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Evonik Magazin 3/2008 - Evonik Industries

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<strong>Evonik</strong>-<strong>Magazin</strong> 3|<strong>2008</strong><br />

<strong>Evonik</strong>-<strong>Magazin</strong><br />

3| <strong>2008</strong><br />

Kraft für Neues. <strong>Evonik</strong> in China*<br />

*<strong>Evonik</strong> baut<br />

in Schanghai<br />

das Projekt<br />

MATCH für den<br />

Kunststoffmarkt<br />

– Bausteine<br />

für LCD-Bildschirme,kratzfeste<br />

Lacke,<br />

hochwertige<br />

Klebstoffe<br />

und<br />

Innenverkleidungen<br />

für Autos.<br />

Reportage ab<br />

Seite 18


Wir verbessern die Kratzfestigkeit von Autolacken und<br />

noch vieles mehr. Mit über 100 Produktionsstandorten<br />

in rund 30 Ländern sind wir einer der weltweit führenden<br />

Anbieter im renditestarken Markt der Spezialchemie.<br />

Wir sind der kreative Industriekonzern aus Deutschland<br />

für Chemie, Energie und Immobilien.<br />

Wer schützt eigentlich Autolacke<br />

vor Kratzern?<br />

Wir machen so was.<br />

www.evonik.de


FOTOS (VON LINKS OBEN): KARSTEN BOOTMANN, PRIVAT, DORIS POKLEKOWSKI, JAN SIEFKE, CATRIN MORITZ<br />

Etappenziele<br />

<strong>Evonik</strong> <strong>Magazin</strong> begrüßt einen willkommenen Investor, ermittelt den „China Faktor“ in der<br />

deutsch-chinesischen Kooperation an einer <strong>Evonik</strong>-Chemieanlage im Süden Schanghais und freut<br />

sich, wenn es gelingt, einen VW Golf klimaschonend um 371 Kilo abzumagern<br />

Dr. Werner Müller,<br />

RAG-Stiftung-Chef<br />

Wilhelm Bonse-<br />

Geuking und CVC-<br />

Deutschlandchef<br />

Steve Koltes (v.l.)<br />

Klaus Jopp,<br />

Autor<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

ein Etappenziel ist erreicht, ein vielversprechender Partner<br />

gefunden: Der Finanzinvestor CVC erwirbt für 2,4 Mil -<br />

liarden € 25,01 Prozent der Anteile an der <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong><br />

AG. Investor und Vorstand stimmen in den Zielen überein:<br />

Steigerung des Unternehmenswerts und Börsengang bis<br />

2013. – Das ist die Nachricht, die am Ende eines monate langen<br />

Bieterverfahrens stand und die ein großes Etappen ziel<br />

in der Entwicklung von <strong>Evonik</strong> markiert. Doch wer ist<br />

der Investor? Was verbirgt sich hinter dem Kürzel CVC?<br />

Wie verbinden sich Investmentansatz und Konzernstrategie? Diese Fragen stellte das <strong>Evonik</strong>-<br />

<strong>Magazin</strong> dem CVC-Deutschlandchef Steve Koltes. Lesen Sie den Beitrag auf Seite 26.<br />

China hat in den letzten drei Jahrzehnten rund 400<br />

Millionen Menschen aus Armut und Hunger befreit.<br />

In ihrem Report „Der zweite Aufbruch“ (ab Seite 6)<br />

beschreibt „Weltreporterin“ Ruth Kirchner, wie sich<br />

China nun den Herausforderungen des Umweltschutzes<br />

und des nachhaltigen Produzierens stellt.<br />

Der „zweite Aufbruch“ ist auch eine Herausforderung<br />

für westliche Partner. Im Süden Schanghais hat<br />

Ruth Kirchner, Dr. Tilman Spengler und Christoph<br />

Peck berichten aus Peking und Schanghai<br />

<strong>Evonik</strong> unter dem Projektnamen MATCH eine einzigartige<br />

Verbundanlage zur Herstellung von Hochleistungskunststoffen errichtet. Ein<br />

Spezialauftrag für unseren Autor Christoph Peck, der nicht nur die große Reportage vor<br />

Ort erstellte (ab Seite 18). Peck hatte auch den Auftrag, die Details für die Aufklapp-<br />

Seiten des <strong>Evonik</strong>-<strong>Magazin</strong>s zu recherchieren. Sie zeigen mit den Mitteln moderner Infografik<br />

eine Aufsicht der mächtigen Chemie-Anlage, die ihre Funktionalität erkennen lässt.<br />

Weitere Etappenziele zeigt Klaus Jopp ab Seite 42. Da die Energie- und<br />

Rohstoffpreise weiter steigen werden, ist die bessere Nutzung der<br />

vorhandenen Energie die zurzeit größte Herausforderung. Jopp weist mit<br />

Daten und Fakten nach, welche Erfolge <strong>Evonik</strong>-Technologien zur<br />

Energie-Effizienz heute schon erzielen. Schönstes Beispiel: der VW Golf,<br />

der unter Einsatz neuer Materialien um 371 Kilo abmagert …<br />

Viel Vergnügen bei der Lektüre!<br />

Ihr Redaktionsteam <strong>Evonik</strong>-<strong>Magazin</strong><br />

EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

EDITORIAL<br />

3


6 CHINAS WIRTSCHAFTSWUNDER 26 INVESTOR<br />

30 KATALYSE 42 ENERGIE-EFFIZIENZ


FOTOS (IM UHRZEIGERSINN): AGE FOTOSTOCK/LOOK-FOTO, KARSTEN BOOTMANN, EVONIK INDUSTRIES, TIM WEGNER; KALLIGRAFIE TITEL: SU-SHAO WU<br />

EDITORIAL<br />

3 Etappenziele<br />

GESTALTEN<br />

6 China: der zweite Aufbruch<br />

Ausgelöst durch das rasante Wirtschaftswachstum, entwickelt sich jetzt in China das Bewusstsein<br />

für Umweltschutz und nachhaltiges Produzieren. Dieser erneute Aufbruch bedarf der Unterstützung<br />

durch moderne, westliche Technologie. <strong>Evonik</strong> errichtet südlich des Stadtzentrums von<br />

Schanghai mit dem Projekt MATCH eine einzigartige Verbundanlage zur Herstellung von Kunststoffen.<br />

Christoph Peck besuchte das „Richtfest“ auf der Großbaustelle<br />

INFORMIEREN<br />

24 Das weltweite Netz<br />

Mehr als ein Fünftel der Weltbevölkerung nutzt heute das Internet, und es werden täglich mehr.<br />

Doch wie verteilt sich dieses Wachstum über die Weltregionen?<br />

BEWEGEN<br />

26 Das Geheimnis des Erfolgs<br />

Steve Koltes ist der Deutschlandchef von CVC Capital Partners, dem neuen Anteilseigner<br />

von <strong>Evonik</strong>. Im Interview erläutert er seine Visionen für den Konzern<br />

PRODUZIEREN<br />

30 Kat sei Dank!<br />

<strong>Evonik</strong>s Beitrag zur Entwicklung optimaler Katalysatoren, die in Chemieunternehmen die Voraussetzung<br />

für wirtschaftliches und energiesparendes Produzieren sind<br />

VERSORGEN<br />

36 Freies Spiel für Energie<br />

Seit einem Jahr steht die Gasbörse in Leipzig für europäische Kooperation und transparenten Wettbewerb.<br />

Vorstandsvorsitzender Dr. Hans-Bernd Menzel erklärt die Vorteile eines transparenten Energiehandels<br />

ENTWICKELN<br />

38 Offen für Querdenker<br />

Die neue Personalkampagne trägt dazu bei, <strong>Evonik</strong> zu einem besonders attraktiven Arbeitgeber zu machen<br />

ANWENDEN<br />

42 Königsweg Energie-Effizienz<br />

Bei <strong>Evonik</strong> gibt es eine Vielzahl von Projekten und Technologien, die mit Daten und Fakten beweisen,<br />

dass Energie-Effizienz mehr als ein Schlagwort ist<br />

INFORMIEREN<br />

50 Ansporn für junge Wissenschaftler<br />

Dr. Arend Oetker ist Schirmherr des „European Science-to-Business Award“ von <strong>Evonik</strong><br />

ERLEBEN<br />

52 Fahrrad statt Auto<br />

In Köln-Zollstock hat <strong>Evonik</strong> mit Partnern ein modernes Wohnviertel entstehen lassen. In den autofreien<br />

Zollstockhöfen leben junge Familien und ältere Menschen in unmittelbarer Nachbarschaft<br />

DISKUTIEREN<br />

56 Wollen wir wirklich 100 Jahre alt werden?<br />

Noch dieses Jahrhundert wird die durchschnittliche Lebenserwartung in den Industrienationen<br />

die Hundert übertreffen. Bewertungen dazu aus Wirtschaft, Politik, Forschung<br />

LEBEN<br />

58 Wissen, was kommt<br />

Freud und Leid der Prognostiker, Trendforscher und Demoskopen<br />

Diese Ausgabe des <strong>Evonik</strong>-<strong>Magazin</strong>s finden Sie auch online unter www.evonik.de<br />

EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

IMPRESSUM<br />

INHALT 5<br />

Herausgeber:<br />

<strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG<br />

Christian Kullmann<br />

Rellinghauser Str. 1–11<br />

45128 Essen<br />

Chefredaktion:<br />

Inken Ostermann (V.i.S.d.P.)<br />

Objektmanagement <strong>Evonik</strong>:<br />

Ute Drescher<br />

Art Direction:<br />

Wolf Dammann<br />

Redaktion (Leitung):<br />

Michael Hopp<br />

Chefin vom Dienst:<br />

Roswitha Knye<br />

Fotoredaktion:<br />

Ulrich Thiessen<br />

Dokumentation:<br />

Kerstin Weber-Rajab,<br />

Tilman Baucken; Hamburg<br />

Gestaltung:<br />

Teresa Nunes (Ltg.),<br />

Anja Giese, Heike Hentschel,<br />

Sabine Schulz/Redaktion 4<br />

Schlussredaktion:<br />

Wilm Steinhäuser<br />

Verlag und Anschrift<br />

der Redaktion:<br />

HOFFMANN UND CAMPE VERLAG<br />

GmbH, ein Unternehmen der<br />

GANSKE VERLAGSGRUPPE<br />

Harvestehuder Weg 42<br />

20149 Hamburg<br />

Telefon +49 40 44188-457<br />

Telefax +49 40 44188-236<br />

E-Mail cp@hoca.de<br />

Geschäftsführung:<br />

Manfred Bissinger<br />

Dr. Kai Laakmann<br />

Dr. Andreas Siefke<br />

Objektleitung:<br />

Eva Maria Böbel<br />

Herstellung:<br />

Claude Hellweg (Ltg.), Oliver Lupp<br />

Litho:<br />

PX2, Hamburg<br />

Druck:<br />

Laupenmühlen Druck, Bochum<br />

Copyright:<br />

© <strong>2008</strong> by <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG,<br />

Essen. Nachdruck nur mit<br />

Genehmigung des Verlages. Der Inhalt<br />

gibt nicht in jedem Fall die Meinung<br />

des Herausgebers wieder<br />

Kontakt:<br />

Fragen oder Anregungen zum<br />

Inhalt des <strong>Magazin</strong>s:<br />

Telefon +49 0201 177-3831,<br />

Telefax +49 0201 177-2908,<br />

E-Mail magazin@evonik.com<br />

Fragen zum Versand<br />

oder Bestellungen:<br />

Telefon +49 40 68879-139<br />

Telefax +49 40 68879-199<br />

E-Mail magazin-vertrieb@hoca.de<br />

Die Bezeichnungen PLEXIGLAS ® , PLEXIGUM ® ,<br />

ROHACELL ® , SEPARION ® , Siridion ® und<br />

SOLIMIDE ® sind geschützte Marken der <strong>Evonik</strong><br />

<strong>Industries</strong> AG oder ihrer Tochterunternehmen.<br />

Sie sind im Text in Groß buchstaben geschrieben


EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

Der zweite Aufbruch<br />

Chinas Wirtschaftswunder setzt nicht mehr auf Wachstum um jeden Preis, sondern auf<br />

nachhaltige Entwicklung. Die dazu notwendigen modernen Technologien kommen aus dem Ausland<br />

Auffahrten zur Nanpu-Brücke über<br />

den Huangpu in Schanghai. Vor<br />

15 Jahren gab es hier noch Reisfelder<br />

FOTO: MARTIN PUDDY/GETTY IMAGES<br />

CHINA<br />

TEXT RUTH KIRCHNER<br />

GESTALTEN<br />

EINE BOOTSFAHRT auf dem Huangpu-<br />

Fluss von Schanghai ist mehr als ein touristischer<br />

Höhepunkt. An kaum einem anderen<br />

Ort werden Chinas Gegensätze so deutlich<br />

wie im Hafenbecken der glitzernden Hafenmetropole.<br />

Hier spiegeln sich Alt und Neu,<br />

Abgesang und Aufstieg direkt neben ei nander<br />

wider: auf der einen Seite am sogenannten<br />

Bund die alte Flaniermeile mit den verschnörkelten<br />

Kolonialfassaden. Gegenüber,<br />

auf der anderen Seite des breiten Stromes,<br />

das neue Finanzviertel Pudong – mit dem<br />

kitschig-rosafarbenen Fernsehturm und<br />

der atemberaubenden Skyline von Hochhäusern<br />

wie dem Jin-Mao-Wolkenkratzer<br />

oder, direkt daneben, dem neuen Shanghai<br />

World Financial Center, dem dritthöchsten<br />

Gebäude der Welt.<br />

Kaum eine Metropole hat sich so rasant<br />

entwickelt wie Schanghai. „Hier waren<br />

noch vor 15 Jahren überall Reisfelder“,<br />

sagt ein HSBC-Banker, der noch in einem<br />

der ersten Hochhäuser Pudongs sein<br />

Büro hat, beim Blick aus dem Fenster.<br />

Jetzt leuchten ringsum an den modernen<br />

Fassaden überall die Visitenkarten der Welt<br />

AG: Citibank, Deutsche Bank, Siemens,<br />

Volkswagen. Pudong, das keine 20 Jahre<br />

alte Stadtviertel Schanghais, ist Symbol<br />

für Chinas wirtschaftlichen Aufstieg. ><br />

7


8<br />

FOTO RECHTS: DANIELE MATTIOLI/ANZENBERGER AGENCY,<br />

FOTOS OBEN, VON LINKS: CONTRASTO/LAIF, GREG ELMS, EIGHTFISH/GETTY IMAGES (2)<br />

><br />

Luxus lernen: Reiche Chinesen testen hochwertige Handys, Digitalkameras und Autos; Schanghais Szene-Bar TMSK setzt im Design auf Chinas traditionelles<br />

Und der Wandel ist ohne Beispiel: Seit den<br />

von Deng Xiaoping eingeleiteten Reformen<br />

ist Chinas Wirtschaft jährlich um rund zehn<br />

Prozent gewachsen. Das Reich der Mitte, das<br />

Ende der 70er-Jahre nach Maos Misswirtschaft<br />

quasi vor dem Ruin stand, ist mittlerweile<br />

die viertgrößte Volkswirtschaft<br />

der Welt, wird Deutschland voraussichtlich<br />

2009 als Exportweltmeister ablösen.<br />

MIT DENG BEGANN DIE<br />

AUFHOLJAGD<br />

Dabei hatte Chinas Öffnung vor 30 Jahren als<br />

Experiment angefangen. Unter der Regierung<br />

von Deng Xiaoping begann China 1979<br />

eine eher zaghafte Abkehr von der sowjetisch<br />

orientierten Planwirtschaft, in der alle<br />

Produktionsentscheidungen nur durch den<br />

Staat gefällt wurden. Grund für das Umdenken<br />

der Führung in Peking war, dass Mao<br />

Zedong, der 1976 gestorben war, das große<br />

Reich völlig heruntergewirtschaftet hatte.<br />

Unter Deng Xiaoping kehrte sich alles um.<br />

Der kleine, energische Führer setzte auf eine<br />

gewagte Symbiose von Kommunismus und<br />

Kapitalismus. Und China setzte sich schon<br />

bald an die Spitze der asiatischen Wachstumsländer.<br />

„Einige sollen zuerst reich werden“,<br />

hatte der heute als Reformarchitekt<br />

gefeierte Deng als Parole ausgegeben und<br />

damit das Ende des sozialistischen Traums<br />

von der egalitären Gesellschaft besiegelt.<br />

China öffnete sich mit Sonderwirtschaftszonen<br />

für ausländische Investitionen. Die<br />

ersten entstanden in Hainan und Shenzhen,<br />

später kam auch Schanghai hinzu. In den<br />

gigantischen Industrieparks probte China,<br />

was in den 90er-Jahren als „sozialistische<br />

Marktwirtschaft“ zur neuen Staats ideologie<br />

wurde. Günstige Standort bedingungen,<br />

schnelle Genehmigungsverfahren, billige<br />

Energie, gute Infrastruktur sowie ein Heer<br />

von willigen und billigen Arbeitskräften –<br />

so wurde China innerhalb nur weniger Jahre<br />

zur Werkbank der Welt.<br />

China hat in den vergangenen Jahren<br />

stets die meisten ausländischen Direktinvestitionen<br />

angezogen – zuletzt 74 Milliarden<br />

US-$. Die Entfesselung der Produktiv kräfte,<br />

von der einst Karl Marx geträumt hatte, fing<br />

aber vor allem mit einfachen Industrien an,<br />

etwa in der Textilindustrie. Denn für die<br />

Herstellung von Kleidung braucht man nicht<br />

viel Kapital, aber viele Hände. Und davon hat<br />

das 1,3-Milliarden-Volk jede Menge.<br />

Es folgten Schuhe, Spielzeug, Elektrogeräte,<br />

Handys, Computer. Heute kommt<br />

fast jedes Einwegfeuerzeug, jeder Reißverschluss<br />

und jeder Elektrobohrer aus chinesischen<br />

Fabriken, die meist im „Speckgürtel“<br />

an der Ostküste angesiedelt sind.<br />

Doch auch im armen Westen des Landes<br />

träumen immer noch Millionen von Landbewohnern<br />

vom bescheidenen Wohlstand,<br />

von einem Weg aus der Armut. Für sie ist<br />

der Job in einer der Fabriken im Süden und<br />

Osten oft der erste Schritt.<br />

In den kommenden 20 Jahren, so schätzen<br />

Experten, steht China erneut vor einer gewaltigen<br />

Völkerwanderung. Rund 300 Millionen<br />

Menschen werden vom Land in die neuen<br />

Städte drängen. Noch immer leben 800<br />

Millionen Chinesen auf dem Lande, hängt<br />

ihre wirtschaftliche Existenz von der Landwirtschaft<br />

ab. Doch die trägt nur noch zwölf<br />

Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.<br />

China steht damit noch immer vor einem<br />

gewaltigen Umbruch und vor gro ßen Aufgaben.<br />

Die kommunistische Regierung in<br />

Peking weiß dies und treibt darum die Politik<br />

der „gaige kaifang“ (Reform und Öff nung)<br />

auch gegen innerparteilichen Widerstand<br />

weiter voran. Denn die Indus tria li sierung<br />

und der damit wachsende Wohlstand von<br />

Millionen von Menschen ist für Chinas<br />

Führung der Garant für die Stabilität im<br />

Land – und damit auch Rechtfertigung für<br />

das Einparteiensystem.<br />

Denn die Hoffnung im Westen, dass der<br />

wirtschaftlichen Öffnung auch eine politische<br />

Öffnung folgt, wird bislang nicht<br />

erfüllt. Vor allem der Beitritt des Landes<br />

zur Welthandelsorganisation (WTO) Ende<br />

2001 wurde nicht nur als eine umfassende<br />

Verpflichtungserklärung Chinas zur Eingliederung<br />

in das Weltwirtschaftssystem<br />

>


farbiges Liuli-Glas; ausgelassene Stimmung bei der After-Work-Party<br />

EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

„Einige sollen zuerst<br />

reich werden“,<br />

sagte Deng Xiaoping<br />

Vor der Skyline fl anieren: Blick auf das Pudong-Viertel am Ufer des Huangpu mit Asiens höchstem Fernsehturm, dem Oriental Pearl Tower<br />

CHINA<br />

GESTALTEN<br />

9


10<br />

Unbegrenztes Wachstum: ein Dächermeer der Wohnhäuser im Stadtteil Pudong, Herstellung von Motoren für die boomende chinesische Autoindustrie,<br />

> gesehen, sondern auch als Zeichen für die bislang ebenso wenig wie ausreichende geschlagen werden“, sagt die Umwelt- und<br />

Öffnung des Landes.<br />

medizinische Vorsorge.<br />

Chinaexpertin Dr. Elizabeth Economy.<br />

Nach wie vor haben sich allerdings nicht Und durch die Ein-Kind-Politik sehen Das hat Peking durchaus erkannt. Die<br />

alle internationalen Erwartungen erfüllt, Experten selbst dann große Probleme auf Partei spitze setzt darum inzwischen nicht<br />

da eine Vielzahl von Wirtschaftsbereichen das Milliardenvolk zukommen, wenn sozia- mehr auf Wachstum um jeden Preis, sondern<br />

weiterhin unter starker politischer Konle Sicherungssysteme eingeführt werden. auf eine „nachhaltige Entwicklung“, also auf<br />

trolle steht. Und China wird noch immer Denn China wird alt, bevor es reich wird: umweltbewusstes Wachstum. Aus eigener<br />

von einer nicht demokratisch gewählten Schon in 30 Jahren dürften nicht mehr Kraft kann China das jedoch kaum schaffen.<br />

Partei – der KP China – regiert, oppositio- genug junge Chinesen da sein, um die ältere Für ein „gesundes“ Wachstum sind modernelle<br />

Parteien sind nicht erlaubt.<br />

Generation zu versorgen. Und die Schere ne Technologien nötig, die vor allem das<br />

UMWELTSCHÄDEN BERGEN<br />

POLITISCHEN SPRENGSTOFF<br />

zwischen Arm und Reich klafft immer weiter<br />

auseinander. Einige sind eben tatsächlich<br />

zuerst reich geworden, wie es Deng Xiao-<br />

Ausland – Europa, Amerika, Japan – zu bieten<br />

hat.<br />

Dabei bieten sich für deutsche Umwelt-<br />

China hat darum auch bislang nicht den ping einst vorgegeben hatte.<br />

und Energiekonzerne große Chancen, hat<br />

Status einer Marktwirtschaft bekom- Schon jetzt also hat das Wirtschafts- Bundesumweltminister MdB Sigmar Gabriel<br />

men, obwohl sich dies Peking ausdrücklich wunder China seinen Preis. Und Millio- bei seinem letzten China-Besuch betont.<br />

wünscht. Und trotz aller Fortschritte bergen nen müssen mit den Negativfolgen der Denn der Umweltschutz soll Chinas Wachs-<br />

die neuen Strukturen Chinas auch Risiken Wachstumspolitik leben, denn das rasante tum keineswegs bremsen. Präsident Hu Jintao<br />

für die wirtschaftliche, soziale und politische Wachstum hat Ressourcen und Umwelt hatte im vergangenen Oktober angekündigt,<br />

Entwicklung. Noch immer sind zum Beispiel aufgefressen. Die direkten und indirekten man wolle das Bruttoinlandsprodukt pro Ein-<br />

Chinas Banken unterkapi talisiert, sind die Folge kosten allein der Luft- und Wasserwohner bis zum Jahre 2020 vervierfachen.<br />

Finanzmärkte nur sehr begrenzt für auslänverschmutzung belaufen sich laut Weltbank Ein mutiges Ziel, denn mit einem durchdische<br />

Mitspieler geöffnet worden.<br />

auf rund sechs Prozent des Bruttoinlandsschnittlichen Pro-Kopf-Inlandsprodukt von<br />

Chinas Börsen gelten durch die Aktien produkts. Anders gesagt: Das Wirtschafts- nur gut 2.000 US-$ pro Jahr ist China auch<br />

der Staatsfirmen, die meist nur einen sehr wachstum zerstört bereits einen Teil der nach 30 Jahren Reform und Aufstieg noch<br />

kleinen Anteil ihres Kapitals handelbar Werte, die es schafft.<br />

immer das weltgrößte Entwicklungsland.<br />

gemacht haben, als völlig überbewertet Zudem bergen Umweltschäden poli- Doch wenn das Boot auf dem Huangpu in<br />

und zudem als untransparent. Viele Staatstischen Sprengstoff. Lokale Unruhen ent- Schanghai wieder am Bund anlegt und die<br />

unternehmen sind oft nicht konkurrenzzünden sich oft an der Wut über verseuchtes Pudong-Skyline mit ihren Tausenden von<br />

fähig, werden noch Millionen von Arbeit- Wasser oder vergiftete Böden. „Die Umwelt Lichtern zu glitzern beginnt, gibt es kaum<br />

nehmern entlassen müssen. Eine soziale wird die Arena sein, in der viele der ent- einen Zweifel mehr, dass China auch den<br />

