />
Teillösung für unsere Energieprobleme<br />
könnte also nicht nur vom Himmel kommen,<br />
sondern auch zu unseren Füßen liegen.<br />
Rund 99 Prozent der Erde sind heißer<br />
als 1.000 °C – so strömt aus dem Inneren<br />
unseres Planeten eine gewaltige Energiemenge<br />
an die Ober fläche. Jeden Tag<br />
strahlt die Erde viermal mehr Energie in<br />
den Weltraum ab, als alle Industrie anlagen<br />
und Fahrzeuge gleichzeitig verbrauchen.<br />
Theo retisch reicht die in den oberen drei<br />
Kilometern der Erdkruste gespeicherte<br />
Energie aus, um die Menschheit mehr<br />
als 100.000 Jahre lang mit Energie zu versorgen.<br />
<strong>Evonik</strong> ist in Deutschland Markt-<br />
und Innovations führer bei der Fernwärmeversorgung<br />
auf Basis von Geothermie<br />
und betreibt Projekte in Erding, Simbach-<br />
Braunau (Österreich) und Unterschleiß-<br />
Joint Solar Silicon GmbH & Co. KG, Freiberg, seit August <strong>2008</strong> in Betrieb:<br />
Ein Montage roboter wird zur Endfertigung eines Solarmoduls eingerichtet<br />
heim mit einem thermischen Anschlusswert<br />
von derzeit rund 110 MW.<br />
Die Kreisstadt Erding liegt rund 36<br />
Kilometer nordöstlich von München in<br />
unmittelbarer Nähe des Franz-Josef-Strauß-<br />
Flughafens. 1983 erbrachte eine nicht fündige<br />
Ölbohrung in einer Tiefe von etwa<br />
2.350 Metern im sogenannten Malmkarst<br />
Thermalwasser mit einer Temperatur von<br />
65 °C. Sechs Jahre später schlossen sich<br />
Stadt und Landkreis Erding zu einem Zweckverband<br />
für Geowärme zusammen, der<br />
1994 <strong>Evonik</strong> mit der Planung, dem Bau und<br />
dem Betrieb einer Fernwärmeversorgung<br />
auf dieser Basis beauftragte. Im März 1998<br />
konnte das erste Geoheizwerk in Betrieb<br />
genommen werden – europaweit einmalig<br />
wird das Thermalwasser gleich dreifach<br />
genutzt: zur Fernwärme erzeugung,<br />
als Trinkwasser und zur Belieferung der<br />
Therme Erding.<br />
Der Zweckverband liefert die aus der<br />
Tiefe geholte Wärme an das von <strong>Evonik</strong><br />
betriebene Fernwärmenetz. Derzeit verfügt<br />
dieses über einen Anschlusswert von<br />
30 MW und eine Netzlänge von rund 18<br />
Kilometern. Ebenfalls beauftragt wurde der<br />
Energiedienstleister mit der Planung, dem<br />
Bau und Betrieb der Anlagenerweiterung in<br />
Erding. Bis 2009 entsteht nun im Westen<br />
der Stadt ein zweites Geoheizwerk. Dieses<br />
wird über eine Leitung mit der Förder-<br />
bohrung verbunden, durch die heißes<br />
Thermal wasser geführt wird. Der Ausbau<br />
der Kapazitäten erfordert zudem eine weitere,<br />
2.100 Meter tiefe Bohrung, in der das<br />
abgekühlte Wasser wieder in den Untergrund<br />
verpresst wird. Die Investitionen für<br />
die Ausweitung der Fernwärmeversorgung<br />
(Geoheizwerk und Netz) belaufen sich auf<br />
18,7 Millionen €. Geplant ist eine Wärmeerzeugung<br />
von 108.000 Megawattstunden<br />
pro Jahr im Endausbau für beide Werke –<br />
genug Energie, um 6.000 Einfamilien häuser<br />
zu beheizen. Dies entspricht der Versorgung<br />
von 3.278 Einfamilien haushalten. Mit<br />
der neuen Anlage werden unter anderem<br />
zwei bestehende und ein geplantes Gewerbegebiet<br />
sowie zwei neue Wohngebiete versorgt.<br />
<strong>Evonik</strong> ist also auch in diesem Bereich<br />
auf einem guten Weg.<br />
Zudem ist <strong>Evonik</strong> zusammen mit Partnern<br />
wie Électricité de France SA (EdF)<br />
oder Energie Baden-Württemberg AG<br />
(EnBW) aktives Vollmitglied im europäischen<br />
Geothermie-Projekt Soultz-sous-<br />
Forêts (Frankreich). Ziel des Vorhabens am<br />
westlichen Rand des Ober rheingrabens<br />
(circa 50 Kilometer nördlich von Straßburg,<br />
Frank reich) ist es, Erkenntnisse auf der<br />
Grund lage des Hot-dry-Rock-Verfahrens zu<br />
sammeln. Im Unterschied zu bereits bestehenden<br />
Anlagen geht es hier um den Einsatz<br />
des Verfahrens in noch größerer Tiefe und<br />
FOTOS: EVONIK INDUSTRIES, PICTURE-ALLIANCE/DPA
die Erzeugung von Strom. Das Hot-dry-<br />
Rock-Verfahren nutzt die hohen Temperaturen,<br />
die ab rund 4.000 Metern Tiefe praktisch<br />
überall herrschen.<br />
In Soultz-sous-Forêts wurden zunächst<br />
bestehende Risse in dem Granitgestein mit<br />
hohem Druck erweitert und miteinander<br />
verbunden. So entstand in über 5.000<br />
Metern Tiefe ein weites Netz von Rissen. In<br />
diesen geo logischen „Durchlauferhitzer“<br />
wird Wasser gepumpt, das verdampft und<br />
in dieser Form wieder an die Oberfläche<br />
kommt. Der Dampf soll über eine Turbine<br />
direkt zur Strom-Erzeugung genutzt werden.<br />
Seit 13. Juni <strong>2008</strong> läuft die Anlage im<br />
Probebetrieb. Sie verfügt über eine installierte<br />
Leistung von 1,5 MW elektrisch. Im<br />
Endausbau sind 25 MW ge plant. Die Dampftemperatur<br />
beträgt 200 °C. Bisher wurden<br />
hier rund 24 Millionen €, davon 20 Millionen<br />
€ an Fördermitteln, investiert. Weitere<br />
Investitionen in Höhe von rund 21 Millionen<br />
€ sind vorgesehen.<br />
Das eingesetzte Verfahren ist auf 95<br />
Prozent der Fläche Deutschlands anwendbar,<br />
ein immenses Potenzial auf lange Sicht.<br />
Nach einer Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung<br />
beim Deutschen Bundestag<br />
(TAB) hat Erdwärme in Deutschland<br />
bei nachhaltiger Nutzung ein jährliches<br />
Potenzial von rund 300 TWh. Dies entspricht<br />
etwa der Hälfte der gegenwärtigen<br />
Energiesparen durch innovative Speicher<br />
><br />
FOTO: GERHARD BLANK<br />
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
ENERGIE-EFFIZIENZ<br />
ANWENDEN<br />
