26.02.2013 Aufrufe

Claudia Breitbarth Johann Beer: Der Verliebte Europäer

Claudia Breitbarth Johann Beer: Der Verliebte Europäer

Claudia Breitbarth Johann Beer: Der Verliebte Europäer

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

4.5. Kommentarebene (Narratio und Moralisatio)<br />

In Barockromanen unterscheidet man spezifische erzähltechnische Ebenen, die sich<br />

durchdringen oder parallel zueinander verlaufen. Die Ebene der Entwicklung der Handlung<br />

nennt man die Narratio. Passagen, in denen aus den auf der Handlungsebene dargestellten<br />

Ereignissen und Verhaltensweisen Erkenntnisse gezogen oder Wertungen formuliert werden,<br />

bezeichnen die Ebene der Moralisatio. Oft werden solche Äußerungen einem<br />

kommentierenden Erzähler überlassen, die Moralisatio kann sich aber auch implizit aus einer<br />

Gegenüberstellung von richtigem und falschem Verhalten ergeben. Die Moralisatio stellte ein<br />

unverzichtbares Mittel dar, die Nützlichkeit von literarischen Schriften über eine<br />

Kennzeichnung des Geschilderten im Sinne von „Tugendlohn“ und „Sündenstrafe“ sichtbar<br />

zu machen.<br />

Im <strong>Verliebte</strong>n <strong>Europäer</strong> realisiert sich die Moralisatio in vier unterschiedlichen Weisen. Sie<br />

findet sich erstens in einfach an Erzählsequenzen angehängten moralisierenden Kommentaren<br />

des Erzählers, teilweise mit direkten Leseranreden. 68 Die Moralisatio kann zweitens Figuren<br />

in den Mund gelegt werden oder sich drittens in Gesprächen äußern. Eine vierte<br />

Erscheinungsform ist die implizite Moralisatio. Sie lässt sich am schwierigsten nachweisen,<br />

weil sie die Interpretation ganzer Handlungssequenzen, wenn nicht des gesamten Romans<br />

erfordert.<br />

Da im Text ein Zurücktreten der Handlung zugunsten von immer umfangreicher werdenden<br />

Gesprächseinlagen zu beobachten ist, gewinnt später die dritte Form der Moralisatio an<br />

Bedeutung, während die Narratio verblasst. Die Reflexion richtigen und falschen Verhaltens<br />

verlagert sich hinein in die Gespräche selbst, so dass ein zusätzlicher Kommentar seitens des<br />

Erzählers überflüssig wird. Als Beispiel sei hier auf das Gespräch Alexanders mit dem<br />

Jesuiten Sebastian verwiesen (S. 68-74).<br />

Wenden wir uns aber zunächst der Moralisatio in Form von Erzählerkommentaren im<br />

<strong>Verliebte</strong>n <strong>Europäer</strong> zu. Entgegen der Beobachtung Krämers in anderen Werken <strong>Beer</strong>s (s.<br />

Anm. 68) ist diese Art der Kommentare im <strong>Verliebte</strong>n <strong>Europäer</strong> relativ selten.<br />

Eine der wenigen vorausdeutenden Erzählerkommentare findet sich auf S. 21, 8-22. Hier<br />

unterbricht der Erzähler die Narratio, indem er den Leser anspricht und ihn sozusagen zu einer<br />

68 Dies scheint eine für <strong>Beer</strong>s Schreiben typische erzähltechnische Vorgehensweise zu sein. So schreibt Krämer<br />

1991, S. 128, (dort eingebettet in eine Analyse des Weltkuckers): „In der erzähltechnischen Verwendung der<br />

Moralisatio fällt auf, daß sie äußerlich meist säuberlich von der Narratio getrennt ist, inhaltlich aber oft nur<br />

geringe Verknüpfungen mit dem auf der Handlungsebene Dargestellten aufweist. Die Moralisatio ist häufig nicht<br />

in das Erzählte eingelassen, sondern wird danach (seltener in Form von Vorwegnahmen) auf das Erzählte<br />

aufgesetzt. Dabei können des öfteren der erzählte Anlaß und der moralisierende Kommentar auseinanderklaffen,<br />

so daß der Erzähler häufig in merkwürdigem Mißverhältnis zum Begangenen moralisiert.“<br />

35

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!