Absicherung durch den Staat gibt es aber scheidenden Schlachten um Chinas Zukunft nächsten Wandel vollziehen wird. <<br />

FOTOS OBEN, VON LINKS: CAO ZICHEN SH/IMAGINECHINA, PICTURE-ALLIANCE/DPA, WEI XINAN/IMAGINECHINA


tonnenweise Textilien in einer Fabrik im Nordwesten Chinas<br />

FOTO: PICTURE-ALLIANCE/PDA<br />

Stand der Dinge<br />

Momentaufnahme einer Gesellschaft auf dem Sprung<br />

TEXT DR. TILMAN SPENGLER<br />

EINE SEHR BEEINDRUCKENDE<br />

Autobahn führt von der Provinzhauptstadt<br />

Chengdu in jenen Teil von Sichuan, in dem<br />

das Erdbeben besonders heftig wütete. Über<br />

der Fahrbahn hängen Transparente in leuchtend<br />

roten Farben, die in goldenen Schriftzeichen<br />

politische Losungen verkünden.<br />

Der ältere Besucher des Landes erinnert<br />

sich: Es sind Parolen aus der Zeit der Kulturrevolution,<br />

der radikal linken Periode, die<br />

den Maoismus als Ideologie bemühte…<br />

Auch die Kalligrafie ist die alte. Wie vor<br />

vier Jahrzehnten wird die Bevölkerung wieder<br />

aufgerufen, „sich nur auf sich selbst zu<br />

verlassen“, „sich machtvoll zusammenzuschließen“,<br />

„vom Volk zu lernen“. Bei näherem<br />

Hinsehen fallen diesem älteren Besucher<br />

des Landes zwei Neuerungen auf: Das<br />

Wort „Sozialismus“ kommt in den Losungen<br />

kaum noch vor. Und anders als zu Zeiten<br />

Maos sind in kleinerer Schrift auf den Parolen<br />

die Namen der Sponsoren jener Transparente<br />

vermerkt, die Namen von Banken,<br />

EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

Energieerzeugern, Handelskammern. Da<br />

haben die früheren Klassenfeinde vonei nander<br />

gelernt.<br />

Das Erdbeben und die Hilfsaktionen<br />

für die Opfer in den weit abgelegenen<br />

Teilen der Provinz haben den Blick der<br />

Öffentlichkeit auch auf ein gravieren<br />

des Problem der chinesischen Wirtschaftspolitik<br />

gelenkt, nämlich die ungleichzeitige<br />

Entwicklung von Stadt- und Landregionen.<br />

In der liberalisierten Wirtschaft hat sich<br />

daran nichts geändert. Nur heißt heute<br />

die Chiffre für „Land“ schlicht „Wanderarbeiter“.<br />

Ihre Zahl wird je nach Statistik<br />

auf 130 oder 170 Millionen bemessen,<br />

ihr Anspruch auf Daseins fürsorge ist zu<br />

vernachlässigen, und da sie eben „Wanderarbeiter“<br />

sind, findet man in den großen<br />

chinesischen Städten keine Slums.<br />

Diese großen chinesischen Städte, das<br />

trägt nicht unbedingt zur Lösung des Problems<br />

bei, müssen weiter wachsen, um im<br />

Wettbewerb bestehen zu können. In 15 Jahren<br />

rechnen Statistiker daher mit weiteren<br />

20 Megacitys, Städten von mehr als 10 Mil-<br />

CHINA<br />

Kein Wachstum um<br />

jeden Preis –<br />

Nachhaltigkeit ist<br />

gefragt<br />

GESTALTEN<br />

lionen Einwohnern. Das Wachsen der Städte<br />

lässt das Land weiter schrumpfen.<br />

Ein Staat, der keine sozialen Unruhen<br />

verträgt, muss ein Gefühl für Gemeinschaft<br />

stärken. Nationalismus heißt ein politisch<br />

hinlänglich erprobter Begriff. Nationalismus<br />

lebt von symbolischen Veranstaltungen, von<br />

der gemeinsamen Bewältigung schrecklicher<br />

Naturkatastrophen, wie eingangs<br />

geschildert, doch auch von Olympischen<br />

Spielen, Weltausstellungen und allem<br />

an deren Glitzerwerk internationaler Wertschätzung.<br />

Viele chinesische Intellektuelle<br />

haben bereits ein wenig Angst vor dem<br />

neuen, heftigen Nationalismus ihrer Landsleute.<br />

Wir sollten ihnen helfen.<br />

11<br />

Dr. Tilman Spengler ist<br />

Sinologe, Journalist<br />

und Schriftsteller und war<br />

seit 1980 Mitherausgeber<br />

der Zeitschrift „Kursbuch“.<br />

Seine bekanntesten<br />

Bücher sind „Lenins Hirn“,<br />

„Der Maler von Peking“<br />

und „Mallorca. Von<br />

schwarzen Schweinen<br />

und Madonnen“


MATCH auf einen Blick<br />

In der Verbundanlage sind sieben Anlagen integriert, sie produzieren<br />

Standardmonomere, Spezialmonomere und Polymere – in einem Wort:<br />

Hochleistungskunststoffe<br />

1 MTBE-Splitter<br />

MTBE: Das steht für Methyltertiärbutylether<br />

und ist als Anti-Klopfmittel im<br />

Benzin bekannt. Der Splitter spaltet aus<br />

MTBE, das aus China und Saudi-Arabien<br />

angeliefert wird, den für die MMA-<br />

Anlage notwendigen Rohstoff Isobuten.<br />

2+3 MMA<br />

Ab September 2009 liefert diese Anlage<br />

MMA und MAS, also Methylmethacrylat und<br />

Methacrylsäure. Einerseits im Markt für<br />

Farben und Lacke erforderlich, andererseits<br />

Vorprodukt für Hochleistungskunststoffe,<br />

wie sie die anderen Anlagen produzieren.<br />

5 PUMA<br />

Drei Anlagen in einem Gebäude: Die<br />

Spezialester gehen in verschiedene<br />

Anwendungen; sie sind auch nicht nur<br />

für den chinesischen Markt gedacht,<br />

sondern werden weltweit vermarktet.<br />

Sie dienen zur Imprägnierung von<br />

Metallen oder gehen in Dentalprodukte.<br />

Kühltürme<br />

Chemische Reaktionen werden über<br />

Tem peratur gesteuert. Das dazu nötige Wasser<br />

wird nach Erhitzen in einem geschlossenen<br />

Kreislauf in Kühltürmen abgekühlt und kann<br />

wieder eingesetzt werden.<br />

6 HERA<br />

HERA steht für Hydroxyester. Sie werden<br />

verwendet für Hochleistungsbeschichtungen,<br />

die dauerhaft kratzfest sind oder denen<br />

auch Lösungsmittel nichts anhaben dürfen<br />

und die witterungsstabil sein müssen,<br />

ohne Glanz einzubüßen. Auch als Haft vermittler<br />

für Metalloberfl ächen oder in<br />

Reaktionsharzen fi nden sie Verwendung.


4 BUMA<br />

Die Butyl-Methacrylate – eine klare Flüssigkeit –<br />

sind Basismaterial für Beschichtungen und<br />

Klebe mittel. Sie werden gebraucht in Kunstharzen<br />

oder Öl-Zusatzstoffen und beeinfl ussen<br />

in Tex tilien, Leder oder Papieroberfl ächen die<br />

Lichtempfi ndlichkeit.<br />

7 PMMA<br />

Überall dort, wo hohe Ansprüche<br />

an Brillanz, Transparenz und<br />

Witterungsbeständigkeit gestellt<br />

werden, kommt PMMA, also<br />

PLEXIGLAS, ins Spiel. Das wird<br />

hier hergestellt. Das Gra nulat<br />

sorgt dafür, dass TFT-Bildschirme<br />

gleichmäßig leuchten oder Auto -<br />

instrumente und Handylinsen perfekt<br />

lesbar sind.<br />

8 Thermoplaste<br />

Die Anlage, im gleichen Gebäude wie<br />

die PMMA-Anlage, produziert Kunststoffe,<br />

die sich bei bestimmten Temperaturen verformen<br />

lassen. Sie werden in Bindemitteln oder<br />

Zusatzstoffen verwendet, zum Beispiel für Öl.<br />

So funktioniert der Verbund<br />

MAS<br />

MMA<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

Methacrylsäure<br />

(MAS)<br />

Butyl-Methacrylat<br />

(BUMA)<br />

Spezialester<br />

(PUMA)<br />

Hydroxyester<br />

(HERA)<br />

PMMA<br />

(Formmassen)<br />

Thermoplastische Kunststoffe<br />

2<br />

MMA<br />

Verbrennungsanlage<br />

Hier werden brennbare Rückstände<br />

ökologisch verbrannt. Auf diese<br />

Weise lässt sich Dampf erzeugen und<br />

Energie zurückgewinnen.<br />

1<br />

MTBE-<br />

Splitter<br />

Isobuten<br />

MTBE<br />

M a r k t<br />

FOTOS: JAN SIEFKE; ILLUSTRATION: EVONIK INDUSTRIES<br />

FOTOS: SEAN YONG/REUTERS (O. L.), A1PIX/BIS (U. L.), EVONIK INDUSTRIES<br />

Im Fokus: der chinesische Markt<br />

Methylmethacrylat (MMA) und die darauf basierenden Spezialitäten gehen in Autolacke oder<br />

Schiffsanstriche, in Displays oder Computer-Monitore, in Autoarmaturen oder Signalleuchten; sie<br />

sind in Beschichtungen oder Dentalprodukten enthalten und machen die A-Säulen in Automobilen<br />

stabil. Die <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG liefert die Stoffe, die der wachstumsstarke chinesische<br />

Markt verlangt. Speziell bei MMA macht China bereits 60 Prozent des Weltmarktes aus. Und<br />

das weitere Wachstum ist ungebrochen: Marktanalysen sehen bei Produkten der Spezialchemie<br />

zweistellige Wachstumsraten voraus. Mitten in diesem Markt: die weltweit einzigartige<br />

Verbundanlage von <strong>Evonik</strong> in Schanghai mit einer Jahreskapazität von rund 100.000 Tonnen.<br />

Flüssigkristall -Handy-Display Leuchtdioden Golfball-Beschichtung<br />

Autobeschichtung<br />

Weiche Kontaktlinsen LCD-Bildschirm


12 GESTALTEN<br />

CHINA EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

FOTOS: HULTON ARCHIVE/GETTY IMAGES, EVONIK INDUSTRIES (3)<br />

1930<br />

Die Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt<br />

(ab 1980 Degussa AG) schickt<br />

den Leiter ihrer Abteilung Keramische<br />

Farben für mehrere Monate nach China.<br />

1933<br />

Degussa eröffnet ihr erstes<br />

Korrespondentenbüro in Schanghai.<br />

1935<br />

In Sianfu (heute Xi’an) wird eine Anlage<br />

zur Herstellung von absolutem Alkohol<br />

nach einem Hiag-Verfahren (Hiag =<br />

Holz verkohlungs-Industrie AG, 1931<br />

mit Degussa fusioniert) errichtet.<br />

1938<br />

Ein Zweigbüro der Schanghaier Niederlassung<br />

wird in Hongkong gegründet.<br />

1954<br />

Die Firma Jebsen & Co. (Hamburg), mit<br />

einer Niederlassung in Shanghai,<br />

übernimmt die Vertretung von Degussa-<br />

Produkten in China.<br />

1958<br />

Gründung der Hüls Far East Ltd. in<br />

Hongkong als Vertriebsgesellschaft der<br />

Chemischen Werke Hüls AG, Marl.<br />

Zu den anfänglichen Verkaufsprodukten<br />

Polyvinylchlorid (PVC) und Weichmacher<br />

kommen in den 1960er-Jahren<br />

Polystyrol für Imita tionskristallschalen und<br />

Poly äthylen für Kunststoffblumen<br />

und -früchte sowie für Spielzeug hinzu. In<br />

den 1970er-Jahren wird die Palette<br />

vor allem um Ameisensäure, Essigsäure,<br />

Isobutanol und Butylglykol erweitert.<br />

1969<br />

Die Degussa eröffnet unter dem<br />

Namen Degussa Far East Service Ltd.<br />

ein Büro in Hongkong, das der<br />

Förderung der Verkaufsbemühungen<br />

im Fernen Osten dienen soll.<br />

1974<br />

Gründung der Degussa China Ltd., Hongkong.<br />

Das Arbeitsgebiet umfasst den<br />

Vertrieb von Erzeugnissen und Handelsprodukten<br />

der Degussa in Hongkong,<br />

Macau und der Volksrepublik China.<br />

Seit über 70 Jahren<br />

im Geschäft mit China<br />

Schon 1930 starteten die Firmenvorläufer von<br />

<strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> ihre Geschäftstätigkeiten<br />

Die Nanking Road, Schanghai 1930. Die Straße war Sitz des ersten Firmenvorläufers in China.<br />

Die heutige Nanjing Road ist eine der längsten und beliebtesten Shopping-Meilen der Welt<br />

Muster für ein<br />

keramisches Abziehbild<br />

aus dem Degussa-<br />

Büro Hongkong, 1936<br />

Umschlag des Produkt-<br />

Kataloges für China, 1957<br />

Das Gebäude, in dem die<br />

Degussa Far East Service<br />

Ltd. in Hongkong ihren<br />

Sitz hatte, 1969. Von hier<br />

aus wurden Kontakte<br />

zum Fernen Osten aufgebaut.<br />

Heutiger Firmensitz<br />

ist der Manulife Tower<br />

in Hongkong


1983<br />

Die Degussa AG beteiligt sich zu<br />

62,5 Prozent an der 1979 gegründeten<br />

United Silica Industrial Ltd. in Taiwan.<br />

1985/1987<br />

Röhm GmbH liefert PLEXIGUM für<br />

Bautenfarben nach Hongkong, wenig<br />

später auch in die Volksrepublik China.<br />

1988<br />

Erster PLEXIGLAS-Auftrag für eine<br />

Lärmschutzwand an einer viel befahrenen<br />

Straße in Hongkong.<br />

1993<br />

Die Qingdao Carbon Black Company<br />

nimmt unweit von Tsingtau die damals<br />

größte und zugleich modernste Rußfabrik<br />

mit 30.000 Jahrestonnen in Betrieb. Die<br />

von chinesischen Ingenieuren erbaute<br />

und nach Degussa-Lizenz betriebene Anlage<br />

benötigt vom Vertragsabschluss bis<br />

zur Inbetriebnahme nur drei Jahre.<br />

2000<br />

Die Stockhausen GmbH & Co. KG,<br />

eine Tochtergesellschaft der Degussa AG,<br />

nimmt mit ihrem chinesischen<br />

Joint-Venture-Partner Tianlong eine<br />

Anlage zur Herstellung von Spezialchemikalien<br />

für die Wasserbehandlung<br />

und die Papierindustrie in Betrieb.<br />

2001<br />

Der Degussa-Geschäftsbereich Feinchemie<br />

und die Südchinesische Nanning<br />

Only Time Pharmaceuticals Co. Ltd.<br />

vereinbaren ein Joint Venture zur Produktion<br />

von Pharma-Aminosäuren.<br />

Erste Verkäufe von PLEXIGLAS als<br />

flächendeckendem Material in die Volksrepublik<br />

China.<br />

Grundsteinlegung im Industriepark<br />

Xinzhuang in Schanghai. Der<br />

Geschäfts bereich Oligomere & Silicone<br />

baut auf einer Fläche von rund<br />

20.000 Quadratmetern ein Servicezentrum<br />

mit Büros, Konferenzräumen,<br />

Labor kapazitäten, Lagerbereich und<br />

Produktions anlagen.<br />

2002<br />

Der Geschäftsbereich Coatings & Colorants<br />

eröffnet ein regionales technisches<br />

Service-Labor (Greater China Service<br />

Center) in Schanghai.<br />

Eröffnung der Degussa (China) Holding<br />

in Peking als Dachgesellschaft der<br />

15 Unternehmen des Konzerns in China.<br />

2004<br />

Degussa AG eröffnet in Schanghai ein<br />

Forschungs- und Entwicklungszentrum.<br />

Umsatz in China um 17 Prozent auf<br />

rund 280 Millionen € gesteigert. Der<br />

Konzern ist mit 17 Unternehmen<br />

vertreten.<br />

Im November 2004 nimmt die<br />

Degussa AG eine Anlage zur Herstellung<br />

der Pharma-Aminosäure L-Methionin in<br />

Nanning, Kreis Wuming (Region Guangxi<br />

Zhuang), in Betrieb.<br />

2005<br />

Mit Shandong Cathay Lineng Biotechnology<br />

Co. Ltd. Vertrag über die<br />

Gründung eines Joint Ventures zur<br />

Produktion von L-Lysin. Vereinbarung mit<br />

der Shanghai Petrochemical Academy<br />

(SPA) über eine Berufsfachschule. Vier<br />

Destillationsanlagen inklusive eines<br />

Gas-Chromatografen zur Qualitätskontrolle<br />

sowie ein moderner Pumpenstand<br />

mit fünf verschiedenen Pumpentypen<br />

sollen die Vermittlung praktischer<br />

Elemente an der Schule ermöglichen.<br />

Degussa AG und China Europe International<br />

Business School (CEIBS)<br />

arbeiten bei der Ausbildung von Management-Nachwuchs<br />

zusammen.<br />

Die RohMax Additives GmbH, eine<br />

Tochtergesellschaft der Degussa, eröffnet<br />

ein neues technisches Servicezentrum<br />

für Öladditive in China.<br />

Degussa AG und Rizhao Lanxing<br />

Chemical Industry Co. Ltd. (Provinz<br />

Shandong) unterzeichnen einen Vertrag<br />

zur Gründung eines Joint Ventures zur<br />

Herstellung von schwefelfunktionellen<br />

Silanen (Gummisilanen).<br />

2006<br />

Die Degussa AG und die Lynchem<br />

Co. Ltd. in Dalian (Provinz Liaoning) unterzeichnen<br />

einen Vertrag zur Gründung<br />

eines Joint Ventures. Ziel des neuen Unternehmens<br />

ist es, die Produk tionsbasis<br />

und damit die Flexibilität von Degussa<br />

und Lynchem in der Exklusivsynthese<br />

von Feinchemikalien zu vergrößern.<br />

2007<br />

Das Geschäftsgebiet Binders & Additives<br />

feiert die Eröffnung des neuen anwendungstechnischen<br />

Labors in Kanton.<br />

Am neuen Produktionsstandort Degussa<br />

Lanxing (Rizhao) wird die Chemical<br />

Industrial Co. Ltd. feierlich eingeweiht.<br />

Das neue Silanwerk liefert einen wichtigen<br />

Rohstoff für die Reifenindustrie.<br />

In Schanghai findet die Grundsteinlegung<br />

für die Polymerisations- und Com poundieranlage<br />

für Spezialpolyamide des<br />

Geschäfts bereichs High Performance<br />

Polymers statt. Durch die neue Produktionsanlage<br />

am Multi-User-Standort<br />

(MUSC) wird der Geschäftsbereich seine<br />

Kunden in China und der gesamten<br />

Region mit verschiedenen Spezialpolyamiden<br />

und Compounds beliefern,<br />

die auf regionalen Rohstoffen basieren.<br />

Die bisherige Degussa (China) Co.,<br />

Ltd. wird in <strong>Evonik</strong> Degussa (China) Co.,<br />

Ltd. umbenannt. Der neue chinesische<br />

Claim „Ying Chuang“ heißt übersetzt<br />

in etwa „gewinnt durch Erschaffung“.<br />

<strong>2008</strong><br />

Die <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG unterstützt<br />

die Konferenz Boao Forum for Asia <strong>2008</strong><br />

als Diamant-Sponsor. Die Veranstaltung<br />

und das Motto „Green Asia: Moving<br />

towards Win-Win through Changes“ bieten<br />

<strong>Evonik</strong> die Gelegenheit, Erfahrungen<br />

und Fachkompetenzen beizusteuern.<br />

<strong>Evonik</strong>-Vorstand Dr. Klaus Engel hebt in<br />

seiner Eröffnungsrede die strategische<br />

Ausrichtung von <strong>Evonik</strong> in Asien, und<br />

speziell in China, hervor.<br />

17


18 GESTALTEN<br />

CHINA EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

Großes MATCH in Schanghai<br />

Im Süden Schanghais errichtet <strong>Evonik</strong> mit dem Großprojekt MATCH eine einzigartige<br />

Verbundanlage, um den schnell wachsenden Chemie-Markt direkt zu bedienen<br />

TEXT CHRISTOPH PECK<br />

FOTOS JAN SIEFKE<br />

UNS IST AN DEM SCHORNSTEIN<br />

gar nichts aufgefallen. Ein 30 Meter hohes<br />

Edel stahl-Ungetüm mit einer vergitterten<br />

Leiter außen, einem Umgang in halber Höhe<br />

und einer weiteren Leiter bis zur Spitze. Neu,<br />

sauber, stabil: macht einen guten Eindruck.<br />

Dem Fachmann freilich treibt er die Haare zu<br />

Berge. Denn beide Leitern und das Durchstiegsloch<br />

des Umgangs sind in einer Linie<br />

angeordnet. Genau das darf aber nicht sein;<br />

niemand soll, falls er abrutscht, von ganz<br />

oben bis ganz unten fallen können. Deswegen<br />

müssen Leitern und Luke versetzt angebracht<br />

sein. „Sie waren auch versetzt auf den<br />

Plänen“, sagt Dr. Claas-Jürgen Klasen, „aber<br />

irgendjemand fand es wohl schöner, alles in<br />

einer Flucht anzuordnen.“<br />

Wir sind im Süden Schanghais, in Chinas<br />

größtem Chemiepark, wo die <strong>Evonik</strong><br />

<strong>Industries</strong> AG eine weltweit einzig artige<br />

Verbundanlage errichtet. MATCH heißt<br />

das Projekt, ausgeschrieben steht das<br />

für „Methacrylate China“, auf Englisch:<br />

„Methacrylates to China“. Dahinter verbirgt<br />

sich eine große Verbundanlage zur Herstellung<br />

von Methylmethacrylat (MMA),<br />

weiteren Methacrylatmonomeren und<br />

Polymethylmethacrylat (PMMA), einem<br />

leistungsfähigen Kunststoff. Klasen ist der<br />

Projektleiter. Der 48-jährige Verfahrenstechniker<br />

muss dafür sorgen, dass die<br />

Anlage pünktlich fertig wird, allen Anforderungen<br />

genügt und das Budget eingehalten<br />

wird. Keine leichte Aufgabe, wie uns<br />

bald klar wird.<br />

Dass der Schornstein neue Leitern<br />

braucht, ist gewiss keine große Sache. Aber<br />

doch ein Beispiel dafür, was alles passieren<br />

kann, wenn ein deutsches Unternehmen in<br />

China mit Chinesen eine chinesische Chemieanlage<br />

baut. Auch im Reich der Mitte steckt<br />

der Teufel im Detail, und eine Chemieanlage,<br />

die auf eine Jahresproduk tion von 100.000<br />

Tonnen MMA ausgelegt ist, besteht aus Tausenden<br />

und Abertausenden von Details. Ein<br />

bisschen Statistik gefällig? MATCH besteht<br />

aus zehn Reaktoren, 32 Kolonnen, mehr als<br />

250 Pumpen, 120 Kesseln, mehr als 100<br />

Kilometern Rohren, 10.000 Ventilen und<br />

mehr als 77.000 Stutzen oder Flanschen.<br />

Das und etliches mehr verdichtet sich zu<br />

2.600 Bestellungen bei 225 Zulieferern.<br />

Aus 25 Unternehmen in ganz China kommt<br />

Equipment für MATCH – alles muss die<br />

hohen Anforderungen von <strong>Evonik</strong> erfüllen.<br />

Denn nur dann lassen sich die qualitativ<br />

hoch wertigen Produkte herstellen, die der<br />

Markt verlangt und in denen die Wachstumschancen<br />

von <strong>Evonik</strong> liegen.<br />

Was genau aber ist der Markt? MMA,<br />

Methacrylsäure (MAS), Hydroxyester und<br />

Butyl meth acrylat (BMA) werden hauptsächlich<br />

bei der Produktion von Kunststoffen,<br />

Farben und Lacken genutzt. Weitere<br />

Spezialmeth acrylate finden Anwendung<br />

bei der Herstellung von Klebstoffen, Hilfsmitteln<br />

für die Papier- und Gummi-Industrie<br />

und die Abwasseraufbereitung. Für<br />

PMMA-Formmassen, die unter der Marke<br />

PLEXIGLAS vermarktet werden, ist<br />

MMA der Basisrohstoff. Formmassen aus<br />

PLEXIGLAS sind wegen ihrer hohen Transparenz,<br />

Witterungs beständigkeit und Oberflächenhärte<br />

weltweit im Automobilbau und<br />

Verkehrswesen gefragt, in Optik und Kommunikation,<br />

in der Bau- und der Leuchtenindustrie.<br />

DIE SPEZIALCHEMIE WÄCHST<br />

BIS 2011 UM 50 PROZENT<br />

Dieser Markt brummt. Speziell in China.<br />

Die Zahlen mögen schwanken, aber im<br />

Prinzip sind die Experten sich einig: Der<br />

Chemie markt wird noch stärker zulegen<br />

als das allgemeine und mit durchschnittlich<br />

neun Prozent beachtliche wirtschaftliche<br />

Wachstum Chinas. 2004 betrug der Weltmarktanteil<br />

Chinas an der Chemie 13 Prozent,<br />

bis 2015 wird er auf 22 Prozent wachsen.<br />

Chinesische Unternehmen haben ihre<br />

Stärken in der Produktion von sogenannten<br />

Commodities, also beispielsweise Massenkunststoffen.<br />

Die Spezialchemie wird sich >


Das Team der PMMA-Anlage (v.l.): Sun Yanfei, Yonghui Zhu, Marlin Anderson, Gexiao Sun, Claudius Wege, Kim Gu<br />