Geotherme, Erding: Thermalwasser aus rund 2.350 Metern Tiefe versorgt nicht nur die Therme<br />
Erding, sondern wird auch für Fernwärme genutzt<br />
47
48 ANWENDEN<br />
ENERGIE-EFFIZIENZ EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
><br />
Chemie ist der Motor für den Klimaschutz<br />
Brutto-Strom-Erzeugung in ganz Deutschland.<br />
Für <strong>Evonik</strong> bedeutet der Einstieg in die<br />
Strom-Erzeugung auf Basis von Geo thermie<br />
eine Investition in eine zuverlässige und<br />
zu gleich klimafreundliche Zukunftstechnologie.<br />
DIE BATTERIEN DER ZWEITEN<br />
GENERATION<br />
Das gilt ebenso für die Fotovoltaik, die<br />
direkte Umwandlung von Sonnenlicht<br />
in Strom. Als weltweit führendes Unternehmen<br />
für Spezial chemie hat <strong>Evonik</strong> als<br />
Markt führer auch große Erfahrung in der<br />
Herstellung von Chlorsilanen (Markenname<br />
SIRIDION), die einen neuen Herstellungsweg<br />
für das begehrte Halbleitermaterial<br />
Silizium geebnet haben. Schon<br />
2002 wurde mit der Bonner SolarWorld,<br />
einem der größten Unter nehmen für Solartechnik,<br />
die Joint Solar Silicon GmbH (Freiberg,<br />
Sachsen) gegründet, die seit August<br />
<strong>2008</strong> jährlich 850 Tonnen Solar silizium am<br />
<strong>Evonik</strong>-Standort Rheinfelden herstellt. Seit<br />
diesem Start ins Sonnen zeitalter hat <strong>Evonik</strong><br />
die eigenen Aktivitäten in diesem Bereich<br />
deutlich ausgebaut: Im April 2007 unterzeichnete<br />
das Unter nehmen eine Absichtserklärung<br />
mit der Sili cium de Provence für<br />
eine Verbundproduktion von jährlich bis zu<br />
4.000 Tonnen Solarsilizium. Kurz da rauf<br />
wurde ein langfristiger Liefervertrag für<br />
Chlorsilane von <strong>Evonik</strong> mit der PV Silicon<br />
AG in Erfurt abgeschlossen, um die in Bau<br />
befindliche Produktions anlage in Bitterfeld<br />
zur Erzeugung von 1.800 Tonnen Silizium<br />
zu versorgen.<br />
Mit einem namhaften amerikanischen<br />
Hersteller von Siliziumwafern wurde ein<br />
langfristiger Liefervertrag für Chlorsilane<br />
paraphiert, der die geplanten Ausbaupläne<br />
seiner italienischen Produktion absichert.<br />
Dr. Klaus Engel, Mitglied des Vorstands von<br />
<strong>Evonik</strong> und verantwortlich für das Geschäftsfeld<br />
Chemie: „Bereits heute gibt es in der<br />
Fotovoltaikindustrie einen Engpass in der<br />
Solarsiliziumversorgung. Unsere Investi tionen<br />
stellen sicher, dass unsere Partner die<br />
höchst anspruchsvollen Wachstums märkte<br />
in dieser aufstrebenden Industriebranche<br />
bedienen können. Mittelfristig wollen wir<br />
einen hohen dreistelligen Millio nen-Euro-<br />
Betrag in die Hand nehmen, um unsere gute<br />
Position in diesem attraktiven und gleichzeitig<br />
anspruchsvollen Markt massiv auszubauen.“<br />
Gerade beim Einsatz der regenerativen<br />
Sonnen- oder Windkraft kommt der<br />
Speiche rung von Energie eine entscheidende<br />
Rolle zu, da entsprechend erzeugter<br />
Strom nur unstetig zur Verfügung steht.<br />
Deshalb forciert <strong>Evonik</strong> seine Anstrengungen<br />
im Zukunftsmarkt der Lithium-Ionen-<br />
Batterien. „Wir wollen die europäische<br />
Leichtbaukomponenten: Im Airbus A380 reduzieren<br />
Produkte von <strong>Evonik</strong> Gewicht und Energieverbrauch<br />
Nummer eins unter den Herstellern von<br />
derartigen Batteriekomponenten werden“,<br />
gibt Werner Müller Ziele vor, „denn dieser<br />
Zukunftsmarkt verspricht in den kommenden<br />
Jahren starkes Wachstum.“ Aus diesem<br />
Grund hat <strong>Evonik</strong> die Schlagzahl noch einmal<br />
erhöht. So wird die erste Fertigungs linie<br />
bereits erweitert, die erst im April <strong>2008</strong> in<br />
Betrieb ging. Gleichzeitig hat <strong>Evonik</strong> die<br />
Beteiligung an der Li-Tec Battery GmbH &<br />
Co. KG auf 40 Prozent verdoppelt. Prognosen<br />
zufolge soll das Marktvolumen für<br />
großvolumige Lithium-Ionen-Batterien im<br />
nächsten Jahrzehnt die Schwelle von 10 Milliarden,<br />
das für Batteriematerialien 4 Milliarden<br />
€ über steigen.<br />
Die innovativen Energiespeicher können<br />
den Kraftstoff- und Energieverbrauch<br />
in Hybrid- und Elektrofahrzeugen um bis zu<br />
30 Prozent, im Stadtverkehr sogar um bis zu<br />
50 Prozent senken. Schlüsselkomponente<br />
ist der keramische Separator SEPARION,<br />
den <strong>Evonik</strong> entwickelt und der die Sicherheit<br />
und Leistung der Akkumulatoren deutlich<br />
erhöht hat. Aufgrund der Material eigenschaften<br />
ist der Separator unbrennbar und<br />
kann höheren Temperaturen standhalten,<br />
wodurch das Kurzschlussrisiko deutlich vermindert<br />
wird.<br />
Im Januar 2006 begann <strong>Evonik</strong> am<br />
Standort der Li-Tec in Kamenz auch mit<br />
dem Aufbau einer Elektrodenproduk tion
und Energieverbrauch von Hybrid- und Elektrofahrzeugen um 30 Prozent senken<br />
für groß volumige Lithium-Ionen-Batterien.<br />
Die jährliche Produktionskapazität<br />
der Anlage entspricht dem Bedarf für<br />
rund 30.000 Batterien. Damit ist ein wichtiger<br />
Schritt zum Systemanbieter geschafft.<br />
„Zahlreiche europäische Automobilkonzerne<br />
und Zulieferer interessieren sich<br />
inzwischen für unsere Technik“, betont<br />
Dr. Andreas Gutsch, Geschäfts führer der<br />
Li-Tec. Ziel ist die Serien fertigung für<br />
Automobile ab etwa 2010. Die Aktivitäten<br />
sind auch Teil der Innovations allianz<br />
der Bundes regierung. Im Rahmen der vom<br />
Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />
(BMBF) geförderten Initiative<br />
Innovationsallianz „ Lithium-Ionen-Batterie<br />
LIB 2015“ entwickeln <strong>Evonik</strong> und Li-Tec<br />
