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Burschenschaftliche Blätter 2015 - 1

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Schwerpunkt<br />

Das Recht der Nationalismen<br />

<strong>Burschenschaftliche</strong><br />

<strong>Blätter</strong><br />

Von Carlos Dieter Wefers Verástegui<br />

Mit der simulierten Volksbefragung der<br />

Katalanen vom 9. November 2014 ist das<br />

Problem der nicht-spanischen Nationalismen<br />

erneut einer deutschen Öffentlichkeit<br />

ins Bewußtsein gerückt. Die Deutschen<br />

haben längst begriffen, daß es in<br />

Spanien Nationen gibt, die für ihre Unabhängigkeit<br />

kämpfen. Nur läßt der Deutschen<br />

Wissen darüber meist zu wünschen<br />

übrig.<br />

Sympathiegefühle, unkritisch rezipierte Allgemeinplätze<br />

wie „das urwüchsige Volk der<br />

Basken“ oder „die fleißigen Katalanen“ anstelle<br />

von fundierter Sachkenntnis sowie<br />

Fehlinformationen, die den deutschen Medien<br />

mundfertig von den Propagandaleuten<br />

des katalanischen Nationalismus, wie<br />

Bayern-Trainer Josep „Pep“ Guardiola, geliefert<br />

werden, verhindern die sachliche<br />

Auseinandersetzung mit dem Phänomen<br />

der Spanien abholden Nationalismen. Aufklärungsarbeit<br />

zu leisten, ist schwer. Vor allem<br />

dann, wenn sich dazu noch Wunschvorstellungen<br />

gesellen, die wohl auch einer<br />

gewissen Schadenfreude nicht entbehren<br />

mögen.<br />

Seit über 200 Jahren ist die spanische Gesellschaft<br />

mit ihrer Selbstzersetzung beschäftigt.<br />

1815, als Spanien noch ein Überseereich<br />

war, gab es keinen baskischen und<br />

katalanischen Nationalismus. Die Mär, daß<br />

die „Katalanen“ im Zuge des spanischen<br />

Erbfolgekrieges (1700–1714) erobert, „Katalonien“<br />

von Spanien annektiert worden<br />

seien, war damals undenkbar. Diejenigen<br />

katalanischen Eliten, Adel, Klerus, hohes<br />

Bürgertum, die den Habsburger Karl (später<br />

Kaiser Karl VI.) unterstützt hatten, hielten<br />

bis zu ihrem Weg ins Exil (1713/15) und<br />

darüber hinaus genau so zu Spanien, wie es<br />

1815 die vom bourbonischen Zentralismus<br />

und Absolutismus vereinnahmten Katalanengenerationen<br />

taten. Gerade derselbe<br />

Absolutismus und Zentralismus war<br />

es auch, der sich in den ersten Jahrzehnten<br />

des 19. Jahrhunderts verpflichtete, den<br />

Sonderrechten (fueros) der jeweiligen<br />

Landstände (diputaciones generales) in den<br />

drei baskischen Provinzen Álava, Vizcaya<br />

und Guipúzcoa sowie dem Königreich Navarra<br />

den Garaus zu machen. Mit derselben<br />

Hartnäckigkeit, mit der die Stände sich zu<br />

behaupten versuchten, verteidigten sie<br />

aber auch Einheit und Charakter der spanischen<br />

Monarchie. Sonderrechte, ohne in<br />

die Monarchie eingefügt zu sein – kam keinem<br />

dieser Edelleute in den Sinn.<br />

1833 führten ein Streit in der Thronfolge sowie<br />

unversöhnliche Gegensätze zwischen<br />

Anhängern des ancien régime und jenen<br />

des Liberalismus zum Bürgerkrieg. Dabei<br />

hieß es nicht: „Spanier gegen Basken“,<br />

sondern Parteiung gegen Parteiung, Legitimisten<br />

gegen Liberale, Carlistas gegen Cristinos.<br />

Ganz Spanien war gespalten, nur<br />

hielten und organisierten sich die legitimistischen<br />

Karlisten in den baskischen Provinzen<br />

sowie Navarra besser als anderswo und<br />

fanden dort auch mehr Rückhalt. Unter dem<br />

Eindruck der militärischen Niederlage von<br />

1876 gegenüber dem „liberalen Spanien“<br />

sowie veränderten sozialen und wirtschaftlichen<br />

Bedingungen entwuchs dem baskischen<br />

Karlismus der nationalistische Sproß:<br />

Aus der Enttäuschung, Gott, Vaterland und<br />

„König“, d.h. die legitime Dynastie, nicht<br />

mehr in ihre alten Rechte eingesetzt zu sehen,<br />

sowie gewissen historischen Reminiszenzen,<br />

wie den Sonderrechten und der<br />

„allgemeinen edlen Abstammung aller Basken“<br />

(hidalguía universal), ward der Traum<br />

eines urwüchsigen baskischen Volkes herausgezaubert.<br />

Der neue baskische<br />

Nationalismus<br />

Dieser Nationalismus der Baskischen Volkspartei<br />

(PNV) war seiner Abkunft nach klerikal<br />

und antimodern. Folglich stellten ihn Erfahrungen<br />

mit der modernen und antiklerikalen<br />

Zweiten Spanischen Republik<br />

(1931–1939) vor ein Dilemma: Er befürwortete<br />

sie, insoweit sie seinen Autonomiebestrebungen<br />

nachkam, verabscheute sie<br />

aber dennoch wegen ihres Antiklerikalismus.<br />

Der Putsch General Francos vom 18.<br />

Juli 1936, der sich zum Ziel nahm, dem radikalen<br />

republikanischen Treiben ein Ende<br />

zu setzen, beschleunigte den inneren Bruch<br />

der PNV: Während der ältere Bruder des<br />

Nationalismus, der immer noch lebendige<br />

Karlismus in Álava und Navarra wieder einmal<br />

für Gott, Vaterland und Sonderrechte<br />

aufstand, und Franco in seinem Kampf gegen<br />

die verhaßte Republik nach Kräften unterstützte,<br />

wurden die Ereignisse des Sommers<br />

1936 der PNV zur definitiven Feuer-<br />

Die Katalanen protestieren leidenschaftlich und entschlossen für die Unabhängigkeit ihrer Nation. Wann kommt das offizielle Referendum?<br />

Merche Pérez/flickr/CC<br />

Heft 1 - <strong>2015</strong> 11

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