19


20<br />

><br />

Stets die Übersicht bewahren: Projektleiter Dr. Claas-Jürgen Klasen. Ingo Sander, Leiter im Bereich Spezialmonomere (Mitte) mit Projektmanagern und Teamleitern.<br />

bis 2011 um 50 Prozent steigern, das bedeutet<br />

zweistellige Wachstumsraten. Hier liegen<br />

die Chancen für Unternehmen wie<br />

<strong>Evonik</strong>.<br />

Die Idee, mit einer Verbundanlage, die<br />

Mono mere und Polymere an einem Ort herstellt,<br />

nach China zu gehen, datiert einige<br />

Jahre zurück. Damit, so die Überlegung,<br />

ließe sich die Kapazität weltweit steigern<br />

und außerdem ein wichtiger Markt besetzen.<br />

Mehr und mehr zeigte sich, dass es<br />

nicht ge nügt, Produkte in den boomenden<br />

Chemie markt Chinas zu liefern, man muss<br />

auch vorort präsent sein. Mit MATCH und<br />

weiteren vorhandenen und geplanten<br />

Anlagen entwickelt sich <strong>Evonik</strong> und sein<br />

Geschäfts bereich Performance Polymers<br />

in China zum größten Anbieter von Spezialpolymeren<br />

und Spezialmonomeren.<br />

Die Zahlen von <strong>Evonik</strong> in der Greater<br />

China Region (also inklusive Hongkong und<br />

Taiwan) kennen nur eine Richtung: steil nach<br />

oben. 1.400 Mitarbeiter in 20 Tochtergesellschaften<br />

erwirtschafteten 2004 einen Umsatz<br />

von 300 Millionen €. Zwei Jahre später waren<br />

es 460 Millionen. Und im Geschäftsjahr 2007<br />

machte <strong>Evonik</strong> in Greater China mit inzwischen<br />

4.200 Mitarbeitern einen Umsatz von<br />

754 Millionen – eine Steigerung von 28 Prozent.<br />

Für 2009 liegt die Latte bei rund 1 Milliarde<br />

€. Nicht allein mit und durch MATCH<br />

soll dies erreicht werden.<br />

Um das ambitionierte Ziel zu erreichen, wurde<br />

eine bereichsübergreifende Gesellschaft<br />

geschaffen, die <strong>Evonik</strong> nach außen vertritt,<br />

geeignetes Personal entwickelt und den Markt<br />

nach neuen Wachstumsfeldern absucht.<br />

Dr. Dahai Yu, Regional President für <strong>Evonik</strong> in<br />

der Greater China Region, sucht systematisch<br />

mit seinen Leuten nach Wachstums optionen.<br />

Eine ganz wichtige Einrichtung dafür ist das<br />

Forschungs- und Entwicklungszentrum in<br />

Xinzhuang, für das <strong>Evonik</strong> insgesamt 20 Millionen<br />

€ aufgewendet hat. Fast alle Geschäftsbereiche<br />

haben sich hier niedergelassen, um<br />

ihre Produkte chinesischen Erfordernissen<br />

INFOGRAFIK: DR. DIETER DUNEKA/PICFOUR<br />

Hongqiao<br />

Airport<br />

Stadtgebiet<br />

SCIP<br />

Schanghai<br />

Pudong<br />

Airport<br />

Tiefsee-Hafen<br />

Shanghai International<br />

anzupassen, Marketing am Ort zu betreiben<br />

und technische Dienstleistungen anzubieten.<br />

Gerade mal drei Jahre nach Eröffnung<br />

platzte das Zentrum aus allen Nähten,<br />

es musste ein Neubau mit rund 25.000 Quadratmetern<br />

Büro- und Laborfläche hochgezogen<br />

werden. So entwickelt sich das Zentrum<br />

mehr und mehr zum „R&D-Hub“, zu einer<br />

Nabe für Forschungs- und Dienstleistungen,<br />

deren Speichen nach ganz China und darüber<br />

hi naus reichen. Und die natürlich auch für das<br />

MATCH-Projekt hilfreich ist.<br />

Das Dickschiff in der China-Flotte von<br />

<strong>Evonik</strong> hat eine relativ kurze Geschich-<br />

CHINA<br />

Der Shanghai Chemical Industry<br />

Park (SCIP) südlich des Stadtgebiets<br />

zieht Chemieunternehmen aus<br />

aller Welt an – nicht zuletzt wegen<br />

seiner günstigen Lage zum Tiefseehafen<br />

und den beiden Flughäfen<br />

Schanghais. Auch <strong>Evonik</strong> betreibt<br />

dort eine Multi-User-Site. Größter<br />

User: die MATCH-Verbundanlage


te. Im Dezember 2005 begannen die<br />

Planungs arbeiten für MATCH, ein Jahr später<br />

beschloss der Vorstand, 250 Millionen €<br />

zu investieren – die zweitgrößte Investition<br />

im Geschäftsfeld Chemie, nur eine Methionin-Anlage<br />

in Antwerpen (Belgien) hat mehr<br />

gekostet. Im März 2007 kam die Erlaubnis aus<br />

der Hauptstadt Peking, im September fand<br />

der erste Spatenstich statt. Und so sehen die<br />

weiteren Meilensteine auf dem Zeitstrahl<br />

aus: Juli <strong>2008</strong> Richtfest, viertes Quartal<br />

<strong>2008</strong> Produktionsbeginn der ersten Phase;<br />

September 2009 Produktions beginn der<br />

gesamten Anlage.<br />

KEINE CHEMIEANLAGE<br />

VON DER STANGE<br />

Was sich liest wie der Fahrplan eines 100mal<br />

erprobten Anlagenbaus, hat es in sich.<br />

Dass es keine Chemieanlage von der Stange<br />

gibt, ist bekannt. Aber bei MATCH kommt<br />

einiges mehr zusammen. Da ist zunächst einmal<br />

der Verbund. MATCH besteht eigentlich<br />

aus sieben verschiedenen, aber eng verzahnten<br />

Anlagen, zusammengefasst in drei<br />

Produktionsgruppen: Standard monomere,<br />

Spezialmonomere und Polymere. Die beiden<br />

letzten brauchen MMA als Ausgangsprodukt.<br />

„Wir werden die Spezialmonomer anlage<br />

ab Ende <strong>2008</strong> in Betrieb nehmen“, erläutert<br />

Wilfried Schmidt, der Leiter der Produk-<br />

EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

Wilfried Schmidt, künftig für die Produktion der gesamten Anlage verantwortlich<br />

tion. „Die große MMA-Anlage folgt im dritten<br />

Quartal 2009.“ Der Vorzug ist, dass sie<br />

mit den kleineren Anlagen schon mal Erfahrung<br />

gewinnen können. Ob bei Schmidt<br />

oder Ingo Sander, dem künftigen Betriebsleiter<br />

im Bereich Spezial monomere, oder<br />

Marlin Anderson, dem Chef der Polymer-<br />

Anlage: Bei allen ist Spannung zu spüren.<br />

Nicht, dass die Anlage nicht funktionieren<br />

würde, aber es sind doch viele Herausforderungen<br />

zu meistern. Klasen zählt auf: „Wir<br />

haben den Verbund selbst und einen im Aufbau<br />

befindlichen Produktionsstandort mit<br />

vielen neuen Serviceleistungen und neuen<br />

Mitarbeitern. Wir haben uns hier für einen<br />

für <strong>Evonik</strong> neuen Prozess der Herstellung<br />

von MMA entschieden, der in dieser Größenordnung<br />

bisher nicht realisiert wurde.<br />

Und dann kommt noch der China-<br />

Faktor hinzu. Der erstreckt sich einmal<br />

auf das eingesetzte Material, zum anderen<br />

auf die Menschen in der Anlage. Ein Team<br />

von elf Experten ist ständig im Land unterwegs,<br />

um bei den Zulieferern Qualitätskontrollen<br />

zu machen, damit Pannen wie<br />

beim Schornstein die Ausnahme bleiben.<br />

Klasens Assistentin Maggie Lu hat zusammengezählt,<br />

wie viele Stunden das Engineering-Team<br />

in China unterwegs war und<br />

ist auf stolze 25.000 gekommen. Allerdings<br />

waren 11.000 davon Wartezeiten, weil Termine<br />

platzten oder Flugzeuge nicht gingen,<br />

CHINA<br />

Das Dickschiff der<br />

China-Flotte legt ab<br />

GESTALTEN<br />

Papiere nicht da waren oder man schlicht<br />

und einfach mal wieder anderthalb Stunden<br />

warten musste, um überhaupt in den<br />

Chemiepark einge lassen zu werden – dank<br />

besonderer Sorgfalt wegen der Olympischen<br />

Spiele.<br />

Doch der menschliche Faktor ist Klasen<br />

wichtiger: „Letztlich ist es doch ‚people<br />

business‘“ . Und das trägt Namen wie<br />

Wenxing Zhang, Tao Pei, Yingming Yuan<br />

oder Kim Gu und Sun Yanfei. Sie sind Production<br />

Manager, Teamleiter oder für die<br />

Labors in den Anlagen zuständig, und aus<br />

ihren Rängen werden schon in wenigen<br />

Jahren die Anlagenchefs kommen. Leiter,<br />

Production Manager, Teamführer, Operator<br />

– so ist die Hierarchie in der Anlage.<br />

Schon jetzt beschäftigt die Anlagenchefs,<br />

wie sie künftig die Mitarbeiter halten sollen.<br />

„Mit der Ausbildung, die sie bei uns bekommen“,<br />

sagt Sander, „verdoppeln sie ihren<br />

Marktwert schlagartig. Und wir haben hier<br />

einen solchen Boom, dass gute Leute händeringend<br />

gesucht werden.“<br />

Viele kommen von der Shanghai Petrochemical<br />

Academy (SPA), einer Art Berufsschule,<br />

die auch von <strong>Evonik</strong> unterstützt<br />

wird. Sie haben in anderen Anlagen in China,<br />

im Forschungszentrum Xinzhuang oder<br />

in Deutschland gelernt. So war zum Beispiel<br />

das komplette MMA-Team während<br />

unseres Besuches gerade in Deutschland. ><br />

21


22 GESTALTEN<br />

CHINA EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

><br />

Trockenübungen<br />

und Trainingseinheiten<br />

vor der Stunde X<br />

„Hiervon versprechen wir uns eine reibungslose<br />

Übertragung der Sicherheitsphilosophie<br />

auf die neue Anlage“, sagt<br />

Dr. Horst Hiltner, Betriebsleiter der MMA-<br />

Anlage. Auch Andersons Truppe trainierte<br />

monatelang in Worms und Darmstadt. 22<br />

Absolventen der SPA und zehn erfahrene<br />

Operators sollen vom vierten Quartal an<br />

die PMMA-Anlage fahren, rund um die Uhr,<br />

sieben Tage in der Woche – wie alle anderen<br />

Anlagen auch.<br />

Noch sind Trockenübungen angesagt<br />

oder Trainingseinheiten auf Computern,<br />

welche die noch nicht fertiggestellte<br />

Produktions anlage realitätsnah simulieren.<br />

Aber im Herbst wird es ernst. Dann ist<br />

der Bau der PMMA-Anlage abgeschlossen,<br />

dann kann die Wartezeit, bis die Genehmigung<br />

eingeht, für die Wasserspiele genutzt<br />

werden. Das heißt, die Anlage wird erst einmal<br />

mit Wasser befüllt und getestet. Und<br />

gegen Ende des Jahres ist es so weit: Die<br />

So kam es zu MATCH<br />

Das Großprojekt von <strong>Evonik</strong> in China: eine kleine Chronik<br />

Dez. 2005<br />

Auswahl des<br />

Produktionsverfahrens<br />

(C4) und<br />

Beginn der<br />

Planungen<br />

Jan. 2006<br />

Vertragsunterzeichnung<br />

mit dem<br />

Lizenzgeber<br />

zur Erlangung<br />

der C4-Lizenz<br />

Jan. 2006<br />

Freigabe des<br />

Projekts durch<br />

Degussa/RAG<br />

(heute: <strong>Evonik</strong>)<br />

Anlage wird den Betrieb aufnehmen. Und<br />

ein kleines Granulat produzieren, das Licht<br />

gleich mäßig in TFT-Bildschirmen verteilt,<br />

Rücklichter an den Autos leuchten oder<br />

Handy-Displays in brillantem Glanz erstrahlen<br />

lässt.<br />

PRÄCHTIGE STIMMUNG,<br />

SPÜRBARE SPANNUNG<br />

Dann ist Sander mit seinen Anlagen für<br />

Spezialmonomere schon einen Monat lang<br />

„online“. Wie hatte Schmidt gesagt? „Wir<br />

fan gen mit der Anlage an, die wir am besten<br />

kennen.“ Wie, wollen wir von Sander<br />

wissen, definiert er den Erfolg seines<br />

Werkes? „Erstens: Die Anlage ist pünktlich<br />

und im Etat fertig. Zweitens: Das Produkt<br />

entspricht der Spezifikation. Drittens: Die<br />

Anlage erreicht das Ziel-EBIT; und schließlich<br />

viertens: Alle arbeiten gern in der Anlage.“<br />

Wenn nicht alles täuscht, haben er und<br />

Anderson den vierten Punkt schon erreicht.<br />

März 2007<br />

Freigabe des<br />

Projekts durch<br />

die zuständige<br />

chinesische<br />

Behörde in<br />

Peking<br />

Mai 2007<br />

Beginn der<br />

detaillierten<br />

Planung<br />

mit einem<br />

Planungsbüro<br />

in Peking<br />

Juni 2007<br />

Unterzeichnung<br />

des Flächennutzungsvertrags<br />

(in China<br />

kann man kein<br />

Land kaufen)<br />

Die Stimmung in den Teams ist prächtig. Sie<br />

sind sich ihrer selbst gewiss, wissen, dass sie<br />

gut ausgebildet sind, dass sie in den Trainings<br />

oder in langen Jahren in Joint Ventures<br />

oder im Forschungszentrum das Rüstzeug<br />

für ihre Arbeit mitbekommen haben. Sowieso<br />

sind alle – Chinesen oder Expats – stolz da -<br />

rauf, an diesem Projekt mitzumachen. Dass<br />

sich das gut im Lebenslauf machen wird, ist<br />

fast nebensächlich. „Solch eine Chance“,<br />

sagt Schmidt, „bekommt man einmal im<br />

Leben.“<br />

So eint sie alle die Gewissheit: „We will<br />

match it“, wir werden es schaffen. Das hat<br />

ihnen Klasen immer wieder eingebläut, und<br />

das wird er auch noch bis zum Herbst 2009<br />

tun. Und dann, im Dezember 2009, wird<br />

er mit dem ganzen Projektteam seinen 50.<br />

Geburtstag feiern. „Aber in Deutschland“,<br />

sagt er mit hörbarem Ausrufezeichen. Denn<br />

dann ist MATCH ganz wahr geworden:<br />

Methacrylates to China. <<br />

Sept. 2007<br />

Erster Spatenstich<br />

und<br />

Baubeginn<br />

Okt. <strong>2008</strong><br />

Beginn der<br />

Produktion,<br />

Phase eins:<br />

PMMA, Tanklager<br />

und Spezialmonomere<br />

Sept. 2009<br />

Beginn der<br />

Produktion,<br />

Phase zwei :<br />

Standard monomere<br />

(MMA<br />

und MAA)


Geschäftiges Treiben wenige Monate vor Produktionsbeginn: In der Hochphase des Baus arbeiten 2.600 Menschen an der Anlage<br />

23


24 INFORMIEREN<br />

EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

INFOGRAFIKEN: REDAKTION 4<br />

Wirtschaft<br />

Immer mehr Insolvenzen<br />

Starker Anstieg bei Privathaushalten – Besserung bei Unternehmen<br />

Gesamt<br />

Unternehmen<br />

QUELLE: STATISTISCHES BUNDESAMT QUELLE: STATISTISCHES BUNDESAMT<br />

Das weltweite<br />

Netz: Internet<br />

Etwas mehr als ein Fünftel der Weltbevölkerung, 1,4<br />

Milliarden Menschen, nutzt das Internet. Die wichtigsten<br />

Sprachen sind Englisch (428 Millionen User),<br />

Chinesisch (233 Millionen) und Spanisch (122 Millionen).<br />

64 Millionen User sprechen deutsch und bilden<br />

nach Japanern und Franzosen die sechstgrößte Gruppe.<br />

Im Weltmaßstab wuchs die Internet-Community in<br />

den vergangenen acht Jahren um rund 300 Prozent<br />

Fast<br />

5.000.000<br />

Ermittlungsverfahren haben die Staatsanwaltschaften<br />

der Landgerichte in Deutschland 2006<br />

erledigt: 4.877.000. Von diesen Verfahren führten<br />

1,19 Millionen entweder zur Anklage oder zu<br />

einem Antrag auf Strafbefehl.


Versicherungen<br />

Milliarden-Markt Gesundheit<br />

Gesetzliche<br />

Krankenversicherung<br />

139,7<br />

Öffentliche<br />

Haushalte<br />

13,4<br />

Private Haus halte<br />

33,3<br />

Arbeitgeber<br />

10,4<br />

QUELLE: INTERNET WORLD STATS<br />

Gesamt<br />

245,0<br />

Pflegeversicherung<br />

18,1<br />

Gesetzliche<br />

Rentenversicherung<br />

3,5<br />

Gesetzliche<br />

Unfall versicherung<br />

4,1<br />

Private<br />

Kranken versicherung<br />

22,5<br />

245 Milliarden €<br />

geben die Deut schen<br />

für ihr Gesundheitswesen<br />

aus.<br />

Der Löwen anteil<br />

der Kosten wird von<br />

der g esetzlichen<br />

Krankenversicherung<br />

getragen. Die<br />

privaten Kassen<br />

zahlen rund 23<br />

Milliarden €.<br />

Dieselpreis<br />

Steil nach oben<br />

Verbraucherpreisindex für den Treibstoff spiegelt Verteuerung wider<br />

QUELLE: STAT. BUNDESAMT QUELLE: STATISTISCHES BUNDESAMT 2005 =100<br />

Bevölkerungsanteil, der<br />

das Internet nutzen kann:<br />

81–90 %<br />

71–80 %<br />

61–70 %<br />

51–60 %<br />

41–50 %<br />

31–40 %<br />

21–30 %<br />

11–20 %<br />

6–10 %<br />

0–5 %<br />

25<br />

Welten liegen zwischen<br />

den Möglichkeiten<br />

zur Internetnutzung<br />

in den Industrie ländern<br />

und den Entwicklungsländern.<br />

Stand:<br />

31. Dezember 2007.


26<br />

Steve Koltes<br />

kennt den<br />

deutschen Markt<br />

und seine<br />

Befi ndlichkeiten


Das Geheimnis des Erfolgs<br />

Wer ist Steve Koltes, der Mitbegründer des neuen <strong>Evonik</strong>-Anteilseigners<br />

CVC Capital Partners? So viel steht fest: Er hat Vertrauen in die Perspektiven<br />

von <strong>Evonik</strong> und die Strategie des Unternehmens<br />

TEXT CHRISTOPH PECK, TOM RADEMACHER<br />

FOTOS KARSTEN BOOTMANN<br />

STEVE KOLTES ist ein ruhiger, fast<br />

bedächtiger Mann, der seine Worte wohl zu<br />

wägen weiß. Umso mehr haben sie Gewicht:<br />

„<strong>Evonik</strong> ist ein fantastisches Unternehmen<br />

mit hervorragenden Perspektiven“ – ein<br />

Satz wie dieser sitzt. Der 52-jährige Amerikaner,<br />

Managing Partner und Mitbegründer<br />

des Private-Equity-Unternehmens<br />

CVC Capital Partners, ist so etwas wie der<br />

Musterknabe unter den Finanzinvestoren.<br />

Das hat einerseits mit dem Gebaren seiner<br />

Firma zu tun, die sich in den vergangenen<br />

Jahren erfolgreich gegen den Ruf einer<br />

„Heuschrecke“ verwahren konnte. Andererseits<br />

– und wohl nicht zuletzt – hat es<br />

auch mit ihm selbst zu tun. Selbst in den<br />

hitzigsten Debatten um die Rolle der Finanzinvestoren<br />

in Deutschland genoss der langjährige<br />

Deutschlandchef von CVC in den<br />

Medien den Ruf des Ausnahme-Investors,<br />

des „umgänglichen Sympathieträgers“, wie<br />

etwa das „Handelsblatt“ schrieb.<br />

Kein Wunder, denn sein Motto lautet:<br />

„Wir haben die Verantwortung, auf unseren<br />

Ruf zu achten, damit unser Geschäft für<br />

die Öffentlichkeit verständlich wird und<br />

wir es auch in Zukunft erfolgreich betreiben<br />

können.“ Im persönlichen Kontakt gilt<br />

der begeisterte Hobby-Sportler als freund-<br />

EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

lich und offen. Den deutschen Markt kennt<br />

und liebt er. „Deutschland war immer das<br />

Traumland“, schwärmte er, als CVC im<br />

Herbst 2006 sein 20-jähriges Deutschland-<br />

Jubiläum feierte. Auch persönlich ist Koltes<br />

dem Standort D seit Langem verbunden.<br />

In Philadelphia (Pennsylvania, USA) geboren<br />

und aufgewachsen, sammelte er bereits<br />

im Alter von 16 Jahren erste prägende Eindrücke<br />

– als Austauschschüler in Braunschweig.<br />

„Eine tolle Erfahrung“, wie er<br />

heute gerne erzählt. „Ich habe damals ein<br />

Jahr nur deutsch gesprochen.“<br />

EIN JAHR ALS SCHREINER<br />

IN PARIS<br />

Die Begeisterung für Deutschland ist geblieben.<br />

Koltes weiß, wie man sich in der deutschen<br />

Wirtschaft Freunde macht. Dazu<br />

gehört neben dem Charme auch eine Por tion<br />

Bescheidenheit. Die bringt der Amerikaner<br />

mit, der nach dem Studienabschluss am<br />

Middlebury College in Vermont und den Universitäten<br />

in Paris (Frankreich) und Mainz<br />

ein Jahr als Schreiner arbeitete. Ein Wohnsitz<br />

in Zürich (Schweiz) mit seiner Schweizer<br />

Frau und zwei Kindern und ein Feriendomizil<br />

in Südfrankreich sind wahrhaftig<br />

keine Extravaganzen für einen Dompteur<br />

des ganz großen Geldes.<br />

Koltes kennt das harte Geschäft. „Die<br />

Branche hat sich rasend entwickelt, und ich<br />

INVESTOR<br />

BEWEGEN<br />

bin eine Art Dinosaurier aus diesen alten<br />

Zeiten“, sagt er selbst. Mit den alten Zeiten<br />

sind seine Anfänge bei CVC 1987 gemeint.<br />

Damals standen die Buchstaben CVC noch<br />

für Citigroup Venture Capital, und Koltes<br />

wechselte vom Banken sektor der Citigroup<br />

nach London (Großbritannien) ins Beteiligungsgeschäft.<br />

CVC war erst im Vorjahr<br />

in den deutschen Markt eingetreten, und<br />

Koltes half, das Frankfurter Büro aufzubauen.<br />

Dann übernahmen 1993 acht der führenden<br />

Manager das Geschäft und gründeten<br />

CVC Capital Partners als unabhängiges<br />

Unternehmen. Vier der Gründungs partner,<br />

darunter Koltes, sind heute noch dabei.<br />

Seither hat sich viel verändert. „Alles über<br />

1 Million £ war 1987 ein großes Investment“,<br />

erinnert sich Koltes. Mittlerweile<br />

halten sich die Investmentprofis bei CVC<br />

erst gar nicht auf mit Unternehmen, die<br />

weniger als 1 Milliarde € Umsatz machen.<br />

Rund 27 Milliarden € beträgt das Fondsvolumen<br />

insgesamt.<br />

CVC managt derzeit Fonds im Namen<br />

von 250 Investoren aus Nordamerika (gut<br />

50 Prozent), Europa (knapp 30 Prozent),<br />

Asien und dem Nahen Osten. Darunter sind<br />

etliche führende Pensionsfonds, andere institutionelle<br />

Anleger sowie wiederum Fonds.<br />

Sie alle sind an langfristigen Investments<br />

interessiert. Was sich auch daran zeigt,<br />

dass sie ihr Geld durchschnittlich mehr als ><br />

27


28<br />

><br />

zehn Jahre bei CVC investieren, einige sind<br />

sogar seit den frühen 90er-Jahren dabei.<br />

Dafür erwarten sie außergewöhnlich gute<br />

Renditen.<br />

Das Portfolio von CVC reicht vom<br />

Abfallmanagement in den Niederlanden<br />

über Einzelhandelsriesen in England und<br />

die dänische Post bis hin zum Management<br />

der Formel Eins – CVC ist überall<br />

dabei. Eine der bekanntesten und gleichzeitig<br />

langlebigsten Beteiligungen im deutschen<br />

Markt war die Übernahme des Mobiltoi<br />

letten-Anbieters Dixi 1995 für damals<br />

umgerechnet 50 Millionen €. Ein Jahr<br />

später kaufte CVC den größten Wettbewerber<br />

Toi Toi, erweiterte die Angebotspalette,<br />

verschmolz die beiden unter dem<br />

Namen Adco zum Weltmarktführer und<br />

verkaufte seinen Anteil im Spätsommer<br />

2007 wieder – zurück an die ursprüngliche<br />

Unternehmerfamilie von Dixi. Kaufpreis:<br />

kein Kommentar.<br />

„Das Geheimnis unseres Erfolgs ist die<br />

langjährige Erfahrung. In unserer Branche<br />

kann man nicht einfach zwei oder<br />

drei Universitäts abgänger einstellen und<br />

von ihnen eine gute Leistung erwarten.<br />

CVC ist seit über 20 Jahren im Private-<br />

Equity -Geschäft. Unsere führenden<br />

Investment fachleute vereinigen über 400<br />

Jahre Branchen erfahrung.“ Davon soll das<br />

Management in den Portfolio unternehmen<br />

Gemeinsame Zukunft:<br />

Dr. Werner Müller<br />

von <strong>Evonik</strong>, Wilhelm<br />

Bonse-Geuking<br />

von der RAG-Stiftung und<br />

CVC-Chef Steve Koltes<br />

profitieren. Bloßes Dividenden einstreichen<br />

ist CVCs Sache nicht.<br />

DER INVESTOR ALS<br />

SPARRINGSPARTNER<br />

Zum Selbstverständnis gehört vielmehr,<br />

„dass wir eine Zeitlang gute, vielleicht<br />

sogar die besten Eigentümer sind und uns<br />

dann wieder geräuschlos zurück ziehen.<br />

Während dieser Zeit ist das Verhältnis<br />

zwischen Unternehmen und Private<br />

Equity sehr eng: hier das Management,<br />

das die Verantwortung für das Geschäft<br />

trägt. Da der Investor, der das Management<br />

quasi als Sparringspartner begleitet.<br />

Dieses Geschäftsmodell ist fundamental<br />

gesund.“ Das hat – abgesehen vom<br />

Kaufpreis – auch im Bieterverfahren für<br />

die <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG den Ausschlag für<br />

