Burschenschaftliche Blätter 2015 - 1
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
<strong>Burschenschaftliche</strong><br />
<strong>Blätter</strong><br />
Aus dem burschenschaftlichen Leben<br />
Warum ich Burschenschafter geworden bin<br />
Von Jörg R. Mayer<br />
Der nachfolgende Artikel, den ich auf<br />
Einladung des Jugendmagazins VICE<br />
verfasst habe, ist am 10. Februar als<br />
Gastbeitrag in der deutschen Ausgabe<br />
erschienen, nachdem uns bereits vor<br />
dem Wiener Akademikerball ein Kamera-Team<br />
drei Tage lang begleitet<br />
hatte. VICE ist mittlerweile eine feste<br />
Größe in der internationalen Medienwelt<br />
mit einer starken Ausstrahlung auf<br />
die Jugendkultur und einem Themenspektrum,<br />
das vornehmlich um Sex,<br />
Drugs & Rock'n'Roll kreist, aber gleichfalls<br />
intelligente und hintergründige Reportagen<br />
beinhaltet. Von Anfang an<br />
stand fest, daß auch die Gegner des<br />
Wiener Akademikerballs einen Beitrag<br />
schreiben werden, was seitens der linksextremen<br />
Initiative „NoWKR“, mittlerweile<br />
umbenannt in „Offensive gegen<br />
Österreich“, auch geschehen ist.<br />
Darin wird zwar der Versuch gemacht,<br />
meine liebe Burschenschaft Teutonia zu<br />
dämonisieren, tatsächlich aber jene<br />
Wut, jener Haß und vor allem jener Ärger<br />
offenbart, den mein Gastbeitrag in<br />
VICE in den Kreisen der Antifa hervorgerufen<br />
hat. Gut so. Denn währenddessen<br />
erreichten mich täglich Nachrichten<br />
von Lesern, die mit der burschenschaftlichen<br />
Bewegung meist nicht das Geringste<br />
gemein haben, manchmal sogar<br />
bekennende Linke sind, und trotzdem<br />
schrieben, sie hätten nun zum ersten<br />
Mal einen Burschenschafter auch als<br />
Menschen „wie du und ich“, als einen<br />
Studenten mit denselben Höhen und<br />
Tiefen des Lebens, wie sie selbst sie erleben,<br />
ansehen können, und nicht als<br />
eine Bestie, die im Keller kleine Kinder<br />
frißt.<br />
Darum möchte ich an dieser Stelle gern<br />
der Zuversicht Ausdruck verleihen, daß<br />
nach den vielen medialen Verrissen der<br />
letzten Jahre die Burschenschaft sicher<br />
bald wieder stärker in die Gesellschaft<br />
ausstrahlen und das Zerrbild, das von<br />
uns gezeichnet wurde, korrigieren kann.<br />
Viele Menschen denken burschenschaftlich,<br />
distanzieren sich aber von uns, weil<br />
sie der Dämonisierung glauben. Wenn<br />
sie überwunden sein wird, haben wir<br />
schon gewonnen! Ich danke dem Schriftleiter<br />
unserer <strong>Burschenschaftliche</strong>n <strong>Blätter</strong><br />
für den Abdruck des folgenden Gastbeitrags,<br />
auch wenn er stilistisch dem<br />
Jugendmagazins VICE angepasst ist und<br />
nicht einer akademischen Verbandszeitschrift.<br />
Doch mag hier das Goethe-Wort<br />
gelten: Und wenn's euch Ernst ist, was<br />
zu sagen, ist's nötig, Worten nachzujagen?<br />
Ende Jänner fand in Wien wieder einmal<br />
der Akademikerball statt. Wie jedes Jahr<br />
war der Ball auch dieses Jahr extrem umstritten<br />
und führte zu heftigen Gegendemonstrationen.<br />
Was in der Beschäftigung<br />
mit der Veranstaltung oft fehlte, war ein<br />
Bericht aus der Sicht eines Burschenschafters.<br />
Deshalb haben wir uns entschieden,<br />
nicht nur von der Demo zu berichten<br />
und selbst den Ball zu besuchen,<br />
sondern auch diesen Gastbeitrag eines<br />
Teutonia-Mitglieds zu veröffentlichen,<br />
damit ihr euch selbst ein Bild machen<br />
könnt—auch darüber, dass der Punkt,<br />
dass Burschenschaften trotz allem immer<br />
wieder ein Zufluchtsort für Rechtsextreme<br />
ist, in dem gesamten Text nicht behandelt<br />
wird.<br />
Ich heiße Jörg, bin 27 und komme aus der<br />
Gegend von Wels, Oberösterreich. Mein<br />
Leben ist wahrscheinlich total durchschnittlich<br />
– ganz nette Eltern, Schule klappte<br />
auch irgendwie und an einer Geisteskrankheit<br />
