Thermenland Magazin November 2015
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AKTUELLES<br />
Das unterschätzte Kind<br />
Ich stehe davor, wie viele Male, in der neongefluteten<br />
Spielwarenabteilung eines Einkaufszentrums<br />
in unserer schönen, kleinen und überschaubaren<br />
Stadt, in der jeder jeden kennt –<br />
wie schön!<br />
Nur heute nicht! Zu gerne würde ich mich auf<br />
Erbsengröße schrumpfen, mein Sohn hat wieder<br />
einmal entschieden, sich lautstark mitzuteilen,<br />
um mich schnell von seiner Auswahl an<br />
diversem, pädagogisch wertlosem, aber überlebenswichtigem<br />
Spielkram zu überzeugen.<br />
Ich spüre, wie sich der Schweiß der Entmündigten<br />
durch jede Ritze meiner Haut windet und<br />
wie machtlos ich dem rasanten Farbwechsel in<br />
meinem Gesicht erliege…<br />
Böse Zungen könnten nun behaupten, solche<br />
Situationen sind klar zu vermeiden, indem man<br />
Abteilungen dieser Art präventiv meidet. Das<br />
stimmt so nur bedingt, denn es war wenig Zeit<br />
die letzten Tage und das schreit doch förmlich<br />
nach einer gebührenden Entschädigung für<br />
meinen kleinen Sohn – und mein schlechtes<br />
Gewissen…<br />
Kinder in die Welt zu setzten<br />
ist ein großes Abenteuer.<br />
Es braucht Geduld und Zeit, selbstloses Vorangehen<br />
und Widerstandsfähigkeit, gepaart mit<br />
einer überdimensionalen Portion geistiger und<br />
körperlicher Wendigkeit.<br />
Keiner kann einem detailgenau voraussagen,<br />
was auf einen zukommt. Aber eines steht fest:<br />
den unvergleichlichen Momenten überirdischer<br />
Glückseligkeit folgen auch Tage der Ernüchterung,<br />
schlaflose Nächte und sorgenvolle Zeiten.<br />
Ein Kind großzuziehen bedeutet Arbeit, Arbeit,<br />
Arbeit!<br />
Wie stark und glücklich unsere Kinder ins Leben<br />
gehen, bestimmen wir Eltern zu einem großen<br />
Teil mit. Hier allerdings die richtige Balance zu<br />
finden, wird scheinbar zunehmend schwieriger.<br />
Während die einen bei ihrem Nachwuchs um<br />
noch mehr Leistung bemüht sind (Montag: Ballett;<br />
Dienstag: Gitarre; Mittwoch: Fremdsprache;<br />
Donnerstag: Flöte; Freitag: Chor; Samstag – ab<br />
zu Oma und Opa...!) werden viele Kinder, zum<br />
Teil grob fahrlässig, vernachlässigt. Zeitlich unbegrenzter<br />
Medienkonsum als Ersatz für eine liebevolle<br />
und familiäre Umgebung, angemessene<br />
Förderung und persönliche Gespräche.<br />
Dabei wäre es oft gar nicht so schwer.<br />
Wenn wir nur öfter hinhören würden, nicht allein<br />
auf die blutsaugerischen Parolen von Industrie<br />
und Handel. Ein einfaches Eltern-/Kindgespräch<br />
kommt oft ebenso wenig zustande wie eine<br />
lebendige und erfolgreiche Zusammenarbeit<br />
zwischen Eltern und Schule/Verein/Kindergarten,<br />
weil keiner Verantwortung übernehmen will<br />
und jeder hofft, dass es schon irgendwie recht<br />
werden wird!<br />
Eine Verpflichtung im Elternbeirat, einer Kommuniongruppe,<br />
oder sich im dienlichen Netzwerk<br />
eines Vereins einzubringen, ist längst nicht mehr<br />
gefragt. Wir ziehen die Köpfe ein, wenn es ans<br />
Eingemachte geht. Jeder fühlt sich ohnehin schon<br />
vom Leben genötigt und ausreichend überfordert!<br />
Ich schäme mich noch heute dafür, dass ich<br />