mit interna tio nal renommierten Partnern<br />
neue Materia lien für noch leistungsfähigere<br />
Batterien der zweiten Generation. Die<br />
Initiative, die erstmals alle Stufen der Wertschöpfungskette<br />
der Lithium-Ionen-Batterie<br />
abbildet, ist auf drei Jahre angelegt. Das<br />
BMBF fördert die Projekte mit rund 60 Millionen<br />
€.<br />
DER ABGEMAGERTE VW GOLF<br />
Neben der mobilen Anwendung ist auch ein<br />
stationärer Einsatz von Lithium-Ionen-Batterien<br />
denkbar, die im Stromnetz als Puffer<br />
dienen können. Führt man beide Nutzungen<br />
zu einem Regelkreis zusammen, könnten<br />
Autobatterien, die über die häusliche Steckdose<br />
oder in Parkhäusern am Netz hängen,<br />
bei Stromüberschuss Energie aufnehmen, in<br />
Spitzenlastsituationen aber auch zur Verfügung<br />
stellen. Auf diese Weise könnten künftige<br />
Autogenerationen Teil einer sicheren<br />
Stromversorgung werden, die gerade mit<br />
einem großen Anteil an regenerativer Energie<br />
besser fertig wird.<br />
In vielen Bereichen ermöglichen <strong>Evonik</strong>-<br />
Produkte darüber hinaus eine effiziente<br />
Energienutzung im Bereich Transport<br />
und Verkehr. ROHACELL zum Beispiel ist<br />
ein Hartschaum für Faserverbundbauteile<br />
mit hervorragenden mechanischen Eigenschaften,<br />
niedrigem Gewicht und hoher<br />
Wärmeformbeständigkeit. SOLIMIDE ist<br />
hingegen ein Weichschaum mit sehr guter<br />
thermischer und akustischer Isolation,<br />
nicht entflammbar und extrem leicht. Beide<br />
Typen sind prädestiniert für Leichtbaukomponenten<br />
von Flugzeugen wie dem<br />
Airbus A380 oder der Boeing B787, Automobilen,<br />
Schiffen, Schienenfahrzeugen,<br />
Medizintechnik, Windkraftanlagen oder<br />
Sportgeräten. Ein weiteres Exempel sind<br />
Leichtlaufreifen, bei denen Produkte von<br />
<strong>Evonik</strong> die CO2-Emissionen schon um<br />
rund 6 Millionen Tonnen pro Jahr reduzieren.<br />
Als einziger Hersteller bietet <strong>Evonik</strong><br />
die drei Verstärkerkomponenten Carbon<br />
Black, Kieselsäure und Silane an, die den<br />
FOTOS (V. L. N. R.): ALIMDI.NET/AXEL SCHMIES, SVEN DÖRING, EVONIK INDUSTRIES Lithium-Ionen-Batterien: Die innovativen Energiespeicher können den Kraftstoff-<br />
Leichtbau-Golf: Mit Materialien von <strong>Evonik</strong> konnte das 1.300<br />
Kilogramm schwere Auto um 371 Kilo „abgespeckt“ werden<br />
Roll wider stand maßgeblich beeinflussen.<br />
Das neu entwickelte Organosilan (VP Si<br />
363) allein hat das Poten zial, weltweit bis<br />
zu 64 Millionen Tonnen Kohlen dioxid pro<br />
Jahr einzusparen.<br />
Schon heute stammen rund 30 Prozent<br />
moderner Automobile aus den Entwicklungslabors<br />
der Chemie – erst kürzlich<br />
hat <strong>Evonik</strong> demonstriert, über welche<br />
Möglichkeiten das Unternehmen als Material-<br />
und System lieferant verfügt. Ein<br />
handels üblicher Golf V, ursprünglich 1.300<br />
Kilogramm schwer, konnte um erstaunliche<br />
371 Kilogramm „abge ma gert“ werden.<br />
Positiver und absolut gewollter Nebeneffekt:<br />
Der CO 2-Ausstoß vermindert sich<br />
um 32 Prozent auf 103 Gramm pro Kilometer,<br />
der Sprit verbrauch sinkt um rund<br />
ein Drittel von 5,7 auf nur noch 3,9 Liter<br />
pro 100 Kilometer Fahrstrecke. Möglich<br />
wurde dieser Effekt durch den konsequenten<br />
Einsatz von <strong>Evonik</strong>-Materialien<br />
für Leichtbau maßnahmen im Karosserie-<br />
und Innen bereich, Kunststoffscheiben,<br />
Leichtlaufreifen, Leichtlauf öle und eine<br />
Lithium-Ionen-Starter batterie. Dieses<br />
Demonstrationsbeispiel zeigt, welches<br />
Energie-Effizienz-Potenzial die Chemie<br />
aufweist. Prof. Dr. Ulrich Lehner, Präsident<br />
des Verbandes der Chemischen Industrie,<br />
bringt es auf eine griffige Formel: „Chemie<br />
ist der Motor für den Klimaschutz.“
50 INFORMIEREN<br />
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
FOTO: EVONIK INDUSTRIES<br />
FOTO: FRANK PETERSCHRÖDER<br />
Neue Barcodes im Supermarkt<br />
Wenn die Milchtüte funkt<br />
Künftig werden RFID-Etiketten Barcodes und Preisschilder<br />
ablösen, davon sind Fachleute aus Handel und<br />
Logistik überzeugt. Derzeit sind die schlauen Kennzeichen<br />
aber noch zu teuer, um massenweise Eingang in<br />
die Regale zu finden. Grund: aufwendige Her stellungsverfahren<br />
und hohe Preise der Silizium chips. Deutsche<br />
Firmen haben jetzt mithilfe des Bundes ministeriums<br />
für Bildung und Forschung (BMBF) ein Verbundprojekt<br />
ge startet, um die Funk etiketten mithilfe druckbarer<br />
Elek tronik deutlich preisgünstiger zu machen. An<br />
„MaDriX“ (https://www.madrix-projekt.de) sind<br />
PolyIC, BASF, <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG, Elantas Beck und<br />
Gallenblase<br />
Laparoskop<br />
Bauchnabel<br />
Kulturelles Leben im Ruhrgebiet<br />
Paradies für Krimifans<br />
EVONIK-MAGAZIN Wie gruselig ist das<br />
Ruhrgebiet, oder warum eignet es sich besonders<br />
als Schauplatz für Krimis?<br />
GABRIELLA WOLLENHAUPT Es gibt keine<br />
gruseligere Region als das Ruhrgebiet. Was<br />
ist ein dunkler, undurchdringlicher Wald in Bayern<br />
verglichen mit einer von Gift verseuchten Zechenbrache?<br />
Warum sollten sich Täter von Bergen<br />
in die Schlucht stürzen, wenn es einen Gasometer mit<br />
Gleisanschluss gibt? Aber – mal Spaß beiseite: Das<br />
Ruhrgebiet ist durch seine besonders hohe Menschendichte<br />
perfekt für Verbrechen aller Art geeignet …<br />
FOTO: PRIVAT, GRAFIK: PR<br />
Siemens beteiligt. Die Gesamtinvestitionssumme beträgt<br />
15 Mil lio nen €, das BMBF übernimmt rund die Hälfte.<br />
