02.11.2015 Views

Thermenland Magazin November 2015

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

AKTUELLES<br />

Das unterschätzte Kind<br />

Ich stehe davor, wie viele Male, in der neongefluteten<br />

Spielwarenabteilung eines Einkaufszentrums<br />

in unserer schönen, kleinen und überschaubaren<br />

Stadt, in der jeder jeden kennt –<br />

wie schön!<br />

Nur heute nicht! Zu gerne würde ich mich auf<br />

Erbsengröße schrumpfen, mein Sohn hat wieder<br />

einmal entschieden, sich lautstark mitzuteilen,<br />

um mich schnell von seiner Auswahl an<br />

diversem, pädagogisch wertlosem, aber überlebenswichtigem<br />

Spielkram zu überzeugen.<br />

Ich spüre, wie sich der Schweiß der Entmündigten<br />

durch jede Ritze meiner Haut windet und<br />

wie machtlos ich dem rasanten Farbwechsel in<br />

meinem Gesicht erliege…<br />

Böse Zungen könnten nun behaupten, solche<br />

Situationen sind klar zu vermeiden, indem man<br />

Abteilungen dieser Art präventiv meidet. Das<br />

stimmt so nur bedingt, denn es war wenig Zeit<br />

die letzten Tage und das schreit doch förmlich<br />

nach einer gebührenden Entschädigung für<br />

meinen kleinen Sohn – und mein schlechtes<br />

Gewissen…<br />

Kinder in die Welt zu setzten<br />

ist ein großes Abenteuer.<br />

Es braucht Geduld und Zeit, selbstloses Vorangehen<br />

und Widerstandsfähigkeit, gepaart mit<br />

einer überdimensionalen Portion geistiger und<br />

körperlicher Wendigkeit.<br />

Keiner kann einem detailgenau voraussagen,<br />

was auf einen zukommt. Aber eines steht fest:<br />

den unvergleichlichen Momenten überirdischer<br />

Glückseligkeit folgen auch Tage der Ernüchterung,<br />

schlaflose Nächte und sorgenvolle Zeiten.<br />

Ein Kind großzuziehen bedeutet Arbeit, Arbeit,<br />

Arbeit!<br />

Wie stark und glücklich unsere Kinder ins Leben<br />

gehen, bestimmen wir Eltern zu einem großen<br />

Teil mit. Hier allerdings die richtige Balance zu<br />

finden, wird scheinbar zunehmend schwieriger.<br />

Während die einen bei ihrem Nachwuchs um<br />

noch mehr Leistung bemüht sind (Montag: Ballett;<br />

Dienstag: Gitarre; Mittwoch: Fremdsprache;<br />

Donnerstag: Flöte; Freitag: Chor; Samstag – ab<br />

zu Oma und Opa...!) werden viele Kinder, zum<br />

Teil grob fahrlässig, vernachlässigt. Zeitlich unbegrenzter<br />

Medienkonsum als Ersatz für eine liebevolle<br />

und familiäre Umgebung, angemessene<br />

Förderung und persönliche Gespräche.<br />

Dabei wäre es oft gar nicht so schwer.<br />

Wenn wir nur öfter hinhören würden, nicht allein<br />

auf die blutsaugerischen Parolen von Industrie<br />

und Handel. Ein einfaches Eltern-/Kindgespräch<br />

kommt oft ebenso wenig zustande wie eine<br />

lebendige und erfolgreiche Zusammenarbeit<br />

zwischen Eltern und Schule/Verein/Kindergarten,<br />

weil keiner Verantwortung übernehmen will<br />

und jeder hofft, dass es schon irgendwie recht<br />

werden wird!<br />

Eine Verpflichtung im Elternbeirat, einer Kommuniongruppe,<br />

oder sich im dienlichen Netzwerk<br />

eines Vereins einzubringen, ist längst nicht mehr<br />

gefragt. Wir ziehen die Köpfe ein, wenn es ans<br />

Eingemachte geht. Jeder fühlt sich ohnehin schon<br />

vom Leben genötigt und ausreichend überfordert!<br />

Ich schäme mich noch heute dafür, dass ich<br />