CVC gegeben: Der Investor erhält 25,01<br />

Prozent der Anteile von <strong>Evonik</strong> und überweist<br />

dafür der Eigentümerin, der RAG-<br />

Stiftung, 2,4 Milliarden €. Wichtiger aber<br />

noch als der Kaufpreis: CVC und das <strong>Evonik</strong>-<br />

Management waren sich schnell einig über<br />

die strategischen Ziele. Dr. Werner Müller,<br />

Vorstandsvorsitzender von <strong>Evonik</strong>: „Wir<br />

haben einen vielversprechenden Partner<br />

für das Unternehmen gefunden, der<br />

Vertrauen in die Perspektiven von <strong>Evonik</strong><br />

hat und die Strategie des Unternehmens<br />

versteht und unterstützen will. Und des-<br />

halb sage ich wirklich mit Überzeugung:<br />

Die Interessengleichheit zwischen Stiftung<br />

und CVC ist eine sehr gute Basis für<br />

gesundes Wachstum von <strong>Evonik</strong>.“ Da hat<br />

sich <strong>Evonik</strong> ehrgeizige, aber, wie Koltes<br />

sagt, „absolut realistische“ Ziele gesetzt:<br />

Im Juni <strong>2008</strong> ist das Wachstums- und<br />

Leistungsprogramm „Wert x2“ aufgelegt<br />

worden, das den Unternehmenswert von<br />

<strong>Evonik</strong> in fünf Jahren verdoppeln soll.<br />

Was kann CVC dazu beitragen? „Eine<br />

breite industrielle Übersicht“, sagt Koltes.<br />

„Zum Beispiel in der Diskussion, wo <strong>Evonik</strong><br />

künftig wachsen könnte oder auch beim<br />

Thema Länder- und Marktkompetenz. Von<br />

allen großen Private-Equity-Investoren sind<br />

wir am längsten in Fernost vertreten. Im<br />

Juli haben wir unser neues Büro in Peking<br />

aufgemacht und sind auch sonst überall in<br />

Asien präsent. Also an der Stelle können wir<br />

beispielsweise noch einiges beitragen.“<br />

Und dann denkt er voraus, an die weitere<br />

Kapitalmarktgeschichte von <strong>Evonik</strong>.<br />

„Hier können wir auf die Erfahrung von<br />

zwölf Börsengängen allein in den letzten<br />

fünf Jahren verweisen.“ Mit dem Gang an<br />

die Börse, geplant bis spätestens 2013,<br />

endet auch die Ehe auf Zeit zwischen<br />

<strong>Evonik</strong> und CVC. Für diesen Zeitpunkt<br />

hat sich Koltes ein Ziel gesetzt: „Ich hoffe,<br />

dass alle Beteiligten dann sagen werden:<br />

‚Die Zeit mit CVC war gut.’“


FOTOS: CORBIS, ARGUM/FALK HELLER, PICTURE ALLIANCE/DPA, ELSTER GROUP, LAO/ANDIA.FR,<br />

HOZELOCK, LECTA S.A., NIEN MADE, SAMSONITE, SKYLARK, CHRISTOPH VON HAUSSEN<br />

Die Welt von CVC<br />

Das britische Beteiligungs- und Investmentberatungsunternehmen<br />

CVC Capital Partners<br />

hält Beteiligungen an rund 50 Unter nehmen<br />

weltweit. Insgesamt erwirtschaften diese<br />

Unternehmen rund 48 Milliarden € jährlich.<br />

In Deutschland ist CVC seit 1986 vertreten.<br />

Seither hat sich der Private-Equity-Investor an<br />

über 20 Unternehmen beteiligt und diese<br />

im Durchschnitt sieben Jahre lang gehalten.<br />

Als eines der wenigen europäi schen Private-<br />

Equity-Unternehmen ist CVC gleichzeitig<br />

auch in Asien und in den USA aktiv. In<br />

Deutschland hält CVC Capital Partners neben<br />

der <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG noch Anteile an<br />

der Elster-Gruppe. Das Essener Unternehmen<br />

ist Marktführer im Bereich Messtechnik.<br />

Außerdem hält CVC Beteiligungen an dem<br />

Bauzulieferer Dywidag-Systems und an<br />

der Flint-Gruppe. Im vergangenen Jahr hat<br />

CVC Ista ver kauft, einen weltweit führenden<br />

Dienstleister bei der Erfassung und Abrechnung<br />

von Wasser-, Energie- und Nebenkosten.<br />

CVC hatte das Essener Unter nehmen<br />

2003 zusammen mit anderen Investoren<br />

zu 100 Prozent über nommen und mithilfe<br />

von Übernahmen in Belgien, Frankreich<br />

und den USA zum Marktführer gemacht.<br />

Heute hält CVC eine Minderheitsbeteiligung<br />

von 24 Prozent.<br />

Hozelock:<br />

Bewässerungsanlagen<br />

Skylark:<br />

Restaurantketten<br />

EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

Elster Group:<br />

Messzähler<br />

Acromas:<br />

Versicherungen und<br />

Dienstleistungen<br />

Lecta S.A.:<br />

Hochglanzpapier<br />

Smurfi t:<br />

Verpackungen<br />

INVESTOR<br />

Den Wert von<br />

<strong>Evonik</strong> in fünf Jahren<br />

verdoppeln<br />

Debenhams:<br />

Kaufhäuser<br />

Formel Eins:<br />

Sport- und<br />

Rechtemanagement<br />

Nien Made:<br />

Jalousien<br />

BEWEGEN<br />

29<br />

Samsonite:<br />

Koffer


30<br />

Wege zum Ziel: Apparatur zur parallelen Kalzination von Katalysatoren (Gasverteilung) und vier Katalysatormuster im Industriepark Wolfgang, Hanau


Kat sei Dank!<br />

Wer als Chemieunternehmen über die besten Katalysatoren verfügt, kann wirtschaftlicher,<br />

umweltfreundlicher und energiesparender produzieren als die Konkurrenz<br />

TEXT DR. FRANK FRICK<br />

FOTOS TIM WEGNER<br />

DER BESUCH bei der <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong><br />

AG im Industriepark Wolfgang in Hanau<br />

be ginnt entspannt: Empfangen von einem<br />

Chinesen, kreist die Unterhaltung um<br />

Ur laub in den Alpen. Small Talk mit einem<br />

Globe trotter, bevor das Gespräch dienstlich<br />

wird? Nein. Dr. Baoshu Chen verliert<br />

keine Zeit, der Ausflug in die Alpen dient<br />

nur als Vergleich, um seine Arbeit bildhaft<br />

zu erklären: „Stellen Sie sich vor, Sie wandern<br />

und wollen ein nahe gelegenes Tal<br />

erreichen“, schildert er die Ausgangslage.<br />

„Es gibt zwei Wege zum Ziel: Einer davon<br />

führt über den Gipfel eines hohen Berges.<br />

Der andere Weg führt um den Berg he -<br />

rum, und es sind nur relativ geringe Höhenunterschiede<br />

zu bewältigen. An der Weggabelung<br />

steht ein Schild, das auf diese weit<br />

weniger anstrengende Route hinweist.“<br />

Kurze Atempause. „Was für den Wanderer<br />

das Schild, das ist der Katalysator für einen<br />

chemischen Prozess.“ Und damit kennt sich<br />

Chen bestens aus, denn er ist Forschungsleiter<br />

des Geschäftsgebiets Catalysts (Katalysatoren)<br />

von <strong>Evonik</strong>.<br />

Rund 70 Prozent aller Herstellungsverfahren<br />

in der chemischen Industrie<br />

sind auf die „Schilder“ angewiesen,<br />

da runter vor allem die Basisarbeit am<br />

EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong> KATALYSE<br />

PRODUZIEREN 31<br />

Beginn der Wertschöpfungskette. Bezogen<br />

auf die Menge an chemischen Produkten<br />

weisen Katalysatoren sogar den Weg hin<br />

zu mehr als 90 Prozent aller chemischen<br />

Erzeugnisse.<br />

Der Weltmarkt-Umsatz für Kats – wie<br />

sie der Chemiker im Alltag gerne nennt –<br />

beträgt etwa 11 Milliarden € pro Jahr. Der<br />

Wert von Waren, die mithilfe von Kats<br />

her gestellt werden, ist um rund das 100-<br />

Fache größer: Experten schätzen ihn<br />

auf 500 bis 2.500 Milliarden € jährlich.<br />

Einer der Gründe für diese enorme Hebelwirkung:<br />

Die Katalysatoren selbst überstehen<br />

scheinbar unverändert den chemischen<br />

Prozess, dem sie die vorteilhafte<br />

Richtung weisen und dessen Geschwindigkeit<br />

sie erhöhen. „Das Schild, das dem<br />

Wanderer den Weg weist, muss auch nicht<br />

dauernd erneuert werden“, sagt Chen. Mit<br />

der Zeit allerdings altern die Kats oder verbrauchen<br />

sich allmählich.<br />

NEUE KAT-GENERATIONEN<br />

„Nahezu alle Chemie-Geschäftsbereiche<br />

von <strong>Evonik</strong> sind auf gute Katalysatoren<br />

angewiesen“, sagt Prof. Dr. Karlheinz Drauz,<br />

Abteilungsleiter Innovationsmanagement<br />

Chemie. „Daneben produzieren wir auch<br />

maßgeschneiderte Katalysatoren.“ Häufig<br />

handelt es sich bei dem Kat um einen<br />

Feststoff, während die reagierenden Stoffe<br />

Gase oder Flüssigkeiten sind. Solche Katalysatoren<br />

nennen Fachleute „heterogen“,<br />

im Unterschied zur „homogenen“ Variante:<br />

Dabei befindet sich der Kat in der gleichen<br />

Phase wie das restliche System, er ist<br />

also zum Beispiel in einer flüssigen Stoffmischung<br />

gelöst.<br />

Aufgrund ihrer Bedeutung ist klar, dass<br />

die Suche nach besseren Kats für viele Forscher<br />

von <strong>Evonik</strong> zum Alltag gehört wie<br />

das Zähneputzen. Einer davon ist Chen, ein<br />

anderer Dr. Christoph Weckbecker, Forschungsleiter<br />

eines Geschäftsgebiets, in dem<br />

sich alles um Methionin dreht. 350.000 Tonnen<br />

dieser Aminosäure kann <strong>Evonik</strong> allein<br />

jährlich als sogenanntes D,L-Gemisch produzieren,<br />

das als Futtermittelzusatz hilft,<br />

vor allem Hühner, aber auch Schweine und<br />

Rinder gesund, effektiv und umweltschonend<br />

zu ernähren.<br />

„Methionin wird in insgesamt 13 Prozessschritten<br />

aus petrochemischen Rohstoffen<br />

wie Kohlenmonoxid, Wasserstoff<br />

und Propan hergestellt – zehn davon<br />

benötigen Katalysatoren“, sagt Weckbecker.<br />

Prinzipiell ist es natürlich möglich,<br />

Anfangsschritte auf dem Weg zum Methionin<br />

auszulassen und stattdessen die Zwischenprodukte<br />

bei anderen Unternehmen<br />

einzukaufen. Ende der 1990er-Jahre<br />

beschloss das Management, mit einem eigenen<br />

Verfahren in die Produktion einzustei- >


32<br />

><br />

gen – unter anderem, um den gestiegenen<br />

Bedarf decken zu können.<br />

Wesentlicher Bestandteil dieses Verfahrens:<br />

ein neu entwickelter Katalysator.<br />

Obwohl dieser Methylmercaptan-Kat seine<br />

Dienste ab 2002 in einer Anlage in Wesseling<br />

bei Köln durchaus zufriedenstellend<br />

verrichtete, ruhten sich Weck becker und<br />

sein Laborleiter Dr. Hubert Redlingshöfer<br />

auf dem Erreichten nicht aus. In zielgerichteten<br />

Versuchsreihen variierten sie unter<br />

anderem die chemische Zusammensetzung<br />

des Kats, seine Kristalleigenschaften und<br />

seine Oberflächenbeschaffenheit. „An -<br />

schließend testeten wir unter praxisnahen<br />

Bedingungen die Muster, die wir in Mengen<br />

von wenigen Kilogramm herstellten“, erinnert<br />

sich Weckbecker.<br />

Zwar war die Freude groß, als sie einen<br />

deutlich verbesserten Katalysator fanden,<br />

doch ganz am Ziel waren die Forscher<br />

noch nicht. Nun galt es, ihn im Tonnen-<br />

Maßstab zu produzieren – eine Auf gabe,<br />

die Weckbecker und Redlingshöfer<br />

gemeinsam mit den Spezialisten um Chen<br />

zu lösen hatten. Viele Katalysatoren<br />

er innern sich gleichsam an ihre Herkunft –<br />

es bedarf viel Know-how, damit sie als<br />

Massenprodukt nicht hinter der Leistung<br />

der Labormuster zurückbleiben. 2005 war<br />

es endlich so weit, und die zweite Kat-<br />

Generation kam in einer Wesse linger<br />

Anlage zu ihrem ersten echten „Masseneinsatz“.<br />

„Seitdem hilft sie, die Ausbeute deutlich<br />

zu erhöhen“, sagt Weckbecker im Jargon<br />

des Chemikers. Soll heißen: Um eine<br />

bestimmte Menge des Zwischenproduktes<br />

Methyl mercaptan zu erzeugen, müssen<br />

weniger Rohstoffe verbraucht werden.<br />

Weniger Rohstoffe bedeutet zunächst einmal:<br />

weniger Kosten. Heißt aber auch: Es<br />

werden Ressourcen geschont und Energie<br />

gespart. Schließlich entstehen auch weniger<br />

Abfallprodukte, die abgetrennt und verbrannt<br />

werden müssen. Genaue Zahlen sind<br />

Betriebsgeheimnis, doch: „Bei Rohstoffen<br />

und beim Abfall geht es um Mengen von<br />

mehreren Hundert Tonnen pro Jahr“, so<br />

Weckbecker.<br />

DER KAT UND DAS<br />

HÜHNERFUTTER<br />

Angesichts dessen spielt es kaum eine<br />

Rolle, wie teuer der Kat selbst ist. „Aus<br />

unserer Sicht geht es nicht vorwiegend<br />

darum, möglichst kostengünstige Katalysatoren<br />

zu entwickeln, sondern solche, die<br />

ihre Aufgabe optimal verrichten – so ist<br />

die Wertschöpfung am größten“, erläutert<br />

Weckbecker.<br />

Letztlich profitiert die gesamte D,L-<br />

Methionin-Produktion vom verbesserten<br />

Methylmercaptan-Prozess. Mit Methionin<br />

Eine Handvoll Zukunft:<br />

oxidisches Trägermaterial<br />

zur Katalysatorfertigung,<br />

sogenannte Extrudate (links).<br />

Die <strong>Evonik</strong>-Forschungsleiter<br />

Dr. Baoshu Chen und<br />

Dr. Christoph Weckbecker<br />

im Gespräch, am Monitor die<br />

chemische Strukturformel<br />

des Katalyse-Abfallprodukts<br />

Glyzerin (rechts)<br />

lassen sich Nährstoffmängel insbesondere<br />

bei Geflügel ausgleichen. Tiere wachsen nur<br />

dann optimal, wenn die Bau steine für dieses<br />

Wachstum, die Aminosäuren, jeweils in den<br />

richtigen Mengen bereit stehen – ähnlich<br />

wie auf einer Baustelle, auf der die Arbeit<br />

nur dann zügig vorangehen kann, wenn es<br />

weder an Sand noch an Kalk, Zement, Kies,<br />

Ziegelsteinen oder Wasser fehlt. Im natürlichen<br />

Futter ist häufig der Baustoff Methionin<br />

relativ zu den anderen Aminosäuren in<br />

zu geringen Mengen vorhanden. Enthält das<br />

Futter zu wenig Methionin, können Hühner<br />

diese anderen Aminosäuren nicht vollständig<br />

verwerten und scheiden sie ungenutzt<br />

wieder aus.<br />

Das Institut für Ener gie - und Umweltforschung<br />

Heidelberg GmbH hat in einer<br />

Öko bilanz zwei Fütterungsmöglichkeiten<br />

miteinander verglichen: Weizen und methionin<br />

reicher Sojaschrot auf der einen Seite<br />

und die Zugabe von synthetischem Methionin<br />

zum Weizen auf der anderen Seite. Das<br />

Ergebnis spricht klar für das synthetische<br />

Methionin: Die Böden werden weniger<br />

überdüngt und übersäuert, der Energieverbrauch<br />

sinkt auf ein Sechstel.<br />

„Doch die Story um Katalysatoren für<br />

die D,L-Methionin-Produktion ist nur Teil<br />

einer noch größeren Geschichte“, sagt Karlheinz<br />

Drauz. Die Buchstaben D, L deuten das<br />

Fachleuten an, denn sie zeigen, dass es sich<br />

>


EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong> KATALYSE<br />

PRODUZIEREN 33<br />

Katalysatoren erinnern sich an ihre Herkunft<br />

Optimierung im Labor: Zielgerichtete Versuchsreihen variieren die chemische Zusammensetzung der Kats, ihre Eigenschaften und Beschaffenheit