„Unser Beitrag besteht in der Entwicklung von<br />
neuen Halbleitern und Isolatoren“, erklärt Dr. Heiko<br />
Thiem, Projektleiter MaDriX bei <strong>Evonik</strong>. Synthese und<br />
Untersuchung der neu artigen Materialien finden im<br />
durch die EU kofinanzierten und durch das Land NRW<br />
geförderten Science to Business Center Nanotronics<br />
im Projekt „Gedruckte Elektronik“ in Marl statt. Es werden<br />
Halbleiter in enger Kooperation mit führenden<br />
Hoch schulen und Instituten sowohl auf anorganischer<br />
als auch auf organischer Basis entwickelt. Zudem wer-<br />
Transvaginale Operation in NRW<br />
Gallen-OP ohne Schnitt<br />
Prof. Dr. Martin Büsing<br />
entfernt Gallenblasen<br />
ohne Bauchschnitt.<br />
Die Operation durch<br />
die Vagina hat viele<br />
Vorteile: keine Narbe,<br />
weniger Infektionen<br />
EVONIK-MAGAZIN Gibt es einen Ort, der Sie<br />
besonders inspiriert?<br />
WOLLENHAUPT Ja, der Blick von der<br />
Hohen syburg in Dortmund ins Tal der Ruhr.<br />
EVONIK-MAGAZIN Welche Attraktion darf<br />
man als Krimifan im Ruhrgebiet nicht<br />
verpassen?<br />
WOLLENHAUPT Die vielen kulturellen<br />
Angebote: Ruhrfestspiele in Recklinghausen,<br />
Besuche des Konzerthauses<br />
in Dortmund, die Cranger Kirmes und …<br />
meine Premierenlesungen.<br />
Intelligente<br />
RFID-Etiketten<br />
werden<br />
das Einkaufen<br />
revolutionieren<br />
den neuartige Poly methyl methacrylat(PMMA)-Typen<br />
als Isolator im Deviceaufbau getestet und für die Anwendung<br />
evaluiert. <strong>Evonik</strong> ist bereits heute ein führender<br />
Hersteller des Kunststoffs PMMA. „Wir arbeiten<br />
aber nicht nur als Materiallieferant, sondern bringen<br />
auch unsere Formulierungskenntnisse ein. Das Ziel sind<br />
System lösungen, also fertige Drucktinten, die dem<br />
jeweiligen Deviceaufbau angepasst sind“, so Thiem.<br />
Im Mai <strong>2008</strong> wurde am Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen unter Chefchirurg<br />
Prof. Dr. Martin Büsing erstmals eine Gallenblasenentfernung ohne Bauchschnitt<br />
durchgeführt. Bei dieser „transvaginalen Cholezystektomie“ erfolgt der Zugang zum<br />
Bauchraum über die Vagina. Die bisherige Schlüssellochtechnik mit drei bis vier<br />
Einschnitten in die Bauchdecke ist mit der sogenannten Natural-Orifice-Transluminal-<br />
Endoscopic-Surgery(NOTES)-Technik nicht mehr erforderlich. Sie ermöglicht<br />
den Zugang mit zwei Instrumenten durch das hintere Scheidengewölbe sowie einen<br />
winzigen zentralen Einstich im Nabelbereich. „Die Chirurgie ist auf dem Weg zur<br />
narbenlosen Bauchoperation ein großes Stück vorangekommen. Wir erwarten noch<br />
weniger Schmerzen, eine praktisch narbenfreie Bauchdecke und weniger Wund -<br />
infektionen“, so Prof. Dr. Martin Büsing. Nutznießer sind Frauen. Etwa zwei Drittel der<br />
rund 190.000 Gallenblasenoperationen pro Jahr werden an Frauen vorgenommen.<br />
EVONIK-MAGAZIN Was unterscheidet das<br />
Ruhrgebiet vom Rest Deutschlands?<br />
WOLLENHAUPT Eine „abgearbeitete“ Landschaft,<br />
die dabei ist, sich zu erholen und zu entwickeln.<br />
Pioniergeist, aber auch ein<br />
gesundes „Bewahrenwollen“,<br />
spürbare Solidarität und gesellschaftliche<br />
Toleranz.<br />
Gabriella Wollenhaupt<br />
schreibt seit 1993 Krimis. Mitten<br />
im Ruhrpott jagt ihre Figur, die<br />
Detektivin Grappa, Verbrecher
FOTO: JENS PASSOTH<br />
„European Science-to-Business Award“ von <strong>Evonik</strong><br />
Ansporn für junge Wissenschaftler<br />
„Aus Ideen marktfähige Hightech-Produkte und<br />
anspruchsvolle Dienstleistungen zu machen gehört<br />
nicht mehr zu den deutschen Stärken“, bedauert<br />
Dr. Arend Oetker. Der erfolgreiche Unternehmer<br />
muss es wissen, denn Oetker ist auch Präsident<br />
des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft.<br />
In ihm sind 3.000 Unternehmen und Wirtschaftsverbände<br />
vor allem mit dem Ziel organisiert,<br />
diese Defizite zu beseitigen und damit grundlegende<br />
Erkenntnisse schneller in erfolgreiche Produkte zu<br />
transferieren. „In diesem Sinne ist der Stifterverband<br />
die Innovationsagentur der Wirtschaft für das Wis-<br />
senschaftssystem, das die Grundlagen für den Erfolg<br />
unseres Landes legt“, so Oetker. Ebenfalls an der<br />
Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft<br />
angesiedelt ist der „European Science-to-Business<br />
Award“, den die <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG <strong>2008</strong> zum<br />
zweiten Mal ausgelobt hat und der mit 100.000 €<br />
dotiert ist. „Ich freue mich, dass wir Dr. Oetker als<br />
Schirmherrn für den diesjährigen Preis gewinnen<br />
konnten“, erklärt Dr. Alfred Oberholz, Mitglied des<br />
Vorstandes von <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong>. Der Preis wurde<br />
ins Leben gerufen, um junge Forscher auszuzeichnen<br />
und zu ermutigen, die den Schritt aus den Laboren<br />
Dr. Arend Oetker<br />
ist Präsident des<br />
Stifterverbandes<br />
für die Deutsche<br />
Wissenschaft und<br />
Schirmherr des<br />
„European Scienceto-Business<br />
Award“<br />
in die Wirtschaft wagen. Wenn sich herausragende<br />
Forschung mit Unternehmergeist paart, hat Europa<br />
gute Chancen, seine Spitzenposition im weltweiten<br />
Wettbewerb auszubauen. Gerade das Feld weiße<br />
Biotechnologie, das <strong>2008</strong> als Thema des Scienceto-Business<br />
Award ausgewählt wurde, ist hierfür<br />
bestens geeignet. „In Raps und Rüben steckt mehr als<br />
nur die Vorstufe von Biodiesel und Biosprit“, hat<br />
Oetker erst kürzlich erklärt. Auch die chemische<br />
