Claudia Breitbarth Johann Beer: Der Verliebte Europäer
Claudia Breitbarth Johann Beer: Der Verliebte Europäer
Claudia Breitbarth Johann Beer: Der Verliebte Europäer
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Doch wenn man die Nennung Europas allein auf die Raumorganisation des Romans bezieht,<br />
irrt man sich. <strong>Europäer</strong> steht für das Konzept des galanten Edelmannes oder des Politikus (in<br />
der Nachfolge des Fürstenspiegels), 57 zumindest aber greift es eine Mode in der<br />
Romanproduktion auf, bei der geographische Elemente in den Titel integriert wurden und<br />
dem Leser die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe von Lektürestoff signalisiert<br />
werden sollte. <strong>Der</strong> Autor selbst nimmt auf diese Erscheinung in der Zuschrift (als Amandus<br />
de Amanto) Bezug:<br />
Es hat Alexander in Obacht genommen/ daß vor dem ein Roman/ unter dem Titel des verliebten Affricaners in<br />
Druck gangen/ weil er nun gesehen/ daß solch Büchlein viel Liebhaber gefunden/ als hat er eben falls seinen<br />
Lebens=Lauf/ unter dem Titel des v e r l i e b t e n E u r o pae e r s/ einem guten Freunde nach und nach erzehlet/<br />
welcher denn diesen Roman ein wenig in Ordnung gebracht. (VE 12, 11-17) 58<br />
Auch auf die Bezugsgröße des Politischen Romans wird mehrfach ausdrücklich hingewiesen,<br />
eine Übernahme dieses Modells aber negiert (s. oben Kap. 3.3).<br />
Dass Europa sozusagen „en vogue“ war und mit weltmännischer Lebensart konnotiert wurde,<br />
kann man z. B. der Beschreibung eines im Zeitgeschmack ausgestatteten Saales entnehmen,<br />
wo sich der „dekorative“ Wert Europas in der künstlerischen Gestaltung der Decke offenbart,<br />
denn diese war „...mit den vornehmsten Städten in gantz EUROPA künstlich bemahlet.“ (VE<br />
S. 51, 11f)<br />
Wie zur damaligen Zeit üblich, dienen die benannten Orte nur zur Eröffnung eines<br />
Handlungsraumes, ohne dass dabei ihre Besonderheiten herausgearbeitet werden. So gibt es<br />
z.B. eine Passage über Straßburg (S. 78, 1-19), die der Form nach an ein Städtebild erinnert,<br />
doch auch hier erfährt man nichts über architektonische oder geschichtliche Charakteristika<br />
der Stadt, stattdessen werden Bürger, Stadtrat und die Frauen ironisch vorgeführt.<br />
Diesbezüglich bietet der Roman also nichts Neues. Die Beobachtung Krämers zum<br />
Weltkucker kann wohl verallgemeinert und auf die meisten Werke <strong>Beer</strong>s, wenn nicht sogar<br />
auf die meisten Romane des 17. Jahrhunderts bezogen werden:<br />
[...] räumliche Details werden nur insoweit konkretisiert, als sie als „Kulisse der Handlung“ funktionalen Sinn<br />
haben. Auch die Landschaftsdarstellungen haben keinen Eigenwert, sondern reflektieren die innere Situation des<br />
57 Fürstenspiegel sind seit dem frühen Mittelalter bekannt und beschreiben Pflichten und Aufgaben eines<br />
Herrschers. Neben Ratschlägen zur Regierungsweise finden sich dort auch Verhaltensregeln für den Umgang mit<br />
Gleichgestellten und Untergebenen. Zu den bekanntesten zählen Institutio principis christiani (1516) des<br />
Erasmus von Rotterdam, der nach christlichen Moralvorstellungen und unter Einbeziehung antiker Ansichten die<br />
Erziehung von Herrschern als Friedensfürsten zum Ziel hat. Machiavellis Il principe (1532) hingegen rechtfertigt<br />
z. Teil unmoralisches Handeln, sofern es der Stabilität des Staates dient.<br />
58 L’amoureux Africain, ou nouvelle galanterie. Cologne: 1675. Andere Titel bes. von Eberhard Werner Happel:<br />
<strong>Der</strong> Asiatische Onogambo. 1673; <strong>Der</strong> europaeische Toroan 1676; Die Portugalische Clara 1710; <strong>Der</strong><br />
Insulanische Mandorell 1682. Auf den möglichen Einfluss Happels ist meines Wissens in der <strong>Beer</strong>forschung<br />
bisher nicht eingegangen worden.<br />
29