34 PRODUZIEREN<br />

KATALYSE EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

Katalysatoren erleichtern den Abschied vom Öl<br />

Erster Probelauf: Apparatur zum Testen von pulverförmigen Katalysatoren<br />

><br />

genau genommen um ein Gemisch zweier<br />

Methio nin-Formen handelt. Diese beiden<br />

Formen – die Enantiomere – unterscheiden<br />

sich in ihrem chemischen Aufbau ähnlich<br />

wie die linke Hand eines Menschen von<br />

der rechten. Die D- und die L-Form einer<br />

Sub stanz riechen oder schmecken manchmal<br />

sehr verschieden und haben oft eine<br />

andere biologische Wirkung. Geflügel<br />

kann beide Methionin-Enantiomere vollständig<br />

verwerten, der Mensch hingegen<br />

nur die L-Form. „L-Methionin ist ein wichtiger<br />

Bestandteil von Infusionslösungen, mit<br />

denen Kranke oder Verletzte ernährt werden“,<br />

erläutert Drauz. Das D,L-Gemisch<br />

wird für diesen Zweck nicht eingesetzt, da<br />

das enthaltene D-Enantiomer den Körper<br />

nur unnötig belasten würde. L-Methionin<br />

wird darüber hi naus als Baustein von Arzneistoffen<br />

von der Pharma industrie benötigt.<br />

KATALYSATOREN DER ZUKUNFT<br />

<strong>Evonik</strong> deckt diesen Bedarf mithilfe eines<br />

Verfahrens, in dessen Mittelpunkt wiederum<br />

ein Katalysator steht. Allerdings einer<br />

der besonderen Art: Hergestellt wird er<br />

nämlich nicht von Chen, Weckbecker oder<br />

einem anderen Chemiker, sondern von<br />

Mikroorganismen. Solche Katalysatoren<br />

heißen Biokatalysatoren oder Enzyme.<br />

Aber von vorn: Ausgangspunkt des Verfahrens<br />

ist ein Stoff namens D,L-Methionin-


Hydantoin, aus dem auch der Futtermittel -<br />

zusatz D,L-Methionin unmittelbar ge -<br />

wonnen wird. Als sich Wissenschaftler<br />

von <strong>Evonik</strong> an die Verfahrens entwicklung<br />

für L-Methionin machten, hatten sie<br />

bereits ein Enzym, das ihnen dieses D,L-<br />

Methionin-Hydantoin in eine Amino säure<br />

umwandelte – allerdings in die D-Form.<br />

„Mithilfe gentechnischer Methoden gelang<br />

es uns, Bakterien so umzupolen, dass sie<br />

statt des D-Enantiomeren die gewünschte<br />

L-Form lieferten“, so Drauz.<br />

Dazu isolierten die Wissenschaftler<br />

zunächst das Gen, das im natürlich vorkommenden<br />

Mikroorganismus für die Enzymherstellung<br />

verantwortlich ist. Anschließend<br />

vervielfältigten sie dieses Gen im<br />

Reagenzglas. Dabei fertigten sie allerdings<br />

keine 1:1-Kopien an, sondern bauten nach<br />

dem Zufallsprinzip jeweils gewollt Fehler<br />

ein. Diese „fehlerhaften“ – Fachsprache:<br />

mutierten – Gene schleusten sie wieder<br />

in Bakterien ein, die anschließend mutierte<br />

Abkömmlinge des natürlichen Enzyms<br />

produzierten. Nachfolgende Tests zeigten,<br />

dass darunter auch Enzyme waren, mit<br />

deren katalytischer Hilfe aus D,L-Methionin-Hydantoin<br />

die L-Aminosäure entsteht.<br />

Durch den Vergleich der künstlich<br />

erzeugten Enzyme mit dem natürlichen<br />

gewannen die Wissenschaftler wichtige<br />

Informationen, die sie nutzten, um das<br />

INFOGRAFIK: DR. DIETER DUNEKA<br />

Was ist ein Katalysator?<br />

Diffusion Diffusion<br />

Reaktion<br />

2 NO N 2 + O 2<br />

Adsorption Desorption<br />

Katalysator-Oberfl äche<br />

Ablauf einer katalytischen Reaktion<br />

zwischen Adsorption (Anreicherung)<br />

und Desorption<br />

entsprechende Gen weiter zu verändern –<br />

diesmal gezielter.<br />

„Die grundsätzliche Idee zu dem Produktionsverfahren<br />

hatten wir schon Anfang<br />

der 1990er-Jahre, aber damals waren die<br />

gentechnischen Methoden zu ihrer Umsetzung<br />

noch nicht so weit entwickelt wie heute“,<br />

erinnert sich Drauz. Und weiter: „Da<br />

muss man als Forscher schon an eine Idee<br />

glauben, wenn man rund zehn Jahre in sie<br />

investiert.“ Damit die Bakterien schließlich<br />

tatsächlich wie gewünscht in einem einzigen<br />

Schritt das reine L-Methionin herstellten,<br />

fügten die Wissenschaftler noch<br />

zwei weitere Gene in die Bakterienzelle<br />

ein, die verantwortlich für die Herstellung<br />

zweier weiterer Enzyme sind. 2002 war es<br />

dann so weit: <strong>Evonik</strong> produzierte erstmals<br />

in größeren Mengen L-Methionin auf diese<br />

biotechnologische Weise – bedeutend einfacher<br />

und kostengünstiger als durch herkömmliche<br />

Herstellverfahren.<br />

„Wir suchen stets nach dem besten Katalysator<br />

für einen Prozess. Ob es sich dabei<br />

um einen Biokatalysator, einen homogenen<br />

oder einen heterogenen Katalysator handelt,<br />

ist für uns zweitrangig“, sagt Drauz.<br />

Denn <strong>Evonik</strong> verfügt über das Know-how<br />

und die Technologien, um jede Art von Kat<br />

zu entwickeln und einzusetzen.<br />

Doch einen Unterschied gibt es: Während<br />

homogene und heterogene Kats auch<br />

Bei einer chemischen Reaktion werden in Molekülen Bindungen<br />

zwischen Atomen gebrochen und geknüpft, wobei sich neue<br />

Moleküle bilden. Katalysatoren sind Feststoffe, gelöste Feststoffe oder<br />

Flüssig keiten, die es den reagierenden Molekülen erleichtern,<br />

die alten Bindungen aufzugeben und neue Bindungen einzugehen. Sie<br />

sind damit so etwas wie „Heiratsvermittler“ – tatsächlich ist auch<br />

das chinesische Schriftzeichen für „Katalysator” vom Zeichen für das<br />

Wort „Heiratsvermittler“ abgeleitet. Ein Katalysator beeinflusst<br />

die Geschwindigkeit einer Reaktion, bleibt aber selbst unverändert.<br />

Den Produkten einer Reaktion lässt sich nicht anmerken, ob<br />

sie ohne oder mithilfe eines Katalysators hergestellt wurden.<br />

für andere Unternehmen entwickelt und<br />

produziert werden, gibt <strong>Evonik</strong> Biokatalysatoren<br />

nur in Ausnahmefällen an Kunden<br />

ab. „Ganzzellkatalysatoren müssen<br />

stets frisch hergestellt werden. Sobald sie<br />

aber den genetisch veränderten Mikroorganismus,<br />

der das entsprechende Enzym<br />

liefert, einmal aus der Hand geben, kann<br />

jeder andere Fachmann die Gene des Mikroorganismus<br />

vervielfältigen – und muss den<br />

Biokatalysator dann nicht mehr einkaufen“,<br />

begründet Drauz die Zurückhaltung.<br />

Dass die Katalyseforscher einmal<br />

darunter leiden, dass sie gleichsam die<br />

Schilder für alle Routen aufgestellt haben,<br />

ist nicht zu befürchten. Nicht nur, weil es<br />

stets Bedarf an neuen chemischen Erzeugnissen<br />

gibt, für deren Produktion es der<br />

Hilfe von Katalysatoren bedarf. Sondern<br />

auch, weil die bestehenden Erzeugnisse<br />

zunehmend nicht mehr aus Erdöl stammen<br />

werden. Denn Öl wird immer teurer und<br />

knapper. Daher werden nachwachsende<br />

Rohstoffe bedeutsamer, die zudem klimaneutral<br />

sind. „Diese Umstellung vom Öl auf<br />

andere Rohstoffquellen ist eine gewaltige<br />

Herausforderung, die ohne neue und raffinierte<br />

Katalysatoren nicht bewältigt werden<br />

kann“, ist Chen überzeugt. Angesichts<br />

solcher Aufgaben scheint es fraglich, ob er<br />

künftig noch Zeit für das Wandern in den<br />

Bergen haben wird. <<br />

35


36 VERSORGEN<br />

GASBÖRSE EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

TEXT CONSTANZE SANDERS<br />

NACHVOLLZIEHBARE PREISE und<br />

mehr Angebote von verschiedenen An -<br />

bietern – das wünschen sich Verbraucher,<br />

aber auch viele Gasversorger. Die einen<br />

wollen Wettbewerb, damit der Gaspreis am<br />

heimischen Herd endlich sinkt, die anderen,<br />

damit sie ihre flüchtige Ware konkurrenzfähig<br />

zum Kunden bringen können. Wettbewerb<br />

ist längst Gesetz, jeder private Verbraucher<br />

kann Strom und Gas kaufen, wo<br />

er will.<br />

Das deutsche Erdgasnetz gehört jedoch<br />

741 unterschiedlichen Betreibern, die Marktgebiete<br />

sind zwar verknüpft, aber nicht frei<br />

zugänglich. Es resultieren „Verhinderungen<br />

und Verzögerungen der Netzbetreiber“,<br />

kritisiert Manfred Panitz, Geschäftsführer<br />

vom Bundesverband der Energie-Abnehmer<br />

(VEA), Hannover. Hohe Preise sind die<br />

Folge. Die Koppelung von Gas- und Ölpreis<br />

sowie langfristige Verträge zwischen Gaskonzernen<br />

und Versorgern bestärken diesen<br />

Trend. Alles zusammen führt zu großen<br />

regionalen Differenzen: Ein Musterhaushalt<br />

in Wismar, Mecklenburg-Vorpommern,<br />

etwa, zahlt rund 600 € mehr pro Jahr als<br />

einer im niedersächsischen Stade. Seit knapp<br />

einem Jahr bietet die European Energy<br />

Exchange (EEX) in Leipzig einen offenen<br />

Handelsplatz als elektronische Börse für den<br />

Gashandel. „Eine liquide Gasbörse ermöglicht<br />

den Unternehmen eine größere Wahlfreiheit<br />

und Preistransparenz“, sagt Rosemarie<br />

Folle vom Verband kommunaler<br />

Unternehmen e.V. (vku) in Berlin. Anbieter<br />

und Kunden aus bisher zwei von insgesamt<br />

acht Marktgebieten (ab Oktober <strong>2008</strong>)<br />

finden hier zusammen. Im Gegensatz zu<br />

bilateral ausgehandelten Verträgen ist die<br />

Preisbildung nachvollziehbar, langfristig<br />

bildet sich ein Referenzpreis. Damit auch die<br />

Durchleitung klappt, sei ein Marktgebiet für<br />

Freies Spiel für Energie<br />

H-Gas, mit hohem, und eins für L-Gas, mit<br />

niedrigerem Heizwert, anzustreben, meint<br />

Dr. Christof Bauer, Energiechef bei der<br />

<strong>Evonik</strong> Degussa GmbH.<br />

GASBÖRSE MIT ZUKUNFT<br />

Als einer der Ersten haben sich die Stadtwerke<br />

Bietigheim-Bissingen aus alten Verträgen<br />

befreit und kaufen für ihre rund<br />

25.000 Kunden Gas in Leipzig. Sie profitieren<br />

davon, dass der Zwischenhändler entfällt<br />

und flexible Mengen für einen bestimmten<br />

Zeitraum zu einem Festpreis erhältlich<br />

sind. Trotz erhöhter Tarife bleibt der Preis<br />

aber zumindest bis Ende des Jahres stabil.<br />

Weiterer Vorteil: Überkapazitäten können<br />

die Stadtwerke selbst an der EEX verkaufen.<br />

Leitbörsen in Europa sind bislang die<br />

IntercontinentalExchange (ICE) in London<br />

(Großbritannien) mit ihrem volumenstarken<br />

Gasmarkt und nur einem Netzbetreiber, und<br />

die Amsterdamer European Energy Deriva-<br />

Ein Jahr Gasbörse. Auf dem Weg zu Wettbewerb und europäischer Kooperation im Erdgashandel


tives Exchange (ENDEX) für Termin-<br />

Geschäfte sowie die APX-Group für Spot-<br />

Geschäfte in den Niederlanden.<br />

Im belgischen Zeebrugge, wo das größte<br />

europäische Empfangsterminal für verflüssigtes<br />

Erdgas arbeitet, sitzt der mächtige virtuelle<br />

Handelspunkt Hub für Erdgas-Distribution<br />

zwischen Großbritannien und dem<br />

Festland. Ende Juni startete auch die russische<br />

Gazprom eine eigene Gasbörse.<br />

„Wir verfolgen die Entwicklung in Sankt<br />

Petersburg interessiert“, sagt EEX-Chef Dr.<br />

Hans-Bernd Menzel. Er strebt nach Markttransparenz<br />

für ganz Europa und kooperiert<br />

ab Herbst mit der Pariser Energiebörse Powernext<br />

in Frankreich – zunächst mit Strom, aber<br />

„sie wird für uns ein Partner in vielen Bereichen“.<br />

Mithilfe von Gaz de France will Powernext<br />

auch eine Gasbörse gründen. Das Clearing,<br />

die Abrechnung der Gasprodukte, „wird<br />

durch unsere Tochtergesellschaft European<br />

Commodity Clearing erfolgen“, so Menzel. <<br />

FOTO: ARCHIV WEISHAUPT<br />

Wie funktioniert der Erdgashandel an der EEX?<br />

Acht Fragen an Dr. Hans-Bernd Menzel, Vorstandsvorsitzender<br />

der Leipziger European Energy Exchange<br />

EVONIK-MAGAZIN Warum brauchte Deutschland<br />

eine Gasbörse?<br />

MENZEL Die Marschrichtung der EU ist klar:<br />

Wettbewerb in Energiemärkten, wo immer<br />

Wettbewerb möglich ist. Die EEX steht für<br />

erfolgreichen Wettbewerb im Handel mit Strom,<br />

aber auch CO2-Emissionsrechten und Kohle –<br />

und seit Juli 2007 auch Erdgas.<br />

EVONIK-MAGAZIN Wer bietet an der Gas börse<br />

Erdgas an, wer kauft es?<br />

MENZEL Das Teilnehmerspektrum an der EEX<br />

ist breit gestreut. Zu den Handelsteilnehmern<br />

von Gas gehören Händler, Importeure und Produzenten,<br />

aber auch Verbraucher, die über Freimengen<br />

verfügen. Auch größere Stadtwerke<br />

und mittelfristig große Industriebetriebe kaufen<br />

und verkaufen an der Gasbörse. Sogenannte<br />

Market-Maker fördern mit verbindlichen Kaufund<br />

Verkaufsaufträgen (Quotes) den Gas handel<br />

und sorgen für Liquidität.<br />

EVONIK-MAGAZIN Welche Vorteile bringt die<br />

Gasbörse?<br />

MENZEL Der Großhandelspreis für Gas wird<br />

transparenter und für alle gleich sein. Ein Prinzip<br />

des Börsenhandels ist Anonymität und daraus<br />

folgend Gleichbehandlung: Kleinere Handelsteilnehmer<br />

werden nicht schlechter als große<br />

behandelt. Darüber hinaus bietet unser Terminmarkt<br />

für Erdgas ein Sicherungsinstrument<br />

gegen Preisschwankungen. Gemeinsam mit den<br />

Gasnetzbetreibern stellen wir darüber hinaus<br />

die physische Lieferung der Ware sicher.<br />

EVONIK-MAGAZIN So weit die Theorie, in der<br />

Praxis steigen jedoch die Gaspreise weiter.<br />

MENZEL Börsenhandel bedeutet auch nicht,<br />

dass die Preise dann sinken müssen. Das Gleiche<br />

haben wir auch damals im Strommarkt gesehen.<br />

Die Preise an der Börse entstehen allein<br />

aufgrund von Angebot und Nachfrage. Die<br />

EEX macht also transparent, wie dieses Gleichgewicht<br />

zu bewerten ist.<br />

EVONIK-MAGAZIN Was heißt Spot-, was heißt<br />

Terminhandel bei einer Gasbörse?<br />

MENZEL Spothandel ist der Handel mit Produkten,<br />

die höchstens zwei Tage gehandelt<br />

werden dürfen. Terminhandel läuft mit Produkten,<br />

die mehr als zwei Tage bis zu mehreren<br />

Jahren hin gehandelt werden können. An der<br />

FOTO: BOELKOW/VARIO PRESS<br />

EEX können Gasfutures bis zu sechs Jahre in die<br />

Zukunft gehandelt werden.<br />

EVONIK-MAGAZIN Wie kommt das Gas zu dem<br />

Marktteilnehmer, der eine bestimmte Menge<br />

gekauft hat?<br />

MENZEL Die EEX arbeitet derzeit mit zwei<br />

Gasnetzgesellschaften zusammen und hat im<br />

Marktgebiet der E.on GT und der BEB einen<br />

sogenannten Handelspunkt errichtet. Diese<br />

Gasnetzgesellschaften transportieren das Gas,<br />

gegebenenfalls noch über andere regionale oder<br />

lokale Gasnetzgesellschaften, zum Empfänger.<br />

EVONIK-MAGAZIN Der Gashandel wurde<br />

stufenweise eingeführt, zunächst nur in zwei<br />

Marktgebieten. Warum? Und wie wird es weitergehen?<br />

MENZEL Die Marktgebiete, in denen die EEX<br />

den Handel anbietet, repräsentieren etwa 60<br />

Prozent des deutschen H-Gas-Marktes. Es wird<br />

vermutlich weitere Gebiete geben, die einbezogen<br />

werden. Hier sind die Kooperationswilligkeit<br />

der Betreiber und die Unterstützung<br />

durch die Bundesnetzagentur gefragt. Zum jetzigen<br />

Zeitpunkt ist es wichtig, den Gashandel<br />

an der EEX weiter auszubauen und zu stärken<br />

und damit die Grundlage für einen verlässlichen<br />

Preisindex zu schaffen.<br />

EVONIK-MAGAZIN Wie wollen Sie für Transparenz<br />

im börslichen Gashandel sorgen?<br />

MENZEL Wir halten uns an die von der Börsenaufsicht<br />

vorgegebenen Standards und ergänzen<br />

das durch weitere Veröffentlichungen, die auf<br />

den Transparenzanforderungen der Gasnetzverordnung<br />

wie auch den europäischen Regulierungsbehörden<br />

ERGEG/CEER* basieren.<br />

DR. HANS-BERND MENZEL<br />

(53) ist seit Ende 2002<br />

Vorstands vorsitzender der<br />

European Energy Exchange<br />

AG (EEX), Leipzig, und<br />

ver antwortlich für die erste<br />

deutsche Gasbörse. Menzel arbeitete<br />

zuvor als Unternehmensberater und bringt<br />

Erfahrungen im Risikomanagement<br />

von Finanz- und Rohstoffpreisen mit.<br />

*ERGEG, European Regulators’ Group for Electricity and Gas: Beratungsausschuss bei der Europäischen Kommission;<br />

CEER, Council of European Energy Regulators: Rat der nationalen Regulierungsbehörden. Beide mit jeweils 27 EU-Mitgliedern,<br />

für Deutschland die Bundesnetzagentur.<br />

37


38 ENTWICKELN<br />

PERSONAL-RECRUITING EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

Offen für Querdenker<br />

Die Personalimagekampagne von <strong>Evonik</strong> „Gesucht: Querdenker und andere<br />

Talente“ strahlt nach außen, wirkt aber auch in den Konzern hinein<br />

TEXT SABINE KWAPIK<br />

FOTOS INGO RAPPERS<br />

IM ANTIKEN DELPHI war am Tempel<br />

des Apoll ein kurzer und markanter Spruch<br />

zu lesen: „Gnothi seautón – erkenne dich<br />

selbst!“<br />

Schon sind wir mitten im Thema:<br />

Philosophie, und zwar jene Philosophie,<br />

die hinter der „Querdenker-Kampagne“<br />

der <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG steht.<br />

Großzügiger Raum, Luft und viel Licht,<br />

Kunst im Foyer mit Blick auf einen asiatisch<br />

anmutenden Garten. Wer die Zentrale von<br />

<strong>Evonik</strong> betritt, wird erst nicht vermuten,<br />

dass dort das Jahrtausende alte Gedankengut<br />

aktueller ist denn je. So stellt sich der Besucher<br />

zwar nicht Delphi vor, aber dennoch:<br />

Hier trifft die Antike auf die Moderne. „Uns<br />

geht es nicht nur um höher, schneller, weiter“,<br />

sagt Alfred Lukasczyk, Mitarbeiter der Abteilung<br />

Personal Corporate Center & Personalmarketing<br />

von <strong>Evonik</strong> und verantwortlich für<br />

die „Querdenker“-Kampagne des Unternehmens.<br />

Das ist eine Aussage, bei der manch<br />

anderem Personaler in gro ßen Konzernen<br />

wahrscheinlich die Luft wegbliebe.<br />

Doch das beirrt Alfred Lukasczyk nicht,<br />

trifft doch genau die Aussage aus Delphi<br />

den Kern der Personal-Imagekampagne<br />

„Ge sucht: Querdenker und andere Talente“.<br />

Sie ist auf rund drei Jahre angelegt und steht<br />

im Zentrum des neuen Auftritts von <strong>Evonik</strong><br />

als Arbeitgeber.<br />

Dabei gilt es gerade nicht, mit spitzem<br />

Stift Bestnoten und Höchstleistungen der<br />

Bewerber abzuhaken. „Wir suchen die Leistung.<br />

Aber wir sind auch daran interessiert:<br />

Um was für einen Menschen handelt es<br />

sich? Wo hat er sich sonst noch engagiert,<br />

was hat er erlebt, was bewegt ihn?“, sagt<br />

Lukasczyk. Vereinszugehörigkeit, Hobbys<br />

oder eine Arbeit in karitativen Institutionen<br />

– das alles gehört für den Personaler<br />

zum Gesamtbild. Und genau daraus ergibt<br />

sich das Potenzial: zum Querdenken und<br />

letztlich dann auch zum Querhandeln.<br />

„Nur wer sich von festen Denk strukturen<br />

löst, kommt auf neue Lösungen“, ist das Credo<br />

des Kampagnen-Betreuers. „Das Querdenken<br />

stellt eine spezifische Aus prägung<br />

von Kreativität dar, eine ganz wesentliche<br />

Kern kompetenz von <strong>Evonik</strong>. Und dabei<br />

sind wir offen für Andersartigkeit.“ Die<br />

Kam pagne umfasst die genaue An sprache<br />

der Ziel gruppen in den jeweiligen Fachrichtungen,<br />

gesplittet nach Alter, Berufserfahrung<br />

und Region. Nicht zuletzt vermittelt<br />

die freche, frische und leicht provokante<br />

Ver packung eine aussagekräftige Botschaft.<br />

Rund 100 Hochschulabsolventen stellt das<br />

Unter nehmen mit den Kernbereichen Chemie,<br />

Energie und Immobilen jedes Jahr allein<br />

in Deutschland ein. Kern dieses Recruiting-<br />

Konzepts für Lukasczyk: „Es geht um eine<br />

integrative Zielrichtung und um eine eindeutige<br />

strategische Ausrichtung. Denn eines<br />

unserer zentralen Ziel- und Handlungs felder<br />

der Personal strategie ist die Förderung der<br />

Attraktivität als Arbeit geber. Die Kultivierung<br />

von Quer denken etwa im Sinne einer<br />

interdisziplinären und innovativen Handlungsweise<br />

stellt ein erhebliches Attraktionspotenzial<br />

dar.“<br />

WER IST DER BESTE<br />

ARBEITGEBER?<br />

Genau darauf müssen viele Unternehmen<br />

verstärkt achten. Prognostizieren doch etliche<br />

Studien: In den kommenden Jahren wird<br />

in Deutschland ein Wettlauf um qualifizierten<br />

Nachwuchs entbrennen. Hintergrund dafür<br />

ist die demografische Entwicklung und auch<br />

die Abwanderung von Spitzenkräften ins<br />

Ausland. Dazu kommt, dass jeder zweite<br />

Young Professional in Deutschland in den<br />

kommenden zwei Jahren die Firma wechseln<br />

will, wie Studien ergaben. Und so konkurrieren<br />

viele Unternehmen um das rare „Gut“<br />

künftiger Führungskräfte, veranstalten<br />

Workshops, sind präsent bei Absolventenmessen<br />

und arbeiten daran, bei den Rankings<br />

über beste Arbeitgeber in Deutschland einen<br />

vorderen Platz zu erlangen.<br />

Doch das steht für Lukasczyk nicht im<br />

Zentrum seiner Bemühungen. Auf die Frage, >


ADRIANA FIJAK<br />

Alter: 24 Jahre<br />

Studium:<br />

• Studium der Psychologie an der<br />

Westfälischen Wilhelms-Universität<br />

Münster, Schwerpunkt Arbeitsund<br />

Organisationspsychologie sowie<br />

Gerontopsychologie<br />

Praktika:<br />

• studienbegleitendes Forschungspraktikum<br />

im Bereich der Werbewirkung<br />

• Beratungsstelle für Eltern, Kinder<br />

und Jugendliche im Kreis Mettmann<br />

• ehrenamtliche Betreuungstätigkeit<br />

im Behindertenheim Matthias-<br />

Claudius-Heim<br />

• Projektassistentin bei MSM Germany:<br />

Rekrutierung von „Mystery Shoppern“<br />

und Analyse der Fragebögen<br />

Hobbys:<br />

• Musik hören, tanzen, joggen, Design<br />

und zeichnen, modeln<br />

39


40 ENTWICKELN<br />

PERSONAL-RECRUITING EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

><br />

FOTO OBEN RECHTS: EVONIK INDUSTRIES<br />

ob er diese regelmäßigen Erhebungen stets<br />

im Blick habe, kommt ein überzeugtes „Jein!“.<br />

Zwar zeige <strong>Evonik</strong> auch auf solchen Messen<br />

Flagge, wie auf der größten Job messe<br />

Deutschlands, dem Hobsons Absolventenkongress<br />

in Köln. Das Vorgehen bei der Suche<br />

nach den richtigen neuen Mitarbeitern ist bei<br />

<strong>Evonik</strong> mehr als das Einsammeln der besten<br />

Zeugnisse. „Der Dialog mit den Aspiranten<br />

ist Grundlage einer gemeinsamen Entscheidung<br />

für eine zukünftige Zusammen arbeit“,<br />

sagt Lukasczyk. Grundlage sei ein Konzept<br />

der Partnerschaft – etwa durch das Praktikanten-Programm<br />

Perspectives. „Die Zeit<br />

der einseitigen Entscheidungen ist vorbei.<br />

Basis eines Erfolges ist Authenti zität. Auch<br />

aufseiten des Unternehmens. Versprich<br />

nichts, was du nicht halten kannst. Und wir<br />

wollen so attraktiv sein, dass die Mitarbeiter<br />

gar nicht wegwollen.“<br />

Hellwache braune Augen, ein offenes<br />

Lächeln und Begeisterung. Das fällt auf , wenn<br />

Adriana Fijak von ihrer derzeitigen Beschäftigung<br />

spricht. Man merkt: Die 24-Jährige<br />

fühlt sich pudelwohl. Seit mehreren Wochen<br />

schnuppert die Studentin der Arbeits- und<br />

Organisationspsychologie als Praktikantin in<br />

die Konzernzentrale hinein. „Ich wollte wissen,<br />

was sich hinter dieser Marke verbirgt“,<br />

beschreibt Fijak. Sie scheint viele Kriterien<br />

der „Querdenker“-Philosophie zu erfüllen:<br />

Die Studentin arbeitete in einer Beratungs-<br />

stelle für Eltern, Kinder und Jugendliche und<br />

war ehrenamtliche Betreuerin in einem<br />

Behindertenheim – neben dem Studium. Für<br />

drei Monate ist sie jetzt in Essen, danach geht<br />

es zurück in den Hörsaal.<br />

UNGEWÖHNLICHE WEGE<br />

„Leider ist es bisweilen ja so, dass gut ausgebildete<br />

junge Menschen von einem Praktikum<br />

zum nächsten hingehalten werden. Wir<br />

wollen die Interessenten nicht ausnutzen“,<br />

sagt Lukasczyk. Dass es <strong>Evonik</strong> damit ernst<br />

ist, verdeutlicht auch die Botschaft auf der<br />

<strong>Evonik</strong>-Homepage für interessierte Studenten.<br />

Sie lautet: „Auch bei uns können Sie<br />

Kaffee kochen. Aber nur, wenn wir gerade<br />

dafür ein neues Verfahren entwickeln.“<br />

Adriana Fijak ist bei <strong>Evonik</strong> weit entfernt von<br />

einem Dasein als „Kopier-Maus“. „Ich fühle<br />

mich wirklich integriert und weiß, dass ich<br />

auf jeden zugehen kann“, sagt die junge Frau<br />

mit einer Leidenschaft für Musik.<br />

Dr. Julia Frey, 32, ist promovierte Chemikerin.<br />

Sie fing nach dem Studium in Köln und<br />

der anschließenden Doktorarbeit als Laborleiterin<br />

in der Forschung bei der <strong>Evonik</strong> Goldschmidt<br />

GmbH in Essen an. Ihre Entscheidung<br />

für <strong>Evonik</strong> als Arbeitgeber könne sie nicht an<br />

einfachen Fakten festmachen. „Es war ein<br />

Bauchgefühl, weil alles und alle irgendwie<br />

zusammenpassten. Und dieser Konzern ist<br />

modern. Es ist gelebte Geschichte und gleich-<br />

Links: Alfred Lukasczyk,<br />

Zentral bereich Personal strategie,<br />

-politik und Mitbestimmung“,<br />

im Gespräch. Rechts: <strong>Evonik</strong>-Stand<br />

auf dem Absolventenkongress in<br />

Köln – mehr tun als nur die besten<br />

Zeugnisse sammeln<br />

„ Auch bei uns können Sie Kaffee kochen. Aber nur,<br />

wenn wir ein neues Verfahren dafür entwickeln“<br />

zeitig ein Aufbruch hin zu etwas Neuem, das<br />

macht <strong>Evonik</strong> aus“, sagt die gebürtige Schwäbin<br />

mit einem herzlichen Auflachen. Sie ist<br />

seit einem Dreivierteljahr im Unternehmen<br />

und hat den Neustart im vergangenen Jahr<br />

und die Veränderungen live miterlebt.<br />

Genau diese Veränderungen sollen<br />

ebenfalls mit der „Querdenker“- Kampagne<br />

unterstützt werden. Sie richtet sich nicht nur<br />

nach außen, wie Ulrich Bormann, Zentralbereichsleiter<br />

Personalstrategie, -politik<br />

und Mit bestimmung, erklärt. „Bevorzugter<br />

Arbeitgeber für Bewerber, aber auch für die<br />

leistungsstarken eigenen Mitarbeiter und<br />

Mitarbeiterinnen zu sein ermöglicht es uns,<br />

den demografischen Wandel und die Herausforderung<br />

des Arbeitsmarktes zu meistern.“<br />

Die jetzigen Mitarbeiter und Führungskräfte<br />

sollen möglichst oft mit dem Thema „Querdenken“<br />

in Berührung kommen, mit Fragen konfrontiert<br />

werden, die sie nicht gewohnt sind,<br />

wie Lukasczyk beschreibt. „Die Suche nach<br />

Querdenkern und die Entdeckung verborgener<br />

Talente ist die Einladung, ungewöhnliche<br />

und kreative Wege zu gehen. Und ein<br />

Appell an jetzige Führungskräfte: Macht euch<br />

bereit für die Querdenker, die da kommen.“<br />

Adriana Fijak ist guter Dinge für die kommenden<br />

Wochen. Ob sie nach dem Studium<br />

hier eine Festanstellung antritt, ist noch<br />

offen. Dann würde sie zu den „Querdenkern“<br />

des <strong>Evonik</strong>-Konzerns gehören.