Industrie ist hiervon überzeugt und nutzt schon<br />
heute mehr als 2,5 Millionen Tonnen nachwachsender<br />
Rohstoffe.<br />
51
52 ERLEBEN<br />
KÖLN-ZOLLSTOCK EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
Fahrrad statt Auto<br />
In Köln-Zollstock hat <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> zusammen<br />
mit Partnern ein modernes Wohnviertel für<br />
alte und junge Menschen in die Tat umgesetzt<br />
TEXT MARTIN KUHNA<br />
FOTOS CATRIN MORITZ<br />
ZOLLSTOCK MAG außerhalb Kölns vielleicht<br />
nicht zu den bekanntesten Vierteln der<br />
Stadt zählen. Doch wer es kennt, der schätzt<br />
es und will entweder dort wohnen bleiben<br />
oder nur allzu gern dort hinziehen. Da war es<br />
nur logisch, in Zollstock neue Wohnungen zu<br />
bauen. Die gingen weg wie geschnitten Brot.<br />
„Mit diesem Projekt hat <strong>Evonik</strong> den Bestand<br />
in Köln weiter ausgebaut. Die erfolgreiche, in<br />
kürzester Zeit realisierte Vollvermietung<br />
zeigt deutlich die hohe At traktivität des<br />
Objektes und das große Engagement unserer<br />
Mitarbeiter im Kunden Center“, so Robert<br />
Kurth, Leiter des KundenCenters Düsseldorf/<br />
Köln von <strong>Evonik</strong>.<br />
Meistens waren es Inte ressenten aus den<br />
Nachbarvierteln, die beim Geschäftsfeld<br />
Immobilien von <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG anriefen<br />
und sich schnell zum Einzug entschieden.<br />
Jennifer und Torulv Holst zum Beispiel, die<br />
vorher „um die Ecke wohnten“. „Man hat hier<br />
alles, was man braucht“, sagt Jennifer Holst.<br />
Und das heißt: Einkaufsmöglichkeiten gleich<br />
nebenan, viel Grün und beste, kurze Stadtbahnverbindung<br />
zum Kölner Zentrum. Nachbar<br />
Markus Salewski präzisiert: „Supermärkte,<br />
Post, Arztpraxen, Vorgebirgspark,<br />
Bus- und Bahnanbindung, ein Schwimmbad.<br />
Außerdem hat das Viertel ein gewisses Etwas;<br />
es ist eine eigene kleine Welt.“ Was das Viertel<br />
anging, gab es für Jennifer und Torulv Holst<br />
also keinen Grund, sich anderweitig zu orientieren.<br />
Doch bei der Wohnung wollten sie sich<br />
schon verbessern. Deshalb waren sie interessiert,<br />
als nebenan beim Güterbahnhof Eifeltor<br />
ein paar Stumpfgleise und Lagerhallen verschwanden<br />
und an deren Stelle ein neues<br />
Wohnquartier heranwuchs, gemeinsam<br />
entwickelt von <strong>Evonik</strong>, der Kölner Bauwens-<br />
Gruppe und Corpus Sireo, dem Immobilienmakler<br />
der Sparkasse Köln/Bonn. Was da<br />
geplant war, fanden sie „sehr durchdacht“ –<br />
zumal mit Blick auf den erwarteten Nachwuchs:<br />
„Das Kind werde ich hier ohne Angst<br />
draußen spielen lassen können, und das finde<br />
ich sehr gut“, sagt Jennifer Holst.<br />
Autos kommen nämlich in den Zollstockhöfen<br />
sichtbar kaum vor. Die Paul-Nießen-<br />
Straße als Zufahrt ist eine Sack gasse mit<br />
wenigen ausgewiesenen Parkplätzen. Dafür<br />
gibt es eine Tiefgarage unter der Siedlung –<br />
mit einem Stellplatz für jede Wohnung.<br />
Damit die Autos so viel wie möglich da unten<br />
drin bleiben können, gibt es auf Wunsch der<br />
Stadt Köln ebenso viele überdachte Fahrradstellplätze<br />
bei den Häusern. So kann man<br />
wirklich Besorgungen in der Nachbarschaft<br />
bequem per Rad erledigen, ohne das Zweirad<br />
jedes Mal umständlich aus einem engen<br />
Keller wuchten zu müssen. Und in den großzügigen<br />
Anlagen zwischen den Häusern gibt<br />
>
53<br />
Moderne Wohnungen und<br />
attraktive Spielplätze<br />
machen die Zollstockhöfe<br />
zu einem begehrten<br />
Wohnquartier für Familien
es eben keine Autos, dafür gleich mehrere<br />
schöne Spiel plätze. Auf den Wegen dazwischen<br />
können Kinder laufen, krabbeln, rennen<br />
und Rad fahren lernen, ohne dass sie oder<br />
ihre Eltern Unfälle befürchten müssen.<br />
Das war für die künftigen Eltern Holst ein<br />
gewichtiges Argument. Dazu kam natürlich<br />
die gediegene Ausstattung aller Wohnungen<br />
mit Parkett, Fliesen, Gaszentralheizung, Aufzug,<br />
Balkon, Dachterrasse oder Terrasse und<br />
Garten. Holsts verguckten sich in eine Erdgeschosswohnung<br />
mit Terrasse und einem Stück<br />
Wiese. Und sie hatten Glück: Die Wohnung<br />
war nämlich eigentlich schon „weg“, doch die<br />
Pläne der Vormieter änder ten sich plötzlich.<br />
Die Wohnung war wieder frei, Jennifer und<br />
Torulv Holst konnten einziehen. Inzwischen<br />
haben sie sich eingerichtet – nur die Bilder<br />
an den Wänden fehlen noch. Zum Haushalt<br />
der Familie gesellte sich dann noch ein Gartenzwerg,<br />
für einen Zwerg ziemlich groß und<br />
ziemlich faul: Er liegt im Gras auf dem Bauch<br />
und guckt den Holsts beim Wohnen zu .<br />
DIE AUTOS SIND IN DIE<br />
TIEFGARAGE VERBANNT<br />
Das autofreie Konzept der Zollstockhöfe, die<br />
großzügigen und hochwertig „möblierten“<br />
Spielplätze haben offensichtlich viele junge<br />
Familien überzeugt. Seit es im Frühjahr<br />
endlich warm und freundlich und auch die<br />
Begrünung der Wohnanlage so richtig sicht-<br />
bar wurde, sind Tag für Tag Dutzende Kinder<br />
auf den Spielplätzen unterwegs, dazu<br />
einige Mütter mit den ganz Kleinen. Nur Eingeweihte<br />
wissen, dass zwischen den Häusern<br />
mit dunkelroten Farb-Akzenten und<br />
solchen mit orangefarben abgesetzten Wänden<br />
eine Art unsichtbare Grenze liegt: Die<br />
Wohnungen der vier „roten“ Häuser werden<br />
von <strong>Evonik</strong> vermietet, während die Einheiten<br />
in den „orangenen“ Häusern gleich nebenan<br />
von den Projektpartnern als Eigentumswohnungen<br />
verkauft wurden. Dennoch –<br />
und obwohl die Wohnungs eigentümer ein<br />