mich nicht überwinden konnte, mich in diesem<br />

Jahr um eine Kommuniongruppe zu bemühen,<br />

nicht einmal meiner Tochter zuliebe…<br />

Von meinen Kindern aber erwarte ich solidarisches<br />

Handeln, Mitgefühl und Nächstenliebe…<br />

Um auch der finanziellen Herausforderung einer<br />

kleinen Familie gerecht zu werden, braucht es<br />

mehr als Streicheleinheiten und guten Willen.<br />

Da müssen oft alle anpacken –Großeltern und<br />

Geschwister. Ein sehr ernüchternder Zustand in<br />

einer Zeit, in der Nachwuchs (angeblich)<br />

HOCHERWÜNSCHT ist, aber immer mehr zum<br />

„Störfaktor“ wird.<br />

Unterhält man sich mit werdenden Eltern, geht<br />

es häufig um die Sorge der ausreichenden zeitlichen<br />

und finanziellen Versorgung der Familie.<br />

So ein kleines Würmchen braucht viel Aufmerksamkeit<br />

und Zuneigung, aber auch einen finanziellen<br />

Rahmen, in dem es wachsen und gedeihen<br />

kann.<br />

Als Mutter unbeschadet in die Arbeit zurückzukehren,<br />

da weiter zu machen, wo man aufgehört<br />

hat, halte ich für ein Gerücht. Mütter sind<br />

unflexibel, emotional abhängig vom Wohl ihres<br />

Kindes, zwar hundert Mal organisierter als jeder<br />

Scheitelträger im Anzug einer Führungsetage,<br />

aber minderwertiger bezahlt und anerkannt!<br />

Mütter sind tickende Zeitbomben, sagte ein<br />

redseliger Unternehmer einmal. Dabei hatte er<br />

selber 5 Kinder, 2 Kindermädchen und eine<br />

Zugehfrau zur Entlastung seiner Holden, die das<br />

Privileg genoss, sich ausschließlich dem Wohl<br />

und der Erziehung der Kinder zu widmen.<br />

12<br />

Dabei braucht ein kleines Menschlein gar nicht<br />

so viel, wie wir immer vermuten.<br />

Kinder knapp, aber mit ausreichend Liebe zu<br />

versorgen, war schon die Devise meiner Großmutter.<br />

Damit hat sie bis heute zu hundert Prozent<br />

recht!<br />

Aber wer erklärt den hyperventilierenden Kindern<br />

am Schulhof, dass eine gebraucht erworbenes<br />

Kleidchen weder uncool noch armselig<br />

ist? Wer beschützt unsere Kinder, wenn sie<br />

untereinander ablästern und protzend posaunen,<br />

dass ihre Eltern doch fett im Geschäft<br />

sind…und ihr Kinderzimmer eine moderne<br />

Mediathek ist?!<br />

WIR!<br />

Bescheidenheit als wertvolle Tugend wird von<br />

Grund auf anerzogen. Bescheiden zeigen wir<br />

uns jedoch nur, wenn es darum geht, uns<br />

durchzusetzen, dagegenzuhalten und Überzeugungsarbeit<br />

zu leisten. Natürlich ist es manchmal<br />

ultraanstrengend, dem geliebten Nachwuchs<br />

eine Absage zu erteilen. Aber unsere<br />

Kinder brauchen dieses Signal, eine starke Hand<br />

und klare Strukturen für eine gesunde und normale<br />

Entwicklung.<br />

Da heißt es natürlich auch für MICH bei meinen<br />

Kindern standhafter zu bleiben, auch wenn alle<br />

Lichter dieser Erde auf mich gerichtet sind,<br />

selbst wenn sie mir in 6 Strophen den Marsch<br />

blasen und mir 2 Tage lang beleidigt sind…<br />

Ich möchte mich<br />

nicht jetzt schon<br />

fürchten müssen ums<br />

Altwerden in einer<br />

kalten, rücksichtslosen<br />

und egoistischen<br />

Welt, die überfüllt ist<br />

mit unkindlichen Kindern<br />

und unerträglichen<br />

Erwachsenen …<br />

Ihre Sabine Beham

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!