DR. JULIA FREY<br />

Alter: 32 Jahre<br />

Beruf und Studium:<br />

• Laborleitung Forschung bei der<br />

<strong>Evonik</strong> Goldschmidt GmbH, Essen<br />

• Dissertation bei Prof. Dr.<br />

Albrecht Berkessel, Köln<br />

• Studium der Chemie in Heidelberg<br />

und Köln<br />

• Ausbildung zur chemischtechnischen<br />

Assistentin, Stuttgart<br />

• Wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

am Lehrstuhl für Organische Chemie,<br />

Universität Köln<br />

• Werkstudentin bei der Bayer AG,<br />

Leverkusen<br />

• Studentische Hilfskraft bei<br />

Prof. Dr. Albrecht Berkessel, Köln<br />

• Chemisch-technische Assistentin,<br />

Leinfelden-Echterdingen<br />

• Praktikum bei Arbico Organics,<br />

Tucson, Arizona, USA, biologische<br />

Schädlingsbekämpfung<br />

Engagement:<br />

• Organisation des Stipendiaten-<br />

Treffens für Liebig-, Kekulé- und<br />

Fonds-Stipendiaten des Fonds der<br />

Chemischen Industrie (FCI) in Köln<br />

• Betreuung hochbegabter Schüler:<br />

„Schüler an der Universität“<br />

• Organisation und Durchführung<br />

des „Gründerkometen“<br />

an der Universität Köln<br />

• Mitglied der Biotechnologischen<br />

Studenteninitiative (btS), Vorstand<br />

der Geschäftsstelle in Heidelberg<br />

und Köln 2000<br />

Hobbys:<br />

• Freunde treffen, lesen, laufen,<br />

Yoga, Ski fahren<br />

41


FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

42 ANWENDEN<br />

ENERGIE-EFFIZIENZ EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

TEXT KLAUS JOPP<br />

BENZIN- UND DIESELPREISE machen<br />

es an jeder Tankstelle unmissverständlich<br />

klar, die häuslichen Strom- und Gasrechnungen<br />

und auch die Weltmarktpreise für<br />

Kohle sprechen eine deutliche Sprache:<br />

Energie wird immer teurer. Und das Ende<br />

der Preisspirale ist noch nicht einmal in<br />

Sicht. Nach Prognosen des Deutschen<br />

Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in<br />

Berlin wächst die weltweite Ölnachfrage<br />

weiter rasant, das globale Ölangebot hinkt<br />

hoffnungslos hinterher. Die Leiterin der<br />

Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt<br />

Prof. Dr. Claudia Kemfert bestätigt: „Öl ist<br />

zwar derzeit noch nicht knapp, wird es aber<br />

werden – aufgrund der rasant steigenden<br />

Nachfrage in den Schwellenländern.“ Zudem<br />

treiben Spekulanten rund um den Globus<br />

die Energie- und Rohstoffpreise weiter in<br />

die Höhe. Mit anderen Worten: Die Preisspirale<br />

wird sich auf lange Sicht eindeutig<br />

eher nach oben als nach unten bewegen. Das<br />

gilt für sämtliche Energieträger, denn immer<br />

mehr Menschen auf unserem Planeten<br />

wollen heizen und kochen, fernsehen und<br />

Auto fahren.<br />

Einen Ausweg aus dem Dilemma bietet<br />

die intelligente, bessere Nutzung der Energie.<br />

Eine weltweite optimierte Energie -<br />

Effizienz könnte der Königsweg zu niedrigerem<br />

Verbrauch und damit zu mehr<br />

Klimaschutz sein und obendrein für mehr<br />

Königsweg Energie-Effi zienz<br />

Mexiko-Stadt, frühmorgens:<br />

Die dichte Smog-Schicht<br />

lässt die Stadt nicht aufwachen


Preisstabilität bei Energie und Rohstoffen<br />

sorgen. Das Gute an dem Weg der rationaleren<br />

Energienutzung ist, dass viele Technologien<br />

fertig entwickelt sind, vielfach<br />

fehlt nur noch der Wille, sie auch konsequent<br />

einzusetzen.<br />

Vor Kurzem hat der Verband der Elektrotechnik<br />

Elektronik Informationstechnik<br />

(VDE) in einer Studie die großen Potenziale<br />

der Kraft-Wärme-Kopplung vorgerechnet,<br />

die bis zu 30 Prozent Primärenergie einsparen<br />

könnte. Bei einer Erhöhung der Wirkungsgrade<br />

von Kleinmotoren von derzeit<br />

nur 40 bis 75 Prozent auf mögliche 85 Prozent<br />

in den rund 100 Millionen deutschen<br />

Haushaltsgeräten rechnet der VDE mit<br />

Einsparungen von 8,2 Terawattstunden<br />

(TWh) pro Jahr. Das entspricht immerhin<br />

gut 1,6 Prozent des gesamten Stromverbrauchs.<br />

Die größten Potenziale stecken<br />

jedoch in der Optimierung von Gesamtanlagen.<br />

Hier sind bis zu 40 Prozent Einsparungen<br />

machbar. „Zur Realisierung all<br />

dieser Möglichkeiten benötigten wir einen<br />

beschleunigten und radikalen Technologiewechsel“,<br />

erklärt VDE-Energieexperte<br />

Prof. Dr. Wolfgang Schröppel.<br />

Der Industriekonzern <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong><br />

AG hat sich bereits frühzeitig in diesem<br />

Bereich positioniert: „Mit technologischen<br />

Spitzenprodukten wird das Unternehmen<br />

einen Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung<br />

bei gleichzeitiger Schonung<br />

von Umwelt und Klima leisten. Dazu stellen<br />

wir allein von <strong>2008</strong> bis einschließlich 2010<br />

bis zu 2 Milliarden € bereit“, so Dr. Werner<br />

Müller, Vorstandsvorsitzender von <strong>Evonik</strong>.<br />

Der Konzern ist in Chemie, Immobilien und<br />

Energie aktiv – und in all diesen Bereichen<br />

sind energieeffiziente Lösungen von gro ßer<br />

Bedeutung. Das gilt einerseits nach innen,<br />

also für den eigenen Energiebedarf, aber<br />

ebenso nach außen für Kundenleistungen.<br />

„In diesem Sinne erbringen wir Innova -<br />

tio nen in allen klima relevanten Sektoren,<br />

also bei Energiebereitstellung, -speicherung<br />

und -nutzung“, sagt Dr. Stefan Nordhoff,<br />

Senior Manager Energy Efficiency von<br />

Creavis Technologies & Innovation, der<br />

geschäftsbereichsübergreifenden Forschungseinheit<br />

von <strong>Evonik</strong>. ><br />

Weniger Verbrauch, niedrigere Kosten und ganz viel Klimaschutz – der rationalere Umgang mit Öl,<br />

Gas, Kohle, Erdwärme und Sonne kann viele Probleme auf einmal lösen<br />

43


44 ANWENDEN ENERGIE-EFFIZIENZ EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

Klimaschutz durch neu gebaute Kraftwerke<br />

Bau des Vorzeige-Kraftwerks Walsum 10: Energie für morgen<br />

FOTO: RALF MELS<br />

><br />

Bis zum Jahr 2030 rechnet die Internationale<br />

Energie-Agentur (IEA, Paris, Frank reich)<br />

mit einem Anstieg der Nachfrage nach<br />

Primär energie von etwa 50 Prozent. Fachleute<br />

sind sich einig, dass diese Entwicklung<br />

ohne fossile Energieträger nicht zu bewältigen<br />

ist. Gemäß dem World Energy Outlook<br />

2007 (Referenzszenario) wird der Kohleeinsatz<br />

von 1.954 Millionen Tonnen Öläquivalente<br />

(Mtoe) in 2005 bis 2030 auf 3.456<br />

Mtoe ansteigen, der Gas verbrauch im selben<br />

Zeitraum von 909 Mtoe auf 1.737 Mtoe<br />

zunehmen. Umso wichtiger ist es, dass die<br />

Strom-Erzeugung aus fossilen Quellen mit<br />

der höchstmöglichen Effi zienz geschieht.<br />

Hierfür setzt <strong>Evonik</strong> mit seinem neuen<br />

Kraftwerksblock Walsum 10 in Duisburg<br />

Maßstäbe. Der neue Block wird in Sachen<br />

Effizienz eine neue Bestmarke erreichen,<br />

der Wirkungsgrad von über 45 Prozent<br />

liegt etwa fünf Prozent höher als in anderen,<br />

neueren Steinkohlekraftwerken in<br />

Deutschland.<br />

Seit der Grundsteinlegung im November<br />

2006 wächst das Kraftwerk Walsum<br />

kontinuierlich, die Inbetriebnahme ist für<br />

2010 geplant. Um den hohen Wirkungsgrad<br />

zu realisieren, müssen die Dampfparameter<br />

weiter angehoben werden: Der<br />

Frischdampf steht unter 285 Bar Druck<br />

mit einer Temperatur von 600 °C (Celsius).<br />

In Planung sind inzwischen sogar


FOTOS: EVONIK INDUSTRIES (2)<br />

Biomassekraftwerk Lünen, seit Juni 2006 am Netz: Pro Jahr werden 135.000 Tonnen Altholz (links) verwertet und dabei<br />

150 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt, genug für 39.000 Haushalte<br />

Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad von<br />

über 50 Prozent, auch hieran ist <strong>Evonik</strong><br />

wesentlich betei ligt. Die Testanlage mit<br />

dem Namen COMTES700 (Component<br />

Test Facility for a 700 °C Power Plant) leistet<br />

dazu einen wichtigen Beitrag, mit ihr<br />

soll die Anhebung der Dampf parameter auf<br />

etwa 700 °C und 350 Bar durch den Einsatz<br />

von Werkstoffen auf Nickel-Basis möglich<br />

werden.<br />

DIE NUTZUNG VON ALTHOLZ<br />

Der Einbau von COMTES700 in den Block<br />

F des Kohlekraftwerks Gelsenkirchen-<br />

Scholven der E.on AG ist bereits erfolgt.<br />

Einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz<br />

leistet <strong>Evonik</strong> auch als Spezialist<br />

für erneuer bare Energien wie Biomasse,<br />

Gruben gas und Geothermie. Das im Grubengas<br />

enthaltene Methan trägt mit einem<br />

„global warming potential“ von 21, das<br />

entspricht dem 21-fachen Treibhauspotenzial<br />

von Kohlen dioxid, zur Verstärkung des<br />

Treibhaus effektes bei. <strong>Evonik</strong> nutzt diesen<br />

Energieträger in mehr als 100 Anlagen<br />

an Ruhr und Saar, um jährlich rund 1.230<br />

Gigawatt stunden (GWh) Strom und 366<br />

GWh Wärme zu erzeugen. Am Standort<br />

Fenne im Saarland befindet sich eine der<br />

größten Grubengas-Motoren anlagen der<br />

Welt mit einer Leistung von je 42 Megawatt<br />

(MW) thermisch und elektrisch. Ins-<br />

gesamt werden pro Jahr rund 345 Millionen<br />

Norm kubikmeter Grubengas verwertet<br />

und damit rund 4,6 Millionen Tonnen CO 2<br />

pro Jahr vermieden. <strong>Evonik</strong> vermarket sein<br />

Grubengas-Know-how auch in Russland,<br />

China, Polen und der Ukraine.<br />

Ende Juni 2007 begannen zudem die<br />

Arbeiten für ein Gichtgaskraftwerk auf<br />

dem Gelände der Dillinger Hütte, das überschüssiges<br />

Hochofengas nutzt und umweltfreundlich<br />

in Strom und Wärme verwandelt.<br />

Das Kraftwerk verfügt über eine elektrische<br />

Leistung von 90 MW und eine Feue rungswärme<br />

leistung von 230 MW. Es soll im Sommer<br />

2009 in Betrieb gehen und benö tigt<br />

Investitionen von rund 100 Millionen €.<br />

<strong>Evonik</strong> ist am Kraftwerk mit 49,9 Prozent<br />

beteiligt. Durch den Einsatz der besten verfügbaren<br />

Anlagentechnik können jährlich<br />

fast 2 Milliarden Kubikmeter Hochofengas<br />

in 570 Millio nen Kilowattstunden Elektrizität<br />

und 400.000 Tonnen Dampf umgewandelt<br />

werden.<br />

Sogar CO 2-neutral arbeiten Anlagen auf<br />

Basis von fester Biomasse oder Biogas, bei<br />

deren Umwandlung in Strom und Wärme<br />

nur so viel Kohlendioxid entsteht, wie die<br />

verwendeten Pflanzen zuvor aus der Atmosphäre<br />

gebunden haben. <strong>Evonik</strong> gehört mit<br />

zehn derartigen Kraftwerken zu den<br />

Marktfüh rern bei der energetischen Nutzung<br />

von Biomasse aus Alt- und Rest hölzern.<br />

Zudem betreibt das Unternehmen eine<br />

Biogasan lage und will diesen Bereich weiter<br />

ausbauen. Im Mai 2007 wurde deshalb<br />

ein 50:50-Joint-Venture mit der EnD-I Loick<br />

Bioenergy GmbH (Köln) gegründet, das die<br />

Planung, Errichtung und den Betrieb von<br />

Biogasanlagen insbesondere in einer<br />

Größen ordnung über 4 MW elektrische<br />

Leistung zum Ziel hat. Als erstes Projekt ist<br />

eine Anlage (6 MW) im Industriepark Dorsten/Marl<br />

geplant, die im Ausbau sogar<br />

10 MW erreichen soll.<br />

Bereits seit Juni 2006 läuft das Biomassekraftwerk<br />

Lünen, das pro Jahr rund 135.000<br />

Tonnen Altholz verwertet und dabei 150<br />

Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt.<br />

Das reicht, um 39.000 Haushalte zu versorgen.<br />

Der Standort der Anlage befindet sich<br />

in direkter Nachbarschaft zum Lippewerk<br />

der Remondis GmbH, die Europas größtes<br />

Zentrum für Kreislaufwirtschaft betreibt<br />

und auch für die Altholzanlieferung sorgt.<br />

Remondis ist zu 49,1 Prozent am Biomassekraftwerk<br />

beteiligt, das im Vergleich zu herkömmlich<br />

gewonnener Nutzenergie rund<br />

100.000 Tonnen CO 2 einspart. Außer in<br />

Lünen gibt es in Großaitingen ein weiteres<br />

Kraftwerk sowie Biomasse-Heizkraftwerke<br />

in Werl, Neufahrn, Ilmenau, Neuwied,<br />

Dresden, Traunreuth, Buchenbach und<br />

Buchen. Insgesamt können in den Anlagen<br />

von <strong>Evonik</strong> rund 400.000 Tonnen Alt- und >


46 ANWENDEN<br />

Grubengas-Anlage, Fenne: mit einer Leistung von 42 Megawatt<br />

eine der größten Grubengas-Motorenanlagen weltweit<br />

><br />

Resthölzer verarbeitet werden. Dabei wird<br />

Strom für 77.000 Haushalte und Wärme für<br />

17.400 Haushalte erzeugt. Laut einer von<br />

<strong>Evonik</strong> in Auftrag gegebenen Studie bieten<br />

nachwachsende Rohstoffe, Waldholz und<br />

Bioabfälle ein jährlich zugängliches Marktvolumen,<br />

das einem Energie potenzial von<br />

rund 40.000 GWh (elektrisch) entspricht.<br />

DIE WÄRME AUS<br />

DER TIEFE DER ERDE<br />

Ganz ohne Kohlendioxidbelastung kommt<br />

auch die Geothermie aus – zumindest eine<br />

Teillösung für unsere Energieprobleme<br />

könnte also nicht nur vom Himmel kommen,<br />

sondern auch zu unseren Füßen liegen.<br />

Rund 99 Prozent der Erde sind heißer<br />

als 1.000 °C – so strömt aus dem Inneren<br />

unseres Planeten eine gewaltige Energiemenge<br />

an die Ober fläche. Jeden Tag<br />

strahlt die Erde viermal mehr Energie in<br />

den Weltraum ab, als alle Industrie anlagen<br />

und Fahrzeuge gleichzeitig verbrauchen.<br />

Theo retisch reicht die in den oberen drei<br />

Kilometern der Erdkruste gespeicherte<br />

Energie aus, um die Menschheit mehr<br />

als 100.000 Jahre lang mit Energie zu versorgen.<br />

<strong>Evonik</strong> ist in Deutschland Markt-<br />

und Innovations führer bei der Fernwärmeversorgung<br />

auf Basis von Geothermie<br />

und betreibt Projekte in Erding, Simbach-<br />

Braunau (Österreich) und Unterschleiß-<br />

Joint Solar Silicon GmbH & Co. KG, Freiberg, seit August <strong>2008</strong> in Betrieb:<br />

Ein Montage roboter wird zur Endfertigung eines Solarmoduls eingerichtet<br />

heim mit einem thermischen Anschlusswert<br />

von derzeit rund 110 MW.<br />

Die Kreisstadt Erding liegt rund 36<br />

Kilometer nordöstlich von München in<br />

unmittelbarer Nähe des Franz-Josef-Strauß-<br />

Flughafens. 1983 erbrachte eine nicht fündige<br />

Ölbohrung in einer Tiefe von etwa<br />

2.350 Metern im sogenannten Malmkarst<br />

Thermalwasser mit einer Temperatur von<br />

65 °C. Sechs Jahre später schlossen sich<br />

Stadt und Landkreis Erding zu einem Zweckverband<br />

für Geowärme zusammen, der<br />

1994 <strong>Evonik</strong> mit der Planung, dem Bau und<br />

dem Betrieb einer Fernwärmeversorgung<br />

auf dieser Basis beauftragte. Im März 1998<br />

konnte das erste Geoheizwerk in Betrieb<br />

genommen werden – europaweit einmalig<br />

wird das Thermalwasser gleich dreifach<br />

genutzt: zur Fernwärme erzeugung,<br />

als Trinkwasser und zur Belieferung der<br />

Therme Erding.<br />

Der Zweckverband liefert die aus der<br />

Tiefe geholte Wärme an das von <strong>Evonik</strong><br />

betriebene Fernwärmenetz. Derzeit verfügt<br />

dieses über einen Anschlusswert von<br />

30 MW und eine Netzlänge von rund 18<br />

Kilometern. Ebenfalls beauftragt wurde der<br />

Energiedienstleister mit der Planung, dem<br />

Bau und Betrieb der Anlagenerweiterung in<br />

Erding. Bis 2009 entsteht nun im Westen<br />

der Stadt ein zweites Geoheizwerk. Dieses<br />

wird über eine Leitung mit der Förder-<br />

bohrung verbunden, durch die heißes<br />

Thermal wasser geführt wird. Der Ausbau<br />

der Kapazitäten erfordert zudem eine weitere,<br />

2.100 Meter tiefe Bohrung, in der das<br />

abgekühlte Wasser wieder in den Untergrund<br />

verpresst wird. Die Investitionen für<br />

die Ausweitung der Fernwärmeversorgung<br />

(Geoheizwerk und Netz) belaufen sich auf<br />

18,7 Millionen €. Geplant ist eine Wärmeerzeugung<br />

von 108.000 Megawattstunden<br />

pro Jahr im Endausbau für beide Werke –<br />

genug Energie, um 6.000 Einfamilien häuser<br />

zu beheizen. Dies entspricht der Versorgung<br />

von 3.278 Einfamilien haushalten. Mit<br />

der neuen Anlage werden unter anderem<br />

zwei bestehende und ein geplantes Gewerbegebiet<br />

sowie zwei neue Wohngebiete versorgt.<br />

<strong>Evonik</strong> ist also auch in diesem Bereich<br />

auf einem guten Weg.<br />

Zudem ist <strong>Evonik</strong> zusammen mit Partnern<br />

wie Électricité de France SA (EdF)<br />

oder Energie Baden-Württemberg AG<br />

(EnBW) aktives Vollmitglied im europäischen<br />

Geothermie-Projekt Soultz-sous-<br />

Forêts (Frankreich). Ziel des Vorhabens am<br />

westlichen Rand des Ober rheingrabens<br />

(circa 50 Kilometer nördlich von Straßburg,<br />

Frank reich) ist es, Erkenntnisse auf der<br />

Grund lage des Hot-dry-Rock-Verfahrens zu<br />

sammeln. Im Unterschied zu bereits bestehenden<br />

Anlagen geht es hier um den Einsatz<br />

des Verfahrens in noch größerer Tiefe und<br />

FOTOS: EVONIK INDUSTRIES, PICTURE-ALLIANCE/DPA


die Erzeugung von Strom. Das Hot-dry-<br />

Rock-Verfahren nutzt die hohen Temperaturen,<br />

die ab rund 4.000 Metern Tiefe praktisch<br />

überall herrschen.<br />

In Soultz-sous-Forêts wurden zunächst<br />

bestehende Risse in dem Granitgestein mit<br />

hohem Druck erweitert und miteinander<br />

verbunden. So entstand in über 5.000<br />

Metern Tiefe ein weites Netz von Rissen. In<br />

diesen geo logischen „Durchlauferhitzer“<br />

wird Wasser gepumpt, das verdampft und<br />

in dieser Form wieder an die Oberfläche<br />

kommt. Der Dampf soll über eine Turbine<br />

direkt zur Strom-Erzeugung genutzt werden.<br />

Seit 13. Juni <strong>2008</strong> läuft die Anlage im<br />

Probebetrieb. Sie verfügt über eine installierte<br />

Leistung von 1,5 MW elektrisch. Im<br />

Endausbau sind 25 MW ge plant. Die Dampftemperatur<br />

beträgt 200 °C. Bisher wurden<br />

hier rund 24 Millionen €, davon 20 Millionen<br />

€ an Fördermitteln, investiert. Weitere<br />

Investitionen in Höhe von rund 21 Millionen<br />

€ sind vorgesehen.<br />

Das eingesetzte Verfahren ist auf 95<br />

Prozent der Fläche Deutschlands anwendbar,<br />

ein immenses Potenzial auf lange Sicht.<br />

Nach einer Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung<br />

beim Deutschen Bundestag<br />

(TAB) hat Erdwärme in Deutschland<br />

bei nachhaltiger Nutzung ein jährliches<br />

Potenzial von rund 300 TWh. Dies entspricht<br />

etwa der Hälfte der gegenwärtigen<br />

Energiesparen durch innovative Speicher<br />

><br />

FOTO: GERHARD BLANK<br />

EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

ENERGIE-EFFIZIENZ<br />

ANWENDEN<br />

Geotherme, Erding: Thermalwasser aus rund 2.350 Metern Tiefe versorgt nicht nur die Therme<br />