paar Wochen eher „da waren“ – teilt man<br />
sich nicht nur die Spielanlagen. Auch die Einladungen<br />
der „Alt eingesessenen“ zum ersten<br />
gemeinsamen Sommerfest hingen ganz<br />
selbstverständlich auch an den Eingangstüren<br />
der neu angekommenen Mieter. Schon<br />
nach wenigen Wochen zeichnete sich ab,<br />
dass die Entwickler der Zollstockhöfe tatsächlich<br />
ein richtiges „Veedel“ geschaffen<br />
haben, ein kölsches Viertel also mit funktionierenden<br />
nachbarschaftlichen Beziehungen.<br />
Das geht auch über Generations grenzen<br />
hinweg. Denn so sehr das Konzept der Zollstockhöfe<br />
Anklang bei jungen Familien<br />
gefunden hat, so sieht man in den Zollstockhöfen<br />
auch ältere Leute auf ihren Terrassen<br />
sitzen, nur ein paar Meter entfernt von<br />
den spielenden Kindern, und man darf wohl<br />
annehmen, dass sie nicht zu denen gehören,<br />
Jette Salewski<br />
genießt das<br />
Spielen und<br />
Fahrradfahren<br />
in den Zollstockhöfen,<br />
wo<br />
Spielplätze und<br />
Grünfl ächen<br />
eine entspannte<br />
Atmo sphäre<br />
schaffen<br />
In Zollstock gibt es keine Generationen-Grenze<br />
die auf Kinder lachen mit dem Ruf nach dem<br />
Haus meister reagieren.<br />
Leute also wie zum Beispiel Johann und<br />
Brigitte Außem. Sie haben, wie so viele andere<br />
Zollstockhofer, früher nicht weit weg gewohnt.<br />
In Sülz, auf der anderen Seite des Güterbahnhofs<br />
Eifeltor. Wie andere auch hörten sie von<br />
dem Bauprojekt, schauten sich an, was sich da<br />
jenseits der Gleise tat – und mieteten sich ein.<br />
Bei ihnen ging es nicht um mehr Platz wegen<br />
Familien zuwachs – im Gegenteil: „Wir wollten<br />
uns verklei nern, nachdem der Sohn längst<br />
ausgezogen ist.“ Nun sind sie, ein richtig kölsches<br />
Paar, sehr zufrieden in ihren kleineren<br />
vier Wänden. Die jüngere Verwandtschaft<br />
kommt jetzt halt als Besuch.<br />
Die Spielplätze im Zollstockhof haben eine<br />
große Anziehungskraft für die jungen Mütter<br />
aus der Umgebung. „Wir haben überlegt, ob<br />
das wohl geht“, sagen Daniela Bonn und Nina<br />
Althof. Der Spielplatz bei ihren Wohnungen<br />
ein paar Straßen weiter ist nämlich nicht ganz<br />
auf der Höhe der Zeit. Und da es Zäune und<br />
Verbotsschilder bei den Zollstockhöfen nicht<br />
gab, haben die beiden Mütter es probiert.<br />
Natürlich sind sie gute Gäste, ordentlich und<br />
rücksichtsvoll; der Spielplatz war nie überlaufen,<br />
und niemand hat sie verscheucht: Experiment<br />
ge lungen. Hoffentlich bleibts dabei.<br />
Denn von solchen neuen „Veedeln“, da sind<br />
sich Nachbarn und Stadtplaner gewiss einig,<br />
kann eine Stadt kaum genug haben.
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
Im Reich des neuen<br />
Gartenzwerges: Jennifer,<br />
Torulv und Gro Holst<br />
auf ihrer Terrasse in den<br />
Zollstockhöfen<br />
KÖLN-ZOLLSTOCK<br />
ERLEBEN<br />
Zukunftsmarkt Köln<br />
<strong>Evonik</strong> investiert in Immobilien<br />
entlang der attraktiven Rheinschiene<br />
Während viele andere Städte schrumpfen, wird<br />
Köln wachsen. Die Einwohnerzahl wird nach<br />
seriösen Schätzungen in den nächsten 20 Jahren<br />
um fast neun Prozent zunehmen. In Köln<br />
werden dann 90.000 Menschen mehr leben<br />
als heute (rund 995.000) und die Stadt zur<br />
Millionenmetropole machen. Bis 2015 werden<br />
57.000 zusätzliche Wohnungen gebraucht.<br />
Das Geschäftsfeld Immobilien der <strong>Evonik</strong><br />
<strong>Industries</strong> AG nutzt den Boom. Nach ersten<br />
Wohnungskäufen im Stadtteil Ehrenfeld und<br />
in Hürth erwarb <strong>Evonik</strong> 2007 auf einen<br />
Schlag 312 moderne, gut ausgestattete Wohnungen<br />
in beliebten Vierteln von Mülheim und<br />
Porz. Die Zollstockhöfe mit 126 Wohnungen<br />
sind die ersten Neubauten von <strong>Evonik</strong> in Köln.<br />
Insgesamt verfügt das Unternehmen damit<br />
nach kurzer Zeit schon über mehr als 500<br />
attraktive Wohnungen in der Rheinmetropole.<br />
Und im Stadtteil Kalk entsteht bereits das nächste<br />
urbane Neubauprojekt mit 164 komfortablen<br />
Wohnungen und fünf Gewerbe-Einheiten.<br />
An diesem Standort wird <strong>Evonik</strong> auch ein<br />
Außen büro des Kundencenters Düsseldorf/Köln<br />
einrichten und damit ein weiteres Signal auf<br />
dem Kölner Markt setzen. Die am Ort etablierten<br />
Konkurrenten haben den neuen Mitspieler auch<br />
schon mit Respekt zur Kenntnis genommen;<br />
<strong>Evonik</strong> ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft<br />
Kölner Wohnungsunternehmen. Projektentwicklungen<br />
mit weiteren 165 Wohnungen<br />
sind bereits begonnen worden; binnen zwei<br />
Jahren peilt das Unternehmen die Verdoppelung<br />
der in Köln verwalteten Wohnungen auf<br />
1.000 an. Weiteres Wachstum durch Akqui sition<br />
und Neubau wird sich anschließen. Insgesamt<br />
verfügt <strong>Evonik</strong> an der Rheinschiene von Düsseldorf<br />
bis Bonn über fast 5.000 Wohnungen.<br />
55
56 DISKUTIEREN<br />
LEBENSERWARTUNG EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
Wollen wir wirklich 100<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
FOTO: PR<br />
Der hohe Anteil an älteren Menschen droht, die Rentenkassen zu sprengen. Noch<br />
dieses Jahrhundert wird die durchschnittliche Lebenserwartung in den Industrie nationen<br />
die 100 übertreffen. Welche Ideen gibt es, diese Entwicklung zu gestalten?<br />
Politik<br />
Den Jahren Leben geben<br />
Prof. Dr. Ursula Lehr, Bundesministerin a. D., Gerontologin „Wir alle<br />
werden älter von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr. Dass wir<br />