scheine ich nicht zu leiden, abgesehen<br />
von ein wenig Melancholie. So weit, so gut.<br />
Nach der Matura hat es mich wie die meisten<br />
nach Wien verschlagen, in diese Stadt<br />
voller Kultur und Vielfalt, die einem am Anfang<br />
so unglaublich groß vorkommt. Eine<br />
tolle Stadt eigentlich. Man kann sich in sie<br />
verlieben. Hier gibt es zwar auch soziale<br />
Brennpunkte wie daheim in Wels, aber so<br />
verschlafen ist es hier nicht.<br />
Trotzdem habe ich – wie viele, die irgendwie<br />
vom Land kommen – eine Weile gebraucht,<br />
um mich zu akklimatisieren. Man<br />
studiert ein wenig vor sich hin, Philosophie<br />
war es bei mir, geht mit Freunden fort,<br />
schaut Fernsehserien, oder tut einfach gar<br />
nichts. Ein komisches Zeitalter: man ist erwachsen,<br />
man genießt seine Freiheit, aber<br />
so richtig verantwortlich ist man noch nicht,<br />
und leisten kann man sich erst recht nichts.<br />
Mittlerweile studiere ich Jus. Der Ernst des<br />
Lebens hat mich eingeholt. Der 30er rückt<br />
näher und damit auch das schlechte Gewissen,<br />
noch meilenweit von einem „seriösen"<br />
Leben entfernt zu sein.<br />
Warum wollen wir überhaupt seriös leben?<br />
Vielleicht, weil es irgendwann ein unerträglicher<br />
Zustand wird, alle anderen zu sehen,<br />
wie sie ihre Schäfchen ins Trockene bringen,<br />
und wie man selbst—der Revoluzzer,<br />
der Aussteiger, der Querulant—übrig<br />
bleibt. Vielleicht aber auch, weil man sich<br />
so wie ich verliebt hat und plötzlich daran<br />
denkt, auch einmal eine Familie gründen zu<br />
wollen.<br />
Man hält sich mit Nebenjobs über Wasser,<br />
versucht seine Miete und die Überzugszinsen<br />
auf dem Bankkonto zu zahlen und irgendwie<br />
auch sein Studium abzuschließen.<br />
Die Eltern unterstützen einen auch noch, es<br />
geht sich schon alles aus. Man hat auch<br />
noch genug Freizeit, um damit etwas anzufangen.<br />
Manche verwenden sie, um neue<br />
vegane Rezepte auszuprobieren. Andere<br />
singen im Uni-Chor. Ich hab eine etwas seltsame<br />
Art, meine Freizeit zu verbringen: Ich<br />
bin Burschenschafter.<br />
Eine Burschenschaft ist überschaubar,<br />
zeitbeständig, „entschleunigt“. Sie<br />
bietet einen Rahmen, in dem man<br />
von Mensch zu Mensch im Guten wirken<br />
kann.<br />
Wie wird man das, warum wird man das?<br />
Wahrscheinlich ist es so wie mit allem im<br />
Leben: durch Zufall. Man trifft jemanden,<br />
der selbst bei einer Burschenschaft ist, lernt<br />
ihn kennen und schätzen, geht irgendwann<br />
zu einer Veranstaltung mit und ist dann entweder<br />
verwirrt, schockiert, fasziniert oder<br />
begeistert. Oder alles zugleich. (So wie es<br />
bei mir war.) Man kann hundert Bücher<br />
über Japan lesen und hat immer noch keine<br />
Ahnung, wie sich die japanische Kultur anfühlt.<br />
Genauso ist es bei einer Burschenschaft.<br />
Vielleicht hat jede ihre ganz eigene Art,<br />
vielleicht würde ich mich auch nur hier<br />
wohlfühlen, im Kreise meiner Burschenschaft<br />
Teutonia. Kann gut sein. Wegen der<br />
großartigen Menschen, die ich dort kennenlernen<br />
durfte. Wegen der Erfahrungen,<br />
die ich machen durfte. Wegen der Erlebnisse,<br />
an die ich mich mein Leben lang erinnern<br />
werde. Und nicht zuletzt auch wegen<br />
der Geisteshaltung bei Teutonia, Strenge<br />
und Härte gegenüber einem selbst, aber<br />
Freundschaft und Güte gegenüber seinen<br />
Farbenbrüdern zu leben.<br />
Vielleicht sind Burschenschaften ein Mikrokosmos.<br />
Aber die Welt ist ja unglaublich<br />
groß geworden, haltlos, schnelllebig. Eine<br />
Burschenschaft ist überschaubar, zeitbeständig,<br />
„entschleunigt“. Sie bietet einen<br />
Rahmen, in dem man von Mensch zu<br />
Mensch im Guten wirken kann. Es ist etwas<br />
ganz anderes, tatsächlich und spürbar zu<br />
22 Heft 1 - <strong>2015</strong>