26.02.2013 Aufrufe

Claudia Breitbarth Johann Beer: Der Verliebte Europäer

Claudia Breitbarth Johann Beer: Der Verliebte Europäer

Claudia Breitbarth Johann Beer: Der Verliebte Europäer

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

pikareskes Grundmodell zu erkennen ist, welches aber in vielfacher Hinsicht unterlaufen und<br />

wieder aufgehoben wird. 72<br />

Es wirkt immer wieder erstaunlich, in welcher Fülle dieses Werk (gemeint ist <strong>Beer</strong>s Werk insgesamt, C.B.)<br />

literarische Modelle aller Art einbezieht und übernimmt, und zwar weniger auf einer inhaltlichen oder<br />

motivischen Ebene sondern gerade in der Travestie ihrer Strukturen. (Krämer, 1991, S. 182)<br />

Auch im <strong>Verliebte</strong>n <strong>Europäer</strong> lässt sich die Lust am unkonventionellen Umgang mit solchen<br />

Modellen belegen, doch scheint mir, dass <strong>Beer</strong> mit diesem Werk auch nach einer ganz<br />

eigenen neuen Form sucht. Darauf wird noch zurückzukommen sein.<br />

<strong>Der</strong> Beginn des Romans folgt dem Muster des höfischen Romans, vor allem in der<br />

Einführung des Helden über die Beschreibung seiner Herkunft und seines tugendhaften<br />

Wesens. Ebenfalls zur Motivik des hohen Romans gehören Zwischenfälle auf Seereisen<br />

(Piraten, S. 16), Raubüberfälle (S. 16, S. 25 und S. 27) und Kämpfe mit Widersachern<br />

(Comilly). <strong>Der</strong> Handlungsaufbau ist jedoch einsträngig und lässt die vom Vorbild her zu<br />

erwartende extreme Komplexität vermissen. Stattdessen finden sich einfache Verdoppelungen<br />

und Wiederholungsfiguren (etwa bei den Gefechten mit Räubern).<br />

Bereits mit dem Beginn der Liebesanbahnung lässt sich ein zweites Modell ausmachen, das<br />

beliehen und inkorporiert wird, zunächst aber noch mit dem des hohen Romans parallel läuft:<br />

der Liebesroman (auch Schäferroman). 73 In Analogie zu den Bezeichnungen „hoher“ bzw.<br />

„niederer“ Roman belegt der Schäfer- oder Liebesroman das stilistische Zwischenfeld der<br />

„Mitte“ und ist zwischen den beiden anderen Formen anzusiedeln. Charakteristisch ist die<br />

Verbindung von einer Liebesgeschichte, welche den Bereich des Persönlich-Privaten<br />

bestimmt, mit dem Bereich des Öffentlichen, bei dem es um Fragen angemessenen politischen<br />

Handelns geht. Die Art der Liebesbeziehung hat dabei Auswirkungen auf Ansehen und<br />

Glaubwürdigkeit in der öffentlichen Sphäre. Werden für den gesellschaftlichen Bereich<br />

lebenspraktische Beispiele für die Einübung normgerechten Verhaltens im Umfeld des Hofes<br />

gegeben, dient die Liebeshandlung dazu, die Gefahren außer Kontrolle geratener Affekte<br />

72 Vgl. z. B. Krämer 1991 zum Weltkucker oder Gurtner, Kuno 1993: „Ich hab ein Korb voll Obst beisammen.“<br />

Studien zur Poetik der Romane <strong>Johann</strong> <strong>Beer</strong>s. Bern, Berlin, Frankfurt/M; Eidecker, Martina E.: <strong>Johann</strong> <strong>Beer</strong>s<br />

Die kurzweiligen Sommer=Täge und die Tradition des pikaresken Romans. Eine vergleichende Analyse. In: New<br />

German Review 12, 1996/97, S. 54-76 u. a. Außerdem wird <strong>Beer</strong> in vielen Darstellungen zum Schelmenroman<br />

angeführt.<br />

73 „Tatsächlich trägt der Begriff ‚Schäferroman’ weder inhaltlich noch formal zur Klärung der Sache bei, denn<br />

Worte wie ‚schäferlich’ oder ‚Schäfferey’ dienten nicht einer Gattungsbezeichnung, sondern fungierten zunächst<br />

als thematisches Signal für Liebesliteratur, so daß die schäferlichen Kostümierungen und Szenerien keine<br />

handlungstragende Rolle spielen.“ Breuer 1999, S. 578.<br />

41

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!