älter werden, daran können wir nichts ändern. Aber wie wir älter werden,<br />
das lässt sich schon beeinflussen! Es kommt nicht nur darauf an, wie alt wir werden, sondern wie<br />
wir alt werden: Es gilt, nicht nur dem Leben Jahre, sondern den Jahren Leben zu geben.“<br />
Trendforschung<br />
Neue Lebensmodelle entwickeln<br />
Prof. Peter Wippermann, Trendbüro Hamburg „Wir werden zwar länger<br />
leben als jemals Menschen vor uns, wir wissen jedoch noch nicht, wie.<br />
Was fehlt, sind neue Lebensmodelle. Länger zu leben heißt, das eigene Leben<br />
länger gestalten zu können. Doch statt die persönlichen Chancen zu entdecken, konzentrieren<br />
wir uns zu sehr auf die Diskussion gesellschaftlicher Risiken.“<br />
Altern ohne Ende?<br />
Seit 1840 hat sich die Lebens erwartung in<br />
den wohlhabenden Nationen mehr als<br />
verdoppelt. Für Frauen in diesen Ländern<br />
wächst die Lebenserwartung linear um<br />
drei Monate pro Jahr. Schreibt man diese<br />
Entwicklung fort, wird ein Durchschnittsalter<br />
von 100 noch in diesem Jahrhundert<br />
erreicht. In der Rangliste der Nationen mit<br />
den höchsten Lebenserwar tungen gibt es<br />
seit Beginn der Erhebungen wenig Bewegung.<br />
Deutschland lag zu keiner Zeit an<br />
der Spitze und hatte Ein brüche durch zwei<br />
Weltkriege und eine Grippe-Epidemie<br />
(1918) zu verzeichnen.<br />
Nationen, die den Trend<br />
seit 1840 anführen:<br />
Neuseeland<br />
Norwegen<br />
Island<br />
Schweden<br />
Japan<br />
Deutschland<br />
Politik<br />
Wir sind die<br />
Chance<br />
Dr. Henning Scherf, Bremens<br />
Bürgermeister a.D. „Wir haben<br />
eine Chance, wie sie für unsere Eltern und Großeltern<br />
nie vergleichbar da war. Mit 60 haben wir im<br />
Schnitt noch 30 Jahre vor uns, in wunderbaren<br />
Bedingungen: Weil wir eine Rente haben, die uns<br />
ernährt, Zeit haben, fit sind, uns noch interessieren<br />
können und weil wir uns noch beteiligen können,<br />
ohne zu fragen: ‚Kriege ich da auch das richtige<br />
Gehalt dafür?‘ Wir sind die klassische ehrenamtliche<br />
Basis dieser Gesellschaft. Wir sind nicht<br />
das Problem dieser Republik, sondern die Chance<br />
dieser Republik: Mit uns kann man eine Zivilgesellschaft<br />
ent wickeln, die sich viele erträumen.“<br />
Durchschnittliche Lebenserwartung in Jahren<br />
Geburtsjahr 1890 1910 1930 1950 1970 1990 2010 2030<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
95<br />
90<br />
85<br />
80<br />
75<br />
70<br />
65<br />
60<br />
55<br />
50<br />
INFOGRAFIK: GEO-GRAFIK
Jahre alt werden?<br />
FOTO: PR FOTO: PR FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
Wissenschaft<br />
„50 ist das neue 35“<br />
Prof. Dr. Carlo Pincelli, Universität Modena, Italien<br />
„In rund zehn Jahren werden wir halb so alt aussehen<br />
und gleichzeitig doppelt so fit sein, wie unser<br />
tat sächliches Lebensalter eigentlich erwarten lässt. Das lässt sich gar<br />
nicht mehr aufhalten.“<br />
Wissenschaft<br />
Länger gesund leben<br />
Prof. Dr. Leonard Guarente, Massachusetts Institute<br />
of Technology (Cambridge, Massachusetts, USA).<br />
„Ich glaube nicht, dass eine lange Lebens spanne etwas<br />
höchst Erstrebenswertes ist. Erstrebens wert ist ein langes gesundes<br />
Leben. Mit den Genen, die wir in unseren Laboren untersuchen, und den<br />
Mitteln, die wir ent wickeln, können wir die Zeitspanne an Gesundheit<br />
verlängern. Dabei wirken wir dem Alterungsprozess entgegen. Am Ende<br />
einer achtjährigen Forschung entdeckten wir – ausgehend von einer<br />
Untersuchung mit Hefe zellen – ein Gen namens SIRT1, das Zellen vor<br />
altersbedingten Schädigungen schützt.“<br />
Industrie<br />
Megatrend Anti-Aging<br />
Dr. Daniel Maes, Leiter Forschung Estée Lauder, New<br />
York City, New York, USA. „Ich glaube, dass der<br />
Weg zu mehr Wachstum in der Kosmetikindustrie in<br />
Europa und Asien in der Entwicklung neuer und effektiver Anti-<br />
Aging-Produkte liegt. In diesem Bereich erwarten wir uns viel von den<br />
Genen SIRT1 und SIRT3. Sie wirken in den Mitochondrien, den<br />
Energiespeichern der Zellen, wo der Altersprozess beginnt. Das wird<br />
das nächste große Ding. Vergessen Sie Stammzellen!“<br />
UMFRAGE: FORSA; INFOGRAFIK: PICFOUR<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
Was sagen die Deutschen?<br />
Ein Alter von über 100 Jahren ist keine Utopie mehr. Doch beim<br />
Thema Altern bangt der Deutsche um Gesundheit und Rente. Daher<br />
scheint er auch Forschungen mit dem Ziel der Lebensverlängerung<br />
kritisch gegenüberzustehen. Dies ergibt eine Umfrage unter<br />
1.004 Befragten. forsa fragte, ob die Deutschen zu Forschungen zur<br />
Verlangsamung des Alterns eher Ja oder eher Nein sagen.<br />
18–29 Jahre 30–44 Jahre 45–59 Jahre<br />
Durchschnittswerte aller Altersgruppen<br />
71%<br />
Nein<br />
25%<br />
Ja<br />
60 plus<br />
68% 70% 72% 72%<br />
30%<br />
2%<br />
24%<br />
6%<br />
22%<br />
6%<br />
25 %<br />
3%<br />
Politik<br />
Ungleichheit des Alterns<br />
4%<br />
Weiß nicht<br />
Nitin Desai, politischer Berater, ehemaliger UNO-<br />
Untergeneralsekretär für soziale Angelegenheiten<br />
„Wir werden in den Industrienationen eine wachsende<br />
Anzahl immer älterer Menschen haben, die fähig sind zu arbeiten, aber im<br />
bestehenden Beschäftigungssystem keine Arbeit finden. Auf der anderen<br />
Seite haben wir in den Entwicklungsländern aufgrund mangelnder und<br />
fehlender sozialer Absicherung eine hohe Zahl älterer Menschen, die weit<br />
härter und länger arbeiten, als sie sollten. Wir können die zunehmende<br />
‚Vergreisung‘ nicht diskutieren, ohne uns mit den lokalen Bedingungen<br />