Erding, sondern wird auch für Fernwärme genutzt<br />

47


48 ANWENDEN<br />

ENERGIE-EFFIZIENZ EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

><br />

Chemie ist der Motor für den Klimaschutz<br />

Brutto-Strom-Erzeugung in ganz Deutschland.<br />

Für <strong>Evonik</strong> bedeutet der Einstieg in die<br />

Strom-Erzeugung auf Basis von Geo thermie<br />

eine Investition in eine zuverlässige und<br />

zu gleich klimafreundliche Zukunftstechnologie.<br />

DIE BATTERIEN DER ZWEITEN<br />

GENERATION<br />

Das gilt ebenso für die Fotovoltaik, die<br />

direkte Umwandlung von Sonnenlicht<br />

in Strom. Als weltweit führendes Unternehmen<br />

für Spezial chemie hat <strong>Evonik</strong> als<br />

Markt führer auch große Erfahrung in der<br />

Herstellung von Chlorsilanen (Markenname<br />

SIRIDION), die einen neuen Herstellungsweg<br />

für das begehrte Halbleitermaterial<br />

Silizium geebnet haben. Schon<br />

2002 wurde mit der Bonner SolarWorld,<br />

einem der größten Unter nehmen für Solartechnik,<br />

die Joint Solar Silicon GmbH (Freiberg,<br />

Sachsen) gegründet, die seit August<br />

<strong>2008</strong> jährlich 850 Tonnen Solar silizium am<br />

<strong>Evonik</strong>-Standort Rheinfelden herstellt. Seit<br />

diesem Start ins Sonnen zeitalter hat <strong>Evonik</strong><br />

die eigenen Aktivitäten in diesem Bereich<br />

deutlich ausgebaut: Im April 2007 unterzeichnete<br />

das Unter nehmen eine Absichtserklärung<br />

mit der Sili cium de Provence für<br />

eine Verbundproduktion von jährlich bis zu<br />

4.000 Tonnen Solarsilizium. Kurz da rauf<br />

wurde ein langfristiger Liefervertrag für<br />

Chlorsilane von <strong>Evonik</strong> mit der PV Silicon<br />

AG in Erfurt abgeschlossen, um die in Bau<br />

befindliche Produktions anlage in Bitterfeld<br />

zur Erzeugung von 1.800 Tonnen Silizium<br />

zu versorgen.<br />

Mit einem namhaften amerikanischen<br />

Hersteller von Siliziumwafern wurde ein<br />

langfristiger Liefervertrag für Chlorsilane<br />

paraphiert, der die geplanten Ausbaupläne<br />

seiner italienischen Produktion absichert.<br />

Dr. Klaus Engel, Mitglied des Vorstands von<br />

<strong>Evonik</strong> und verantwortlich für das Geschäftsfeld<br />

Chemie: „Bereits heute gibt es in der<br />

Fotovoltaikindustrie einen Engpass in der<br />

Solarsiliziumversorgung. Unsere Investi tionen<br />

stellen sicher, dass unsere Partner die<br />

höchst anspruchsvollen Wachstums märkte<br />

in dieser aufstrebenden Industriebranche<br />

bedienen können. Mittelfristig wollen wir<br />

einen hohen dreistelligen Millio nen-Euro-<br />

Betrag in die Hand nehmen, um unsere gute<br />

Position in diesem attraktiven und gleichzeitig<br />

anspruchsvollen Markt massiv auszubauen.“<br />

Gerade beim Einsatz der regenerativen<br />

Sonnen- oder Windkraft kommt der<br />

Speiche rung von Energie eine entscheidende<br />

Rolle zu, da entsprechend erzeugter<br />

Strom nur unstetig zur Verfügung steht.<br />

Deshalb forciert <strong>Evonik</strong> seine Anstrengungen<br />

im Zukunftsmarkt der Lithium-Ionen-<br />

Batterien. „Wir wollen die europäische<br />

Leichtbaukomponenten: Im Airbus A380 reduzieren<br />

Produkte von <strong>Evonik</strong> Gewicht und Energieverbrauch<br />

Nummer eins unter den Herstellern von<br />

derartigen Batteriekomponenten werden“,<br />

gibt Werner Müller Ziele vor, „denn dieser<br />

Zukunftsmarkt verspricht in den kommenden<br />

Jahren starkes Wachstum.“ Aus diesem<br />

Grund hat <strong>Evonik</strong> die Schlagzahl noch einmal<br />

erhöht. So wird die erste Fertigungs linie<br />

bereits erweitert, die erst im April <strong>2008</strong> in<br />

Betrieb ging. Gleichzeitig hat <strong>Evonik</strong> die<br />

Beteiligung an der Li-Tec Battery GmbH &<br />

Co. KG auf 40 Prozent verdoppelt. Prognosen<br />

zufolge soll das Marktvolumen für<br />

großvolumige Lithium-Ionen-Batterien im<br />

nächsten Jahrzehnt die Schwelle von 10 Milliarden,<br />

das für Batteriematerialien 4 Milliarden<br />

€ über steigen.<br />

Die innovativen Energiespeicher können<br />

den Kraftstoff- und Energieverbrauch<br />

in Hybrid- und Elektrofahrzeugen um bis zu<br />

30 Prozent, im Stadtverkehr sogar um bis zu<br />

50 Prozent senken. Schlüsselkomponente<br />

ist der keramische Separator SEPARION,<br />

den <strong>Evonik</strong> entwickelt und der die Sicherheit<br />

und Leistung der Akkumulatoren deutlich<br />

erhöht hat. Aufgrund der Material eigenschaften<br />

ist der Separator unbrennbar und<br />

kann höheren Temperaturen standhalten,<br />

wodurch das Kurzschlussrisiko deutlich vermindert<br />

wird.<br />

Im Januar 2006 begann <strong>Evonik</strong> am<br />

Standort der Li-Tec in Kamenz auch mit<br />

dem Aufbau einer Elektrodenproduk tion


und Energieverbrauch von Hybrid- und Elektrofahrzeugen um 30 Prozent senken<br />

für groß volumige Lithium-Ionen-Batterien.<br />

Die jährliche Produktionskapazität<br />

der Anlage entspricht dem Bedarf für<br />

rund 30.000 Batterien. Damit ist ein wichtiger<br />

Schritt zum Systemanbieter geschafft.<br />

„Zahlreiche europäische Automobilkonzerne<br />

und Zulieferer interessieren sich<br />

inzwischen für unsere Technik“, betont<br />

Dr. Andreas Gutsch, Geschäfts führer der<br />

Li-Tec. Ziel ist die Serien fertigung für<br />

Automobile ab etwa 2010. Die Aktivitäten<br />

sind auch Teil der Innovations allianz<br />

der Bundes regierung. Im Rahmen der vom<br />

Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />

(BMBF) geförderten Initiative<br />

Innovationsallianz „ Lithium-Ionen-Batterie<br />

LIB 2015“ entwickeln <strong>Evonik</strong> und Li-Tec<br />

mit interna tio nal renommierten Partnern<br />

neue Materia lien für noch leistungsfähigere<br />

Batterien der zweiten Generation. Die<br />

Initiative, die erstmals alle Stufen der Wertschöpfungskette<br />

der Lithium-Ionen-Batterie<br />

abbildet, ist auf drei Jahre angelegt. Das<br />

BMBF fördert die Projekte mit rund 60 Millionen<br />

€.<br />

DER ABGEMAGERTE VW GOLF<br />

Neben der mobilen Anwendung ist auch ein<br />

stationärer Einsatz von Lithium-Ionen-Batterien<br />

denkbar, die im Stromnetz als Puffer<br />

dienen können. Führt man beide Nutzungen<br />

zu einem Regelkreis zusammen, könnten<br />

Autobatterien, die über die häusliche Steckdose<br />

oder in Parkhäusern am Netz hängen,<br />

bei Stromüberschuss Energie aufnehmen, in<br />

Spitzenlastsituationen aber auch zur Verfügung<br />

stellen. Auf diese Weise könnten künftige<br />

Autogenerationen Teil einer sicheren<br />

Stromversorgung werden, die gerade mit<br />

einem großen Anteil an regenerativer Energie<br />

besser fertig wird.<br />

In vielen Bereichen ermöglichen <strong>Evonik</strong>-<br />

Produkte darüber hinaus eine effiziente<br />

Energienutzung im Bereich Transport<br />

und Verkehr. ROHACELL zum Beispiel ist<br />

ein Hartschaum für Faserverbundbauteile<br />

mit hervorragenden mechanischen Eigenschaften,<br />

niedrigem Gewicht und hoher<br />

Wärmeformbeständigkeit. SOLIMIDE ist<br />

hingegen ein Weichschaum mit sehr guter<br />

thermischer und akustischer Isolation,<br />

nicht entflammbar und extrem leicht. Beide<br />

Typen sind prädestiniert für Leichtbaukomponenten<br />

von Flugzeugen wie dem<br />

Airbus A380 oder der Boeing B787, Automobilen,<br />

Schiffen, Schienenfahrzeugen,<br />

Medizintechnik, Windkraftanlagen oder<br />

Sportgeräten. Ein weiteres Exempel sind<br />

Leichtlaufreifen, bei denen Produkte von<br />

<strong>Evonik</strong> die CO2-Emissionen schon um<br />

rund 6 Millionen Tonnen pro Jahr reduzieren.<br />

Als einziger Hersteller bietet <strong>Evonik</strong><br />

die drei Verstärkerkomponenten Carbon<br />

Black, Kieselsäure und Silane an, die den<br />

FOTOS (V. L. N. R.): ALIMDI.NET/AXEL SCHMIES, SVEN DÖRING, EVONIK INDUSTRIES Lithium-Ionen-Batterien: Die innovativen Energiespeicher können den Kraftstoff-<br />

Leichtbau-Golf: Mit Materialien von <strong>Evonik</strong> konnte das 1.300<br />

Kilogramm schwere Auto um 371 Kilo „abgespeckt“ werden<br />

Roll wider stand maßgeblich beeinflussen.<br />

Das neu entwickelte Organosilan (VP Si<br />

363) allein hat das Poten zial, weltweit bis<br />

zu 64 Millionen Tonnen Kohlen dioxid pro<br />

Jahr einzusparen.<br />

Schon heute stammen rund 30 Prozent<br />

moderner Automobile aus den Entwicklungslabors<br />

der Chemie – erst kürzlich<br />

hat <strong>Evonik</strong> demonstriert, über welche<br />

Möglichkeiten das Unternehmen als Material-<br />

und System lieferant verfügt. Ein<br />

handels üblicher Golf V, ursprünglich 1.300<br />

Kilogramm schwer, konnte um erstaunliche<br />

371 Kilogramm „abge ma gert“ werden.<br />

Positiver und absolut gewollter Nebeneffekt:<br />

Der CO 2-Ausstoß vermindert sich<br />

um 32 Prozent auf 103 Gramm pro Kilometer,<br />

der Sprit verbrauch sinkt um rund<br />

ein Drittel von 5,7 auf nur noch 3,9 Liter<br />

pro 100 Kilometer Fahrstrecke. Möglich<br />

wurde dieser Effekt durch den konsequenten<br />

Einsatz von <strong>Evonik</strong>-Materialien<br />

für Leichtbau maßnahmen im Karosserie-<br />

und Innen bereich, Kunststoffscheiben,<br />

Leichtlaufreifen, Leichtlauf öle und eine<br />

Lithium-Ionen-Starter batterie. Dieses<br />

Demonstrationsbeispiel zeigt, welches<br />

Energie-Effizienz-Potenzial die Chemie<br />

aufweist. Prof. Dr. Ulrich Lehner, Präsident<br />

des Verbandes der Chemischen Industrie,<br />

bringt es auf eine griffige Formel: „Chemie<br />

ist der Motor für den Klimaschutz.“


50 INFORMIEREN<br />

EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

FOTO: EVONIK INDUSTRIES<br />

FOTO: FRANK PETERSCHRÖDER<br />

Neue Barcodes im Supermarkt<br />

Wenn die Milchtüte funkt<br />

Künftig werden RFID-Etiketten Barcodes und Preisschilder<br />

ablösen, davon sind Fachleute aus Handel und<br />

Logistik überzeugt. Derzeit sind die schlauen Kennzeichen<br />

aber noch zu teuer, um massenweise Eingang in<br />

die Regale zu finden. Grund: aufwendige Her stellungsverfahren<br />

und hohe Preise der Silizium chips. Deutsche<br />

Firmen haben jetzt mithilfe des Bundes ministeriums<br />

für Bildung und Forschung (BMBF) ein Verbundprojekt<br />

ge startet, um die Funk etiketten mithilfe druckbarer<br />

Elek tronik deutlich preisgünstiger zu machen. An<br />

„MaDriX“ (https://www.madrix-projekt.de) sind<br />

PolyIC, BASF, <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG, Elantas Beck und<br />

Gallenblase<br />

Laparoskop<br />

Bauchnabel<br />

Kulturelles Leben im Ruhrgebiet<br />

Paradies für Krimifans<br />

EVONIK-MAGAZIN Wie gruselig ist das<br />

Ruhrgebiet, oder warum eignet es sich besonders<br />

als Schauplatz für Krimis?<br />

GABRIELLA WOLLENHAUPT Es gibt keine<br />

gruseligere Region als das Ruhrgebiet. Was<br />

ist ein dunkler, undurchdringlicher Wald in Bayern<br />

verglichen mit einer von Gift verseuchten Zechenbrache?<br />

Warum sollten sich Täter von Bergen<br />

in die Schlucht stürzen, wenn es einen Gasometer mit<br />

Gleisanschluss gibt? Aber – mal Spaß beiseite: Das<br />

Ruhrgebiet ist durch seine besonders hohe Menschendichte<br />

perfekt für Verbrechen aller Art geeignet …<br />

FOTO: PRIVAT, GRAFIK: PR<br />

Siemens beteiligt. Die Gesamtinvestitionssumme beträgt<br />

15 Mil lio nen €, das BMBF übernimmt rund die Hälfte.<br />

„Unser Beitrag besteht in der Entwicklung von<br />

neuen Halbleitern und Isolatoren“, erklärt Dr. Heiko<br />

Thiem, Projektleiter MaDriX bei <strong>Evonik</strong>. Synthese und<br />

Untersuchung der neu artigen Materialien finden im<br />

durch die EU kofinanzierten und durch das Land NRW<br />

geförderten Science to Business Center Nanotronics<br />

im Projekt „Gedruckte Elektronik“ in Marl statt. Es werden<br />

Halbleiter in enger Kooperation mit führenden<br />

Hoch schulen und Instituten sowohl auf anorganischer<br />

als auch auf organischer Basis entwickelt. Zudem wer-<br />

Transvaginale Operation in NRW<br />

Gallen-OP ohne Schnitt<br />

Prof. Dr. Martin Büsing<br />

entfernt Gallenblasen<br />

ohne Bauchschnitt.<br />

Die Operation durch<br />

die Vagina hat viele<br />

Vorteile: keine Narbe,<br />

weniger Infektionen<br />

EVONIK-MAGAZIN Gibt es einen Ort, der Sie<br />

besonders inspiriert?<br />

WOLLENHAUPT Ja, der Blick von der<br />

Hohen syburg in Dortmund ins Tal der Ruhr.<br />

EVONIK-MAGAZIN Welche Attraktion darf<br />

man als Krimifan im Ruhrgebiet nicht<br />

verpassen?<br />

WOLLENHAUPT Die vielen kulturellen<br />

Angebote: Ruhrfestspiele in Recklinghausen,<br />

Besuche des Konzerthauses<br />

in Dortmund, die Cranger Kirmes und …<br />

meine Premierenlesungen.<br />

Intelligente<br />

RFID-Etiketten<br />

werden<br />

das Einkaufen<br />

revolutionieren<br />

den neuartige Poly methyl methacrylat(PMMA)-Typen<br />

als Isolator im Deviceaufbau getestet und für die Anwendung<br />

evaluiert. <strong>Evonik</strong> ist bereits heute ein führender<br />

Hersteller des Kunststoffs PMMA. „Wir arbeiten<br />

aber nicht nur als Materiallieferant, sondern bringen<br />

auch unsere Formulierungskenntnisse ein. Das Ziel sind<br />

System lösungen, also fertige Drucktinten, die dem<br />

jeweiligen Deviceaufbau angepasst sind“, so Thiem.<br />

Im Mai <strong>2008</strong> wurde am Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen unter Chefchirurg<br />

Prof. Dr. Martin Büsing erstmals eine Gallenblasenentfernung ohne Bauchschnitt<br />

durchgeführt. Bei dieser „transvaginalen Cholezystektomie“ erfolgt der Zugang zum<br />

Bauchraum über die Vagina. Die bisherige Schlüssellochtechnik mit drei bis vier<br />

Einschnitten in die Bauchdecke ist mit der sogenannten Natural-Orifice-Transluminal-<br />

Endoscopic-Surgery(NOTES)-Technik nicht mehr erforderlich. Sie ermöglicht<br />

den Zugang mit zwei Instrumenten durch das hintere Scheidengewölbe sowie einen<br />

winzigen zentralen Einstich im Nabelbereich. „Die Chirurgie ist auf dem Weg zur<br />

narbenlosen Bauchoperation ein großes Stück vorangekommen. Wir erwarten noch<br />

weniger Schmerzen, eine praktisch narbenfreie Bauchdecke und weniger Wund -<br />

infektionen“, so Prof. Dr. Martin Büsing. Nutznießer sind Frauen. Etwa zwei Drittel der<br />

rund 190.000 Gallenblasenoperationen pro Jahr werden an Frauen vorgenommen.<br />

EVONIK-MAGAZIN Was unterscheidet das<br />

Ruhrgebiet vom Rest Deutschlands?<br />

WOLLENHAUPT Eine „abgearbeitete“ Landschaft,<br />

die dabei ist, sich zu erholen und zu entwickeln.<br />

Pioniergeist, aber auch ein<br />

gesundes „Bewahrenwollen“,<br />

spürbare Solidarität und gesellschaftliche<br />

Toleranz.<br />

Gabriella Wollenhaupt<br />

schreibt seit 1993 Krimis. Mitten<br />

im Ruhrpott jagt ihre Figur, die<br />

Detektivin Grappa, Verbrecher


FOTO: JENS PASSOTH<br />

„European Science-to-Business Award“ von <strong>Evonik</strong><br />

Ansporn für junge Wissenschaftler<br />

„Aus Ideen marktfähige Hightech-Produkte und<br />

anspruchsvolle Dienstleistungen zu machen gehört<br />

nicht mehr zu den deutschen Stärken“, bedauert<br />

Dr. Arend Oetker. Der erfolgreiche Unternehmer<br />

muss es wissen, denn Oetker ist auch Präsident<br />

des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft.<br />

In ihm sind 3.000 Unternehmen und Wirtschaftsverbände<br />

vor allem mit dem Ziel organisiert,<br />

diese Defizite zu beseitigen und damit grundlegende<br />

Erkenntnisse schneller in erfolgreiche Produkte zu<br />

transferieren. „In diesem Sinne ist der Stifterverband<br />

die Innovationsagentur der Wirtschaft für das Wis-<br />

senschaftssystem, das die Grundlagen für den Erfolg<br />

unseres Landes legt“, so Oetker. Ebenfalls an der<br />

Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft<br />

angesiedelt ist der „European Science-to-Business<br />

Award“, den die <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG <strong>2008</strong> zum<br />

zweiten Mal ausgelobt hat und der mit 100.000 €<br />

dotiert ist. „Ich freue mich, dass wir Dr. Oetker als<br />

Schirmherrn für den diesjährigen Preis gewinnen<br />

konnten“, erklärt Dr. Alfred Oberholz, Mitglied des<br />

Vorstandes von <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong>. Der Preis wurde<br />

ins Leben gerufen, um junge Forscher auszuzeichnen<br />

und zu ermutigen, die den Schritt aus den Laboren<br />

Dr. Arend Oetker<br />

ist Präsident des<br />

Stifterverbandes<br />

für die Deutsche<br />

Wissenschaft und<br />

Schirmherr des<br />

„European Scienceto-Business<br />

Award“<br />

in die Wirtschaft wagen. Wenn sich herausragende<br />

Forschung mit Unternehmergeist paart, hat Europa<br />

gute Chancen, seine Spitzenposition im weltweiten<br />

Wettbewerb auszubauen. Gerade das Feld weiße<br />

Biotechnologie, das <strong>2008</strong> als Thema des Scienceto-Business<br />

Award ausgewählt wurde, ist hierfür<br />

bestens geeignet. „In Raps und Rüben steckt mehr als<br />

nur die Vorstufe von Biodiesel und Biosprit“, hat<br />

Oetker erst kürzlich erklärt. Auch die chemische<br />

Industrie ist hiervon überzeugt und nutzt schon<br />

heute mehr als 2,5 Millionen Tonnen nachwachsender<br />

Rohstoffe.<br />

51


52 ERLEBEN<br />

KÖLN-ZOLLSTOCK EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

Fahrrad statt Auto<br />

In Köln-Zollstock hat <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> zusammen<br />

mit Partnern ein modernes Wohnviertel für<br />

alte und junge Menschen in die Tat umgesetzt<br />

TEXT MARTIN KUHNA<br />

FOTOS CATRIN MORITZ<br />

ZOLLSTOCK MAG außerhalb Kölns vielleicht<br />

nicht zu den bekanntesten Vierteln der<br />

Stadt zählen. Doch wer es kennt, der schätzt<br />

es und will entweder dort wohnen bleiben<br />

oder nur allzu gern dort hinziehen. Da war es<br />

nur logisch, in Zollstock neue Wohnungen zu<br />

bauen. Die gingen weg wie geschnitten Brot.<br />

„Mit diesem Projekt hat <strong>Evonik</strong> den Bestand<br />

in Köln weiter ausgebaut. Die erfolgreiche, in<br />

kürzester Zeit realisierte Vollvermietung<br />

zeigt deutlich die hohe At traktivität des<br />

Objektes und das große Engagement unserer<br />

Mitarbeiter im Kunden Center“, so Robert<br />

Kurth, Leiter des KundenCenters Düsseldorf/<br />

Köln von <strong>Evonik</strong>.<br />

Meistens waren es Inte ressenten aus den<br />

Nachbarvierteln, die beim Geschäftsfeld<br />

Immobilien von <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG anriefen<br />