mich nicht überwinden konnte, mich in diesem<br />
Jahr um eine Kommuniongruppe zu bemühen,<br />
nicht einmal meiner Tochter zuliebe…<br />
Von meinen Kindern aber erwarte ich solidarisches<br />
Handeln, Mitgefühl und Nächstenliebe…<br />
Um auch der finanziellen Herausforderung einer<br />
kleinen Familie gerecht zu werden, braucht es<br />
mehr als Streicheleinheiten und guten Willen.<br />
Da müssen oft alle anpacken –Großeltern und<br />
Geschwister. Ein sehr ernüchternder Zustand in<br />
einer Zeit, in der Nachwuchs (angeblich)<br />
HOCHERWÜNSCHT ist, aber immer mehr zum<br />
„Störfaktor“ wird.<br />
Unterhält man sich mit werdenden Eltern, geht<br />
es häufig um die Sorge der ausreichenden zeitlichen<br />
und finanziellen Versorgung der Familie.<br />
So ein kleines Würmchen braucht viel Aufmerksamkeit<br />
und Zuneigung, aber auch einen finanziellen<br />
Rahmen, in dem es wachsen und gedeihen<br />
kann.<br />
Als Mutter unbeschadet in die Arbeit zurückzukehren,<br />
da weiter zu machen, wo man aufgehört<br />
hat, halte ich für ein Gerücht. Mütter sind<br />
unflexibel, emotional abhängig vom Wohl ihres<br />
Kindes, zwar hundert Mal organisierter als jeder<br />
Scheitelträger im Anzug einer Führungsetage,<br />
aber minderwertiger bezahlt und anerkannt!<br />
Mütter sind tickende Zeitbomben, sagte ein<br />
redseliger Unternehmer einmal. Dabei hatte er<br />
selber 5 Kinder, 2 Kindermädchen und eine<br />
Zugehfrau zur Entlastung seiner Holden, die das<br />
Privileg genoss, sich ausschließlich dem Wohl<br />
und der Erziehung der Kinder zu widmen.<br />
12<br />
Dabei braucht ein kleines Menschlein gar nicht<br />
so viel, wie wir immer vermuten.<br />
Kinder knapp, aber mit ausreichend Liebe zu<br />
versorgen, war schon die Devise meiner Großmutter.<br />
Damit hat sie bis heute zu hundert Prozent<br />
recht!<br />
Aber wer erklärt den hyperventilierenden Kindern<br />
am Schulhof, dass eine gebraucht erworbenes<br />
Kleidchen weder uncool noch armselig<br />
ist? Wer beschützt unsere Kinder, wenn sie<br />
untereinander ablästern und protzend posaunen,<br />
dass ihre Eltern doch fett im Geschäft<br />
sind…und ihr Kinderzimmer eine moderne<br />
Mediathek ist?!<br />
WIR!<br />
Bescheidenheit als wertvolle Tugend wird von<br />
Grund auf anerzogen. Bescheiden zeigen wir<br />
uns jedoch nur, wenn es darum geht, uns<br />
durchzusetzen, dagegenzuhalten und Überzeugungsarbeit<br />
zu leisten. Natürlich ist es manchmal<br />
ultraanstrengend, dem geliebten Nachwuchs<br />
eine Absage zu erteilen. Aber unsere<br />
Kinder brauchen dieses Signal, eine starke Hand<br />
und klare Strukturen für eine gesunde und normale<br />
Entwicklung.<br />
Da heißt es natürlich auch für MICH bei meinen<br />
Kindern standhafter zu bleiben, auch wenn alle<br />
Lichter dieser Erde auf mich gerichtet sind,<br />
selbst wenn sie mir in 6 Strophen den Marsch<br />
blasen und mir 2 Tage lang beleidigt sind…<br />
Ich möchte mich<br />
nicht jetzt schon<br />
fürchten müssen ums<br />
Altwerden in einer<br />
kalten, rücksichtslosen<br />
und egoistischen<br />
Welt, die überfüllt ist<br />
mit unkindlichen Kindern<br />
und unerträglichen<br />
Erwachsenen …<br />
Ihre Sabine Beham