älterer Menschen in puncto Einkommen, Arbeitsplätze und ihrer Möglichkeiten<br />
zu Sicherheit, Gesundheit und auch Bildung zu beschäftigen.“<br />
57
58 LEBEN<br />
EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />
Wissen, was kommt<br />
TOM SCHIMMECK über Prognostiker, Trendforscher,<br />
Demoskopen und andere Wahrsager<br />
„ES HAT GUTE GRÜNDE, warum Wissenschaftler zu den größten<br />
Zynikern gehören“, sagt Dr. Ross Stein und lacht. Der 55-jährige<br />
Forscher weiß alles über die Sehnsucht nach Wahrsagern. Er<br />
ist Erdbebenforscher beim U.S. Geological Survey. Sein Institut in<br />
Menlo Park sitzt direkt auf dem gefürchteten Sankt-Andreas-<br />
Graben, der sich quer durch Kalifornien (USA) zieht. Und seit Jahren<br />
schon „dran“ ist mit dem nächsten schweren Beben – „the<br />
Big One“, wie sie es hier nennen. Die Erde wackelt hier jeden<br />
Tag ein bisschen. Vom Wissenschaftler Stein wollen permanent<br />
wichtige Leute wissen, wann es wo krachen wird. Mehr als<br />
eine intellektuelle Herausforderung: Tausende Menschenleben<br />
könnten davon abhängen.<br />
Was wird die Zukunft bringen? Immer mächtiger geraten die<br />
Computerkolosse, die für uns nach vorne schauen sollen. An die<br />
Stelle des Gebets und der Opfergabe ist seit den 60er-Jahren der<br />
Großrechner getreten, mitsamt einer an ihn geknüpften Anbetung<br />
der berechenbaren Entwicklung. Ohne Szenario geht heute gar<br />
nichts mehr. Vor allem der Natur will man in die Karten schauen:<br />
Wo drohen demnächst Stürme, Fluten, Feuersbrünste, Vulkan -<br />
ausbrüche, Beben? Wie heiß wird es? Wie schnell schmelzen die<br />
Pole? Auch sonst wüssten die Entscheidungsträger dringend<br />
gern mehr übers Morgen: über die Demografie, den Konsum, über<br />
Energiepotenziale, Ressourcen und Konjunkturen.<br />
Die, die es wagen, haben es schwer: „Auf neue Ideen gibt es<br />
eigentlich nur zwei Reaktionen“, meint Ross Stein. „Entweder hält<br />
man sie für offensichtlich oder für falsch. Es gibt fast nichts<br />
dazwischen.“ Er hat es erlebt. Seit Jahren gräbt er sich mit Kollegen<br />
aus aller Welt durch Megatonnen von Daten, um Zusammenhänge<br />
zwischen verschiedenen Erdbeben zu entdecken. Er hat auch in<br />
Istanbul (Türkei) und Tokio (Japan) geforscht. Stein und andere<br />
lösten eine Riesendebatte aus, als sie behaupteten, dass ein Beben<br />
die Spannung am Ort des Geschehens mindert, während sie sich<br />
anderswo erhöht – manchmal nur um winzige Werte, geringer als<br />
der Druck in einem Autoreifen. Und doch würden genau dort die<br />
nächsten Beben eintreten. „Eine fast beschämend einfache Idee“,<br />
sagte er. Aber der Widerstand war enorm.<br />
Schäden durch Naturkatastrophen, berichtet die Münchener<br />
Rück, steigen weltweit rasant. 2005 wurde eine Rekordsumme<br />
von 220 Milliarden US-$ erreicht. Für den Münchner<br />
Tom Schimmeck (48) fasziniert der Blick in die Zukunftslabors der Forschung. Er arbeitete unter anderem für TAZ, „Tempo“,<br />
den „Spiegel“ und „Die Woche“. Die Illustration ist eine abstrakte computergenerierte digitale Komposition.<br />
Rückversicherer ein Zeichen des Klimawandels. 2007 zählte man<br />
auf globalen Spitzenwert von 950 Naturkatastrophen. Milliarden<br />
werden heute für die Entwicklung von Warnsystemen ausgegeben.<br />
Besonders in der Erdbebenforschung. Wo die Wissenschaftler<br />
so ungeheuer viel wissen, in Ozeanen von Daten schwimmen. Und<br />
doch oft gar nichts vorhersagen können. Sie versuchen es mit<br />
Probebohrungen, Gasmessungen, Lasern, Satelliten und anderen<br />
Methoden. Nasa-Forscher erkennen mit neuen Radartechniken<br />
aus dem All Erdbewegungen von einem Millimeter pro Jahr. Andere<br />
messen Schwankungen der Infrarotstrahlung oder winzige<br />
Abweichungen des Magnetfeldes. In Kalifornien gibt es nun sogar<br />
ein Observatorium direkt in der Bruchlinie, etwa drei Kilometer<br />
tief – um die physischen und chemischen Vorgänge bei der<br />
Entstehung eines Bebens zu erkunden.<br />
Trotzdem bleibt alles Versuch und Irrtum. Er habe Bescheidenheit<br />
gelernt, meint Stein. „Es war eine Riesenarbeit, jede erdenkliche<br />
Verwerfung in Kalifornien zu lokalisieren. Und doch ereignet<br />
sich jedes zweite größere Beben an einer Spalte, von der wir noch<br />
nichts wussten.“ Gewaltige Erschütterungen ereignen sich an<br />
Bruchlinien, die als wenig aktiv gelten. Das schreckliche Beben im<br />
vergangenen Mai in Sichuan (70.000 Tote) etwa geschah in einem<br />
solchen Gebiet. „Das war auf keiner Top-Ten-Liste“, bekennt Stein.<br />
Wie er Erdbeben-Forscher wurde? Es ist diese Faszination,<br />
etwas wirklich Neues zu entdecken – und damit womöglich etwas<br />
bewirken zu können. „Wobei keiner von uns die Hybris hat, zu<br />
sagen: ‚Wenn ich meinen Job nur richtig mache, kann ich Tausende<br />
Menschenleben retten.‘“ Doch diese Mischung aus Suche<br />
und Sinn, sagt Stein, „befriedigt die Bedürfnisse der rechten wie<br />
der linken Hirnhälfte“.<br />
Das Feld bleibt komplex und mysteriös. Die Urgewalt ist<br />
enorm: Ein Bruch, der sich normalerweise um einen Zentimeter<br />
im Jahr bewegt, beschleunigt binnen Sekunden auf ein Tempo<br />
von 3.000 Stundenkilometern. „Das Tolle ist“, sagt der Forscher<br />
begeistert, „irgendwann kommt die nächste große Erkenntnis.“<br />
Und der Entdecker muss kein Gott des Gewerbes sein. Vielleicht<br />
ist es ein Student. Das sei, findet Stein, „sehr demokratisch“. Das<br />
Einzige, was feststeht: Die großen Entdeckungen ähneln den<br />
großen Beben. „Sie sind plötzlich da. Wir sehen sie nicht kommen.“ <<br />
ILLUSTRATION: DIGITAL VISION
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