und sich schnell zum Einzug entschieden.<br />

Jennifer und Torulv Holst zum Beispiel, die<br />

vorher „um die Ecke wohnten“. „Man hat hier<br />

alles, was man braucht“, sagt Jennifer Holst.<br />

Und das heißt: Einkaufsmöglichkeiten gleich<br />

nebenan, viel Grün und beste, kurze Stadtbahnverbindung<br />

zum Kölner Zentrum. Nachbar<br />

Markus Salewski präzisiert: „Supermärkte,<br />

Post, Arztpraxen, Vorgebirgspark,<br />

Bus- und Bahnanbindung, ein Schwimmbad.<br />

Außerdem hat das Viertel ein gewisses Etwas;<br />

es ist eine eigene kleine Welt.“ Was das Viertel<br />

anging, gab es für Jennifer und Torulv Holst<br />

also keinen Grund, sich anderweitig zu orientieren.<br />

Doch bei der Wohnung wollten sie sich<br />

schon verbessern. Deshalb waren sie interessiert,<br />

als nebenan beim Güterbahnhof Eifeltor<br />

ein paar Stumpfgleise und Lagerhallen verschwanden<br />

und an deren Stelle ein neues<br />

Wohnquartier heranwuchs, gemeinsam<br />

entwickelt von <strong>Evonik</strong>, der Kölner Bauwens-<br />

Gruppe und Corpus Sireo, dem Immobilienmakler<br />

der Sparkasse Köln/Bonn. Was da<br />

geplant war, fanden sie „sehr durchdacht“ –<br />

zumal mit Blick auf den erwarteten Nachwuchs:<br />

„Das Kind werde ich hier ohne Angst<br />

draußen spielen lassen können, und das finde<br />

ich sehr gut“, sagt Jennifer Holst.<br />

Autos kommen nämlich in den Zollstockhöfen<br />

sichtbar kaum vor. Die Paul-Nießen-<br />

Straße als Zufahrt ist eine Sack gasse mit<br />

wenigen ausgewiesenen Parkplätzen. Dafür<br />

gibt es eine Tiefgarage unter der Siedlung –<br />

mit einem Stellplatz für jede Wohnung.<br />

Damit die Autos so viel wie möglich da unten<br />

drin bleiben können, gibt es auf Wunsch der<br />

Stadt Köln ebenso viele überdachte Fahrradstellplätze<br />

bei den Häusern. So kann man<br />

wirklich Besorgungen in der Nachbarschaft<br />

bequem per Rad erledigen, ohne das Zweirad<br />

jedes Mal umständlich aus einem engen<br />

Keller wuchten zu müssen. Und in den großzügigen<br />

Anlagen zwischen den Häusern gibt<br />

>


53<br />

Moderne Wohnungen und<br />

attraktive Spielplätze<br />

machen die Zollstockhöfe<br />

zu einem begehrten<br />

Wohnquartier für Familien


es eben keine Autos, dafür gleich mehrere<br />

schöne Spiel plätze. Auf den Wegen dazwischen<br />

können Kinder laufen, krabbeln, rennen<br />

und Rad fahren lernen, ohne dass sie oder<br />

ihre Eltern Unfälle befürchten müssen.<br />

Das war für die künftigen Eltern Holst ein<br />

gewichtiges Argument. Dazu kam natürlich<br />

die gediegene Ausstattung aller Wohnungen<br />

mit Parkett, Fliesen, Gaszentralheizung, Aufzug,<br />

Balkon, Dachterrasse oder Terrasse und<br />

Garten. Holsts verguckten sich in eine Erdgeschosswohnung<br />

mit Terrasse und einem Stück<br />

Wiese. Und sie hatten Glück: Die Wohnung<br />

war nämlich eigentlich schon „weg“, doch die<br />

Pläne der Vormieter änder ten sich plötzlich.<br />

Die Wohnung war wieder frei, Jennifer und<br />

Torulv Holst konnten einziehen. Inzwischen<br />

haben sie sich eingerichtet – nur die Bilder<br />

an den Wänden fehlen noch. Zum Haushalt<br />

der Familie gesellte sich dann noch ein Gartenzwerg,<br />

für einen Zwerg ziemlich groß und<br />

ziemlich faul: Er liegt im Gras auf dem Bauch<br />

und guckt den Holsts beim Wohnen zu .<br />

DIE AUTOS SIND IN DIE<br />

TIEFGARAGE VERBANNT<br />

Das autofreie Konzept der Zollstockhöfe, die<br />

großzügigen und hochwertig „möblierten“<br />

Spielplätze haben offensichtlich viele junge<br />

Familien überzeugt. Seit es im Frühjahr<br />

endlich warm und freundlich und auch die<br />

Begrünung der Wohnanlage so richtig sicht-<br />

bar wurde, sind Tag für Tag Dutzende Kinder<br />

auf den Spielplätzen unterwegs, dazu<br />

einige Mütter mit den ganz Kleinen. Nur Eingeweihte<br />

wissen, dass zwischen den Häusern<br />

mit dunkelroten Farb-Akzenten und<br />

solchen mit orangefarben abgesetzten Wänden<br />

eine Art unsichtbare Grenze liegt: Die<br />

Wohnungen der vier „roten“ Häuser werden<br />

von <strong>Evonik</strong> vermietet, während die Einheiten<br />

in den „orangenen“ Häusern gleich nebenan<br />

von den Projektpartnern als Eigentumswohnungen<br />

verkauft wurden. Dennoch –<br />

und obwohl die Wohnungs eigentümer ein<br />

paar Wochen eher „da waren“ – teilt man<br />

sich nicht nur die Spielanlagen. Auch die Einladungen<br />

der „Alt eingesessenen“ zum ersten<br />

gemeinsamen Sommerfest hingen ganz<br />

selbstverständlich auch an den Eingangstüren<br />

der neu angekommenen Mieter. Schon<br />

nach wenigen Wochen zeichnete sich ab,<br />

dass die Entwickler der Zollstockhöfe tatsächlich<br />

ein richtiges „Veedel“ geschaffen<br />

haben, ein kölsches Viertel also mit funktionierenden<br />

nachbarschaftlichen Beziehungen.<br />

Das geht auch über Generations grenzen<br />

hinweg. Denn so sehr das Konzept der Zollstockhöfe<br />

Anklang bei jungen Familien<br />

gefunden hat, so sieht man in den Zollstockhöfen<br />

auch ältere Leute auf ihren Terrassen<br />

sitzen, nur ein paar Meter entfernt von<br />

den spielenden Kindern, und man darf wohl<br />

annehmen, dass sie nicht zu denen gehören,<br />

Jette Salewski<br />

genießt das<br />

Spielen und<br />

Fahrradfahren<br />

in den Zollstockhöfen,<br />

wo<br />

Spielplätze und<br />

Grünfl ächen<br />

eine entspannte<br />

Atmo sphäre<br />

schaffen<br />

In Zollstock gibt es keine Generationen-Grenze<br />

die auf Kinder lachen mit dem Ruf nach dem<br />

Haus meister reagieren.<br />

Leute also wie zum Beispiel Johann und<br />

Brigitte Außem. Sie haben, wie so viele andere<br />

Zollstockhofer, früher nicht weit weg gewohnt.<br />

In Sülz, auf der anderen Seite des Güterbahnhofs<br />

Eifeltor. Wie andere auch hörten sie von<br />

dem Bauprojekt, schauten sich an, was sich da<br />

jenseits der Gleise tat – und mieteten sich ein.<br />

Bei ihnen ging es nicht um mehr Platz wegen<br />

Familien zuwachs – im Gegenteil: „Wir wollten<br />

uns verklei nern, nachdem der Sohn längst<br />

ausgezogen ist.“ Nun sind sie, ein richtig kölsches<br />

Paar, sehr zufrieden in ihren kleineren<br />

vier Wänden. Die jüngere Verwandtschaft<br />

kommt jetzt halt als Besuch.<br />

Die Spielplätze im Zollstockhof haben eine<br />

große Anziehungskraft für die jungen Mütter<br />

aus der Umgebung. „Wir haben überlegt, ob<br />

das wohl geht“, sagen Daniela Bonn und Nina<br />

Althof. Der Spielplatz bei ihren Wohnungen<br />

ein paar Straßen weiter ist nämlich nicht ganz<br />

auf der Höhe der Zeit. Und da es Zäune und<br />

Verbotsschilder bei den Zollstockhöfen nicht<br />

gab, haben die beiden Mütter es probiert.<br />

Natürlich sind sie gute Gäste, ordentlich und<br />

rücksichtsvoll; der Spielplatz war nie überlaufen,<br />

und niemand hat sie verscheucht: Experiment<br />

ge lungen. Hoffentlich bleibts dabei.<br />

Denn von solchen neuen „Veedeln“, da sind<br />

sich Nachbarn und Stadtplaner gewiss einig,<br />

kann eine Stadt kaum genug haben.


EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

Im Reich des neuen<br />

Gartenzwerges: Jennifer,<br />

Torulv und Gro Holst<br />

auf ihrer Terrasse in den<br />

Zollstockhöfen<br />

KÖLN-ZOLLSTOCK<br />

ERLEBEN<br />

Zukunftsmarkt Köln<br />

<strong>Evonik</strong> investiert in Immobilien<br />

entlang der attraktiven Rheinschiene<br />

Während viele andere Städte schrumpfen, wird<br />

Köln wachsen. Die Einwohnerzahl wird nach<br />

seriösen Schätzungen in den nächsten 20 Jahren<br />

um fast neun Prozent zunehmen. In Köln<br />

werden dann 90.000 Menschen mehr leben<br />

als heute (rund 995.000) und die Stadt zur<br />

Millionenmetropole machen. Bis 2015 werden<br />

57.000 zusätzliche Wohnungen gebraucht.<br />

Das Geschäftsfeld Immobilien der <strong>Evonik</strong><br />

<strong>Industries</strong> AG nutzt den Boom. Nach ersten<br />

Wohnungskäufen im Stadtteil Ehrenfeld und<br />

in Hürth erwarb <strong>Evonik</strong> 2007 auf einen<br />

Schlag 312 moderne, gut ausgestattete Wohnungen<br />

in beliebten Vierteln von Mülheim und<br />

Porz. Die Zollstockhöfe mit 126 Wohnungen<br />

sind die ersten Neubauten von <strong>Evonik</strong> in Köln.<br />

Insgesamt verfügt das Unternehmen damit<br />

nach kurzer Zeit schon über mehr als 500<br />

attraktive Wohnungen in der Rheinmetropole.<br />

Und im Stadtteil Kalk entsteht bereits das nächste<br />

urbane Neubauprojekt mit 164 komfortablen<br />

Wohnungen und fünf Gewerbe-Einheiten.<br />

An diesem Standort wird <strong>Evonik</strong> auch ein<br />

Außen büro des Kundencenters Düsseldorf/Köln<br />

einrichten und damit ein weiteres Signal auf<br />

dem Kölner Markt setzen. Die am Ort etablierten<br />

Konkurrenten haben den neuen Mitspieler auch<br />

schon mit Respekt zur Kenntnis genommen;<br />

<strong>Evonik</strong> ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft<br />

Kölner Wohnungsunternehmen. Projektentwicklungen<br />

mit weiteren 165 Wohnungen<br />

sind bereits begonnen worden; binnen zwei<br />

Jahren peilt das Unternehmen die Verdoppelung<br />

der in Köln verwalteten Wohnungen auf<br />

1.000 an. Weiteres Wachstum durch Akqui sition<br />

und Neubau wird sich anschließen. Insgesamt<br />

verfügt <strong>Evonik</strong> an der Rheinschiene von Düsseldorf<br />

bis Bonn über fast 5.000 Wohnungen.<br />

55


56 DISKUTIEREN<br />

LEBENSERWARTUNG EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

Wollen wir wirklich 100<br />

FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

FOTO: PR<br />

Der hohe Anteil an älteren Menschen droht, die Rentenkassen zu sprengen. Noch<br />

dieses Jahrhundert wird die durchschnittliche Lebenserwartung in den Industrie nationen<br />

die 100 übertreffen. Welche Ideen gibt es, diese Entwicklung zu gestalten?<br />

Politik<br />

Den Jahren Leben geben<br />

Prof. Dr. Ursula Lehr, Bundesministerin a. D., Gerontologin „Wir alle<br />

werden älter von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr. Dass wir<br />

älter werden, daran können wir nichts ändern. Aber wie wir älter werden,<br />

das lässt sich schon beeinflussen! Es kommt nicht nur darauf an, wie alt wir werden, sondern wie<br />

wir alt werden: Es gilt, nicht nur dem Leben Jahre, sondern den Jahren Leben zu geben.“<br />

Trendforschung<br />

Neue Lebensmodelle entwickeln<br />

Prof. Peter Wippermann, Trendbüro Hamburg „Wir werden zwar länger<br />

leben als jemals Menschen vor uns, wir wissen jedoch noch nicht, wie.<br />

Was fehlt, sind neue Lebensmodelle. Länger zu leben heißt, das eigene Leben<br />

länger gestalten zu können. Doch statt die persönlichen Chancen zu entdecken, konzentrieren<br />

wir uns zu sehr auf die Diskussion gesellschaftlicher Risiken.“<br />

Altern ohne Ende?<br />

Seit 1840 hat sich die Lebens erwartung in<br />

den wohlhabenden Nationen mehr als<br />

verdoppelt. Für Frauen in diesen Ländern<br />

wächst die Lebenserwartung linear um<br />

drei Monate pro Jahr. Schreibt man diese<br />

Entwicklung fort, wird ein Durchschnittsalter<br />

von 100 noch in diesem Jahrhundert<br />

erreicht. In der Rangliste der Nationen mit<br />

den höchsten Lebenserwar tungen gibt es<br />

seit Beginn der Erhebungen wenig Bewegung.<br />

Deutschland lag zu keiner Zeit an<br />

der Spitze und hatte Ein brüche durch zwei<br />

Weltkriege und eine Grippe-Epidemie<br />

(1918) zu verzeichnen.<br />

Nationen, die den Trend<br />

seit 1840 anführen:<br />

Neuseeland<br />

Norwegen<br />

Island<br />

Schweden<br />

Japan<br />

Deutschland<br />

Politik<br />

Wir sind die<br />

Chance<br />

Dr. Henning Scherf, Bremens<br />

Bürgermeister a.D. „Wir haben<br />

eine Chance, wie sie für unsere Eltern und Großeltern<br />

nie vergleichbar da war. Mit 60 haben wir im<br />

Schnitt noch 30 Jahre vor uns, in wunderbaren<br />

Bedingungen: Weil wir eine Rente haben, die uns<br />

ernährt, Zeit haben, fit sind, uns noch interessieren<br />

können und weil wir uns noch beteiligen können,<br />

ohne zu fragen: ‚Kriege ich da auch das richtige<br />

Gehalt dafür?‘ Wir sind die klassische ehrenamtliche<br />

Basis dieser Gesellschaft. Wir sind nicht<br />

das Problem dieser Republik, sondern die Chance<br />

dieser Republik: Mit uns kann man eine Zivilgesellschaft<br />

ent wickeln, die sich viele erträumen.“<br />

Durchschnittliche Lebenserwartung in Jahren<br />

Geburtsjahr 1890 1910 1930 1950 1970 1990 2010 2030<br />

FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

95<br />

90<br />

85<br />

80<br />

75<br />

70<br />

65<br />

60<br />

55<br />

50<br />

INFOGRAFIK: GEO-GRAFIK


Jahre alt werden?<br />

FOTO: PR FOTO: PR FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

Wissenschaft<br />

„50 ist das neue 35“<br />

Prof. Dr. Carlo Pincelli, Universität Modena, Italien<br />

„In rund zehn Jahren werden wir halb so alt aussehen<br />

und gleichzeitig doppelt so fit sein, wie unser<br />

tat sächliches Lebensalter eigentlich erwarten lässt. Das lässt sich gar<br />

nicht mehr aufhalten.“<br />

Wissenschaft<br />

Länger gesund leben<br />

Prof. Dr. Leonard Guarente, Massachusetts Institute<br />

of Technology (Cambridge, Massachusetts, USA).<br />

„Ich glaube nicht, dass eine lange Lebens spanne etwas<br />

höchst Erstrebenswertes ist. Erstrebens wert ist ein langes gesundes<br />

Leben. Mit den Genen, die wir in unseren Laboren untersuchen, und den<br />

Mitteln, die wir ent wickeln, können wir die Zeitspanne an Gesundheit<br />

verlängern. Dabei wirken wir dem Alterungsprozess entgegen. Am Ende<br />

einer achtjährigen Forschung entdeckten wir – ausgehend von einer<br />

Untersuchung mit Hefe zellen – ein Gen namens SIRT1, das Zellen vor<br />

altersbedingten Schädigungen schützt.“<br />

Industrie<br />

Megatrend Anti-Aging<br />

Dr. Daniel Maes, Leiter Forschung Estée Lauder, New<br />

York City, New York, USA. „Ich glaube, dass der<br />

Weg zu mehr Wachstum in der Kosmetikindustrie in<br />

Europa und Asien in der Entwicklung neuer und effektiver Anti-<br />

Aging-Produkte liegt. In diesem Bereich erwarten wir uns viel von den<br />

Genen SIRT1 und SIRT3. Sie wirken in den Mitochondrien, den<br />

Energiespeichern der Zellen, wo der Altersprozess beginnt. Das wird<br />

das nächste große Ding. Vergessen Sie Stammzellen!“<br />

UMFRAGE: FORSA; INFOGRAFIK: PICFOUR<br />

FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

Was sagen die Deutschen?<br />

Ein Alter von über 100 Jahren ist keine Utopie mehr. Doch beim<br />

Thema Altern bangt der Deutsche um Gesundheit und Rente. Daher<br />

scheint er auch Forschungen mit dem Ziel der Lebensverlängerung<br />

kritisch gegenüberzustehen. Dies ergibt eine Umfrage unter<br />

1.004 Befragten. forsa fragte, ob die Deutschen zu Forschungen zur<br />

Verlangsamung des Alterns eher Ja oder eher Nein sagen.<br />

18–29 Jahre 30–44 Jahre 45–59 Jahre<br />

Durchschnittswerte aller Altersgruppen<br />

71%<br />

Nein<br />

25%<br />

Ja<br />

60 plus<br />

68% 70% 72% 72%<br />

30%<br />

2%<br />

24%<br />

6%<br />

22%<br />

6%<br />

25 %<br />

3%<br />

Politik<br />

Ungleichheit des Alterns<br />

4%<br />

Weiß nicht<br />

Nitin Desai, politischer Berater, ehemaliger UNO-<br />

Untergeneralsekretär für soziale Angelegenheiten<br />

„Wir werden in den Industrienationen eine wachsende<br />

Anzahl immer älterer Menschen haben, die fähig sind zu arbeiten, aber im<br />

bestehenden Beschäftigungssystem keine Arbeit finden. Auf der anderen<br />

Seite haben wir in den Entwicklungsländern aufgrund mangelnder und<br />

fehlender sozialer Absicherung eine hohe Zahl älterer Menschen, die weit<br />

härter und länger arbeiten, als sie sollten. Wir können die zunehmende<br />

‚Vergreisung‘ nicht diskutieren, ohne uns mit den lokalen Bedingungen<br />

älterer Menschen in puncto Einkommen, Arbeitsplätze und ihrer Möglichkeiten<br />

zu Sicherheit, Gesundheit und auch Bildung zu beschäftigen.“<br />

57


58 LEBEN<br />

EVONIK-MAGAZIN 3/<strong>2008</strong><br />

Wissen, was kommt<br />

TOM SCHIMMECK über Prognostiker, Trendforscher,<br />

Demoskopen und andere Wahrsager<br />

„ES HAT GUTE GRÜNDE, warum Wissenschaftler zu den größten<br />

Zynikern gehören“, sagt Dr. Ross Stein und lacht. Der 55-jährige<br />

Forscher weiß alles über die Sehnsucht nach Wahrsagern. Er<br />

ist Erdbebenforscher beim U.S. Geological Survey. Sein Institut in<br />

Menlo Park sitzt direkt auf dem gefürchteten Sankt-Andreas-<br />

Graben, der sich quer durch Kalifornien (USA) zieht. Und seit Jahren<br />

schon „dran“ ist mit dem nächsten schweren Beben – „the<br />

Big One“, wie sie es hier nennen. Die Erde wackelt hier jeden<br />

Tag ein bisschen. Vom Wissenschaftler Stein wollen permanent<br />

wichtige Leute wissen, wann es wo krachen wird. Mehr als<br />

eine intellektuelle Herausforderung: Tausende Menschenleben<br />

könnten davon abhängen.<br />

Was wird die Zukunft bringen? Immer mächtiger geraten die<br />

Computerkolosse, die für uns nach vorne schauen sollen. An die<br />

Stelle des Gebets und der Opfergabe ist seit den 60er-Jahren der<br />

Großrechner getreten, mitsamt einer an ihn geknüpften Anbetung<br />

der berechenbaren Entwicklung. Ohne Szenario geht heute gar<br />

nichts mehr. Vor allem der Natur will man in die Karten schauen:<br />

Wo drohen demnächst Stürme, Fluten, Feuersbrünste, Vulkan -<br />

ausbrüche, Beben? Wie heiß wird es? Wie schnell schmelzen die<br />

Pole? Auch sonst wüssten die Entscheidungsträger dringend<br />

gern mehr übers Morgen: über die Demografie, den Konsum, über<br />

Energiepotenziale, Ressourcen und Konjunkturen.<br />

Die, die es wagen, haben es schwer: „Auf neue Ideen gibt es<br />

eigentlich nur zwei Reaktionen“, meint Ross Stein. „Entweder hält<br />

man sie für offensichtlich oder für falsch. Es gibt fast nichts<br />

dazwischen.“ Er hat es erlebt. Seit Jahren gräbt er sich mit Kollegen<br />

aus aller Welt durch Megatonnen von Daten, um Zusammenhänge<br />

zwischen verschiedenen Erdbeben zu entdecken. Er hat auch in<br />

Istanbul (Türkei) und Tokio (Japan) geforscht. Stein und andere<br />

lösten eine Riesendebatte aus, als sie behaupteten, dass ein Beben<br />

die Spannung am Ort des Geschehens mindert, während sie sich<br />

anderswo erhöht – manchmal nur um winzige Werte, geringer als<br />

der Druck in einem Autoreifen. Und doch würden genau dort die<br />

nächsten Beben eintreten. „Eine fast beschämend einfache Idee“,<br />

sagte er. Aber der Widerstand war enorm.<br />

Schäden durch Naturkatastrophen, berichtet die Münchener<br />

Rück, steigen weltweit rasant. 2005 wurde eine Rekordsumme<br />

von 220 Milliarden US-$ erreicht. Für den Münchner<br />

Tom Schimmeck (48) fasziniert der Blick in die Zukunftslabors der Forschung. Er arbeitete unter anderem für TAZ, „Tempo“,<br />

den „Spiegel“ und „Die Woche“. Die Illustration ist eine abstrakte computergenerierte digitale Komposition.<br />

Rückversicherer ein Zeichen des Klimawandels. 2007 zählte man<br />

auf globalen Spitzenwert von 950 Naturkatastrophen. Milliarden<br />

werden heute für die Entwicklung von Warnsystemen ausgegeben.<br />

Besonders in der Erdbebenforschung. Wo die Wissenschaftler<br />

so ungeheuer viel wissen, in Ozeanen von Daten schwimmen. Und<br />

doch oft gar nichts vorhersagen können. Sie versuchen es mit<br />

Probebohrungen, Gasmessungen, Lasern, Satelliten und anderen<br />

Methoden. Nasa-Forscher erkennen mit neuen Radartechniken<br />

aus dem All Erdbewegungen von einem Millimeter pro Jahr. Andere<br />

messen Schwankungen der Infrarotstrahlung oder winzige<br />

Abweichungen des Magnetfeldes. In Kalifornien gibt es nun sogar<br />

ein Observatorium direkt in der Bruchlinie, etwa drei Kilometer<br />

tief – um die physischen und chemischen Vorgänge bei der<br />

Entstehung eines Bebens zu erkunden.<br />

Trotzdem bleibt alles Versuch und Irrtum. Er habe Bescheidenheit<br />

gelernt, meint Stein. „Es war eine Riesenarbeit, jede erdenkliche<br />

Verwerfung in Kalifornien zu lokalisieren. Und doch ereignet<br />

sich jedes zweite größere Beben an einer Spalte, von der wir noch<br />

nichts wussten.“ Gewaltige Erschütterungen ereignen sich an<br />

Bruchlinien, die als wenig aktiv gelten. Das schreckliche Beben im<br />

vergangenen Mai in Sichuan (70.000 Tote) etwa geschah in einem<br />

solchen Gebiet. „Das war auf keiner Top-Ten-Liste“, bekennt Stein.<br />

Wie er Erdbeben-Forscher wurde? Es ist diese Faszination,<br />

etwas wirklich Neues zu entdecken – und damit womöglich etwas<br />

bewirken zu können. „Wobei keiner von uns die Hybris hat, zu<br />

sagen: ‚Wenn ich meinen Job nur richtig mache, kann ich Tausende<br />

Menschenleben retten.‘“ Doch diese Mischung aus Suche<br />

und Sinn, sagt Stein, „befriedigt die Bedürfnisse der rechten wie<br />

der linken Hirnhälfte“.<br />

Das Feld bleibt komplex und mysteriös. Die Urgewalt ist<br />

enorm: Ein Bruch, der sich normalerweise um einen Zentimeter<br />

im Jahr bewegt, beschleunigt binnen Sekunden auf ein Tempo<br />

von 3.000 Stundenkilometern. „Das Tolle ist“, sagt der Forscher<br />

begeistert, „irgendwann kommt die nächste große Erkenntnis.“<br />

Und der Entdecker muss kein Gott des Gewerbes sein. Vielleicht<br />

ist es ein Student. Das sei, findet Stein, „sehr demokratisch“. Das<br />

Einzige, was feststeht: Die großen Entdeckungen ähneln den<br />

großen Beben. „Sie sind plötzlich da. Wir sehen sie nicht kommen.“ <<br />

ILLUSTRATION: DIGITAL VISION


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